1 Die Häufigkeit der Störung des Sozialverhaltens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe Diplomarbeit Universität Osnabrück Fachbereich Psychologie eingereicht am: 20.01.2000 Betreuer: Prof. Dr. H. Schöttke Prof. Dr. K.-H. Wiedl 2 Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 1 II. Störung des Sozialverhaltens II.1. Beschreibung der Störung II.2. Kategorien in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen II.3. Diagnostisches Statistisches Manual 3 3 3 6 III. Epidemiologie 8 IV. Differentialdiagnostik und Komorbidität IV.1. Affektive Störungen IV.1.1. Depression und Angststörungen IV.2. Hyperkinetische Störungen IV.3. Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen IV.4. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen IV.5. Schizophrenie IV.6. Störung mit oppositionellem Trotzverhalten IV.8. Störung des Sozialverhaltens und antisoziale Persönlichkeitsstörung 10 10 11 11 12 12 13 13 13 V. Verlauf V.1. Verlauf in der Kindheit V.1.1. Altersspezifische Symptomverteilung 16 V.2. Verlauf bis in das Erwachsenenalter V.3. Der Einfluß von Therapie auf den Verlauf der Störung 14 15 17 20 VI. Risikofaktoren VI.1. Geschlecht VI.2. Frühes Verhalten VI.3. Familiäre Faktoren VI.3.1. Psychische Auffälligkeiten der Eltern VI.3.2. Eltern-Kind-Interaktionen VI.3.3. Eheliche Disharmonie und „Broken homes” VI.4. Biologische Einflüsse VI.5. Religiosität VI.6. Fernsehkonsum VI.7. Kognitive Faktoren VI.7.1. Intelligenz VI.7.2. Informationsverarbeitung VI.8. Soziale Schicht VI.9. Kulturelle Unterschiede VI.10. Schulische Faktoren 21 21 22 23 23 23 25 25 26 26 27 27 28 29 29 30 3 VI.11. Adoption 30 VII. Erklärungsansätze VII.1. Personenspezifische, biologische Prädispositionen VII.2. Genetische Einflüsse VII.2.1. Chromosomale Abweichungen VII.2.2. Biochemische Unterschiede VII.3. Lerntheoretische Erklärungen VII.4. Antisoziales Verhalten als Kompetenz VII.5. Fazit 31 31 32 33 33 33 34 35 VIII. Geschlechtsunterschiede 35 IX. Fragestellung 41 X. Methoden 42 X.1. Erhebungsinstrumente X.1.1. Kinder-DIPS X.1.2. Child Behavior Checklist X.1.3. Erhebung der Risikofaktoren X.1.4. Durchführungsbedingungen X.2. Darstellung der Stichprobe X.2.1. Die Einrichtung X.2.2. Ausschlußkriterien für eine Aufnahme in die Einrichtung X.2.3. Die Stichprobe X.2.4. Statistische Auswertung 42 42 44 44 45 45 45 45 46 46 XI. Ergebnisse 46 XI.1. Deskriptive Daten der Stichprobe 46 X1.1.1. Alter und Geschlecht 46 X1.1.2. Anzahl der Geschwister und Rangstellung innerhalb der Geschwister 46 X1.1.3. Schulform 47 X1.1.4. Religionszugehörigkeit 47 X1.1.5. Soziodemographische Daten der Eltern 47 XI.1.5.1. Familienstand der Eltern 47 XI.1.5.2. Alkoholkrankheit der Eltern 47 XI.1.5.3. Soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern 47 XI.2. Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im Kinder-DIPS 48 XI.2.1. Übereinstimmung zwischen den Diagnosen nach Angaben der Kinder und der Erzieher im Kinder-DIPS 48 XI.3. Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens 49 XI.3.1. Ergebnisse des Kinder-DIPS 50 XI.3.1.1. Akute Diagnose 50 4 XI.3.1.2. Frühere Diagnose 51 XI.3.1.3. Störung des Sozialverhaltens und Geschlecht 52 XI.3.1.4. Beginn der Störung des Sozialverhaltens 52 XI.3.1.5. Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens 52 XI.3.1.6. Gruppenzugehörigkeit und Störung des Sozialverhaltens 53 XI.3.2. Ergebnisse der Child Behavior Checklist 54 XI.3.3. Diagnose SSV im Kinder-DIPS und Werte in der CBCL 54 XI.3.3.1. SSV in der Kinderversion des DIPS und Werte in der CBCL 54 XI.3.3.2. SSV in der Erzieherversion des DIPS und Werte in der CBC 55 XI.3.3.3. Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen SSV im Kinder-DIPS und CBCL in einer Tabelle 56 2 XI.3.3.4. Multivariater Hotelling T -Test zur Überprüfung eines Unterschieds zwischen Kindern mit einer dissozialen Störung und ohne nach dem Kinder-DIPS bezüglich der „internalen” und „externalen” Störung in der CBCL 56 XI.3.4. Auftretenshäufigkeit der im Kinder-DIPS angegebenen Symptome der Störung des Sozialverhaltens 59 XI.4. Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens mit anderen Störungsbildern 61 XI.5. Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und dem Auftreten bestimmter Risikofaktoren 65 XII. Diskussion 66 XIII. Zusammenfassung 70 XIV. Literaturverzeichnis 71 5 I. Einleitung In dieser Arbeit geht es um die Störung des Sozialverhaltens (SSV) bei Kindern. Nach den emotionalen Störungen sind Störungen des Sozialverhaltens die zweithäufigste Diagnose in der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik (Steinhausen, 1996). Bei der SSV handelt es sich um Verhaltensweisen, mit denen altersgemäße Normen, Regeln und Rechte anderer beeinträchtigt werden. Entsprechend bezeichnet man sie auch als Dissozialität oder antisoziales Verhalten. SSV gehören zu den gängigsten Gründen für Eltern, Schulen und Gerichte, Kindern und Jugendlichen professionelle Hilfe zukommen zu lassen (Alexander & Pugh, 1996). Wenn Kinder antisoziale Verhaltensweisen zeigen, ist es unwahrscheinlich, daß sich solches Verhalten im Laufe der Zeit „auswächst”. Kinder und Jugendliche, die in der Kindheit oder Adoleszenz eine SSV aufweisen, sind stärker gefährdet, im Erwachsenenalter psychiatrische Erkrankungen, Alkoholabhängigkeit, kriminelles Verhalten und insbesondere eine antisoziale Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Schätzungen zufolge, weisen bis zu 50% der Kinder, bei denen eine SSV diagnostiziert wurde, im Erwachsenenalter eine antisoziale Persönlichkeitsstörung auf (Hersen & Last, 1990, Möller-Nehring, Moach, Castell, Weigel & Meyer, 1998). Anfang des 20. Jahrhunderts war es durchaus noch üblich, auch Kinder mit dem Begriff Psychopathie zu beschreiben, wie z. B. in der Arbeit von F. Kramer und R. v. d. Leyen „Entwicklungsverläufe anethischer, psychopathischer, gemütloser Kinder” (1934). Mc Cord und Mc Cord definierten dabei den Begriff Psychopath folgendermaßen: „Der Psychopath ist eine asoziale, höchst impulsive Person, die geringe oder überhaupt keine Schuldgefühle entwickelt und außerstande ist dauerhafte Gefühlsbeziehungen zu anderen Menschen herzustellen” (zitiert aus Remschmidt, 1978). Kramer und v. d. Leyen (1934) spekulierten dazu, daß das Fehlen eines Gewissens Ausdruck eines Abwehrvorgangs ist. Sie schrieben in ihrem Artikel: „Gerade die Sensivität der Kinder ist als der Grund anzusehen, daß sie der Unerträglichkeit der Situation gegenüber keinen anderen Ausweg finden, als sich in sich abzusperren und in die Unempfindlichkeit zu flüchten”. Heute benutzt man den Begriff der Psychopathie nicht mehr bei Kindern, weil es dem Entwicklungsgedanken widerspricht. Die Störung des Sozialverhaltens ist ein schwerwiegendes Problem, denn zum einen gibt es immer mehr Kinder und Jugendliche, die unter dieser Störung leiden. Zum anderen ist die Prognose ungünstig. Es fehlen effektive Interventionsmaßnahmen sowie eine eindeutig zuzuordnende Ätiologie für dieses Störungsbild (Atkins & Osborn, 1993). Eine dissoziale Störung verläuft nicht selten chronisch und wird oftmals über Generationen weitergegeben (Craig & Pepler, 1997). Die Störung hat weitreichende Auswirkungen auf Geschwister, Eltern, Lehrer, aber auch Fremde, die unter den antisozialen und aggressiven Handlungen der betroffenen Kinder zu leiden haben (Craig & Pepler, 1997). Desweiteren sind die 6 Kosten, die dadurch verursacht werden immens hoch. Zum einen sind immer neue Systeme an der Diagnostik und Intervention beteiligt (z.B. Gesundheitssystem, spezielle Erziehungseinrichtungen, Jugendgerichtsbarkeit usw.) (Craig & Pepler, 1997) und zum anderen durch konkret verursachte Schäden, die die Kinder anrichten (Frick, 1998). Ein weiterer Aspekt dieses Störungsbildes ist, daß in erster Linie nicht die Kinder selber unter ihren dissozialen Verhaltensweisen leiden sondern andere. Dies führt zu einem Mangel an Interesse, das Verhalten zu ändern und damit zu einer schlechten therapeutischen Prognose (Kolko, 1994). Zur Epidemiologie der Störung liegen unterschiedliche Angaben vor. Es wird gesagt, daß die Auftretenshäufigkeit bei klinischen Stichproben zwischen einem Drittel und der Hälfte liegt (Coid, 1993). Dagegen gibt es nur wenige Studien, die sich mit der Auftretenshäufigkeit in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigen, obwohl sich vermuten läßt, daß gerade in einer solchen Einrichtung das Störungsbild besonders häufig zu finden ist. Denn Kinder einer solchen Einrichtung sind (bzw. waren) in der Regel einer erhöhten Anzahl von Risikofaktoren ausgesetzt. Mit diesem Thema beschäftigt sich die vorliegende Diplomarbeit. Es werden Kinder und Jugendliche, die sich in einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe befinden, daraufhin untersucht, ob sie eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen. Es wird außerdem untersucht, ob andere Störungen überzufällig häufig mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens einhergehen. Desweiteren wird überprüft, ob bestimmte familiäre Risikofaktoren in signifikantem Zusammenhang zum Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens stehen. Zur Beantwortung dieser Fragestellungen werden sowohl die Kinder und Jugendlichen der Einrichtung mit Hilfe des Kinder-DIPS befragt als auch deren pädagogischen Betreuer. Das KinderDIPS erfragt Störungsbilder, die im Kindes- und Jugendalter auftreten. Zusätzlich bearbeiten die pädagogischen Betreuer einen Fragebogen zur Verhaltensbeurteilung von Kindern und Jugendlichen. In der vorliegenden Arbeit wird zunächst die Störung des Sozialverhaltens anhand der Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 vorgestellt (Kapitel II). In Kapitel III wird aufgezeigt, wie verbreitet die Störung des Sozialverhaltens ist. Da eine dissoziale Störung nicht immer eindeutig von anderen Störungen abzugrenzen ist, wird in Kapitel IV auf die Komorbidität und Differentialdiagnostik eingegangen. Kapitel V beschreibt den Verlauf der Störung innerhalb der Kindheit und bis in das Erwachsenenalter. Mit Kapitel VI werden Risikofaktoren aufgezeigt, die zur Entstehung und Persistenz der Störung beitragen. In einem eigenen Kapitel wird dann kurz auf die möglichen Wirkmechanismen eingegangen (Kapitel VII). Hier wird unter anderem auf die Anlage-Umwelt-Kontroverse Bezug genommen. Die Störung wird bei Jungen häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. In Kapitel VIII wird daher die Frage behandelt, ob dies tatsächlich die Verteilung wiedergibt oder ob, wie einige Autoren vermuten, Mädchen antisoziales Verhalten anders ausleben als Jungen. Kapitel IX beschäftigt sich mit der Fragestellung, die in dieser Diplomarbeit untersucht wird. In Kapitel X werden die Methoden, die zur Untersuchung der 7 Fragestellung benutzt werden, beschrieben. Kapitel XI beschäftigt sich mit den Ergebnissen der Untersuchung. In Kapitel XII werden die gefundenen Ergebnisse kritisch gewürdigt und diskutiert. Kapitel XIII enthält eine kurze zusammenfassende Darstellung der Fragestellung, Methoden und Ergebnisse dieser Arbeit. In Kapitel XIV findet sich das Literaturverzeichnis. II. Störung des Sozialverhaltens II.1. Beschreibung der Störung Störungen des Sozialverhaltens (SSV) umfassen ein breites Spektrum antisozialer Verhaltensweisen wie Aggressivität, Diebstahl, Vandalismus, Brandstiftung, Lügen, Schulschwänzen und Fortlaufen von zu Hause, Substanzmißbrauch, Wutausbrüche, Schlägereien, Waffengebrauch, gestörte Beziehungen, Mangel an Empathie, Mangel an Schuldbewußtsein, Grausamkeiten gegenüber Menschen und Tieren sowie sexuelles Fehlverhalten. Die Definitionen der Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-IV unterscheiden sich voneinander. Im ICD-10 wird zwischen einer auf den familiären Rahmen beschränkten Störung (F91.0), der SSV bei fehlenden sozialen Bindungen (F91.1), der SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen (F91.2), der SSV mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten (F91.3), den sonstigen SSV (F91.8) und der nicht näher bezeichneten Störung des Sozialverhaltens (F91.9) unterschieden. Das DSM-IV listet eine Reihe von Symptomen auf, von denen mindestens drei während der letzten zwölf Monate und mindestens ein Kriterium in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein müssen. II.2. Kategorien in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (Dilling, Mombour und Schmidt (Hrsg.), ICD-10, Kapitel V (F), 1993) F91 Störungen des Sozialverhaltens Allen gemeinsam ist ein sich wiederholendes und andauerndes Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens. Dieses Verhalten beinhaltet in seinen schwersten Formen gröbste Regelverletzungen altersentsprechender sozialer Erwartungen. Es soll aber schwerwiegender sein als gewöhnlicher kindischer Unfug oder jugendliche Aufmüpfigkeit. Einzelne solcher Handlungen allein sind jedoch kein Grund für die Diagnose. Beurteilungen über das Bestehen einer Störung des Sozialverhaltens müssen das Entwicklungsniveau des Kindes berücksichtigen. Wutausbrüche sind beispielsweise bei Dreijährigen eine normale Erscheinung und begründen nicht die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens. Beispiele im ICD10, die ausreichen für die Bennenung einer Störung des Sozialverhaltens, sind ein 8 extremes Maß an Streiten oder Tyrannisieren, Grausamkeit gegenüber anderen Menschen oder Tieren, erhebliche Destruktivität gegen Eigentum, Feuerlegen, Stehlen, häufiges Lügen, Schulschwänzen und Weglaufen von zu Hause, ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche und Ungehorsam. Allerdings gilt auch hier wieder, daß eine erhebliche Ausprägung vorhanden sein muß. Isolierte Handlungen genügen nicht für eine Diagnose. Eine Störung des Sozialverhaltens tritt oft zusammen mit schwierigen psychosozialen Umständen wie unzureichenden familiären Beziehungen und Schulversagen auf. Sie wird bei Angehörigen des männlichen Geschlechts häufiger gesehen. Die Forschungskriterien der ICD-10 (Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort, 1994) verlangen das Vorliegen von mindestens drei der folgenden Symptome: 1. für das Entwicklungsalter der Kindes ungewöhnlich häufige und schwere Wutausbrüche 2. häufiges Streiten mit Erwachsenen 3. häufige aktive Ablehnung und Zurückweisung von Wünschen und Vorschriften Erwachsener 4. häufiges, offensichtlich wohlüberlegtes Ärgern anderer 5. häufig verantwortlich machen anderer, für die eigenen Fehler oder für eigenes Fehlverhalten 6. häufige Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere 7. häufiger Ärger oder Groll 8. häufige Gehässigkeit oder Rachsucht 9. häufiges Lügen oder Brechen von Versprechen um materielle Vorteile und Begünstigungen zu erhalten oder um Verpflichtungen zu vermeiden 10. häufiges Beginnen von körperlichen Auseinandersetzungen (außer Geschwisterauseinandersetzungen) 11. Gebrauch von gefährlichen Waffen (z.B. Schlagholz, Ziegelstein, zerbrochene Flasche, Messer, Gewehr) 12. häufiges Draußenbleiben in der Dunkelheit, entgegen dem Verbot der Eltern 13. körperliche Grausamkeit gegenüber anderen Menschen (z.B. Fesseln, ein Opfer mit einem Messer oder mit Feuer verletzen) 14. Tierquälerei 15. absichtliche Destruktivität gegenüber dem Eigentum anderer (außer Brandstiftung) 16. absichtliches Feuerlegen mit dem Risiko oder der Absicht, ernsthaften Schaden anzurichten 17. Stehlen von Wertgegenständen ohne Konfrontation mit dem Opfer, entweder Zuhause oder außerhalb (z.B. Ladendiebstahl, Einbruch, Unterschriftenfälschung) 18. häufiges Schuleschwänzen 19. Weglaufen von den Eltern oder elterlichen Ersatzpersonen, mindestens zweimal oder einmal länger als eine Nacht (außer dies geschieht zur Vermeidung körperlicher oder sexueller Mißhandlung) 9 20. jede kriminelle Mißhandlung, bei der ein Opfer direkt angegriffen wird (einschließlich Handtaschenraub, Erpressung, Straßenraub) 21. Zwingen einer anderen Person zu sexuellen Aktivitäten 22. häufiges Tyrannisieren anderer (z.B. absichtliches Zufügen von Schmerzen oder Verletzungen - einschließlich andauernder Einschüchterung, Quälen oder Belästigung) 23. Einbruch in Häuser, Gebäude oder Autos. Die Symptome 11., 13., 15., 16., 20., 21. und 23. brauchen nur einmal aufgetreten zu sein, um das Kriterium zu erfüllen. In den einzelnen Subkategorien werden genaue Angaben gemacht welche Symptome erfüllt sein müssen, um die jeweiligen Kriterien für die Untergruppe zu erfüllen. F91.0 Auf den familiären Rahmen beschränkte SSV Die auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens umfaßt dissoziales Verhalten, das fast ausschließlich auf den häuslichen Rahmen oder auf Interaktionen mit Mitgliedern der Kernfamilie bzw. der unmittelbaren Lebensgemeinschaft beschränkt ist. Diese Kategorie fordert, daß keine dissozialen Handlungen außerhalb des familiären Rahmens auftauchen. F91.1 SSV bei fehlenden sozialen Bindungen Die Kategorie Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen ist charakterisiert durch die Kombination von andauerndem dissozialen Verhalten mit einer deutlichen und umfassenden Beeinträchtigung der Beziehungen des betroffenen Kindes zu anderen. Dabei ist das Hauptunterscheidungsmerkmal gegenüber den „sozialisierten” SSV das Fehlen einer wirksamen Einbindung in eine Peer Group. Gestörte Beziehungen zu Gleichaltrigen zeigen sich hauptsächlich in Isolation, Zurückweisung oder durch Unbeliebtheit bei anderen Kindern, weiter durch ein Fehlen enger Freunde oder dauerhafter, einfühlender wechselseitiger Beziehungen zu Gleichaltrigen. Die Beziehungen zu Erwachsenen zeichnen sich meist durch Unstimmigkeiten, Feindseligkeit und Verärgerung aus. F91.2 SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen bedeutet, daß die Kinder andauernde dissoziale Verhaltensweisen zeigen, aber dabei gut in ihre Altersgruppe eingebunden sind. Das heißt die Kinder haben angemessene, andauernde Freundschaften mit etwa Gleichaltrigen. Oft besteht diese Bezugsgruppe aus delinquenten oder dissozialen Kindern und Jugendlichen. Beziehungen zu Autoritätspersonen sind häufig schlecht, jedoch kann zu einigen Erwachsenen ein gutes Verhältnis bestehen. Diese Form kann auch den familiären Rahmen betreffen, ist aber nicht darauf begrenzt. F91.3 SSV mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten 10 Diese Art der Störung tritt charakteristischerweise bei Kindern unter neun oder zehn Jahren auf. Sie ist gekennzeichnet durch ein deutlich aufsässiges, ungehorsames, provokatives, feindseliges und trotziges Verhalten bei Fehlen schwerer dissozialer oder aggressiver Handlungen, die das Gesetz oder die Rechte anderer verletzen. Allerdings reicht nur mutwilliges oder unerzogenes Verhalten allein für die Diagnosestellung nicht aus. Kinder mit dieser Störung neigen oft dazu, häufig und aktiv Anforderungen oder Regeln Erwachsener zu mißachten und überlegt andere Menschen zu ärgern. Sie sind oft zornig, übelnehmerisch und verärgert über andere Menschen, welchen sie die Verantwortung für ihre eigenen Fehler oder Schwierigkeiten zuschreiben. Generell haben sie eine geringe Frustrationstoleranz und werden schnell wütend. Der Trotz, den sie zeigen, hat eine provokative Qualität, so daß sie Konfrontationen hervorrufen. Sie legen ein extrem hohes Maß an Grobheit, Unkooperativität und Widerstand gegen Autoritäten an den Tag. Dieses Verhalten ist häufig viel offensichtlicher bei Interaktionen mit Menschen, die das Kind gut kennt. Deshalb können während einer klinischen Untersuchung Hinweise auf das Vorliegen der Störung fehlen. Bei dieser Form der SSV treten Verhaltensweisen wie Verletzungen der Gesetze oder Rechte anderer (z. B. Diebstahl, Grausamkeit, Quälen, Vergewaltigung und Destruktivität) nicht auf. F91.8 Sonstige SSV Diese Form der Störung wird im ICD-10 nicht näher beschrieben. F91.9 Nicht näher bezeichnete SSV Hier handelt es sich um eine Restkategorie, der die Fälle zugeordnet werden sollen, die zwar die allgemeinen Kriterien der SSV erfüllen, bei welchen aber keine Kriterien für die Einordnung in eine Subgruppe erfüllt sind. Darüber hinaus gibt es im ICD-10 noch die kombinierten SSV. Diese sind gekennzeichnet durch die Kombination von andauerndem aggressiven, dissozialen oder aufsässigen Verhalten mit offensichtlichen und deutlichen Symptomen von Depression, Angst oder sonstigen emotionalen Störungen. II.3. Diagnostisches Statistisches Manual (Sass, DSM-IV, 1998) Diagnostische Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (312.8) Kriterium A Es liegt ein repetitives und anhaltendes Verhaltensmuster vor, durch das die grundlegenden Rechte anderer und wichtige altersentsprechende gesellschaftliche Normen oder Regeln verletzt werden. Dies manifestiert sich durch das Auftreten von mindestens drei der folgenden Kriterien während der letzten zwölf Monate, wobei mindestens ein Kriterium in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein muß: 11 Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren ♦ bedroht oder schüchtert häufig ein, ♦ beginnt häufig Schlägereien, ♦ hat Waffen benutzt, die anderen schweren körperlichen Schaden zufügen können (z. B. Schlagstöcke, Ziegelsteine, zerbrochene Flaschen, Messer, Gewehre), ♦ war körperlich grausam zu Menschen, ♦ quälte Tiere, ♦ hat in Konfrontation mit dem Opfer gestohlen (z.B. Taschendiebstahl, Erpressung, bewaffneter Raubüberfall), ♦ zwang andere zu sexuellen Handlungen; Zerstörung von Eigentum ♦ beging vorsätzlich Brandstiftung mit der Absicht, schweren Schaden zu verursachen, ♦ zerstörte vorsätzlich fremdes Eigentum (jedoch nicht durch Brandstiftung); Betrug oder Diebstahl ♦ brach in fremde Wohnungen, Gebäude oder Autos ein, ♦ lügt häufig, um sich Güter oder Vorteile zu verschaffen oder um Verpflichtungen zu entgehen (d. h. „legt andere herein”), ♦ stahl Gegenstände von erheblichem Wert ohne Konfrontation mit dem Opfer (z. B. Ladendiebstahl, jedoch ohne Einbruch, sowie Fälschungen); Schwere Regelverstöße ♦ bleibt vor dem Alter von 13 Jahren trotz elterlicher Verbote häufig über Nacht weg, ♦ lief mindestens zweimal über Nacht von zu Hause weg, während er/sie noch bei den Eltern oder bei einer anderen Bezugsperson wohnte (oder nur einmal mit Rückkehr erst nach längerer Zeit), ♦ schwänzt schon vor dem Alter von 13 Jahren häufig die Schule. Kriterium B Die Verhaltensstörung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funkionsbereichen. Kriterium C Bei Personen, die 18 Jahre oder älter sind, sind nicht die Kriterien einer antisozialen Persönlichkeitsstörung erfüllt. Weiterhin soll unterschieden werden zwischen dem Typus mit Beginn in der Kindheit, d. h. der Beginn mindestens eines der für die Störung charakteristischen Merkmale, soll vor dem Alter von zehn Jahren aufgetreten sein und dem Typus mit Beginn in der Adoleszenz, d. h. kein Kriterium tritt vor dem Alter von zehn Jahren auf. Bei dem Typus mit Beginn in der Kindheit sind die Betroffenen meist männlich. 