Erste Vorlesung: Die Dynamik der Welt nach Newton

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Erste Vorlesung:
Die Dynamik der Welt nach Newton
1.1 Die Newtonschen Grundgesetze
1.2 Das Grundgesetz der Mechanik
1.3 Das Newtonsche Gravitationsgesetz
1.4 Zur Dynamik des Newtonschen Universums
1.5 Newtonsche Feldtheorie*
1.1
Die Newtonschen Grundgesetze
Newtons dreibändiges Werk Philosophiae naturalis principia mathematica (Die mathematischen Prinzipien der Physik), kurz Principia, gilt als wichtigstes Werk in der Geschichte der Naturwissenschaften und als wissenschaftliche Grundlage des modernen
Weltbildes.
Das erste Buch enthält folgende drei Bewegungsgesetze:
1. Trägheitsgesetz
Jeder Körper beharrt in seinem Zustande der Ruhe oder der gleichförmigen, geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird,
seinen Zustand zu verändern.
2. Grundgesetz der Dynamik - Impulserhaltung
Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene
Kraft wirkt.
3. Satz von Actio und Reactio
Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper
aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.
Buch zwei ist im wesentlichen eine Abhandlung über Strömungsmechanik; in Buch
drei, System der Welt, wendet Newton seine Bewegungsgesetze aus Buch eins auf die
physikalische Welt an und gelangt zu dem Schluß, daß es eine alle Körper erfassende
Gravitationskraft gibt, die proportional zu den einzelnen Materiemengen sei, die diese
enthielten.
1.2
Das Grundgesetz der Dynamik
Postulat. Bezeichnet F = (F 1 , F 2 , F 3 ) eine auf einen Körper konstanter Masse m > 0
einwirkende äußere Kraft, so gilt das Newtonsche Grundgesetz der Dynamik
F=
dp
dv
d2 x
=m
=m 2 .
dt
dt
dt
(1.1)
Hierin heißt p = mv der Impuls des Körpers; die erste Zeitableitung des Ortsvektors x
ist seine Geschwindigkeit v, die zweite Zeitableitung seine Beschleunigung a.
Diese Größen sind im jeweils zugrunde gelegten Koordinatensystem auszuwerten, was
folgende Beispiele verdeutlichen.
1. Kartesische Koordinaten
In dreidimensionalen Euklidischen Raum E3 führen wir eine orthonormale Basis
{ex , ey , ez } ein und schreiben
F = F 1 ex + F 2 ey + F 3 ez
usw.
(1.2)
Die Basisvektoren ex , ey und ez sind zeitunabhängig, so daß gilt
F = mẍ1 ex + mẍ2 ey + mẍ3 ez .
Dabei bedeuten ẋ1 , ẍ1 usw. die Zeitableitungen; die Masse m ist konstant.
11
(1.3)
2. Ebene Polarkoordinaten
In der [x, y]-Ebene führen wir Polarkoordinaten
x = x(%, ϕ) = % cos ϕ,
y = y(%, ϕ) = % sin ϕ
(1.4)
ein. Wir führen Einheitsbasisvektoren e% und eϕ ein, die in Richtung der Änderung
von x bei der Änderung % 7→ % + d% oder ϕ 7→ ϕ + dϕ zeigen. Dann gelten
e% = cos ϕ ex + sin ϕ ey ,
eϕ = − sin ϕ ex + cos ϕ ey .
(1.5)
y
ey
eϕ
e%
% dϕ
%
dx
d%
ex
ϕ
x
Aufgabe 1.1. Stellen Sie die Zeitableitungen ė% und ėϕ in Termen von ex , ey sowie e% , eϕ
dar. Berechnen Sie hieraus die Beschleunigung des Bahnvektors x(t) = %(t)e % (t).
Dieses zweite Beispiel zeigt, daß krummlinige, ortsabhängige Koordinaten bei Auswertung der Bewegung eines Teilchens von der Zeit abhängen können.
