Die Häufigkeit der Störung des Sozialverhaltens in einer Einrichtung

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Die Häufigkeit der Störung des
Sozialverhaltens in einer Einrichtung der
Kinder- und Jugendhilfe
Diplomarbeit
Universität Osnabrück
Fachbereich Psychologie
eingereicht am: 20.01.2000
Betreuer: Prof. Dr. H. Schöttke
Prof. Dr. K.-H. Wiedl
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Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
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II. Störung des Sozialverhaltens
II.1. Beschreibung der Störung
II.2. Kategorien in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen
II.3. Diagnostisches Statistisches Manual
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III. Epidemiologie
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IV. Differentialdiagnostik und Komorbidität
IV.1. Affektive Störungen
IV.1.1. Depression und Angststörungen
IV.2. Hyperkinetische Störungen
IV.3. Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen
IV.4. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
IV.5. Schizophrenie
IV.6. Störung mit oppositionellem Trotzverhalten
IV.8. Störung des Sozialverhaltens und antisoziale Persönlichkeitsstörung
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V. Verlauf
V.1. Verlauf in der Kindheit
V.1.1. Altersspezifische Symptomverteilung
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V.2. Verlauf bis in das Erwachsenenalter
V.3. Der Einfluß von Therapie auf den Verlauf der Störung
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VI. Risikofaktoren
VI.1. Geschlecht
VI.2. Frühes Verhalten
VI.3. Familiäre Faktoren
VI.3.1. Psychische Auffälligkeiten der Eltern
VI.3.2. Eltern-Kind-Interaktionen
VI.3.3. Eheliche Disharmonie und „Broken homes”
VI.4. Biologische Einflüsse
VI.5. Religiosität
VI.6. Fernsehkonsum
VI.7. Kognitive Faktoren
VI.7.1. Intelligenz
VI.7.2. Informationsverarbeitung
VI.8. Soziale Schicht
VI.9. Kulturelle Unterschiede
VI.10. Schulische Faktoren
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VI.11. Adoption
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VII. Erklärungsansätze
VII.1. Personenspezifische, biologische Prädispositionen
VII.2. Genetische Einflüsse
VII.2.1. Chromosomale Abweichungen
VII.2.2. Biochemische Unterschiede
VII.3. Lerntheoretische Erklärungen
VII.4. Antisoziales Verhalten als Kompetenz
VII.5. Fazit
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VIII. Geschlechtsunterschiede
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IX. Fragestellung
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X. Methoden
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X.1. Erhebungsinstrumente
X.1.1. Kinder-DIPS
X.1.2. Child Behavior Checklist
X.1.3. Erhebung der Risikofaktoren
X.1.4. Durchführungsbedingungen
X.2. Darstellung der Stichprobe
X.2.1. Die Einrichtung
X.2.2. Ausschlußkriterien für eine Aufnahme in die Einrichtung
X.2.3. Die Stichprobe
X.2.4. Statistische Auswertung
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XI. Ergebnisse
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XI.1. Deskriptive Daten der Stichprobe
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X1.1.1. Alter und Geschlecht
46
X1.1.2. Anzahl der Geschwister und Rangstellung innerhalb der Geschwister
46
X1.1.3. Schulform
47
X1.1.4. Religionszugehörigkeit
47
X1.1.5. Soziodemographische Daten der Eltern
47
XI.1.5.1. Familienstand der Eltern
47
XI.1.5.2. Alkoholkrankheit der Eltern
47
XI.1.5.3. Soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern
47
XI.2. Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im Kinder-DIPS
48
XI.2.1. Übereinstimmung zwischen den Diagnosen nach Angaben der
Kinder und der Erzieher im Kinder-DIPS
48
XI.3. Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens
49
XI.3.1. Ergebnisse des Kinder-DIPS
50
XI.3.1.1. Akute Diagnose
50
4
XI.3.1.2. Frühere Diagnose
51
XI.3.1.3. Störung des Sozialverhaltens und Geschlecht
52
XI.3.1.4. Beginn der Störung des Sozialverhaltens
52
XI.3.1.5. Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens
52
XI.3.1.6. Gruppenzugehörigkeit und Störung des Sozialverhaltens
53
XI.3.2. Ergebnisse der Child Behavior Checklist
54
XI.3.3. Diagnose SSV im Kinder-DIPS und Werte in der CBCL
54
XI.3.3.1. SSV in der Kinderversion des DIPS und Werte in der CBCL 54
XI.3.3.2. SSV in der Erzieherversion des DIPS und Werte in der CBC 55
XI.3.3.3. Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen SSV im
Kinder-DIPS und CBCL in einer Tabelle
56
2
XI.3.3.4. Multivariater Hotelling T -Test zur Überprüfung eines Unterschieds
zwischen Kindern mit einer dissozialen Störung und ohne nach dem
Kinder-DIPS bezüglich der „internalen” und „externalen” Störung in
der CBCL
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XI.3.4. Auftretenshäufigkeit der im Kinder-DIPS angegebenen Symptome
der Störung des Sozialverhaltens
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XI.4. Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens mit anderen Störungsbildern 61
XI.5. Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens
und dem Auftreten bestimmter Risikofaktoren
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XII. Diskussion
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XIII. Zusammenfassung
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XIV. Literaturverzeichnis
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5
I. Einleitung
In dieser Arbeit geht es um die Störung des Sozialverhaltens (SSV) bei Kindern.
Nach den emotionalen Störungen sind Störungen des Sozialverhaltens die
zweithäufigste Diagnose in der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik
(Steinhausen, 1996).
Bei der SSV handelt es sich um Verhaltensweisen, mit denen altersgemäße
Normen, Regeln und Rechte anderer beeinträchtigt werden. Entsprechend
bezeichnet man sie auch als Dissozialität oder antisoziales Verhalten. SSV gehören
zu den gängigsten Gründen für Eltern, Schulen und Gerichte, Kindern und
Jugendlichen professionelle Hilfe zukommen zu lassen (Alexander & Pugh, 1996).
Wenn Kinder antisoziale Verhaltensweisen zeigen, ist es unwahrscheinlich, daß sich
solches Verhalten im Laufe der Zeit „auswächst”.
Kinder und Jugendliche, die in der Kindheit oder Adoleszenz eine SSV aufweisen,
sind stärker gefährdet, im
Erwachsenenalter psychiatrische Erkrankungen,
Alkoholabhängigkeit, kriminelles Verhalten und insbesondere eine antisoziale
Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Schätzungen zufolge, weisen bis zu 50% der
Kinder, bei denen eine SSV diagnostiziert wurde, im Erwachsenenalter eine
antisoziale Persönlichkeitsstörung auf (Hersen & Last, 1990, Möller-Nehring, Moach,
Castell, Weigel & Meyer, 1998).
Anfang des 20. Jahrhunderts war es durchaus noch üblich, auch Kinder mit dem
Begriff Psychopathie zu beschreiben, wie z. B. in der Arbeit von F. Kramer und R. v.
d. Leyen „Entwicklungsverläufe anethischer, psychopathischer, gemütloser Kinder”
(1934). Mc Cord und Mc Cord definierten dabei den Begriff Psychopath
folgendermaßen: „Der Psychopath ist eine asoziale, höchst impulsive Person, die
geringe oder überhaupt keine Schuldgefühle entwickelt und außerstande ist
dauerhafte Gefühlsbeziehungen zu anderen Menschen herzustellen” (zitiert aus
Remschmidt, 1978). Kramer und v. d. Leyen (1934) spekulierten dazu, daß das
Fehlen eines Gewissens Ausdruck eines Abwehrvorgangs ist. Sie schrieben in ihrem
Artikel: „Gerade die Sensivität der Kinder ist als der Grund anzusehen, daß sie der
Unerträglichkeit der Situation gegenüber keinen anderen Ausweg finden, als sich in
sich abzusperren und in die Unempfindlichkeit zu flüchten”. Heute benutzt man den
Begriff der Psychopathie nicht mehr bei Kindern, weil es dem Entwicklungsgedanken
widerspricht.
Die Störung des Sozialverhaltens ist ein schwerwiegendes Problem, denn zum
einen gibt es immer mehr Kinder und Jugendliche, die unter dieser Störung leiden.
Zum
anderen
ist
die
Prognose
ungünstig.
Es
fehlen
effektive
Interventionsmaßnahmen sowie eine eindeutig zuzuordnende Ätiologie für dieses
Störungsbild (Atkins & Osborn, 1993). Eine dissoziale Störung verläuft nicht selten
chronisch und wird oftmals über Generationen weitergegeben (Craig & Pepler,
1997). Die Störung hat weitreichende Auswirkungen auf Geschwister, Eltern, Lehrer,
aber auch Fremde, die unter den antisozialen und aggressiven Handlungen der
betroffenen Kinder zu leiden haben (Craig & Pepler, 1997). Desweiteren sind die
6
Kosten, die dadurch verursacht werden immens hoch. Zum einen sind immer neue
Systeme an der Diagnostik und Intervention beteiligt (z.B. Gesundheitssystem,
spezielle Erziehungseinrichtungen, Jugendgerichtsbarkeit usw.) (Craig & Pepler,
1997) und zum anderen durch konkret verursachte Schäden, die die Kinder
anrichten (Frick, 1998).
Ein weiterer Aspekt dieses Störungsbildes ist, daß in erster Linie nicht die Kinder
selber unter ihren dissozialen Verhaltensweisen leiden sondern andere. Dies führt
zu einem Mangel an Interesse, das Verhalten zu ändern und damit zu einer
schlechten therapeutischen Prognose (Kolko, 1994).
Zur Epidemiologie der Störung liegen unterschiedliche Angaben vor. Es wird gesagt,
daß die Auftretenshäufigkeit bei klinischen Stichproben zwischen einem Drittel und
der Hälfte liegt (Coid, 1993). Dagegen gibt es nur wenige Studien, die sich mit der
Auftretenshäufigkeit in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigen,
obwohl sich vermuten läßt, daß gerade in einer solchen Einrichtung das
Störungsbild besonders häufig zu finden ist. Denn Kinder einer solchen Einrichtung
sind (bzw. waren) in der Regel einer erhöhten Anzahl von Risikofaktoren ausgesetzt.
Mit diesem Thema beschäftigt sich die vorliegende Diplomarbeit. Es werden Kinder
und Jugendliche, die sich in einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe
befinden, daraufhin untersucht, ob sie eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen.
Es wird außerdem untersucht, ob andere Störungen überzufällig häufig mit dem
Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens einhergehen. Desweiteren wird
überprüft, ob bestimmte familiäre Risikofaktoren in signifikantem Zusammenhang
zum Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens stehen. Zur Beantwortung dieser
Fragestellungen werden sowohl die Kinder und Jugendlichen der Einrichtung mit
Hilfe des Kinder-DIPS befragt als auch deren pädagogischen Betreuer. Das KinderDIPS erfragt Störungsbilder, die im Kindes- und Jugendalter auftreten. Zusätzlich
bearbeiten
die
pädagogischen
Betreuer
einen
Fragebogen
zur
Verhaltensbeurteilung von Kindern und Jugendlichen.
In der vorliegenden Arbeit wird zunächst die Störung des Sozialverhaltens anhand
der Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 vorgestellt (Kapitel II). In Kapitel III
wird aufgezeigt, wie verbreitet die Störung des Sozialverhaltens ist. Da eine
dissoziale Störung nicht immer eindeutig von anderen Störungen abzugrenzen ist,
wird in Kapitel IV auf die Komorbidität und Differentialdiagnostik eingegangen.
Kapitel V beschreibt den Verlauf der Störung innerhalb der Kindheit und bis in das
Erwachsenenalter. Mit Kapitel VI werden Risikofaktoren aufgezeigt, die zur
Entstehung und Persistenz der Störung beitragen. In einem eigenen Kapitel wird
dann kurz auf die möglichen Wirkmechanismen eingegangen (Kapitel VII). Hier wird
unter anderem auf die Anlage-Umwelt-Kontroverse Bezug genommen. Die Störung
wird bei Jungen häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. In Kapitel VIII wird daher
die Frage behandelt, ob dies tatsächlich die Verteilung wiedergibt oder ob, wie
einige Autoren vermuten, Mädchen antisoziales Verhalten anders ausleben als
Jungen. Kapitel IX beschäftigt sich mit der Fragestellung, die in dieser Diplomarbeit
untersucht wird. In Kapitel X werden die Methoden, die zur Untersuchung der
7
Fragestellung benutzt werden, beschrieben. Kapitel XI beschäftigt sich mit den
Ergebnissen der Untersuchung. In Kapitel XII werden die gefundenen Ergebnisse
kritisch gewürdigt und diskutiert. Kapitel XIII enthält eine kurze zusammenfassende
Darstellung der Fragestellung, Methoden und Ergebnisse dieser Arbeit. In Kapitel
XIV findet sich das Literaturverzeichnis.
II. Störung des Sozialverhaltens
II.1. Beschreibung der Störung
Störungen des Sozialverhaltens (SSV) umfassen ein breites Spektrum antisozialer
Verhaltensweisen wie Aggressivität, Diebstahl, Vandalismus, Brandstiftung, Lügen,
Schulschwänzen und Fortlaufen von zu Hause, Substanzmißbrauch, Wutausbrüche,
Schlägereien, Waffengebrauch, gestörte Beziehungen, Mangel an Empathie,
Mangel an Schuldbewußtsein, Grausamkeiten gegenüber Menschen und Tieren
sowie sexuelles Fehlverhalten.
Die Definitionen der Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-IV unterscheiden sich
voneinander.
Im ICD-10 wird zwischen einer auf den familiären Rahmen beschränkten Störung
(F91.0), der SSV bei fehlenden sozialen Bindungen (F91.1), der SSV bei
vorhandenen sozialen Bindungen (F91.2), der SSV mit oppositionellem, aufsässigen
Verhalten (F91.3), den sonstigen SSV (F91.8) und der nicht näher bezeichneten
Störung des Sozialverhaltens (F91.9) unterschieden. Das DSM-IV listet eine Reihe
von Symptomen auf, von denen mindestens drei während der letzten zwölf Monate
und mindestens ein Kriterium in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein
müssen.
II.2. Kategorien in der Internationalen Klassifikation psychischer
Störungen (Dilling, Mombour und Schmidt (Hrsg.), ICD-10, Kapitel V (F),
1993)
F91 Störungen des Sozialverhaltens
Allen gemeinsam ist ein sich wiederholendes und andauerndes Muster dissozialen,
aggressiven oder aufsässigen Verhaltens. Dieses Verhalten beinhaltet in seinen
schwersten Formen gröbste Regelverletzungen altersentsprechender sozialer
Erwartungen. Es soll aber schwerwiegender sein als gewöhnlicher kindischer Unfug
oder jugendliche Aufmüpfigkeit. Einzelne solcher Handlungen allein sind jedoch kein
Grund für die Diagnose. Beurteilungen über das Bestehen einer Störung des
Sozialverhaltens müssen das Entwicklungsniveau des Kindes berücksichtigen.
Wutausbrüche sind beispielsweise bei Dreijährigen eine normale Erscheinung und
begründen nicht die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens. Beispiele im ICD10, die ausreichen für die Bennenung einer Störung des Sozialverhaltens, sind ein
8
extremes Maß an Streiten oder Tyrannisieren, Grausamkeit gegenüber anderen
Menschen oder Tieren, erhebliche Destruktivität gegen Eigentum, Feuerlegen,
Stehlen, häufiges Lügen, Schulschwänzen und Weglaufen von zu Hause,
ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche und Ungehorsam. Allerdings gilt
auch hier wieder, daß eine erhebliche Ausprägung vorhanden sein muß. Isolierte
Handlungen genügen nicht für eine Diagnose. Eine Störung des Sozialverhaltens
tritt oft zusammen mit schwierigen psychosozialen Umständen wie unzureichenden
familiären Beziehungen und Schulversagen auf. Sie wird bei Angehörigen des
männlichen Geschlechts häufiger gesehen.
Die Forschungskriterien der ICD-10 (Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort,
1994) verlangen das Vorliegen von mindestens drei der folgenden Symptome:
1. für das Entwicklungsalter der Kindes ungewöhnlich häufige und schwere
Wutausbrüche
2. häufiges Streiten mit Erwachsenen
3. häufige aktive Ablehnung und Zurückweisung von Wünschen und Vorschriften
Erwachsener
4. häufiges, offensichtlich wohlüberlegtes Ärgern anderer
5. häufig verantwortlich machen anderer, für die eigenen Fehler oder für eigenes
Fehlverhalten
6. häufige Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere
7. häufiger Ärger oder Groll
8. häufige Gehässigkeit oder Rachsucht
9. häufiges Lügen oder Brechen von Versprechen um materielle Vorteile und
Begünstigungen zu erhalten oder um Verpflichtungen zu vermeiden
10. häufiges
Beginnen
von
körperlichen
Auseinandersetzungen
(außer
Geschwisterauseinandersetzungen)
11. Gebrauch von gefährlichen Waffen (z.B. Schlagholz, Ziegelstein, zerbrochene
Flasche, Messer, Gewehr)
12. häufiges Draußenbleiben in der Dunkelheit, entgegen dem Verbot der Eltern
13. körperliche Grausamkeit gegenüber anderen Menschen (z.B. Fesseln, ein Opfer
mit einem Messer oder mit Feuer verletzen)
14. Tierquälerei
15. absichtliche Destruktivität gegenüber dem Eigentum anderer (außer
Brandstiftung)
16. absichtliches Feuerlegen mit dem Risiko oder der Absicht, ernsthaften Schaden
anzurichten
17. Stehlen von Wertgegenständen ohne Konfrontation mit dem Opfer, entweder
Zuhause
oder
außerhalb
(z.B.
Ladendiebstahl,
Einbruch,
Unterschriftenfälschung)
18. häufiges Schuleschwänzen
19. Weglaufen von den Eltern oder elterlichen Ersatzpersonen, mindestens zweimal
oder einmal länger als eine Nacht (außer dies geschieht zur Vermeidung
körperlicher oder sexueller Mißhandlung)
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20. jede kriminelle Mißhandlung, bei der ein Opfer direkt angegriffen wird
(einschließlich Handtaschenraub, Erpressung, Straßenraub)
21. Zwingen einer anderen Person zu sexuellen Aktivitäten
22. häufiges Tyrannisieren anderer (z.B. absichtliches Zufügen von Schmerzen oder
Verletzungen - einschließlich andauernder Einschüchterung, Quälen oder
Belästigung)
23. Einbruch in Häuser, Gebäude oder Autos.
Die Symptome 11., 13., 15., 16., 20., 21. und 23. brauchen nur einmal aufgetreten
zu sein, um das Kriterium zu erfüllen.
In den einzelnen Subkategorien werden genaue Angaben gemacht welche
Symptome erfüllt sein müssen, um die jeweiligen Kriterien für die Untergruppe zu
erfüllen.
F91.0 Auf den familiären Rahmen beschränkte SSV
Die auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens umfaßt
dissoziales Verhalten, das fast ausschließlich auf den häuslichen Rahmen oder auf
Interaktionen mit Mitgliedern der Kernfamilie bzw. der unmittelbaren
Lebensgemeinschaft beschränkt ist. Diese Kategorie fordert, daß keine dissozialen
Handlungen außerhalb des familiären Rahmens auftauchen.
F91.1 SSV bei fehlenden sozialen Bindungen
Die Kategorie Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen ist
charakterisiert durch die Kombination von andauerndem dissozialen Verhalten mit
einer deutlichen und umfassenden Beeinträchtigung der Beziehungen des
betroffenen Kindes zu anderen. Dabei ist das Hauptunterscheidungsmerkmal
gegenüber den „sozialisierten” SSV das Fehlen einer wirksamen Einbindung in eine
Peer Group. Gestörte Beziehungen zu Gleichaltrigen zeigen sich hauptsächlich in
Isolation, Zurückweisung oder durch Unbeliebtheit bei anderen Kindern, weiter durch
ein Fehlen enger Freunde oder dauerhafter, einfühlender wechselseitiger
Beziehungen zu Gleichaltrigen. Die Beziehungen zu Erwachsenen zeichnen sich
meist durch Unstimmigkeiten, Feindseligkeit und Verärgerung aus.
F91.2 SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen
Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen bedeutet, daß
die Kinder andauernde dissoziale Verhaltensweisen zeigen, aber dabei gut in ihre
Altersgruppe eingebunden sind. Das heißt die Kinder haben angemessene,
andauernde Freundschaften mit etwa Gleichaltrigen. Oft besteht diese
Bezugsgruppe aus delinquenten oder dissozialen Kindern und Jugendlichen.
Beziehungen zu Autoritätspersonen sind häufig schlecht, jedoch kann zu einigen
Erwachsenen ein gutes Verhältnis bestehen. Diese Form kann auch den familiären
Rahmen betreffen, ist aber nicht darauf begrenzt.
F91.3 SSV mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten
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Diese Art der Störung tritt charakteristischerweise bei Kindern unter neun oder zehn
Jahren auf. Sie ist gekennzeichnet durch ein deutlich aufsässiges, ungehorsames,
provokatives, feindseliges und trotziges Verhalten bei Fehlen schwerer dissozialer
oder aggressiver Handlungen, die das Gesetz oder die Rechte anderer verletzen.
Allerdings reicht nur mutwilliges oder unerzogenes Verhalten allein für die
Diagnosestellung nicht aus. Kinder mit dieser Störung neigen oft dazu, häufig und
aktiv Anforderungen oder Regeln Erwachsener zu mißachten und überlegt andere
Menschen zu ärgern. Sie sind oft zornig, übelnehmerisch und verärgert über andere
Menschen, welchen sie die Verantwortung für ihre eigenen Fehler oder
Schwierigkeiten zuschreiben. Generell haben sie eine geringe Frustrationstoleranz
und werden schnell wütend. Der Trotz, den sie zeigen, hat eine provokative Qualität,
so daß sie Konfrontationen hervorrufen. Sie legen ein extrem hohes Maß an
Grobheit, Unkooperativität und Widerstand gegen Autoritäten an den Tag. Dieses
Verhalten ist häufig viel offensichtlicher bei Interaktionen mit Menschen, die das Kind
gut kennt. Deshalb können während einer klinischen Untersuchung Hinweise auf
das Vorliegen der Störung fehlen.
Bei dieser Form der SSV treten Verhaltensweisen wie Verletzungen der Gesetze
oder Rechte anderer (z. B. Diebstahl, Grausamkeit, Quälen, Vergewaltigung und
Destruktivität) nicht auf.
F91.8 Sonstige SSV
Diese Form der Störung wird im ICD-10 nicht näher beschrieben.
F91.9 Nicht näher bezeichnete SSV
Hier handelt es sich um eine Restkategorie, der die Fälle zugeordnet werden sollen,
die zwar die allgemeinen Kriterien der SSV erfüllen, bei welchen aber keine Kriterien
für die Einordnung in eine Subgruppe erfüllt sind.
Darüber hinaus gibt es im ICD-10 noch die kombinierten SSV. Diese sind
gekennzeichnet durch die Kombination von andauerndem aggressiven, dissozialen
oder aufsässigen Verhalten mit offensichtlichen und deutlichen Symptomen von
Depression, Angst oder sonstigen emotionalen Störungen.
II.3. Diagnostisches Statistisches Manual (Sass, DSM-IV, 1998)
Diagnostische Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (312.8)
Kriterium A
Es liegt ein repetitives und anhaltendes Verhaltensmuster vor, durch das die
grundlegenden Rechte anderer und wichtige altersentsprechende gesellschaftliche
Normen oder Regeln verletzt werden. Dies manifestiert sich durch das Auftreten von
mindestens drei der folgenden Kriterien während der letzten zwölf Monate, wobei
mindestens ein Kriterium in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein muß:
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Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren
♦ bedroht oder schüchtert häufig ein,
♦ beginnt häufig Schlägereien,
♦ hat Waffen benutzt, die anderen schweren körperlichen Schaden zufügen
können (z. B. Schlagstöcke, Ziegelsteine, zerbrochene Flaschen, Messer,
Gewehre),
♦ war körperlich grausam zu Menschen,
♦ quälte Tiere,
♦ hat in Konfrontation mit dem Opfer gestohlen (z.B. Taschendiebstahl,
Erpressung, bewaffneter Raubüberfall),
♦ zwang andere zu sexuellen Handlungen;
Zerstörung von Eigentum
♦ beging vorsätzlich Brandstiftung mit der Absicht, schweren Schaden zu
verursachen,
♦ zerstörte vorsätzlich fremdes Eigentum (jedoch nicht durch Brandstiftung);
Betrug oder Diebstahl
♦ brach in fremde Wohnungen, Gebäude oder Autos ein,
♦ lügt häufig, um sich Güter oder Vorteile zu verschaffen oder um Verpflichtungen
zu entgehen (d. h. „legt andere herein”),
♦ stahl Gegenstände von erheblichem Wert ohne Konfrontation mit dem Opfer (z.
B. Ladendiebstahl, jedoch ohne Einbruch, sowie Fälschungen);
Schwere Regelverstöße
♦ bleibt vor dem Alter von 13 Jahren trotz elterlicher Verbote häufig über Nacht
weg,
♦ lief mindestens zweimal über Nacht von zu Hause weg, während er/sie noch bei
den Eltern oder bei einer anderen Bezugsperson wohnte (oder nur einmal mit
Rückkehr erst nach längerer Zeit),
♦ schwänzt schon vor dem Alter von 13 Jahren häufig die Schule.
Kriterium B
Die Verhaltensstörung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen
in sozialen, schulischen oder beruflichen Funkionsbereichen.
Kriterium C
Bei Personen, die 18 Jahre oder älter sind, sind nicht die Kriterien einer antisozialen
Persönlichkeitsstörung erfüllt.
Weiterhin soll unterschieden werden zwischen dem Typus mit Beginn in der
Kindheit, d. h. der Beginn mindestens eines der für die Störung charakteristischen
Merkmale, soll vor dem Alter von zehn Jahren aufgetreten sein und dem Typus mit
Beginn in der Adoleszenz, d. h. kein Kriterium tritt vor dem Alter von zehn Jahren
auf. Bei dem Typus mit Beginn in der Kindheit sind die Betroffenen meist männlich.
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Es besteht in diesem Fall eher die Wahrscheinlichkeit, daß die Störung längerfristig
andauert und daß die Betroffenen im Erwachsenenalter eine antisoziale
Persönlichkeitsstörung aufweisen. Bei dem zweiten Typ mit Beginn in der
Adoleszenz, weisen die Betroffenen im Vergleich zur ersten Kategorie weniger
aggressive Verhaltensweisen auf und haben ausgeglichenere Beziehungen zu
Gleichaltrigen. Hier ist der Anteil der Jungen im Verhältnis zu Mädchen geringer als
für den Typus mit Beginn in der Kindheit.
Gleichzeitig soll noch der Schweregrad der Störung bestimmt werden.
„Leicht” bedeutet, daß zusätzlich zu den für die Diagnose erforderlichen Symptomen
wenige oder keine weiteren Probleme des Sozialverhaltens auftreten, und die
Probleme des Sozialverhaltens fügen anderen nur geringen Schaden zu.
„Mittelschwer” heißt, daß die Anzahl der Probleme des Sozialverhaltens und die
Auswirkungen auf andere zwischen „leicht” und „schwer” liegen.
„Schwer” meint, daß zusätzlich zu den für die Diagnose erforderlichen Symptomen
viele weitere Probleme des Sozialverhaltens auftreten oder daß die Probleme des
Sozialverhaltens anderen beträchtlichen Schaden zufügen.
Auch wenn die beiden Diagnosesysteme unterschiedliche Einteilungen vornehmen,
gehen sie doch von gleichen Symptomen aus. Auch der Tatsache, daß es nach
Meinung verschiedener Autoren einen Unterschied macht, in welchem Alter die
Störung beginnt (Robins, 1966, White, Moffitt, Earls, Robins und Silva, 1990), tragen
sie Rechnung, wobei im ICD-10 eine eigene Untergruppe der Störung des
Sozialverhaltens eingerichtet wurde (SSV mit oppositionellem, aufsässigen
Verhalten), von der gesagt wird, daß sie charakteristischerweise bei Kindern unter
zehn Jahren auftritt. Es wird die Meinung vertreten, daß dieses Verhalten eher eine
leichtere Form der SSV darstellt als eine qualitativ unterschiedliche Form. Diese
Einteilung schließt nicht aus, daß auch bereits jüngere Kinder andere Symptome
zeigen können.
