D. Stengel Wundklassifikation und Bewertungskriterien ANTIBIOTIKA MONITOR tom. XXII, 4/5/2006 Wundklassifikation und Bewertungskriterien D. Stengel Chirurgische Universitätsklinik, Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald, Berlin (Leiter: Prof. Dr. med. A. Ekkernkamp) Die Klassifikation des Schweregrades on einer Klassifikation in einer unab- besten verwendbar erscheint noch die des diabetischen Fußsyndroms ist hängigen Validierungs-Stichprobe Wagner-Klassifikation mit Texas- sowohl für die differenzierte Therapie unter Anwendung eines Referenz- Modifikation (Tabelle 1). Dieses ist, (diagnostische Ebene) als auch für standards überprüft werden. Getestet so wie die SAD-Klassifikation (Sep- Aussagen zum Outcome (prognosti- werden muss auch die Varianz zwi- sis-Arteriopathie-Denervierung) [1] sche Ebene) entscheidend. Auch für schen verschiedenen Beobachtern und oder der DEPA-Score (Depth-Extent- wissenschaftliche Fragestellungen ist zwischen verschiedenen Zeitpunkten. Phase-Associated etiology) [2] multi- eine präzise Klassifikation wichtig, Dabei darf aber auch die klinische dimensional (Tabelle 2 und 3). Das um Rückschlüsse auf den Wert einer Praktikabilität nicht zu kurz kommen. neuere, eindimensionale PEDIS [3] Behandlung ableiten zu können. erscheint zwar auf den ersten Blick Die Validierung einer Klassifikation praktikabel, ist aber ebenfalls nicht ist anspruchsvoll – es stellt sich immer Validierung notwendig validiert. Außerdem sollte die Reduk- die Frage, ob das Instrument misst, Die verschiedenen Klassifikationen tion multidimensionaler Graduierun- was es zu messen vorgibt. Hierfür beim diabetischen Fußsyndrom sind gen auf eine eindimensionale Skala müssen die Genauigkeit und Präzisi- allesamt unzureichend evaluiert. Am nur nach formaler Prüfung auf Vali- Tabelle 1: Wagner-Klassifikation mit Texas-Modifikation Texas- Wagner-Klassifikation Grad A 0 1 2 3 4 5 prä-/post- oberflächliche Wunde Wunde Gangrän Gangrän ulzerative Wunde bis zur bis zur oder oder Läsion, Ebene von Ebene von Nekrose Nekrose komplett Sehnen Knochen von des ganzen epithelialisiert und und Fußteilen Fußes Kapseln Gelenken B Infektion Infektion Infektion Infektion Infektion Infektion C Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie D Infektion Infektion Infektion Infektion Infektion Infektion und und und und und und Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie Ischämie 61 D. Stengel Wundklassifikation und Bewertungskriterien ANTIBIOTIKA MONITOR tom. XXII, 4/5/2006 Tabelle 2: DEPA-Score [1] 1 2 3 Haut Weichteile Knochen kontaminiert Infektion nekrotisierende Tiefe der Ulceration (Depth) Bakterielle Kontamination (Extent) Infektion Heilungsphase (Phase) Granulation Entzündung nicht heilend Assoziierte Ätiologie (Associated etiology) Neuropathie Knochendeformität Ischämie Gradierung Grenzwert Therapieempfehlung Low grade )6 Ambulante Behandlung, NaCl-Säuberung, oberflächliches Débridement, orale Antibiotika Moderate grade 7-9 Stationäre Behandlung 1 - 2 Wochen, i.v. Antibiotika, programmiertes Débridement, topische Therapie, Entlastung High grade 10 - 12 Stationäre Behandlung, i.v. Antibiotika, programmiertes Débridement, topische Therapie, gefäßchirurgische Intervention, Korrektur von Deformitäten, gegebenenfalls Amputation Tabelle 3: SAD-Score [2] Größe (Size) Grade Ausdehnung (Area) 0 1 intakte Haut < 1 cm 2 Tiefe (Depth) lnfektion (Sepsis) Arteriopathie Denervierung intakte Haut keine Fußpulse Berührungsempfinden vorhanden erhalten Fußpulse Berührungsempfinden abgeschwächt vermindert Fußpulse kein fehlend Berührungsempfinden Gangrän Charcot oberflächlich oberflächlich (Haut, Unterhaut) 2 1 - 3 cm 2 Sehne, Periost, Cellulitis Gelenkskapsel 3 62 > 3 cm 2 Knochen/Gelenk Osteomyelitis D. Stengel Wundklassifikation und Bewertungskriterien ANTIBIOTIKA MONITOR nächst rigoros getestet werden, bevor Anschrift des Referenten: Dr. med. Dirk Stengel, MSc(Epi) Abteilung für Klinische Epidemiologie, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin D-12683 Berlin, Warener Straße 7 eine neue Klassifikation entwickelt E-Mail: [email protected] dität, Reliabilität und Empfindlichkeit erfolgen. Es stellt sich die Frage, warum etablierte Scores nicht zu- tom. XXII, 4/5/2006 wird. Pragmatische Interventionsstudien gefordert Der eklatante Mangel an Interventionsstudien zur Therapie des diabetischen Fußsyndroms erfordert die konzertierte Aktion: Nötig sind Studien mit hoher Fallzahl zur Erhöhung der Schätzpräzision, ohne Stratifizierung, insbesondere bei Patienten mit infizierter diabetischer Fußläsion und Osteomyelitis (Texas-Wagner * 3), sowie strikte Festlegung der Therapiedauer und der Interventionen. Anzustreben ist ein möglichst einfacher Aufbau mit minimaler Dokumentation, eindeutigem primären Studienendpunkt (z.B. Unterschenkelamputation) und gesundheitsökonomisch relevanten sekundären Endpunkten (QALY/DALY) [4]. Literatur: 1. Younes NA. J Foot Ankle Surg 2004; 43:209-213. 2. Treece KA. Diab. Med 2004;21:987-991. 3. Lipsky BA et al. Clin Infect Dis 2004; 39:885-910. 4. Quality-adjusted life years / disabilityadjusted life years 63