Die Verbände informieren BVDP-Stellungnahme zur Zwangsbehandlung Wann immer möglich zu vermeiden – in bestimmten Notfällen lebensrettend Der BVDP begrüßt die gesetzliche Neuregelung zur Zwangsbehandlung. Niedergelassene Psychiater müssen manchmal die Entscheidung treffen, jemanden gegen seinen Willen in eine Klinik einzuweisen. Dafür gibt es genaue gesetzliche Regelungen. Dass dieser Mensch danach in der Klinik behandelt werden darf und nicht nur verwahrt wird, regelt das neue Gesetz. U nter dem Begriff „Zwangsbehandlung“ werden derzeit verschiedene Arten von Behandlung und unterschiedliche Begriffe subsummiert beziehungsweise vermischt. Gleichzeitig wird von der UN-Behindertenrechtskonvention eine, aus unserer Sicht gefährliche, generelle Gleichsetzung von Zwangsbehandlung mit Folter diskutiert. „Reanimation der Seele“ Die Reanimation des Körpers eines Bewusstlosen, der nicht aktiv in die Be- nen, die jegliche Zwangsbehandlung ablehnen, sind für uns Psychiater nachvollziehbar. Es gibt bedauerlicherweise Menschen, die durch die psychiatrische Behandlung seelisch traumatisiert wurden. Diese Traumatisierungen sind unter anderem deshalb entstanden, weil es im medizinischen Gebiet der Psychiatrie noch nicht sehr lange spezifisch wirksame Behandlungsmethoden gibt. Insofern ist die Debatte derzeit sehr wertvoll und trägt dazu bei, die Verantwortung der Gesellschaft für Menschen »Ist die Reanimation einer Seele weniger wert als die Reanimation eines Körpers?« handlung zur Rettung seines Lebens einwilligen kann, wird nicht als Zwangsbehandlung empfunden, sondern als erstrebenswertes Ziel, weil man das Interesse des Patienten an einem gesunden Weiterleben als gegeben voraussetzen darf. Für uns Psychiater ist eine Behandlung bei akuten Psychosen sehr ähnlich einer Reanimation. Der Kranke ist quasi seelisch „bewusstlos“, er hat kein Bewusstsein für seine Erkrankung, oder sein Erleben ist für ihn selbst oder andere bedrohlich. Wie „tief“ diese „seelische Bewusstlosigkeit“ reicht, ist nur durch Spezialisten – also durch Psychiater – feststellbar. Ist die Reanimation einer Seele weniger wert? Muss sie anders bewertet werden? Wertvolle Debatte Die Stellungnahmen wie die des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahre- 10 mit psychischen Störungen bewusst zu machen. Leider haben wir weder in den Kliniken noch in den Praxen die personellen oder baulichen Mittel und Ausstattungen, um jegliches psychische Problem – auch das des etwa durch Drogen vollkommen enthemmten, gewaltbereiten Menschen, der mit der Machete um sich schlägt – ohne Zwang zu lösen. Unsere Ressourcen müssen jedoch planvoll und leitliniengerecht zum Einsatz kommen. Eine Nacharbeitung mit dem Patienten und das Ziel zu einer Behandlungsvereinbarung (ähnlich einer Patientenverfügung) zu kommen, sind unverzichtbar. Freier Wille? In der öffentlichen Debatte wird die Diskussion zu Zwangsbehandlungen zumeist so geführt, als gebe es für uns Menschen nie einen Zustand der Ein- schränkung des freien Willens. Dieser kollektive Neglect rührt daher, dass unser Ich, unsere Vorstellung, Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu haben, in diesem wunderbaren, faszinierenden, aber noch kaum verstandenen Körperteil Gehirn sitzt. Wie der Verlust des freien Willens individuell aussehen kann, ob etwa durch eine Demenz oder eine Psychose bedingt, ist für jeden gesunden Menschen zunächst kaum konkret vorstellbar, macht Angst und wird insofern gern verdrängt. Viele seelische Krankheiten sind Erkrankungen des Konnektoms, also der Gesamtheit der Vernetzungen der 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn, und mithin so komplex, dass man sie nicht einfach schnell verstehen und behandeln kann. Komplexes Gehirn Die Psychiatrie steht derzeit vor einer faszinierenden Entwicklungsphase durch das zunehmende Verständnis für die komplexe Funktionsweise des Gehirns. Dass dies so spät erfolgt, später als beispielsweise die medizinischen Weiterentwicklungen in der Kardiologie oder der Intensivmedizin, liegt an der Komplexität des Gehirns und der Schwierigkeit es zu untersuchen. Man kann ein Gehirn eben nicht einfach aufschneiden und nachsehen. Und selbst wenn man dies täte, hätte man ein Vielfaches der komplexen Zusammenhänge nicht gesehen und nicht verstanden. AUTORIN Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, Andernach Vorsitzende des BVDP NeuroTransmitter 2013; 24 (3)