Im DSM-IV dagegen wird die Störung unterteilt in die Störung mit oppositionellem
Trotzverhalten (313.81) und die Störung des Sozialverhaltens (312.8). Weiterhin
wird die Diagnose näher spezifiziert, dahingehend in welchem Alter die ersten
Symptome aufgetreten sind. Dabei geht das DSM-IV davon aus, daß wenn die
Störung bereits vor dem zehnten Lebensjahr beginnt, die Wahrscheinlichkeit des
Auftretens einer antisozialen Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter erhöht ist.
Dieser Befund wurde in unterschiedlichen Untersuchungen verschiedener Autoren
bestätigt (Robins, 1966, White, Moffitt, Earls, Robins und Silva, 1990).
III. Epidemiologie
Die Schätzungen, wie oft diese Störung in der Bevölkerung verteilt ist, unterscheiden
sich stark. Dies beruht vor allem auf unterschiedlichen Definitionen, aber auch auf
unterschiedlichen Altersgruppen die untersucht wurden. In einem Artikel von Offord,
Alder und Boyle (1986) wird über die „Isle of Wight”-Studie berichtet, die sich
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beispielsweise nur mit der Altersgruppe der zehn- und elfjährigen Kinder beschäftigt.
Die Studie findet eine Auftretensrate von insgesamt 4,2% in dieser Altersgruppe.
Betrachtet man in dieser Studie Jungen und Mädchen getrennt, so sind 6,0% der
Jungen und 1,6% der Mädchen von der Störung des Sozialverhaltens betroffen.
Offord, Boyle und Racine (1991) berichten über Ergebnisse der „Ontario Child
Health Study” (OCHS). In dieser epidemiologischen Studie wird untersucht, wieviele
Kinder und Jugendliche zwischen vier und sechzehn Jahren eine Störung des
Sozialverhaltens, eine Hyperaktivitätsstörung, eine emotionale Störung oder eine
somatische Störung aufweisen. Desweiteren wird untersucht, welche
soziodemographischen Zusammenhänge es mit der Störung des Sozialverhaltens
gibt. Befragt werden die Kinder und Jugendlichen selbst sowie deren Eltern und
Lehrer mit einer abgewandelten Form der „Child behavior checklist” (Achenbach &
Edelbrock, 1981). Die Gesamtrate der Störung des Sozialverhaltens beträgt 5,5%,
wobei die Rate bei den Jungen 8,1% beträgt und bei den Mädchen 2,8%.
Desweiteren wird unterschieden zwischen der Altersgruppe der vier- bis elfjährigen
und der zwölf- bis sechzehnjährigen. In der jüngeren Gruppe zeigen 6,5% der
Jungen und 1,8% der Mädchen eine Störung des Sozialverhaltens, während es in
der älteren Gruppe 10,4% der Jungen und 4,1% der Mädchen sind.
Die größte Überschneidung hinsichtlich der Diagnosen ergab sich zwischen der
dissozialen Störung und der Hyperaktivitätsstörung in der Gruppe der vier- bis
elfjährigen Kinder. 58,7% der Jungen und 56,3% der Mädchen mit einer antisozialen
Störung zeigen ebenfalls eine Hyperaktivitätsstörung. Bei den zwölf- bis
sechzehnjährigen Jugendlichen sind es 30,5% der Jungen und 37,0% der Mädchen
die beide Störungen aufweisen. Die Überschneidung zwischen der Störung des
Sozialverhaltens und einer emotionalen Störung variiert zwischen 15,3% (in der
Gruppe der vier- bis elfjährigen) und 18,6% (in der Gruppe der zwölf- bis
sechzehnjährigen) bei Jungen und 31,3%
und 48,1% bei Mädchen der
entsprechenden Altersgruppen.
Bei den soziodemographischen Daten zeigt sich der stärkste Zusammenhang
zwischen antisozialem Verhalten und geringem Einkommen. Interessanterweise
zeigt sich kein Zusammenhang zu übermäßigem elterlichen Alkoholkonsum.
Andere Autoren sprechen von einer Häufigkeit von 4% bis 10% der Kinder in
England und den USA (Wolff, 1993). Lösel und Bender (1997) gehen davon aus,
daß 7% bis 10% aller Kinder zeitweise Antisozialitätsprobleme haben und daß
Jungen sechs- bis neunmal häufiger eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen
als Mädchen.
Jungen entwickeln demzufolge sehr viel häufiger eine dissoziale Störung als
Mädchen. Steinhausen (1996) beispielsweise gibt an, daß aggressives und
dissoziales Verhalten bei 4% bis 8% der zehn- bis zwölfjährigen Jungen vorkommt
und daß Jungen bis zu dreimal häufiger auffällig sind als Mädchen. Anderen
Angaben zufolge tritt die SSV bei 11% aller Jungen und Mädchen unter 18 Jahren
auf, dabei sind 9% der Betroffenen Jungen und nur 2% Mädchen (Myschker, 1993).
14
International wird die Rate von Störungen des Sozialverhaltens für das gesamte
Kindes- und Jugendalter auf 5% bis 15% geschätzt, wobei Jungen vier- bis fünfmal
häufiger betroffen sind als Mädchen (Steinhausen, 1996).
Insgesamt ist es schwierig, eine angemessene Schätzung anzugeben, weil zum
einen die Definitionen nicht einheitlich sind, zum anderen aber auch sehr
unterschiedliche Stichproben untersucht wurden (z. B. hinsichtlich des Alters oder
des Geschlechtes). Man kann auch davon ausgehen, daß in klinischen Stichproben
die Häufigkeit bei einem Drittel bis zu einer Hälfte liegt (Coid, 1993). In einer Studie
von Möller-Nehring et al. (1998), die insgesamt 1076 Patienten der Abteilung für
Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Erlangen-Nürnberg untersuchte, die
dort zwischen 1989 und 1994 behandelt wurden, wiesen 235 Patienten eine Störung
des Sozialverhaltens auf. Das entspricht 21,8% der Gesamtstichprobe.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es Studien gibt, die sich mit der
Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens in der Bevölkerung
beschäftigen und auch Studien, die untersucht haben wie häufig die Störung in
klinischen Stichproben auftritt.
Eine Studie, die sich unter anderem damit befaßt, wie häufig die Störung des
Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen auftritt, die sich in einer
Heimeinrichtung befinden, ist die Untersuchung von Hebborn-Brass (1991). Es
handelt sich dabei um eine Längsschnittstudie, die alle 268 Kinder, die von 1968 bis
1985 in der Institution aufgenommen wurden, untersucht. Sie benutzt zur Diagnostik
das „Multiaxiale Klassifikationsschema für psychiatrische Erkrankungen im Kindesund Jugendalter” von Remschmidt, Schmidt und Klipcera (1977). Die
Diagnosestellung erfolgt in dieser Untersuchung durch zwei klinische Experten
(Diplom-Psychlogin und Kinder- und Jugendpsychiater), die zunächst unabhängig
voneinander für jedes Kind aufgrund persönlicher Kenntnis und nach Aktenstudium
eine Diagnose erstellten, welche dann gemeinsam bis zum Konsens diskutiert
wurde. Bei der Erfassung der Intelligenz und Entwicklungsrückständen wurden
zusätzlich Tests gemacht. In Ergänzung dazu wurde ein psychologischer
Verhaltensbeurteilungsbogen eingesetzt, der verschiedene Dimensionen abdeckt
(einschließlich des Sozialverhaltens).
78 Kinder (29%) weisen eine dissoziale Störung auf, davon sind 55 Jungen und 23
Mädchen. Sie bilden in dieser Untersuchung aber nur die zweitgrößte Gruppe. Die
zahlenmäßig größte Syndromgruppe stellt die der prognostisch günstigen
neurotisch-emotionalen Störungen mit 102 Kindern (38% der Gesamtstichprobe)
dar. 50 Kinder (19% der Stichprobe) werden als hyperaktiv diagnostiziert.
Die Frage wie oft eine solche Störung in einer privaten Einrichtung der Kinder- und
Jugendhilfe auftritt, wird in dieser Diplomarbeit untersucht.
IV. Differentialdiagnostik und Komorbidität
Im ICD-10 wird eine Überschneidung der SSV mit anderen Störungen eingeräumt.
Zu den Ausschlußdiagnosen gehören affektive Störungen (F30-39), hyperkinetische
15
Störung des Sozialverhaltens (F90.1), kombinierte Störungen des Sozialverhaltens
und der Emotionen (F92), tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) und
Schizophrenie (F20).
Das DSM-IV faßt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen und die
Störungen des Sozialverhaltens zu einer Gruppe der „Störungen der
Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens” zusammen, um damit die
engen Beziehungen zwischen diesen Störungen deutlich zu machen. Die
Diagnosekriterien für die SSV entsprechen sich in beiden Systemen weitgehend.
In diesem Kapitel wird auf das gemeinsame Auftreten und die Differenzierung von
anderen Störungen näher eingegangen.
IV.1. Affektive Störungen
Affektive Störungen können schon in der Kindheit und Jugend beginnen. Die
Hauptsymptome bestehen in einer Veränderung der Stimmung oder der Affektivität,
die meist mit einem Wechsel des allgemeinen Aktivitätsniveaus einhergehen. Diese
gesteigerte körperliche und psychische Aktivität kann bei einzelnen Störungsbildern
zu Reizbarkeit, Mißtrauen, Selbstüberschätzung und flegelhaftem Verhalten,
Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten sowie starker Ablenkbarkeit, einem
impulsiven, unkontrollierten Interesse an neuen Unternehmungen, zum Verlust
sozialer Hemmungen, Aggression und Gewalttätigkeit führen. Die einzelnen
Episoden stehen oft in Zusammenhang mit belastenden Ereignissen oder
Situationen. Dabei handelt es sich dann häufig um eine Reaktion auf belastende
Faktoren wie Trennungserfahrungen, intrafamiliäre Spannungen bzw. deren Folgen
sowie Erziehungs- und Bindungsdefizite (Steinhausen, 1996).
VI.1.1. Depression und Angststörungen
Untersuchungen weisen darauf hin, daß auch Depression und Angststörungen als
internalisierende Störungen mit aggressivem Verhalten einhergehen können.
Demnach sei angstmotivierte Aggression das Mittel, um sich bei anderen Respekt
zu verschaffen und die eigene Unsicherheit zu verringern (Petermann &
Warschburger, 1996). Andererseits könne die Depression als sekundäres Problem
angesehen werden, entstanden durch die negativen Rückmeldungen in bezug z. B.
auf
schulische Leistungen und deren schädliche Auswirkungen auf die
Selbstachtung. Es wurde festgestellt, daß Jungen ohne Angstsymptomatik mehr und
schwerwiegendere
Aggressionssymptome
zeigen
als
überängstliche
verhaltensgestörte Jungen (Petermann & Warschburger, 1996).
Andere Autoren berichten, daß Depression ein Vorläufer oder eine
Begleiterscheinung bei der Störung des Sozialverhaltens mit Beginn in der
Adoleszenz sein kann (Craig & Pepler, 1997). Desweiteren gehen sie davon aus,
daß die Kombination der Störung des Sozialverhaltens mit Depression ein erhöhtes
Suizidrisiko für die Betroffenen darstellt.
16
Auch Schleiffer (1988) verweist darauf, daß Kinder und Jugendliche neben
externalisierten Symptomen auch eine charakteristische Labilität im Sinne von
Beziehungs- und Belastungsschwäche aufweisen, die auf die Nähe zwischen
depressiven Störungen und der dissozialen Störung schließen lassen.
Verschiedene Autoren berichten, daß Kinder mit einer dissozialen Störung stärker
gefährdet sind ebenfalls eine depressive Störung und/oder eine Angststörung zu
entwickeln als Kinder ohne eine solche Störung (Kolko, 1994, Craig & Pepler, 1997,
Frick, 1998).
IV.2. Hyperkinetische Störungen
Hyperkinetische Störungen treten zusammen mit den Störungen des
Sozialverhaltens in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen am häufigsten
auf. In einer kinderpsychiatrischen Inanspruchnahmepopulation besaß die Hälfte
aller als hyperkinetisch gestört diagnostizierten Kinder und Jugendlichen zusätzlich
eine dissoziale Störung. Umgekehrt wurde in 17,4% der Fälle eine SSV ohne
hyperkinetische Störung diagnostiziert (Döpfner, 1996). Nach den Ergebnissen
mehrerer Studien sieht es so aus, daß bei 30% bis 90% der Kinder, die in einer der
beiden Störungskategorien klassifiziert waren, auch in der anderen Kategorie eine
Diagnose gestellt wurde. Sind zusätzlich zu den Kriterien für eine SSV auch die
Kriterien für eine hyperkinetische Störung erfüllt, sollte die Diagnose hyperkinetische
Störung des Sozialverhaltens (F90.1) lauten. Dabei wird dem dissozialen Verhalten
eine sekundäre Stellung zugewiesen, das hyperkinetische Verhalten stellt das
Hauptproblem
dar
(geringere
Ausprägungen
von
Überaktivität
und
Unaufmerksamkeit sind allerdings bei SSV üblich, die Hyperaktivität sollte deshalb
umfassend und schwerwiegend sein). Nach ICD-10 wird eine hyperkinetische
Störung mit Priorität vor einer SSV diagnostiziert. Verschiedene Autoren
(Steinhausen, 1996, Döpfner, 1996) weisen sogar darauf hin, daß die Gültigkeit des
Konzeptes des hyperkinetischen Syndroms bzw. eine Differenzierung dieser
Störungen in Frage gestellt ist, angesichts der Koexistenz von dissozialen Störungen
mit Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität. Kinder und Jugendliche, die beide
Störungen aufweisen, zeigen in der Regel einen früheren Beginn und eine längere
Persistenz der Verhaltensauffälligkeiten als diejenigen mit einer reinen Störung des
Sozialverhaltens (Hirschberg, 1994, Steinhausen, 1996) oder diejenigen mit einer
reinen hyperkinetischen Störung (Döpfner, 1996). Kinder und Jugendliche, die
ausschließlich eine hyperkinetische Störung zeigen, haben die günstigste Prognose.
Dies wird nach Auffassung verschiedener Autoren dadurch bedingt, daß erstere in
der Regel mehr und schwerere Symptome von Verhaltensauffälligkeiten zeigen und
damit psychisch stärker gestört sind als Jugendliche, bei denen nur eines der beiden
Problemfelder besteht (Hirschberg, 1994, Döpfner, 1996). Andere Ergebnisse
zeigen, daß das hyperkinetische Syndrom faktorenanalytisch von der SSV zu
trennen ist (Hirschberg, 1994, Robins, 1991, Döpfner, 1996) und mit verschiedenen
„background characteristics” und Prognosen verbunden ist (Kazdin, 1990), wenn
17
sich auch die Faktorensummen der beiden Dimensionen als hoch korreliert
erwiesen. Zudem konnte gezeigt werden, daß besonders diejenigen Kinder mit
einem hyperkinetischen Syndrom auch eine SSV aufweisen, deren hyperkinetisches
Verhalten situationsunabhängig war (Hirschberg , 1994).
IV.3. Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen
Bei der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92)
kommen zusätzlich zu andauernden aggressiven, dissozialen oder aufsässigen
Symptomen auch offensichtliche und deutliche Symptome von Depression, Angst
oder sonstigen emotionalen Störungen hinzu. Trauer- und Verlustreaktionen gehen
dabei mit isolierten dissozialen Verhaltensweisen bei Kindern einher, die ihre
Verunsicherung durch aus der Umwelt stammenden Ängsten und Befürchtungen
nach außen in aggressiven Handlungen ausagieren (Steinhausen, 1996). Nach ICD10 existieren keine ausreichenden Forschungsanstrengungen, die eine Trennung
dieser Kategorie von den SSV im Kindesalter garantieren. Diese Trennung wurde
aufgrund einer möglichen ätiologischen und therapeutischen Bedeutung und des
Beitrags zur diagnostischen Zuverlässigkeit der Klassifikation vorgenommen.
IV.4. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
Wie
auch
bei
der
dissozialen
Störung
liegen
bei
tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen (F84) qualitative Beeinträchtigungen in gegenseitigen
sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern vor. Außerdem tritt jedoch ein
eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und
Aktivitäten auf. Diese Störungen sind durch ein Verhalten definiert, das nicht dem
Intelligenzalter des Individuums entspricht.
IV.5. Schizophrenie
Die Schizophrenie (F20) kann durch schwere Verhaltensstörungen, zu denen
verantwortungsloses und unvorhersagbares Verhalten zählt, eine gewisse
Inadäquatheit des Affekts sowie durch Störungen der Stimmung wie Reizbarkeit,
plötzliche Wutausbrüche und Mißtrauen gekennzeichnet sein. Aggressivität mit
möglicherweise erheblicher Selbst- und Fremdgefährdung oder eine aus der
Antriebssteigerung bzw. Stimmungsveränderung resultierende aggressive
Gespanntheit und Gereiztheit einschließlich aggressiver Akte bei den Manien kann
häufig aus dem psychotischen Erleben von Angst oder aus Wahninhalten entstehen
(Steinhausen, 1996). Die Hauptkennzeichen der schizophrenen Störungen sind
grundlegende
und charakteristische Störungen des Denkens und der
Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affektivität.
18
IV.6. Störung mit oppositionellem Trotzverhalten
Im Gegensatz zur Störung des Sozialverhaltens werden bei der Störung mit
oppositionellem Trotzverhalten nach DSM-VI (313.81) die grundlegenden Rechte
anderer akzeptiert; die Betroffenen zeigen aber eine ablehnende, feindselige und
trotzige Haltung, vor allem gegenüber vertrauten Personen. Verschiedene
Ergebnisse legen nahe, aufgrund der enormen Komorbidität dieser Störungen,
oppositionelles Trotzverhalten als Vorläufer einer SSV aufzufassen (Petermann &
Warschburger, 1996). Gestützt wird diese Ansicht durch vergleichbare, wenn auch
beim oppositionellen Trotzverhalten weniger stark belastete, familiäre Muster. Die
ICD-10 weist diese Kategorie nicht als eigenständige Störung auf, sondern als
Untergruppe der Störung des Sozialverhaltens (F91.3 SSV mit oppositionellem
Trotzverhalten).
IV.7. Störung des Sozialverhaltens und antisoziale
Persönlichkeitsstörung
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung ist charakterisiert durch ein andauerndes
Muster der Nichtachtung und Verletzung sozialer Rechte anderer Menschen seit
dem 15. Lebensjahr, fehlendes Wahrheitsempfinden, Impulsivität, Reizbarkeit und
Aggressivität, Verantwortungslosigkeit und fehlende Gewissensbisse. Die Diagnose
einer antisozialen Persönlichkeitsstörung wird nicht vor dem 18. Lebensjahr gestellt;
wobei die Diagnose durch das Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens in der
Kindheit gestützt wird. Das beste Abgrenzungsmerkmal der beiden Störungen
voneinander ist das Alter. Die SSV wird in der Regel nur bis zum 18. Lebensjahr
diagnostiziert, eine Persönlichkeitsstörung erst ab dem 18. Lebensjahr. Eine
Untersuchung von Eppright, Kashani, Robison und Reid (1993) befaßt sich trotzdem
mit der Komorbidität der beiden Störungen. Die Autoren untersuchten 100
jugendliche Straftäter im Alter zwischen elf und siebzehn Jahren auf eine Störung
des Sozialverhaltens und Persönlichkeitsstörungen. 87 Versuchspersonen erfüllten
die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens und 13 nicht.
Sie fanden keinen Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens und
Geschlecht oder Alter. 75 Probanden erfüllten die Kriterien für die Diagnose einer
antisozialen Persönlichkeitsstörung, wobei die Autoren das Alter der
Versuchspersonen
außer
acht
ließen.
Es
konnten
auch
andere
Persönlichkeitsstörungen festgestellt werden, aber die der antisozialen
Persönlichkeitsstörung kam mit Abstand am häufigsten vor und war die einzige, bei
der sich ein signifikanter Zusammenhang mit der SSV zeigte. Die Autoren weisen
allerdings darauf hin, daß dieses Ergebnis nicht weiter verwunderlich ist, da die
Kriterien der Störung im DSM-III-R sehr ähnlich sind.
19
Allgemein läßt sich feststellen, daß das Auftreten eines weiteren Störungsbildes die
therapeutische Arbeit erschwert und deren Erfolg gefährdet (Petermann &
Warschburger, 1996). Außerdem erkennen sowohl ICD-10 als auch DSM-IV an, daß
sich aus einer Störung des Sozialverhaltens eine dissoziale (ICD-10) oder
antisoziale (DSM-IV) Persönlichkeitsstörung entwickeln kann. Im folgenden werden
der Verlauf einer SSV und die Risikofaktoren für die Entstehung und Vertiefung bzw.
Persistenz der Störung sowie Erklärungsansätze näher erläutert.
Die Frage welche Störungsbilder gemeinsam mit einer Störung des Sozialverhaltens
auftreten, ist unter anderem Thema dieser Diplomarbeit.
V. Verlauf
In diesem Kapitel wird darauf eingegangen, wie eine Störung des Sozialverhaltens
bei Kindern verläuft. Es wird gezeigt, daß Kinder unterschiedlichen Alters
unterschiedliche Symptome zeigen. Weiterhin wird beschrieben, was aus den
Kindern, die antisoziales Verhalten zeigen, im Erwachsenenalter wird. Dabei gibt es
Hinweise darauf, daß antisoziales Verhalten stark abhängig ist vom Geschlecht.
Die Störung des Sozialverhaltens ist eine schwerwiegende Verhaltensauffälligkeit,
die als Vorbote von chronischem antisozialen Verhalten im Erwachsenenalter
gesehen werden kann.
Es gibt unterschiedliche Zahlen darüber, welcher Anteil derjenigen, die als Kind eine
dissoziale
Störung
aufweisen,
im
Erwachsenenalter
eine
antisoziale
Persönlichkeitsstörung haben. Robins (1966) fand in ihrer Studie, daß von allen
Kindern, die wegen antisozialer Verhaltensweisen in die Klinik gekommen waren,
28% als Erwachsene die Diagnose „Soziopathische Persönlichkeit” erhielten.
Frick (1998) geht davon aus, daß 40% der Kinder mit einer dissozialen Störung als
Erwachsene eine antisoziale Persönlichkeitsstörung entwickeln.
In der Untersuchung von Storm-Mathisen und Vaglum (1994) wird berichtet, daß
35% der Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen, zum
Nachuntersuchungszeitpunkt 20 Jahre später die DSM-III-R Kriterien für eine
antisoziale Persönlichkeitsstörung erfüllten, wobei Männer zu 47% die Diagnose
erhielten, aber nur 23% der Frauen.
Andere Autoren gehen davon aus, daß durchschnittlich 50% der Kinder mit SSV
auch als Erwachsene antisoziale Verhaltensweisen zeigen (Möller-Nehring et al.,
1998).
V.1. Verlauf in der Kindheit
SSV werden meist erst bei Kindern diagnostiziert, die bereits zur Schule gehen. In
der Regel sind diese zwischen acht und zehn Jahren alt (Robins, 1991). Aber die
Eltern dieser Kinder berichten oftmals über Reizbarkeit und Sturheit schon in
20
früherem Alter. In der Literatur finden sich Hinweise auf einen signifikanten
Zusammenhang zwischen Unruhe im Alter von drei und fünf Jahren und
antisozialem Verhalten im Alter von acht Jahren (White, Moffitt, Earls, Robins &
Silva, 1990). In anderen Artikeln findet man ebenfalls Hinweise darauf, daß ein
„schwieriges” Temperament in der Kindheit ein Prädiktor für späteres antisoziales
Verhalten ist (Kazdin, 1990). Schwierige Kinder zeichnen sich eher durch schlechte
Grundstimmung, schlechte Anpassung an Veränderungen und heftige Reaktionen
auf neue Stimuli sowie aggressives Verhalten und Wutausbrüche aus, als
sogenannte einfache Kinder.
Die Symptome der Störung des Sozialverhaltens variieren mit dem Alter des Kindes,
aber auch mit dem Geschlecht.
In der jüngsten Gruppe nennen die Eltern oft Anzeichen wie Widerspenstigkeit,
Auseinandersetzungen und Wutausbrüche. Als nächstes folgen oppositionelle,
aufsässige Verhaltensweisen, gefolgt von Diebstahl und Brandstiftung. Als letztes
tauchen Merkmale auf wie Schulschwänzen, Vandalismus und Substanzmißbrauch
(Robins, 1991, Robins, 1986). Es werden allerdings keine konkreten Altersangaben
für die einzelnen Gruppen gemacht.
Steinhausen (1996) geht davon aus, daß aggressives Verhalten zunächst im
Vorschulalter einen Höhepunkt erreicht und dann einen Häufigkeitsabfall zeigt,
während verdecktere Formen aggressiven Verhaltens (z. B. Stehlen) zunehmen.
Andere Studien kommen zu anderen Ergebnissen: Mit zunehmendem Alter nimmt
die Häufigkeit aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen zu. Während
bei Kleinkindern der Anteil der Betroffenen bei ca. 2% liegt, wird bei Jugendlichen
von bis zu 10 % gesprochen. Längsschnittstudien belegen diese Angaben: Der
Prozentsatz der aggressiven Kinder vervierfachte sich zwischen dem achten und
dreizehnten Lebensjahr (Petermann & Warschburger, 1996).
Jenkins und Glickman (1946) überprüften in einer Stichprobe eine Einteilung von
Kindheitsstörungen, in der zwischen verschiedenen Typen von Kindern mit SSV
unterschieden wurde. Dabei fanden sie für die jeweiligen Typen unterschiedliche
geschlechtsspezifische Symptome heraus. Typ II bildete das „unsozialisierte
aggressive Kind”, das generell charakterisiert wird durch ein Initiieren von Kämpfen,
Grausamkeit, Trotz gegenüber Autoritäten, böswillig angerichtete Schäden und
inadäquate Schuldgefühle. Dieser Typ wurde weiterhin als selbstbezogen,
eifersüchtig, rachsüchtig und hinterlistig beschrieben. Außerdem soll das Kind
anderen mißtrauen, einen profanen und obszönen Sprachgebrauch haben sowie
frühzeitig an sexuellen Kontakten interessiert sein. Typ III wurde das „sozialisierte
delinquente oder pseudosoziale Kind” genannt. Es zeichnete sich allgemein durch
Stehlen in der Gruppe, heimliches Stehlen, gewohnheitsmäßiges Schulschwänzen,
langes abendliches Wegbleiben, Weglaufen von zu Hause, schlechte Kameraden
und Bandenaktivitäten aus. Nach ihrer Untersuchung wurden diese Typen durch
Symptomkorrelationen bestätigt. Die Autoren gaben jedoch noch eine zusätzliche
typisch weibliche Form des Typ II an, die sich generell durch mehr verbale
Aggression und allgemeine Selbstbezogenheit definiert.
