Kapitel 16 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 16.1 Grundlegende Prozesse Wir betrachten die grundlegenden Prozesse, die stattfinden, wenn Teilchen Materie durchqueren. Unter Materie verstehen wir ein Gas, eine Flüssigkeit oder einen Festkörper. Die Materie wird durch 1. die Dichte ρ, 2. die Massenzahl A, 3. die Ordnungzahl Z, 4. usw... charakterisiert. Siehe Abb. 1, wo in einer Tabelle die atomaren und Kern-Eigenschaften wichtiger Materialien aufgeführt sind. Im Allgemeinen werden die einfallenden Teilchen von der Materie ihre Bausteine (Atome) spüren, d.h. die Kerne (oder die Nukleonen) und die Elektronen. Es folgt daraus, dass die Wechselwirkungen zwischen Teilchen und Materie elektromagnetischer und starker Natur sind. Teilchenphysik 287 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Teilchen und Materie ist wichtig, weil diese Prozesse die Basis für den Nachweis von Teilchen sind. ungeladene Teilchen geladene Teilchen Wir unterscheiden die Wechselwirkungen von geladenen und neutralen Teilchen. 288 p e± µ± π± α Materie ρ,A,Z, ... γ n Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Grundlegende Prozesse Die Tabelle der atomaren und Kern-Eigenschaften wichtiger Materialien (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov) Figur 1. Teilchenphysik 289 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 16.2 Photonen Wir unterscheiden “harte” (energiereicher als Röntgen-Strahlen) und “weiche” Photonen (energieärmer als Röntgen-Strahlen). Der Wirkungsquerschnitt in Materie als Funktion der Energie des einfallenden Photons ist in Abb. 2 zusammengefasst. 16.2.1 “Harte” Photonen (Eγ > KeV) Wir betrachten verschiedene Prozesse als Funktion der Energiebereiche, bei denen der bestimmte Prozess beherrschend ist. a) Der photoelektrische Effekt. Eγ < ≈100 keV Das Photon wird an einem atomaren Elektron absorbiert und ein Elektron aus einer bestimmten Schale wird emittiert: E e = Eγ − φ wobei φ der Bindungs-Energie des Elektrons in dieser Schale entspricht. Der Wirkungsquerschnitt besitzt verschiedene Maxima für die verschiedenen Schalen. b) Streuung. ≈100 keV< Eγ < ≈ 1 MeV Bei diesem Prozess findet eine inkohärente Streuung des Photons an einem Elektron des Atoms statt. Der Prozess kann als ComptonStreuung γe– → γe– an einem freien Elektronen dargestellt werden. 290 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Photonen Der Wirkungsquerschnitt wird mit der QED berechnet und ist durch die sogenannte Klein-Nishina-Gleichung gegeben: 2 dσ re2 γ 2 (1 − cosθ ) 1 2 = 1 + cos θ + dΩ 2 [1 + γ (1 − cosθ )]2 1 + γ (1 − cosθ ) wobei γ=Eγ/me , re der klassiche Elektronradius und θ der Streuwinkel des Photons ist. Es gilt, e2 −15 re = ≈ 2, 8 fm ≈ 2, 8 × 10 m 4πε 0 mc 2 Die maximale kinetische Energie des gestossenen Elektrons ist gleich Tmax = Eγ 2γ 1 + 2γ Der differentielle Wirkungsquerschnitt als Funktion der Energie des Elektrons ist gleich (durch Ersetzen in der Klein-Nishina-Gleichung): dσ πr 2 s2 s 2 = e 2 2 + 2 s − 2 + dT meγ γ (1 − s) 1 − s γ wobei s=T/Eγ.. Der differentielle Wirkungsquerschnitt (d.h. die Verteilung der Energie des gestossenen Elektrons) hat ein Maximum bei T=Tmax. T Tmax c) Paar-Erzeugung. Teilchenphysik Eγ > 2me ≈1,02 MeV 291 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Die Paar-Erzeugung dominiert, wenn die Energie des Photons über der Energieschwelle für die Erzeugung des Elektrons und Positrons ist. Das Photon wird in ein Elektron-Positron-Paar zerfallen. Um die Energie und den Impuls zu erhalten, muss die Reaktion in Anwesenheit eines zurückstossenden Kerns stattfinden. e– e+ zurückstossender Kern Bei höchsten Energien kann der Wirkungsquerschnitt des Prozesses durch den folgenden Ausdruck gegeben werden: 7 183 σ Paar ≈ ( 4αre2 ) Z 2 ln 1/ 3 9 Z wobei Z die Ordnungszahl des Targets (der durchquerten Materie), und re der klassiche Elektronradius ist. d) Kern-Photoeffekt. sehr seltener Prozess In diesem Prozess, der sehr selten ist verglichen mit den anderen Photonreaktionen, die oben erwähnt sind, wird das Photon vom Kern absorbiert. Neutronen werden oft nach der Reaktion emittiert ((γ,n)Prozess). Der Wirkungsquerschnitt hat viele “Resonanz-Maxima”. 