12 Es besteht in diesem Fall eher die Wahrscheinlichkeit, daß die Störung längerfristig andauert und daß die Betroffenen im Erwachsenenalter eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweisen. Bei dem zweiten Typ mit Beginn in der Adoleszenz, weisen die Betroffenen im Vergleich zur ersten Kategorie weniger aggressive Verhaltensweisen auf und haben ausgeglichenere Beziehungen zu Gleichaltrigen. Hier ist der Anteil der Jungen im Verhältnis zu Mädchen geringer als für den Typus mit Beginn in der Kindheit. Gleichzeitig soll noch der Schweregrad der Störung bestimmt werden. „Leicht” bedeutet, daß zusätzlich zu den für die Diagnose erforderlichen Symptomen wenige oder keine weiteren Probleme des Sozialverhaltens auftreten, und die Probleme des Sozialverhaltens fügen anderen nur geringen Schaden zu. „Mittelschwer” heißt, daß die Anzahl der Probleme des Sozialverhaltens und die Auswirkungen auf andere zwischen „leicht” und „schwer” liegen. „Schwer” meint, daß zusätzlich zu den für die Diagnose erforderlichen Symptomen viele weitere Probleme des Sozialverhaltens auftreten oder daß die Probleme des Sozialverhaltens anderen beträchtlichen Schaden zufügen. Auch wenn die beiden Diagnosesysteme unterschiedliche Einteilungen vornehmen, gehen sie doch von gleichen Symptomen aus. Auch der Tatsache, daß es nach Meinung verschiedener Autoren einen Unterschied macht, in welchem Alter die Störung beginnt (Robins, 1966, White, Moffitt, Earls, Robins und Silva, 1990), tragen sie Rechnung, wobei im ICD-10 eine eigene Untergruppe der Störung des Sozialverhaltens eingerichtet wurde (SSV mit oppositionellem, aufsässigen Verhalten), von der gesagt wird, daß sie charakteristischerweise bei Kindern unter zehn Jahren auftritt. Es wird die Meinung vertreten, daß dieses Verhalten eher eine leichtere Form der SSV darstellt als eine qualitativ unterschiedliche Form. Diese Einteilung schließt nicht aus, daß auch bereits jüngere Kinder andere Symptome zeigen können. Im DSM-IV dagegen wird die Störung unterteilt in die Störung mit oppositionellem Trotzverhalten (313.81) und die Störung des Sozialverhaltens (312.8). Weiterhin wird die Diagnose näher spezifiziert, dahingehend in welchem Alter die ersten Symptome aufgetreten sind. Dabei geht das DSM-IV davon aus, daß wenn die Störung bereits vor dem zehnten Lebensjahr beginnt, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer antisozialen Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter erhöht ist. Dieser Befund wurde in unterschiedlichen Untersuchungen verschiedener Autoren bestätigt (Robins, 1966, White, Moffitt, Earls, Robins und Silva, 1990). III. Epidemiologie Die Schätzungen, wie oft diese Störung in der Bevölkerung verteilt ist, unterscheiden sich stark. Dies beruht vor allem auf unterschiedlichen Definitionen, aber auch auf unterschiedlichen Altersgruppen die untersucht wurden. In einem Artikel von Offord, Alder und Boyle (1986) wird über die „Isle of Wight”-Studie berichtet, die sich 13 beispielsweise nur mit der Altersgruppe der zehn- und elfjährigen Kinder beschäftigt. Die Studie findet eine Auftretensrate von insgesamt 4,2% in dieser Altersgruppe. Betrachtet man in dieser Studie Jungen und Mädchen getrennt, so sind 6,0% der Jungen und 1,6% der Mädchen von der Störung des Sozialverhaltens betroffen. Offord, Boyle und Racine (1991) berichten über Ergebnisse der „Ontario Child Health Study” (OCHS). In dieser epidemiologischen Studie wird untersucht, wieviele Kinder und Jugendliche zwischen vier und sechzehn Jahren eine Störung des Sozialverhaltens, eine Hyperaktivitätsstörung, eine emotionale Störung oder eine somatische Störung aufweisen. Desweiteren wird untersucht, welche soziodemographischen Zusammenhänge es mit der Störung des Sozialverhaltens gibt. Befragt werden die Kinder und Jugendlichen selbst sowie deren Eltern und Lehrer mit einer abgewandelten Form der „Child behavior checklist” (Achenbach & Edelbrock, 1981). Die Gesamtrate der Störung des Sozialverhaltens beträgt 5,5%, wobei die Rate bei den Jungen 8,1% beträgt und bei den Mädchen 2,8%. Desweiteren wird unterschieden zwischen der Altersgruppe der vier- bis elfjährigen und der zwölf- bis sechzehnjährigen. In der jüngeren Gruppe zeigen 6,5% der Jungen und 1,8% der Mädchen eine Störung des Sozialverhaltens, während es in der älteren Gruppe 10,4% der Jungen und 4,1% der Mädchen sind. Die größte Überschneidung hinsichtlich der Diagnosen ergab sich zwischen der dissozialen Störung und der Hyperaktivitätsstörung in der Gruppe der vier- bis elfjährigen Kinder. 58,7% der Jungen und 56,3% der Mädchen mit einer antisozialen Störung zeigen ebenfalls eine Hyperaktivitätsstörung. Bei den zwölf- bis sechzehnjährigen Jugendlichen sind es 30,5% der Jungen und 37,0% der Mädchen die beide Störungen aufweisen. Die Überschneidung zwischen der Störung des Sozialverhaltens und einer emotionalen Störung variiert zwischen 15,3% (in der Gruppe der vier- bis elfjährigen) und 18,6% (in der Gruppe der zwölf- bis sechzehnjährigen) bei Jungen und 31,3% und 48,1% bei Mädchen der entsprechenden Altersgruppen. Bei den soziodemographischen Daten zeigt sich der stärkste Zusammenhang zwischen antisozialem Verhalten und geringem Einkommen. Interessanterweise zeigt sich kein Zusammenhang zu übermäßigem elterlichen Alkoholkonsum. Andere Autoren sprechen von einer Häufigkeit von 4% bis 10% der Kinder in England und den USA (Wolff, 1993). Lösel und Bender (1997) gehen davon aus, daß 7% bis 10% aller Kinder zeitweise Antisozialitätsprobleme haben und daß Jungen sechs- bis neunmal häufiger eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen als Mädchen. Jungen entwickeln demzufolge sehr viel häufiger eine dissoziale Störung als Mädchen. Steinhausen (1996) beispielsweise gibt an, daß aggressives und dissoziales Verhalten bei 4% bis 8% der zehn- bis zwölfjährigen Jungen vorkommt und daß Jungen bis zu dreimal häufiger auffällig sind als Mädchen. Anderen Angaben zufolge tritt die SSV bei 11% aller Jungen und Mädchen unter 18 Jahren auf, dabei sind 9% der Betroffenen Jungen und nur 2% Mädchen (Myschker, 1993). 14 International wird die Rate von Störungen des Sozialverhaltens für das gesamte Kindes- und Jugendalter auf 5% bis 15% geschätzt, wobei Jungen vier- bis fünfmal häufiger betroffen sind als Mädchen (Steinhausen, 1996). Insgesamt ist es schwierig, eine angemessene Schätzung anzugeben, weil zum einen die Definitionen nicht einheitlich sind, zum anderen aber auch sehr unterschiedliche Stichproben untersucht wurden (z. B. hinsichtlich des Alters oder des Geschlechtes). Man kann auch davon ausgehen, daß in klinischen Stichproben die Häufigkeit bei einem Drittel bis zu einer Hälfte liegt (Coid, 1993). In einer Studie von Möller-Nehring et al. (1998), die insgesamt 1076 Patienten der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Erlangen-Nürnberg untersuchte, die dort zwischen 1989 und 1994 behandelt wurden, wiesen 235 Patienten eine Störung des Sozialverhaltens auf. Das entspricht 21,8% der Gesamtstichprobe. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es Studien gibt, die sich mit der Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens in der Bevölkerung beschäftigen und auch Studien, die untersucht haben wie häufig die Störung in klinischen Stichproben auftritt. Eine Studie, die sich unter anderem damit befaßt, wie häufig die Störung des Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen auftritt, die sich in einer Heimeinrichtung befinden, ist die Untersuchung von Hebborn-Brass (1991). Es handelt sich dabei um eine Längsschnittstudie, die alle 268 Kinder, die von 1968 bis 1985 in der Institution aufgenommen wurden, untersucht. Sie benutzt zur Diagnostik das „Multiaxiale Klassifikationsschema für psychiatrische Erkrankungen im Kindesund Jugendalter” von Remschmidt, Schmidt und Klipcera (1977). Die Diagnosestellung erfolgt in dieser Untersuchung durch zwei klinische Experten (Diplom-Psychlogin und Kinder- und Jugendpsychiater), die zunächst unabhängig voneinander für jedes Kind aufgrund persönlicher Kenntnis und nach Aktenstudium eine Diagnose erstellten, welche dann gemeinsam bis zum Konsens diskutiert wurde. Bei der Erfassung der Intelligenz und Entwicklungsrückständen wurden zusätzlich Tests gemacht. In Ergänzung dazu wurde ein psychologischer Verhaltensbeurteilungsbogen eingesetzt, der verschiedene Dimensionen abdeckt (einschließlich des Sozialverhaltens). 78 Kinder (29%) weisen eine dissoziale Störung auf, davon sind 55 Jungen und 23 Mädchen. Sie bilden in dieser Untersuchung aber nur die zweitgrößte Gruppe. Die zahlenmäßig größte Syndromgruppe stellt die der prognostisch günstigen neurotisch-emotionalen Störungen mit 102 Kindern (38% der Gesamtstichprobe) dar. 50 Kinder (19% der Stichprobe) werden als hyperaktiv diagnostiziert. Die Frage wie oft eine solche Störung in einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auftritt, wird in dieser Diplomarbeit untersucht. IV. Differentialdiagnostik und Komorbidität Im ICD-10 wird eine Überschneidung der SSV mit anderen Störungen eingeräumt. Zu den Ausschlußdiagnosen gehören affektive Störungen (F30-39), hyperkinetische 15 Störung des Sozialverhaltens (F90.1), kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92), tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) und Schizophrenie (F20). Das DSM-IV faßt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen und die Störungen des Sozialverhaltens zu einer Gruppe der „Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens” zusammen, um damit die engen Beziehungen zwischen diesen Störungen deutlich zu machen. Die Diagnosekriterien für die SSV entsprechen sich in beiden Systemen weitgehend. In diesem Kapitel wird auf das gemeinsame Auftreten und die Differenzierung von anderen Störungen näher eingegangen. IV.1. Affektive Störungen Affektive Störungen können schon in der Kindheit und Jugend beginnen. Die Hauptsymptome bestehen in einer Veränderung der Stimmung oder der Affektivität, die meist mit einem Wechsel des allgemeinen Aktivitätsniveaus einhergehen. Diese gesteigerte körperliche und psychische Aktivität kann bei einzelnen Störungsbildern zu Reizbarkeit, Mißtrauen, Selbstüberschätzung und flegelhaftem Verhalten, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten sowie starker Ablenkbarkeit, einem impulsiven, unkontrollierten Interesse an neuen Unternehmungen, zum Verlust sozialer Hemmungen, Aggression und Gewalttätigkeit führen. Die einzelnen Episoden stehen oft in Zusammenhang mit belastenden Ereignissen oder Situationen. Dabei handelt es sich dann häufig um eine Reaktion auf belastende Faktoren wie Trennungserfahrungen, intrafamiliäre Spannungen bzw. deren Folgen sowie Erziehungs- und Bindungsdefizite (Steinhausen, 1996). VI.1.1. Depression und Angststörungen Untersuchungen weisen darauf hin, daß auch Depression und Angststörungen als internalisierende Störungen mit aggressivem Verhalten einhergehen können. Demnach sei angstmotivierte Aggression das Mittel, um sich bei anderen Respekt zu verschaffen und die eigene Unsicherheit zu verringern (Petermann & Warschburger, 1996). Andererseits könne die Depression als sekundäres Problem angesehen werden, entstanden durch die negativen Rückmeldungen in bezug z. B. auf schulische Leistungen und deren schädliche Auswirkungen auf die Selbstachtung. Es wurde festgestellt, daß Jungen ohne Angstsymptomatik mehr und schwerwiegendere Aggressionssymptome zeigen als überängstliche verhaltensgestörte Jungen (Petermann & Warschburger, 1996). Andere Autoren berichten, daß Depression ein Vorläufer oder eine Begleiterscheinung bei der Störung des Sozialverhaltens mit Beginn in der Adoleszenz sein kann (Craig & Pepler, 1997). Desweiteren gehen sie davon aus, daß die Kombination der Störung des Sozialverhaltens mit Depression ein erhöhtes Suizidrisiko für die Betroffenen darstellt. 16 Auch Schleiffer (1988) verweist darauf, daß Kinder und Jugendliche neben externalisierten Symptomen auch eine charakteristische Labilität im Sinne von Beziehungs- und Belastungsschwäche aufweisen, die auf die Nähe zwischen depressiven Störungen und der dissozialen Störung schließen lassen. Verschiedene Autoren berichten, daß Kinder mit einer dissozialen Störung stärker gefährdet sind ebenfalls eine depressive Störung und/oder eine Angststörung zu entwickeln als Kinder ohne eine solche Störung (Kolko, 1994, Craig & Pepler, 1997, Frick, 1998). IV.2. Hyperkinetische Störungen Hyperkinetische Störungen treten zusammen mit den Störungen des Sozialverhaltens in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen am häufigsten auf. In einer kinderpsychiatrischen Inanspruchnahmepopulation besaß die Hälfte aller als hyperkinetisch gestört diagnostizierten Kinder und Jugendlichen zusätzlich eine dissoziale Störung. Umgekehrt wurde in 17,4% der Fälle eine SSV ohne hyperkinetische Störung diagnostiziert (Döpfner, 1996). Nach den Ergebnissen mehrerer Studien sieht es so aus, daß bei 30% bis 90% der Kinder, die in einer der beiden Störungskategorien klassifiziert waren, auch in der anderen Kategorie eine Diagnose gestellt wurde. Sind zusätzlich zu den Kriterien für eine SSV auch die Kriterien für eine hyperkinetische Störung erfüllt, sollte die Diagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) lauten. Dabei wird dem dissozialen Verhalten eine sekundäre Stellung zugewiesen, das hyperkinetische Verhalten stellt das Hauptproblem dar (geringere Ausprägungen von Überaktivität und Unaufmerksamkeit sind allerdings bei SSV üblich, die Hyperaktivität sollte deshalb umfassend und schwerwiegend sein). Nach ICD-10 wird eine hyperkinetische Störung mit Priorität vor einer SSV diagnostiziert. Verschiedene Autoren (Steinhausen, 1996, Döpfner, 1996) weisen sogar darauf hin, daß die Gültigkeit des Konzeptes des hyperkinetischen Syndroms bzw. eine Differenzierung dieser Störungen in Frage gestellt ist, angesichts der Koexistenz von dissozialen Störungen mit Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität. Kinder und Jugendliche, die beide Störungen aufweisen, zeigen in der Regel einen früheren Beginn und eine längere Persistenz der Verhaltensauffälligkeiten als diejenigen mit einer reinen Störung des Sozialverhaltens (Hirschberg, 1994, Steinhausen, 1996) oder diejenigen mit einer reinen hyperkinetischen Störung (Döpfner, 1996). Kinder und Jugendliche, die ausschließlich eine hyperkinetische Störung zeigen, haben die günstigste Prognose. Dies wird nach Auffassung verschiedener Autoren dadurch bedingt, daß erstere in der Regel mehr und schwerere Symptome von Verhaltensauffälligkeiten zeigen und damit psychisch stärker gestört sind als Jugendliche, bei denen nur eines der beiden Problemfelder besteht (Hirschberg, 1994, Döpfner, 1996). Andere Ergebnisse zeigen, daß das hyperkinetische Syndrom faktorenanalytisch von der SSV zu trennen ist (Hirschberg, 1994, Robins, 1991, Döpfner, 1996) und mit verschiedenen „background characteristics” und Prognosen verbunden ist (Kazdin, 1990), wenn 17 sich auch die Faktorensummen der beiden Dimensionen als hoch korreliert erwiesen. Zudem konnte gezeigt werden, daß besonders diejenigen Kinder mit einem hyperkinetischen Syndrom auch eine SSV aufweisen, deren hyperkinetisches Verhalten situationsunabhängig war (Hirschberg , 1994). IV.3. Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen Bei der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92) kommen zusätzlich zu andauernden aggressiven, dissozialen oder aufsässigen Symptomen auch offensichtliche und deutliche Symptome von Depression, Angst oder sonstigen emotionalen Störungen hinzu. Trauer- und Verlustreaktionen gehen dabei mit isolierten dissozialen Verhaltensweisen bei Kindern einher, die ihre Verunsicherung durch aus der Umwelt stammenden Ängsten und Befürchtungen nach außen in aggressiven Handlungen ausagieren (Steinhausen, 1996). Nach ICD10 existieren keine ausreichenden Forschungsanstrengungen, die eine Trennung dieser Kategorie von den SSV im Kindesalter garantieren. Diese Trennung wurde aufgrund einer möglichen ätiologischen und therapeutischen Bedeutung und des Beitrags zur diagnostischen Zuverlässigkeit der Klassifikation vorgenommen. IV.4. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Wie auch bei der dissozialen Störung liegen bei tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (F84) qualitative Beeinträchtigungen in gegenseitigen sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern vor. Außerdem tritt jedoch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten auf. Diese Störungen sind durch ein Verhalten definiert, das nicht dem Intelligenzalter des Individuums entspricht. IV.5. Schizophrenie Die Schizophrenie (F20) kann durch schwere Verhaltensstörungen, zu denen verantwortungsloses und unvorhersagbares Verhalten zählt, eine gewisse Inadäquatheit des Affekts sowie durch Störungen der Stimmung wie Reizbarkeit, plötzliche Wutausbrüche und Mißtrauen gekennzeichnet sein. Aggressivität mit möglicherweise erheblicher Selbst- und Fremdgefährdung oder eine aus der Antriebssteigerung bzw. Stimmungsveränderung resultierende aggressive Gespanntheit und Gereiztheit einschließlich aggressiver Akte bei den Manien kann häufig aus dem psychotischen Erleben von Angst oder aus Wahninhalten entstehen (Steinhausen, 1996). Die Hauptkennzeichen der schizophrenen Störungen sind grundlegende und charakteristische Störungen des Denkens und der Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affektivität. 18 IV.6. Störung mit oppositionellem Trotzverhalten Im Gegensatz zur Störung des Sozialverhaltens werden bei der Störung mit oppositionellem Trotzverhalten nach DSM-VI (313.81) die grundlegenden Rechte anderer akzeptiert; die Betroffenen zeigen aber eine ablehnende, feindselige und trotzige Haltung, vor allem gegenüber vertrauten Personen. Verschiedene Ergebnisse legen nahe, aufgrund der enormen Komorbidität dieser Störungen, oppositionelles Trotzverhalten als Vorläufer einer SSV aufzufassen (Petermann & Warschburger, 1996). Gestützt wird diese Ansicht durch vergleichbare, wenn auch beim oppositionellen Trotzverhalten weniger stark belastete, familiäre Muster. Die ICD-10 weist diese Kategorie nicht als eigenständige Störung auf, sondern als Untergruppe der Störung des Sozialverhaltens (F91.3 SSV mit oppositionellem Trotzverhalten). IV.7. Störung des Sozialverhaltens und antisoziale Persönlichkeitsstörung Die antisoziale Persönlichkeitsstörung ist charakterisiert durch ein andauerndes Muster der Nichtachtung und Verletzung sozialer Rechte anderer Menschen seit dem 15. Lebensjahr, fehlendes Wahrheitsempfinden, Impulsivität, Reizbarkeit und Aggressivität, Verantwortungslosigkeit und fehlende Gewissensbisse. Die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeitsstörung wird nicht vor dem 18. Lebensjahr gestellt; wobei die Diagnose durch das Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit gestützt wird. Das beste Abgrenzungsmerkmal der beiden Störungen voneinander ist das Alter. Die SSV wird in der Regel nur bis zum 18. Lebensjahr diagnostiziert, eine Persönlichkeitsstörung erst ab dem 18. Lebensjahr. Eine Untersuchung von Eppright, Kashani, Robison und Reid (1993) befaßt sich trotzdem mit der Komorbidität der beiden Störungen. Die Autoren untersuchten 100 jugendliche Straftäter im Alter zwischen elf und siebzehn Jahren auf eine Störung des Sozialverhaltens und Persönlichkeitsstörungen. 87 Versuchspersonen erfüllten die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens und 13 nicht. Sie fanden keinen Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens und Geschlecht oder Alter. 75 Probanden erfüllten die Kriterien für die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, wobei die Autoren das Alter der Versuchspersonen außer acht ließen. Es konnten auch andere Persönlichkeitsstörungen festgestellt werden, aber die der antisozialen Persönlichkeitsstörung kam mit Abstand am häufigsten vor und war die einzige, bei der sich ein signifikanter Zusammenhang mit der SSV zeigte. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, daß dieses Ergebnis nicht weiter verwunderlich ist, da die Kriterien der Störung im DSM-III-R sehr ähnlich sind. 19 Allgemein läßt sich feststellen, daß das Auftreten eines weiteren Störungsbildes die therapeutische Arbeit erschwert und deren Erfolg gefährdet (Petermann & Warschburger, 1996). Außerdem erkennen sowohl ICD-10 als auch DSM-IV an, daß sich aus einer Störung des Sozialverhaltens eine dissoziale (ICD-10) oder antisoziale (DSM-IV) Persönlichkeitsstörung entwickeln kann. Im folgenden werden der Verlauf einer SSV und die Risikofaktoren für die Entstehung und Vertiefung bzw. Persistenz der Störung sowie Erklärungsansätze näher erläutert. Die Frage welche Störungsbilder gemeinsam mit einer Störung des Sozialverhaltens auftreten, ist unter anderem Thema dieser Diplomarbeit. V. Verlauf In diesem Kapitel wird darauf eingegangen, wie eine Störung des Sozialverhaltens bei Kindern verläuft. Es wird gezeigt, daß Kinder unterschiedlichen Alters unterschiedliche Symptome zeigen. Weiterhin wird beschrieben, was aus den Kindern, die antisoziales Verhalten zeigen, im Erwachsenenalter wird. Dabei gibt es Hinweise darauf, daß antisoziales Verhalten stark abhängig ist vom Geschlecht. Die Störung des Sozialverhaltens ist eine schwerwiegende Verhaltensauffälligkeit, die als Vorbote von chronischem antisozialen Verhalten im Erwachsenenalter gesehen werden kann. Es gibt unterschiedliche Zahlen darüber, welcher Anteil derjenigen, die als Kind eine dissoziale Störung aufweisen, im Erwachsenenalter eine antisoziale Persönlichkeitsstörung haben. Robins (1966) fand in ihrer Studie, daß von allen Kindern, die wegen antisozialer Verhaltensweisen in die Klinik gekommen waren, 28% als Erwachsene die Diagnose „Soziopathische Persönlichkeit” erhielten. Frick (1998) geht davon aus, daß 40% der Kinder mit einer dissozialen Störung als Erwachsene eine antisoziale Persönlichkeitsstörung entwickeln. In der Untersuchung von Storm-Mathisen und Vaglum (1994) wird berichtet, daß 35% der Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen, zum Nachuntersuchungszeitpunkt 20 Jahre später die DSM-III-R Kriterien für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung erfüllten, wobei Männer zu 47% die Diagnose erhielten, aber nur 23% der Frauen. Andere Autoren gehen davon aus, daß durchschnittlich 50% der Kinder mit SSV auch als Erwachsene antisoziale Verhaltensweisen zeigen (Möller-Nehring et al., 1998). V.1. Verlauf in der Kindheit SSV werden meist erst bei Kindern diagnostiziert, die bereits zur Schule gehen. In der Regel sind diese zwischen acht und zehn Jahren alt (Robins, 1991). Aber die Eltern dieser Kinder berichten oftmals über Reizbarkeit und Sturheit schon in 20 früherem Alter. In der Literatur finden sich Hinweise auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen Unruhe im Alter von drei und fünf Jahren und antisozialem Verhalten im Alter von acht Jahren (White, Moffitt, Earls, Robins & Silva, 1990). In anderen Artikeln findet man ebenfalls Hinweise darauf, daß ein „schwieriges” Temperament in der Kindheit ein Prädiktor für späteres antisoziales Verhalten ist (Kazdin, 1990). Schwierige Kinder zeichnen sich eher durch schlechte Grundstimmung, schlechte Anpassung an Veränderungen und heftige Reaktionen auf neue Stimuli sowie aggressives Verhalten und Wutausbrüche aus, als sogenannte einfache Kinder. Die Symptome der Störung des Sozialverhaltens variieren mit dem Alter des Kindes, aber auch mit dem Geschlecht. In der jüngsten Gruppe nennen die Eltern oft Anzeichen wie Widerspenstigkeit, Auseinandersetzungen und Wutausbrüche. Als nächstes folgen oppositionelle, aufsässige Verhaltensweisen, gefolgt von Diebstahl und Brandstiftung. Als letztes tauchen Merkmale auf wie Schulschwänzen, Vandalismus und Substanzmißbrauch (Robins, 1991, Robins, 1986). Es werden allerdings keine konkreten Altersangaben für die einzelnen Gruppen gemacht. Steinhausen (1996) geht davon aus, daß aggressives Verhalten zunächst im Vorschulalter einen Höhepunkt erreicht und dann einen Häufigkeitsabfall zeigt, während verdecktere Formen aggressiven Verhaltens (z. B. Stehlen) zunehmen. Andere Studien kommen zu anderen Ergebnissen: Mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen zu. Während bei Kleinkindern der Anteil der Betroffenen bei ca. 2% liegt, wird bei Jugendlichen von bis zu 10 % gesprochen. Längsschnittstudien belegen diese Angaben: Der Prozentsatz der aggressiven Kinder vervierfachte sich zwischen dem achten und dreizehnten Lebensjahr (Petermann & Warschburger, 1996). Jenkins und Glickman (1946) überprüften in einer Stichprobe eine Einteilung von Kindheitsstörungen, in der zwischen verschiedenen Typen von Kindern mit SSV unterschieden wurde. Dabei fanden sie für die jeweiligen Typen unterschiedliche geschlechtsspezifische Symptome heraus. Typ II bildete das „unsozialisierte aggressive Kind”, das generell charakterisiert wird durch ein Initiieren von Kämpfen, Grausamkeit, Trotz gegenüber Autoritäten, böswillig angerichtete Schäden und inadäquate Schuldgefühle. Dieser Typ wurde weiterhin als selbstbezogen, eifersüchtig, rachsüchtig und hinterlistig beschrieben. Außerdem soll das Kind anderen mißtrauen, einen profanen und obszönen Sprachgebrauch haben sowie frühzeitig an sexuellen Kontakten interessiert sein. Typ III wurde das „sozialisierte delinquente oder pseudosoziale Kind” genannt. Es zeichnete sich allgemein durch Stehlen in der Gruppe, heimliches Stehlen, gewohnheitsmäßiges Schulschwänzen, langes abendliches Wegbleiben, Weglaufen von zu Hause, schlechte Kameraden und Bandenaktivitäten aus. Nach ihrer Untersuchung wurden diese Typen durch Symptomkorrelationen bestätigt. Die Autoren gaben jedoch noch eine zusätzliche typisch weibliche Form des Typ II an, die sich generell durch mehr verbale Aggression und allgemeine Selbstbezogenheit definiert. 