21
V.1.1. Altersspezifische Symptomverteilung
In einer Studie von Blanz, Schmidt und Esser (1990) wurde in einer
Querschnittanalyse die Verteilung der Diagnosen der SSV nach ICD-10 in einer
Feldstichprobe untersucht. Die Gesamtzahl stieg in dieser Studie zwischen acht und
dreizehn Jahren um mehr als das Doppelte an, während sie zwischen 13 und 18
Jahren nahezu konstant blieb. Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Kontext
beschränkte SSV) kam zu keinem Zeitpunkt vor. Die Diagnose F91.3 (SSV mit
oppositionell-aufsässigem Verhalten) spielte numerisch eine sehr untergeordnete
Rolle. Während bei den Achtjährigen die Diagnosen F91.1 (SSV bei fehlender
Sozialisation) und F91.2 (SSV mit Sozialisation) etwa gleichhäufig vorkamen, verlor
die Kategorie F91.1 bei den 13jährigen und noch deutlicher bei den 18jährigen
relativ an Bedeutung, während SSV mit emotionalen Störungen über den
Zehnjahreszeitraum zunahmen. Bei den kombinierten SSV nach F92 standen an
emotionaler Symptomatik depressive Symptome und Angstsyndrome im
Vordergrund. Die Symptombelastung als Parameter für den Schweregrad zeigte
zwischen den Kategorien F91.1 und F91.2 bei den 13jährigen einen signifikanten
Unterschied; sie lag höher für die Diagnose F91.1. In den anderen Altersgruppen
zeigten sich keine Unterschiede bezüglich der beiden Kategorien. Die höchste
Symptombelastung fand sich bei den acht- bis dreizehnjährigen in der Kategorie der
kombinierten SSV mit emotionalen Störungen. Die Autoren gehen davon aus, daß
dissoziales Verhalten altersabhängig variiert. So tendieren Kinder zu offensiveren
dissozialen Aktionen wie aggressiven Auseinandersetzungen, während Jugendliche
auch defensive dissoziale Symptome aufweisen können wie Diebstähle und Alkoholoder Drogenmißbrauch.
Petermann und Warschburger (1996) schreiben in ihrem Artikel, daß sich
dissoziales Verhalten über verschiedene Altersstufen hinweg in sehr
unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern kann, es sich jedoch immer um das
gleiche, zugrunde liegende negative Verhaltensmuster handelt. Sie gehen von
einem Risikomodell dissozialen Verhaltens aus, das schon bei prä- und perinatalen
Faktoren ansetzt. In diesem Modell wird der ungünstigste Entwicklungsverlauf
dargestellt, der beim delinquenten Verhalten des Jugendlichen endet.
Eine solche Karriere kann schon vor der Geburt des Kindes beginnen, wenn
beispielsweise die Mutter ihr Ungeborenes durch Alkohol- oder Drogenmißbrauch
schädigt. Bei Kleinstkindern nehmen die Eltern ein schwieriges Temperament wahr,
das sich mit zunehmendem Alter in hyperaktiven, trotzigen und aggressiven
Verhaltensweisen bemerkbar macht. Zusätzlich können Schulleistungsprobleme
sowie soziale und kognitive Defizite entstehen, die wiederum zu Problemen im
Umgang mit Gleichaltrigen und Delinquenz führen können. Nicht alle Kinder
durchlaufen die gesamte „delinquente Karriere”, da der „Ein-” und „Ausstieg” in
jedem Alter erfolgen kann. Ein delinquenter Jugendlicher muß auch nicht die ganze
„Störungspalette”
mit
sozialen
Interaktionsproblemen
und
schulischen
Schwierigkeiten aufweisen.
22
V.2. Verlauf bis in das Erwachsenenalter
Das stabilste Verhaltensmerkmal über die Zeit ist Aggressivität (Möller-Nehring et
al., 1998, Robins, 1991, Petermann & Warschburger, 1996).
Robins (1966) fand in ihrer Untersuchung, daß die Wahrscheinlichkeit um so größer
ist, daß die Störung fortdauert und auch im Erwachsenenalter antisoziale
Verhaltensweisen gezeigt werden, je mehr antisoziale Symptome ein Kind zeigt. In
dieser Studie wurden 34% der Patienten, die als Kinder nicht mehr als zwei
antisoziale Symptome gezeigt hatten, als gesund eingestuft und nur 4% als
soziopathische Persönlichkeit. Dagegen wurden nur 5% der Kinder mit mehr als
zehn Symptomen als Erwachsene für gesund befunden, dafür aber 43% als
soziopathische Persönlichkeit.
In einem Artikel von Robins (1986) über das „Epidemiological Catchment Area
Program” (ECA), in dem das „Diagnostic Interview Schedule” als
Diagnoseinstrument verwendet wird, berichtet sie, daß, wenn nur die
Minimalkriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt waren, lediglich 20%
der Untersuchten als Erwachsene eine antisoziale Persönlichkeitsstörung
aufwiesen, aber 75% derjenigen, die als Kinder sieben oder mehr Symptome
gezeigt hatten. Desweiteren erwähnt sie einen Befund von Prichard and Graham
(1966), die in einer sogenannten „follow-up”-Untersuchung herausgefunden hatten,
daß Jungen, die in der Kindheit Verhaltensstörungen gezeigt hatten, als
Erwachsene öfter antisoziales Verhalten an den Tag legten als Mädchen (48%
versus 9%). Frauen mit antisozialem Verhalten in der Kindheit entwickelten häufiger
Angststörungen und Depressionen als Männer (36% versus 16%).
Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Zeitpunkt, zu dem die Störung beginnt.
Jungen zeigen in der Regel früher antisoziales Verhalten als Mädchen (Robins,
1966). Das durchschnittliche Alter, ab dem antisoziales Verhalten auftrat, lag für
Jungen bei sieben Jahren und für Mädchen bei acht Jahren. 35% der Jungen, bei
denen die Störung zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr auftrat, wurden
später als soziopathische Persönlichkeiten diagnostiziert, verglichen mit 20% von
denen, die älter oder jünger waren. Bei Mädchen, die später als soziopathisch
eingestuft wurden, traten die antisozialen Verhaltensweisen erst zwischen 14 und 16
Jahren auf (Median = 13).
White et al. (1990) berichten in ihrer Untersuchung über 1037 Kinder. Diese wurden
mit dem „Diagnostic Interview Schedule for Children - Child version” (DISC-C)
untersucht. Befragt wurden die Kinder, deren Eltern und Lehrer. Sie konnten in ihrer
Untersuchung zeigen, daß frühes antisoziales Verhalten der beste Prädiktor für
späteres antisoziales Verhalten ist. Auch andere Autoren kommen zu dem Ergebnis,
daß Kinder mit späterem Beginn einen günstigeren Verlauf zeigen als Kinder mit
frühem Ausbruch. Dieser Befund ist nicht eindeutig. Lahey, Loeber, Frick, Hart und
Applegate (1995) untersuchten in einer prospektiven Studie 171 Jungen mit Hilfe
des „Diagnostic Interview Schedule for Children (DISC). Befragt wurden ebenfalls
die Kinder selbst, deren Eltern und Lehrer. Sie finden in ihrer Untersuchung keinen
Zusammenhang zwischen Auftretensalter und Persistenz der Störung.
23
Eine mögliche Erklärung für den Befund, daß die Störung eher persistiert, je früher
sie beginnt, könnte sein, daß sich mehr Gelegenheit bietet, antisoziales Verhalten
auszuprobieren und zu verfestigen. Robins (1991) schreibt in ihrer Untersuchung,
sie habe die Erfahrung gemacht, daß früher Beginn häufig einhergehe mit frühen
sexuellen Erfahrungen und frühem Drogen- und Alkoholgebrauch. Die Kinder hätten
deshalb möglicherweise auch früher Kontakt zu älteren Kindern, deren Mißverhalten
sie nachahmen, ohne schon die „Weisheit” zur Reflexion ihres Verhaltens zu
besitzen.
In der Langzeitstudie von Robins (1966) wurden 524 Patienten, die als Kinder in
eine Klinik eingewiesen wurden, 30 Jahre später nachuntersucht. 73% der Patienten
waren männlich und 27% weiblich. Es stellte sich heraus, daß Kinder, die wegen
antisozialen Verhaltens eingewiesen wurden, als Erwachsene Schwierigkeiten in
ganz unterschiedlichen Lebensbereichen hatten.
Zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen, die wegen antisozaler
Verhaltensweisen in die Klinik kamen, wurden später zu jugendlichen Straftätern
(während nur 9% der Jungen und 2% der Mädchen, die aus anderen Gründen in die
Klinik kamen, Straftaten begingen). Als Erwachsene waren 71% der Männer und
40% der Frauen, die als Kind antisoziales Verhalten gezeigt hatten, wegen anderer
Straftaten als Verkehrsdelikten verhaftet worden. Verhaftungen wegen Mord, Raub
und Prostitution kamen nur in der antisozialen Gruppe vor, sie waren aber
insgesamt sehr selten. Lediglich ein Mann beging einen Mord.
Patienten mit antisozialem Verhalten hatten später auch mehr Probleme in der Ehe.
Hier ist der Anteil der Frauen höher. Obwohl mehr Personen aus der
Patientenstichprobe geheiratet hatten als Kontrollpersonen, lebten weniger von
ihnen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung mit ihrem Ehepartner zusammen. 70%
der Ehen, der Patientinnen mit antisozialem Verhalten bei der Klinikeinweisung
wurden geschieden. 23% davon wurden sogar mehr als einmal geschieden. Bei den
Scheidungen berichteten Patienten häufiger als die Kontrollgruppe davon, daß der
Ehepartner die Scheidung gewollt hätte. Zur damaligen Zeit war es üblich, daß die
Scheidung von den Frauen eingereicht wurde, so daß insgesamt wenig Frauen
darüber berichteten, daß der Ehemann die Scheidung gefordert hätte. Aber alle, die
von einem solchen Fall berichteten, gehörten zur Patientengruppe, niemand zur
Kontrollgruppe. Auch bei den Männern gibt es Unterschiede. So forderten bei drei
Vierteln der Patientengruppe die Frauen die Scheidung, aber nur bei der Hälfte der
Kontrollgruppe.
Frauen mit antisozialem Verhalten heirateten sehr früh, ein Fünftel bevor sie 17
Jahre alt waren, und mehr als die Hälfte vor dem Alter von 21 Jahren. Außerdem
suchten sie sich Ehemänner aus, die tranken, verhaftet wurden, untreu waren, sie
im Stich ließen oder sie nicht unterstützten. Wurden sie geschieden und heirateten
erneut, wählten 71% der Frauen erneut einen Mann mit den gleichen Problemen.
Männer mit antisozialem Verhalten wurden häufiger geschieden als Männer der
Kontrollgruppe, aber seltener als Frauen mit antisozialen Verhaltensweisen.
Außerdem zeigten die Frauen, die sie heirateten in der Regel keine
24
Verhaltensprobleme. Dies muß nicht bedeuten, daß die Frauen schlechter in ihrem
Urteilsvermögen sind, sondern könnte auch darauf hindeuten, daß die Verfügbarkeit
bei Männern mit antisozialem Verhalten größer ist.
Frauen mit antisozialen Problemen in der Kindheit hatten eine hohe
Kinderlosigkeitsrate. 45% der Frauen, die geheiratet hatten, blieben kinderlos,
während Frauen, die aus anderen Gründen in die Klinik gekommen waren, oder
Frauen der Kontrollgruppe ähnlich oft kinderlos blieben wie der nationale
Durchschnitt. Bei Männern gab es ebenfalls Unterschiede, aber diese waren
geringer. Wenn allerdings Frauen und Männer mit antisozialem Verhalten Kinder
bekamen, hatten sie mehr als andere Patienten oder als Angehörige der
Kontrollgruppe. Von den Kindern der Patienten mit antisozialem Verhalten wurde
häufiger berichtet, daß sie ebenfalls mehr antisoziale Verhaltensweisen zeigten als
Kinder anderer Patienten oder Kinder der Kontrollpersonen.
Von den Männern mit antisozialem Verhalten hatten weniger eine dauerhafte
Beschäftigung als Männer der Vergleichsgruppen. Ihre Arbeitslosigkeit war höher
wegen Inhaftierung, Krankheit (zu Hause und im Krankenhaus) und weil sie einfach
keine Beschäftigung fanden. Bei den Frauen war die Arbeitslosigkeit nicht so klar
ersichtlich, weil nicht immer deutlich war ob eine tatsächliche Arbeitslosigkeit
bestand oder sie Hausfrauen waren.
Im Vergleich mit den Frauen der
Kontrollgruppe hatten sie aber häufiger keine Arbeit. Über alle Gruppen verdienten
die Männer mehr als die Frauen. Innerhalb der Gruppen verdienten die Männer mit
antisozialem Verhalten am wenigsten. Ein Grund dafür war sicherlich der häufige
Wechsel des Arbeitsplatzes, so daß sie nicht wie andere im Laufe der Zeit höhere
Löhne aufgrund längerer Betriebszugehörigkeit erhielten. Ein anderer Grund war die
schlechtere Ausbildung der Patienten mit Schwierigkeiten im Sozialverhalten.
Bei den Patienten mit antisozialen Verhaltensweisen bestand öfter eine finanzielle
Abhängigkeit als in den Vergleichsgruppen. Ein Drittel der Männer und über die
Hälfte der Frauen erhielten Unterstützung von Wohlfahrtsverbänden.
Sowohl Frauen als auch Männer mit antisozialem Verhalten hatten ein schlechteres
soziales Netz. Sie hatten oftmals keinen oder kaum Kontakt zu anderen, weder zu
Verwandten noch zu Freunden oder Nachbarn. Sie engagierten oder beteiligten sich
selten in Organisationen, die Kirche eingeschlossen.
Männer mit antisozialen Verhaltensweisen dienten auch seltener in der Armee als
Männer der Kontrollgruppe. Sie wurden häufiger von der Armee abgelehnt. Ein
Grund für diese Ablehnung war oftmals ihre kriminelle Vorgeschichte. Wenn sie aber
doch in die Armee eintraten, schieden sie häufiger aus Krankheitsgründen oder
unehrenhaft aus. Sie verbrachten einen hohen Zeitanteil im Krankenhaus, entfernten
sich häufig ohne Erlaubnis oder desertierten. Dieses Bild spiegelte sich auch in
ihrem niedrigen Dienstgrad wider.
Patienten mit antisozialem Verhalten hatten als Erwachsene häufiger zu
irgendeinem Zeitpunkt Probleme mit Alkohol. 48% von ihnen waren „schwere
25
Trinker”, aber nur 29% der Patienten mit anderen Problemen und 23% der
Kontrollgruppe.
Drogenmißbrauch wurde von den ehemaligen Patienten nur selten berichtet, in der
Kontrollgruppe allerdings kam er gar nicht vor. Frauen mit antisozialem Verhalten
wiesen eine hohe Rate beim Gebrauch von Beruhigungsmitteln auf (16%).
Die Todesrate bei Männern mit antisozialem Verhalten lag zum Zeitpunkt der
Nachuntersuchung bei 17% und damit über dem nationalen Durchschnitt. Bei
Frauen wurden keine Unterschiede gefunden.
Auch Storm-Mathisen et al. (1994) fanden in ihrer Untersuchung eine relativ hohe
Todesrate unter den Patienten mit einer Störung des Sozialverhaltens. Von 75
Patienten waren zum Nachuntersuchungszeitpunkt sechs gestorben (3 Männer und
3 Frauen). Die Ursachen ihres Todes waren zumeist Gewalt in irgendeiner Form.
Außerdem fanden die Autoren ein erhöhtes Risiko für Substanzmißbrauch.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Menschen, die als Kinder antisoziale
Verhaltensweisen zeigen, als Erwachsene häufiger als andere Menschen Probleme
in den unterschiedlichsten Lebensbereichen haben.
V.3. Der Einfluß von Therapie auf den Verlauf der Störung
Die zuvor dargestellten Ergebnisse zeigen, daß längst nicht alle Kinder, die eine
Störung des Sozialverhaltens haben, später eine antisoziale Persönlichkeitstörung
aufweisen. Allerdings ist der Anteil derer, die eine solche Persönlichkeitsstörung
oder Schwierigkeiten in anderen Lebensbereichen entwickeln, recht hoch.
Interessant ist dabei, daß es scheinbar keinen großen Unterschied macht, ob die
Kinder sich einer Therapie unterziehen oder nicht. Kolko (1994) merkt dazu an, daß
es vorwiegend andere sind, die unter dem antisozialen Verhalten der Kinder zu
leiden haben, bei den Kindern und Jugendlichen selbst hingegen besteht wenig
Leidensdruck. Damit verbunden ist, daß die betroffenen Kinder wenig Motivation zur
Änderung ihres Verhaltens aufweisen und die therapeutische Prognose
entsprechend ungünstig ist.
Wergeland (1980) untersuchte, ob Kinder mit SSV, die sich einer Therapie
unterzogen hatten, einen besseren Verlauf zeigen als Kinder, die keine Therapie
bekommen hatten. Er fand lediglich eine Tendenz, daß behandelte Kinder sich
besser in verschiedenen Lebensbereichen zurechtfanden als unbehandelte.
In der empirischen Längsschnittstudie zu Indikation und Verlauf bei
verhaltensgestörten Kindern im Heim von Hebborn-Brass (1991), in der 268 Kinder
einer Heimeinrichtung zwischen 1968 und 1985 untersucht wurden, wurde auch auf
den Verlauf der Störung eingegangen. In der Einrichtung werden die Kinder
pädagogisch-psychotherapeutisch
betreut,
aber
es
findet
auch
eine
Zusammenarbeit mit den Eltern statt. Von den 78 Kindern, die als dissozial
diagnostiziert wurden, zeigen 20,8% bei ihrer Entlassung ein weitgehend
26
unverändertes oder sogar verschlechtertes Verhalten. Bei 37,5% gilt die Störung als
weitgehend behoben und bei 41,7% als teilgebessert.
Lösel und Bender (1997) kommen zu dem Schluß, daß es einige
Behandlungsformen gibt, die durchaus erfolgversprechend sind (z. B. gut
strukturierte kognitive Verhaltenstherapien) und andere, die schlechtere Wirkungen
erzielen (z. B. psychodynamische und non-direktive Therapien). Sie betonen
außerdem die Notwendigkeit, nicht nur mit dem Kind zu arbeiten, sondern auch mit
den Eltern.
Kramer und v. d. Leyen (1934) berichten über die „Entwicklungsverläufe
anethischer, gemütloser psychopathischer Kinder”. Sie verfolgten dabei die Fälle
einiger Kinder zwischen 1912 und 1934 und schilderten detailliert deren Verlauf. Die
damalige Diagnose stimmt nicht mehr vollständig mit unserer heutigen Diagnose der
Störung des Sozialverhaltens überein, hat aber doch einige Ähnlichkeiten. Die
Symptome wurden nach Stier beschrieben als „gesteigerte Eßlust (Unersättlichkeit
oder Freßgier), bei höheren Graden begleitet von einer Abschwächung des
Ekelgefühls; der wahllose Genuß unsauberer, an sich kaum eßbarer, für den
durchschnittlichen Geschmack widerlicher Nahrungsmittel sei die Folge. Der
Selbstbehauptungstrieb führe zu rücksichtsloser, brutaler Durchführung eigener
Interessen, der gesteigerte Betätigungsdrang zur Unterwerfung der Mitmenschen;
die Verteidigung schlage schnell in rohe Angriffe auf andere über. Zorn und
Wutausbrüche träten auf, wenn die Durchsetzung der kraß-egoistischen Interessen
von außen gewaltsam gehindert wird. Ein verfrühtes Durchbrechen eines mächtig
gesteigerten Geschlechtstriebes vermisse man selten. In körperlicher Beziehung sei
die Herabsetzung der Schmerzempfindung eine häufige Begleiterscheinung. Ferner
beobachte man Lust am Verletzen anderer, am Quälen von Tieren.
Anstaltsbehandlung sei unentbehrlich. Die Prognose sei als nicht günstig zu
bezeichnen” (zitiert aus Kramer & v. d. Leyen, 1934).
Kramer und v. d. Leyen stellen jedoch fest, daß in fast allen Fällen eine erhebliche
Besserung eintrat, wenn die Umgebungsbedingungen verändert und verbessert
wurden.
VI. Risikofaktoren
VI.1. Geschlecht
Jungen sind sehr viel häufiger von der Störung des Sozialverhaltens betroffen. Nach
Steinhausen (1996) zeigen Jungen im Kindesalter bis zu dreimal häufiger
aggressives Verhalten als Mädchen. Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer
Studie, daß 71,1% der 235 Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen
männlich waren und nur 28,9% weiblich. Diese Ergebnisse könnten durch die
unterschiedlichen Erscheinungsformen bei Jungen und Mädchen zu erklären sein.
Während Jungen eher direkte körperliche Aggression und damit objektiv
beobachtbares Verhalten zeigen, das auch in den Klassifikationssystemen
27
auftaucht, ist das Verhalten von Mädchen weniger gut direkt beobachtbar. Diese
handeln in erster Linie indirekt mit verbaler Gewalt. So verbreiten sie z. B. Gerüchte,
Hänseln oder leisten Widerspruch (Petermann & Warschburger, 1996). Es ist nicht
geklärt ob dieser Geschlechtsunterschied durch biologische Faktoren zu erklären ist
oder ob er auf die Erziehung und die Umwelteinflüsse zurückzuführen ist.
Da das Geschlecht ein bedeutender Einflußfaktor ist, wird darauf in Kapitel VIII noch
genauer eingegangen.
VI.2. Frühes Verhalten
Zu den frühen Prädiktoren antisozialen Verhaltens gehören ein schwieriges
Temperament, nicht ausreichendes Bindungsverhalten an Eltern oder
Bezugspersonen, Entwicklungsverzögerungen und Schulversagen (Robins, 1991).
Ein weiterer Faktor ist motorische Unruhe bei Kindern bis hin zur Hyperaktivität. Die
Erklärung dafür, daß Schulversagen als ein Risikofaktor angesehen werden sollte,
ist möglicherweise die, daß Kinder, die in der Schule keine Erfolgserlebnisse haben,
ein niedriges Selbstwertgefühl und eine feindselige Einstellung zur Schule
entwickeln. Hieraus entstehen dann Verhaltensweisen wie Schulvermeidung
(Schulschwänzen), Anschluß an andere delinquente Kinder oder Jugendliche sowie
kompensatorische, delinquente und andere dissoziale Handlungen (Hirschberg,
1994). Sicher ist Schulversagen eher im Zusammenhang mit anderen Risikofaktoren
zu sehen, denn das Selbstwertgefühl von Kindern hängt nicht nur von einem Bereich
ab.
In verschiedenen Artikeln wurde festgestellt, daß ein schwieriges Temperament in
frühester Kindheit ein Prädiktor für eine spätere dissoziale Störung sein kann
(Kazdin, 1987,
Robins, 1991). Ein solcher Befund deutet darauf hin, daß
biologische Faktoren bei der Entstehung der Störung des Sozialverhaltens eine
Rolle spielen. Das Temperament gehört zu den vorherrschenden Aspekten der
Persönlichkeit, welches einige Konsistenz über Situationen und Zeit zeigt (Kazdin,
1987). Unterschiede des Temperaments zeigen sich schon bei sehr kleinen Kindern.
Man findet in einigen Artikeln Hinweise darauf, daß ein schwieriges Temperament in
der Kindheit das Risiko erhöht, eine SSV zu entwickeln (Kazdin, 1990, Robins,
1991). Unterschiede im Temperament basieren auf Aspekten wie der Aktivität des
Kindes, seiner emotionalen Responsivität, der generellen Qualität seiner Stimmung
und seiner sozialen Anpassungsfähigkeit (Kazdin, 1987). „Einfache” Kinder sind
charakterisiert durch eine generell positive Stimmung, Annäherung an neue Stimuli,
gute Anpassungsfähigkeit an Änderungen und niedrige Reaktionen auf neue Stimuli.
„Schwierige” Kinder zeigen gegenteilige Verhaltensmuster. Es ist unklar, warum ein
spezifisches Temperament Kinder zu antisozialem Verhalten prädestiniert. Neben
der möglichen biologischen Prädisposition könnte auch die Eltern-Kind-Interaktion
dazu beitragen. Einige Studien haben gezeigt, daß Mütter mehr negative
Verhaltensweisen gegenüber Kindern zeigen, die „schwierig” und ineffektiv in der
28
Kontrolle abweichenden kindlichen Verhaltens sind und durch unterwürfige
Reaktionen dieses aversive Verhalten ihres Kindes verstärken (Kazdin, 1987).
Auch Steinhausen (1996) beschreibt, daß Kinder mit höherem Aktivitätsniveau in der
frühen Kindheit später eher aggressive Störungen entwickeln. Dabei kann die
Überforderung der Eltern im Erziehungsprozeß zu unangemessenen Reaktionen in
Form von Zurückweisung und ständiger Kritik führen. Diese fördern wiederum das
gestörte Verhalten des Kindes.
Andere Studien beschreiben Befunde, die zeigen, daß sogenannte „vorklinische”
Symptome wie Aggressivität und Widerspenstigkeit, die von Lehrern oder
Mitschülern beobachtet werden, späteren antisozialen Verhaltensweisen und
Delinquenz oftmals vorausgehen (Kazdin, 1987). Vorklinisch bedeutet, daß die
gezeigten Symptome nicht die Schwere und das Ausmaß haben, um zu einer
entsprechenden Diagnose zu kommen.
VI.3. Familiäre Faktoren
VI.3.1. Psychische Auffälligkeiten der Eltern
Psychopathologische Erscheinungen bei den Eltern bedeuten generell ein Risiko für
das Kind, ebenfalls psychische Störungen zu entwickeln (Kazdin, 1987).
Kinder, deren Eltern eine antisoziale Persönlichkeitsstörung haben oder alkoholoder drogenabhängig sind, sind stärker gefährdet eine Störung des Sozialverhaltens
zu entwickeln (Robins, 1966, Lahey, Loeber, Frick, Hart, Applegate, Zhang, Green &
Russo, 1995, Stewart & Leone, 1978).
Das Risiko ist am ausgeprägtesten, wenn beide Elternteile eine antisoziale
Persönlichkeitsstörung aufweisen. Robins (1991) weist darauf hin, daß der Effekt
größer ist, wenn die Mutter betroffen ist, da diese üblicherweise mehr Zeit mit den
Kindern verbringt. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß, wenn die
Mutter antisoziales Verhalten zeigt, der Vater gleichermaßen dieses Verhalten
aufweist. Denn, wie Robins (1966) fand, suchen sich Frauen mit einer antisozialen
Verhaltensstörung oft einen Mann mit ebensolchem Verhalten. Da aber die Störung
viel häufiger bei Männern als bei Frauen auftritt, ist es in der Regel so, daß der Vater
antisoziales Verhalten zeigt. Im Sinne der sozialen Lerntheorie stellen die
aggressiven Verhaltensweisen des Kindes eine direkte Reaktion auf die unmittelbare
soziale Umwelt dar. Die unangemessenen kindlichen Verhaltensweisen sind eine
Folge des aggressiven und antisozialen Verhaltens von Eltern und Geschwistern.
Dabei sind die jeweiligen Intensitäten der Reaktionen innerhalb der Familie oft
miteinander korreliert (Steinhausen, 1996).
VI.3.2. Eltern-Kind-Interaktionen
Weitere Merkmale innerhalb der Familie sind geschiedene Eltern, inkonsequente
Erziehungsstile und eine kinderreiche Familie. Lösel und Bender (1997) schreiben
dazu, daß verschiedene Faktoren sich hier zu einem Kreislauf der gegenseitigen
29
Verstärkung schließen können. Aufgrund ihres Temperamentes und ihrer kognitiven
Probleme sind die Kinder schon im frühen Lebensalter schwierig. Die Eltern haben
selbst Defizite und sind mit der Erziehung überfordert. Es mangelt an Ressourcen,
um dem Kind gerecht zu werden. Die Eltern reagieren emotional ablehnend,
ungeduldig, aggressiv, inkonsistent oder mit rigidem Zwang auf das Kind. So
entwickelt sich ein feindseliges Familienklima. Vernachlässigung und wenig
einfühlsame Eltern tragen außerdem zu einer unsicheren Bindung bei. Die Kinder
lernen über die Eltern als Vorbilder, Aggressivität als konfliktlösendes Mittel
einzusetzen. Die Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Defizite sich sprachlich
adäquat auszudrücken, verringern die Kompetenz, Konflikte friedlich zu lösen.