1.3
Das Newtonsche Gravitationsgesetz
Gemäß einer Vermutung des englischen Mathematikers und Architekten Christopher
Wren genügt eine Kraft, die in Richtung auf die Sonne wirkt und deren Stärke umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung von der Sonne ist, um alle Planetenbewegungen zu erklären.
Im Jahre 1684 begab sich der Astronom Edmond Halley auf den Weg von London zum
Trinity College in Cambridge im Vertrauen, daß der dort wirkende Newton das mathematische Rüstzeug besäße, dieses schwierige Problem anzugehen.
Newton hatte gute Laune. Im übrigen habe er sich diese Frage schon vor einigen Jahren
gestellt, und die Antwort darauf sei natürlich eine Kraft, die in Richtung der Sonne
weist, und deren Betrag umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung zur Sonne ist. Nur: Er habe den Beweis seinerzeit in eine Schublade gesteckt, und im Moment
könne er sich nicht mehr erinnern, in welche.
Wenige Monate später betraute Newton einen Fellow des Trinity College, Halley ein
wenige Seiten dünnes Manuskript zu übergeben, welches die erwähnte Antwort beinhaltet:
Zwei Körper mit den Massen M und m üben aufeinander eine anziehende Kraft
aus, die in Richtung der Verbindungslinie wirkt mit dem Betrag
F =g
mM
,
r2
g ≈ (6.673 ± 0.010) · 10−11
12
m3
.
kg · s2
(1.6)
Die Gravitationskonstante g kann grundsätzlich nicht aus astronomischen Beobachtungen ableitet werden; vielmehr wird sie aus terrestrischen Messungen bestimmt.
Aufgabe 1.2. Die Gravitationskraft ist eine Zentralkraft, d.h. sie wirkt in Richtung zum
Zentrum.
(i) Zeigen Sie: Für ein Teilchen konstanter Masse m > 0, das sich unter dem Einfluß einer
Zentralkraft F 6= 0 bewegt, ist der Drehimpuls
L(t) := x(t) × p(t)
(1.7)
erhalten. Greifen Sie hierfür auf das Drehmoment
M := x × F
(1.8)
zurück. In welchem Zusammenhang stehen L und M?
(ii) Leiten Sie hieraus den zweiten Keplerschen Satz über die Planetenbewegung ab: Die von
einem Planeten durchlaufende Bahn liegt in einer Ebene.
Bemerkung. An dieser Stelle notieren wir zwei Zusätze zu den Newtonschen Grundgesetzen:
1. Kräfte, die zwei Massenpunkte aufeinander ausüben, wirken in Richtung der Verbindungslinie.
2. Wirken mehrere Kräfte Fi , i = 1, . . . , N, auf einen Körper, so berechnet sich die
Gesamtkraft F gemäß
F = F1 + . . . + FN .
(1.9)
1.4
Zur Dynamik des Newtonschen Universums
Wir wollen die Newtonsche Mechanik auf das Universum anwenden.
Zur Zeit t betrachten wir eine endliche, expandierende Weltkugel vom Radius R = R(t)
mit positiver konstanter Gesamtmasse M > 0, gegeben durch
M=
4π
R(t)3 %(t)
3
(1.10)
mit variabler Massendichte % = %(t). Ein Teilchen der Masse m > 0 auf der Oberfläche
dieser Kugel bewegt sich gemäß
d2 R
M
= −g 2 .
2
dt
R
(1.11)
Hierzu verknüpfen wir das Newtonsche Grundgesetz (1.1) mit dem Gravitationsgesetz
(1.6). Die Masse m des Probekörpers kürzt sich auf beiden Seiten heraus.
Bemerkung. In diesem Modell sind keine statischen Lösungen R ≡ const möglich.
Satz. Es gilt
M 2
M2
= −kM
Ṙ − g
2
R
mit einer Integrationskonstanten k ∈ R.
13
(1.12)
Beweis. Wir multiplizieren beide Seiten mit Ṙ :=
dR
dt
und erhalten
1 d 2
d 1
= 0.
Ṙ − gM
2 dt
dt R
ṘR̈ = −gM R−2 Ṙ bzw.