21 V.1.1. Altersspezifische Symptomverteilung In einer Studie von Blanz, Schmidt und Esser (1990) wurde in einer Querschnittanalyse die Verteilung der Diagnosen der SSV nach ICD-10 in einer Feldstichprobe untersucht. Die Gesamtzahl stieg in dieser Studie zwischen acht und dreizehn Jahren um mehr als das Doppelte an, während sie zwischen 13 und 18 Jahren nahezu konstant blieb. Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Kontext beschränkte SSV) kam zu keinem Zeitpunkt vor. Die Diagnose F91.3 (SSV mit oppositionell-aufsässigem Verhalten) spielte numerisch eine sehr untergeordnete Rolle. Während bei den Achtjährigen die Diagnosen F91.1 (SSV bei fehlender Sozialisation) und F91.2 (SSV mit Sozialisation) etwa gleichhäufig vorkamen, verlor die Kategorie F91.1 bei den 13jährigen und noch deutlicher bei den 18jährigen relativ an Bedeutung, während SSV mit emotionalen Störungen über den Zehnjahreszeitraum zunahmen. Bei den kombinierten SSV nach F92 standen an emotionaler Symptomatik depressive Symptome und Angstsyndrome im Vordergrund. Die Symptombelastung als Parameter für den Schweregrad zeigte zwischen den Kategorien F91.1 und F91.2 bei den 13jährigen einen signifikanten Unterschied; sie lag höher für die Diagnose F91.1. In den anderen Altersgruppen zeigten sich keine Unterschiede bezüglich der beiden Kategorien. Die höchste Symptombelastung fand sich bei den acht- bis dreizehnjährigen in der Kategorie der kombinierten SSV mit emotionalen Störungen. Die Autoren gehen davon aus, daß dissoziales Verhalten altersabhängig variiert. So tendieren Kinder zu offensiveren dissozialen Aktionen wie aggressiven Auseinandersetzungen, während Jugendliche auch defensive dissoziale Symptome aufweisen können wie Diebstähle und Alkoholoder Drogenmißbrauch. Petermann und Warschburger (1996) schreiben in ihrem Artikel, daß sich dissoziales Verhalten über verschiedene Altersstufen hinweg in sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern kann, es sich jedoch immer um das gleiche, zugrunde liegende negative Verhaltensmuster handelt. Sie gehen von einem Risikomodell dissozialen Verhaltens aus, das schon bei prä- und perinatalen Faktoren ansetzt. In diesem Modell wird der ungünstigste Entwicklungsverlauf dargestellt, der beim delinquenten Verhalten des Jugendlichen endet. Eine solche Karriere kann schon vor der Geburt des Kindes beginnen, wenn beispielsweise die Mutter ihr Ungeborenes durch Alkohol- oder Drogenmißbrauch schädigt. Bei Kleinstkindern nehmen die Eltern ein schwieriges Temperament wahr, das sich mit zunehmendem Alter in hyperaktiven, trotzigen und aggressiven Verhaltensweisen bemerkbar macht. Zusätzlich können Schulleistungsprobleme sowie soziale und kognitive Defizite entstehen, die wiederum zu Problemen im Umgang mit Gleichaltrigen und Delinquenz führen können. Nicht alle Kinder durchlaufen die gesamte „delinquente Karriere”, da der „Ein-” und „Ausstieg” in jedem Alter erfolgen kann. Ein delinquenter Jugendlicher muß auch nicht die ganze „Störungspalette” mit sozialen Interaktionsproblemen und schulischen Schwierigkeiten aufweisen. 22 V.2. Verlauf bis in das Erwachsenenalter Das stabilste Verhaltensmerkmal über die Zeit ist Aggressivität (Möller-Nehring et al., 1998, Robins, 1991, Petermann & Warschburger, 1996). Robins (1966) fand in ihrer Untersuchung, daß die Wahrscheinlichkeit um so größer ist, daß die Störung fortdauert und auch im Erwachsenenalter antisoziale Verhaltensweisen gezeigt werden, je mehr antisoziale Symptome ein Kind zeigt. In dieser Studie wurden 34% der Patienten, die als Kinder nicht mehr als zwei antisoziale Symptome gezeigt hatten, als gesund eingestuft und nur 4% als soziopathische Persönlichkeit. Dagegen wurden nur 5% der Kinder mit mehr als zehn Symptomen als Erwachsene für gesund befunden, dafür aber 43% als soziopathische Persönlichkeit. In einem Artikel von Robins (1986) über das „Epidemiological Catchment Area Program” (ECA), in dem das „Diagnostic Interview Schedule” als Diagnoseinstrument verwendet wird, berichtet sie, daß, wenn nur die Minimalkriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt waren, lediglich 20% der Untersuchten als Erwachsene eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufwiesen, aber 75% derjenigen, die als Kinder sieben oder mehr Symptome gezeigt hatten. Desweiteren erwähnt sie einen Befund von Prichard and Graham (1966), die in einer sogenannten „follow-up”-Untersuchung herausgefunden hatten, daß Jungen, die in der Kindheit Verhaltensstörungen gezeigt hatten, als Erwachsene öfter antisoziales Verhalten an den Tag legten als Mädchen (48% versus 9%). Frauen mit antisozialem Verhalten in der Kindheit entwickelten häufiger Angststörungen und Depressionen als Männer (36% versus 16%). Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Zeitpunkt, zu dem die Störung beginnt. Jungen zeigen in der Regel früher antisoziales Verhalten als Mädchen (Robins, 1966). Das durchschnittliche Alter, ab dem antisoziales Verhalten auftrat, lag für Jungen bei sieben Jahren und für Mädchen bei acht Jahren. 35% der Jungen, bei denen die Störung zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr auftrat, wurden später als soziopathische Persönlichkeiten diagnostiziert, verglichen mit 20% von denen, die älter oder jünger waren. Bei Mädchen, die später als soziopathisch eingestuft wurden, traten die antisozialen Verhaltensweisen erst zwischen 14 und 16 Jahren auf (Median = 13). White et al. (1990) berichten in ihrer Untersuchung über 1037 Kinder. Diese wurden mit dem „Diagnostic Interview Schedule for Children - Child version” (DISC-C) untersucht. Befragt wurden die Kinder, deren Eltern und Lehrer. Sie konnten in ihrer Untersuchung zeigen, daß frühes antisoziales Verhalten der beste Prädiktor für späteres antisoziales Verhalten ist. Auch andere Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß Kinder mit späterem Beginn einen günstigeren Verlauf zeigen als Kinder mit frühem Ausbruch. Dieser Befund ist nicht eindeutig. Lahey, Loeber, Frick, Hart und Applegate (1995) untersuchten in einer prospektiven Studie 171 Jungen mit Hilfe des „Diagnostic Interview Schedule for Children (DISC). Befragt wurden ebenfalls die Kinder selbst, deren Eltern und Lehrer. Sie finden in ihrer Untersuchung keinen Zusammenhang zwischen Auftretensalter und Persistenz der Störung. 23 Eine mögliche Erklärung für den Befund, daß die Störung eher persistiert, je früher sie beginnt, könnte sein, daß sich mehr Gelegenheit bietet, antisoziales Verhalten auszuprobieren und zu verfestigen. Robins (1991) schreibt in ihrer Untersuchung, sie habe die Erfahrung gemacht, daß früher Beginn häufig einhergehe mit frühen sexuellen Erfahrungen und frühem Drogen- und Alkoholgebrauch. Die Kinder hätten deshalb möglicherweise auch früher Kontakt zu älteren Kindern, deren Mißverhalten sie nachahmen, ohne schon die „Weisheit” zur Reflexion ihres Verhaltens zu besitzen. In der Langzeitstudie von Robins (1966) wurden 524 Patienten, die als Kinder in eine Klinik eingewiesen wurden, 30 Jahre später nachuntersucht. 73% der Patienten waren männlich und 27% weiblich. Es stellte sich heraus, daß Kinder, die wegen antisozialen Verhaltens eingewiesen wurden, als Erwachsene Schwierigkeiten in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen hatten. Zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen, die wegen antisozaler Verhaltensweisen in die Klinik kamen, wurden später zu jugendlichen Straftätern (während nur 9% der Jungen und 2% der Mädchen, die aus anderen Gründen in die Klinik kamen, Straftaten begingen). Als Erwachsene waren 71% der Männer und 40% der Frauen, die als Kind antisoziales Verhalten gezeigt hatten, wegen anderer Straftaten als Verkehrsdelikten verhaftet worden. Verhaftungen wegen Mord, Raub und Prostitution kamen nur in der antisozialen Gruppe vor, sie waren aber insgesamt sehr selten. Lediglich ein Mann beging einen Mord. Patienten mit antisozialem Verhalten hatten später auch mehr Probleme in der Ehe. Hier ist der Anteil der Frauen höher. Obwohl mehr Personen aus der Patientenstichprobe geheiratet hatten als Kontrollpersonen, lebten weniger von ihnen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung mit ihrem Ehepartner zusammen. 70% der Ehen, der Patientinnen mit antisozialem Verhalten bei der Klinikeinweisung wurden geschieden. 23% davon wurden sogar mehr als einmal geschieden. Bei den Scheidungen berichteten Patienten häufiger als die Kontrollgruppe davon, daß der Ehepartner die Scheidung gewollt hätte. Zur damaligen Zeit war es üblich, daß die Scheidung von den Frauen eingereicht wurde, so daß insgesamt wenig Frauen darüber berichteten, daß der Ehemann die Scheidung gefordert hätte. Aber alle, die von einem solchen Fall berichteten, gehörten zur Patientengruppe, niemand zur Kontrollgruppe. Auch bei den Männern gibt es Unterschiede. So forderten bei drei Vierteln der Patientengruppe die Frauen die Scheidung, aber nur bei der Hälfte der Kontrollgruppe. Frauen mit antisozialem Verhalten heirateten sehr früh, ein Fünftel bevor sie 17 Jahre alt waren, und mehr als die Hälfte vor dem Alter von 21 Jahren. Außerdem suchten sie sich Ehemänner aus, die tranken, verhaftet wurden, untreu waren, sie im Stich ließen oder sie nicht unterstützten. Wurden sie geschieden und heirateten erneut, wählten 71% der Frauen erneut einen Mann mit den gleichen Problemen. Männer mit antisozialem Verhalten wurden häufiger geschieden als Männer der Kontrollgruppe, aber seltener als Frauen mit antisozialen Verhaltensweisen. Außerdem zeigten die Frauen, die sie heirateten in der Regel keine 24 Verhaltensprobleme. Dies muß nicht bedeuten, daß die Frauen schlechter in ihrem Urteilsvermögen sind, sondern könnte auch darauf hindeuten, daß die Verfügbarkeit bei Männern mit antisozialem Verhalten größer ist. Frauen mit antisozialen Problemen in der Kindheit hatten eine hohe Kinderlosigkeitsrate. 45% der Frauen, die geheiratet hatten, blieben kinderlos, während Frauen, die aus anderen Gründen in die Klinik gekommen waren, oder Frauen der Kontrollgruppe ähnlich oft kinderlos blieben wie der nationale Durchschnitt. Bei Männern gab es ebenfalls Unterschiede, aber diese waren geringer. Wenn allerdings Frauen und Männer mit antisozialem Verhalten Kinder bekamen, hatten sie mehr als andere Patienten oder als Angehörige der Kontrollgruppe. Von den Kindern der Patienten mit antisozialem Verhalten wurde häufiger berichtet, daß sie ebenfalls mehr antisoziale Verhaltensweisen zeigten als Kinder anderer Patienten oder Kinder der Kontrollpersonen. Von den Männern mit antisozialem Verhalten hatten weniger eine dauerhafte Beschäftigung als Männer der Vergleichsgruppen. Ihre Arbeitslosigkeit war höher wegen Inhaftierung, Krankheit (zu Hause und im Krankenhaus) und weil sie einfach keine Beschäftigung fanden. Bei den Frauen war die Arbeitslosigkeit nicht so klar ersichtlich, weil nicht immer deutlich war ob eine tatsächliche Arbeitslosigkeit bestand oder sie Hausfrauen waren. Im Vergleich mit den Frauen der Kontrollgruppe hatten sie aber häufiger keine Arbeit. Über alle Gruppen verdienten die Männer mehr als die Frauen. Innerhalb der Gruppen verdienten die Männer mit antisozialem Verhalten am wenigsten. Ein Grund dafür war sicherlich der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes, so daß sie nicht wie andere im Laufe der Zeit höhere Löhne aufgrund längerer Betriebszugehörigkeit erhielten. Ein anderer Grund war die schlechtere Ausbildung der Patienten mit Schwierigkeiten im Sozialverhalten. Bei den Patienten mit antisozialen Verhaltensweisen bestand öfter eine finanzielle Abhängigkeit als in den Vergleichsgruppen. Ein Drittel der Männer und über die Hälfte der Frauen erhielten Unterstützung von Wohlfahrtsverbänden. Sowohl Frauen als auch Männer mit antisozialem Verhalten hatten ein schlechteres soziales Netz. Sie hatten oftmals keinen oder kaum Kontakt zu anderen, weder zu Verwandten noch zu Freunden oder Nachbarn. Sie engagierten oder beteiligten sich selten in Organisationen, die Kirche eingeschlossen. Männer mit antisozialen Verhaltensweisen dienten auch seltener in der Armee als Männer der Kontrollgruppe. Sie wurden häufiger von der Armee abgelehnt. Ein Grund für diese Ablehnung war oftmals ihre kriminelle Vorgeschichte. Wenn sie aber doch in die Armee eintraten, schieden sie häufiger aus Krankheitsgründen oder unehrenhaft aus. Sie verbrachten einen hohen Zeitanteil im Krankenhaus, entfernten sich häufig ohne Erlaubnis oder desertierten. Dieses Bild spiegelte sich auch in ihrem niedrigen Dienstgrad wider. Patienten mit antisozialem Verhalten hatten als Erwachsene häufiger zu irgendeinem Zeitpunkt Probleme mit Alkohol. 48% von ihnen waren „schwere 25 Trinker”, aber nur 29% der Patienten mit anderen Problemen und 23% der Kontrollgruppe. Drogenmißbrauch wurde von den ehemaligen Patienten nur selten berichtet, in der Kontrollgruppe allerdings kam er gar nicht vor. Frauen mit antisozialem Verhalten wiesen eine hohe Rate beim Gebrauch von Beruhigungsmitteln auf (16%). Die Todesrate bei Männern mit antisozialem Verhalten lag zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bei 17% und damit über dem nationalen Durchschnitt. Bei Frauen wurden keine Unterschiede gefunden. Auch Storm-Mathisen et al. (1994) fanden in ihrer Untersuchung eine relativ hohe Todesrate unter den Patienten mit einer Störung des Sozialverhaltens. Von 75 Patienten waren zum Nachuntersuchungszeitpunkt sechs gestorben (3 Männer und 3 Frauen). Die Ursachen ihres Todes waren zumeist Gewalt in irgendeiner Form. Außerdem fanden die Autoren ein erhöhtes Risiko für Substanzmißbrauch. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Menschen, die als Kinder antisoziale Verhaltensweisen zeigen, als Erwachsene häufiger als andere Menschen Probleme in den unterschiedlichsten Lebensbereichen haben. V.3. Der Einfluß von Therapie auf den Verlauf der Störung Die zuvor dargestellten Ergebnisse zeigen, daß längst nicht alle Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens haben, später eine antisoziale Persönlichkeitstörung aufweisen. Allerdings ist der Anteil derer, die eine solche Persönlichkeitsstörung oder Schwierigkeiten in anderen Lebensbereichen entwickeln, recht hoch. Interessant ist dabei, daß es scheinbar keinen großen Unterschied macht, ob die Kinder sich einer Therapie unterziehen oder nicht. Kolko (1994) merkt dazu an, daß es vorwiegend andere sind, die unter dem antisozialen Verhalten der Kinder zu leiden haben, bei den Kindern und Jugendlichen selbst hingegen besteht wenig Leidensdruck. Damit verbunden ist, daß die betroffenen Kinder wenig Motivation zur Änderung ihres Verhaltens aufweisen und die therapeutische Prognose entsprechend ungünstig ist. Wergeland (1980) untersuchte, ob Kinder mit SSV, die sich einer Therapie unterzogen hatten, einen besseren Verlauf zeigen als Kinder, die keine Therapie bekommen hatten. Er fand lediglich eine Tendenz, daß behandelte Kinder sich besser in verschiedenen Lebensbereichen zurechtfanden als unbehandelte. In der empirischen Längsschnittstudie zu Indikation und Verlauf bei verhaltensgestörten Kindern im Heim von Hebborn-Brass (1991), in der 268 Kinder einer Heimeinrichtung zwischen 1968 und 1985 untersucht wurden, wurde auch auf den Verlauf der Störung eingegangen. In der Einrichtung werden die Kinder pädagogisch-psychotherapeutisch betreut, aber es findet auch eine Zusammenarbeit mit den Eltern statt. Von den 78 Kindern, die als dissozial diagnostiziert wurden, zeigen 20,8% bei ihrer Entlassung ein weitgehend 26 unverändertes oder sogar verschlechtertes Verhalten. Bei 37,5% gilt die Störung als weitgehend behoben und bei 41,7% als teilgebessert. Lösel und Bender (1997) kommen zu dem Schluß, daß es einige Behandlungsformen gibt, die durchaus erfolgversprechend sind (z. B. gut strukturierte kognitive Verhaltenstherapien) und andere, die schlechtere Wirkungen erzielen (z. B. psychodynamische und non-direktive Therapien). Sie betonen außerdem die Notwendigkeit, nicht nur mit dem Kind zu arbeiten, sondern auch mit den Eltern. Kramer und v. d. Leyen (1934) berichten über die „Entwicklungsverläufe anethischer, gemütloser psychopathischer Kinder”. Sie verfolgten dabei die Fälle einiger Kinder zwischen 1912 und 1934 und schilderten detailliert deren Verlauf. Die damalige Diagnose stimmt nicht mehr vollständig mit unserer heutigen Diagnose der Störung des Sozialverhaltens überein, hat aber doch einige Ähnlichkeiten. Die Symptome wurden nach Stier beschrieben als „gesteigerte Eßlust (Unersättlichkeit oder Freßgier), bei höheren Graden begleitet von einer Abschwächung des Ekelgefühls; der wahllose Genuß unsauberer, an sich kaum eßbarer, für den durchschnittlichen Geschmack widerlicher Nahrungsmittel sei die Folge. Der Selbstbehauptungstrieb führe zu rücksichtsloser, brutaler Durchführung eigener Interessen, der gesteigerte Betätigungsdrang zur Unterwerfung der Mitmenschen; die Verteidigung schlage schnell in rohe Angriffe auf andere über. Zorn und Wutausbrüche träten auf, wenn die Durchsetzung der kraß-egoistischen Interessen von außen gewaltsam gehindert wird. Ein verfrühtes Durchbrechen eines mächtig gesteigerten Geschlechtstriebes vermisse man selten. In körperlicher Beziehung sei die Herabsetzung der Schmerzempfindung eine häufige Begleiterscheinung. Ferner beobachte man Lust am Verletzen anderer, am Quälen von Tieren. Anstaltsbehandlung sei unentbehrlich. Die Prognose sei als nicht günstig zu bezeichnen” (zitiert aus Kramer & v. d. Leyen, 1934). Kramer und v. d. Leyen stellen jedoch fest, daß in fast allen Fällen eine erhebliche Besserung eintrat, wenn die Umgebungsbedingungen verändert und verbessert wurden. VI. Risikofaktoren VI.1. Geschlecht Jungen sind sehr viel häufiger von der Störung des Sozialverhaltens betroffen. Nach Steinhausen (1996) zeigen Jungen im Kindesalter bis zu dreimal häufiger aggressives Verhalten als Mädchen. Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer Studie, daß 71,1% der 235 Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen männlich waren und nur 28,9% weiblich. Diese Ergebnisse könnten durch die unterschiedlichen Erscheinungsformen bei Jungen und Mädchen zu erklären sein. Während Jungen eher direkte körperliche Aggression und damit objektiv beobachtbares Verhalten zeigen, das auch in den Klassifikationssystemen 27 auftaucht, ist das Verhalten von Mädchen weniger gut direkt beobachtbar. Diese handeln in erster Linie indirekt mit verbaler Gewalt. So verbreiten sie z. B. Gerüchte, Hänseln oder leisten Widerspruch (Petermann & Warschburger, 1996). Es ist nicht geklärt ob dieser Geschlechtsunterschied durch biologische Faktoren zu erklären ist oder ob er auf die Erziehung und die Umwelteinflüsse zurückzuführen ist. Da das Geschlecht ein bedeutender Einflußfaktor ist, wird darauf in Kapitel VIII noch genauer eingegangen. VI.2. Frühes Verhalten Zu den frühen Prädiktoren antisozialen Verhaltens gehören ein schwieriges Temperament, nicht ausreichendes Bindungsverhalten an Eltern oder Bezugspersonen, Entwicklungsverzögerungen und Schulversagen (Robins, 1991). Ein weiterer Faktor ist motorische Unruhe bei Kindern bis hin zur Hyperaktivität. Die Erklärung dafür, daß Schulversagen als ein Risikofaktor angesehen werden sollte, ist möglicherweise die, daß Kinder, die in der Schule keine Erfolgserlebnisse haben, ein niedriges Selbstwertgefühl und eine feindselige Einstellung zur Schule entwickeln. Hieraus entstehen dann Verhaltensweisen wie Schulvermeidung (Schulschwänzen), Anschluß an andere delinquente Kinder oder Jugendliche sowie kompensatorische, delinquente und andere dissoziale Handlungen (Hirschberg, 1994). Sicher ist Schulversagen eher im Zusammenhang mit anderen Risikofaktoren zu sehen, denn das Selbstwertgefühl von Kindern hängt nicht nur von einem Bereich ab. In verschiedenen Artikeln wurde festgestellt, daß ein schwieriges Temperament in frühester Kindheit ein Prädiktor für eine spätere dissoziale Störung sein kann (Kazdin, 1987, Robins, 1991). Ein solcher Befund deutet darauf hin, daß biologische Faktoren bei der Entstehung der Störung des Sozialverhaltens eine Rolle spielen. Das Temperament gehört zu den vorherrschenden Aspekten der Persönlichkeit, welches einige Konsistenz über Situationen und Zeit zeigt (Kazdin, 1987). Unterschiede des Temperaments zeigen sich schon bei sehr kleinen Kindern. Man findet in einigen Artikeln Hinweise darauf, daß ein schwieriges Temperament in der Kindheit das Risiko erhöht, eine SSV zu entwickeln (Kazdin, 1990, Robins, 1991). Unterschiede im Temperament basieren auf Aspekten wie der Aktivität des Kindes, seiner emotionalen Responsivität, der generellen Qualität seiner Stimmung und seiner sozialen Anpassungsfähigkeit (Kazdin, 1987). „Einfache” Kinder sind charakterisiert durch eine generell positive Stimmung, Annäherung an neue Stimuli, gute Anpassungsfähigkeit an Änderungen und niedrige Reaktionen auf neue Stimuli. „Schwierige” Kinder zeigen gegenteilige Verhaltensmuster. Es ist unklar, warum ein spezifisches Temperament Kinder zu antisozialem Verhalten prädestiniert. Neben der möglichen biologischen Prädisposition könnte auch die Eltern-Kind-Interaktion dazu beitragen. Einige Studien haben gezeigt, daß Mütter mehr negative Verhaltensweisen gegenüber Kindern zeigen, die „schwierig” und ineffektiv in der 28 Kontrolle abweichenden kindlichen Verhaltens sind und durch unterwürfige Reaktionen dieses aversive Verhalten ihres Kindes verstärken (Kazdin, 1987). Auch Steinhausen (1996) beschreibt, daß Kinder mit höherem Aktivitätsniveau in der frühen Kindheit später eher aggressive Störungen entwickeln. Dabei kann die Überforderung der Eltern im Erziehungsprozeß zu unangemessenen Reaktionen in Form von Zurückweisung und ständiger Kritik führen. Diese fördern wiederum das gestörte Verhalten des Kindes. Andere Studien beschreiben Befunde, die zeigen, daß sogenannte „vorklinische” Symptome wie Aggressivität und Widerspenstigkeit, die von Lehrern oder Mitschülern beobachtet werden, späteren antisozialen Verhaltensweisen und Delinquenz oftmals vorausgehen (Kazdin, 1987). Vorklinisch bedeutet, daß die gezeigten Symptome nicht die Schwere und das Ausmaß haben, um zu einer entsprechenden Diagnose zu kommen. VI.3. Familiäre Faktoren VI.3.1. Psychische Auffälligkeiten der Eltern Psychopathologische Erscheinungen bei den Eltern bedeuten generell ein Risiko für das Kind, ebenfalls psychische Störungen zu entwickeln (Kazdin, 1987). Kinder, deren Eltern eine antisoziale Persönlichkeitsstörung haben oder alkoholoder drogenabhängig sind, sind stärker gefährdet eine Störung des Sozialverhaltens zu entwickeln (Robins, 1966, Lahey, Loeber, Frick, Hart, Applegate, Zhang, Green & Russo, 1995, Stewart & Leone, 1978). Das Risiko ist am ausgeprägtesten, wenn beide Elternteile eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweisen. Robins (1991) weist darauf hin, daß der Effekt größer ist, wenn die Mutter betroffen ist, da diese üblicherweise mehr Zeit mit den Kindern verbringt. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß, wenn die Mutter antisoziales Verhalten zeigt, der Vater gleichermaßen dieses Verhalten aufweist. Denn, wie Robins (1966) fand, suchen sich Frauen mit einer antisozialen Verhaltensstörung oft einen Mann mit ebensolchem Verhalten. Da aber die Störung viel häufiger bei Männern als bei Frauen auftritt, ist es in der Regel so, daß der Vater antisoziales Verhalten zeigt. Im Sinne der sozialen Lerntheorie stellen die aggressiven Verhaltensweisen des Kindes eine direkte Reaktion auf die unmittelbare soziale Umwelt dar. Die unangemessenen kindlichen Verhaltensweisen sind eine Folge des aggressiven und antisozialen Verhaltens von Eltern und Geschwistern. Dabei sind die jeweiligen Intensitäten der Reaktionen innerhalb der Familie oft miteinander korreliert (Steinhausen, 1996). VI.3.2. Eltern-Kind-Interaktionen Weitere Merkmale innerhalb der Familie sind geschiedene Eltern, inkonsequente Erziehungsstile und eine kinderreiche Familie. Lösel und Bender (1997) schreiben dazu, daß verschiedene Faktoren sich hier zu einem Kreislauf der gegenseitigen 29 Verstärkung schließen können. Aufgrund ihres Temperamentes und ihrer kognitiven Probleme sind die Kinder schon im frühen Lebensalter schwierig. Die Eltern haben selbst Defizite und sind mit der Erziehung überfordert. Es mangelt an Ressourcen, um dem Kind gerecht zu werden. Die Eltern reagieren emotional ablehnend, ungeduldig, aggressiv, inkonsistent oder mit rigidem Zwang auf das Kind. So entwickelt sich ein feindseliges Familienklima. Vernachlässigung und wenig einfühlsame Eltern tragen außerdem zu einer unsicheren Bindung bei. Die Kinder lernen über die Eltern als Vorbilder, Aggressivität als konfliktlösendes Mittel einzusetzen. Die Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Defizite sich sprachlich adäquat auszudrücken, verringern die Kompetenz, Konflikte friedlich zu lösen. Dieses Verhalten zieht Schwierigkeiten im Umgang mit Eltern und nicht-auffälligen Gleichaltrigen nach sich, so daß sich das Kind eher ebenfalls auffälligen Jugendlichen anschließt. Andere Studien erklären den Einfluß von Eltern-KindInteraktionen ähnlich. Eltern antisozialer Kinder erteilen diesen mehr Befehle, begegnen abweichendem Verhalten mit Aufmerksamkeit und eventuell sogar Einwilligung, während prosoziales Verhalten eher ignoriert wird (Kazdin, 1987). Eltern von Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens werden als vernachlässigend, inkonsequent und hart bei Bestrafungen beschrieben (Kazdin, 1987). Fiedler (1997) schreibt dazu, daß Mütter dissozialer Kinder auf Fehlverhalten in einer aversiven, zugleich jedoch völlig uneindeutig normierenden Weise reagieren. Prosoziales Verhalten dagegen wurde von ihnen kaum oder überhaupt nicht beachtet. Kazdin (1987) erklärt den starken Zusammenhang elterlicher Erziehungspraktiken und SSV mit einem Teufelskreis, in welchem ein schwieriges Kind steckt, das seinen Eltern gegenüber undankbar und lästig ist. Die Eltern reagieren abwechselnd mit Ablehnung und harter Bestrafung. Ein Verhalten, das beim Kind wieder zu feindseligem und undankbarem Verhalten führt. Diese reziproken Prozesse pflanzen sich über Generationen fort (Robins, 1991). Elterliche Praktiken, die ein Kind im Alter von acht Jahren erfährt, spiegeln sich in der Art wider, wie es später mit seinen Kindern umgeht (Robins, 1991). Außerdem überwachen Eltern antisozialer oder delinquenter Kinder deren Verbleib und Aufenthaltsort weniger und treffen weniger Vereinbarungen für deren Fürsorge, wenn sie eine begrenzte Zeit nicht zu Hause sind. Andere Faktoren, die eine schlechte Aufsicht der Kinder widerspiegeln, beinhalten die Abwesenheit von Regeln betreffend der Orte, die Kinder aufsuchen dürfen oder wann sie zurück sein müssen. Damit wird den Kindern erlaubt, durch die Straßen zu ziehen und sich in vielen unabhängigen und unbeaufsichtigten Aktivitäten zu engagieren (Kazdin, 1987). Insgesamt wird mit den Kindern die zuverlässige Einhaltung von Regeln nicht eingeübt (Hirschberg, 1994). Eine auffällig erhöhte Rate „unzureichender elterlicher Aufsicht und Führung” ließ sich in der Studie von Möller-Nehring et al. (1998) bei Kindern und Jugendlichen mit SSV nachweisen. Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt oder mißhandelt werden, zeigen später oft besonders schwere Verhaltensauffälligkeiten (Hirschberg, 1994). Die körperliche Untersuchung von Jugendlichen mit dissozialem Verhalten zeigte in mehreren Studien zahlreiche unerkannte bzw. unbehandelte Krankheiten auf, was ebenfalls als Ausdruck der 30 Vernachlässigung dieser Jugendlichen und beeinträchtigter Entwicklungschancen angesehen werden kann (Hirschberg, 1994). Solche und ähnliche intrafamiliäre Interaktionen sowie schlechtes parentales Verhalten führen schließlich dazu, daß ein Kind im Schulalter kognitiv retardiert ist und Probleme mit der Beachtung und Einhaltung von Regeln hat (Herbert, 1978). Auch die Qualität der Eltern-KindBeziehung und der familiären Beziehungen sind als Risikofaktor ermittelt worden. Im Vergleich zu den Eltern normaler Jugendlicher bringen diejenigen antisozialer Kinder diesen gegenüber weniger Akzeptanz, weniger Wärme, weniger Liebe und emotionale Unterstützung und weniger „Attachment” entgegen (Kazdin, 1987). Weniger stützende und mehr defensive Kommunikation zwischen Familienmitgliedern, weniger Teilnahme an Aktivitäten als Familie und mehr klare Dominanz eines Familienmitglieds unterscheiden Familien antisozialer Jugendlicher von anderen (Kazdin, 1987). VI.3.3. Eheliche Disharmonie und „Broken homes” „Broken homes” und eheliche Disharmonie stehen ebenfalls in Zusammenhang mit kindlichen Verhaltenstörungen. Familiäre Disharmonie und dabei vor allem chronische Partnerkonflikte der Eltern sind (mit-)verantwortlich für einen unangemessenen elterlichen Erziehungsstil. Gerade Jungen aus vaterlosen Scheidungsfamilien sind als Opfer dieser Entwicklungen zu betrachten. Sie reagieren typischerweise mit aggressiven und dissozialen Störungen auf die Bedingungen eines „broken home”. Es besteht die Gefahr, daß Mütter eine generelle Ablehnung gegenüber Männern zeigen und damit besondere Identitätsprobleme für Jungen schaffen, welche diese teilweise in aggressiven Akten ausleben (Steinhausen, 1996). Andere Autoren gehen ebenfalls davon aus, daß unglückliche eheliche Beziehungen sowie zwischenmenschliche Konflikte und Aggression die elterliche Beziehung delinquenter und antisozialer Jugendlicher kennzeichnen (Kazdin, 1987). So fordert Dobrotka (1987), daß problematischen Entwicklungen der Persönlichkeit von Kindern durch eine verfehlte Partnerschaft der Eltern präventiv begegnet werden muß, denn im Spannungsfeld des disharmonischen elterlichen Milieus entwickelt sich die kindliche Persönlichkeit ungünstig. Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer Studie, daß Kinder mit SSV signifikant mehr Items, die für „Disharmonie zwischen Erwachsenen” standen, bejahten. Es konnte auch mehrmals nachgewiesen werden, daß insbesondere Jugendliche, die ein gewalttätiges Verhalten zeigen, häufig Zeuge massiver Auseinandersetzungen im familiären Bereich gewesen waren (Hirschberg, 1994). Es besteht aber ebenfalls die Möglichkeit, daß antisoziales Verhalten genetisch mitgeprägt ist. Es scheint, als würde antisoziales Verhalten über die Generationen weitergegeben. In Studien, die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens untersuchen, wird immer wieder festgestellt, daß die Eltern ebenfalls antisoziales Verhalten zeigen. Weiterhin fand Robins (1966) in ihrer Untersuchung, daß Erwachsene, die bereits 31 als Kinder Verhaltensprobleme aufwiesen, häufig Kinder hatten, die verstärkt antisoziales Verhalten zeigten. VI.4. Biologische Einflüsse Verschiedene Autoren haben zwischen der Hirnaktivität von Kindern mit einer dissozialen Störung und anderen einen Unterschied gefunden (Kazdin, 1987). Auch Lösel und Bender (1997) beschreiben in ihrem Artikel, daß es physiologische Risikofaktoren gibt, die dazu beitragen, daß die Aggressivität beibehalten und aus negativen Erfahrungen schlechter gelernt wird. Gegenüber Vergleichsgruppen hat man bei antisozialen Kindern und Jugendlichen ein im Durchschnitt geringeres Erregungsniveau des zentralen und autonomen Nervensystems festgestellt. Einige Studien fanden ein verlangsamtes EEG, eine niedrigere Herzrate und eine geringere Hautleitfähigkeit; manche auch einen niedrigeren Cortisol- und Katecholaminspiegel. Auf der Verhaltensebene manifestiert sich dies in einem erhöhten Stimulationsbedürfnis, weniger Angst vor Strafe und schlechterem Vermeidungslernen. Bei aggressiven Jugendlichen fanden sich auch niedrigere Serotonin- sowie erhöhte Testosteronwerte. Die Befunde sind nicht eindeutig. Andere Studien haben keinen Zusammenhang gefunden (Kazdin, 1987). Wenn tatsächlich ein Unterschied bezüglich physiologischer Faktoren besteht, ist nicht klar, ob dies die Ursache für die Störung ist oder einfach die biologische Reflexion der mangelnden emotionalen Beteiligung, die typisch ist für Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens (Robins, 1991). Robins schlägt vor, die Beeinflussung der Störung durch männliche Hormone während der Kindheit und Jugend weiter zu untersuchen, weil darin eine mögliche Erklärung liegen könnte für den starken Geschlechtsunterschied im Auftreten. VI.5. Religiosität Es wurde in verschiedenen Studien der Zusammenhang zwischen Religiosität bzw. religiösem Engagement und abweichendem Verhalten (z. B. Drogenkonsum und Schwangerschaft bzw. Vaterschaft in der frühen Adoleszenz) untersucht. Möller-Nehring et al. (1998) fanden in ihrer Studie, daß in der Gruppe der SSV die Familien mit 54,7% signifikant häufiger nicht religiös engagiert waren als in der Gruppe „keine Diagnose” (33,2%) und der Gruppe „andere Diagnose” (38,2%). Möller-Nehring et al. (1998) berichten aber ebenfalls über Befunde, die zeigen, daß sich vermehrt abweichendes Verhalten bei religiös weniger gebundenen Jugendlichen fand, aber auch über Studien in denen sich kein Zusammenhang ermitteln ließ. Möller-Nehring et al. gehen davon aus, daß Religion sowohl ein Risiko als auch eine Chance sein kann. Einerseits kann eine streng religiöse, moralisierende Erziehung eine pathogene Wirkung entfalten (z. B. Anorexie, Zwangserkrankung, Depression). Auf der anderen Seite können selbstwertstützende 32 Elemente der religiösen Überzeugung eine lebensbegleitende Identitätshilfe darstellen. Es liegt die Vermutung nahe, daß nicht die religiöse Betätigung an sich eine bessere Prognose bietet, sondern eher, daß in einer Familie mit religiösem Hintergrund mehr positive Werte und Erziehungsgrundsätze allgemein vorherrschen als in Familien, die keine solche Orientierung haben. VI.6. Fernsehkonsum Befunde im Bereich des Fernsehkonsums zeigen, daß Kinder mit SSV bereits in jungen Jahren mehr als Vergleichsgruppen fernsehen und dies im Laufe der Jahre auch immer länger tun. Daraus lassen sich jedoch keine Kausalzusammenhänge ableiten. Es stellt sich bei einem solchen Befund auch die Frage, ob sich der erhöhte Fernsehkonsum nicht durch mangelnde elterliche Aufsicht und Steuerung erklären läßt (Möller-Nehring et al., 1998). Andere Studien, wie z. B. Funk (1995, zitiert in Möller-Nehring et al., 1998) lassen jedoch durchaus einen Zusammenhang vermuten zwischen Gewaltbilligung, Gewaltbereitschaft sowie Gewalttätigkeit und hohem Actionfilmkonsum von Schülern. Diese Untersuchung fand auch, daß eine negative Korrelation zwischen der sozialen Bindung an die Eltern und dem Horrorfilmkonsum der Schüler bestand. Diese Ergebnisse lassen wichtige Schlußfolgerungen auf Kinder mit SSV zu, da diese häufiger als Kinder aus Vergleichsgruppen eine negative Bindung an die Eltern besitzen (Möller-Nehring et al., 1998). Steinhausen (1996) beschreibt, daß bei Kindern aller Altersgruppen und Sozialschichten die Massenmedien, und hier besonders das Fernsehen, aggressives Verhalten auslösen und verstärken. Dabei bedingen sich das Ausmaß des Fernseh- und Videokonsums, insbesondere der Darbietung von Aggressivität und Gewalt, und die bei Kindern zu beobachtende Gewalt wechselseitig, indem die im Film gezeigte Gewalt Kinder aggressiver macht und diese agressiveren Kinder mehr Gewalt zur Rechtfertigung ihres eigenen Verhaltens konsumieren. Auch Maccoby (1986) berichtet in ihrem Artikel, daß aggressive Kinder eher gewalttätiges Verhalten, das sie auf dem Bildschirm gesehen haben, imitieren als nicht-aggressive Kinder. VI.7. Kognitive Faktoren VI.7.1. Intelligenz Goydke und Specht (1976) fanden in ihrer Untersuchung bei Jugendlichen mit dissozialem Verhalten, daß in dieser Gruppe der Anteil derer, bei denen sich die intellektuellen Leistungsmöglichkeiten unter dem Durchschnitt befanden, fast doppelt so hoch lag wie innerhalb der Gesamtbevölkerung. Die Leistungen dissozialer Jugendlicher wichen jedoch nur wenig vom Durchschnitt der 33 Gleichaltrigen ab, wenn es sich um reproduktives, kombinatorisches und synthetisierendes Vorgehen an konkretem Material handelte. Fast drei Viertel der Untersuchungspopulation hatten im Handlungsteil des HAWIE ein besseres, 41,3% ein signifikant besseres Ergebnis als im Verbalteil. Sie wichen zwar auch im Handlungsteil vom Standardisierungswert ab, aber dieses Ergebnis ist nicht signifikant. Die untersuchten Jugendlichen stammen zu 80% aus der Unterschicht. 38% hatten zudem einen wesentlichen Teil ihrer Kindheit unter besonders ungünstigen, erfahrungseinschränkenden Bedingungen zugebracht. 71,2% waren nicht zu einem Volksschulabschluß gelangt. Goydke und Specht zogen aus ihren Ergebnissen den Schluß, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß primäre intellektuelle Beeinträchtigungen für die dissozialen Auffälligkeiten der untersuchten Jugendlichen von Bedeutung sind. Sie betrachteten die schulischen Mißerfolge und die Abweichungen in der Intelligenzstruktur in Zusammenhang mit den schlechten Bedingungen, die der sozialen Herkunft zuzuschreiben waren. Andere Untersucher beschreiben ähnliche Ergebnisse wie Goydke und Specht. Auch Möller-Nehring et al. (1998) fanden, daß bei den untersuchten Kindern und Jugendlichen die Rate von unterdurchschnittlichen Intelligenzleistungen höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Robins (1991) schreibt in ihrem Artikel, daß sowohl die Störung des Sozialverhaltens als auch schulisches Versagen auf schlechte kognitive Leistungen zurückzuführen sein könne, denn der Durchschnittsintelligenzquotient von Kindern mit Schwierigkeiten im Sozialverhalten ist eher gering (Robins, 1991). Andererseits ist die Bandbreite des Intelligenzquotienten bei Kindern und Jugendlichen mit SSV so breit, daß ein niedriger IQ keine notwendige Bedingung darstellt (Robins, 1991). In einem Überblicksartikel von Hirschberg (1994) wird ebenfalls berichtet, daß Kinder und Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens in der Regel einen Intelligenzquotienten im unteren Durchschnittsbereich aufweisen und daß sie in Subtests, die sprachlich gebundene Fähigkeiten messen, am schlechtesten abschneiden. Außerdem fanden sich bei dieser Gruppe häufig Entwicklungsrückstände, insbesondere in den Bereichen Lesen/Schreiben, Sprechen/Sprache sowie Defizite bezüglich Konzentration und Aufmerksamkeit. Hebborn-Brass (1991) fand in ihrer Untersuchung, daß Kinder mit dissozialen Störungen häufiger einen IQ aufwiesen, der im unterdurchschnittlichen Bereich (26% der Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens) oder durchschnittlichen Bereich (32% der dissozialen Kinder) lag. Nur 14% der als dissozial diagnostizierten Kinder wiesen einen IQ auf, der über dem Durchschnitt lag. Die Autorin zieht daraus den Schluß, daß es eine „Schutzfaktorwirkung” der Intelligenz bezüglich der Störung des Sozialverhaltens gibt. VI.7.2. Informationsverarbeitung Hirschberg (1994) beschreibt auch kognitive Faktoren, die zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung von Störungen des Sozialverhaltens beitragen: -Viele Kinder und Jugendliche mit SSV erleben zwar, daß die Umwelt ihr Verhalten mißbilligt, sie sich aber dennoch oft mit Hilfe dieses Verhaltens anderen Personen 34 gegenüber durchsetzen und auf diese Weise Kontrolle über Konfliktsituationen behalten können. -Sie unterstellen anderen Personen leicht feindselige Absichten ihnen gegenüber, auch wenn dafür objektiv kein Anlaß besteht. Solche kognitiven Verzerrungen stehen dann oft am Anfang von Handlungen, in welchen für den außenstehenden Beobachter nichtige Anlässe zu massiven Auseinandersetzungen eskalieren, ohne daß die betroffenen Jugendlichen selbst in der Lage sind, ihren eigenen Anteil an der Entstehung solcher Konfliktsituationen wahrzunehmen. -Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung machen solche Kinder und Jugendliche häufig die Erfahrungen, die ihr bereits bestehendes Bild einer ihnen feindlich gesonnenen Umwelt bestätigen. Aus allem entsteht schließlich ein Gefüge von kognitiven Einstellungen und dissozialen Handlungen, das sich wechselseitig bedingt und aufrechterhält. Auch Petermann und Warschburger (1996) berichten, daß bei aggressiven Kindern und delinquenten Jugendlichen eine verzerrte und unangemessene Informationsverarbeitung beobachtet wurde. Die Informationsverarbeitung unterscheidet sich von der unauffälliger Kinder und geht mit vermehrt aggressivem und gewalttätigem Verhalten einher. Die Kinder bieten weniger alternative Konfliktlösungen an und bevorzugen direkte Aktionen gegenüber verbalen Beschwichtigungen oder nichtaggressiven, selbstbehauptenden Reaktionen. Aggressive Reaktionen werden von ihnen häufig als positiv und leicht in die Tat umsetzbar bewertet, wohingegen mögliche Hindernisse in der Umsetzung der Handlung nicht wahrgenommen werden. Die Autoren weisen außerdem darauf hin, daß delinquente Jugendliche eine verminderte Fähigkeit besitzen, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Diese Beobachtung konnte auch schon bei aggressiven Vorschulkindern gemacht werden. Das fehlende Einfühlungsvermögen trägt sicherlich ebenfalls dazu bei, daß delinquente Jugendliche sich schneller angegriffen fühlen und Situationen falsch bewerten. Ihre moralische Urteilsfähigkeit ist gegenüber verhaltensunauffälligen Jugendlichen entwicklungsverzögert. Sie sind weniger fähig, soziale Konventionen nachzuvollziehen, sich in die Perspektive eines anderen hineinzuversetzen und sich mit Situationen auseinanderzusetzen, in denen es gilt, verschiedene moralische Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Diese Unterschiede werden besonders deutlich, wenn sie ihr Handeln in von ihnen erlebten Ereignissen überdenken sollen. VI.8. Soziale Schicht Antisoziales Verhalten ist eher in der unteren sozialen Schicht bis hin zur Mittelschicht zu finden. Robins (1966) fand in ihrer Studie, daß die soziale Schicht insofern eine Rolle spielte, als antisoziales Verhalten eher bei Kindern und Jugendlichen zu finden war, die in Slums aufwuchsen, wo viel zu wenig Platz für jeden einzelnen zur Verfügung 35 stand, wo die Mutter ebenfalls arbeitete und die Familien von der Unterstützung der Wohlfahrtsverbände abhängig waren. Die soziale Unterschicht allein ist aber kein hinreichendes Kriterium für die Entwicklung von antisozialen Verhaltensweisen. Myschker (1993) schreibt dazu, daß Eltern aus der Unterschicht mehr zu einem strengen, dirigistischen Erziehungsverhalten neigen und Eltern aus der Mittel- und Oberschicht mehr zu einem unterstützenden Erziehungsstil. Aus diesem unterschiedlichen Verhalten, das in Verbindung steht mit der sozialen Schicht, könnte teilweise zu erklären sein, daß die relativ größere Anzahl von Kindern mit Verhaltensstörungen aus der Unterschicht stammt. Robins (1978) vergleicht vier Studien, in denen antisoziales Verhalten untersucht wurde. Auch in dieser Arbeit spielte die soziale Schicht keine wesentliche Rolle, wenn es um den Zusammenhang mit Störungen des Sozialverhaltens ging. Nur wenn man davon ausgeht, daß alle Faktoren, die in diesem Kapitel geschildert werden, häufiger in der sogenannten Unterschicht oder der unteren Mittelschicht zu finden sind, ist die Schichtzugehörigkeit als Risikofaktor zu nennen. VI.9. Kulturelle Unterschiede Im westlichen Kulturkreis treten externalisierende Störungen häufiger auf als im asiatischen oder afrikanischen Raum (Petermann & Warschburger, 1996). Es wird allgemein angenommen, daß in traditionellen Kulturen, die Religiosität und familiäre Werte hoch schätzen, in denen der Gebrauch psychotroper Substanzen unüblich ist und wo Kinder gut betreut werden, Störungen des Sozialverhaltens kaum vorkommen (Robins, 1991). VI.10. Schulische Faktoren Ausgewählte Charakteristika können mit antisozialem Verhalten in Verbindung gebracht werden, so besitzen z.B. Grund- oder Hauptschulen mit einem niedrigen Lehrer-Schüler-Verhältnis größere Raten an Delinquenz (Kazdin, 1987). In einer Studie wurden zwölf verschiedene höhere Schulen auf das Verhalten ihrer Schüler, unter anderem auf deren Bereitschaft zur Mitarbeit, Fortsetzung der Schule, Delinquenzraten und schulische Leistungen untersucht (Kazdin, 1987). Verschiedene Faktoren beeinflußten die Ergebnisse vorteilhaft. Dazu gehörten Betonung der Schulleistungen, Zeit des Lehrers in den Stunden, Lob und Würdigung der Schularbeiten vom Lehrer, die Betonung der individuellen Verantwortung der Schüler, gute Arbeitsbedingungen (saubere Klassenräume, Möbel, die in Ordnung sind), Verfügbarkeit des Lehrers, um auf die Probleme der Schüler einzugehen und konsistente Lehrererwartungen. Steinhausen (1996) dagegen weist darauf hin, daß Schulen durch ihre innere Organisation und ihr Klima eigenständig dazu beitragen, daß Kinder die Schule schwänzen, eine brüchige Arbeitsmotivation entwickeln und die Schulräume verwüsten. 36 Remschmidt, Schmidt und Strunk (1990, zitiert in Möller-Nehring et al., 1998) fassen die Risikofaktoren für die Neigung zu gestörtem und aggressivem Verhalten in einer Arbeit für die Gewaltkommission der Bundesregierung folgendermaßen zusammen: ♦ männliches Geschlecht, ♦ Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene, ♦ Kinder aus sozial randständigen Familien, ♦ arbeitslose und minderbegabte Jugendliche ohne Schulabschluß, ♦ Teilleistungsschwächen und neurophysiologische Auffälligkeiten, ♦ Einfluß der Massenmedien, ♦ Kinder, die frühzeitig antisoziales Verhalten zeigen, ♦ hyperkinetische Kinder, ♦ Einfluß von Alkohol und Drogen, ♦ negative Gruppeneinflüsse. VI.11. Adoption In einer Studie von Schleiffer (1993) wurden dissoziale adoptierte Jugendliche mit nichtadoptierten dissozialen Jugendlichen verglichen. Zwei Ergebnisse waren dabei besonders interessant. Zum einen bestand bei den adoptierten Patienten eine noch ausgeprägtere Störung des Sozialverhaltens. Sie zeigten vermehrt rein externalisierte Störungsmuster mit weniger assoziierten Störungen. Zum anderen handelte es sich bei ihnen um eine Gruppe mit deutlich geringer vorhandenen Risikofaktoren für die Entwicklung dissozialer Störungen. Sie waren insgesamt intelligenter, wiesen seltener Teilleistungsschwächen auf und kamen fast durchweg aus sogenannten vollständigen Familien, deren sozioökonomischer Status zudem deutlich höher war als bei der Kontrollgruppe. Ihre Eltern waren durchschnittlich älter und verfügten über ein höheres Ausbildungsniveau. Die Kinderzahl in Adoptivfamilien war zudem geringer. Im Vergleich zu den Eltern der Kontrollgruppe gaben die Adoptiveltern ihren Kindern vermehrte Anregungen und förderten sie besser, ohne sie jedoch zu überfordern. Es fand sich außerdem ein Zusammenhang zwischen einem späteren Adoptionszeitpunkt und einer Heimeinweisung. Die Autoren vermuten, daß zwischen den Kindern und ihren Adoptiveltern eine geringere Bindungsstärke bestand. Dafür sprach auch, daß die frühadoptierten Patienten sich seltener in einem Heim befanden, obwohl ihr aggressives Verhalten sich vor allem gegen ihre Eltern richtete, während dies bei den spätadoptierten Jugendlichen seltener der Fall war. Die Autoren zogen daraus den Schluß, daß, auch wenn die Adoption für die meisten betroffenen Kinder eine gute Erfahrung bedeutete, nicht übersehen werden sollte, daß einige Adoptivkinder mit dieser Situation nicht gut zurechtkommen. Einige Risikofaktoren, wie die familiäre Situation, Alkoholismus der Eltern oder die soziale Schicht und deren Zusammenhang mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens sollen in dieser Diplomarbeit untersucht werden. 