Dieses Verhalten zieht Schwierigkeiten im Umgang mit Eltern und nicht-auffälligen
Gleichaltrigen nach sich, so daß sich das Kind eher ebenfalls auffälligen
Jugendlichen anschließt. Andere Studien erklären den Einfluß von Eltern-KindInteraktionen ähnlich. Eltern antisozialer Kinder erteilen diesen mehr Befehle,
begegnen abweichendem Verhalten mit Aufmerksamkeit und eventuell sogar
Einwilligung, während prosoziales Verhalten eher ignoriert wird (Kazdin, 1987).
Eltern von Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens werden als
vernachlässigend, inkonsequent und hart bei Bestrafungen beschrieben (Kazdin,
1987). Fiedler (1997) schreibt dazu, daß Mütter dissozialer Kinder auf Fehlverhalten
in einer aversiven, zugleich jedoch völlig uneindeutig normierenden Weise
reagieren. Prosoziales Verhalten dagegen wurde von ihnen kaum oder überhaupt
nicht beachtet. Kazdin (1987) erklärt den starken Zusammenhang elterlicher
Erziehungspraktiken und SSV mit einem Teufelskreis, in welchem ein schwieriges
Kind steckt, das seinen Eltern gegenüber undankbar und lästig ist. Die Eltern
reagieren abwechselnd mit Ablehnung und harter Bestrafung. Ein Verhalten, das
beim Kind wieder zu feindseligem und undankbarem Verhalten führt. Diese
reziproken Prozesse pflanzen sich über Generationen fort (Robins, 1991). Elterliche
Praktiken, die ein Kind im Alter von acht Jahren erfährt, spiegeln sich in der Art
wider, wie es später mit seinen Kindern umgeht (Robins, 1991).
Außerdem überwachen Eltern antisozialer oder delinquenter Kinder deren Verbleib
und Aufenthaltsort weniger und treffen weniger Vereinbarungen für deren Fürsorge,
wenn sie eine begrenzte Zeit nicht zu Hause sind. Andere Faktoren, die eine
schlechte Aufsicht der Kinder widerspiegeln, beinhalten die Abwesenheit von Regeln
betreffend der Orte, die Kinder aufsuchen dürfen oder wann sie zurück sein müssen.
Damit wird den Kindern erlaubt, durch die Straßen zu ziehen und sich in vielen
unabhängigen und unbeaufsichtigten Aktivitäten zu engagieren (Kazdin, 1987).
Insgesamt wird mit den Kindern die zuverlässige Einhaltung von Regeln nicht
eingeübt (Hirschberg, 1994). Eine auffällig erhöhte Rate „unzureichender elterlicher
Aufsicht und Führung” ließ sich in der Studie von Möller-Nehring et al. (1998) bei
Kindern und Jugendlichen mit SSV nachweisen. Kinder, die von ihren Eltern
vernachlässigt oder mißhandelt werden, zeigen später oft besonders schwere
Verhaltensauffälligkeiten (Hirschberg, 1994). Die körperliche Untersuchung von
Jugendlichen mit dissozialem Verhalten zeigte in mehreren Studien zahlreiche
unerkannte bzw. unbehandelte Krankheiten auf, was ebenfalls als Ausdruck der
30
Vernachlässigung dieser Jugendlichen und beeinträchtigter Entwicklungschancen
angesehen werden kann (Hirschberg, 1994). Solche und ähnliche intrafamiliäre
Interaktionen sowie schlechtes parentales Verhalten führen schließlich dazu, daß
ein Kind im Schulalter kognitiv retardiert ist und Probleme mit der Beachtung und
Einhaltung von Regeln hat (Herbert, 1978). Auch die Qualität der Eltern-KindBeziehung und der familiären Beziehungen sind als Risikofaktor ermittelt worden. Im
Vergleich zu den Eltern normaler Jugendlicher bringen diejenigen antisozialer Kinder
diesen gegenüber weniger Akzeptanz, weniger Wärme, weniger Liebe und
emotionale Unterstützung und weniger „Attachment” entgegen (Kazdin, 1987).
Weniger stützende
und mehr defensive Kommunikation zwischen
Familienmitgliedern, weniger Teilnahme an Aktivitäten als Familie und mehr klare
Dominanz eines Familienmitglieds unterscheiden Familien antisozialer Jugendlicher
von anderen (Kazdin, 1987).
VI.3.3. Eheliche Disharmonie und „Broken homes”
„Broken homes” und eheliche Disharmonie stehen ebenfalls in Zusammenhang mit
kindlichen Verhaltenstörungen.
Familiäre Disharmonie und dabei vor allem
chronische Partnerkonflikte der Eltern sind (mit-)verantwortlich für einen
unangemessenen elterlichen Erziehungsstil. Gerade Jungen aus vaterlosen
Scheidungsfamilien sind als Opfer dieser Entwicklungen zu betrachten. Sie
reagieren typischerweise mit aggressiven und dissozialen Störungen auf die
Bedingungen eines „broken home”. Es besteht die Gefahr, daß Mütter eine
generelle Ablehnung gegenüber Männern zeigen und damit besondere
Identitätsprobleme für Jungen schaffen, welche diese teilweise in aggressiven Akten
ausleben (Steinhausen, 1996). Andere Autoren gehen ebenfalls davon aus, daß
unglückliche eheliche Beziehungen sowie zwischenmenschliche Konflikte und
Aggression die elterliche Beziehung delinquenter und antisozialer Jugendlicher
kennzeichnen (Kazdin, 1987). So fordert Dobrotka (1987), daß problematischen
Entwicklungen der Persönlichkeit von Kindern durch eine verfehlte Partnerschaft der
Eltern präventiv begegnet werden muß, denn im Spannungsfeld des
disharmonischen elterlichen Milieus entwickelt sich die kindliche Persönlichkeit
ungünstig. Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer Studie, daß Kinder mit SSV
signifikant mehr Items, die für „Disharmonie zwischen Erwachsenen” standen,
bejahten. Es konnte auch mehrmals nachgewiesen werden, daß insbesondere
Jugendliche, die ein gewalttätiges Verhalten zeigen, häufig Zeuge massiver
Auseinandersetzungen im familiären Bereich gewesen waren (Hirschberg, 1994).
Es besteht aber ebenfalls die Möglichkeit, daß antisoziales Verhalten genetisch
mitgeprägt ist.
Es scheint, als würde antisoziales Verhalten über die Generationen weitergegeben.
In Studien, die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens untersuchen, wird
immer wieder festgestellt, daß die Eltern ebenfalls antisoziales Verhalten zeigen.
Weiterhin fand Robins (1966) in ihrer Untersuchung, daß Erwachsene, die bereits
31
als Kinder Verhaltensprobleme aufwiesen, häufig Kinder hatten, die verstärkt
antisoziales Verhalten zeigten.
VI.4. Biologische Einflüsse
Verschiedene Autoren haben zwischen der Hirnaktivität von Kindern mit einer
dissozialen Störung und anderen einen Unterschied gefunden (Kazdin, 1987). Auch
Lösel und Bender (1997) beschreiben in ihrem Artikel, daß es physiologische
Risikofaktoren gibt, die dazu beitragen, daß die Aggressivität beibehalten und aus
negativen Erfahrungen schlechter gelernt wird. Gegenüber Vergleichsgruppen hat
man bei antisozialen Kindern und Jugendlichen ein im Durchschnitt geringeres
Erregungsniveau des zentralen und autonomen Nervensystems festgestellt. Einige
Studien fanden ein verlangsamtes EEG, eine niedrigere Herzrate und eine geringere
Hautleitfähigkeit; manche auch einen niedrigeren Cortisol- und Katecholaminspiegel.
Auf der Verhaltensebene manifestiert sich dies in einem erhöhten
Stimulationsbedürfnis,
weniger
Angst
vor
Strafe
und
schlechterem
Vermeidungslernen. Bei aggressiven Jugendlichen fanden sich auch niedrigere
Serotonin- sowie erhöhte Testosteronwerte. Die Befunde sind nicht eindeutig.
Andere Studien haben keinen Zusammenhang gefunden (Kazdin, 1987).
Wenn tatsächlich ein Unterschied bezüglich physiologischer Faktoren besteht, ist
nicht klar, ob dies die Ursache für die Störung ist oder einfach die biologische
Reflexion der mangelnden emotionalen Beteiligung, die typisch ist für Kinder mit
einer Störung des Sozialverhaltens (Robins, 1991). Robins schlägt vor, die
Beeinflussung der Störung durch männliche Hormone während der Kindheit und
Jugend weiter zu untersuchen, weil darin eine mögliche Erklärung liegen könnte für
den starken Geschlechtsunterschied im Auftreten.
VI.5. Religiosität
Es wurde in verschiedenen Studien der Zusammenhang zwischen Religiosität bzw.
religiösem Engagement und abweichendem Verhalten (z. B. Drogenkonsum und
Schwangerschaft bzw. Vaterschaft in der frühen Adoleszenz) untersucht.
Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer Studie, daß in der Gruppe der SSV die
Familien mit 54,7% signifikant häufiger nicht religiös engagiert waren als in der
Gruppe „keine Diagnose” (33,2%) und der Gruppe „andere Diagnose” (38,2%).
Möller-Nehring et al. (1998) berichten aber ebenfalls über Befunde, die zeigen, daß
sich vermehrt abweichendes Verhalten bei religiös weniger gebundenen
Jugendlichen fand, aber auch über Studien in denen sich kein Zusammenhang
ermitteln ließ. Möller-Nehring et al. gehen davon aus, daß Religion sowohl ein Risiko
als auch eine Chance sein kann. Einerseits kann eine streng religiöse,
moralisierende Erziehung eine pathogene Wirkung entfalten (z. B. Anorexie,
Zwangserkrankung, Depression). Auf der anderen Seite können selbstwertstützende
32
Elemente der religiösen Überzeugung eine lebensbegleitende Identitätshilfe
darstellen.
Es liegt die Vermutung nahe, daß nicht die religiöse Betätigung an sich eine bessere
Prognose bietet, sondern eher, daß in einer Familie mit religiösem Hintergrund
mehr positive Werte und Erziehungsgrundsätze allgemein vorherrschen als in
Familien, die keine solche Orientierung haben.
VI.6. Fernsehkonsum
Befunde im Bereich des Fernsehkonsums zeigen, daß Kinder mit SSV bereits in
jungen Jahren mehr als Vergleichsgruppen fernsehen und dies im Laufe der Jahre
auch immer länger tun. Daraus lassen sich jedoch keine Kausalzusammenhänge
ableiten. Es stellt sich bei einem solchen Befund auch die Frage, ob sich der erhöhte
Fernsehkonsum nicht durch mangelnde elterliche Aufsicht und Steuerung erklären
läßt (Möller-Nehring et al., 1998). Andere Studien, wie z. B. Funk (1995, zitiert in
Möller-Nehring et al., 1998) lassen jedoch durchaus einen Zusammenhang
vermuten zwischen Gewaltbilligung, Gewaltbereitschaft sowie Gewalttätigkeit und
hohem Actionfilmkonsum von Schülern. Diese Untersuchung fand auch, daß eine
negative Korrelation zwischen der sozialen Bindung an die Eltern und dem
Horrorfilmkonsum der Schüler bestand. Diese Ergebnisse lassen wichtige
Schlußfolgerungen auf Kinder mit SSV zu, da diese häufiger als Kinder aus
Vergleichsgruppen eine negative Bindung an die Eltern besitzen (Möller-Nehring et
al., 1998). Steinhausen (1996) beschreibt, daß bei Kindern aller Altersgruppen und
Sozialschichten die Massenmedien, und hier besonders das Fernsehen,
aggressives Verhalten auslösen und verstärken. Dabei bedingen sich das Ausmaß
des Fernseh- und Videokonsums, insbesondere der Darbietung von Aggressivität
und Gewalt, und die bei Kindern zu beobachtende Gewalt wechselseitig, indem die
im Film gezeigte Gewalt Kinder aggressiver macht und diese agressiveren Kinder
mehr Gewalt zur Rechtfertigung ihres eigenen Verhaltens konsumieren. Auch
Maccoby (1986) berichtet in ihrem Artikel, daß aggressive Kinder eher gewalttätiges
Verhalten, das sie auf dem Bildschirm gesehen haben, imitieren als nicht-aggressive
Kinder.
VI.7. Kognitive Faktoren
VI.7.1. Intelligenz
Goydke und Specht (1976) fanden in ihrer Untersuchung bei Jugendlichen mit
dissozialem Verhalten, daß in dieser Gruppe der Anteil derer, bei denen sich die
intellektuellen Leistungsmöglichkeiten unter dem Durchschnitt befanden, fast
doppelt so hoch lag wie innerhalb der Gesamtbevölkerung. Die Leistungen
dissozialer Jugendlicher wichen jedoch nur wenig vom Durchschnitt der
33
Gleichaltrigen ab, wenn es sich um reproduktives, kombinatorisches und
synthetisierendes Vorgehen an konkretem Material handelte. Fast drei Viertel der
Untersuchungspopulation hatten im Handlungsteil des HAWIE ein besseres, 41,3%
ein signifikant besseres Ergebnis als im Verbalteil. Sie wichen zwar auch im
Handlungsteil vom Standardisierungswert ab, aber dieses Ergebnis ist nicht
signifikant. Die untersuchten Jugendlichen stammen zu 80% aus der Unterschicht.
38% hatten zudem einen wesentlichen Teil ihrer Kindheit unter besonders
ungünstigen, erfahrungseinschränkenden Bedingungen zugebracht. 71,2% waren
nicht zu einem Volksschulabschluß gelangt. Goydke und Specht zogen aus ihren
Ergebnissen den Schluß, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß primäre
intellektuelle Beeinträchtigungen für die dissozialen Auffälligkeiten der untersuchten
Jugendlichen von Bedeutung sind. Sie betrachteten die schulischen Mißerfolge und
die Abweichungen in der Intelligenzstruktur in Zusammenhang mit den schlechten
Bedingungen, die der sozialen Herkunft zuzuschreiben waren.
Andere Untersucher beschreiben ähnliche Ergebnisse wie Goydke und Specht.
Auch Möller-Nehring et al. (1998) fanden, daß bei den untersuchten Kindern und
Jugendlichen die Rate von unterdurchschnittlichen Intelligenzleistungen höher ist als
in der Allgemeinbevölkerung. Robins (1991) schreibt in ihrem Artikel, daß sowohl die
Störung des Sozialverhaltens als auch schulisches Versagen auf schlechte kognitive
Leistungen zurückzuführen sein könne, denn der Durchschnittsintelligenzquotient
von Kindern mit Schwierigkeiten im Sozialverhalten ist eher gering (Robins, 1991).
Andererseits ist die Bandbreite des Intelligenzquotienten bei Kindern und
Jugendlichen mit SSV so breit, daß ein niedriger IQ keine notwendige Bedingung
darstellt (Robins, 1991).
In einem Überblicksartikel von Hirschberg (1994) wird ebenfalls berichtet, daß
Kinder und Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens in der Regel einen
Intelligenzquotienten im unteren Durchschnittsbereich aufweisen und daß sie in
Subtests, die sprachlich gebundene Fähigkeiten messen, am schlechtesten
abschneiden.
Außerdem
fanden
sich
bei
dieser
Gruppe
häufig
Entwicklungsrückstände, insbesondere in den Bereichen Lesen/Schreiben,
Sprechen/Sprache sowie Defizite bezüglich Konzentration und Aufmerksamkeit.
Hebborn-Brass (1991) fand in ihrer Untersuchung, daß Kinder mit dissozialen
Störungen häufiger einen IQ aufwiesen, der im unterdurchschnittlichen Bereich
(26% der Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens) oder durchschnittlichen
Bereich (32% der dissozialen Kinder) lag. Nur 14% der als dissozial diagnostizierten
Kinder wiesen einen IQ auf, der über dem Durchschnitt lag. Die Autorin zieht daraus
den Schluß, daß es eine „Schutzfaktorwirkung” der Intelligenz bezüglich der Störung
des Sozialverhaltens gibt.
VI.7.2. Informationsverarbeitung
Hirschberg (1994) beschreibt auch kognitive Faktoren, die zur Stabilisierung und
Aufrechterhaltung von Störungen des Sozialverhaltens beitragen:
-Viele Kinder und Jugendliche mit SSV erleben zwar, daß die Umwelt ihr Verhalten
mißbilligt, sie sich aber dennoch oft mit Hilfe dieses Verhaltens anderen Personen
34
gegenüber durchsetzen und auf diese Weise Kontrolle über Konfliktsituationen
behalten können.
-Sie unterstellen anderen Personen leicht feindselige Absichten ihnen gegenüber,
auch wenn dafür objektiv kein Anlaß besteht. Solche kognitiven Verzerrungen
stehen dann oft am Anfang von Handlungen, in welchen für den außenstehenden
Beobachter nichtige Anlässe zu massiven Auseinandersetzungen eskalieren, ohne
daß die betroffenen Jugendlichen selbst in der Lage sind, ihren eigenen Anteil an
der Entstehung solcher Konfliktsituationen wahrzunehmen.
-Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung machen solche Kinder und
Jugendliche häufig die Erfahrungen, die ihr bereits bestehendes Bild einer ihnen
feindlich gesonnenen Umwelt bestätigen. Aus allem entsteht schließlich ein Gefüge
von kognitiven Einstellungen und dissozialen Handlungen, das sich wechselseitig
bedingt und aufrechterhält.
Auch Petermann und Warschburger (1996) berichten, daß bei aggressiven Kindern
und
delinquenten
Jugendlichen
eine
verzerrte
und
unangemessene
Informationsverarbeitung beobachtet wurde. Die Informationsverarbeitung
unterscheidet sich von der unauffälliger Kinder und geht mit vermehrt aggressivem
und gewalttätigem Verhalten einher. Die Kinder bieten weniger alternative
Konfliktlösungen an und bevorzugen direkte Aktionen gegenüber verbalen
Beschwichtigungen oder nichtaggressiven, selbstbehauptenden Reaktionen.
Aggressive Reaktionen werden von ihnen häufig als positiv und leicht in die Tat
umsetzbar bewertet, wohingegen mögliche Hindernisse in der Umsetzung der
Handlung nicht wahrgenommen werden.
Die Autoren weisen außerdem darauf hin, daß delinquente Jugendliche eine
verminderte Fähigkeit besitzen, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Diese
Beobachtung konnte auch schon bei aggressiven Vorschulkindern gemacht werden.
Das fehlende Einfühlungsvermögen trägt sicherlich ebenfalls dazu bei, daß
delinquente Jugendliche sich schneller angegriffen fühlen und Situationen falsch
bewerten. Ihre moralische Urteilsfähigkeit ist gegenüber verhaltensunauffälligen
Jugendlichen entwicklungsverzögert. Sie sind weniger fähig, soziale Konventionen
nachzuvollziehen, sich in die Perspektive eines anderen hineinzuversetzen und sich
mit Situationen auseinanderzusetzen, in denen es gilt, verschiedene moralische
Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Diese Unterschiede werden besonders
deutlich, wenn sie ihr Handeln in von ihnen erlebten Ereignissen überdenken sollen.
VI.8. Soziale Schicht
Antisoziales Verhalten ist eher in der unteren sozialen Schicht bis hin zur
Mittelschicht zu finden.
Robins (1966) fand in ihrer Studie, daß die soziale Schicht insofern eine Rolle
spielte, als antisoziales Verhalten eher bei Kindern und Jugendlichen zu finden war,
die in Slums aufwuchsen, wo viel zu wenig Platz für jeden einzelnen zur Verfügung
35
stand, wo die Mutter ebenfalls arbeitete und die Familien von der Unterstützung der
Wohlfahrtsverbände abhängig waren. Die soziale Unterschicht allein ist aber kein
hinreichendes Kriterium für die Entwicklung von antisozialen Verhaltensweisen.
Myschker (1993) schreibt dazu, daß Eltern aus der Unterschicht mehr zu einem
strengen, dirigistischen Erziehungsverhalten neigen und Eltern aus der Mittel- und
Oberschicht mehr zu einem unterstützenden Erziehungsstil. Aus diesem
unterschiedlichen Verhalten, das in Verbindung steht mit der sozialen Schicht,
könnte teilweise zu erklären sein, daß die relativ größere Anzahl von Kindern mit
Verhaltensstörungen aus der Unterschicht stammt. Robins (1978) vergleicht vier
Studien, in denen antisoziales Verhalten untersucht wurde. Auch in dieser Arbeit
spielte die soziale Schicht keine wesentliche Rolle, wenn es um den
Zusammenhang mit Störungen des Sozialverhaltens ging. Nur wenn man davon
ausgeht, daß alle Faktoren, die in diesem Kapitel geschildert werden, häufiger in der
sogenannten Unterschicht oder der unteren Mittelschicht zu finden sind, ist die
Schichtzugehörigkeit als Risikofaktor zu nennen.
VI.9. Kulturelle Unterschiede
Im westlichen Kulturkreis treten externalisierende Störungen häufiger auf als im
asiatischen oder afrikanischen Raum (Petermann & Warschburger, 1996).
Es wird allgemein angenommen, daß in traditionellen Kulturen, die Religiosität und
familiäre Werte hoch schätzen, in denen der Gebrauch psychotroper Substanzen
unüblich ist und wo Kinder gut betreut werden, Störungen des Sozialverhaltens
kaum vorkommen (Robins, 1991).
VI.10. Schulische Faktoren
Ausgewählte Charakteristika können mit antisozialem Verhalten in Verbindung
gebracht werden, so besitzen z.B. Grund- oder Hauptschulen mit einem niedrigen
Lehrer-Schüler-Verhältnis größere Raten an Delinquenz (Kazdin, 1987). In einer
Studie wurden zwölf verschiedene höhere Schulen auf das Verhalten ihrer Schüler,
unter anderem auf deren Bereitschaft zur Mitarbeit, Fortsetzung der Schule,
Delinquenzraten und schulische Leistungen untersucht (Kazdin, 1987).
Verschiedene Faktoren beeinflußten die Ergebnisse vorteilhaft. Dazu gehörten
Betonung der Schulleistungen, Zeit des Lehrers in den Stunden, Lob und Würdigung
der Schularbeiten vom Lehrer, die Betonung der individuellen Verantwortung der
Schüler, gute Arbeitsbedingungen (saubere Klassenräume, Möbel, die in Ordnung
sind), Verfügbarkeit des Lehrers, um auf die Probleme der Schüler einzugehen und
konsistente Lehrererwartungen. Steinhausen (1996) dagegen weist darauf hin, daß
Schulen durch ihre innere Organisation und ihr Klima eigenständig dazu beitragen,
daß Kinder die Schule schwänzen, eine brüchige Arbeitsmotivation entwickeln und
die Schulräume verwüsten.
36
Remschmidt, Schmidt und Strunk (1990, zitiert in Möller-Nehring et al., 1998) fassen
die Risikofaktoren für die Neigung zu gestörtem und aggressivem Verhalten in einer
Arbeit für die Gewaltkommission der Bundesregierung folgendermaßen zusammen:
♦ männliches Geschlecht,
♦ Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene,
♦ Kinder aus sozial randständigen Familien,
♦ arbeitslose und minderbegabte Jugendliche ohne Schulabschluß,
♦ Teilleistungsschwächen und neurophysiologische Auffälligkeiten,
♦ Einfluß der Massenmedien,
♦ Kinder, die frühzeitig antisoziales Verhalten zeigen,
♦ hyperkinetische Kinder,
♦ Einfluß von Alkohol und Drogen,
♦ negative Gruppeneinflüsse.
VI.11. Adoption
In einer Studie von Schleiffer (1993) wurden dissoziale adoptierte Jugendliche mit
nichtadoptierten dissozialen Jugendlichen verglichen. Zwei Ergebnisse waren dabei
besonders interessant. Zum einen bestand bei den adoptierten Patienten eine noch
ausgeprägtere Störung des Sozialverhaltens. Sie zeigten vermehrt rein
externalisierte Störungsmuster mit weniger assoziierten Störungen. Zum anderen
handelte es sich bei ihnen um eine Gruppe mit deutlich geringer vorhandenen
Risikofaktoren für die Entwicklung dissozialer Störungen. Sie waren insgesamt
intelligenter, wiesen seltener Teilleistungsschwächen auf und kamen fast durchweg
aus sogenannten vollständigen Familien, deren sozioökonomischer Status zudem
deutlich höher war als bei der Kontrollgruppe. Ihre Eltern waren durchschnittlich älter
und verfügten über ein höheres Ausbildungsniveau. Die Kinderzahl in
Adoptivfamilien war zudem geringer. Im Vergleich zu den Eltern der Kontrollgruppe
gaben die Adoptiveltern ihren Kindern vermehrte Anregungen und förderten sie
besser, ohne sie jedoch zu überfordern. Es fand sich außerdem ein Zusammenhang
zwischen einem späteren Adoptionszeitpunkt und einer Heimeinweisung. Die
Autoren vermuten, daß zwischen den Kindern und ihren Adoptiveltern eine
geringere Bindungsstärke bestand. Dafür sprach auch, daß die frühadoptierten
Patienten sich seltener in einem Heim befanden, obwohl ihr aggressives Verhalten
sich vor allem gegen ihre Eltern richtete, während dies bei den spätadoptierten
Jugendlichen seltener der Fall war. Die Autoren zogen daraus den Schluß, daß,
auch wenn die Adoption für die meisten betroffenen Kinder eine gute Erfahrung
bedeutete, nicht übersehen werden sollte, daß einige Adoptivkinder mit dieser
Situation nicht gut zurechtkommen.
Einige Risikofaktoren, wie die familiäre Situation, Alkoholismus der Eltern oder die
soziale Schicht und deren Zusammenhang mit dem Auftreten einer Störung des
Sozialverhaltens sollen in dieser Diplomarbeit untersucht werden.
37
VII. Erklärungsansätze
Zu diesem Thema gibt es viele unterschiedliche Theorien, welche in dieser Arbeit
nicht alle Berücksichtigung finden können. Auch die Ansätze, die in diesem Kapitel
betrachtet werden, sind nur kurz geschildert, um einen Einblick zu geben, wie
Störungen des Sozialverhaltens entstehen können. Für einen detaillierteren
Überblick wird auf die Artikel von Herbert (1978), Achenbach (1982) und Myscker
(1993) verwiesen.
Es werden sowohl Ansätze genannt, die sich mit der genetischen oder biologischen
Verursachung beschäftigen, als auch Theorien, die sich mit den
Umgebungseinflüssen befassen. Die Erblichkeit der SSV wurde unter anderem mit
Adoptionsstudien untersucht. Zu den Umgebungseinflüssen zählen viele der im
Kapitel „Risikofaktoren” behandelten Punkte, in dem auch Zusammenhänge
aufgezeigt wurden.
VII.1. Personenspezifische, biologische Prädispositionen
Die Forschung an antisozialen Erwachsenen zeigt eine Besonderheit, die bereits in
der Kindheit auffällig ist: Menschen mit antisozialen Verhaltensweisen haben
weniger Angst als andere, und sie sind schlechter in der Lage aus Bestrafung zu
lernen. Außerdem zeigen sie in Experimenten eine größere Toleranz gegenüber
Schmerzreizen als andere, wenn sie dafür eine Belohnung erhalten (Achenbach,
1982).
Nach Eysenck ist das Vorliegen personenspezifischer, biologischer Prädispositionen
und aus ihnen resultierende Temperamentseigenarten dafür verantwortlich, daß
Menschen unterschiedlich sind und ebenso unterschiedliche psychische Störungen
entwickeln. Eysenck versuchte diese Unterschiede in der spezifischen
Konditionierbarkeit von Personen mit seinen Persönlichkeitsdimensionen
„Extraversion”, „Introversion” und „Neurotizismus” und „Psychotizismus”
aufzuklären. Primäre Psychopathie soll danach in der Hauptsache auf einen
genetisch prädisponierten „Psychotizismus” und erhöhter „Extraversion” bezogen
sein, sekundäre Psychopathie vor allem auf hohen „Neurotizismus” und hoher
„Extraversion”. Erstere Konstellation erkläre vor allem genetische Einflüsse auf eine
spätere Entwicklung antisozialer Persönlichkeitsmuster. Die Betroffenen hätten
typischerweise ein niedriges Angstniveau und seien unempfänglich für Drohungen
und Bestrafungen. Bei der letzteren, sekundären Psychopathievariante zeige sich,
wegen einer konzeptuell erwartbaren geringeren Konditionierbarkeit, zugleich eine
weniger ausgeprägte Lernfähigkeit.