292 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Photonen 16.2.2 Strahlungslänge Eine nützliche Definition ist die Strahlungslänge X0: 1 183 ρN ≈ 4α A Z 2 re2 ln 1/ 3 X0 A Z wobei ρ die Dichte, NA die Avogadro-Zahl und A die Massenzahl ist. (Beachte, dass wie erwartet die Einheit der Strahlungslänge gleich der Einheit einer Länge ist). Mit dieser Definition ist die Wahrscheinlichkeit P, dass ein Photon ein e+e–-Paar in einer Strahlunglänge erzeugt, gleich 7 ρN P ≈ σ Paar A X 0 ≈ A 9 Damit ist der mittlere freie Weg eines Photons gleich λ Paar ≈ 9 X 7 0 Die Strahlungslängen für verschiedene Materialien sind in Abb. 1 gezeigt. Die experimentellen Resultate werden durch die folgende Beziehung gut gefittet: 716, 4 gcm −2 A X0 ≈ Z ( Z + 1)ln( 287 Z ) X0 hängt von ≈Z–2 ab ! Z.B. X0(H20)≈36cm, X0(Pb)≈0,56cm, X0(Fe)≈1,76cm, X0(Al)≈8,9cm Teilchenphysik 293 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 16.2.3 Abschwächungslänge Wegen ihrer Wechselwirkungen werden die Photonen abgeschwächt. Wir nehmen an, dass die Photonen, die wechselwirken, absorbiert werden. Die Photonen, die nicht wechselwirken, bleiben unverändert. γ Als Funktion des durchquerten Weges x durch die Materie kann die Intensität der Photonen so ausgedrückt werden: I ( x ) ≡ I 0e − x /λabs = I 0e − µx wobei µ der totale Absorbtions-Koeffizient ist: ρN ρN µ ≈ σ tot A ≈ σ photoelektrisch + σ Compton + σ Paar A A A ( ) 16.2.4 “Weiche” Photonen (Eγ < KeV) Die beherrschenden Streuprozesse sind kohärente Effekte mit allen Elektronen der Atome (Thomson- und Rayleigh-Streuung). Bei der kohärenten Streuung nehmen viele atomare Elektronen am Prozess teil. Wenn ein Prozess kohärent ist, kann der Wirkungsquerschnitt wegen konstruktiver Interferenz stark zunehmen. 294 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Photonen Wenn die Energie des Photons kleiner als ≈10 eV ist, spricht man vom optischen Bereich und verwendet eine Wellengleichung. Es folgt die Dispersions-Beziehung: k 2c 2 ω − =0 ε 2 wobei E γ = hω Die Materie (das Medium) wird durch die dielektrische Konstante charakterisiert, die von der Frequenz des Photons abhängt. Wenn ε(ω) reell ist, werden die Photonen ein “durchsichtiges” Medium durchqueren. Ein komplexwertiges ε(ω) entspricht Absorption. Die Lichtgeschwindigkeit ist gleich v= Teilchenphysik c c = n ε 295 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Zusammenfassung des Wirkungsquerschnitts von Photonen in Kohlenstoff und Blei als Funktion der Energie des einfallenden Photons (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Figur 2. 296 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen 16.3 Geladene Teilchen Wir betrachten z.B. die Ausbreitung von e±, µ±, π±, Protonen, α-Teilchen, usw... in Materie. Geladene Teilchen: elektromagnetische Wechselwirkungen mit Elektronen und Kernen (Coulombsche-Streuung). Wir definieren die Eintritts- (Austritts-)Energie E(E’) und den Eintritts- (Austritts-)Impuls p(p’) des Teilchens: E ′ = E − ∆E r r r p′ = p + ∆p ∆E = Energieverlust r ∆p ≈ Ablenkung E’, p’ E, p Viele Wechselwirkungen (Zusammenstösse) zwischen dem Teilchen und der Materie sind für den Energieverlust und die Ablenkung des Teilchens verantwortlich. Man spricht