(1.13)
Anschließende Integration über die Zeit t und Multiplikation mit M > 0 liefert die
Behauptung.
Wir können Gleichung (1.12) als Erhaltung der Energie interpretieren:
Folgerung. Mit der kinetischen Energie Ekin und der potentiellen Energie Epot ,
Ekin :=
M 2
Ṙ ,
2
Epot := −g
M2
,
R
(1.14)
erhalten wir
Ekin + Epot = −kM = const.
(1.15)
Die Dynamik der Weltkugel wird durch die Integrationskonstante k bestimmt. Dazu
sei der Verlauf der potentiellen Energie gegen verschiedene Absolutwerte von −kM
skizziert.
Epot
−kM > 0
R
−kM < 0
Folgerung. Aus (1.12) folgt nach Umstellen
Ṙ2 = (2gM)
1
− 2k
R
(1.16)
für die Expansionsgeschwindigkeit Ṙ = Ṙ(t) der Weltkugel.
Hieraus lesen wir folgende Dynamik ab:
1. k < 0 : Die Weltkugel expandiert stets.
2. k > 0 : Die Expansion geht in R = Rmax in eine Kontraktion über.
3. k = 0 : Die Expansionsgeschwindigkeit geht asymptotisch gegen Null.
Eine solche Dynamik wird uns später in der relativistischen Kosmologie wiederbegegnen.
14
1.5
Newtonsche Feldtheorie*
Die Bewegung eines Massenpunktes m in Gegenwart von N Massenpunkten mi an den
Orten xi wird nach (1.6) sowie den zwei Zusätzen, insbesondere (1.9), beschrieben durch
N
X mmi (xi − x)
d2 x
.
m 2 = −g
3
dt
|x
−
x|
i
i=1
(1.17)
Mit dem Newtonschen Gravitationspotential
Φ(x) := −g
N
X
i=1
mi
= −g
|x − xi |
ZZZ
R3
%(x0 ) 3 0
dx ,
|x − x0 |
(1.18)
wobei wir über die einzelnen Beiträge dm = %(x0 ) d3 x0 mit der Massendichte % summieren, erhalten wir die Bewegungsgleichung der Newtonschen Theorie:
Satz. Es gilt
m
d2 x
= −m ∇Φ(x).
dt2
(1.19)
Um die Endlichkeit des Integrals in (1.18) zu sichern, sollte %(x0 ) beschränkt und entweder kompakt sein oder sich asymptotisch wie |x − x0 |−2+α für α > 0 verhalten. Daher
kann im Newtonschen Modell das Universum nicht gleichmäßig mit Materie erfüllt sein!
Schließlich liefert Differentiation des Potentials die Newtonsche Feldgleichung:
Satz. Es gilt
4Φ(x) = 4πg%(x).
(1.20)
Aufgabe 1.3.∗ Führen Sie die Rechnungen zu (1.19) und (1.20) explizit aus.
Es ist unser langfristiges Ziel, die Grundgleichungen (1.20) relativistisch zu formulieren.
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Aufgaben zur ersten Vorlesung
1.1 Stellen Sie die Zeitableitungen ė% und ėϕ in Termen von ex , ey sowie e% , eϕ dar.
Berechnen Sie hieraus die Beschleunigung des Bahnvektors x(t) = %(t)e% (t).
1.2 Die Gravitationskraft ist eine Zentralkraft, d.h. sie wirkt in Richtung zum Zentrum.
(i) Zeigen Sie: Für ein Teilchen konstanter Masse m > 0, das sich unter dem
Einfluß einer Zentralkraft F 6= 0 bewegt, ist der Drehimpuls
L(t) := x(t) × p(t)
(1.6)
erhalten. Greifen Sie hierfür auf das Drehmoment
M := x × F
(1.7)
zurück. In welchem Zusammenhang stehen L und M?
(ii) Leiten Sie hieraus den zweiten Keplerschen Satz über die Planetenbewegung
ab: Die von einem Planeten durchlaufende Bahn liegt in einer Ebene.
1.3∗ Führen Sie die Rechnungen zu (1.19) und (1.20) explizit aus.
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