38
Kinder lernen normalerweise im Laufe ihrer Gewissensbildung antisoziale
Reaktionen zurückzuhalten (zu hemmen), wobei das Gewissen als aus einer Reihe
konditionierter Reaktionen auf Reize, die mit antisozialem Handeln verknüpft sind,
bestehend aufgefaßt wird. Diese Gewissensbildung beruht auf einer geglückten
Interaktion der individuellen Persönlichkeitsvoraussetzungen (Prädispositionen) mit
der sozialen Umwelt (Milieu-Faktoren). Für das Mißlingen wird die schlechtere
Konditionierbarkeit der Menschen verantwortlich gemacht, die zur primären oder
sekundären Psychopathie veranlagt sind. Die schlechte Konditionierbarkeit ist der
zentrale Mechanismus zur Entwicklung dissozialer Neigungen. Für Menschen, die
delinquente und kriminelle Neigungen entwickeln und dabei gut konditionierbar sind,
schlägt Eysenck eine dritte Erklärungsmöglichkeit vor, die er als „Antisozialisation”
bezeichnet. Damit meint er Kinder, die ihre dissozialen Handlungen schlicht von
dissozialen Eltern lernen, ohne daß eine entsprechende Temperamentsausstattung
im Sinne einer antisozialen Persönlichkeitsstörung vorliegen muß.
VII.2. Genetische Einflüsse
Hersen und Last (1990) berichten über Adoptionsstudien, in denen
Umgebungseinflüsse kontrolliert wurden. Diese Studien zeigen, daß, ungeachtet der
kriminellen Aktivitäten von Adoptiveltern, Kinder von nichtkriminellen, leiblichen
Eltern am wenigsten delinquentes Verhalten aufweisen, während Kinder von
kriminellen Eltern, die bei ebenfalls kriminellen Adoptiveltern leben, am
wahrscheinlichsten ebenfalls kriminelles Verhalten entwickeln. Kinder, deren
leibliche Eltern kriminell sind, deren Adoptiveltern keine kriminellen
Verhaltensweisen zeigen, liegen zwischen den beiden anderen Gruppen.
Diese Befunde deuten darauf hin, daß genetische Ursachen durchaus eine Rolle
spielen in der Verursachung dissozialer Störungen, aber immer auch in Verbindung
stehen mit Umweltfaktoren.
Petermann und Warschburger (1996) berichten, daß immer wieder eine familiäre
Häufung von externalisierenden Störungen beobachtet wurde. Eltern von Kindern
mit einer Störung des Sozialverhaltens blicken überzufällig häufig auf eine ähnliche
Entwicklungsgeschichte zurück.
Zwillingsstudien haben in bezug auf Kriminalität und antisoziales Verhalten eine
größere Übereinstimmung zwischen monozygoten Zwillingen als zwischen dizygoten
Zwillingen gefunden (Herbert, 1979, Kazdin, 1987).
VII.2.1. Chromosomale Abweichungen
Die XYY-Theorie besagt, daß ein zusätzliches männliches Chromosom Männer
prädisponiert, antisoziales Verhalten und speziell Aggression zu entwickeln. Diese
Annahme stützt sich auf den Befund, daß ein hoher Anteil von Männern mit dieser
Anomalie in Strafinstitutionen zu finden ist. Es zeigte sich jedoch in weiteren
Untersuchungen, daß die weitaus größere Mehrheit von Kindern mit SSV keine
39
solche Chromosomenanomalie aufweist und daß die meisten Menschen mit einer
XYY-Chromosomenstörung nicht übermäßig aggressiv sind (Herbert, 1978).
VII.2.2. Biochemische Unterschiede
Einige Studien untersuchen biochemische Verursachungsmechanismen. Bei
gewalttätigen, delinquenten Jugendlichen wurde im Vergleich zu normalen
Kontrollpersonen ein erhöhtes Niveau des Plasmatestosteronspiegels gefunden. Bei
normalen Personen ist Testosteron korreliert mit einer niedrigen Frustrationstoleranz
und Selbstberichten über verbale und körperliche Aggression, teilweise als Reaktion
auf Provokation. Es ließ sich aber in der Forschung kein Zusammenhang zwischen
Testosteron und antisozialem Verhalten wie Diebstahl, Betrug oder Zerstörung von
Eigentum finden (Kazdin, 1987).
Trotzdem schlägt Robins (1991) vor, wegen des starken Zusammenhangs zwischen
der Störung des Sozialverhaltens und dem Geschlecht, Kinder und Jugendliche
genauer auf männliche Hormone zu untersuchen. Sie vermutet, daß männliche
Hormone eine Rolle spielen bei der Erklärung warum bei Jungen häufiger eine
dissoziale Störung diagnostiziert wird.
VII.3. Lerntheoretische Erklärungen
Nach lerntheoretischen Erkenntnissen ist jedes Verhalten (angepaßtes wie
unangepaßtes) auf die gesetzmäßige Realisation der Prinzipien der Verstärkung
und Löschung in Verbindung mit Anlagebedingungen und kognitiven Prozessen
bzw. Selbstbestimmungstendenzen zurückzuführen. Schon das Kleinkind übernimmt
in diesem Sinne die Normen der Bezugspersonen, indem sozial inadäquate
Verhaltensweisen von den relevanten Bezugspersonen mißmutig oder strafend
beantwortet werden. Dies löst beim Kind Unbehagen oder gar Schmerz aus, was
dazu führt, daß bei einer engen Verbindung des sozial inadäquaten Verhaltens mit
den unangenehmen Reaktionen, künftig bereits das sozial unangemessene
Verhalten unangenehme Reaktionen auslöst. Um diese unangenehmen Reaktionen
zu vermeiden, verhält sich das Kind „automatisch” sozial angemessen, d. h. sein
Gewissen steuert es im Sinne sozial adäquaten Verhaltens. Als sozial angemessen
muß dabei das Verhalten verstanden werden, das dem der sozialen Bezugsgruppe
entspricht. Dieses kann in Relation zur Gesamtgesellschaft auch abweichend oder
delinquent sein, so daß sich entsprechende Verhaltensbereitschaften schon früh
ausbilden können. Außerdem kann sich Aggressivität als sozial inadäquate
Verhaltensweise etablieren, weil Aggression, durch welche die eigenen Bedürfnisse
befriedigt und die Bedürfnisse anderer in schädigender Weise eingeschränkt werden
können, durch Anerkennung aus der Umwelt fremdverstärkt und durch eigene starke
Erfolgserlebnisse selbstverstärkt wird. Weiterhin können Verhaltensweisen über das
Modellernen übernommen werden.
40
Aus soziologischer Sicht bestimmen vor allem soziokulturelle Faktoren die
Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen. Verhaltensstörungen werden in
Abhängigkeit von fixierten und unausgesprochenen Regeln gesehen. Kinder und
Jugendliche, die gegen diese Regeln verstoßen, werden als sozial abweichend
bezeichnet.
Aus pädagogischer Sicht werden Verhaltensstörungen als das Ergebnis eines
Interaktionsprozesses zwischen dem genetisch einzigartigen Kind mit seinen
individuellen Tendenzen und ganz spezifischen Gegebenheiten in der Umwelt
aufgefaßt. Ein inegaler Erziehungsstil mit wechselnden Erziehungspraktiken kann
dazu führen, daß das Kind keine überdauernden Einstellungen findet; sich auf
Erwartungen nicht ausrichten kann. Es reagiert mit Unsicherheit, mit Angst,
Nervosität; es versucht, übergefügig zu sein und es allen recht zu machen oder die
Erzieher gegeneinander auszuspielen. Zurückweisung macht es dem Kind
unmöglich,
Urvertrauen
zu
entwickeln.
Verlassenheitsund
Minderwertigkeitsgefühle, verbunden mit übersteigertem Selbstbehauptungsstreben
und Bindungsschwäche können sich in berechnenden, aggressiv-grausamen,
unsozialen und kriminellen Verhaltensweisen äußern (Myschker, 1993).
Viele der im Kapitel „Risikofaktoren” dargestellten Punkte stellen Umwelteinflüsse
dar. Hieraus wird deutlich, daß, wie auch immer die tatsächlichen Wirkmechanismen
sind, der Einfluß in diesem Bereich sehr stark ist.
VII.4. Antisoziales Verhalten als Kompetenz
Merkmale wie mangelnde Angst und Furchtlosigkeit oder die mangelnde Fähigkeit
sich in andere hineinzuversetzen können in manchen Situationen durchaus von
Vorteil sein. In diesem Zusammenhang sei auf Entdecker und Abenteurer oder
auch erfolgreiche Politiker hingewiesen, bei denen sich oft ebenfalls solche
Eigenschaften finden lassen. Gerade diese Eigenschaften sind es, die diese
Menschen oft erst erfolgreich machen und die es ihnen ermöglichen sich gegenüber
anderen durchzusetzen (Fiedler, 1997). Ein Kind, das antisoziales Verhalten zeigt,
nutzt dieses möglicherweise ebenfalls, um sich in einer schwierigen Umwelt
durchzusetzen.
VII.5. Fazit
All diese Erklärungsansätze sind nachvollziehbar, aber keiner von ihnen vermag
hinreichend zu klären, warum sich gerade eine Störung des Sozialverhaltens
entwickelt.
41
Der Ansatz von Eysenck über eine personenspezifische Prädisoposition will nicht
nur antisoziales Verhalten erklären, sondern versucht die unterschiedlichsten
psychischen Erkrankungen im Rahmen seiner Persönlichkeitstheorie zu erhellen.
Auch ist nicht nachgewiesen, daß Eysencks Konstellation tatsächlich die Entstehung
von antisozialem Verhalten begründet.
Die Theorie, daß chromosomale Abweichungen für die Entstehung von antisozialem
Verhalten verantwortlich sind, konnte nicht bestätigt werden. Ähnliches gilt für den
Einfluß biochemischer Faktoren. Genetische Einflüsse spielen dagegen
nachweislich eine Rolle, aber auch hier deuten die Befunde darauf hin, daß manche
Kinder zwar für eine dissoziale Störung erblich prädisponiert sind, es jedoch
Umwelteinflüsse sind, die bestimmen was aus dieser Anlage wird. Auch
lerntheoretische Erklärungen können nicht nachweislich klären, warum Kinder
gerade eine Störung des Sozialverhaltens entwickeln, obwohl in diesem Ansatz die
Beschreibung der Wirkmechanismen überzeugt.
VIII. Geschlechtsunterschiede
Wie bereits erwähnt, wird bei Jungen sehr viel häufiger eine Störung des
Sozialverhaltens diagnostiziert als bei Mädchen. Es stellt sich die Frage, ob
Mädchen tatsächlich weniger antisoziales Verhalten zeigen als Jungen oder ob
dieses nur anders in Erscheinung tritt. Myschker (1993) nennt einige Befunde, aus
denen hervorgeht, daß Jungen bei Problemen eher mit externalen Störungen
reagieren, also z. B. einer dissozialen Störung, wohingegen Mädchen eher internale
Störungen zeigen (z. B. Angststörungen). Weil Jungen öfter von der Störung
betroffen sind, gibt es über sie auch eine größere Anzahl von Studien im
Zusammenhang mit der Störung des Sozialverhaltens als über Mädchen. Mädchen
werden in gemischten Stichproben zwar mit erhoben, aber es wird in der Regel nicht
nach geschlechtsspezifischem Verhalten untersucht.
Jungen sind bis zu dreimal häufiger auffällig als Mädchen (Steinhausen, 1996).
Sofern Mädchen aggressiv sind, handelt es sich eher um verbale Aggressivität in
Form von Widerspruch, Negativismus und Hänseln (Steinhausen, 1996).
Dieser Geschlechtsunterschied scheint nicht nur darauf zurückzuführen zu sein, daß
man bei Jungen geneigter ist, die Diagnose SSV zu stellen, wohingegen Mädchen
ein solches Verhalten weniger zugetraut wird. In Untersuchungen, in denen von
männlichen und weiblichen Jugendlichen Selbstangaben zu antisozialem Verhalten
gemacht wurden, stellte sich heraus, daß männliche Jugendliche häufiger über
solches Verhalten berichten als weibliche (Kazdin, 1990).
Robins (1991) gibt zu bedenken, daß die erheblichen Differenzen in der Anzahl der,
von einer Störung des Sozialverhaltens betroffenen Jungen und Mädchen schon
daraus resultieren, daß bereits bei der Erneuerung der Kriterien für diese Störung,
bei der Erstellung des DSM-III-R aus dem DSM-III, Symptome, die eher von
Mädchen gezeigt werden, fallen gelassen wurden, so daß eine größere Proportion
42
von gewaltbezogenen Symptomen besteht. Deshalb ist die DSM-III-R-Version der
Störung mehr auf Jungen ausgerichtet. Craig und Pepler (1997) berichten, daß die
Kriterien des DSM-IV vorwiegend aus Studien abgeleitet sind, die sich auf eine
männliche Stichprobe beziehen.
In der Klassifikation der Entwicklungsverläufe von Delinquenz im Jugendalter wird
zwischen zwei Entwicklungstypen unterschieden. Beim aggressiv-vielschichtigen
Typ (A) liegt in der Regel eine lange Entwicklungslinie vor, in der sich aggressives
und verdeckt aggressives Verhalten häufig auch mit Zeichen einer hyperkinetischer
Störung verbinden. Diese Jugendlichen haben beträchtliche soziale Beziehungsund Leistungsstörungen. Ihr delinquentes Verhalten äußert sich in verschiedenen
sozialen Kontexten in erheblicher Variationsbreite. Hier überwiegt das männliche
Geschlecht; die Remissionsrate ist niedrig. Der nicht-aggressive Typ (B) beginnt in
der Regel viel später. Hier stehen Eigentumsdelikte, Lügen, Streunen und
Drogenmißbrauch im Vordergrund. Häufig sind die sozialen Beziehungen stabil,
wobei viele delinquente Handlungen in der Gruppe erfolgen. Im Vergleich zum
aggressiv-vielschichtigen Typ ist der Anteil von Mädchen höher (Steinhausen,
1996).
Es gibt aber auch Autoren, die ein etwas anderes Bild von der
geschlechtsspezifischen Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens
zeigen. Craig und Pepler (1997) berichten über Studien, die bei jüngeren Kindern
ebenfalls finden, daß die Auftretensrate bei Jungen ungefähr doppelt so hoch ist wie
bei Mädchen. Sie berichten aber weiterhin, daß die Auftretensrate bei Jungen mit
zunehmendem Alter immer weiter abnimmt, während die Mädchen die höchste
Auftretensrate erst im Alter von 16 Jahren haben. Eppright et al. (1993) finden in
ihrer Studie keinen Zusammenhang zwischen einer dissozialen Störung und dem
Geschlecht.
Myschker (1993) geht davon aus, daß geschlechtsspezifische Unterschiede im
wesentlichen auf Sozialisationsbedingungen zurückzuführen sind. Jungen werden
noch häufig von klein auf darin bestärkt, egoistische Tendenzen zu leben, sich in
den Vordergrund zu spielen, Probleme zu externalisieren; Mädchen hingegen darin,
altruistisch, mütterlich zu sein, sich zurückzuhalten, Probleme zu internalisieren. So
ist zu sehen, daß Mädchen mehr zu Konformität angehalten und mit ihren
Verhaltensstörungen nicht so auffällig werden wie die Jungen, da
externalisierendes, ausagierendes Verhalten, wenn es einen gewissen
Schwellenwert überschreitet, weit weniger toleriert wird als internalisiertes,
resignatives Verhalten.
Petermann und Warschburger (1996) berichten von Ergebnissen, die davon
ausgehen, daß ungefähr neun Prozent der Jungen im Vergleich zu zwei Prozent der
Mädchen unter 18 Jahren an einer SSV leiden. Sie führen die
geschlechtsspezifischen
Unterschiede
auf
die
unterschiedlichen
Erscheinungsformen aggressiven Verhaltens zurück. Jungen bevorzugen mit
direkter körperlicher Aggression (wie z. B. sich zu prügeln) Verhaltensweisen, die
objektiv leicht beobachtet und als gestörtes Sozialverhalten bewertet werden
43
können. Bei Mädchen dagegen ist das aggressive Verhalten weniger gut
beobachtbar. Es erfolgt in erster Linie indirekt, indem beispielsweise Gerüchte über
andere verbreitet werden.
Unter den registrierten rechtswidrigen Handlungen von Kindern und Jugendlichen
machen Eigentumsdelikte, gefolgt von Sachbeschädigungen den weitaus größten
Anteil aus. Specht (1985) gibt nach einer Statistik von 1978 an, daß Jungen im
Kindesalter eher Sachbeschädigungen vornehmen als Mädchen (14,1% vs 5,4%)
und eher Diebstähle unter erschwerenden Umständen begehen (22,7% vs 6,5%);
Mädchen dagegen wagen eher Diebstähle unter erschwerenden Umständen (78,3%
vs 58,6%), bei denen eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, entdeckt zu werden.
Es folgen bei Kindern Brandstiftungen, bei männlichen Jugendlichen
Körperverletzungen und bei weiblichen Jugendlichen Betrug und Rauschgiftdelikte.
Auch hier läßt sich eine Tendenz der Jungen zu offener und der Mädchen zu
verdeckter Aggressivität erkennen.
Robins (1966) berichtet in ihrer Studie, daß die Mädchen, die in die Klinik kamen,
unter sehr viel gestörteren Bedingungen aufgewachsen waren als die Jungen. Die
Eltern litten häufiger unter psychiatrischen Störungen und es bestand häufiger eine
finanzielle Abhängigkeit. 28% der Jungen lebten zu der Zeit, als sie in die Klinik
kamen in einem Waisenhaus oder einer Pflegestelle und sogar 47% der Mädchen.
Weiterhin zeigt sich in dieser Studie, daß Jungen, die wegen antisozialem Verhalten
in die Klinik eingewiesen worden waren, häufiger Diebstähle begangen hatten.
Mädchen dagegen wurden eher mit Symptomen wie Unverbesserlichkeit (beinhaltet
Verhalten wie Ungehorsam gegenüber den Eltern, zu spät nach Hause kommen,
Weigerung zu arbeiten oder zu Hause zu helfen) oder sexuellen Vergehen
eingewiesen.
Entweder war es so, daß der familiäre und situative Druck bei Mädchen sehr viel
stärker sein mußte, um eine Störung hervorzurufen, oder es bestand eine größere
Sensibilität bei Störungen von Jungen, so daß nur die extremst gestörten Mädchen
zur Behandlung geschickt wurden (Robins, 1966).
In der Untersuchung von Hebborn-Brass (1991) finden sich ebenfalls mehr Jungen
als Mädchen mit einer Störung des Sozialverhaltens. Dabei muß aber berücksichtigt
werden, daß sich insgesamt mehr Jungen als Mädchen in der Einrichtung befunden
haben. Die Studie berichtet über 268 Kinder und Jugendliche, die sich zwischen
1968 und 1985 in einer heilpädagogisch-psychotherapeutischen Heimeinrichtung
befanden, davon waren 202 Heimbewohner männlich und 66 weiblich. 55 Jungen
zeigen eine dissoziale Störung, bezogen auf die Gesamtstichprobe sind das 20%.
23 Mädchen weisen eine ebensolche Störung auf, das sind 8,5% der
Gesamtstichprobe. Berechnet man allerdings den Anteil dissozialer Störungen
bezogen auf den Anteil männlicher und weiblicher Heimbewohner ergibt sich ein
anderes Bild: 34% der Mädchen sind von der Störung betroffen und 27% der
Jungen.
44
Es stellt sich die Frage, ob die Störung, wenn sie bei Mädchen auftritt, ernster ist als
bei Jungen. Studien, die beide Geschlechter untersucht haben, deuten nicht darauf
hin, daß die Prognose für Mädchen schlechter ist als für Jungen. Es zeigt sich, daß
Aggressivität nicht nur häufiger bei Jungen auftrat, sondern auch, daß Aggressivität
bei Jungen eine bessere Vorhersage auf das Vorhandensein von Aggressivität im
Alter von 19 Jahren und Delinquenz im Alter von 17 Jahren ermöglichte als bei
Mädchen.
Wenn Kinder delinquentes Verhalten gezeigt hatten, war es
wahrscheinlicher für Jungen als für Mädchen, daß sich solches Verhalten
wiederholte (Robins, 1986).
Andere Ergebnisse dagegen zeigen keine Unterschiede hinsichtlich des
Geschlechts. Sie gehen davon aus, daß Verhaltensstörungen bei beiden
Geschlechtern eine ähnliche Kontinuität vorhersagen (Robins, 1986).
Es gibt aber auch Studien, die einen schlechteren Verlauf bei Mädchen als bei
Jungen gefunden haben. Unter Kindern, die wegen Aggressivität in ein Krankenhaus
eingewiesen wurden und bis in das frühe Erwachsenenalter verfolgt wurden, zeigten
Mädchen schlechtere Ergebnisse als Jungen (Robins, 1986).
Eine weitere Frage ist, ob die Verläufe bei Mädchen die gleichen sind wie bei
Jungen. Die meisten Studien, welche Verläufe bei beiden Geschlechtern untersucht
haben, sind von Symptomen ausgegangen, die von Jungen bekannt sind. Hierbei
handelt es sich eher um externale Verhaltensweisen wie z. B. Rauchen, Trinken,
Delinquenz und Aggression. Dabei hat sich bereits in einer Studie von Robins
(1966) gezeigt, daß Mädchen mit antisozialem Verhalten als Erwachsene eine
erhöhte Auftretensrate von Hysterie, Angststörungen und Depression aufweisen.
Dies war bei männlichen Patienten nicht der Fall. In dieser Studie zeigte sich
ebenfalls, daß Jungen und Mädchen mit antisozialem Verhalten als Erwachsene
auch in anderen Lebensbereichen ganz unterschiedliche Probleme hatten. So
besteht die Möglichkeit, daß kindliche Verhaltensstörungen bei Mädchen andere
Verläufe und nicht unbedingt bessere vorhersagen als bei Jungen (Robins, 1986).
Mädchen zeigen antisoziales Verhalten im Durchschnitt später als Jungen (Robins,
1966). Dieser Befund wurde in der ECA-Studie bestätigt. Neun von zwölf
antisozialen Verhaltensweisen, die untersucht wurden, begannen bei Mädchen
später als bei Jungen. Die größte Altersdifferenz bestand hinsichtlich sexueller
Erfahrungen, welche bei Mädchen ungefähr eineinviertel Jahre später begannen.
Die Verhaltensweisen, die früh bei Jungen entstehen, sind die gleichen wie die, die
früh bei Mädchen auftreten. Lügen und mangelnde schulische Disziplin sind bei
beiden Geschlechtern in frühem Alter zu finden, während Verhaftungen und
Substanzmißbrauch als letztes vorkommen (Robins, 1986). Es konnten aber auch
vier Verhaltensweisen identifiziert werden, die bei Jungen einen höheren Rang
einnahmen als bei Mädchen: Vandalismus, Probleme mit schulischer Disziplin,
Prügeln und Stehlen. Demgegenüber gab es drei Verhaltensweisen, die bei
Mädchen einen höheren Rang einnahmen: Lügen, Weglaufen und
Substanzmißbrauch. In dieser Studie zeigte sich weiterhin, daß Mädchen, wenn sie
ebensoviele Symptome gezeigt hatten wie Jungen, als Erwachsene weniger häufig
eine antisoziale Persönlichkeitsstörung und Alkoholismus entwickelten, dafür aber
45
häufiger sogenannte typisch weibliche Störungen wie Depression, psychosexuelle
Dysfunktion und Phobien.
Maccoby (1986) versucht die Geschlechtsunterschiede von einem anderen
Gesichtspunkt aus zu betrachten. Sie geht davon aus, daß Jungen und Mädchen
sich innerhalb ihrer sozialen Gruppe anders kontrollieren. Ein Mädchen riskiert
Ächtung und den Verlust hochgeschätzter Freundschaften, wenn sie Uneinigkeit
oder sogar Feindseligkeit zu offen zeigt. Ein Junge, der ein ähnliches Verhalten
zeigt, riskiert dagegen nicht gleich den Ausschluß aus der Gruppe. Kämpfen ist bei
Jungen oft Teil des Prozesses, eine hohe Rangposition innerhalb der
Gruppenhierarchie zu erzielen. Es muß allerdings in der Regel mit positiven
Führungsqualitäten einhergehen, um die Position aufrecht zu erhalten. Die Kontrolle
aggressiven Verhaltens scheint bei Mädchen sehr viel strenger zu sein als bei
Jungen, wo sie als Mittel zum Zweck eingesetzt wird. So bewegen sich Jungen
näher an der Grenze zwischen sozial akzeptierter Aggression und nicht-akzeptierter
Gewalt. Dasselbe gilt für risikoreiches und wettbewerbsorientiertes Verhalten.
Jungenspiele sind risiko- und konkurrenzreicher als Mädchenspiele. Weiterhin
spielen Jungen häufiger in größeren sozialen Gruppen und weiter außerhalb des
Elternhauses, so daß sie weniger gut zu überwachen sind als Mädchen.
Maccoby gibt weiter zu bedenken, daß man zwischen offenem und verdecktem
antisozialen Verhalten unterscheiden sollte. Offenes Verhalten umfaßt Aggression
(vor allem nicht provozierte Aggression), Wutausbrüche, Ungehorsam und
Hyperaktivität. Das verdeckte Cluster beinhaltet Stehlen, Lügen, Schulschwänzen
und von zu Hause weglaufen. Dabei sind die verdeckten Verhaltensweisen am
ehesten die, die bei Jungen am häufigsten zum Anschluß an eine delinquente Peergroup führen.
Weiterhin berichtet sie, daß eine geringe Frustrationstoleranz und andere Formen
von Impulsivität häufiger bei Jungen zu finden sind.
Ein Risikofaktor, über den bereits berichtet wurde, ist das Temperament. Hierzu
erwähnt Maccoby (1986) eine Untersuchung von Bates (1980). Dieser hat
herausgefunden, daß in seiner Stichprobe männliche und weibliche Kleinkinder bis
zu einem Alter von 18 Monaten keine Geschlechtsunterschiede zeigten hinsichtlich
eines schwierigen Temperaments. Im Alter von zwei Jahren zeigte sich aber, daß
schwierige Mädchen ihr Verhalten gemäßigt hatten und eine angenehme Beziehung
zu ihren Bezugspersonen aufgebaut hatten, wohingegen die meisten schwierigen
Jungen ihr Verhalten beibehalten hatten.
Es gibt nur wenige Studien, die ausschließlich Mädchen mit Störungen des
Sozialverhaltens untersuchen, weshalb auf eine solche nachfolgend näher
eingegangen wird.
Zoccolillo und Rogers (1991) untersuchten 55 jugendliche Mädchen zwischen 13
und 16 Jahren mit einer Störung des Sozialverhaltens und suchten sie zwei bis vier
Jahre später erneut auf, um zu sehen wie die Störung verlaufen ist. Die Mädchen
46
wiesen verschiedene Symptome mit unterschiedlicher
Symptome, die erhoben wurden, waren folgende:
Häufigkeit
auf.
Die
♦
♦
♦
♦
♦
♦
♦
♦
♦
♦
♦
ständige Regelverletzung in der Schule
73%
chronisches Lügen
67%
schlechter Schulabschluß
60%
zwei oder mehr Kämpfe
49%
wiederholte Trunkenheit oder Substanzmißbrauch 42%
Weglaufen von zu Hause über Nacht
40%
mehr als ein Diebstahl
36%
ständige Regelverletzung zu Hause
35%
Schulausschluß
31%
Delinquenz
24%
Promiskuität (drei oder mehr Sexualpartner
oder Sex für Geld oder Drogen)
22%
♦ -Schulschwänzen (mindestens fünf Schultage)
15%
♦ -Vandalismus
13%.