37 VII. Erklärungsansätze Zu diesem Thema gibt es viele unterschiedliche Theorien, welche in dieser Arbeit nicht alle Berücksichtigung finden können. Auch die Ansätze, die in diesem Kapitel betrachtet werden, sind nur kurz geschildert, um einen Einblick zu geben, wie Störungen des Sozialverhaltens entstehen können. Für einen detaillierteren Überblick wird auf die Artikel von Herbert (1978), Achenbach (1982) und Myscker (1993) verwiesen. Es werden sowohl Ansätze genannt, die sich mit der genetischen oder biologischen Verursachung beschäftigen, als auch Theorien, die sich mit den Umgebungseinflüssen befassen. Die Erblichkeit der SSV wurde unter anderem mit Adoptionsstudien untersucht. Zu den Umgebungseinflüssen zählen viele der im Kapitel „Risikofaktoren” behandelten Punkte, in dem auch Zusammenhänge aufgezeigt wurden. VII.1. Personenspezifische, biologische Prädispositionen Die Forschung an antisozialen Erwachsenen zeigt eine Besonderheit, die bereits in der Kindheit auffällig ist: Menschen mit antisozialen Verhaltensweisen haben weniger Angst als andere, und sie sind schlechter in der Lage aus Bestrafung zu lernen. Außerdem zeigen sie in Experimenten eine größere Toleranz gegenüber Schmerzreizen als andere, wenn sie dafür eine Belohnung erhalten (Achenbach, 1982). Nach Eysenck ist das Vorliegen personenspezifischer, biologischer Prädispositionen und aus ihnen resultierende Temperamentseigenarten dafür verantwortlich, daß Menschen unterschiedlich sind und ebenso unterschiedliche psychische Störungen entwickeln. Eysenck versuchte diese Unterschiede in der spezifischen Konditionierbarkeit von Personen mit seinen Persönlichkeitsdimensionen „Extraversion”, „Introversion” und „Neurotizismus” und „Psychotizismus” aufzuklären. Primäre Psychopathie soll danach in der Hauptsache auf einen genetisch prädisponierten „Psychotizismus” und erhöhter „Extraversion” bezogen sein, sekundäre Psychopathie vor allem auf hohen „Neurotizismus” und hoher „Extraversion”. Erstere Konstellation erkläre vor allem genetische Einflüsse auf eine spätere Entwicklung antisozialer Persönlichkeitsmuster. Die Betroffenen hätten typischerweise ein niedriges Angstniveau und seien unempfänglich für Drohungen und Bestrafungen. Bei der letzteren, sekundären Psychopathievariante zeige sich, wegen einer konzeptuell erwartbaren geringeren Konditionierbarkeit, zugleich eine weniger ausgeprägte Lernfähigkeit. 38 Kinder lernen normalerweise im Laufe ihrer Gewissensbildung antisoziale Reaktionen zurückzuhalten (zu hemmen), wobei das Gewissen als aus einer Reihe konditionierter Reaktionen auf Reize, die mit antisozialem Handeln verknüpft sind, bestehend aufgefaßt wird. Diese Gewissensbildung beruht auf einer geglückten Interaktion der individuellen Persönlichkeitsvoraussetzungen (Prädispositionen) mit der sozialen Umwelt (Milieu-Faktoren). Für das Mißlingen wird die schlechtere Konditionierbarkeit der Menschen verantwortlich gemacht, die zur primären oder sekundären Psychopathie veranlagt sind. Die schlechte Konditionierbarkeit ist der zentrale Mechanismus zur Entwicklung dissozialer Neigungen. Für Menschen, die delinquente und kriminelle Neigungen entwickeln und dabei gut konditionierbar sind, schlägt Eysenck eine dritte Erklärungsmöglichkeit vor, die er als „Antisozialisation” bezeichnet. Damit meint er Kinder, die ihre dissozialen Handlungen schlicht von dissozialen Eltern lernen, ohne daß eine entsprechende Temperamentsausstattung im Sinne einer antisozialen Persönlichkeitsstörung vorliegen muß. VII.2. Genetische Einflüsse Hersen und Last (1990) berichten über Adoptionsstudien, in denen Umgebungseinflüsse kontrolliert wurden. Diese Studien zeigen, daß, ungeachtet der kriminellen Aktivitäten von Adoptiveltern, Kinder von nichtkriminellen, leiblichen Eltern am wenigsten delinquentes Verhalten aufweisen, während Kinder von kriminellen Eltern, die bei ebenfalls kriminellen Adoptiveltern leben, am wahrscheinlichsten ebenfalls kriminelles Verhalten entwickeln. Kinder, deren leibliche Eltern kriminell sind, deren Adoptiveltern keine kriminellen Verhaltensweisen zeigen, liegen zwischen den beiden anderen Gruppen. Diese Befunde deuten darauf hin, daß genetische Ursachen durchaus eine Rolle spielen in der Verursachung dissozialer Störungen, aber immer auch in Verbindung stehen mit Umweltfaktoren. Petermann und Warschburger (1996) berichten, daß immer wieder eine familiäre Häufung von externalisierenden Störungen beobachtet wurde. Eltern von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens blicken überzufällig häufig auf eine ähnliche Entwicklungsgeschichte zurück. Zwillingsstudien haben in bezug auf Kriminalität und antisoziales Verhalten eine größere Übereinstimmung zwischen monozygoten Zwillingen als zwischen dizygoten Zwillingen gefunden (Herbert, 1979, Kazdin, 1987). VII.2.1. Chromosomale Abweichungen Die XYY-Theorie besagt, daß ein zusätzliches männliches Chromosom Männer prädisponiert, antisoziales Verhalten und speziell Aggression zu entwickeln. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, daß ein hoher Anteil von Männern mit dieser Anomalie in Strafinstitutionen zu finden ist. Es zeigte sich jedoch in weiteren Untersuchungen, daß die weitaus größere Mehrheit von Kindern mit SSV keine 39 solche Chromosomenanomalie aufweist und daß die meisten Menschen mit einer XYY-Chromosomenstörung nicht übermäßig aggressiv sind (Herbert, 1978). VII.2.2. Biochemische Unterschiede Einige Studien untersuchen biochemische Verursachungsmechanismen. Bei gewalttätigen, delinquenten Jugendlichen wurde im Vergleich zu normalen Kontrollpersonen ein erhöhtes Niveau des Plasmatestosteronspiegels gefunden. Bei normalen Personen ist Testosteron korreliert mit einer niedrigen Frustrationstoleranz und Selbstberichten über verbale und körperliche Aggression, teilweise als Reaktion auf Provokation. Es ließ sich aber in der Forschung kein Zusammenhang zwischen Testosteron und antisozialem Verhalten wie Diebstahl, Betrug oder Zerstörung von Eigentum finden (Kazdin, 1987). Trotzdem schlägt Robins (1991) vor, wegen des starken Zusammenhangs zwischen der Störung des Sozialverhaltens und dem Geschlecht, Kinder und Jugendliche genauer auf männliche Hormone zu untersuchen. Sie vermutet, daß männliche Hormone eine Rolle spielen bei der Erklärung warum bei Jungen häufiger eine dissoziale Störung diagnostiziert wird. VII.3. Lerntheoretische Erklärungen Nach lerntheoretischen Erkenntnissen ist jedes Verhalten (angepaßtes wie unangepaßtes) auf die gesetzmäßige Realisation der Prinzipien der Verstärkung und Löschung in Verbindung mit Anlagebedingungen und kognitiven Prozessen bzw. Selbstbestimmungstendenzen zurückzuführen. Schon das Kleinkind übernimmt in diesem Sinne die Normen der Bezugspersonen, indem sozial inadäquate Verhaltensweisen von den relevanten Bezugspersonen mißmutig oder strafend beantwortet werden. Dies löst beim Kind Unbehagen oder gar Schmerz aus, was dazu führt, daß bei einer engen Verbindung des sozial inadäquaten Verhaltens mit den unangenehmen Reaktionen, künftig bereits das sozial unangemessene Verhalten unangenehme Reaktionen auslöst. Um diese unangenehmen Reaktionen zu vermeiden, verhält sich das Kind „automatisch” sozial angemessen, d. h. sein Gewissen steuert es im Sinne sozial adäquaten Verhaltens. Als sozial angemessen muß dabei das Verhalten verstanden werden, das dem der sozialen Bezugsgruppe entspricht. Dieses kann in Relation zur Gesamtgesellschaft auch abweichend oder delinquent sein, so daß sich entsprechende Verhaltensbereitschaften schon früh ausbilden können. Außerdem kann sich Aggressivität als sozial inadäquate Verhaltensweise etablieren, weil Aggression, durch welche die eigenen Bedürfnisse befriedigt und die Bedürfnisse anderer in schädigender Weise eingeschränkt werden können, durch Anerkennung aus der Umwelt fremdverstärkt und durch eigene starke Erfolgserlebnisse selbstverstärkt wird. Weiterhin können Verhaltensweisen über das Modellernen übernommen werden. 40 Aus soziologischer Sicht bestimmen vor allem soziokulturelle Faktoren die Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen. Verhaltensstörungen werden in Abhängigkeit von fixierten und unausgesprochenen Regeln gesehen. Kinder und Jugendliche, die gegen diese Regeln verstoßen, werden als sozial abweichend bezeichnet. Aus pädagogischer Sicht werden Verhaltensstörungen als das Ergebnis eines Interaktionsprozesses zwischen dem genetisch einzigartigen Kind mit seinen individuellen Tendenzen und ganz spezifischen Gegebenheiten in der Umwelt aufgefaßt. Ein inegaler Erziehungsstil mit wechselnden Erziehungspraktiken kann dazu führen, daß das Kind keine überdauernden Einstellungen findet; sich auf Erwartungen nicht ausrichten kann. Es reagiert mit Unsicherheit, mit Angst, Nervosität; es versucht, übergefügig zu sein und es allen recht zu machen oder die Erzieher gegeneinander auszuspielen. Zurückweisung macht es dem Kind unmöglich, Urvertrauen zu entwickeln. Verlassenheitsund Minderwertigkeitsgefühle, verbunden mit übersteigertem Selbstbehauptungsstreben und Bindungsschwäche können sich in berechnenden, aggressiv-grausamen, unsozialen und kriminellen Verhaltensweisen äußern (Myschker, 1993). Viele der im Kapitel „Risikofaktoren” dargestellten Punkte stellen Umwelteinflüsse dar. Hieraus wird deutlich, daß, wie auch immer die tatsächlichen Wirkmechanismen sind, der Einfluß in diesem Bereich sehr stark ist. VII.4. Antisoziales Verhalten als Kompetenz Merkmale wie mangelnde Angst und Furchtlosigkeit oder die mangelnde Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen können in manchen Situationen durchaus von Vorteil sein. In diesem Zusammenhang sei auf Entdecker und Abenteurer oder auch erfolgreiche Politiker hingewiesen, bei denen sich oft ebenfalls solche Eigenschaften finden lassen. Gerade diese Eigenschaften sind es, die diese Menschen oft erst erfolgreich machen und die es ihnen ermöglichen sich gegenüber anderen durchzusetzen (Fiedler, 1997). Ein Kind, das antisoziales Verhalten zeigt, nutzt dieses möglicherweise ebenfalls, um sich in einer schwierigen Umwelt durchzusetzen. VII.5. Fazit All diese Erklärungsansätze sind nachvollziehbar, aber keiner von ihnen vermag hinreichend zu klären, warum sich gerade eine Störung des Sozialverhaltens entwickelt. 41 Der Ansatz von Eysenck über eine personenspezifische Prädisoposition will nicht nur antisoziales Verhalten erklären, sondern versucht die unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen im Rahmen seiner Persönlichkeitstheorie zu erhellen. Auch ist nicht nachgewiesen, daß Eysencks Konstellation tatsächlich die Entstehung von antisozialem Verhalten begründet. Die Theorie, daß chromosomale Abweichungen für die Entstehung von antisozialem Verhalten verantwortlich sind, konnte nicht bestätigt werden. Ähnliches gilt für den Einfluß biochemischer Faktoren. Genetische Einflüsse spielen dagegen nachweislich eine Rolle, aber auch hier deuten die Befunde darauf hin, daß manche Kinder zwar für eine dissoziale Störung erblich prädisponiert sind, es jedoch Umwelteinflüsse sind, die bestimmen was aus dieser Anlage wird. Auch lerntheoretische Erklärungen können nicht nachweislich klären, warum Kinder gerade eine Störung des Sozialverhaltens entwickeln, obwohl in diesem Ansatz die Beschreibung der Wirkmechanismen überzeugt. VIII. Geschlechtsunterschiede Wie bereits erwähnt, wird bei Jungen sehr viel häufiger eine Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert als bei Mädchen. Es stellt sich die Frage, ob Mädchen tatsächlich weniger antisoziales Verhalten zeigen als Jungen oder ob dieses nur anders in Erscheinung tritt. Myschker (1993) nennt einige Befunde, aus denen hervorgeht, daß Jungen bei Problemen eher mit externalen Störungen reagieren, also z. B. einer dissozialen Störung, wohingegen Mädchen eher internale Störungen zeigen (z. B. Angststörungen). Weil Jungen öfter von der Störung betroffen sind, gibt es über sie auch eine größere Anzahl von Studien im Zusammenhang mit der Störung des Sozialverhaltens als über Mädchen. Mädchen werden in gemischten Stichproben zwar mit erhoben, aber es wird in der Regel nicht nach geschlechtsspezifischem Verhalten untersucht. Jungen sind bis zu dreimal häufiger auffällig als Mädchen (Steinhausen, 1996). Sofern Mädchen aggressiv sind, handelt es sich eher um verbale Aggressivität in Form von Widerspruch, Negativismus und Hänseln (Steinhausen, 1996). Dieser Geschlechtsunterschied scheint nicht nur darauf zurückzuführen zu sein, daß man bei Jungen geneigter ist, die Diagnose SSV zu stellen, wohingegen Mädchen ein solches Verhalten weniger zugetraut wird. In Untersuchungen, in denen von männlichen und weiblichen Jugendlichen Selbstangaben zu antisozialem Verhalten gemacht wurden, stellte sich heraus, daß männliche Jugendliche häufiger über solches Verhalten berichten als weibliche (Kazdin, 1990). Robins (1991) gibt zu bedenken, daß die erheblichen Differenzen in der Anzahl der, von einer Störung des Sozialverhaltens betroffenen Jungen und Mädchen schon daraus resultieren, daß bereits bei der Erneuerung der Kriterien für diese Störung, bei der Erstellung des DSM-III-R aus dem DSM-III, Symptome, die eher von Mädchen gezeigt werden, fallen gelassen wurden, so daß eine größere Proportion 42 von gewaltbezogenen Symptomen besteht. Deshalb ist die DSM-III-R-Version der Störung mehr auf Jungen ausgerichtet. Craig und Pepler (1997) berichten, daß die Kriterien des DSM-IV vorwiegend aus Studien abgeleitet sind, die sich auf eine männliche Stichprobe beziehen. In der Klassifikation der Entwicklungsverläufe von Delinquenz im Jugendalter wird zwischen zwei Entwicklungstypen unterschieden. Beim aggressiv-vielschichtigen Typ (A) liegt in der Regel eine lange Entwicklungslinie vor, in der sich aggressives und verdeckt aggressives Verhalten häufig auch mit Zeichen einer hyperkinetischer Störung verbinden. Diese Jugendlichen haben beträchtliche soziale Beziehungsund Leistungsstörungen. Ihr delinquentes Verhalten äußert sich in verschiedenen sozialen Kontexten in erheblicher Variationsbreite. Hier überwiegt das männliche Geschlecht; die Remissionsrate ist niedrig. Der nicht-aggressive Typ (B) beginnt in der Regel viel später. Hier stehen Eigentumsdelikte, Lügen, Streunen und Drogenmißbrauch im Vordergrund. Häufig sind die sozialen Beziehungen stabil, wobei viele delinquente Handlungen in der Gruppe erfolgen. Im Vergleich zum aggressiv-vielschichtigen Typ ist der Anteil von Mädchen höher (Steinhausen, 1996). Es gibt aber auch Autoren, die ein etwas anderes Bild von der geschlechtsspezifischen Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens zeigen. Craig und Pepler (1997) berichten über Studien, die bei jüngeren Kindern ebenfalls finden, daß die Auftretensrate bei Jungen ungefähr doppelt so hoch ist wie bei Mädchen. Sie berichten aber weiterhin, daß die Auftretensrate bei Jungen mit zunehmendem Alter immer weiter abnimmt, während die Mädchen die höchste Auftretensrate erst im Alter von 16 Jahren haben. Eppright et al. (1993) finden in ihrer Studie keinen Zusammenhang zwischen einer dissozialen Störung und dem Geschlecht. Myschker (1993) geht davon aus, daß geschlechtsspezifische Unterschiede im wesentlichen auf Sozialisationsbedingungen zurückzuführen sind. Jungen werden noch häufig von klein auf darin bestärkt, egoistische Tendenzen zu leben, sich in den Vordergrund zu spielen, Probleme zu externalisieren; Mädchen hingegen darin, altruistisch, mütterlich zu sein, sich zurückzuhalten, Probleme zu internalisieren. So ist zu sehen, daß Mädchen mehr zu Konformität angehalten und mit ihren Verhaltensstörungen nicht so auffällig werden wie die Jungen, da externalisierendes, ausagierendes Verhalten, wenn es einen gewissen Schwellenwert überschreitet, weit weniger toleriert wird als internalisiertes, resignatives Verhalten. Petermann und Warschburger (1996) berichten von Ergebnissen, die davon ausgehen, daß ungefähr neun Prozent der Jungen im Vergleich zu zwei Prozent der Mädchen unter 18 Jahren an einer SSV leiden. Sie führen die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen aggressiven Verhaltens zurück. Jungen bevorzugen mit direkter körperlicher Aggression (wie z. B. sich zu prügeln) Verhaltensweisen, die objektiv leicht beobachtet und als gestörtes Sozialverhalten bewertet werden 43 können. Bei Mädchen dagegen ist das aggressive Verhalten weniger gut beobachtbar. Es erfolgt in erster Linie indirekt, indem beispielsweise Gerüchte über andere verbreitet werden. Unter den registrierten rechtswidrigen Handlungen von Kindern und Jugendlichen machen Eigentumsdelikte, gefolgt von Sachbeschädigungen den weitaus größten Anteil aus. Specht (1985) gibt nach einer Statistik von 1978 an, daß Jungen im Kindesalter eher Sachbeschädigungen vornehmen als Mädchen (14,1% vs 5,4%) und eher Diebstähle unter erschwerenden Umständen begehen (22,7% vs 6,5%); Mädchen dagegen wagen eher Diebstähle unter erschwerenden Umständen (78,3% vs 58,6%), bei denen eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, entdeckt zu werden. Es folgen bei Kindern Brandstiftungen, bei männlichen Jugendlichen Körperverletzungen und bei weiblichen Jugendlichen Betrug und Rauschgiftdelikte. Auch hier läßt sich eine Tendenz der Jungen zu offener und der Mädchen zu verdeckter Aggressivität erkennen. Robins (1966) berichtet in ihrer Studie, daß die Mädchen, die in die Klinik kamen, unter sehr viel gestörteren Bedingungen aufgewachsen waren als die Jungen. Die Eltern litten häufiger unter psychiatrischen Störungen und es bestand häufiger eine finanzielle Abhängigkeit. 28% der Jungen lebten zu der Zeit, als sie in die Klinik kamen in einem Waisenhaus oder einer Pflegestelle und sogar 47% der Mädchen. Weiterhin zeigt sich in dieser Studie, daß Jungen, die wegen antisozialem Verhalten in die Klinik eingewiesen worden waren, häufiger Diebstähle begangen hatten. Mädchen dagegen wurden eher mit Symptomen wie Unverbesserlichkeit (beinhaltet Verhalten wie Ungehorsam gegenüber den Eltern, zu spät nach Hause kommen, Weigerung zu arbeiten oder zu Hause zu helfen) oder sexuellen Vergehen eingewiesen. Entweder war es so, daß der familiäre und situative Druck bei Mädchen sehr viel stärker sein mußte, um eine Störung hervorzurufen, oder es bestand eine größere Sensibilität bei Störungen von Jungen, so daß nur die extremst gestörten Mädchen zur Behandlung geschickt wurden (Robins, 1966). In der Untersuchung von Hebborn-Brass (1991) finden sich ebenfalls mehr Jungen als Mädchen mit einer Störung des Sozialverhaltens. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß sich insgesamt mehr Jungen als Mädchen in der Einrichtung befunden haben. Die Studie berichtet über 268 Kinder und Jugendliche, die sich zwischen 1968 und 1985 in einer heilpädagogisch-psychotherapeutischen Heimeinrichtung befanden, davon waren 202 Heimbewohner männlich und 66 weiblich. 55 Jungen zeigen eine dissoziale Störung, bezogen auf die Gesamtstichprobe sind das 20%. 23 Mädchen weisen eine ebensolche Störung auf, das sind 8,5% der Gesamtstichprobe. Berechnet man allerdings den Anteil dissozialer Störungen bezogen auf den Anteil männlicher und weiblicher Heimbewohner ergibt sich ein anderes Bild: 34% der Mädchen sind von der Störung betroffen und 27% der Jungen. 44 Es stellt sich die Frage, ob die Störung, wenn sie bei Mädchen auftritt, ernster ist als bei Jungen. Studien, die beide Geschlechter untersucht haben, deuten nicht darauf hin, daß die Prognose für Mädchen schlechter ist als für Jungen. Es zeigt sich, daß Aggressivität nicht nur häufiger bei Jungen auftrat, sondern auch, daß Aggressivität bei Jungen eine bessere Vorhersage auf das Vorhandensein von Aggressivität im Alter von 19 Jahren und Delinquenz im Alter von 17 Jahren ermöglichte als bei Mädchen. Wenn Kinder delinquentes Verhalten gezeigt hatten, war es wahrscheinlicher für Jungen als für Mädchen, daß sich solches Verhalten wiederholte (Robins, 1986). Andere Ergebnisse dagegen zeigen keine Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts. Sie gehen davon aus, daß Verhaltensstörungen bei beiden Geschlechtern eine ähnliche Kontinuität vorhersagen (Robins, 1986). Es gibt aber auch Studien, die einen schlechteren Verlauf bei Mädchen als bei Jungen gefunden haben. Unter Kindern, die wegen Aggressivität in ein Krankenhaus eingewiesen wurden und bis in das frühe Erwachsenenalter verfolgt wurden, zeigten Mädchen schlechtere Ergebnisse als Jungen (Robins, 1986). Eine weitere Frage ist, ob die Verläufe bei Mädchen die gleichen sind wie bei Jungen. Die meisten Studien, welche Verläufe bei beiden Geschlechtern untersucht haben, sind von Symptomen ausgegangen, die von Jungen bekannt sind. Hierbei handelt es sich eher um externale Verhaltensweisen wie z. B. Rauchen, Trinken, Delinquenz und Aggression. Dabei hat sich bereits in einer Studie von Robins (1966) gezeigt, daß Mädchen mit antisozialem Verhalten als Erwachsene eine erhöhte Auftretensrate von Hysterie, Angststörungen und Depression aufweisen. Dies war bei männlichen Patienten nicht der Fall. In dieser Studie zeigte sich ebenfalls, daß Jungen und Mädchen mit antisozialem Verhalten als Erwachsene auch in anderen Lebensbereichen ganz unterschiedliche Probleme hatten. So besteht die Möglichkeit, daß kindliche Verhaltensstörungen bei Mädchen andere Verläufe und nicht unbedingt bessere vorhersagen als bei Jungen (Robins, 1986). Mädchen zeigen antisoziales Verhalten im Durchschnitt später als Jungen (Robins, 1966). Dieser Befund wurde in der ECA-Studie bestätigt. Neun von zwölf antisozialen Verhaltensweisen, die untersucht wurden, begannen bei Mädchen später als bei Jungen. Die größte Altersdifferenz bestand hinsichtlich sexueller Erfahrungen, welche bei Mädchen ungefähr eineinviertel Jahre später begannen. Die Verhaltensweisen, die früh bei Jungen entstehen, sind die gleichen wie die, die früh bei Mädchen auftreten. Lügen und mangelnde schulische Disziplin sind bei beiden Geschlechtern in frühem Alter zu finden, während Verhaftungen und Substanzmißbrauch als letztes vorkommen (Robins, 1986). Es konnten aber auch vier Verhaltensweisen identifiziert werden, die bei Jungen einen höheren Rang einnahmen als bei Mädchen: Vandalismus, Probleme mit schulischer Disziplin, Prügeln und Stehlen. Demgegenüber gab es drei Verhaltensweisen, die bei Mädchen einen höheren Rang einnahmen: Lügen, Weglaufen und Substanzmißbrauch. In dieser Studie zeigte sich weiterhin, daß Mädchen, wenn sie ebensoviele Symptome gezeigt hatten wie Jungen, als Erwachsene weniger häufig eine antisoziale Persönlichkeitsstörung und Alkoholismus entwickelten, dafür aber 45 häufiger sogenannte typisch weibliche Störungen wie Depression, psychosexuelle Dysfunktion und Phobien. Maccoby (1986) versucht die Geschlechtsunterschiede von einem anderen Gesichtspunkt aus zu betrachten. Sie geht davon aus, daß Jungen und Mädchen sich innerhalb ihrer sozialen Gruppe anders kontrollieren. Ein Mädchen riskiert Ächtung und den Verlust hochgeschätzter Freundschaften, wenn sie Uneinigkeit oder sogar Feindseligkeit zu offen zeigt. Ein Junge, der ein ähnliches Verhalten zeigt, riskiert dagegen nicht gleich den Ausschluß aus der Gruppe. Kämpfen ist bei Jungen oft Teil des Prozesses, eine hohe Rangposition innerhalb der Gruppenhierarchie zu erzielen. Es muß allerdings in der Regel mit positiven Führungsqualitäten einhergehen, um die Position aufrecht zu erhalten. Die Kontrolle aggressiven Verhaltens scheint bei Mädchen sehr viel strenger zu sein als bei Jungen, wo sie als Mittel zum Zweck eingesetzt wird. So bewegen sich Jungen näher an der Grenze zwischen sozial akzeptierter Aggression und nicht-akzeptierter Gewalt. Dasselbe gilt für risikoreiches und wettbewerbsorientiertes Verhalten. Jungenspiele sind risiko- und konkurrenzreicher als Mädchenspiele. Weiterhin spielen Jungen häufiger in größeren sozialen Gruppen und weiter außerhalb des Elternhauses, so daß sie weniger gut zu überwachen sind als Mädchen. Maccoby gibt weiter zu bedenken, daß man zwischen offenem und verdecktem antisozialen Verhalten unterscheiden sollte. Offenes Verhalten umfaßt Aggression (vor allem nicht provozierte Aggression), Wutausbrüche, Ungehorsam und Hyperaktivität. Das verdeckte Cluster beinhaltet Stehlen, Lügen, Schulschwänzen und von zu Hause weglaufen. Dabei sind die verdeckten Verhaltensweisen am ehesten die, die bei Jungen am häufigsten zum Anschluß an eine delinquente Peergroup führen. Weiterhin berichtet sie, daß eine geringe Frustrationstoleranz und andere Formen von Impulsivität häufiger bei Jungen zu finden sind. Ein Risikofaktor, über den bereits berichtet wurde, ist das Temperament. Hierzu erwähnt Maccoby (1986) eine Untersuchung von Bates (1980). Dieser hat herausgefunden, daß in seiner Stichprobe männliche und weibliche Kleinkinder bis zu einem Alter von 18 Monaten keine Geschlechtsunterschiede zeigten hinsichtlich eines schwierigen Temperaments. Im Alter von zwei Jahren zeigte sich aber, daß schwierige Mädchen ihr Verhalten gemäßigt hatten und eine angenehme Beziehung zu ihren Bezugspersonen aufgebaut hatten, wohingegen die meisten schwierigen Jungen ihr Verhalten beibehalten hatten. Es gibt nur wenige Studien, die ausschließlich Mädchen mit Störungen des Sozialverhaltens untersuchen, weshalb auf eine solche nachfolgend näher eingegangen wird. Zoccolillo und Rogers (1991) untersuchten 55 jugendliche Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren mit einer Störung des Sozialverhaltens und suchten sie zwei bis vier Jahre später erneut auf, um zu sehen wie die Störung verlaufen ist. Die Mädchen 46 wiesen verschiedene Symptome mit unterschiedlicher Symptome, die erhoben wurden, waren folgende: Häufigkeit auf. Die ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ständige Regelverletzung in der Schule 73% chronisches Lügen 67% schlechter Schulabschluß 60% zwei oder mehr Kämpfe 49% wiederholte Trunkenheit oder Substanzmißbrauch 42% Weglaufen von zu Hause über Nacht 40% mehr als ein Diebstahl 36% ständige Regelverletzung zu Hause 35% Schulausschluß 31% Delinquenz 24% Promiskuität (drei oder mehr Sexualpartner oder Sex für Geld oder Drogen) 22% ♦ -Schulschwänzen (mindestens fünf Schultage) 15% ♦ -Vandalismus 13%. Die durchschnittliche Anzahl von Symptomen betrug fünf, bei einer Bandbreite zwischen null und zwölf. 