deshalb oft von statistischen Effekten. Die grundlegenden Prozesse können so klassifiziert werden: Teilchenphysik 297 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 1. inelastischer Stoss mit atomaren Elektronen (Ionisierung oder Anregung) π– π– e– Freies Elektron Kern Ionisiertes Atom Die notwendige Energie, um ein Elektron-Ion-Paar zu ergeugen, wird als Wi bezeichnet Z.B. für Argon ist Wi≈25 eV, d.h. 40’000 freie Elektronen werden erzeugt,wenn der Energieverlust des einfallenden Teilchen gleich 1 MeV ist. δ-rays: falls ein Stoss heftig ist (“hard knock-on”), kann das freie Elektron als sekundäres Teilchen mit seiner eigenen “Spur” beobachtet werden. Man spricht von δ-rays. π– δ-rays primäres Teilchen 2. elastische Streuung an Kernen 3. Strahlungsemission (Cerenkov- oder Übergangs1-Strahlung) 1. “Transition-Radiation” 298 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen 4. Inelastische starke Kernprozesse Aufbrechen des Kerns: π± π0 p n π± Kern 5. mit Produktion von sekundären Teilchen. Bremsstrahlung e± e± γ 16.3.1 Mittlerer Energieverlust Wir betrachten die Ausbreitung von schweren geladenen Teilchen der Masse M >> me. Bethe (1930): Bethe-Bloch-Formel Die Bethe-Bloch-Gleichung beschreibt den mittleren Energieverlust eines Teilchens der Ladung z in einem Materiestück der Dicke dx (gilt für β>≈0.01) Z 1 1 2 me c 2β 2γ 2Tmax δ dE 2 2 − = ( 4πN A re me c ) zρ − β2 − 2 ln 2 2 A β 2 I dx Teilchenphysik 299 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie 1. Tmax ist die maximale kinetische Energie, die in einem Stoss an ein atomares Elektron abgegeben werden kann; Tmax ≈ 2 me c 2β 2γ 2 4. I ist die mittlere Anregungsenergie; β ist die Geschwindigkeit des Teilchens und γ sein Lorentz-Faktor; NA ist die Avogadrozahl, Z die Ordnungzahl, A die Massenzahl, ρ die Dichte der durchquerten Matiere (des Targets); der Faktor ρNAZ/A entspricht der Dichte der atomaren Elektronen. 5. δ entspricht einer Korrektur der Ionisierungsenergie wegen Dichteeffekten. 6. der Faktor (4πNAre2mec2) ist gleich 0,307 MeV cm2/g. 2. 3. Wir bemerken, dass der Energieverlust nicht von der Masse des einfallenden Teilchens abhängt. Er hängt nur von der Geschwindigkeit des Teilchens ab mit charakteristischer Abhängigkeit: Wenn β→0 (nicht relativistisch), ist dE/dx zu β–2 proportional. Wenn βγ≈4, hat dE/dx ein Minimum, den sogenannten MIP-Wert (MIP=Minimum Ionizing Particle). Numerisch gilt für eine Dichte ρ (in g/cm3) dE dx mip ρ ≈ (1 ÷ 2) MeV / ( g / cm 2 ) Wenn βγ>4, nimmt dE/dx langsam zu (der relativistische Anstieg). 300 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen Der Energieverlust von positiven Myonen in Kupfer wird in Abb. 3 gezeigt. “Stopping-Power” (mittleres dE/dx) als Funktion des Parameters βγ des Teilchens (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Figur 3. Die Bethe-Bloch-Gleichung beschreibt den Energieverlust mit guter Genauigkeit, wenn β>≈0.02. Der Energieverlust von Pionen mit Energie zwischen 6 MeV und 6 GeV wird mit einer Genauigkeit von 1% vorausgesagt. Wenn die Geschwindigkeit des Teilchens klein relativ zur Geschwindigkeit der atomaren Elektonen ist, ist die Bethe-Bloch-Gleichung nicht mehr verwendbar. Wenn βγ>≈1000, werden Strahlungsprozesse wichtig und der Energieverlust wird von der Bethe-Bloch-Gleichung unterschätzt. Teilchenphysik 301 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Man wird oft die Dicke X=ρx (g/cm2) verwenden, so dass dE 1 dE 1 N A Z ≡ ∝ ρ ≈ Konst dX ρ dx ρ A weil Z ≈ 0, 5 A Mittlere Anregungsenergie I. Dieser Energie-Parameter kann aus den experimentellen Daten gefittet werden. Er hängt von der Ordnungszahl ab. Die gemessene mittlere Anregungsenergie als Funktion der Ordnungszahl wird in Abb. 4 gezeigt. Es gilt, 19.2 für H 2 − Gas I (Z ) ≈ (10 ± 1) Z für Z > 15 Die gemessene mittlere Anregungsenergie als Funktion der Ordnungszahl Z (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Figur 4. 