Die durchschnittliche Anzahl von Symptomen betrug fünf, bei einer Bandbreite
zwischen null und zwölf. 67% der Mädchen wiesen drei oder mehr Symptome auf
und 60% fünf oder mehr.
24% der Probandinnen wurden von der Polizei verhaftet oder hatten Kontakt zu
einem Jugendgericht. Gründe hierfür waren Fortlaufen von zu Hause, der Gebrauch
des Familienautos, Kämpfen mit der Mutter und Fortlaufen, Zusammensein mit
Freunden, die stehlen, Angriff auf einen Polizisten, Fortlaufen und einen LKW
stehlen, Diebstahl und Weglaufen. In einem Fall wurde eine Dreizehnjährige
verhaftet, nachdem ein Kind, auf das sie aufgepaßt hatte, gestorben war.
Zum Nacherhebungszeitpunkt waren drei der Probandinnen gestorben (6%). Das
war, verglichen mit der durchschnittlichen Todesrate einer nationalen
Vergleichsstichprobe von 1987, die bei 0,034% lag, relativ hoch.
Nur 12% der Stichprobe entwickelte sich normal. Normal wurde in der Studie
definiert mit: Schule erfolgreich beendet, nicht schwanger geworden vor dem 17.
Lebensjahr, kein Kontakt mit der Justiz, nicht aus einer Anstellung entlassen worden
und nicht in ein Heim oder einer anderen Einrichtung aufgenommen worden.
Die anderen Probandinnen wiesen zum Teil erhebliche Schwierigkeiten in
unterschiedlichen Lebensbereichen auf.
Die Autoren ziehen aus dieser Studie verschiedene Schlüsse:
Störungen des Sozialverhaltens sind ein erhebliches gesundheitliches und soziales
Problem bei Mädchen. Die Vernachlässigung durch die Forschung ist ihrer Meinung
nach weder durch geringes Auftreten noch durch besseren Verlauf gerechtfertigt.
Sie bezeichnen die Störung des Sozialverhaltens als zweithäufigste Störung unter
jugendlichen Mädchen.
Aufgrund der Tatsache, daß sich alle von ihnen untersuchten Mädchen in
Behandlung befanden und trotzdem keinen positiven Verlauf zeigten, kamen
47
Zoccolillo und Rogers zu dem Schluß, daß bestehende Behandlungsmaßnahmen
ineffektiv sind.
IX. Fragestellung
In dieser theoretischen Einleitung ist deutlich geworden, daß bereits eine Vielzahl
von Kenntnissen über unterschiedliche Aspekte der Störung des Sozialverhaltens
existieren. Es zeigt sich aber, daß man im epidemiologischen Bereich sehr
unterschiedliche Daten findet. Einige Befunde zeigen, daß die Häufigkeit der
Störung des Sozialverhaltens in klinischen Stichproben zwischen einem Drittel und
der Hälfte liegt (Coid, 1993). Allerdings gibt es wenige Untersuchungen, die sich
damit beschäftigen wie oft dieses Störungsbild in Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe auftritt, obwohl sich vermuten läßt, daß dieses Störungsbild dort gehäuft
anzutreffen ist.
Diese Annahme wird durch den Befund von Hebborn-Brass (1991) gestützt, der
besagt, daß bei 29% der Kinder und Jugendlichen in einem heilpädagogischpsychotherapeutischen
Kinderheim
eine
Störung
des
Sozialverhaltens
nachgewiesen wurde. Desweiteren kann man davon ausgehen, daß Kinder und
Jugendliche, die sich in einer solchen Einrichtung befinden, vorher in der Regel
einigen der oben beschriebenen Risikofaktoren ausgesetzt waren.
In dieser Arbeit wird beispielhaft an einer privaten Einrichtung der Kinder- und
Jugendhilfe, die Häufigkeit mit der die Störung des Sozialverhaltens in diesem
Bereich auftritt untersucht.
Es ergibt sich folgende Fragestellung:
Wieviele Kinder und Jugendliche der Einrichtung zeigen eine Störung des
Sozialverhaltens oder haben sie zu einem früheren Zeitpunkt gezeigt?
Desweiteren soll auf die Komorbidität dieses Störungsbildes eingegangen werden.
Neben der Störung des Sozialverhaltens werden folgende Störungsbilder des
Kindes- und Jugendalters erhoben:
♦ Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung
♦ Störungen der Ausscheidung (funktionelle Enuresis/Enkopresis)
48
♦ affektive Störungen (depressives Syndrom, dysthymes Syndrom)
♦ Angststörungen (Störung mit Trennungsangst, Paniksyndrom mit/ohne
Agoraphobie, Agoraphobie ohne Anamnese eines Paniksyndroms, spezifische
Phobie, Sozialphobie, Zwangssyndrom, generalisiertes Angstsyndrom,
posttraumatische Belastungsstörung)
♦ Eßstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa)
♦ Hinweise auf Substanzmißbrauch und -abhängigkeit.
Die Fragestellung hierzu lautet:
Welche anderen Störungsbilder gehen mit dem Auftreten einer Störung des
Sozialverhaltens einher?
Wie in Kapitel VI gezeigt wurde, gehören Alkoholabhängigkeit und Trennung der
Eltern zu den Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer Störung des
Sozialverhaltens fördern können. Ebenso ist deutlich, daß antisoziales Verhalten
eher in der unteren sozialen Schicht zu finden ist. Deswegen soll untersucht werden,
ob sich die Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens zeigen oder gezeigt
haben, hinsichtlich dieser Risikofaktoren von den Kindern unterscheiden, die keine
solche Störung aufweisen.
Die Hypothese hierzu lautet:
Kinder und Jugendliche mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden
sich von Kindern und Jugendlichen, die keine dissoziale Störung zeigen
hinsichtlich einer Alkoholerkrankung der Eltern, des Familienstandes der
Eltern und der sozialen Schicht der Eltern.
X. Methoden
X.1. Erhebungsinstrumente
Die Operationalisierung der Frage nach der Häufigkeit der Störung und der
Komorbidität erfolgte über den Einsatz des Kinder-DIPS (Schneider, Unnewehr &
Margraf, 1995) und der deutschen Version der Child Behavior Checklist (Achenbach
& Edelbrock, 1983, Achenbach, 1991a). Der Kinder-DIPS wurde gewählt, weil er die
Möglichkeit bietet, die bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auftretenden
Störungsbilder nach ICD-10 zu identifizieren. Der „Elternfragebogen über das
Verhalten von Kindern” beinhaltet unter anderem sehr detaillierte Fragen nach den
Symptomen der Störung des Sozialverhaltens, um die es in dieser Arbeit geht.
X.1.1. Kinder-DIPS
Der Kinder-DIPS ist ein strukturiertes diagnostisches Interview bei psychischen
Störungen im Kindes- und Jugendalter. Es dient bei Kindern und Jugendlichen im
49
Alter von ca. sechs bis achtzehn Jahren zur differenzierten Diagnostik, der in diesem
Altersbereich am häufigsten auftretenden psychischen Störungen.
Folgende psychische Störungen werden mit dem Kinder-DIPS diagnostiziert:
1. Expansive Verhaltensstörungen:
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung
Störung des Sozialverhaltens
2. Störungen der Ausscheidung:
Funktionelle Enuresis
Funktionelle Enkopresis
3. Affektive Störungen:
Schweres Depressives Syndrom
Dysthymes Syndrom
4. Angststörungen:
Störung mit Trennungsangst
Paniksyndrom ohne Agoraphobie
Paniksyndrom mit Agoraphobie
Agoraphobie ohne Anamnese eines Paniksyndroms
Spezifische Phobie (eingeschlossen Schulphobie)
Sozialphobie
Zwangssyndrom
Generalisiertes Angstsyndrom
Posttraumatische Belastungsstörung
5. Eßstörungen:
Anorexia nervosa
Bulimia nervosa
6. Hinweise auf Teilleistungsstörungen
7. Hinweise auf Psychosen
8. Hinweise auf Substanzmißbrauch, -abhängigkeit.
Mit dem Kinder-DIPS können einerseits aktuelle Störungsbilder erfaßt werden,
andererseits ist aber auch die Erfassung früherer Symptomatik möglich. In dieser
Arbeit wird jedoch nur bei der Störung des Sozialverhaltens eine frühere Diagnose
mit erfaßt.
Der Kinder-DIPS erlaubt die Kodierung einer Diagnose sowohl nach DSM-IV als
auch nach der ICD-10.
Die Richtlinien des Kinder-DIPS für eine Diagnose sagen aus, daß es für die
Vergabe einer Diagnose erforderlich ist, daß alle Kriterien erfüllt sein müssen. Von
dieser Vorgabe wurde in der vorliegenden Diplomarbeit abgewichen.
Wenn sowohl die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (F91) als auch für
eine hyperkinetische Störung (F90) erfüllt waren, wurde abweichend von den
Forschungskriterien der ICD-10 nicht die Diagnose „Hyperkinetische Störung des
Sozialverhaltens” vergeben, sondern beide Diagnosen einzeln gestellt.
50
Bei der „Emotionalen Störung mit Trennungsangst im Kindesalter” (F93.0) wurde
eine Diagnose abweichend von den Kriterien im Kinder-DIPS auch dann vergeben,
wenn eine „Störung des Sozialverhaltens” diagnostiziert wurde.
Die „Phobische Störung des Kindesalters” (F93.1) wurde auch dann diagnostiziert,
wenn ebenfalls eine „Störung des Sozialverhaltens” vorlag.
Bei der „Sozialen Phobie” wurde eine Diagnose gestellt, auch wenn angegeben
wurde, daß keine deutliche emotionale Belastung vorliegt.
Bei der Abweichung von dem Ausschlußkriterium, daß keine „Störung des
Sozialverhaltens” vorliegen darf, geht es darum, daß in dieser Diplomarbeit
untersucht werden soll, welche Störungsbilder mit dem Auftreten einer dissozialen
Störung einhergehen. Dazu muß es die Möglichkeit geben, alle Diagnosen
unabhängig voneinander zu vergeben. Bei dem Kriterium der deutlichen
emotionalen Belastung geht es darum, daß es bei Kindern unter Umständen der Fall
sein kann, daß sie zwar bei einem Störungsbild deutliche Symptome zeigen, aber
nicht darunter leiden und sich auch in keinem Bereich durch das Auftreten der
Symptome beeinträchtigt fühlen (möglicherweise, weil sie es nicht anders kennen).
Die Diagnose F91.8 „sonstige Störung des Sozialverhaltens” wurde nicht vergeben,
da in der ICD-10 nicht deutlich wird für welche Fälle diese Kategorie vorbehalten ist.
In den Fällen, in denen zwar die allgemeinen Kriterien für eine Störung des
Sozialverhaltens erfüllt sind, die sich aber keiner der Unterkategorien zuordnen
lassen, wird die Diagnose F91.9 „nicht näher bezeichnete Störung des
Sozialverhaltens” vergeben.
Der Kinder-DIPS beinhaltet eine Version für Kinder und eine Version für die Eltern.
In dieser Arbeit wurden die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe der Kinderversion
interviewt. Desweiteren wurden ihre pädagogischen Betreuer mittels der
Elternversion befragt.
Die Diagnosen wurden nach den Kriterien der ICD-10 gestellt.
X.1.2. Child Behavior Checklist
Die deutsche Übersetzung der Child Behavior Checklist (CBCL/4-18) heißt
„Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen”. Bearbeitet
wurde sie von der Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist (1994, 1998).
Der Fragebogen erfaßt das Urteil von Eltern über Kompetenzen,
Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Auffälligkeiten von Kindern und
Jugendlichen im Alter von vier bis achtzehn Jahren.
Der Fragebogen umfaßt folgende Syndromskalen:
1. Gruppe: Internalisierende Auffälligkeiten mit den Skalen
Sozialer Rückzug
Körperliche Beschwerden
Ängstlichkeit/Depressivität
2. Gruppe: Externalisierende Auffälligkeiten mit den Skalen
Dissoziales Verhalten
51
Aggressives Verhalten
3. Gruppe: Gemischte Auffälligkeiten mit den Skalen
Soziale Probleme
Schizoid/Zwanghaft
Aufmerksamkeitsprobleme.
Der Elternfragebogen wurde von den pädagogischen Betreuern der Kinder und
Jugendlichen ausgefüllt. Ausgewertet wird der Fragebogen anhand eines
Profilblattes.
X.1.3. Erhebung der Risikofaktoren
Zur Überprüfung der Hypothese, daß sich Kinder mit einer Störung des
Sozialverhaltens hinsichtlich bestimmter Risikofaktoren von Kindern unterscheiden,
die keine dissoziale Störung zeigen, wurden noch folgende Fragen erhoben:
1. Wie ist der Familienstand der Eltern des Kindes?
Diese Frage trägt dem Umstand Rechnung, daß in der Literatur eine sogenannte
„Broken-home”-Situation immer wieder als Risiko für die Entwicklung einer Störung
des Sozialverhaltens benannt wird. Geschiedene oder getrennt lebende Eltern sind
ein Indikator für eine solche Situation.
2. Ist ein Elternteil (oder beide) an Alkoholismus erkrankt?
Bei diesem Thema geht es darum, daß bei Kindern, bei denen ein Elternteil (oder
beide) Alkoholprobleme zeigen, häufiger mit dem Auftreten einer Störung des
Sozialverhaltens zu rechnen ist, als bei Kindern deren Eltern keine solche
Problematik zeigen.
3. Sind die Eltern Sozialhilfeempfänger?
Diese Frage bezieht sich auf die Tatsache, daß die Störung des Sozialverhaltens
häufiger bei Kindern der unteren sozialen Schicht zu finden ist. Der Erhalt von
Sozialhilfe dient in diesem Fall als Indikator für die Schichtzugehörigkeit.
X.1.4. Durchführungsbedingungen
Jedes Kind wurde einzeln, ohne Beisein eines pädagogischen Betreuers oder
anderer Personen befragt. Ein Problem bestand in der Länge des Intervies, das im
Durchschnitt ungefähr eine Stunde dauert. Einige Kinder, insbesondere Jüngere,
hatten Schwierigkeiten, das Interview vollständig in einer Sitzung zu beantworten. In
diesen Fällen wurde das Interview unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt zu
Ende geführt. Die Erzieher wurden ebenfalls im Einzelinterview befragt. Der
„Elternfragebogen zum Verhalten von Kindern und Jugendlichen” wurde von den
pädagogischen Betreuern selbständig bearbeitet.
52
X.2. Darstellung der Stichprobe
Es wurden 52 Kinder einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe
untersucht. Die Daten wurden in dem Zeitraum von Juli 1999 bis November 1999
erhoben.
X.2.1. Die Einrichtung
Zum Zeitpunkt der Datenerhebung bot die Einrichtung in Niedersachsen insgesamt
80 Plätze an; 32 Plätze im teilstationären Bereich, 42 Plätze in stationären Gruppen
und 6 Plätze in Kinderhoffamilien. Der teilstationäre Bereich teilte sich in fünf
Gruppen auf, in denen sich zum Erhebungszeitpunkt tatsächlich 32 Kinder
befanden. Der stationäre Bereich bestand aus ebenfalls fünf Gruppen mit 34
untergebrachten Kindern und Jugendlichen.
Träger der Maßnahme ist in den meisten Fällen das Jugendamt. In Fällen, bei
denen es sich um geistig behinderte Kinder oder Jugendliche handelt, kann auch
das Sozialamt für die Finanzierung zuständig sein. Die Eltern der untergebrachten
Kinder werden anteilig an den Kosten beteiligt, bestimmt durch deren jeweiligen
finanziellen Hintergrund.
X.2.2. Ausschlußkriterien für eine Aufnahme in die Einrichtung
Kinder oder Jugendliche, die alkohol- oder drogenabhängig sind, werden nicht in die
Einrichtung
aufgenommen.
Desweiteren
ist
starke
Aggressivität
ein
Ausschlußkriterium, denn es muß gewährleistet sein, daß die Kinder und
Jugendlichen in eine Gruppe integrierbar sind.
Die Kinder und Jugendlichen, die sich in der Einrichtung befinden, kommen aus
unterschiedlichen Gründen dorthin. Allen gemeinsam ist jedoch, daß sie Probleme
mit dem Elternhaus haben und deswegen professioneller Hilfe bedürfen.
X.2.3. Die Stichprobe
Alle Eltern, der in den stationären oder teilstationären Gruppen untergebrachten
Kinder wurden schriftlich über die Befragung informiert und um ihr Einverständnis
gebeten. Nicht berücksichtigt wurden die Kinder, die sich in den sogenannten
„Kinderhof-Familien” befanden.
Die Stichprobe für diese Diplomarbeit setzte sich zusammen aus 22 Kindern, die
stationär untergebracht waren und 30 Kindern aus den teilstationären Gruppen.
Elf Kinder nahmen nicht an der Untersuchung teil, weil für sie keine
Einverständniserklärung der Eltern vorlag. Ein Kind verweigerte die Teilnahme an
dem Interview. Zwei Kinder zeigten deutliche Entwicklungsstörungen. Ein Junge mit
53
autistischen Zügen sprach nicht und ein vierjähriges Mädchen war geistig retardiert,
so daß mit beiden Kindern kein Interview durchgeführt werden konnte.
X.2.4. Statistische Auswertung
Die statistische Datenanalyse erfolgte mit SPSS für Windows (Version 8.0 bzw. 9.0).
XI. Ergebnisse
XI.1. Deskriptive Daten der Stichprobe
XI.1.1. Alter und Geschlecht
Von den 52 untersuchten Kindern und Jugendlichen sind 12 weiblich und 40
männlich. Sie sind zwischen 7 und 18 Jahren alt (M = 11,63, SD = 2,88).
XI.1.2. Anzahl der Geschwister und Rangstellung innerhalb der Geschwister
Fünf Kinder (9,6%) haben keine Geschwister. Acht Kinder (15,4%) haben einen
Bruder oder eine Schwester, 13 Kinder (25%) haben zwei Geschwister, 13 Kinder
(25%) haben drei Geschwister, fünf Kinder (9,6%) haben vier Geschwister, ebenfalls
fünf Kinder (9,6%) haben fünf Geschwister, ein Kind (1,9%) hat sechs Geschwister
und zwei Kinder (3,8%) haben sieben Geschwister.
19 Kinder (36,5%) sind die erstgeborenen Kinder in der Familie, 15 Kinder (28,8%)
sind die Zweitgeborenen, zwölf Kinder (23,1%) sind die Drittgeborenen, fünf Kinder
(9,6%) sind die Viertgeborenen und eines (1,9%) ist das fünftgeborene Kind
innerhalb der Rangstellung der Geschwister.
XI.1.3. Schulform
Zwei Kinder (3,8%) besuchen (noch) keine Schule. 15 Kinder (28,8%) gehen in eine
Grundschule, sieben Kinder (13,5%) in eine Hauptschule. 17 Kinder (32,7%)
besuchen
eine
Lernbehindertenschule,
sieben
Kinder
(13,5%)
die
Orientierungsstufe, ein Jugendlicher (1,9%) geht zur Berufsschule, zwei Kinder
(3,8%) befinden sich in einer Tagesbildungsstätte und ein Kind (1,9%) besucht die
Vorschule. Kein Kind besucht ein Gymnasium oder eine Realschule.
XI.1.4. Religionszugehörigkeit
Sieben Kinder (13,5%) gehören keiner Konfession an. 15 Kinder (28,8%) sind
katholisch, 27 (51,9%) sind evangelisch, ein Kind (1,9%) gehört einer anderen
Konfession an und bei zwei Kindern (3,8%) ist die Religionszugehörigkeit nicht
bekannt.
54
XI.1.5. Soziodemographische Daten der Eltern
XI.1.5.1. Familienstand der Eltern
Bei 24 Kindern (46,2%) leben die Eltern zusammen. In 28 Fällen (53,8%) leben die
Eltern getrennt, davon sind 23 Eltern (44,2%) geschieden.
XI.1.5.2. Alkoholkrankheit der Eltern
In vier Fällen (7,7%) ist die Mutter an Alkoholismus erkrankt. Bei zwölf Kindern
(23,1%) ist der Vater Alkoholiker und bei zwei Kindern (3,8%) sind beide Elternteile
betroffen. 34 (65,4%) Kinder haben Eltern, die nicht von der Alkoholkrankheit
betroffen sind.
XI.1.5.3. Soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern
Als Indikator für die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht diente der elterliche
Bezug von Sozialhilfe. Bei getrennt lebenden Eltern wird derjenige Elternteil zur
Beurteilung der sozialen Schicht herangezogen, der das Sorgerecht für das Kind
hat. In 21 Fällen (40,4%) beziehen die Eltern Sozialhilfe, gehören also der unteren
sozialen Schicht an.
XI.2. Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im KinderDIPS
In diesem Abschnitt geht es um die Präsentation der Diagnosen, die bei der
Auswertung des Kinder-DIPS gestellt wurden.
55
Tabelle 1
Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im Kinder-DIPS
Diagnose im
Diagnose im
Störungsbilder
Erzieherinterview Kinderinterview
(Häufigkeit)
(Häufigkeit)
-Aufmerksamkeitsund
Hyperaktivitätsstörung
-Enuresis / Enkopresis
-Depressives Syndrom
-Dysthymes Syndrom
-Emotionale Störung mit Trennungsangst
-Paniksyndrom
-Agoraphobie
-Spezifische Phobie
-Sozialphobie
-Zwangssyndrom
-Generalisiertes Angstsyndrom
-Posttraumatische Belastungsstörung
-Anorexia nervosa
-Bulimia nervosa
2 (3,8%)
9 (17,3%)
3 (5,8%)
0 (0%)
0 (0%)
0 (0%)
1 (1,9%)
8 (15,4%)
4 (7,7%)
0 (0%)
0 (0%)
2 (3,8%)
0 (0%)
0 (0%)
4 (7,7%)
4 (7,7%)
8 (15,4%)
2 (3,8%)
0 (0%)
2 (3,8%)
1 (1,9%)
1 (1,9%)
14 (26,9%)
2 (3,8%)
0 (0%)
0 (0%)
2 (3,8%)
0 (0%)
0 (0%)
9 (17,3%)
Die Diagnosen „dysthymes Syndrom”, „Zwangssyndrom”, „generalisiertes
Angstsyndrom”, „Anorexia nervosa” und „Bulimia nervosa” wurden weder bei der
Erzieherbeurteilung noch bei der Selbsteinschätzung des Kindes vergeben.
XI.2.1. Übereinstimmung zwischen den Diagnosen nach Angaben der Kinder
und der Erzieher im Kinder-DIPS
In vier Fällen (7,6%) wurde die Diagnose „depressives Syndrom” vergeben.
Allerdings gibt es nur in einem Fall eine Übereinstimmung zwischen Erzieherurteil
und dem Urteil des Kindes, dabei handelt es sich um die Diagnose „bipolare
affektive Störung”. Berechnet man für die Variablen „depressives Syndrom in der
Erziehereinschätzung” und „depressives Syndrom in der Kindereinschätzung” das
Ausmaß der Übereinstimmung, erhält man ein Kappa von
j = 0.38 (p < 0.01).
Die Diagnose „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung” wurde in sechs Fällen
(11,5%) vergeben, dabei gab es jedoch keine Übereinstimmung zwischen der
Einschätzung der Erzieher und der der Kinder. Es besteht keine signifikante
Übereinstimmung (j = -0.05, n.s.).
Das Störungsbild „Enuresis / Enkopresis” wurde elfmal (21,1%) diagnostiziert. In vier
Fällen stimmen Kinder und Erzieher vollständig überein. In zwei Fällen gibt es eine
Übereinstimmung dahingehend, daß entweder die Erzieher oder die Kinder
angeben, es käme sowohl Einnässen als auch Einkoten vor, aber die jeweils andere
Einschätzung nur eines von beiden angibt. Es besteht eine signifikante
Übereinstimmung (j = 0.52, p < 0.01).
56
Die „emotionale Störung mit Trennungsangst” wurde zweimal (3,8%) diagnostiziert,
aber nur über die Einschätzung der Kinder.
Eine „Panikstörung” wurde in einem Fall (1,9%) vergeben, aber auch in diesem Fall
nur über die Einschätzung des Kindes.
Einmal (1,9%) wurde eine „Agoraphobie mit Paniksyndrom” diagnostiziert, dabei
wurde die Diagnose in Übereinstimmung der Angaben des Kindes und des
Erziehers gestellt. Die Übereinstimmung zwischen den Aussagen der Kinder und
den Aussagen der Erzieher bezüglich der „Agoraphobie mit Paniksyndrom” ist
signifikant (j = 1.0, p < 0.01).
In 18 Fällen (34,6%) wurde eine spezifische Phobie gefunden, aber nur viermal
stimmten Erzieher und Kinder in der Einschätzung überein. Es besteht keine
signifikante Übereinstimmung zwischen den Diagnosen der spezifischen Phobie, die
nach den Erzieherangaben gestellt wurden und denen, die nach den Angaben der
Kinder gestellt wurden (j = 0.21, n.s.).
Die Diagnose „Soziale Phobie” wurde insgesamt sechsmal (11,5%) vergeben, dabei
findet sich aber keine Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung.
Es besteht keine signifikante Übereinstimmung zwischen der Selbst- und
Fremdbeurteilung bezogen auf die „soziale Phobie” (j = -0.05, n.s.).
Ein ähnliches Bild findet sich bei der „Posttraumatischen Belastungsstörung”. Die
Diagnose wurde insgesamt viermal (7,6%) gestellt, doch auch hier ohne
Übereinstimmung. Das heißt es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen
den Aussagen der Kinder und denen der Erzieher bezüglich der „posttraumatischen
Belastungsstörung” (C = 0.04, n.s.).
Bei der Einschätzung des Alkohol- oder Drogenmißbrauchs, werden neun Fälle
(17,3) genannt. In fünf Fällen geben nur die Kinder einen gelegentlichen
Alkoholgebrauch an. In zwei Fällen geben Kinder und Erzieher übereinstimmend
gelegentlichen Alkohol- und Drogengebrauch des Kindes an und einmal
übereinstimmend gelegentlichen Alkoholgebrauch. In einem Fall geben die Erzieher
Alkoholkonsum eines Kindes an, während das Kind sowohl Alkohol- als auch
illegalen Drogenkonsum nennt. Es besteht eine signifikante Übereinstimmung
bezüglich des von den Kindern angegebenen Alkohol- und Drogenkonsums mit den
Aussagen der Erzieher (j= 0.5, p < 0.01).
XI.3. Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens
Die erste Frage, die in dieser Arbeit beantwortet werden soll ist, wie häufig eine
Störung des Sozialverhaltens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe
auftritt.
Bei der Störung des Sozialverhaltens wurde sowohl eine aktuelle Diagnose als auch
eine Störung, die zu einem früheren Zeitpunkt vorlag mit dem Kinder-DIPS erfaßt.
Desweiteren wurde der Beginn und Schweregrad der aktuellen Diagnose erfragt.
57
Die Child Behavior Checklist erfaßt die Skalen „dissoziales Verhalten” und
„aggressives Verhalten”, die zur „externalisierenden Störung” zusammengefaßt
werden.
In diesem Abschnitt werden die jeweiligen Einzelergebnisse dargestellt.
XI.3.1. Ergebnisse des Kinder-DIPS
XI.3.1.1. Akute Diagnose
Eine akute Diagnose der Störung des Sozialverhaltens wurde in 30 Fällen (57,6%)
vergeben.
Davon wurden zehn (19,2%) in Übereinstimmung der Aussagen von Kindern und
Erziehern gestellt, zwölf nur durch die Einschätzung der Kinder und acht nur durch
die Erzieherangaben. Insgesamt geben die Kinder in 22 Fällen eine Störung des
Sozialverhaltens an und die Erzieher in 18 Fällen.
Der Zusammenhang zwischen den Variablen „SSV in der Erziehereinschätzung”
und „SSV in der Kindereinschätzung” ist nicht signifikant (j = 0.19, n.s.).