67% der Mädchen wiesen drei oder mehr Symptome auf und 60% fünf oder mehr. 24% der Probandinnen wurden von der Polizei verhaftet oder hatten Kontakt zu einem Jugendgericht. Gründe hierfür waren Fortlaufen von zu Hause, der Gebrauch des Familienautos, Kämpfen mit der Mutter und Fortlaufen, Zusammensein mit Freunden, die stehlen, Angriff auf einen Polizisten, Fortlaufen und einen LKW stehlen, Diebstahl und Weglaufen. In einem Fall wurde eine Dreizehnjährige verhaftet, nachdem ein Kind, auf das sie aufgepaßt hatte, gestorben war. Zum Nacherhebungszeitpunkt waren drei der Probandinnen gestorben (6%). Das war, verglichen mit der durchschnittlichen Todesrate einer nationalen Vergleichsstichprobe von 1987, die bei 0,034% lag, relativ hoch. Nur 12% der Stichprobe entwickelte sich normal. Normal wurde in der Studie definiert mit: Schule erfolgreich beendet, nicht schwanger geworden vor dem 17. Lebensjahr, kein Kontakt mit der Justiz, nicht aus einer Anstellung entlassen worden und nicht in ein Heim oder einer anderen Einrichtung aufgenommen worden. Die anderen Probandinnen wiesen zum Teil erhebliche Schwierigkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen auf. Die Autoren ziehen aus dieser Studie verschiedene Schlüsse: Störungen des Sozialverhaltens sind ein erhebliches gesundheitliches und soziales Problem bei Mädchen. Die Vernachlässigung durch die Forschung ist ihrer Meinung nach weder durch geringes Auftreten noch durch besseren Verlauf gerechtfertigt. Sie bezeichnen die Störung des Sozialverhaltens als zweithäufigste Störung unter jugendlichen Mädchen. Aufgrund der Tatsache, daß sich alle von ihnen untersuchten Mädchen in Behandlung befanden und trotzdem keinen positiven Verlauf zeigten, kamen 47 Zoccolillo und Rogers zu dem Schluß, daß bestehende Behandlungsmaßnahmen ineffektiv sind. IX. Fragestellung In dieser theoretischen Einleitung ist deutlich geworden, daß bereits eine Vielzahl von Kenntnissen über unterschiedliche Aspekte der Störung des Sozialverhaltens existieren. Es zeigt sich aber, daß man im epidemiologischen Bereich sehr unterschiedliche Daten findet. Einige Befunde zeigen, daß die Häufigkeit der Störung des Sozialverhaltens in klinischen Stichproben zwischen einem Drittel und der Hälfte liegt (Coid, 1993). Allerdings gibt es wenige Untersuchungen, die sich damit beschäftigen wie oft dieses Störungsbild in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auftritt, obwohl sich vermuten läßt, daß dieses Störungsbild dort gehäuft anzutreffen ist. Diese Annahme wird durch den Befund von Hebborn-Brass (1991) gestützt, der besagt, daß bei 29% der Kinder und Jugendlichen in einem heilpädagogischpsychotherapeutischen Kinderheim eine Störung des Sozialverhaltens nachgewiesen wurde. Desweiteren kann man davon ausgehen, daß Kinder und Jugendliche, die sich in einer solchen Einrichtung befinden, vorher in der Regel einigen der oben beschriebenen Risikofaktoren ausgesetzt waren. In dieser Arbeit wird beispielhaft an einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, die Häufigkeit mit der die Störung des Sozialverhaltens in diesem Bereich auftritt untersucht. Es ergibt sich folgende Fragestellung: Wieviele Kinder und Jugendliche der Einrichtung zeigen eine Störung des Sozialverhaltens oder haben sie zu einem früheren Zeitpunkt gezeigt? Desweiteren soll auf die Komorbidität dieses Störungsbildes eingegangen werden. Neben der Störung des Sozialverhaltens werden folgende Störungsbilder des Kindes- und Jugendalters erhoben: ♦ Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ♦ Störungen der Ausscheidung (funktionelle Enuresis/Enkopresis) 48 ♦ affektive Störungen (depressives Syndrom, dysthymes Syndrom) ♦ Angststörungen (Störung mit Trennungsangst, Paniksyndrom mit/ohne Agoraphobie, Agoraphobie ohne Anamnese eines Paniksyndroms, spezifische Phobie, Sozialphobie, Zwangssyndrom, generalisiertes Angstsyndrom, posttraumatische Belastungsstörung) ♦ Eßstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) ♦ Hinweise auf Substanzmißbrauch und -abhängigkeit. Die Fragestellung hierzu lautet: Welche anderen Störungsbilder gehen mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens einher? Wie in Kapitel VI gezeigt wurde, gehören Alkoholabhängigkeit und Trennung der Eltern zu den Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens fördern können. Ebenso ist deutlich, daß antisoziales Verhalten eher in der unteren sozialen Schicht zu finden ist. Deswegen soll untersucht werden, ob sich die Kinder, die eine Störung des Sozialverhaltens zeigen oder gezeigt haben, hinsichtlich dieser Risikofaktoren von den Kindern unterscheiden, die keine solche Störung aufweisen. Die Hypothese hierzu lautet: Kinder und Jugendliche mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich von Kindern und Jugendlichen, die keine dissoziale Störung zeigen hinsichtlich einer Alkoholerkrankung der Eltern, des Familienstandes der Eltern und der sozialen Schicht der Eltern. X. Methoden X.1. Erhebungsinstrumente Die Operationalisierung der Frage nach der Häufigkeit der Störung und der Komorbidität erfolgte über den Einsatz des Kinder-DIPS (Schneider, Unnewehr & Margraf, 1995) und der deutschen Version der Child Behavior Checklist (Achenbach & Edelbrock, 1983, Achenbach, 1991a). Der Kinder-DIPS wurde gewählt, weil er die Möglichkeit bietet, die bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auftretenden Störungsbilder nach ICD-10 zu identifizieren. Der „Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern” beinhaltet unter anderem sehr detaillierte Fragen nach den Symptomen der Störung des Sozialverhaltens, um die es in dieser Arbeit geht. X.1.1. Kinder-DIPS Der Kinder-DIPS ist ein strukturiertes diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Es dient bei Kindern und Jugendlichen im 49 Alter von ca. sechs bis achtzehn Jahren zur differenzierten Diagnostik, der in diesem Altersbereich am häufigsten auftretenden psychischen Störungen. Folgende psychische Störungen werden mit dem Kinder-DIPS diagnostiziert: 1. Expansive Verhaltensstörungen: Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung Störung des Sozialverhaltens 2. Störungen der Ausscheidung: Funktionelle Enuresis Funktionelle Enkopresis 3. Affektive Störungen: Schweres Depressives Syndrom Dysthymes Syndrom 4. Angststörungen: Störung mit Trennungsangst Paniksyndrom ohne Agoraphobie Paniksyndrom mit Agoraphobie Agoraphobie ohne Anamnese eines Paniksyndroms Spezifische Phobie (eingeschlossen Schulphobie) Sozialphobie Zwangssyndrom Generalisiertes Angstsyndrom Posttraumatische Belastungsstörung 5. Eßstörungen: Anorexia nervosa Bulimia nervosa 6. Hinweise auf Teilleistungsstörungen 7. Hinweise auf Psychosen 8. Hinweise auf Substanzmißbrauch, -abhängigkeit. Mit dem Kinder-DIPS können einerseits aktuelle Störungsbilder erfaßt werden, andererseits ist aber auch die Erfassung früherer Symptomatik möglich. In dieser Arbeit wird jedoch nur bei der Störung des Sozialverhaltens eine frühere Diagnose mit erfaßt. Der Kinder-DIPS erlaubt die Kodierung einer Diagnose sowohl nach DSM-IV als auch nach der ICD-10. Die Richtlinien des Kinder-DIPS für eine Diagnose sagen aus, daß es für die Vergabe einer Diagnose erforderlich ist, daß alle Kriterien erfüllt sein müssen. Von dieser Vorgabe wurde in der vorliegenden Diplomarbeit abgewichen. Wenn sowohl die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (F91) als auch für eine hyperkinetische Störung (F90) erfüllt waren, wurde abweichend von den Forschungskriterien der ICD-10 nicht die Diagnose „Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens” vergeben, sondern beide Diagnosen einzeln gestellt. 50 Bei der „Emotionalen Störung mit Trennungsangst im Kindesalter” (F93.0) wurde eine Diagnose abweichend von den Kriterien im Kinder-DIPS auch dann vergeben, wenn eine „Störung des Sozialverhaltens” diagnostiziert wurde. Die „Phobische Störung des Kindesalters” (F93.1) wurde auch dann diagnostiziert, wenn ebenfalls eine „Störung des Sozialverhaltens” vorlag. Bei der „Sozialen Phobie” wurde eine Diagnose gestellt, auch wenn angegeben wurde, daß keine deutliche emotionale Belastung vorliegt. Bei der Abweichung von dem Ausschlußkriterium, daß keine „Störung des Sozialverhaltens” vorliegen darf, geht es darum, daß in dieser Diplomarbeit untersucht werden soll, welche Störungsbilder mit dem Auftreten einer dissozialen Störung einhergehen. Dazu muß es die Möglichkeit geben, alle Diagnosen unabhängig voneinander zu vergeben. Bei dem Kriterium der deutlichen emotionalen Belastung geht es darum, daß es bei Kindern unter Umständen der Fall sein kann, daß sie zwar bei einem Störungsbild deutliche Symptome zeigen, aber nicht darunter leiden und sich auch in keinem Bereich durch das Auftreten der Symptome beeinträchtigt fühlen (möglicherweise, weil sie es nicht anders kennen). Die Diagnose F91.8 „sonstige Störung des Sozialverhaltens” wurde nicht vergeben, da in der ICD-10 nicht deutlich wird für welche Fälle diese Kategorie vorbehalten ist. In den Fällen, in denen zwar die allgemeinen Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt sind, die sich aber keiner der Unterkategorien zuordnen lassen, wird die Diagnose F91.9 „nicht näher bezeichnete Störung des Sozialverhaltens” vergeben. Der Kinder-DIPS beinhaltet eine Version für Kinder und eine Version für die Eltern. In dieser Arbeit wurden die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe der Kinderversion interviewt. Desweiteren wurden ihre pädagogischen Betreuer mittels der Elternversion befragt. Die Diagnosen wurden nach den Kriterien der ICD-10 gestellt. X.1.2. Child Behavior Checklist Die deutsche Übersetzung der Child Behavior Checklist (CBCL/4-18) heißt „Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen”. Bearbeitet wurde sie von der Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist (1994, 1998). Der Fragebogen erfaßt das Urteil von Eltern über Kompetenzen, Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen im Alter von vier bis achtzehn Jahren. Der Fragebogen umfaßt folgende Syndromskalen: 1. Gruppe: Internalisierende Auffälligkeiten mit den Skalen Sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden Ängstlichkeit/Depressivität 2. Gruppe: Externalisierende Auffälligkeiten mit den Skalen Dissoziales Verhalten 51 Aggressives Verhalten 3. Gruppe: Gemischte Auffälligkeiten mit den Skalen Soziale Probleme Schizoid/Zwanghaft Aufmerksamkeitsprobleme. Der Elternfragebogen wurde von den pädagogischen Betreuern der Kinder und Jugendlichen ausgefüllt. Ausgewertet wird der Fragebogen anhand eines Profilblattes. X.1.3. Erhebung der Risikofaktoren Zur Überprüfung der Hypothese, daß sich Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens hinsichtlich bestimmter Risikofaktoren von Kindern unterscheiden, die keine dissoziale Störung zeigen, wurden noch folgende Fragen erhoben: 1. Wie ist der Familienstand der Eltern des Kindes? Diese Frage trägt dem Umstand Rechnung, daß in der Literatur eine sogenannte „Broken-home”-Situation immer wieder als Risiko für die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens benannt wird. Geschiedene oder getrennt lebende Eltern sind ein Indikator für eine solche Situation. 2. Ist ein Elternteil (oder beide) an Alkoholismus erkrankt? Bei diesem Thema geht es darum, daß bei Kindern, bei denen ein Elternteil (oder beide) Alkoholprobleme zeigen, häufiger mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens zu rechnen ist, als bei Kindern deren Eltern keine solche Problematik zeigen. 3. Sind die Eltern Sozialhilfeempfänger? Diese Frage bezieht sich auf die Tatsache, daß die Störung des Sozialverhaltens häufiger bei Kindern der unteren sozialen Schicht zu finden ist. Der Erhalt von Sozialhilfe dient in diesem Fall als Indikator für die Schichtzugehörigkeit. X.1.4. Durchführungsbedingungen Jedes Kind wurde einzeln, ohne Beisein eines pädagogischen Betreuers oder anderer Personen befragt. Ein Problem bestand in der Länge des Intervies, das im Durchschnitt ungefähr eine Stunde dauert. Einige Kinder, insbesondere Jüngere, hatten Schwierigkeiten, das Interview vollständig in einer Sitzung zu beantworten. In diesen Fällen wurde das Interview unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt zu Ende geführt. Die Erzieher wurden ebenfalls im Einzelinterview befragt. Der „Elternfragebogen zum Verhalten von Kindern und Jugendlichen” wurde von den pädagogischen Betreuern selbständig bearbeitet. 52 X.2. Darstellung der Stichprobe Es wurden 52 Kinder einer privaten Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe untersucht. Die Daten wurden in dem Zeitraum von Juli 1999 bis November 1999 erhoben. X.2.1. Die Einrichtung Zum Zeitpunkt der Datenerhebung bot die Einrichtung in Niedersachsen insgesamt 80 Plätze an; 32 Plätze im teilstationären Bereich, 42 Plätze in stationären Gruppen und 6 Plätze in Kinderhoffamilien. Der teilstationäre Bereich teilte sich in fünf Gruppen auf, in denen sich zum Erhebungszeitpunkt tatsächlich 32 Kinder befanden. Der stationäre Bereich bestand aus ebenfalls fünf Gruppen mit 34 untergebrachten Kindern und Jugendlichen. Träger der Maßnahme ist in den meisten Fällen das Jugendamt. In Fällen, bei denen es sich um geistig behinderte Kinder oder Jugendliche handelt, kann auch das Sozialamt für die Finanzierung zuständig sein. Die Eltern der untergebrachten Kinder werden anteilig an den Kosten beteiligt, bestimmt durch deren jeweiligen finanziellen Hintergrund. X.2.2. Ausschlußkriterien für eine Aufnahme in die Einrichtung Kinder oder Jugendliche, die alkohol- oder drogenabhängig sind, werden nicht in die Einrichtung aufgenommen. Desweiteren ist starke Aggressivität ein Ausschlußkriterium, denn es muß gewährleistet sein, daß die Kinder und Jugendlichen in eine Gruppe integrierbar sind. Die Kinder und Jugendlichen, die sich in der Einrichtung befinden, kommen aus unterschiedlichen Gründen dorthin. Allen gemeinsam ist jedoch, daß sie Probleme mit dem Elternhaus haben und deswegen professioneller Hilfe bedürfen. X.2.3. Die Stichprobe Alle Eltern, der in den stationären oder teilstationären Gruppen untergebrachten Kinder wurden schriftlich über die Befragung informiert und um ihr Einverständnis gebeten. Nicht berücksichtigt wurden die Kinder, die sich in den sogenannten „Kinderhof-Familien” befanden. Die Stichprobe für diese Diplomarbeit setzte sich zusammen aus 22 Kindern, die stationär untergebracht waren und 30 Kindern aus den teilstationären Gruppen. Elf Kinder nahmen nicht an der Untersuchung teil, weil für sie keine Einverständniserklärung der Eltern vorlag. Ein Kind verweigerte die Teilnahme an dem Interview. Zwei Kinder zeigten deutliche Entwicklungsstörungen. Ein Junge mit 53 autistischen Zügen sprach nicht und ein vierjähriges Mädchen war geistig retardiert, so daß mit beiden Kindern kein Interview durchgeführt werden konnte. X.2.4. Statistische Auswertung Die statistische Datenanalyse erfolgte mit SPSS für Windows (Version 8.0 bzw. 9.0). XI. Ergebnisse XI.1. Deskriptive Daten der Stichprobe XI.1.1. Alter und Geschlecht Von den 52 untersuchten Kindern und Jugendlichen sind 12 weiblich und 40 männlich. Sie sind zwischen 7 und 18 Jahren alt (M = 11,63, SD = 2,88). XI.1.2. Anzahl der Geschwister und Rangstellung innerhalb der Geschwister Fünf Kinder (9,6%) haben keine Geschwister. Acht Kinder (15,4%) haben einen Bruder oder eine Schwester, 13 Kinder (25%) haben zwei Geschwister, 13 Kinder (25%) haben drei Geschwister, fünf Kinder (9,6%) haben vier Geschwister, ebenfalls fünf Kinder (9,6%) haben fünf Geschwister, ein Kind (1,9%) hat sechs Geschwister und zwei Kinder (3,8%) haben sieben Geschwister. 19 Kinder (36,5%) sind die erstgeborenen Kinder in der Familie, 15 Kinder (28,8%) sind die Zweitgeborenen, zwölf Kinder (23,1%) sind die Drittgeborenen, fünf Kinder (9,6%) sind die Viertgeborenen und eines (1,9%) ist das fünftgeborene Kind innerhalb der Rangstellung der Geschwister. XI.1.3. Schulform Zwei Kinder (3,8%) besuchen (noch) keine Schule. 15 Kinder (28,8%) gehen in eine Grundschule, sieben Kinder (13,5%) in eine Hauptschule. 17 Kinder (32,7%) besuchen eine Lernbehindertenschule, sieben Kinder (13,5%) die Orientierungsstufe, ein Jugendlicher (1,9%) geht zur Berufsschule, zwei Kinder (3,8%) befinden sich in einer Tagesbildungsstätte und ein Kind (1,9%) besucht die Vorschule. Kein Kind besucht ein Gymnasium oder eine Realschule. XI.1.4. Religionszugehörigkeit Sieben Kinder (13,5%) gehören keiner Konfession an. 15 Kinder (28,8%) sind katholisch, 27 (51,9%) sind evangelisch, ein Kind (1,9%) gehört einer anderen Konfession an und bei zwei Kindern (3,8%) ist die Religionszugehörigkeit nicht bekannt. 54 XI.1.5. Soziodemographische Daten der Eltern XI.1.5.1. Familienstand der Eltern Bei 24 Kindern (46,2%) leben die Eltern zusammen. In 28 Fällen (53,8%) leben die Eltern getrennt, davon sind 23 Eltern (44,2%) geschieden. XI.1.5.2. Alkoholkrankheit der Eltern In vier Fällen (7,7%) ist die Mutter an Alkoholismus erkrankt. Bei zwölf Kindern (23,1%) ist der Vater Alkoholiker und bei zwei Kindern (3,8%) sind beide Elternteile betroffen. 34 (65,4%) Kinder haben Eltern, die nicht von der Alkoholkrankheit betroffen sind. XI.1.5.3. Soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern Als Indikator für die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht diente der elterliche Bezug von Sozialhilfe. Bei getrennt lebenden Eltern wird derjenige Elternteil zur Beurteilung der sozialen Schicht herangezogen, der das Sorgerecht für das Kind hat. In 21 Fällen (40,4%) beziehen die Eltern Sozialhilfe, gehören also der unteren sozialen Schicht an. XI.2. Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im KinderDIPS In diesem Abschnitt geht es um die Präsentation der Diagnosen, die bei der Auswertung des Kinder-DIPS gestellt wurden. 55 Tabelle 1 Auftretenshäufigkeit der erhobenen Störungsbilder im Kinder-DIPS Diagnose im Diagnose im Störungsbilder Erzieherinterview Kinderinterview (Häufigkeit) (Häufigkeit) -Aufmerksamkeitsund Hyperaktivitätsstörung -Enuresis / Enkopresis -Depressives Syndrom -Dysthymes Syndrom -Emotionale Störung mit Trennungsangst -Paniksyndrom -Agoraphobie -Spezifische Phobie -Sozialphobie -Zwangssyndrom -Generalisiertes Angstsyndrom -Posttraumatische Belastungsstörung -Anorexia nervosa -Bulimia nervosa 2 (3,8%) 9 (17,3%) 3 (5,8%) 0 (0%) 0 (0%) 0 (0%) 1 (1,9%) 8 (15,4%) 4 (7,7%) 0 (0%) 0 (0%) 2 (3,8%) 0 (0%) 0 (0%) 4 (7,7%) 4 (7,7%) 8 (15,4%) 2 (3,8%) 0 (0%) 2 (3,8%) 1 (1,9%) 1 (1,9%) 14 (26,9%) 2 (3,8%) 0 (0%) 0 (0%) 2 (3,8%) 0 (0%) 0 (0%) 9 (17,3%) Die Diagnosen „dysthymes Syndrom”, „Zwangssyndrom”, „generalisiertes Angstsyndrom”, „Anorexia nervosa” und „Bulimia nervosa” wurden weder bei der Erzieherbeurteilung noch bei der Selbsteinschätzung des Kindes vergeben. XI.2.1. Übereinstimmung zwischen den Diagnosen nach Angaben der Kinder und der Erzieher im Kinder-DIPS In vier Fällen (7,6%) wurde die Diagnose „depressives Syndrom” vergeben. Allerdings gibt es nur in einem Fall eine Übereinstimmung zwischen Erzieherurteil und dem Urteil des Kindes, dabei handelt es sich um die Diagnose „bipolare affektive Störung”. Berechnet man für die Variablen „depressives Syndrom in der Erziehereinschätzung” und „depressives Syndrom in der Kindereinschätzung” das Ausmaß der Übereinstimmung, erhält man ein Kappa von j = 0.38 (p < 0.01). Die Diagnose „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung” wurde in sechs Fällen (11,5%) vergeben, dabei gab es jedoch keine Übereinstimmung zwischen der Einschätzung der Erzieher und der der Kinder. Es besteht keine signifikante Übereinstimmung (j = -0.05, n.s.). Das Störungsbild „Enuresis / Enkopresis” wurde elfmal (21,1%) diagnostiziert. In vier Fällen stimmen Kinder und Erzieher vollständig überein. In zwei Fällen gibt es eine Übereinstimmung dahingehend, daß entweder die Erzieher oder die Kinder angeben, es käme sowohl Einnässen als auch Einkoten vor, aber die jeweils andere Einschätzung nur eines von beiden angibt. Es besteht eine signifikante Übereinstimmung (j = 0.52, p < 0.01). 56 Die „emotionale Störung mit Trennungsangst” wurde zweimal (3,8%) diagnostiziert, aber nur über die Einschätzung der Kinder. Eine „Panikstörung” wurde in einem Fall (1,9%) vergeben, aber auch in diesem Fall nur über die Einschätzung des Kindes. Einmal (1,9%) wurde eine „Agoraphobie mit Paniksyndrom” diagnostiziert, dabei wurde die Diagnose in Übereinstimmung der Angaben des Kindes und des Erziehers gestellt. Die Übereinstimmung zwischen den Aussagen der Kinder und den Aussagen der Erzieher bezüglich der „Agoraphobie mit Paniksyndrom” ist signifikant (j = 1.0, p < 0.01). In 18 Fällen (34,6%) wurde eine spezifische Phobie gefunden, aber nur viermal stimmten Erzieher und Kinder in der Einschätzung überein. Es besteht keine signifikante Übereinstimmung zwischen den Diagnosen der spezifischen Phobie, die nach den Erzieherangaben gestellt wurden und denen, die nach den Angaben der Kinder gestellt wurden (j = 0.21, n.s.). Die Diagnose „Soziale Phobie” wurde insgesamt sechsmal (11,5%) vergeben, dabei findet sich aber keine Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung. Es besteht keine signifikante Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung bezogen auf die „soziale Phobie” (j = -0.05, n.s.). Ein ähnliches Bild findet sich bei der „Posttraumatischen Belastungsstörung”. Die Diagnose wurde insgesamt viermal (7,6%) gestellt, doch auch hier ohne Übereinstimmung. Das heißt es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen den Aussagen der Kinder und denen der Erzieher bezüglich der „posttraumatischen Belastungsstörung” (C = 0.04, n.s.). Bei der Einschätzung des Alkohol- oder Drogenmißbrauchs, werden neun Fälle (17,3) genannt. In fünf Fällen geben nur die Kinder einen gelegentlichen Alkoholgebrauch an. In zwei Fällen geben Kinder und Erzieher übereinstimmend gelegentlichen Alkohol- und Drogengebrauch des Kindes an und einmal übereinstimmend gelegentlichen Alkoholgebrauch. In einem Fall geben die Erzieher Alkoholkonsum eines Kindes an, während das Kind sowohl Alkohol- als auch illegalen Drogenkonsum nennt. Es besteht eine signifikante Übereinstimmung bezüglich des von den Kindern angegebenen Alkohol- und Drogenkonsums mit den Aussagen der Erzieher (j= 0.5, p < 0.01). XI.3. Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens Die erste Frage, die in dieser Arbeit beantwortet werden soll ist, wie häufig eine Störung des Sozialverhaltens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auftritt. Bei der Störung des Sozialverhaltens wurde sowohl eine aktuelle Diagnose als auch eine Störung, die zu einem früheren Zeitpunkt vorlag mit dem Kinder-DIPS erfaßt. Desweiteren wurde der Beginn und Schweregrad der aktuellen Diagnose erfragt. 