302 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen Korrektur zum relativistischen Anstieg. Diese durch den δ-Faktor eingeführt. Korrektur wird In Materialien mit hoher Dichte wird das Medium wegen des elektrischen Feldes des einfallenden Teilchens polarisiert. Diese Polarisation wird das E-Feld teilweise abschirmen. Als Folge erwarten wir weniger Stösse mit Elektronen, die weit “entfernt” sind. Der Energieverlust im relativistischen Bereich wird unterdrückt. Tatsächlich, Gase: dE dE ≈ 1, 5 × dx β →∞ dx mip Festkörper, Flüssigkeit: dE dE ≈ (1, 05 ÷ 110 , )× dx β →∞ dx mip Der genaue Betrag der Korrektur hängt von Materialeigenschaften (Leiter, nicht Leiter, usw...) ab. 16.3.2 Mittlerer Energieverlust der Elektronen Wenn wir die Ausbreitung von Elektron in Materie betrachten, müssen wir immer zwei Prozesse beachten (Siehe Abb. 5): dE dE dE + ≈ dx e ± dx Bremsstrahlung dx Ionisierung Teilchenphysik 303 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Energieverlust geteilt durch die Energie der Elektronen und Positronen im Blei als Funktion der Energie (Particle Data Group, http:// pdg.lbl.gov). Figur 5. Der Energieverlust durch Ionisierung kann mit Hilfe der BetheBloch-Gleichung berechnet werden. Der Bremsstrahlungsprozess von Elektronen und Positronen (Siehe Abb. 6) kann mit der QED berechnet werden: Z2 dE 183 E − = 4αN A ρ re2 E ln 1/ 3 ≡ dx Bremsstrahlung Z X0 A wobei X0 die schon definierte Strahlungslänge ist. Bei zunehmender Energie, wird er den Energieverlust schnell dominieren, z.B. im Blei schon für Ee±>≈10 MeV. 304 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen γ ± γ γ e γ e± γ Skizze des Bremsstrahlungsprozesses von Elektronen und Positronen in Matiere. Figur 6. Wenn wir den Ionisationsenergieverlust vernachlässigen, erhalten wir dE dx − ≈ E X0 ⇒ E ( x ) = E 0e − x / x 0 und damit ist die Strahlungslänge gleich der Dicke, bei der die Energie des Elektrons um einen Faktor e reduziert wird. Kritische Energie Ec: die kritische Energie wird so definiert: R( E c ) ≡ dE dx Bremstrahlung dE dx Ionisierung ≈1 Kritische Energie d.h. wenn Ee±> Ec, wird der Bremsstrahlungsprozess vorherrschen. wenn Ee±< Ec, wird der Ionisationsenergieverlust dominieren. Numerisch: Ec(Kohlenstoff )≈100 MeV, Ec(Al )≈47 MeV, Ec(Fe )≈24 MeV, Ec(Pb )≈6,9 MeV (Siehe Abb. 7). Teilchenphysik 305 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Kritische Energie als Funktion der Ordnungszahl Z für Festkörper und Gase (Particle Data Group, http://pdg.lbl.gov). Figur 7. 16.3.3 Mittlerer Energieverlust der Myonen Bremsstrahlung von Myonen: Im Bremsstrahlungsprozess ist die Wahrscheinlichkeit, ein Photon zu emittieren, zum Faktor e2 2 mc 2 proportional. Damit ist z.B. die Wahrscheinlichkeit der Bremsstrahlung für Myonen viel kleiner als für Elektronen: 2 m 1 ! ∝ e ≈ 40000 mµ 306 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen Für Myonen ist Bremsstrahlung für Eµ > ≈1000 GeV nicht mehr vernachlässigbar. Siehe Abb. 8. Mittlerer Energieverlust eines Myons als Funktion der Myonenergie. Figur 8. 