Die Diagnosen wurden genauer in einzelne Unterkategorien eingestuft. Von den
zehn übereinstimmenden Diagnosen stimmen sechs ebenfalls in den
unterkategorisierten Diagnosen überein. Davon entfallen eine auf die Kategorie
F91.1 (SSV bei fehlenden sozialen Bindungen), drei auf die F91.2 (SSV bei
vorhandenen sozialen Bindungen), eine auf die F91.3 (SSV mit oppositionellem
Trotzverhalten) und eine auf die Untergruppe F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV).
In den Fällen, in denen Kinder und Erzieher nicht in der Einschätzung
übereinstimmten, wurden einseitige Diagnosen in den Untergruppen F91.3 (SSV mit
oppositionellem Trotzverhalten) und F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV) vergeben.
Die Übereinstimmung innerhalb der vergebenen Diagnosen ist signifikant (j = 0.2, p
< 0.05).
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den früheren und den akuten
Diagnosen der Störung des Sozialverhaltens sowohl in der Kindereinschätzung (C =
0.56,
p < 0.01) als auch in der Erwachseneneinschätzung (C = 0.42, p < 0.01).
Es besteht ebenfalls ein signifikanter Zusammenhang zwischen der akuten
Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens in der Erziehereinschätzung und einer
früheren Diagnose in der Kindereinschätzung (C = 0.28, p < 0.05).
58
Tabelle 2
Auftretenshäufigkeit der einzelnen Unterkategorien der akuten Störung des
Sozialverhaltens in der Erzieher- und Kindereinschätzung
SSV akut
SSV akut
Unterkategorien der
(Erzieher)
(Kinder)
Störung des Sozialverhaltens
Häufigkeit
Häufigkeit
-keine Störung des Sozialverhaltens
34 (65,4%)
30 (57,7%)
-F91.0 auf den famil. Rahmen beschränkte
0 (0%)
0 (0%)
SSV
1 (1,9%)
1 (1,9%)
-F91.1 SSV bei fehlenden soz. Bindungen
3 (5,8%)
5 (9,6%)
-F91.2 SSV bei vorhandenen soz.
5 (9,6%)
7 (13,5%)
Bindungen
9 (17,3%)
9 (17,3%)
Die Rangreihe der angegebenen Häufigkeiten der einzelnen Unterkategorien ist bei
Erziehern und Kindern gleich, obwohl sie sich hinsichtlich der absoluten Häufigkeiten
unterscheiden. Die Kategorie F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV) wird am
häufigsten vergeben, gefolgt von der Diagnose F91.3 (SSV mit oppositionellem,
aufsässigem Verhalten).
Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Rahmen
beschränkte SSV) wurde in keinem Fall vergeben.
XI.3.1.2. Frühere Diagnose
Die Diagnose, daß früher eine Störung des Sozialverhaltens bestanden hat
(unabhängig davon, ob sie heute noch besteht oder nicht) wurde in 39 Fällen (75%)
gestellt. In 18 Fällen (34,6%), in denen eine SSV diagnostiziert wurde, waren sich
die Erzieher und die Kinder in der Einschätzung über das Vorliegen der Störung
einig. Zwölf Diagnosen wurden nur anhand des Urteils der Kinder vergeben und
neun nur durch die Erziehereinschätzungen. Insgesamt geben die Kinder in 30
Fällen und die Erzieher in 27 Fällen ein früheres Vorliegen einer Störung des
Sozialverhaltens an.
Es besteht keine signifikante Übereinstimmung zwischen den Einschätzungen der
Kinder und der Erzieher bezüglich einer früheren Diagnose der „Störung des
Sozialverhaltens”
(j = 0.19, n.s.).
Von den 18 übereinstimmend gestellten Diagnosen gehen acht von einer Einstufung
in die gleiche Unterkategorie aus. Drei Diagnosen entfallen auf die Kategorie F91.1
(SSV bei fehlenden sozialen Bindungen), vier auf die Untergruppe F91.2 (SSV bei
vorhandenen sozialen Bindungen) und eine auf die Kategorie F91.3 (SSV mit
oppositionellem Trotzverhalten). Die Übereinstimmung innerhalb der gemeinsam
vergebenen Diagnosen ist signifikant (j = 0.17, p < 0,05).
59
Tabelle 3
Auftretenshäufigkeit der einzelnen Unterkategorien bei einer früheren Störung
des Sozialverhaltens in der Erzieher- und Kindereinschätzung
SSV früher
SSV früher
Unterkategorien der
(Erzieher)
(Kinder)
Störung des Sozialverhaltens
Häufigkeit
Häufigkeit
-keine Störung des Sozialverhaltens
25 (48,1%)
22 (42,3%)
-F91.0 auf den famil. Rahmen beschränkte
0 (0%)
0 (0%)
SSV
3 (5,8%)
6 (11,5%)
-F91.1 SSV bei fehlenden sozialen
10 (19.2%)
8 (15,4%)
Bindungen
7 (13,5%)
8 (15,4%)
-F91.2 SSV bei vorhandenen soz.
7 (13,5%)
8 (15,4%)
Nach den Erzieherangaben wurde bei der früheren Diagnose der Störung des
Sozialverhaltens am häufigsten die Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen
sozialen Bindungen (F91.2) gefunden, gefolgt von den Kategorien F91.3 (SSV mit
oppositionellem Trotzverhalten) und F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV), die
gleichhäufig auftraten. Nach den Angaben der Kinder wurden die Kategorien F91.2,
F91.3 und F91.9 gleichhäufig vergeben.
Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Rahmen beschränkte SSV) wurde bei den
früheren Diagnosen nicht vergeben.
XI.3.1.3. Störung des Sozialverhaltens und Geschlecht
Die Auswertung der Erzieher-Interviews ergibt, daß vier von zwölf Mädchen (33%)
und 14 von 40 Jungen (35%) akut eine Störung des Sozialverhaltens zeigen. Es
besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer „Störung
des Sozialverhaltens” und dem Geschlecht (C = 0.02, n.s.).
Die Diagnoseverteilung der Kinder-Interviews zeigt folgendes Bild: vier von zwölf
Mädchen (33%) und 18 von 40 Jungen (45%) erhalten die Diagnose einer
dissozialen Störung. Nach diesen Angaben besteht ebenfalls kein signifikanter
Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer „Störung des Sozialverhaltens” und
dem Geschlecht (C = 0.10, n.s.).
Es ergibt sich allerdings ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Geschlecht
des Kindes und dem T-Wert der „externalisierenden Störung” in der CBCL
(t = 0.23, p < 0.05). Es zeigen drei von zwölf Mädchen und 20 Jungen von 40 einen
grenzwertigen oder auffälligen Wert auf der externalen Skala.
XI.3.1.4. Beginn der Störung des Sozialverhaltens
In Anlehnung an die Kriterien der ICD-10 wurde erfragt, ob die Störung vor oder
nach dem zehnten Lebensjahr begonnen hat, d.h. ob der Beginn in der Kindheit
oder in der Adoleszenz liegt.
60
Tabelle 4
Beginn einer Störung des Sozialverhaltens
Beginn einer SSV
Beginn
vor
dem
Lebensjahr
B i
h
d
SSV (Erzieher)
10.
13
5
10
SSV (Kinder)
20
2
In acht Fällen, in denen eine Störung des Sozialverhaltens in Übereinstimmung
zwischen Kinder- und Erzieherangaben diagnostiziert worden ist, wird angegeben,
daß die Störung vor dem zehnten Lebensjahr begonnen hat.
In zwei Fällen, in denen zwar Einigkeit darüber herrscht, daß eine dissoziale Störung
vorliegt, sind die Angaben über den jeweiligen Beginn der Störung innerhalb dieser
Fälle jedoch unterschiedlich.
In den Fällen, in denen die Diagnose entweder nur durch die Einschätzung der
Kinder oder der Erzieher vergeben wurde, wird 15 mal ein Beginn in der Kindheit
und fünf mal ein Beginn in der Adoleszenz angegeben. Zwischen den Variablen
„Beginn der akuten SSV in der Kindereinschätzung” und „Beginn der akuten SSV in
der Erziehereinschätzung” besteht keine signifikante Übereinstimmung (j = 0.19,
n.s.).
XI.3.1.5. Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens
Der Schweregrad der Diagnose wird unterteilt in „leicht” (drei bis fünf Symptome),
„mittel” (sechs bis 15 Symptome) und „schwer” (15 bis 23 Symptome).
Tabelle 5
Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens
Schweregrad der SSV
leicht (3 bis 5 Symptome)
mittel (6 bis 15 Symptome)
schwer (16 bis 23 Symptome)
SSV (Erzieher)
12
6
0
SSV (Kinder)
15
7
0
Eine schwere dissoziale Störung kommt nicht vor. Von den zehn Diagnosen, die
übereinstimmend gestellt wurden, stimmen fünf ebenfalls bezüglich des
Schweregrads überein. Davon sind drei leichte Fälle und zwei mittlere Fälle.
Bei den Fällen, die nur durch eine Seite angegeben wurden, wird 16 mal eine leichte
und vier mal eine mittelgradige Störung diagnostiziert. Die Übereinstimmung der
Angaben der Kinder mit denen der Erzieher bezüglich der Schwere der Störung des
Sozialverhaltens ist nicht signifikant (j = 0.11, n.s.).
XI.3.1.6. Gruppenzugehörigkeit und Störung des Sozialverhaltens
Laut den Erzieherangaben im Kinder-DIPS tritt eine Störung des Sozialverhaltens in
teilstationären Gruppen ebenso häufig auf wie in stationären Gruppen. Es wurden in
beiden Bereichen je neun Kinder und Jugendliche (17,3%) mit einer entsprechenden
Störung identifiziert. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der
61
Gruppenzugehörigkeit und dem Auftreten einer akuten Störung des Sozialverhaltens
(C = 0.11, n.s.). Es besteht ebenfalls kein Zusammenhang zu einer früheren
dissozialen Störung (C = 0.13, n.s.).
Die Angaben der Kinder deuten ebenfalls darauf hin, daß es keinen Unterschied
zwischen den stationären und teilstationären Gruppen gibt. 13 Kinder (25%) mit
einer dissozialen Störung befinden sich im teilstationären Bereich und 14 Kinder
(26,9%) in stationären Gruppen. Das heißt, auch nach Aussagen der Kinder besteht
kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer akuten Störung des
Sozialverhaltens und der Gruppenzugehörigkeit
(C = 0.13, n.s). Es besteht auch kein Zusammenhang zu einer früher aufgetretenen
Störung des Sozialverhaltens (C = 0.20, n.s.).
Tabelle 6
Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Auftreten einer
Störung des Sozialverhaltens
Diagnose SSV im Kinder-DIPS
Gruppenzugehörigkeit
SSV akut (Kinder)
SSV akut (Erzieher)
SSV früher (Kinder)
SSV früher (Erzieher)
C = 0.13
C = 0.11
C = 0.20
C = 0.13
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
XI.3.2. Ergebnisse der Child Behavior Checklist
Die Child Behavior Checklist beinhaltet die Skalen „aggressives Verhalten” und
„dissoziales Verhalten”. Bei der Auswertung wird, jeweils in Abhängigkeit vom Alter
und Geschlecht der untersuchten Kinder und Jugendlichen, zwischen grenzwertigen
und auffälligen Daten unterschieden.
Auf der Skala „aggressives Verhalten” zeigen fünf Jungen (9,6%) und ein Mädchen
(1,9%) einen Wert, der im Grenzbereich liegt. Ein Mädchen und acht Jungen haben
auffällige Werte.
Auf der Skala „dissoziales Verhalten” sind zwei Mädchen (3,8%) und acht Jungen
(15,3%) grenzwertig. Auffällig sind acht Jungen (15,3%), aber kein Mädchen.
Faßt man die Werte der dissozialen und aggressiven Skala zusammen, gehen sie in
die „externale Störung” ein. Hier zeigen ein Mädchen (1,9%) und sechs Jungen
(11,5%) einen Wert im Grenzbereich. Im auffälligen Bereich liegen zwei Mädchen
(3,8%) und 14 Jungen (26,9%).
XI.3.3. Diagnose SSV im Kinder-DIPS und Werte in der CBCL
XI.3.3.1. SSV in der Kinderversion des DIPS und Werte in der CBCL
13 Kinder, die laut ihren Angaben im Kinderinterview eine Störung des
Sozialverhaltens aufweisen, zeigen einen grenzwertigen oder auffälligen Wert auf
62
der Skala „Dissozialität” in der CBCL. Neun Kinder haben laut DIPS eine dissoziale
Störung, weisen aber einen unauffälligen Skalenwert auf. Dagegen werden vier
Kinder von den Erziehern in der CBCL als auffällig im dissozialen Bereich eingestuft,
haben jedoch nach ihren eigenen Angaben im Interview keine entsprechende
Störung.
Der Zusammenhang zwischen den Variablen „Dissozialität” in der CBCL und „SSV
(Kinder)” im DIPS ist signifikant (t = 0.29, p < 0.05).
Zehn Kinder, die nach eigenen Angaben im Interview des Kinder-DIPS eine Störung
des Sozialverhaltens aufweisen, haben auch auf der Skala „Aggressivität” der CBCL
einen grenzwertigen oder auffälligen Wert. In drei Fällen ist der Wert auf der Skala
auffällig, aber es wurde anhand der Angaben im Kinderinterview keine Diagnose der
Störung des Sozialverhaltens vergeben. Zwölf Kinder, die nach den Aussagen im
Kinderinterview eine Diagnose bekommen haben, sind nach den Erzieherangaben
auf der Skala „Aggressivität” unauffällig.
Der Zusammenhang der Variablen „Aggressivität” in der CBCL und „SSV (Kinder)”
im DIPS ist signifikant (t = 0.39, p < 0.01).
Die Werte der Skalen „Dissozialität” und „Aggressivität” werden zu einem Wert
zusammengefaßt, der die „Externalisierende Störung” bildet.
In 16 Fällen zeigen sich Übereinstimmungen zwischen der Diagnose SSV, die die
Kinder nach eigenen Angaben im Kinder-DIPS erhalten haben und einem
grenzwertigen oder auffälligen Wert auf der externalen Skala.
Sechs Kinder haben einen unauffälligen Skalenwert, werden aber im Kinderinterview
als dissozial identifiziert. Sieben Kinder dagegen haben einen auffälligen Wert auf
der externalen Skala, aber nach eigenen Angaben im Kinderinterview keine Störung
des Sozialverhaltens.
Der Zusammenhang der Variablen „T-Wert Externalisierende Störung” in der CBCL
und „SSV (Kinder)” im DIPS ist signifikant (t = 0.38, p < 0.01).
Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem akuten Auftreten einer
Störung des Sozialverhaltens nach Angaben der Kinder im DIPS und dem „T-Wert
Internalisierende Störung” in der CBCL (t = 0.02, n.s.).
Der „Gesamt T-Wert” bezieht sich auf die addierten Rohwerte aller Problemskalen,
der in einer Tabelle abzulesen ist.
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der akuten „SSV (Kinder)” im
DIPS und dem „Gesamt T-Wert” in der CBCL (t= 0.24, p < 0.05).
XI.3.3.2. SSV in der Erzieherversion des DIPS und Werte in der CBCL
In zwölf Fällen, in denen nach den Erzieherangaben im Kinder-DIPS die Diagnose
der Störung des Sozialverhaltens vergeben wurde, zeigen sich auf der dissozialen
Skala Werte, die auffällig sind oder zumindest im Grenzbereich liegen.
Acht Kinder und Jugendliche, die laut Erzieherangaben im Interview eine SSV
aufweisen, haben auf der dissozialen Skala in der CBCL einen unauffälligen Wert.
63
Sechs Kinder haben nach den Erzieherangaben im Interview eine SSV, erscheinen
aber in der CBCL unauffällig auf der dissozialen Skala.
Der Zusammenhang der Variablen „Dissozialität” in der CBCL und „SSV (Erzieher)”
im DIPS ist signifikant (t = 0.46, p < 0.01).
Elf Kinder und Jugendliche, die nach den Angaben der Erzieher im Kinder-DIPS eine
Störung des Sozialverhaltens aufweisen, haben auf der Skala „Aggressivität”
ebenfalls einen Wert der auffällig ist oder zumindest an der Grenze hierzu liegt.
In neun Fällen ist der Wert auf der Skala grenzwertig oder auffällig, aber die Kinder
haben laut den Erzieherangaben im Interview keine Störung des Sozialverhaltens.
Drei Kinder zeigen einen auffälligen Wert in der CBCL auf der Skala „Aggressivität”,
aber haben laut Erzieherversion des Kinder-DIPS keine SSV.
Der Zusammenhang der Variablen „Aggressivität” in der CBCL und „SSV (Erzieher)”
im DIPS ist signifikant (t = 0.52, p < 0.01).
15 Kinder und Jugendliche haben nach der Erzieherversion des Kinder-DIPS eine
Störung des Sozialverhaltens und zeigen einen grenzwertigen oder auffälligen TWert bei der „Externalen Störung”.
Drei Kinder haben im Interview der Erzieher die Kriterien für eine Störung des
Sozialverhaltens erfüllt, haben jedoch einen unauffälligen externalen T-Wert.
Acht Kinder haben laut Kinder-DIPS keine SSV, zeigen aber einen auffälligen oder
grenzwertigen T-Wert bei der „Externalen Störung”.
Der Zusammenhang der Variablen „T-Wert der Externalisierenden Störung” in der
CBCL und „SSV (Erzieher)” im DIPS ist signifikant (t = 0.52, p < 0.01).
Der Zusammenhang der Variablen „SSV (Erzieher)” und
Internalisierenden Störung” ist nicht signifikant (t = 0.08, n.s.).
„T-Wert
der
Der Zusammenhang der Variablen „SSV (Erzieher)” und dem „Gesamt T-Wert” ist
signifikant (t= 0.46, p < 0.01).
XI.3.3.3. Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen SSV im KinderDIPS
und CBCL in einer Tabelle
Tabelle 7
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens im Kinder-DIPS
und den Skalen der CBCL
SSV akut
SSV akut
Skalen der CBCL
(Kinder)
(Erzieher)
-Dissozialität
-Aggressivität
-Externalisierende Störung
-Internalisierende Störung
-Gesamt T-Wert
t = 0.29, p < 0.05
t = 0.39, p < 0.01
t = 0.38, p < 0.01
t = 0.02, n.s.
t = 0.24, p< 0.05
t = 0.46, p < 0.01
t = 0.52, p < 0.01
t = 0.52, p < 0.01
t = 0.08, n.s.
t = 0.46, p < 0.01
64
XI.3.3.4. Multivariater Hotelling T2-Test zur Überprüfung eines Unterschieds
zwischen Kindern mit einer dissozialen Störung und ohne nach dem KinderDIPS bezüglich der „internalen” und „externalen” Störung in der CBCL
Um zu prüfen, ob sich Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens im Kinder-DIPS
von den Kindern ohne eine solche Störung bezüglich der internalisierenden oder
externalisierenden Störung unterscheiden (wie sie in der CBCL erhoben werden),
wurde der multivariate Hotelling T2-Test durchgeführt. Die unabhängigen Variablen
sind die Diagnosen „akute Störung des Sozialverhaltens” in der Kindereinschätzung
und in der Erziehereinschätzung. Abhängige Variablen sind die T-Werte der
„externalen Störung” und die T-Werte der „internalen Störung”.
Bezüglich der Diagnosen der Kinder ergibt sich, daß sich die Kinder mit einer
Störung des Sozialverhaltens signifikant von den Kindern ohne eine dissoziale
Störung unterscheiden
(T2 = 0.25, F = 5.85, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47,
p < 0.01). Die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich in
Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine solche Störung (F =
10.25, df = 1, p < 0.01). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale
Störung” (F = 0.05, df =1, n.s.).
Bezogen auf die Diagnosen der Erzieher zeigt sich ebenfalls ein Unterschied
zwischen Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens und Kindern ohne eine
solche Störung
(T2 = 0.62, F = 14.46, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, p< 0.01). Die Kinder mit
einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich in Bezug auf die „externale
Störung” von den Kinder ohne eine dissoziale Störung (F = 28.76, df = 1, p < 0.01).
Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.75, df = 1,
n.s.).
Es besteht kein Interaktionseffekt zwischen den Diagnosen der Kinder und den
Diagnosen der Erzieher (T2 = 0.001, F = 0.02, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47,
n.s.), weder in Bezug auf die „externale Störung” (F = 0.001, df = 1, n.s.) noch in
Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.044, df = 1, n.s.).
65
Tabelle 8
Mittelwerte und Standardabweichung der T-Werte „externale” und „internale”
Störung bei den unabhängigen Variablen „SSV akut” in der Kinder- und in der
Erziehereinschätzung
SSV akut
Kinder
(UV)
T-Wert
Externalisierend
akut
(AV)
keine
SSV akut Mittelwert
Erzieher
(UV)
keine
SSV-E
Gesamt
SSV-K akut keine
SSV-E
akut
Gesamt
T-Wert
Internalisierend
akut
(AV)
keine
SSV-K akut
Gesamt
keine
keine
SSV-E
Gesamt
keine
SSV-E
akut
Gesamt
Gesamt
keine
Standardabweichung
N
50,091
62,875
53,500
57,750
70,400
63,500
52,794
67,056
57,731
7,934
7,827
9,666
9,478
5,892
10,173
9,154
7,643
10,983
22
8
30
12
10
22
34
18
52
55,864
58,750
56,633
55,833
57,600
56,636
55,853
58,111
56,635
8,736
11,184
9.335
9,252
7,336
8,290
8,781
8,963
8,823
22
8
30
12
10
22
34
18
52
Der Hotelling T2-Test wird ebenfalls mit den unabhängigen Variablen „frühere
Störung
des
Sozialverhaltens”
in
der
Kindereinschätzung
und
der
Erziehereinschätzung durchgeführt. Abhängige Variablen sind wieder die T-Werte
der „internalen Störung” und die der „externalen Störung”.
Bezogen auf die früheren Diagnosen in der Kindereinschätzung zeigt sich, daß sich
die Kinder mit einer früheren Störung des Sozialverhaltens von den Kindern
unterscheiden, die keine solche Störung zeigten (T2 = 0.138, F = 3.24, df
(Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47,
p <0.05). Die Kinder mit einer früheren dissozialen Störung unterscheiden sich in
Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine frühere Störung des
Sozialverhaltens
(F = 6.22, df = 1, p < 0.05). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale
Störung” (F = 0.074, df = 1, n.s.).
Bezogen auf die früheren Diagnosen in der Einschätzung der Erzieher findet sich ein
signifikanter Unterschied zwischen Kindern mit einer früheren Störung des
66
Sozialverhaltens und Kindern ohne eine frühere Störung (T2 = 0.44, F = 10.35, df
(Hypothese) = 2,
df (Fehler) = 47, p < 0.01). Die Kinder mit einer früheren dissozialen Störung
unterscheiden sich in Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine
frühere Störung
(F = 18.61, df = 1, p < 0.01). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale
Störung” (F = 0.0, df = 1, n.s.).
Es besteht kein Interaktionseffekt zwischen den früheren Diagnosen der Kinder und
den früheren Diagnosen der Erzieher (T2 = 0.002, F = 0.057, df (Hypothese) = 2,
df (Fehler) = 47, n.s.), weder in Bezug auf die „externale Störung” (F = 0.025, df = 1,
n.s.) noch in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.114, df = 1, n.s.).
Tabelle 9
Mittelwerte und Standardabweichung der T-Werte „internale” und „externale”
Störung bei den unabhängigen Variablen „frühere Störung des
Sozialverhaltens” in der Erzieher- und in der Kindereinschätzung
SSV
Erzieher
SSV Mittelwert
Kinder
T-Wert
Externalisierend
früher
(AV)
früher
früher
keine
keine
SSV-K
Gesamt
SSV-E früher keine
SSV-K
früher
Gesamt
T-Wert
Internalisierend
früher
(AV)
keine
Gesamt
keine
keine
SSV-K
Gesamt
SSV-E früher keine
SSV-K
früher
Gesamt
Gesamt
keine
Standardabweichung
N
48,308
54,222
50,727
58,833
65,556
62,867
53,360
61,778
57,731
7,510
9,833
8,827
8,516
9,463
9,551
9,499
10,860
10,983
13
9
22
12
18
30
25
27
52
56,615
56,444
56,545
55,750
57,333
56,700
56,200
57,037
56,635
9,921
8,762
9,247
9,593
8,203
8,659
9,570
8,234
8,823
13
9
22
12
18
30
25
27
52
XI.3.4. Auftretenshäufigkeit der im Kinder-DIPS angegebenen Symptome der
Störung des Sozialverhaltens
67
Tabelle 10
Einschätzung der Symptomhäufigkeit durch die Erzieher
Symptome
nie/
manch-
selten
mal
25
17
-häufiger Streit mit Erwachsenen
-Widerstand
gegen
die 17
oft
gesamt
gesamt
Rang-
Rang-
sehr
SSV
alle
reihe
reihe
oft
*1
*2
SSV *3
alle *4
25
26
26
2
9
8
0
0
1
2
9
9
27
26
35
11.
6.
5.
7.
8.
3.
20
17
6
13
1
6
7
19
27
36
7.
1.
6.
1.
21
19
8
4
12
31
3.
4.
22
41
oder 34
42
20
11
13
9
9
0
4
1
1
0
1
0
10
0
5
1
30
11
18
10
4.
8.
16.
5.
14.
9.
15.
51
39
0
12
0
1
1
0
1
1
1
12
18.
15.
21.
11.
40
-körperliche Grausamkeit gegen- 49
9
2
3
1
0
0
3
1
12
3
9.
17.
12.
20.
4
6
12
0
2
1
0
0
0
0
2
1
4
8
13
13.
15.
19.
16.
11.
0
22
11
1
10
2
0
3
0
1
13
2
1
35
13
18.
2.
12.
21.
2.
10.
41
8
2
1
3
11
10.
13.
47
-Diebstahl von Wertgegenständen 46
3
3
2
3
0
0
2
3
5
6
14.
11.
18.
17.
-heftige Wutausbrüche
Anweisungen Erwachsener
25
-verantwortlich machen anderer 16
-absichtliches Verärgern anderer
für eigene Fehler
-Empfindlichkeit
oder
Sichbelästigt-
fühlen durch
andere
-häufiger Ärger oder Groll
-häufige
Gehässigkeit
Rachsucht
-häufiges Tyrannisieren anderer
-häufiges
Beginnen
körperlichen
Kämpfen
-Gebrauch
von
von
gefährlichen
Waffen
über anderen Menschen
48
-kriminelle Handlungen, bei denen 44
39
das Opfer direkt betroffen ist
-Tierquälerei
-Zwingen
anderer
zu
sex.
51
17
-absichtliches Feuerlegen
-absichtliche Destruktivität gegen- 39
Aktivitäten
über dem Eigentum anderer
-Einbruch in Häuser oder Autos
-Lügen
oder
Brechen
v.
Versprechen
Zur Diagnose einer SSV nach ICD-10 tragen nur Symptome bei, die oft oder sehr oft auftreten.
*1 Gesamtzahl der Symptome, die zur Diagnose SSV beitragen
*2 Gesamtzahl aller genannten Symptomhäufigkeiten.
*3 Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose SSV beitragen
*4 Rangreihe aller genannten Symptome
68
Tabelle 11
Einschätzung der Symptomhäufigkeit durch die Kinder
gesamt
gesamt
Rang-
Rang-
sehr
SSV
alle
reihe
reihe
oft
oft
*1
*2
SSV *3
allle *4
15
19
26
6
7
5
6
4
4
12
11
9
27
30
35
4.
5.
7.
8.
6.
3.
31
17
11
19
6
9
4
7
10
16
21
35
6.
3.
9.
4.
16
13
12
11
23
36
1.
2.
-Empfindlichkeit
oder
Sichbelästigt-
18
24
42
oder 39
16
20
9
8
13
5
2
5
3
1
3
18
8
1
5
34
28
10
13
2.
9.
18.
11.
5.
7.
17.
11.
48
von 41
3
9
1
2
-
1
2
4
11
19.
16.
20.
14.
42
50
6
2
4
-
-
4
-
10
2
12.
-
16.
20.
50
39
39
2
11
10
2
2
1
2
3
2
13
13
15.
13.
20.
13.
12.
50
sex. 15
41
2
29
10
5
1
3
-
8
1
2
37
11
8.
17.
20.
1.
15.
38
7
4
3
7
14
10.
10.
46
v. 45
2
4
3
3
1
-
4
3
6
7
13.
14.
19.
18.
Symptome
nie /
manch
selten
mal
25
22
-häufiger Streit mit Erwachsenen
-Widerstand
gegen
die 17
-heftige Wutausbrüche
Anweisungen
Erwachsener
-absichtliches Verärgern anderer
-verantwortlich machen anderer für
eigene Fehler
fühlen durch andere
-häufiger Ärger oder Groll
-häufige
Gehässigkeit
Rachsucht
-häufiges Tyrannisieren anderer
-häufiges
Beginnen
körperlichen
Kämpfen
-Gebrauch
von
gefährlichen
Waffen
-körperliche
Grausamkeit
gegenüber
anderen Menschen
-Tierquälerei
-kriminelle Handlungen, bei denen
das Opfer direkt betroffen ist
-Zwingen
anderer
zu
Aktivitäten
-absichtliches Feuerlegen
-absichtliche Destruktivität gegenüber dem Eigentum anderer
-Einbruch in Häuser oder Autos
-Lügen
oder
Brechen
Versprechen
-Diebstahl
von
Gegenständen
Zur Diagnose einer SSV nach ICD-10 tragen nur Symptome bei, die oft oder sehr oft auftreten.
*1 Gesamtzahl der Symptome, die zu einer Diagnose SSV beitragen
*2 Gesamtzahl aller genannten Symptomhäufigkeiten
*3 Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose beitragen
*4 Rangreihe aller Symptomhäufigkeiten
69
Das Symptom „Verantwortlich machen für eigene Fehler” wird von den Erziehern in
der Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose beitragen, weil sie mindestens
oft auftreten, am häufigsten angegeben, gefolgt von „Lügen oder Brechen von
Versprechen” und „Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere”.
Bei den Kindern wird in der Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose
beitragen, das Symptom „Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere” am
häufigsten genannt. An zweiter Stelle folgt „häufiger Ärger oder Groll” und an dritter
Stelle „Verantwortlich machen anderer für eigene Fehler”.
XI.4. Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens mit anderen
Störungsbildern
Die zweite Frage beschäftigt sich damit, welche anderen Störungsbilder in
signifikantem Zusammenhang stehen mit dem Auftreten einer Störung des
Sozialverhaltens. Dieses Kapitel zeigt die Ergebnisse dieser Fragestellung.
Tabelle 12
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der
Erzieherversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der
Erzieherversion des DIPS
Störungsbilder der Erzieherversion
SSV akut
(Erzieher)
-Aufmerksamkeitsund C = 0.27 p < 0.05
Hyperaktivitätsstörung
C = 0.14 n.s.
-Enuresis / Enkopresis
C = 0.28 n.s.
-Depression
--Dysthymes Syndrom*
--Emotionale Störung mit Trennungsangst*
--Paniksyndrom*
C = 0.19 n.s.
-Agoraphobie
C = 0.03 n.s.
-spezifische Phobie
C = 0.09 n.s.
-Sozialphobie
--Zwangssyndrom*
--generalisiertes Angstsyndrom*
C = 0.27 n.s.
-posttraumatische Belastungsstörung
--Anorexia nervosa*
--Bulimia nervosa*
C = 0.09 n.s.
-Alkohol- und Drogenmißbrauch
SSV früher
(Erzieher)
C = 0.17 n.s.
C = 0.24 n.s.
C = 0.23 n.s.
---C = 0.12 n.s.
C = 0.17 n.s.
C = 0.18 n.s.
--C = 0.17 n.s.
--C = 0.24 n.s.
* Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da
nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind.
70
Es besteht lediglich ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer akuten Störung
des
Sozialverhaltens
(Erzieher)
und
der
Aufmerksamkeitsund
Hyperaktivitätsstörung nach den Erzieherangaben (C = 0.27, p < 0.05). Bestehende
Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern nach Erzieherangaben und einer
akuten oder früheren Störung des Sozialverhaltens in der Erziehereinschätzung
sind nicht signifikant.
Tabelle 13
Zusammenhang zwischen SSV akut und früher nach der Kinderversion des
DIPS und anderen Störungsbildern nach der Erzieherversion des DIPS
Störungsbilder der Erzieherversion
SSV akut
(Kinder)
-Aufmerksamkeitsund C = 0.17 n.s.
Hyperaktivitätsstörung
C = 0.29 n.s.
-Enuresis / Enkopresis
C = 0.28 n.s.
-Depression
--Dysthymes Syndrom*
--Emotionale Störung mit Trennungsangst*
--Paniksyndrom*
C = 0.16 n.s.
-Agoraphobie
C = 0.07 n.s.
-Spezifische Phobie
C = 0.10 n.s.
-Sozialphobie
--Zwangssyndrom*
--Generalisiertes Angstsyndrom*
C = 0.23 n.s.
-Posttraumatische Belastungsstörung
--Anorexia nervosa*
--Bulimia nervosa*
C = 0.32 p =
-Alkohol- und Drogenmißbrauch
0.05
SSV früher
(Kinder)
C = 0.20 n.s.
C = 0.20 n.s.
C = 0.23 n.s.
---C = 0.13 n.s.
C = 0.02 n.s.
C = 0.15 n.s.
--C = 0.19 n.s.
--C = 0.27 n.s.
* Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da
nicht in
allen Zellen Werte vorhanden sind.
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem akuten Auftreten einer
Störung des Sozialverhaltens (Kinderversion) und Alkohol- und Drogenmißbrauch
nach Angaben der Erzieher (C = 0.32, p = 0.05). Bestehende Zusammenhänge zu
anderen Störungsbildern nach Erzieherangaben und einer akuten oder früheren
dissozialen Störung in der Kindereinschätzung sind nicht signifikant.
71
Tabelle 14
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der
Kinderversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der Kinderversion
des DIPS
Störungsbilder der Kinderversion
SSV akut
SSV früher
(Kinder)
(Kinder)
-Aufmerksamkeitsund C = 0.32 p < C = 0.13 n.s.
Hyperaktivitätsstörung
0.05
C = 0.14 n.s.
-Enuresis / Enkopresis
C = 0.28 n.s.
C = 0.19 n.s.
-Depression
C = 0.20 n.s.
--Dysthymes Syndrom*
-C = 0.19 n.s.
-Emotionale Störung mit Trennungsangst
C = 0.23 n.s.
C = 0.13 n.s.
-Paniksyndrom
C = 0.12 n.s.
C = 0.13 n.s.
-Agoraphobie
C = 0.16 n.s.
C = 0.15 n.s.
-Spezifische Phobie
C = 0.18 n.s.
C = 0.01 n.s.
-Sozialphobie
C = 0.03 n.s.
--Zwangssyndrom*
---Generalisiertes Angstsyndrom*
-C = 0.01 n.s.
-Posttraumatische Belastungsstörung
C = 0.03 n.s.
--Anorexia nervosa*
---Bulimia nervosa*
-C = 0.26 n.s.
-Alkohol- und Drogenmißbrauch
C = 0.29 n.s.
* Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da
nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind.
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer akuten Störung des
Sozialverhaltens (Kinderversion) und dem Auftreten einer Aufmerksamkeits- und
Hyperaktivitätsstörung nach den Angaben der Kinder (C = 0.32, p < 0.05).
Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern nach den Kinderangaben und einer
akuten oder früheren Störung des Sozialverhaltens in der Kindereinschätzung sind
nicht signifikant.
72
Tabelle 15
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der
Erzieherversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der
Kinderversion des DIPS
Störungsbilder der Kinderversion
SSV akut
(Erzieher)
-Aufmerksamkeitsund C = 0.09 n.s.
Hyperaktivitätsstörung
C = 0.30 n.s.
-Enuresis / Enkopresis
C = 0.21 n.s.
-Depression
--Dysthymes Syndrom*
C = 0.14 n.s.
-Emotionale Störung mit Trennungsangst
C = 0.19 n.s.
-Paniksyndrom
C = 0.19 n.s.
-Agoraphobie
C = 0.19 n.s.
-Spezifische Phobie
C = 0.14 n.s.
-Sozialphobie
--Generalisiertes Angstsyndrom*
--Zwangssyndrom*
C = 0.14 n.s.
-Posttraumatische Belastungsstörung
--Anorexia nervosa*
--Bulimia nervosa*
C = 0.20 n.s.
-Alkohol- und Drogenmißbrauch
SSV früher
(Erzieher)
C = 0.10 n.s.
C = 0.28 n.s.
C = 0.20 n.s.
-C = 0.03 n.s.
C = 0.12 n.s.
C = 0.12 n.s.
C = 0.09 n.s.
C = 0.23 n.s.
--C = 0.23 n.s.
--C = 0.23 n.s.
* Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da
nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind.
Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Störung des
Sozialverhaltens nach Erzieherangaben und anderen Störungsbildern, die nach
Angaben der Kinder diagnostiziert wurden.
73
XI.5. Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des
Sozialverhaltens und dem Auftreten bestimmter Risikofaktoren
Die dritte Fragestellung beschäftigt sich mit dem Zusammenhang der Risikofaktoren
Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern und der
Störung des Sozialverhaltens. Die Hypothese hierzu lautet, Kinder mit einer Störung
des Sozialverhaltens unterscheiden sich hinsichtlich dieser Risikofaktoren von
Kindern, die keine solche Störung aufweisen. In diesem Kapitel werden die
Ergebnisse dargestellt.
Tabelle 16
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach Angaben
der Erzieher und den Risikofaktoren Alkoholismus, soziale Schicht und
Familienstand der Eltern
Risikofaktoren
SSV akut
(Erzieher)
SSV früher
(Erzieher)
-Alkoholismus der Eltern
C = 0.26 n.s.
C = 0.30 n.s.
-Familienstand der Eltern
C = 0.02 n.s.
C = 0.09 n.s.
-soziale Schicht der Eltern
C = 0.17 n.s.
C = 0.07 n.s.
Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung
des Sozialverhaltens nach den Angaben der Erzieher und den Risikofaktoren
Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern.
74
Tabelle 17
Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach Angaben
der Kinder und den Risikofaktoren Alkoholismus, Familienstand und soziale
Schicht der Eltern
Risikofaktoren
SSV akut
(Kinder)
SSV früher
(Kinder)
-Alkoholismus der Eltern
C = 0.12 n.s.
C = 0.24 n.s.
-Familienstand der Eltern
C = 0.22 n.s.
C = 0.22 n.s.
-soziale Schicht der Eltern
C = 0.22 n.s.
C = 0.11 n.s.
Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung
des Sozialverhaltens nach den Angaben der Kinder und den Risikofaktoren
Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern.
Die Kinder der Einrichtung, die nach den Erzieherangaben eine Störung des
Sozialverhaltens aufweisen, unterscheiden sich hinsichtlich des Familienstandes
nicht von den Kindern, die keine dissoziale Störung zeigen (x2 = 1,59, df = 2, n.s.).
Sie unterscheiden sich ebenfalls nicht hinsichtlich einer Alkoholabhängigkeit der
Eltern (x2 = 3,82, df = 3, n.s.) und der sozialen Schicht (x2 = 0,03, df = 1, n.s.).
Wurde die Störung des Sozialverhaltens nach den Angaben der Kinder
diagnostiziert, ließ sich ebenfalls kein Unterschied finden bezüglich des
Familienstandes der Eltern
(x2 = 0,74, df = 2, n.s.), bezogen auf eine Alkoholkrankheit der Eltern (x2 = 0,59, df =
3, n.s.) oder in Bezug auf die soziale Schicht der Eltern (x2 = 2,72, df = 1, n.s.)
zwischen Kindern mit einer solchen Störung und Kindern ohne eine Störung des
Sozialverhaltens.
XII. Diskussion
Die dargestellten Ergebnisse zeigen, daß die Störung des Sozialverhaltens in dieser
Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe das Störungsbild ist, welches am häufigsten
auftritt. Es wurde in 57,6% der Fälle eine akute Störung des Sozialverhaltens
diagnostiziert. In dieser Prozentangabe sind allerdings auch die Diagnosen
enthalten, die entweder nur durch die Angaben der Erzieher oder nur durch die der
Kinder gestellt wurden. Immerhin wurde aber in 19,2% der Fälle die Störung des
Sozialverhaltens in Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung
der Kinder diagnostiziert. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde in 39 Fällen (75%) eine
Störung des Sozialverhaltens angegeben, davon 18 Fälle (34,6%) in
Übereinstimmung zwischen Kindern und Erziehern. Die Kinder geben sowohl bei
der Einschätzung der akuten Störung als auch bei der früheren Störung mehr Fälle
75
an als die Erzieher. Es könnte sein, daß die Kinder sich deshalb schlechter
einschätzen, weil sie sich „erklären” müssen warum sie in einer Heimeinrichtung
sind. Sowohl die Kinder als auch die Erzieher geben früher mehr Fälle an, in denen
eine Störung des Sozialverhaltens aufgetreten ist. Das deutet darauf hin, daß beide
Seiten von einer Besserung durch den Aufenthalt in der Einrichtung ausgehen.
Die Tatsache, daß die Wahrnehmung bezüglich des dissozialen Verhaltens häufig
nicht übereinstimmt, findet sich auch in der Untersuchung von Offord et al. (1991).
Bei den vier- bis elfjährigen Jungen dieser Studie wird nur in drei von 46 Fällen, die
Störung des Sozialverhaltens von den Eltern und den Lehrern übereinstimmend
identifiziert, bei den Mädchen in keinem Fall. In der Gruppe der zwölf- bis
sechzehnjährigen der Untersuchung von Offord et al. (1991) wurden 80% der
Jungen und 90% der Mädchen nur von einer Seite identifiziert.
In der
Untersuchung von White, Moffitt, Earls, Robins & Silva (1990) hingegen wird über
eine gute Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung der Kinder
berichtet, obwohl nicht nur Kinder und Eltern, sondern auch noch Lehrer befragt
wurden.
Die unterschiedliche Einschätzung in der Fremdbeurteilung gegenüber der
Selbstbeurteilung findet sich in dieser Arbeit nicht nur bei der Störung des
Sozialverhaltens, sondern auch bei anderen Störungsbildern wie der
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, der emotionalen Störung mit
Trennungsangst, der Panikstörung, der Spezifischen Phobie, der Sozialphobie und
der Posttraumatischen Belastungsstörung.
Die Untersuchung von Hebborn-Brass (1991) begegnet diesem Problem, indem in
ihrer Untersuchung die Diagnosen zunächst unabhängig von einer DiplomPsychologin und einem Kinder- und Jugendpsychiater gestellt wurden. Im Falle
mangelnder Übereinstimmung wurde so lange gemeinsam über die Diagnose
diskutiert bis man zu einem Konsens gekommen war.
Es fand sich keine Störung des Sozialverhaltens, die sich auf den familiären
Rahmen beschränkt hat (F91.0). Dieses Ergebnis stimmt mit dem Befund von Blanz
et al. (1990) überein, die in ihrer Querschnittuntersuchung ebenfalls keine solche
Störung fanden.
Bei den akuten Diagnosen kommt die „nicht näher bezeichnete Störung des
Sozialverhaltens” (F91.9) am häufigsten vor, gefolgt von der Kategorie F91.3 (SSV
mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten) und der Gruppe „SSV bei vorhandenen
sozialen Bindungen” (F91.2). Die Diagnose F91.1 (SSV bei fehlenden sozialen
Bindungen) spielte bei den aktuellen Diagnosen eine untergeordnete Rolle. Bei den
früheren Diagnosen allerdings kommt sie häufiger vor. Die Verteilung, die Blanz et
al. (1990) bezüglich der einzelnen Unterkategorien finden ist ähnlich. Bei den
jüngeren Kindern ihrer Untersuchung kommen die Kategorien „SSV bei
vorhandenen sozialen Bindungen” und „SSV bei fehlenden sozialen Bindungen”
etwa gleich häufig vor. Sie verlieren mit zunehmendem Alter jedoch immer mehr an
Bedeutung.
Ein anderer Grund für das seltene Auftauchen einer „Störung des Sozialverhaltens
bei fehlenden sozialen Bindungen” innerhalb der akuten Diagnose könnte darin
76
liegen, daß sich die Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung in einer Gruppe
befinden, in der sie in der Regel mehr oder weniger stark eingebunden sind.
Generell geht man davon aus, daß eine Störung des Sozialverhaltens bei Jungen
häufiger auftritt als bei Mädchen.
Möller-Nehring et al. (1998) finden in ihrer Studie an 1076 Patienten einer kinderund jugendpsychiatrischen Einrichtung 235 Kinder, die von einer Störung des
Sozialverhaltens betroffen sind, davon sind 71,1% Jungen und nur 28,9% Mädchen.
Myschker (1993) berichtet über eine Auftretenshäufigkeit der Störung des
Sozialverhaltens bei 11% aller Jungen und Mädchen unter 18 Jahren, dabei sind
nach seinen Angaben 9% der Betroffenen Jungen und nur 2% Mädchen. Diese
Daten beziehen sich jeweils auf die gesamte untersuchte Stichprobe.
Der Befund, der sich in dieser Arbeit bezüglich des Zusammenhangs zwischen dem
Auftreten einer akuten dissozialen Störung und dem Geschlecht zeigt, ist nicht ganz
eindeutig. Nach Erzieherangaben weisen 18 Kinder, vier Mädchen (7,6%) und 14
Jungen (26,9%), eine akute Störung des Sozialverhaltens auf. Den Angaben der
Kinder zufolge sind es insgesamt 22 akute Fälle, vier Mädchen (7,6%) und 18
Jungen (34,6%), mit einer Störung des Sozialverhaltens. Das heißt, bezogen auf die
Gesamtstichprobe zeigen mehr Jungen als Mädchen eine dissoziale Störung.
Trotzdem besteht nach den Angaben, die im Kinder-DIPS erhoben wurden kein
signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Störung und dem
Geschlecht. Es zeigt sich jedoch ein Zusammenhang zwischen der „externalen
Störung” in der Child Behavior Checklist und dem Geschlecht.
Hebborn-Brass (1991) findet in ihrer Untersuchung in einer Heimeinrichtung ein
ähnliches Ergebnis, wie es sich hier nach den Angaben im Kinder-DIPS darstellt.
Von 268 Kindern zeigen 78 eine dissoziale Störung, 55 von insgesamt 202 Jungen
(27%) und 23 von 68 Mädchen (34%). Bezogen auf die Gesamtstichprobe ergibt
sich ein Anteil von 20% Jungen und 8,5% Mädchen, die von einer dissozialen
Störung betroffen sind.
Auch andere Autoren (Eppright et. al, 1993) finden keinen Zusammenhang zwischen
einer dissozialen Störung und dem Geschlecht. Dies bedeutet, der häufig in der
Literatur berichtete Befund, daß Jungen häufiger eine Störung des Sozialverhaltens
aufweisen als Mädchen bedarf einer weiteren Überprüfung.
In der Untersuchung zu dieser Arbeit wurde kein Fall einer „schweren” akuten
Störung des Sozialverhaltens gefunden. Dieses Ergebnis könnte dadurch bedingt
sein, daß heftige Aggressivität und daraus resultierende mangelnde
Gruppenfähigkeit ein Ausschlußkriterium für die Aufnahme in die Einrichtung ist. Da
die „Schwere” der Störung nur für die akute Diagnose der Störung des
Sozialverhaltens festgehalten wurde, besteht aber ebenfalls die Möglichkeit, daß in
einigen Fällen früher eine schwere dissoziale Störung vorlag, die sich aber
gebessert hat.
Neben einem Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens und
Alkohol- und Drogengebrauch, wurde lediglich ein signifikanter Zusammenhang
77
gefunden zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und dem
Vorliegen einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. Die Literatur berichtet
ebenfalls über ein häufiges gemeinsames Aufteten beider Störungsbilder (Döpfner,
1996, Offord et al., 1991, Kolko, 1994).
In der Literatur wird aber außerdem über Komorbiditäten zu anderen
Störungsbildern, wie der depressiven Störung und den Angststörungen (Kolko,
1994, Craig und Pepler, 1997, Frick, 1998) berichtet. In der vorliegenden
Untersuchung zeigte sich kein Unterschied bezüglich einer „internalen Störung”
zwischen den Kindern mit einer dissozialen Störung und Kindern ohne eine
entsprechende Störung.
Craig und Pepler (1997) gehen davon aus, daß die Hälfte aller Kinder und
Jugendlichen, die eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, ebenfalls die
Kriterien für mindestens eine weitere Störung erfüllen.
Auch in dieser Arbeit gibt es Kinder und Jugendliche, die neben einer Störung des
Sozialverhaltens ein oder mehrere weitere Störungen zeigen. Der Zusammenhang
zwischen diesen Störungen und der dissozialen Störung ist jedoch nicht signifikant.
Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis könnte die Größe der untersuchten
Stichprobe sein.
Die Hypothese, daß sich die Kinder und Jugendlichen mit einer dissozialen Störung
bezüglich der Risikofaktoren Alkoholabhängigkeit der Eltern, Familienstand und
soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern von den Kindern ohne eine Störung des
Sozialverhaltens unterscheiden, konnte nicht bestätigt werden.
Verschiedene Autoren beschreiben eine stärkere Gefährdung von Kindern und
Jugendlichen, eine Störung des Sozialverhaltens zu entwickeln, wenn die Eltern
alkohol- und/oder drogenabhängig sind (Robins 1966, Lahey et al., 1995). In dieser
Arbeit
fand
sich
kein
signifikanter
Zusammenhang
zwischen
einer
Alkoholabhängigkeit der Eltern und der Störung des Sozialverhaltens. Dieses
Ergebnis stimmt überein mit dem von Offord et al. (1991), die ebenfalls keinen
Zusammenhang finden zwischen der dissozialen Störung und übermäßigem,
elterlichem Alkoholkonsum.
Ein weiterer Risikofaktor, der in der Literatur benannt wird, konnte in dieser Arbeit
nicht nachgewiesen werden. Verschiedene Autoren berichten über einen
Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und
ehelicher Disharmonie und „Broken-Homes” (Kazdin, 1987, Möller-Nehring et
al.,1998). Auch Hebborn- Brass (1991) findet den höchsten Anteil dissozialer
Störungen in unvollständigen Familien. Zwar kommt die dissoziale Störung auch in
vollständigen Familien vor, doch gibt es hier eine breite Streuung der Störungsbilder.
Für die Kinder und Jugendlichen der in dieser Arbeit untersuchten Einrichtung,
zeigte sich jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Familienstand
der Eltern, d.h. ob diese geschieden sind oder nicht und dem Auftreten einer
Störung des Sozialverhaltens.
Dieser Befund ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß nicht sicher davon
ausgegangen werden kann, daß auch wenn die Eltern zusammenleben, sie dies
auch in Harmonie tun. Es gibt unterschiedliche Gründe für die Unterbringung in einer
78
Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Diese Schwierigkeiten stehen jedoch fast
immer in irgendeinem Zusammenhang zu dem Elternhaus der Kinder. So besteht
die Möglichkeit, daß der fehlende Unterschied zwischen Kindern der Stichprobe mit
einer dissozialen Störung und ohne eine solche, bezüglich des Familienstandes der
Eltern sich daraus ergibt, daß alle Kinder in irgendeiner Form einer „Broken-home”
Situation ausgesetzt waren. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang
weiterführend zu untersuchen, welche protektiven Faktoren dazu geführt haben, daß
viele Kinder keine Störung des Sozialverhaltens entwickelt haben.
Auch daß die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht in Zusammenhang steht
mit dem Auftreten der Störung des Sozialverhaltens, konnte in dieser Arbeit nicht
bestätigt werden. Während verschiedene Autoren zumindest einen vermittelnden
Zusammenhang zwischen der unteren sozialen Schicht und einer dissozialen
Störung sehen, indem sie davon ausgehen, daß in der unteren sozialen Schicht
gehäuft andere Risikofaktoren anzutreffen sind, die zu einer Störung des
Sozialverhaltens führen (Robins, 1966, Robins, 1978, Myschker, 1993), zeigte sich
in dieser Arbeit kein signifikanter Zusammenhang. Allgemein wird gesagt, daß
Kinder aus der unteren Sozialschicht eher in eine Heimeinrichtung kommen, wenn
Probleme auftauchen, während Kinder der Mittel- und Oberschicht eher ein Internat
besuchen. Probleme müssen sich aber nicht ausschließlich auf das Auftreten einer
dissozialen Störung konzentrieren. Es besteht die Möglichkeit, daß die soziale
Schicht zwar nicht spezifisch mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens
in Zusammenhang steht, jedoch mit dem generellen Auftreten von Problemen und
einer damit verbundenen Unterbringung in einer Heimeinrichtung.
XIII. Zusammenfassung
In dieser Diplomarbeit wurde untersucht, wie häufig eine Störung des
Sozialverhaltens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auftritt.
Desweiteren wurde untersucht welche anderen Störungsbilder mit einer Störung des
Sozialverhaltens einhergehen und ob Risikofaktoren wie der Familienstand der
Eltern, Alkoholismus und soziale Schicht der Eltern in signifikantem Zusammenhang
stehen zum Auftreten einer dissozialen Störung.
In der Einrichtung wurden alle Kinder, deren Eltern in die Untersuchung eingewilligt
hatten und die kognitiv dazu in der Lage waren, mit Hilfe des „Kinder-DIPS”
(Schneider, Unnewehr & Margraf, 1995) befragt. Der Kinder-DIPS ist ein
strukturiertes Interview, das die Störungsbilder erfaßt, die nach ICD-10 oder DSM-IV
im Kindes- und Jugendalter auftreten können. Es liegt zum einen in der Form vor,
die geeignet ist, die Kinder selbst zu befragen und zum anderen in einer Form, mit
der die Eltern befragt werden können. Diese Version wurde in der vorliegenden
Untersuchung dazu benutzt, die pädagogischen Betreuer der Kinder ebenfalls zu
79
befragen. Desweiteren beantworteten die Erzieher für jedes Kind den
„Elternfragebogen
über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen”
(Arbeitsgruppe Deutsche Child behavior checklist, 1994, 1998). Um die
Risikofaktoren zu ermitteln, wurden den pädagogischen Betreuern folgende Fragen
gestellt:
Wie ist der Familienstand der Eltern des Kindes?
Ist ein Elternteil (oder beide) an Alkoholismus erkrankt?
Sind die Eltern Sozialhilfeempfänger?
Die Frage nach der Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens ließ sich
nicht eindeutig beantworten, da die Diagnosen, die nach den Angaben der Kinder
gemacht wurden nicht völlig übereinstimmten mit denen, die nach Erzieherangaben
gestellt wurden. Insgesamt wurde in 30 Fällen eine akute Diagnose der Störung des
Sozialverhaltens vergeben, davon sind zehn Diagnosen in Übereinstimmung
zwischen Kindern und Erziehern gestellt worden. Zwölf Diagnosen wurden nur nach
Angaben der Kinder ermittelt und acht nur durch die Erzieherangaben.
Es wurde lediglich eine signifikante Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens
mit der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung gefunden. Weitere bestehende
Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern waren nicht signifikant. Nur ein
Alkohol- und Drogenmißbrauch nach Erzieherangaben stand ebenfalls in
signifikanten Zusammenhang zur Störung des Sozialverhaltens.
Es wurde kein signifikanter Zusammenhang gefunden zwischen dem Auftreten einer
dissozialen Störung und den Risikofaktoren Familienstand der Eltern, Alkoholismus
und soziale Schicht der Eltern.
Einige, der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse stehen im Widerspruch zu
bisherigen Befunden, so daß hier weiterer Forschungsbedarf besteht.
80
XIV. Literaturverzeichnis
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