57 Die Child Behavior Checklist erfaßt die Skalen „dissoziales Verhalten” und „aggressives Verhalten”, die zur „externalisierenden Störung” zusammengefaßt werden. In diesem Abschnitt werden die jeweiligen Einzelergebnisse dargestellt. XI.3.1. Ergebnisse des Kinder-DIPS XI.3.1.1. Akute Diagnose Eine akute Diagnose der Störung des Sozialverhaltens wurde in 30 Fällen (57,6%) vergeben. Davon wurden zehn (19,2%) in Übereinstimmung der Aussagen von Kindern und Erziehern gestellt, zwölf nur durch die Einschätzung der Kinder und acht nur durch die Erzieherangaben. Insgesamt geben die Kinder in 22 Fällen eine Störung des Sozialverhaltens an und die Erzieher in 18 Fällen. Der Zusammenhang zwischen den Variablen „SSV in der Erziehereinschätzung” und „SSV in der Kindereinschätzung” ist nicht signifikant (j = 0.19, n.s.). Die Diagnosen wurden genauer in einzelne Unterkategorien eingestuft. Von den zehn übereinstimmenden Diagnosen stimmen sechs ebenfalls in den unterkategorisierten Diagnosen überein. Davon entfallen eine auf die Kategorie F91.1 (SSV bei fehlenden sozialen Bindungen), drei auf die F91.2 (SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen), eine auf die F91.3 (SSV mit oppositionellem Trotzverhalten) und eine auf die Untergruppe F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV). In den Fällen, in denen Kinder und Erzieher nicht in der Einschätzung übereinstimmten, wurden einseitige Diagnosen in den Untergruppen F91.3 (SSV mit oppositionellem Trotzverhalten) und F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV) vergeben. Die Übereinstimmung innerhalb der vergebenen Diagnosen ist signifikant (j = 0.2, p < 0.05). Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den früheren und den akuten Diagnosen der Störung des Sozialverhaltens sowohl in der Kindereinschätzung (C = 0.56, p < 0.01) als auch in der Erwachseneneinschätzung (C = 0.42, p < 0.01). Es besteht ebenfalls ein signifikanter Zusammenhang zwischen der akuten Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens in der Erziehereinschätzung und einer früheren Diagnose in der Kindereinschätzung (C = 0.28, p < 0.05). 58 Tabelle 2 Auftretenshäufigkeit der einzelnen Unterkategorien der akuten Störung des Sozialverhaltens in der Erzieher- und Kindereinschätzung SSV akut SSV akut Unterkategorien der (Erzieher) (Kinder) Störung des Sozialverhaltens Häufigkeit Häufigkeit -keine Störung des Sozialverhaltens 34 (65,4%) 30 (57,7%) -F91.0 auf den famil. Rahmen beschränkte 0 (0%) 0 (0%) SSV 1 (1,9%) 1 (1,9%) -F91.1 SSV bei fehlenden soz. Bindungen 3 (5,8%) 5 (9,6%) -F91.2 SSV bei vorhandenen soz. 5 (9,6%) 7 (13,5%) Bindungen 9 (17,3%) 9 (17,3%) Die Rangreihe der angegebenen Häufigkeiten der einzelnen Unterkategorien ist bei Erziehern und Kindern gleich, obwohl sie sich hinsichtlich der absoluten Häufigkeiten unterscheiden. Die Kategorie F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV) wird am häufigsten vergeben, gefolgt von der Diagnose F91.3 (SSV mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten). Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Rahmen beschränkte SSV) wurde in keinem Fall vergeben. XI.3.1.2. Frühere Diagnose Die Diagnose, daß früher eine Störung des Sozialverhaltens bestanden hat (unabhängig davon, ob sie heute noch besteht oder nicht) wurde in 39 Fällen (75%) gestellt. In 18 Fällen (34,6%), in denen eine SSV diagnostiziert wurde, waren sich die Erzieher und die Kinder in der Einschätzung über das Vorliegen der Störung einig. Zwölf Diagnosen wurden nur anhand des Urteils der Kinder vergeben und neun nur durch die Erziehereinschätzungen. Insgesamt geben die Kinder in 30 Fällen und die Erzieher in 27 Fällen ein früheres Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens an. Es besteht keine signifikante Übereinstimmung zwischen den Einschätzungen der Kinder und der Erzieher bezüglich einer früheren Diagnose der „Störung des Sozialverhaltens” (j = 0.19, n.s.). Von den 18 übereinstimmend gestellten Diagnosen gehen acht von einer Einstufung in die gleiche Unterkategorie aus. Drei Diagnosen entfallen auf die Kategorie F91.1 (SSV bei fehlenden sozialen Bindungen), vier auf die Untergruppe F91.2 (SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen) und eine auf die Kategorie F91.3 (SSV mit oppositionellem Trotzverhalten). Die Übereinstimmung innerhalb der gemeinsam vergebenen Diagnosen ist signifikant (j = 0.17, p < 0,05). 59 Tabelle 3 Auftretenshäufigkeit der einzelnen Unterkategorien bei einer früheren Störung des Sozialverhaltens in der Erzieher- und Kindereinschätzung SSV früher SSV früher Unterkategorien der (Erzieher) (Kinder) Störung des Sozialverhaltens Häufigkeit Häufigkeit -keine Störung des Sozialverhaltens 25 (48,1%) 22 (42,3%) -F91.0 auf den famil. Rahmen beschränkte 0 (0%) 0 (0%) SSV 3 (5,8%) 6 (11,5%) -F91.1 SSV bei fehlenden sozialen 10 (19.2%) 8 (15,4%) Bindungen 7 (13,5%) 8 (15,4%) -F91.2 SSV bei vorhandenen soz. 7 (13,5%) 8 (15,4%) Nach den Erzieherangaben wurde bei der früheren Diagnose der Störung des Sozialverhaltens am häufigsten die Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen (F91.2) gefunden, gefolgt von den Kategorien F91.3 (SSV mit oppositionellem Trotzverhalten) und F91.9 (nicht näher bezeichnete SSV), die gleichhäufig auftraten. Nach den Angaben der Kinder wurden die Kategorien F91.2, F91.3 und F91.9 gleichhäufig vergeben. Die Diagnose F91.0 (auf den familiären Rahmen beschränkte SSV) wurde bei den früheren Diagnosen nicht vergeben. XI.3.1.3. Störung des Sozialverhaltens und Geschlecht Die Auswertung der Erzieher-Interviews ergibt, daß vier von zwölf Mädchen (33%) und 14 von 40 Jungen (35%) akut eine Störung des Sozialverhaltens zeigen. Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer „Störung des Sozialverhaltens” und dem Geschlecht (C = 0.02, n.s.). Die Diagnoseverteilung der Kinder-Interviews zeigt folgendes Bild: vier von zwölf Mädchen (33%) und 18 von 40 Jungen (45%) erhalten die Diagnose einer dissozialen Störung. Nach diesen Angaben besteht ebenfalls kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer „Störung des Sozialverhaltens” und dem Geschlecht (C = 0.10, n.s.). Es ergibt sich allerdings ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Geschlecht des Kindes und dem T-Wert der „externalisierenden Störung” in der CBCL (t = 0.23, p < 0.05). Es zeigen drei von zwölf Mädchen und 20 Jungen von 40 einen grenzwertigen oder auffälligen Wert auf der externalen Skala. XI.3.1.4. Beginn der Störung des Sozialverhaltens In Anlehnung an die Kriterien der ICD-10 wurde erfragt, ob die Störung vor oder nach dem zehnten Lebensjahr begonnen hat, d.h. ob der Beginn in der Kindheit oder in der Adoleszenz liegt. 60 Tabelle 4 Beginn einer Störung des Sozialverhaltens Beginn einer SSV Beginn vor dem Lebensjahr B i h d SSV (Erzieher) 10. 13 5 10 SSV (Kinder) 20 2 In acht Fällen, in denen eine Störung des Sozialverhaltens in Übereinstimmung zwischen Kinder- und Erzieherangaben diagnostiziert worden ist, wird angegeben, daß die Störung vor dem zehnten Lebensjahr begonnen hat. In zwei Fällen, in denen zwar Einigkeit darüber herrscht, daß eine dissoziale Störung vorliegt, sind die Angaben über den jeweiligen Beginn der Störung innerhalb dieser Fälle jedoch unterschiedlich. In den Fällen, in denen die Diagnose entweder nur durch die Einschätzung der Kinder oder der Erzieher vergeben wurde, wird 15 mal ein Beginn in der Kindheit und fünf mal ein Beginn in der Adoleszenz angegeben. Zwischen den Variablen „Beginn der akuten SSV in der Kindereinschätzung” und „Beginn der akuten SSV in der Erziehereinschätzung” besteht keine signifikante Übereinstimmung (j = 0.19, n.s.). XI.3.1.5. Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens Der Schweregrad der Diagnose wird unterteilt in „leicht” (drei bis fünf Symptome), „mittel” (sechs bis 15 Symptome) und „schwer” (15 bis 23 Symptome). Tabelle 5 Schweregrad der Störung des Sozialverhaltens Schweregrad der SSV leicht (3 bis 5 Symptome) mittel (6 bis 15 Symptome) schwer (16 bis 23 Symptome) SSV (Erzieher) 12 6 0 SSV (Kinder) 15 7 0 Eine schwere dissoziale Störung kommt nicht vor. Von den zehn Diagnosen, die übereinstimmend gestellt wurden, stimmen fünf ebenfalls bezüglich des Schweregrads überein. Davon sind drei leichte Fälle und zwei mittlere Fälle. Bei den Fällen, die nur durch eine Seite angegeben wurden, wird 16 mal eine leichte und vier mal eine mittelgradige Störung diagnostiziert. Die Übereinstimmung der Angaben der Kinder mit denen der Erzieher bezüglich der Schwere der Störung des Sozialverhaltens ist nicht signifikant (j = 0.11, n.s.). XI.3.1.6. Gruppenzugehörigkeit und Störung des Sozialverhaltens Laut den Erzieherangaben im Kinder-DIPS tritt eine Störung des Sozialverhaltens in teilstationären Gruppen ebenso häufig auf wie in stationären Gruppen. Es wurden in beiden Bereichen je neun Kinder und Jugendliche (17,3%) mit einer entsprechenden Störung identifiziert. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der 61 Gruppenzugehörigkeit und dem Auftreten einer akuten Störung des Sozialverhaltens (C = 0.11, n.s.). Es besteht ebenfalls kein Zusammenhang zu einer früheren dissozialen Störung (C = 0.13, n.s.). Die Angaben der Kinder deuten ebenfalls darauf hin, daß es keinen Unterschied zwischen den stationären und teilstationären Gruppen gibt. 13 Kinder (25%) mit einer dissozialen Störung befinden sich im teilstationären Bereich und 14 Kinder (26,9%) in stationären Gruppen. Das heißt, auch nach Aussagen der Kinder besteht kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer akuten Störung des Sozialverhaltens und der Gruppenzugehörigkeit (C = 0.13, n.s). Es besteht auch kein Zusammenhang zu einer früher aufgetretenen Störung des Sozialverhaltens (C = 0.20, n.s.). Tabelle 6 Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens Diagnose SSV im Kinder-DIPS Gruppenzugehörigkeit SSV akut (Kinder) SSV akut (Erzieher) SSV früher (Kinder) SSV früher (Erzieher) C = 0.13 C = 0.11 C = 0.20 C = 0.13 n.s. n.s. n.s. n.s. XI.3.2. Ergebnisse der Child Behavior Checklist Die Child Behavior Checklist beinhaltet die Skalen „aggressives Verhalten” und „dissoziales Verhalten”. Bei der Auswertung wird, jeweils in Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht der untersuchten Kinder und Jugendlichen, zwischen grenzwertigen und auffälligen Daten unterschieden. Auf der Skala „aggressives Verhalten” zeigen fünf Jungen (9,6%) und ein Mädchen (1,9%) einen Wert, der im Grenzbereich liegt. Ein Mädchen und acht Jungen haben auffällige Werte. Auf der Skala „dissoziales Verhalten” sind zwei Mädchen (3,8%) und acht Jungen (15,3%) grenzwertig. Auffällig sind acht Jungen (15,3%), aber kein Mädchen. Faßt man die Werte der dissozialen und aggressiven Skala zusammen, gehen sie in die „externale Störung” ein. Hier zeigen ein Mädchen (1,9%) und sechs Jungen (11,5%) einen Wert im Grenzbereich. Im auffälligen Bereich liegen zwei Mädchen (3,8%) und 14 Jungen (26,9%). XI.3.3. Diagnose SSV im Kinder-DIPS und Werte in der CBCL XI.3.3.1. SSV in der Kinderversion des DIPS und Werte in der CBCL 13 Kinder, die laut ihren Angaben im Kinderinterview eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, zeigen einen grenzwertigen oder auffälligen Wert auf 62 der Skala „Dissozialität” in der CBCL. Neun Kinder haben laut DIPS eine dissoziale Störung, weisen aber einen unauffälligen Skalenwert auf. Dagegen werden vier Kinder von den Erziehern in der CBCL als auffällig im dissozialen Bereich eingestuft, haben jedoch nach ihren eigenen Angaben im Interview keine entsprechende Störung. Der Zusammenhang zwischen den Variablen „Dissozialität” in der CBCL und „SSV (Kinder)” im DIPS ist signifikant (t = 0.29, p < 0.05). Zehn Kinder, die nach eigenen Angaben im Interview des Kinder-DIPS eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, haben auch auf der Skala „Aggressivität” der CBCL einen grenzwertigen oder auffälligen Wert. In drei Fällen ist der Wert auf der Skala auffällig, aber es wurde anhand der Angaben im Kinderinterview keine Diagnose der Störung des Sozialverhaltens vergeben. Zwölf Kinder, die nach den Aussagen im Kinderinterview eine Diagnose bekommen haben, sind nach den Erzieherangaben auf der Skala „Aggressivität” unauffällig. Der Zusammenhang der Variablen „Aggressivität” in der CBCL und „SSV (Kinder)” im DIPS ist signifikant (t = 0.39, p < 0.01). Die Werte der Skalen „Dissozialität” und „Aggressivität” werden zu einem Wert zusammengefaßt, der die „Externalisierende Störung” bildet. In 16 Fällen zeigen sich Übereinstimmungen zwischen der Diagnose SSV, die die Kinder nach eigenen Angaben im Kinder-DIPS erhalten haben und einem grenzwertigen oder auffälligen Wert auf der externalen Skala. Sechs Kinder haben einen unauffälligen Skalenwert, werden aber im Kinderinterview als dissozial identifiziert. Sieben Kinder dagegen haben einen auffälligen Wert auf der externalen Skala, aber nach eigenen Angaben im Kinderinterview keine Störung des Sozialverhaltens. Der Zusammenhang der Variablen „T-Wert Externalisierende Störung” in der CBCL und „SSV (Kinder)” im DIPS ist signifikant (t = 0.38, p < 0.01). Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem akuten Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens nach Angaben der Kinder im DIPS und dem „T-Wert Internalisierende Störung” in der CBCL (t = 0.02, n.s.). Der „Gesamt T-Wert” bezieht sich auf die addierten Rohwerte aller Problemskalen, der in einer Tabelle abzulesen ist. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der akuten „SSV (Kinder)” im DIPS und dem „Gesamt T-Wert” in der CBCL (t= 0.24, p < 0.05). XI.3.3.2. SSV in der Erzieherversion des DIPS und Werte in der CBCL In zwölf Fällen, in denen nach den Erzieherangaben im Kinder-DIPS die Diagnose der Störung des Sozialverhaltens vergeben wurde, zeigen sich auf der dissozialen Skala Werte, die auffällig sind oder zumindest im Grenzbereich liegen. Acht Kinder und Jugendliche, die laut Erzieherangaben im Interview eine SSV aufweisen, haben auf der dissozialen Skala in der CBCL einen unauffälligen Wert. 63 Sechs Kinder haben nach den Erzieherangaben im Interview eine SSV, erscheinen aber in der CBCL unauffällig auf der dissozialen Skala. Der Zusammenhang der Variablen „Dissozialität” in der CBCL und „SSV (Erzieher)” im DIPS ist signifikant (t = 0.46, p < 0.01). Elf Kinder und Jugendliche, die nach den Angaben der Erzieher im Kinder-DIPS eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, haben auf der Skala „Aggressivität” ebenfalls einen Wert der auffällig ist oder zumindest an der Grenze hierzu liegt. In neun Fällen ist der Wert auf der Skala grenzwertig oder auffällig, aber die Kinder haben laut den Erzieherangaben im Interview keine Störung des Sozialverhaltens. Drei Kinder zeigen einen auffälligen Wert in der CBCL auf der Skala „Aggressivität”, aber haben laut Erzieherversion des Kinder-DIPS keine SSV. Der Zusammenhang der Variablen „Aggressivität” in der CBCL und „SSV (Erzieher)” im DIPS ist signifikant (t = 0.52, p < 0.01). 15 Kinder und Jugendliche haben nach der Erzieherversion des Kinder-DIPS eine Störung des Sozialverhaltens und zeigen einen grenzwertigen oder auffälligen TWert bei der „Externalen Störung”. Drei Kinder haben im Interview der Erzieher die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt, haben jedoch einen unauffälligen externalen T-Wert. Acht Kinder haben laut Kinder-DIPS keine SSV, zeigen aber einen auffälligen oder grenzwertigen T-Wert bei der „Externalen Störung”. Der Zusammenhang der Variablen „T-Wert der Externalisierenden Störung” in der CBCL und „SSV (Erzieher)” im DIPS ist signifikant (t = 0.52, p < 0.01). Der Zusammenhang der Variablen „SSV (Erzieher)” und Internalisierenden Störung” ist nicht signifikant (t = 0.08, n.s.). „T-Wert der Der Zusammenhang der Variablen „SSV (Erzieher)” und dem „Gesamt T-Wert” ist signifikant (t= 0.46, p < 0.01). XI.3.3.3. Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen SSV im KinderDIPS und CBCL in einer Tabelle Tabelle 7 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens im Kinder-DIPS und den Skalen der CBCL SSV akut SSV akut Skalen der CBCL (Kinder) (Erzieher) -Dissozialität -Aggressivität -Externalisierende Störung -Internalisierende Störung -Gesamt T-Wert t = 0.29, p < 0.05 t = 0.39, p < 0.01 t = 0.38, p < 0.01 t = 0.02, n.s. t = 0.24, p< 0.05 t = 0.46, p < 0.01 t = 0.52, p < 0.01 t = 0.52, p < 0.01 t = 0.08, n.s. t = 0.46, p < 0.01 64 XI.3.3.4. Multivariater Hotelling T2-Test zur Überprüfung eines Unterschieds zwischen Kindern mit einer dissozialen Störung und ohne nach dem KinderDIPS bezüglich der „internalen” und „externalen” Störung in der CBCL Um zu prüfen, ob sich Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens im Kinder-DIPS von den Kindern ohne eine solche Störung bezüglich der internalisierenden oder externalisierenden Störung unterscheiden (wie sie in der CBCL erhoben werden), wurde der multivariate Hotelling T2-Test durchgeführt. Die unabhängigen Variablen sind die Diagnosen „akute Störung des Sozialverhaltens” in der Kindereinschätzung und in der Erziehereinschätzung. Abhängige Variablen sind die T-Werte der „externalen Störung” und die T-Werte der „internalen Störung”. Bezüglich der Diagnosen der Kinder ergibt sich, daß sich die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens signifikant von den Kindern ohne eine dissoziale Störung unterscheiden (T2 = 0.25, F = 5.85, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, p < 0.01). Die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich in Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine solche Störung (F = 10.25, df = 1, p < 0.01). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.05, df =1, n.s.). Bezogen auf die Diagnosen der Erzieher zeigt sich ebenfalls ein Unterschied zwischen Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens und Kindern ohne eine solche Störung (T2 = 0.62, F = 14.46, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, p< 0.01). Die Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich in Bezug auf die „externale Störung” von den Kinder ohne eine dissoziale Störung (F = 28.76, df = 1, p < 0.01). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.75, df = 1, n.s.). Es besteht kein Interaktionseffekt zwischen den Diagnosen der Kinder und den Diagnosen der Erzieher (T2 = 0.001, F = 0.02, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, n.s.), weder in Bezug auf die „externale Störung” (F = 0.001, df = 1, n.s.) noch in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.044, df = 1, n.s.). 65 Tabelle 8 Mittelwerte und Standardabweichung der T-Werte „externale” und „internale” Störung bei den unabhängigen Variablen „SSV akut” in der Kinder- und in der Erziehereinschätzung SSV akut Kinder (UV) T-Wert Externalisierend akut (AV) keine SSV akut Mittelwert Erzieher (UV) keine SSV-E Gesamt SSV-K akut keine SSV-E akut Gesamt T-Wert Internalisierend akut (AV) keine SSV-K akut Gesamt keine keine SSV-E Gesamt keine SSV-E akut Gesamt Gesamt keine Standardabweichung N 50,091 62,875 53,500 57,750 70,400 63,500 52,794 67,056 57,731 7,934 7,827 9,666 9,478 5,892 10,173 9,154 7,643 10,983 22 8 30 12 10 22 34 18 52 55,864 58,750 56,633 55,833 57,600 56,636 55,853 58,111 56,635 8,736 11,184 9.335 9,252 7,336 8,290 8,781 8,963 8,823 22 8 30 12 10 22 34 18 52 Der Hotelling T2-Test wird ebenfalls mit den unabhängigen Variablen „frühere Störung des Sozialverhaltens” in der Kindereinschätzung und der Erziehereinschätzung durchgeführt. Abhängige Variablen sind wieder die T-Werte der „internalen Störung” und die der „externalen Störung”. Bezogen auf die früheren Diagnosen in der Kindereinschätzung zeigt sich, daß sich die Kinder mit einer früheren Störung des Sozialverhaltens von den Kindern unterscheiden, die keine solche Störung zeigten (T2 = 0.138, F = 3.24, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, p <0.05). Die Kinder mit einer früheren dissozialen Störung unterscheiden sich in Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine frühere Störung des Sozialverhaltens (F = 6.22, df = 1, p < 0.05). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.074, df = 1, n.s.). Bezogen auf die früheren Diagnosen in der Einschätzung der Erzieher findet sich ein signifikanter Unterschied zwischen Kindern mit einer früheren Störung des 66 Sozialverhaltens und Kindern ohne eine frühere Störung (T2 = 0.44, F = 10.35, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, p < 0.01). Die Kinder mit einer früheren dissozialen Störung unterscheiden sich in Bezug auf die „externale Störung” von den Kindern ohne eine frühere Störung (F = 18.61, df = 1, p < 0.01). Sie unterscheiden sich nicht in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.0, df = 1, n.s.). Es besteht kein Interaktionseffekt zwischen den früheren Diagnosen der Kinder und den früheren Diagnosen der Erzieher (T2 = 0.002, F = 0.057, df (Hypothese) = 2, df (Fehler) = 47, n.s.), weder in Bezug auf die „externale Störung” (F = 0.025, df = 1, n.s.) noch in Bezug auf die „internale Störung” (F = 0.114, df = 1, n.s.). Tabelle 9 Mittelwerte und Standardabweichung der T-Werte „internale” und „externale” Störung bei den unabhängigen Variablen „frühere Störung des Sozialverhaltens” in der Erzieher- und in der Kindereinschätzung SSV Erzieher SSV Mittelwert Kinder T-Wert Externalisierend früher (AV) früher früher keine keine SSV-K Gesamt SSV-E früher keine SSV-K früher Gesamt T-Wert Internalisierend früher (AV) keine Gesamt keine keine SSV-K Gesamt SSV-E früher keine SSV-K früher Gesamt Gesamt keine Standardabweichung N 48,308 54,222 50,727 58,833 65,556 62,867 53,360 61,778 57,731 7,510 9,833 8,827 8,516 9,463 9,551 9,499 10,860 10,983 13 9 22 12 18 30 25 27 52 56,615 56,444 56,545 55,750 57,333 56,700 56,200 57,037 56,635 9,921 8,762 9,247 9,593 8,203 8,659 9,570 8,234 8,823 13 9 22 12 18 30 25 27 52 XI.3.4. Auftretenshäufigkeit der im Kinder-DIPS angegebenen Symptome der Störung des Sozialverhaltens 67 Tabelle 10 Einschätzung der Symptomhäufigkeit durch die Erzieher Symptome nie/ manch- selten mal 25 17 -häufiger Streit mit Erwachsenen -Widerstand gegen die 17 oft gesamt gesamt Rang- Rang- sehr SSV alle reihe reihe oft *1 *2 SSV *3 alle *4 25 26 26 2 9 8 0 0 1 2 9 9 27 26 35 11. 6. 5. 7. 8. 3. 20 17 6 13 1 6 7 19 27 36 7. 1. 6. 1. 21 19 8 4 12 31 3. 4. 22 41 oder 34 42 20 11 13 9 9 0 4 1 1 0 1 0 10 0 5 1 30 11 18 10 4. 8. 16. 5. 14. 9. 15. 51 39 0 12 0 1 1 0 1 1 1 12 18. 15. 21. 11. 40 -körperliche Grausamkeit gegen- 49 9 2 3 1 0 0 3 1 12 3 9. 17. 12. 20. 4 6 12 0 2 1 0 0 0 0 2 1 4 8 13 13. 15. 19. 16. 11. 0 22 11 1 10 2 0 3 0 1 13 2 1 35 13 18. 2. 12. 21. 2. 10. 41 8 2 1 3 11 10. 13. 47 -Diebstahl von Wertgegenständen 46 3 3 2 3 0 0 2 3 5 6 14. 11. 18. 17. -heftige Wutausbrüche Anweisungen Erwachsener 25 -verantwortlich machen anderer 16 -absichtliches Verärgern anderer für eigene Fehler -Empfindlichkeit oder Sichbelästigt- fühlen durch andere -häufiger Ärger oder Groll -häufige Gehässigkeit Rachsucht -häufiges Tyrannisieren anderer -häufiges Beginnen körperlichen Kämpfen -Gebrauch von von gefährlichen Waffen über anderen Menschen 48 -kriminelle Handlungen, bei denen 44 39 das Opfer direkt betroffen ist -Tierquälerei -Zwingen anderer zu sex. 51 17 -absichtliches Feuerlegen -absichtliche Destruktivität gegen- 39 Aktivitäten über dem Eigentum anderer -Einbruch in Häuser oder Autos -Lügen oder Brechen v. Versprechen Zur Diagnose einer SSV nach ICD-10 tragen nur Symptome bei, die oft oder sehr oft auftreten. *1 Gesamtzahl der Symptome, die zur Diagnose SSV beitragen *2 Gesamtzahl aller genannten Symptomhäufigkeiten. *3 Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose SSV beitragen *4 Rangreihe aller genannten Symptome 68 Tabelle 11 Einschätzung der Symptomhäufigkeit durch die Kinder gesamt gesamt Rang- Rang- sehr SSV alle reihe reihe oft oft *1 *2 SSV *3 allle *4 15 19 26 6 7 5 6 4 4 12 11 9 27 30 35 4. 5. 7. 8. 6. 3. 31 17 11 19 6 9 4 7 10 16 21 35 6. 3. 9. 4. 16 13 12 11 23 36 1. 2. -Empfindlichkeit oder Sichbelästigt- 18 24 42 oder 39 16 20 9 8 13 5 2 5 3 1 3 18 8 1 5 34 28 10 13 2. 9. 18. 11. 5. 7. 17. 11. 48 von 41 3 9 1 2 - 1 2 4 11 19. 16. 20. 14. 42 50 6 2 4 - - 4 - 10 2 12. - 16. 20. 50 39 39 2 11 10 2 2 1 2 3 2 13 13 15. 13. 20. 13. 12. 50 sex. 15 41 2 29 10 5 1 3 - 8 1 2 37 11 8. 17. 20. 1. 15. 38 7 4 3 7 14 10. 10. 46 v. 45 2 4 3 3 1 - 4 3 6 7 13. 14. 19. 18. Symptome nie / manch selten mal 25 22 -häufiger Streit mit Erwachsenen -Widerstand gegen die 17 -heftige Wutausbrüche Anweisungen Erwachsener -absichtliches Verärgern anderer -verantwortlich machen anderer für eigene Fehler fühlen durch andere -häufiger Ärger oder Groll -häufige Gehässigkeit Rachsucht -häufiges Tyrannisieren anderer -häufiges Beginnen körperlichen Kämpfen -Gebrauch von gefährlichen Waffen -körperliche Grausamkeit gegenüber anderen Menschen -Tierquälerei -kriminelle Handlungen, bei denen das Opfer direkt betroffen ist -Zwingen anderer zu Aktivitäten -absichtliches Feuerlegen -absichtliche Destruktivität gegenüber dem Eigentum anderer -Einbruch in Häuser oder Autos -Lügen oder Brechen Versprechen -Diebstahl von Gegenständen Zur Diagnose einer SSV nach ICD-10 tragen nur Symptome bei, die oft oder sehr oft auftreten. *1 Gesamtzahl der Symptome, die zu einer Diagnose SSV beitragen *2 Gesamtzahl aller genannten Symptomhäufigkeiten *3 Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose beitragen *4 Rangreihe aller Symptomhäufigkeiten 69 Das Symptom „Verantwortlich machen für eigene Fehler” wird von den Erziehern in der Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose beitragen, weil sie mindestens oft auftreten, am häufigsten angegeben, gefolgt von „Lügen oder Brechen von Versprechen” und „Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere”. Bei den Kindern wird in der Rangreihe der Symptome, die zu einer Diagnose beitragen, das Symptom „Empfindlichkeit oder Sichbelästigtfühlen durch andere” am häufigsten genannt. An zweiter Stelle folgt „häufiger Ärger oder Groll” und an dritter Stelle „Verantwortlich machen anderer für eigene Fehler”. XI.4. Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens mit anderen Störungsbildern Die zweite Frage beschäftigt sich damit, welche anderen Störungsbilder in signifikantem Zusammenhang stehen mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens. Dieses Kapitel zeigt die Ergebnisse dieser Fragestellung. Tabelle 12 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der Erzieherversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der Erzieherversion des DIPS Störungsbilder der Erzieherversion SSV akut (Erzieher) -Aufmerksamkeitsund C = 0.27 p < 0.05 Hyperaktivitätsstörung C = 0.14 n.s. -Enuresis / Enkopresis C = 0.28 n.s. -Depression --Dysthymes Syndrom* --Emotionale Störung mit Trennungsangst* --Paniksyndrom* C = 0.19 n.s. -Agoraphobie C = 0.03 n.s. -spezifische Phobie C = 0.09 n.s. -Sozialphobie --Zwangssyndrom* --generalisiertes Angstsyndrom* C = 0.27 n.s. -posttraumatische Belastungsstörung --Anorexia nervosa* --Bulimia nervosa* C = 0.09 n.s. -Alkohol- und Drogenmißbrauch SSV früher (Erzieher) C = 0.17 n.s. C = 0.24 n.s. C = 0.23 n.s. ---C = 0.12 n.s. C = 0.17 n.s. C = 0.18 n.s. --C = 0.17 n.s. --C = 0.24 n.s. * Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind. 70 Es besteht lediglich ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer akuten Störung des Sozialverhaltens (Erzieher) und der Aufmerksamkeitsund Hyperaktivitätsstörung nach den Erzieherangaben (C = 0.27, p < 0.05). Bestehende Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern nach Erzieherangaben und einer akuten oder früheren Störung des Sozialverhaltens in der Erziehereinschätzung sind nicht signifikant. Tabelle 13 Zusammenhang zwischen SSV akut und früher nach der Kinderversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der Erzieherversion des DIPS Störungsbilder der Erzieherversion SSV akut (Kinder) -Aufmerksamkeitsund C = 0.17 n.s. Hyperaktivitätsstörung C = 0.29 n.s. -Enuresis / Enkopresis C = 0.28 n.s. -Depression --Dysthymes Syndrom* --Emotionale Störung mit Trennungsangst* --Paniksyndrom* C = 0.16 n.s. -Agoraphobie C = 0.07 n.s. -Spezifische Phobie C = 0.10 n.s. -Sozialphobie --Zwangssyndrom* --Generalisiertes Angstsyndrom* C = 0.23 n.s. -Posttraumatische Belastungsstörung --Anorexia nervosa* --Bulimia nervosa* C = 0.32 p = -Alkohol- und Drogenmißbrauch 0.05 SSV früher (Kinder) C = 0.20 n.s. C = 0.20 n.s. C = 0.23 n.s. ---C = 0.13 n.s. C = 0.02 n.s. C = 0.15 n.s. --C = 0.19 n.s. --C = 0.27 n.s. * Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem akuten Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens (Kinderversion) und Alkohol- und Drogenmißbrauch nach Angaben der Erzieher (C = 0.32, p = 0.05). Bestehende Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern nach Erzieherangaben und einer akuten oder früheren dissozialen Störung in der Kindereinschätzung sind nicht signifikant. 71 Tabelle 14 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der Kinderversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der Kinderversion des DIPS Störungsbilder der Kinderversion SSV akut SSV früher (Kinder) (Kinder) -Aufmerksamkeitsund C = 0.32 p < C = 0.13 n.s. Hyperaktivitätsstörung 0.05 C = 0.14 n.s. -Enuresis / Enkopresis C = 0.28 n.s. C = 0.19 n.s. -Depression C = 0.20 n.s. --Dysthymes Syndrom* -C = 0.19 n.s. -Emotionale Störung mit Trennungsangst C = 0.23 n.s. C = 0.13 n.s. -Paniksyndrom C = 0.12 n.s. C = 0.13 n.s. -Agoraphobie C = 0.16 n.s. C = 0.15 n.s. -Spezifische Phobie C = 0.18 n.s. C = 0.01 n.s. -Sozialphobie C = 0.03 n.s. --Zwangssyndrom* ---Generalisiertes Angstsyndrom* -C = 0.01 n.s. -Posttraumatische Belastungsstörung C = 0.03 n.s. --Anorexia nervosa* ---Bulimia nervosa* -C = 0.26 n.s. -Alkohol- und Drogenmißbrauch C = 0.29 n.s. * Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer akuten Störung des Sozialverhaltens (Kinderversion) und dem Auftreten einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung nach den Angaben der Kinder (C = 0.32, p < 0.05). Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern nach den Kinderangaben und einer akuten oder früheren Störung des Sozialverhaltens in der Kindereinschätzung sind nicht signifikant. 72 Tabelle 15 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach der Erzieherversion des DIPS und anderen Störungsbildern nach der Kinderversion des DIPS Störungsbilder der Kinderversion SSV akut (Erzieher) -Aufmerksamkeitsund C = 0.09 n.s. Hyperaktivitätsstörung C = 0.30 n.s. -Enuresis / Enkopresis C = 0.21 n.s. -Depression --Dysthymes Syndrom* C = 0.14 n.s. -Emotionale Störung mit Trennungsangst C = 0.19 n.s. -Paniksyndrom C = 0.19 n.s. -Agoraphobie C = 0.19 n.s. -Spezifische Phobie C = 0.14 n.s. -Sozialphobie --Generalisiertes Angstsyndrom* --Zwangssyndrom* C = 0.14 n.s. -Posttraumatische Belastungsstörung --Anorexia nervosa* --Bulimia nervosa* C = 0.20 n.s. -Alkohol- und Drogenmißbrauch SSV früher (Erzieher) C = 0.10 n.s. C = 0.28 n.s. C = 0.20 n.s. -C = 0.03 n.s. C = 0.12 n.s. C = 0.12 n.s. C = 0.09 n.s. C = 0.23 n.s. --C = 0.23 n.s. --C = 0.23 n.s. * Für diese Störungsbilder kann kein Kontingenzkoeffizient berechnet werden, da nicht in allen Zellen Werte vorhanden sind. Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach Erzieherangaben und anderen Störungsbildern, die nach Angaben der Kinder diagnostiziert wurden. 73 XI.5. Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und dem Auftreten bestimmter Risikofaktoren Die dritte Fragestellung beschäftigt sich mit dem Zusammenhang der Risikofaktoren Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern und der Störung des Sozialverhaltens. Die Hypothese hierzu lautet, Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens unterscheiden sich hinsichtlich dieser Risikofaktoren von Kindern, die keine solche Störung aufweisen. In diesem Kapitel werden die Ergebnisse dargestellt. Tabelle 16 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach Angaben der Erzieher und den Risikofaktoren Alkoholismus, soziale Schicht und Familienstand der Eltern Risikofaktoren SSV akut (Erzieher) SSV früher (Erzieher) -Alkoholismus der Eltern C = 0.26 n.s. C = 0.30 n.s. -Familienstand der Eltern C = 0.02 n.s. C = 0.09 n.s. -soziale Schicht der Eltern C = 0.17 n.s. C = 0.07 n.s. Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens nach den Angaben der Erzieher und den Risikofaktoren Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern. 74 Tabelle 17 Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens nach Angaben der Kinder und den Risikofaktoren Alkoholismus, Familienstand und soziale Schicht der Eltern Risikofaktoren SSV akut (Kinder) SSV früher (Kinder) -Alkoholismus der Eltern C = 0.12 n.s. C = 0.24 n.s. -Familienstand der Eltern C = 0.22 n.s. C = 0.22 n.s. -soziale Schicht der Eltern C = 0.22 n.s. C = 0.11 n.s. Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens nach den Angaben der Kinder und den Risikofaktoren Alkoholismus der Eltern, Familienstand und soziale Schicht der Eltern. Die Kinder der Einrichtung, die nach den Erzieherangaben eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, unterscheiden sich hinsichtlich des Familienstandes nicht von den Kindern, die keine dissoziale Störung zeigen (x2 = 1,59, df = 2, n.s.). Sie unterscheiden sich ebenfalls nicht hinsichtlich einer Alkoholabhängigkeit der Eltern (x2 = 3,82, df = 3, n.s.) und der sozialen Schicht (x2 = 0,03, df = 1, n.s.). Wurde die Störung des Sozialverhaltens nach den Angaben der Kinder diagnostiziert, ließ sich ebenfalls kein Unterschied finden bezüglich des Familienstandes der Eltern (x2 = 0,74, df = 2, n.s.), bezogen auf eine Alkoholkrankheit der Eltern (x2 = 0,59, df = 3, n.s.) oder in Bezug auf die soziale Schicht der Eltern (x2 = 2,72, df = 1, n.s.) zwischen Kindern mit einer solchen Störung und Kindern ohne eine Störung des Sozialverhaltens. XII. Diskussion Die dargestellten Ergebnisse zeigen, daß die Störung des Sozialverhaltens in dieser Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe das Störungsbild ist, welches am häufigsten auftritt. Es wurde in 57,6% der Fälle eine akute Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert. In dieser Prozentangabe sind allerdings auch die Diagnosen enthalten, die entweder nur durch die Angaben der Erzieher oder nur durch die der Kinder gestellt wurden. Immerhin wurde aber in 19,2% der Fälle die Störung des Sozialverhaltens in Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kinder diagnostiziert. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde in 39 Fällen (75%) eine Störung des Sozialverhaltens angegeben, davon 18 Fälle (34,6%) in Übereinstimmung zwischen Kindern und Erziehern. Die Kinder geben sowohl bei der Einschätzung der akuten Störung als auch bei der früheren Störung mehr Fälle 75 an als die Erzieher. Es könnte sein, daß die Kinder sich deshalb schlechter einschätzen, weil sie sich „erklären” müssen warum sie in einer Heimeinrichtung sind. Sowohl die Kinder als auch die Erzieher geben früher mehr Fälle an, in denen eine Störung des Sozialverhaltens aufgetreten ist. Das deutet darauf hin, daß beide Seiten von einer Besserung durch den Aufenthalt in der Einrichtung ausgehen. Die Tatsache, daß die Wahrnehmung bezüglich des dissozialen Verhaltens häufig nicht übereinstimmt, findet sich auch in der Untersuchung von Offord et al. (1991). Bei den vier- bis elfjährigen Jungen dieser Studie wird nur in drei von 46 Fällen, die Störung des Sozialverhaltens von den Eltern und den Lehrern übereinstimmend identifiziert, bei den Mädchen in keinem Fall. In der Gruppe der zwölf- bis sechzehnjährigen der Untersuchung von Offord et al. (1991) wurden 80% der Jungen und 90% der Mädchen nur von einer Seite identifiziert. In der Untersuchung von White, Moffitt, Earls, Robins & Silva (1990) hingegen wird über eine gute Übereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung der Kinder berichtet, obwohl nicht nur Kinder und Eltern, sondern auch noch Lehrer befragt wurden. Die unterschiedliche Einschätzung in der Fremdbeurteilung gegenüber der Selbstbeurteilung findet sich in dieser Arbeit nicht nur bei der Störung des Sozialverhaltens, sondern auch bei anderen Störungsbildern wie der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, der emotionalen Störung mit Trennungsangst, der Panikstörung, der Spezifischen Phobie, der Sozialphobie und der Posttraumatischen Belastungsstörung. Die Untersuchung von Hebborn-Brass (1991) begegnet diesem Problem, indem in ihrer Untersuchung die Diagnosen zunächst unabhängig von einer DiplomPsychologin und einem Kinder- und Jugendpsychiater gestellt wurden. Im Falle mangelnder Übereinstimmung wurde so lange gemeinsam über die Diagnose diskutiert bis man zu einem Konsens gekommen war. Es fand sich keine Störung des Sozialverhaltens, die sich auf den familiären Rahmen beschränkt hat (F91.0). Dieses Ergebnis stimmt mit dem Befund von Blanz et al. (1990) überein, die in ihrer Querschnittuntersuchung ebenfalls keine solche Störung fanden. Bei den akuten Diagnosen kommt die „nicht näher bezeichnete Störung des Sozialverhaltens” (F91.9) am häufigsten vor, gefolgt von der Kategorie F91.3 (SSV mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten) und der Gruppe „SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen” (F91.2). Die Diagnose F91.1 (SSV bei fehlenden sozialen Bindungen) spielte bei den aktuellen Diagnosen eine untergeordnete Rolle. Bei den früheren Diagnosen allerdings kommt sie häufiger vor. Die Verteilung, die Blanz et al. (1990) bezüglich der einzelnen Unterkategorien finden ist ähnlich. Bei den jüngeren Kindern ihrer Untersuchung kommen die Kategorien „SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen” und „SSV bei fehlenden sozialen Bindungen” etwa gleich häufig vor. Sie verlieren mit zunehmendem Alter jedoch immer mehr an Bedeutung. Ein anderer Grund für das seltene Auftauchen einer „Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen” innerhalb der akuten Diagnose könnte darin 76 liegen, daß sich die Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung in einer Gruppe befinden, in der sie in der Regel mehr oder weniger stark eingebunden sind. Generell geht man davon aus, daß eine Störung des Sozialverhaltens bei Jungen häufiger auftritt als bei Mädchen. Möller-Nehring et al. (1998) finden in ihrer Studie an 1076 Patienten einer kinderund jugendpsychiatrischen Einrichtung 235 Kinder, die von einer Störung des Sozialverhaltens betroffen sind, davon sind 71,1% Jungen und nur 28,9% Mädchen. Myschker (1993) berichtet über eine Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens bei 11% aller Jungen und Mädchen unter 18 Jahren, dabei sind nach seinen Angaben 9% der Betroffenen Jungen und nur 2% Mädchen. Diese Daten beziehen sich jeweils auf die gesamte untersuchte Stichprobe. Der Befund, der sich in dieser Arbeit bezüglich des Zusammenhangs zwischen dem Auftreten einer akuten dissozialen Störung und dem Geschlecht zeigt, ist nicht ganz eindeutig. Nach Erzieherangaben weisen 18 Kinder, vier Mädchen (7,6%) und 14 Jungen (26,9%), eine akute Störung des Sozialverhaltens auf. Den Angaben der Kinder zufolge sind es insgesamt 22 akute Fälle, vier Mädchen (7,6%) und 18 Jungen (34,6%), mit einer Störung des Sozialverhaltens. Das heißt, bezogen auf die Gesamtstichprobe zeigen mehr Jungen als Mädchen eine dissoziale Störung. Trotzdem besteht nach den Angaben, die im Kinder-DIPS erhoben wurden kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Störung und dem Geschlecht. Es zeigt sich jedoch ein Zusammenhang zwischen der „externalen Störung” in der Child Behavior Checklist und dem Geschlecht. Hebborn-Brass (1991) findet in ihrer Untersuchung in einer Heimeinrichtung ein ähnliches Ergebnis, wie es sich hier nach den Angaben im Kinder-DIPS darstellt. Von 268 Kindern zeigen 78 eine dissoziale Störung, 55 von insgesamt 202 Jungen (27%) und 23 von 68 Mädchen (34%). Bezogen auf die Gesamtstichprobe ergibt sich ein Anteil von 20% Jungen und 8,5% Mädchen, die von einer dissozialen Störung betroffen sind. Auch andere Autoren (Eppright et. al, 1993) finden keinen Zusammenhang zwischen einer dissozialen Störung und dem Geschlecht. Dies bedeutet, der häufig in der Literatur berichtete Befund, daß Jungen häufiger eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen als Mädchen bedarf einer weiteren Überprüfung. In der Untersuchung zu dieser Arbeit wurde kein Fall einer „schweren” akuten Störung des Sozialverhaltens gefunden. Dieses Ergebnis könnte dadurch bedingt sein, daß heftige Aggressivität und daraus resultierende mangelnde Gruppenfähigkeit ein Ausschlußkriterium für die Aufnahme in die Einrichtung ist. Da die „Schwere” der Störung nur für die akute Diagnose der Störung des Sozialverhaltens festgehalten wurde, besteht aber ebenfalls die Möglichkeit, daß in einigen Fällen früher eine schwere dissoziale Störung vorlag, die sich aber gebessert hat. Neben einem Zusammenhang zwischen der Störung des Sozialverhaltens und Alkohol- und Drogengebrauch, wurde lediglich ein signifikanter Zusammenhang 77 gefunden zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und dem Vorliegen einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. Die Literatur berichtet ebenfalls über ein häufiges gemeinsames Aufteten beider Störungsbilder (Döpfner, 1996, Offord et al., 1991, Kolko, 1994). In der Literatur wird aber außerdem über Komorbiditäten zu anderen Störungsbildern, wie der depressiven Störung und den Angststörungen (Kolko, 1994, Craig und Pepler, 1997, Frick, 1998) berichtet. In der vorliegenden Untersuchung zeigte sich kein Unterschied bezüglich einer „internalen Störung” zwischen den Kindern mit einer dissozialen Störung und Kindern ohne eine entsprechende Störung. Craig und Pepler (1997) gehen davon aus, daß die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen, die eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, ebenfalls die Kriterien für mindestens eine weitere Störung erfüllen. Auch in dieser Arbeit gibt es Kinder und Jugendliche, die neben einer Störung des Sozialverhaltens ein oder mehrere weitere Störungen zeigen. Der Zusammenhang zwischen diesen Störungen und der dissozialen Störung ist jedoch nicht signifikant. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis könnte die Größe der untersuchten Stichprobe sein. Die Hypothese, daß sich die Kinder und Jugendlichen mit einer dissozialen Störung bezüglich der Risikofaktoren Alkoholabhängigkeit der Eltern, Familienstand und soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern von den Kindern ohne eine Störung des Sozialverhaltens unterscheiden, konnte nicht bestätigt werden. Verschiedene Autoren beschreiben eine stärkere Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, eine Störung des Sozialverhaltens zu entwickeln, wenn die Eltern alkohol- und/oder drogenabhängig sind (Robins 1966, Lahey et al., 1995). In dieser Arbeit fand sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen einer Alkoholabhängigkeit der Eltern und der Störung des Sozialverhaltens. Dieses Ergebnis stimmt überein mit dem von Offord et al. (1991), die ebenfalls keinen Zusammenhang finden zwischen der dissozialen Störung und übermäßigem, elterlichem Alkoholkonsum. Ein weiterer Risikofaktor, der in der Literatur benannt wird, konnte in dieser Arbeit nicht nachgewiesen werden. Verschiedene Autoren berichten über einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens und ehelicher Disharmonie und „Broken-Homes” (Kazdin, 1987, Möller-Nehring et al.,1998). Auch Hebborn- Brass (1991) findet den höchsten Anteil dissozialer Störungen in unvollständigen Familien. Zwar kommt die dissoziale Störung auch in vollständigen Familien vor, doch gibt es hier eine breite Streuung der Störungsbilder. Für die Kinder und Jugendlichen der in dieser Arbeit untersuchten Einrichtung, zeigte sich jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Familienstand der Eltern, d.h. ob diese geschieden sind oder nicht und dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens. Dieser Befund ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß nicht sicher davon ausgegangen werden kann, daß auch wenn die Eltern zusammenleben, sie dies auch in Harmonie tun. Es gibt unterschiedliche Gründe für die Unterbringung in einer 78 Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Diese Schwierigkeiten stehen jedoch fast immer in irgendeinem Zusammenhang zu dem Elternhaus der Kinder. So besteht die Möglichkeit, daß der fehlende Unterschied zwischen Kindern der Stichprobe mit einer dissozialen Störung und ohne eine solche, bezüglich des Familienstandes der Eltern sich daraus ergibt, daß alle Kinder in irgendeiner Form einer „Broken-home” Situation ausgesetzt waren. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang weiterführend zu untersuchen, welche protektiven Faktoren dazu geführt haben, daß viele Kinder keine Störung des Sozialverhaltens entwickelt haben. Auch daß die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht in Zusammenhang steht mit dem Auftreten der Störung des Sozialverhaltens, konnte in dieser Arbeit nicht bestätigt werden. Während verschiedene Autoren zumindest einen vermittelnden Zusammenhang zwischen der unteren sozialen Schicht und einer dissozialen Störung sehen, indem sie davon ausgehen, daß in der unteren sozialen Schicht gehäuft andere Risikofaktoren anzutreffen sind, die zu einer Störung des Sozialverhaltens führen (Robins, 1966, Robins, 1978, Myschker, 1993), zeigte sich in dieser Arbeit kein signifikanter Zusammenhang. Allgemein wird gesagt, daß Kinder aus der unteren Sozialschicht eher in eine Heimeinrichtung kommen, wenn Probleme auftauchen, während Kinder der Mittel- und Oberschicht eher ein Internat besuchen. Probleme müssen sich aber nicht ausschließlich auf das Auftreten einer dissozialen Störung konzentrieren. Es besteht die Möglichkeit, daß die soziale Schicht zwar nicht spezifisch mit dem Auftreten einer Störung des Sozialverhaltens in Zusammenhang steht, jedoch mit dem generellen Auftreten von Problemen und einer damit verbundenen Unterbringung in einer Heimeinrichtung. XIII. Zusammenfassung In dieser Diplomarbeit wurde untersucht, wie häufig eine Störung des Sozialverhaltens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe auftritt. Desweiteren wurde untersucht welche anderen Störungsbilder mit einer Störung des Sozialverhaltens einhergehen und ob Risikofaktoren wie der Familienstand der Eltern, Alkoholismus und soziale Schicht der Eltern in signifikantem Zusammenhang stehen zum Auftreten einer dissozialen Störung. In der Einrichtung wurden alle Kinder, deren Eltern in die Untersuchung eingewilligt hatten und die kognitiv dazu in der Lage waren, mit Hilfe des „Kinder-DIPS” (Schneider, Unnewehr & Margraf, 1995) befragt. Der Kinder-DIPS ist ein strukturiertes Interview, das die Störungsbilder erfaßt, die nach ICD-10 oder DSM-IV im Kindes- und Jugendalter auftreten können. Es liegt zum einen in der Form vor, die geeignet ist, die Kinder selbst zu befragen und zum anderen in einer Form, mit der die Eltern befragt werden können. Diese Version wurde in der vorliegenden Untersuchung dazu benutzt, die pädagogischen Betreuer der Kinder ebenfalls zu 79 befragen. Desweiteren beantworteten die Erzieher für jedes Kind den „Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen” (Arbeitsgruppe Deutsche Child behavior checklist, 1994, 1998). Um die Risikofaktoren zu ermitteln, wurden den pädagogischen Betreuern folgende Fragen gestellt: Wie ist der Familienstand der Eltern des Kindes? Ist ein Elternteil (oder beide) an Alkoholismus erkrankt? Sind die Eltern Sozialhilfeempfänger? Die Frage nach der Auftretenshäufigkeit der Störung des Sozialverhaltens ließ sich nicht eindeutig beantworten, da die Diagnosen, die nach den Angaben der Kinder gemacht wurden nicht völlig übereinstimmten mit denen, die nach Erzieherangaben gestellt wurden. Insgesamt wurde in 30 Fällen eine akute Diagnose der Störung des Sozialverhaltens vergeben, davon sind zehn Diagnosen in Übereinstimmung zwischen Kindern und Erziehern gestellt worden. Zwölf Diagnosen wurden nur nach Angaben der Kinder ermittelt und acht nur durch die Erzieherangaben. Es wurde lediglich eine signifikante Komorbidität der Störung des Sozialverhaltens mit der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung gefunden. Weitere bestehende Zusammenhänge zu anderen Störungsbildern waren nicht signifikant. Nur ein Alkohol- und Drogenmißbrauch nach Erzieherangaben stand ebenfalls in signifikanten Zusammenhang zur Störung des Sozialverhaltens. Es wurde kein signifikanter Zusammenhang gefunden zwischen dem Auftreten einer dissozialen Störung und den Risikofaktoren Familienstand der Eltern, Alkoholismus und soziale Schicht der Eltern. Einige, der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse stehen im Widerspruch zu bisherigen Befunden, so daß hier weiterer Forschungsbedarf besteht. 80 XIV. 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