16.3.4 “Straggling” des Energieverlusts Die Bethe-Bloch-Gleichung liefert den mittleren Energieverlust. Der Energieverlust eines gegebenen Teilchens wird tatsächlich von statistischen Fluktuationen abhängen. Wenn die Dicke der durchgequerten Materie so gross ist, dass die Anzahl von Stössen zwischen dem Teilchen und den ato- Teilchenphysik 307 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie maren Elektronen sehr gross ist, wird der Energieverlust eine Gauss-Verteilung besitzen. Für dünne Absorber wird der Energieverlust eine Landau-VavilovVerteilung besitzen. Eine Landau-Vavilov Verteilung wird in Abb. 9 geplottet. Man beobachtet eine klares Maximum und das asymmetrische Verhalten der Verteilung mit einem langen “Landau-tail”. Der “Landau-tail” entspricht seltenen Stössen, bei denen ein grosser Energie-Impuls-Austausch zwischen dem einfallenden Teilchen und der Materie stattgefunden hat. Solche Stössen sind oft von δ-Rays begleitet. Der wahrscheinlichste Energieverlust und der mittlere Energieverlust sind auch gezeigt. Der mittlere Energieverlust entspricht dem Wert, der mit der Bethe-Bloch-Gleichung erhalten wird. 308 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen wahrscheinlichster Energieverlust δ-rays mittlerer Energieverlust Figur 9. Landau-Vavilov-Verteilung. 16.3.5 Vielfach-Streuung (“Multiple scattering”) Wenn ein geladenes Teilchen Materie durchquert, wird es in vielen kleinen Winkeln abgelenkt (Siehe Abb. 10). Coulombsche Streuung an Kernen ist für diesen Effekt verantwortlich und deshalb wird diese resultierende Ablenkung als CoulombscheVielfach-Streuung bezeichnet. Die Molière-Theorie beschreibt den Effekt gut. Für kleine Ablenkungen verhält sich die Winkelverteilung wie eine Gauss-Verteilung. Für Teilchenphysik 309 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie grosse Ablenkungen wird sich der Effekt wie die Rutherford-Streuung verhalten. Als Folge ist die Verteilung des Streuwinkels wie eine Gauss-Verteilung (98% der Fälle) mit längeren Schwänzen (in 2% der Fälle) verteilt. Ablenkung eines Teilchens in Materie (Particle Data Group, http:// pdg.lbl.gov). Figur 10. In der Praxis wird die Gauss-Näherung verwendet und man definiert die Standardabweichung (“Root-Mean-Square”,RMS) der Winkelverteilung als RMS θ Ebene = 1 RMS θ Raum ≡ θ 0 2 wobei θEbene der auf eine Ebene projizierte Winkel und θRaum der 3dimensionale Streuwinkel ist (Siehe Abb. 10). Es folgt daraus, dass die Verteilung des projizierten Winkels (θEbene) und des nicht-projizierten Winkels (θRaum) ungefähr die folgenden sind: 1 −(θ x2 +θ y2 ) / 2θ 02 e dθ x dθ y 2πθ 02 310 und 2 2 1 e −θ Ebene / 2θ 0 dθ Ebene 2πθ 0 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Geladene Teilchen wobei x,y zwei zur Bewegungsrichtung des Teilchens senkrechte Achsen sind und. 2 θ Raum ≈ θ x2 + θ y2 Die Breite der Streuwinkelverteilung nach einer Strecke x in Materie ist gleich θ0 ≈ x 13, 6 MeV z X0 βcp wobei z die Ladung des Teilchens, β die Geschwindigkeit, p der Impuls und X0 die Strahlungslänge ist. Die Vielfachstreuung hängt vom inversen Impuls ab. Bei höheren Impulsen ist die Streuung weniger stark. Für eine Dicke gleich 1 X0 und p=1 GeV/c ist der Streuwinkel θ0 ≈14 mrad ≈ 1 Grad. 16.3.6 Strahlungsemission Ein Teilchen wird Cerenkov-Strahlung emittieren, wenn seine Geschwindigkeit β im Medium, durch welches es sich ausbreitet, grösser als die Lichtgeschwindigkeit βC in diesem Medium ist. Cerenkov-Schwelle: βC = 1 1 = n ε wobei n die Brechzahl des Mediums ist. Teilchenphysik 311 Wechselwirkung von Teilchen mit Materie Wenn das Teilchen eine Geschwindigkeit β>βC hat, wird die Cerenkov-Strahlung in einen Cerenkov-Kegel der Öffnung θC emittiert, wobei cosθC = 1 βn Im Allgemeinen wird ein kontinuierliches Spektrum von Photonen in den optischen Bereich emittiert (ein durchsichtiges Medium wird verwendet). Der Energieverlust ist klein relativ zum Ionisationsverlust: dE − ≈ 10 −3 MeVg −1cm 2 dx C Der Prozess trägt zum Energieverlust eines Teilchens in Materie nicht sehr viel bei, wird aber in Detektoren verwendet. 312 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia