„Hirnschrittmacher“ gegen die Parkinson

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„Hirnschrittmacher“ gegen die Parkinson-Erkrankung
Eine Patientenaufklärung
Autoren:
PD Dr. Andreas Kupsch, Neurologische Klinik der Charite, Humboldt-Universität Berlin
Dr. Gudrun Ulm, Paracelsus-Elena-Klinik, Parkinsonfachklinik, Kassel
Dr. Thomas Funk, Neurochirurgische Klinik, Frankfurt/Oder
Einführung
Die Parkinsonerkrankung ist eine „öffentliche“ Erkrankung.
Die Behinderung ist den Patienten sozusagen „auf den
Leib“
geschrieben.
Die
Hauptsymptome
der
Parkinsonerkrankung umfassen:
•
Muskelsteifigkeit (Rigor),
•
Zittern, welches überwiegend in Ruhe auftritt (Tremor) sowie
•
Bewegungsverlangsamung und Bewegungsarmut (Brady-/Hypo- bzw. Akinese).
Die Parkinsonerkrankung beruht ursächlich hauptsächlich auf einem Untergang von
bestimmten Nervenzellen in tiefliegenden Kerngebieten des Gehirns (Mittelhirn). Diese
betroffenen Nervenzellen liegen in der sogenannten „schwarzen Substanz“, der Substantia
nigra, die ihren Namen einem schwarzen Farbstoff, dem sog. Melanin verdankt. Bei
Parkinsonpatienten
ist
die
normalerweise
dunkle,
schwarze
Substanz
in
Autopsieuntersuchungen (dies sind nach dem Tode durchgeführte Untersuchungen)
ausgebleicht, was von dem jungen russischen Forscher C. Tretiakoff an der Universität von
Paris erstmals Anfang der 20-ziger Jahre des 20.
Jahrhunderts beschrieben worden ist. Die Nervenzellen der
schwarzen Substanz entsenden Fortsätze zum ca. 1-2 cm
entfernten Streifenkörper (Corpus striatum) und schütten
dort den Nervenbotenstoff Dopamin aus. Der schwedische
Forscher Arvid Carlsson hat bei parkinsonkranken
Kaninchen die Rolle des Dopamins erstmals Ende der
50-ziger
Jahre
entdeckt.
Durch
die
Gabe
eines
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Vorläuferstoffes von Dopamin, dem sog. L-DOPA, konnte er die Bewegungsarmut der
Kaninchen erfolgreich behandeln. Dopamin selbst kann die Blut-Hirn-Schranke nicht gut
überschreiten und zu den Zellen im Striatum gelangen. Arvid Carlsson wurde für diese
bahnbrechende Entdeckung im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
Die L-DOPA-Therapie wurde Anfang der 60-ziger Jahre des 20. Jahrhunderts erstmals bei
Parkinsonpatienten von österreichischen und kanadischen Forschern eingesetzt. Allerdings
dauerte es nahezu 10 Jahre, bis L-DOPA zum noch heute gültigen Goldstandard der
medikamentösen Parkinsontherapie entwickelt werden konnte: Erst die Kombination mit
sogenannten Decarboxylasehemmern, Medikamenten also, die verhindern, dass L-DOPA vor
Eintritt in das Gehirn zu Dopamin verstoffwechselt wird, hat den Siegeszug der L-DOPATherapie als Meilenstein für die medikamentöse Behandlung von Gehirnerkrankungen
ermöglicht. Mit L-DOPA und Decarboxylasehemmern können alle drei Kardinalsymptome der
Parkinson-Erkrankung deutlich gebessert werden, so dass gerade im Anfangsstadium ein fast
normales Leben für die Betroffenen erreicht werden kann. Allerdings mussten Patienten (und
mit ihnen auch die Ärzte) lernen, dass die L-DOPA-Therapie keine Heilung der
Parkinsonerkrankung darstellt. Insbesondere kommt es bei der Mehrzahl der Betroffenen (ca.
60 %) nach ca. 3-7 Jahren fortgesetzter L-DOPA-Therapie zu Nebenwirkungen und einem
Wirkungsverminderung von L-DOPA. Dies zeigt, dass L-DOPA den Fortschritt der
Erkrankung nicht aufhalten kann, sondern „lediglich“ die Symptome der Parkinsonerkrankung
lindert. Dies hängt vermutlich mit dem weitreichenden und fortschreitenden Verlust von
Dopaminzellen in der schwarzen Substanz im Krankheitsverlauf zusammen.
Die ursprünglich lange und gleichmäßige Wirksamkeit von L-DOPA wird deutlich kürzer, es
kommt
zu
plötzlichen,
vorhersehbaren
und
unvorhersehbaren
Wirkungsverlusten
(Wirkunsfluktuationen). Am häufigsten ist eine zeitlich verkürzte Wirkung von L-DOPA
(end-of dose-Akinese bzw. wearing-of) zu beobachten. Phasen der „guten“ Beweglichkeit
(ON) können innerhalb von Minuten oder Sekunden mit Phasen der Unbeweglichkeit (OFF)
abwechseln, die auf eine verminderte Medikamentenwirksamkeit hindeuten (z.B. „freezing“).
Ferner treten während der ON-Phasen nicht-kontrollierbare Überbeweglichkeit auf
(choreatische Dyskinesien, Hyperkinesen); die Arme können plötzlich so schnell und
unkontrollierbar hin- und herschleudern, dass der Patient stürzt und sich Knochenbrüche
zuzieht. Diese Dyskinesien können in seltenen Fällen auch beim An- und Abfluten der
Medikamente auftreten (biphasische Dyskinesien) oder als schmerzhafte dystone (Fuß-)
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Krämpfe bei nachlassender Medikamentenwirkung (z.B. morgendliche OFF-Dystonie)
imponieren. Schließlich können Alpträume, illusionäre Verkennungen, Halluzinationen und
Verwirrtheitszustände die medikamentösen Therapiemöglichkeiten einschränken.
Ärzte und Wissenschaftler bezeichnen diese Krankheitszustände auch als sogenannte
Spätsyndrome. Dabei kann sich der Zustand der Patienten mitunter kontinuierlich
verschlechtern, manchmal bis hin zur völligen Pflegebedürftigkeit. Es sei an dieser Stelle
jedoch auch betont, dass das Hinauszögern einer medikamentösen Behandlung die Entstehung
des Spätsyndroms nicht verhindern kann. Dies bedeutet, dass die medikamentöse Behandlung
der Parkinsonsymptome begonnen werden sollte, sobald die Lebensqualität beeinträchtigt ist.
Seit den 70-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte durch die Einführung von neuen
Substanzen und Wirkpräparaten die Entwicklung und Behandlung der Spätsyndrome deutlich
verbessert werden. Hierzu gehören z.B. Dopaminagonisten, welche die Wirkung von L-DOPA
simulieren, Stoffe, die in die Verstoffwechslung von L-DOPA eingreifen (z.B. MAO- oder
COMT-Hemmer) oder sogenannte Glutamatantagonisten (z.B. Amantadin). Allerdings können
trotz erheblicher Fortschritte der medikamentösen Therapie die Entstehung der Spätsyndrome
nicht vollständig verhindert werden. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand können Patienten
mit einem Spätsyndrom, bei denen die medikamentösen Therapieoptionen ausgeschöpft
worden sind, für eine stereotaktische Operation (z.B. Hirnschrittmacher) in Erwägung gezogen
werden. Dabei sind für die individuelle Therapieentscheidung sowohl die Lebensqualität des
Patienten
(z.B.
Berufstätigkeit,
subjektive
Befindlichkeit)
als
auch
die
Medikamentenverträglichkeit ausschlaggebend.
Stereotaktische Verfahren
Bis zur Einführung der L-Dopa–Therapie Ende der 60-iger Jahre war die chirurgische
Stereotaxie-Behandlung von Patienten mit einem idiopathischen Parkinson-Syndrom häufig die
aussichtsreichste Chance zur Linderung der Parkinson-Syndrome, insbesondere zur
Behandlung eines Zitterns (Tremor). Stereotaktische Operationen sind Eingriffe am Gehirn, bei
denen über ein kleines Bohrloch im Schädelknochen mit Hilfe eines um den Kopf
eingespannten Zielapparates und dreidimensionalen Berechnungen tief gelegene Hirnareale
genau erreicht werden können.
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Bis Ende der 80-iger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde
dabei die Stereotaxie ausschließlich „ablativ“ eingesetzt,
d.h. es wurden millimeterkleine Zellareale entweder
mechanisch oder durch Kälte oder Wärme dauerhaft
zerstört. So konnten z.B. Hirnareale, die durch ihre
Überaktivität Tremor (Zittern) hervorrufen, ausgeschaltet
werden (Thalamotomie, Pallidotomie). Problematisch war
hierbei aber ein relativ hoher Prozentsatz (bis zu ca. 40 %) von Komplikationen wie z.B. Sehund Sprechstörungen bzw. Lähmungen. Auch kam es häufig nach wenigen Monaten zu einem
Wirkungsverlust der initial eingetretenen postoperativen Besserung, vermutlich aufgrund von
unerwünschten „Reparatur“-Vorgängen in den operierten Arealen. Die Bedeutung der
zerstörend wirkenden (d.h. ablativen) neurochirurgischen Eingriffe trat aufgrund der
zunehmenden Fortschritte der medikamentösen Therapie (L-Dopa-Therapie) in den
Hintergrund. Die nun in den Folgejahren beobachteten Komplikationen der L-Dopa-Therapie
mit Entwicklung der Spätsyndrome (s.o.) und neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben zu
einer Renaissance von neurochirurgischen Operationsverfahren in der Behandlung des
Parkinson-Syndroms geführt. So können heute Hirnregionen mit Hilfe der sogenannten tiefen
Hirnstimulation (Englisch: „deep brain stimulation“, abgekürzt: DBS) funktionell beeinflusst
werden, d.h. reversibel und ohne bleibende Schädigung durch Gabe von elektrischen Impulsen.
Populärwissenschaftlich hat sich hier auch der griffige Begriff des Hirnschrittmachers
eingebürgert. Der hauptsächliche Vorteil des neuen Verfahrens im Vergleich zu den früheren
ablativen Verfahren liegt in seiner Reversibilität: Hirnareale werden
durch die tiefe Hirnstimulation nicht mehr zerstört, sondern
vorübergehend, eben reversibel beeinflusst, wodurch z. B. auch
zukünftige Therapieoptionen (Stichwort: Zellersatztherapie) möglich
sind. Die tiefe Hirnstimulation lässt die beidseitige Behandlung
funktionell übergeordneter Kerngebiete (Nucleus subthalamicus) zu
und erlaubt die Anpassung von Therapieerfolg und Nebenwirkungen.
Neuere Studien z. B. aus Holland haben die Überlegenheit der
Hirnschrittmachertherapie im Vergleich zu Läsionsverfahren (Thermokoagulation) über einen
längeren Zeitraum bei Tremorpatienten nachweisen können. Dies beruht vermutlich darauf,
dass der Hirnschrittmacher durch die Nacheinstellung von Stimulationsparametern einem
Nachlassen des Therapieeffektes entgegenwirkt bzw. Nebenwirkungen durch eine veränderte
Stimulationseinstellung reduziert werden können.
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Der
Wirkungsmechanismus
der
tiefen
Hirnstimulation ist nach wie vor nicht vollständig
verstanden
und
Gegenstand
weiterer
wissenschaftlicher Untersuchungen. Man nimmt z.
B. an, dass durch die tiefe Hirnstimulation
überaktive Nervenzellgebiete normalisiert werden,
die durch das Dopamin-Defizit im nigrostriatalen
System
hervorgerufen
vermutlich
auch
werden.
eine
Ungleichgewichtes
Dabei
spielt
Wiederherstellung
zwischen
des
hemmenden
(γ-Aminobuttersäure, GABA) sowie erregenden
(Glutamat) Nervenbotenstoffen eine wichtige Rolle.
Es darf jedoch angenommen werden, dass überaktive
Hirnareale
gebremst
werden,
so
dass
die
entsprechenden Schaltkreise der Basalganglien wieder
„normal“ funktionieren können.
SNc
= Substantia nigra compacta
SNr
= Substantia nigra reticulata
GPL
= Globus pallidum lateralis
GPm
= Globus pallidum medialis
VL
= ventrolateraler Thalamus
STN
= Nucleus subthalamicus
Brainstem = Hirnstamm
Je nach Überwiegen von einzelnen Symptomen stehen 3 unterschiedliche Zielpunkte für ein
operatives Verfahren zur Wahl, wobei bei Parkinsonpatienten mit Spätsyndromen in der Regel
beide Hirnhälften operiert werden müssen. Nur in Ausnahmefällen (z. B. einseitiger Tremor)
genügt die Operation einer Hirnhälfte (gegenüber zur betroffenen Körperhälfte).
1)
Nucleus subthalamicus
Die überwiegende Zahl der internationalen OP-Zentren sieht den Nucleus subthalamicus (NST)
als den am besten geeigneten Zielpunkt für die Mehrzahl der „austherapierten“ ParkinsonPatienten mit sogenannten Spätsyndromen an. Der Erfolg der Operation kann durch die
Wirkung von L-DOPA, und das ist wesentlich, annähernd vorhergesagt werden, da vorrangig
nur die Symptome, die auch durch L-DOPA gebessert werden, auch durch die
Neurostimulation im NST in vergleichbarer Weise vermindert werden. Zum Nachweis der
Wirksamkeit von Dopamin auf die Parkinson-Symptome wird deshalb in der Regel vor der
Operation ein L-DOPA-Test mit dem Patienten durchgeführt. Gleichzeitig bedeutet dies
jedoch auch, dass die Parkinsonsymptome, die nicht oder nur wenig auf L-DOPA ansprechen
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auch nur wenig durch die Neurostimulation im Nucleus subthalamicus gemildert werden. So
haben Rigor, Akinese, und Tremor die besten Chancen auf eine dauerhafte postoperative
Besserung. Dagegen werden ausgeprägte Gleichgewichts-, vegetative und kognitive Störungen,
Sprechvermögen und medikamentenunabhängige freezing-Effekte nicht ausreichend gebessert.
Man kann den optimalen Erfolg der Neurostimulation vergleichen mit der bestmöglichen
L-DOPA-Wirkung bei deutlicher Verminderung von dopaminergen Nebenwirkungen. So
ist die Wirkung der Neurostimulation gleichmäßiger wirksam als L-DOPA, mit der Folge, dass
Fluktuationen und Dyskinesien gebessert werden.
Zusätzlich kann die dopaminerge
Medikation durchschnittlich um ca. 50-60 % vermindert werden.
2.) Pallidum
Der Globus pallidus internus (hier kurz Pallidum oder GPi genannt) ist wie der Thalamus und
der Nucleus subthalamicus Bestandteil des Schaltkreises der Basalganglien. Durch eine
Platzierung der Stimulationselektroden im Pallidum werden vorrangig Überbeweglichkeit
(Hyperkinesen) deutlich gebessert. Gute bis mäßige Erfolge können jedoch auch bezüglich der
weiteren Kardinalsymptome der Parkinson-Erkrankung wie Rigor und Ruhetremor beobachtet
werden. Im Gegensatz zur Neurostimulation im Nucleus subthalamicus kann nach Eingriffen
im Pallidum in der Regel die dopaminerge Medikation nicht vermindert werden. Auch ist
aufgrund der regelmäßig hohen Stromstärken eine hohe Leistungsabgabe der Stimulatorbatterie
in Rechnung zu stellen, so dass die meisten Zentren heute eine tiefe Hirnstimulation im
Nucleus subthalamicus bei Parkinsonpatienten favorisieren. Eine endgültige Beurteilung,
welches Hirnareal zu den besten Therapieerfolgen bei Parkinsonpatienten führt (Pallidum
versus Nucleus subthalamicus) wird jedoch noch wissenschaftlich kontrovers diskutiert. In der
Regel sind mehrere ambulante oder stationäre Aufenthalte erforderlich, um zu entscheiden,
welcher Zielpunkt individuell am besten geeignet ist. Interessanterweise scheint der Globus
pallidus einen vielversprechenden Zielpunkt darzustellen für die Linderung weiterer
Bewegungsstörungen, wie z.B. unterschiedliche Formen der Dystonie.
3) Thalamus
Der Ncl. ventralis intermedius des Thalamus (VIM) eignet sich am besten für Patienten mit
einem sogenannten essentiellen Tremor, einer Erkrankung, die vom Laien mit der
Parkinsonerkrankung leicht verwechselt werden kann. Im Gegensatz zum typischen
6/12
Ruhetremor bei Parkinson-Patienten leiden die Patienten mit einem essentiellen Tremor jedoch
vorrangig an einem sogenannten Halte- und Aktionstremor. Diese Tremorform äußert sich
verstärkt bei Tätigkeiten, z. B. wenn man ein Glas zum Mund führt. Die Behinderung durch
den essentiellen Tremor ist bei Patienten in der Regel deutlich stärker ausgeprägt als bei
Parkinsonpatienten mit einem Ruhetremor, wo der Tremor bei Tätigkeiten verschwindet.
Wichtig: Patienten mit einem essentiellen Tremor weisen kein Dopamin-Defizit (im
nigrostriatalen System) auf. So spricht diese Tremorform auch nicht auf dopaminerge
Medikation an. Durch die Elektrodenimplantation im Thalamus kann der essentielle Tremor
z. T. dramatisch dauerhaft gebessert werden, so dass dieses Verfahren sowohl in Europa als
auch in den USA als erstes Elektroden-Verfahren zur Therapie von Tremor zugelassen wurde.
Bei den meisten Parkinson-Patienten steht neben der Behinderung durch den Tremor ganz
wesentlich auch eine Minderung der Lebensqualität durch die Bradykinese und den Rigor im
Vordergrund. Diese Symptome können jedoch nicht ausreichend durch eine Stimulation im
Thalamus gebessert werden. Entsprechend besteht bei den meisten Zentren heute Übereinkunft,
dass Parkinson-Patienten nur in Ausnahmefällen (z. B. bei stark ausgeprägtem Tremor ohne
weitere Parkinsonsymptome) im Thalamus operiert werden sollten (siehe Punkt 1).
Ablauf der Operation:
Um
die
Zielpunkte
millimetergenau
zu
erreichen, wird auf das in den 40-iger Jahren
entwickelte
sogenannte
„stereotaktische“
Verfahren zurückgegriffen. Hierzu wird ein
3-dimensionales Ringsystem (stereotaktischer
Rahmen) um den Kopf des Patienten gespannt.
Mit Hilfe dieses Ringsystems und unter
Zuhilfenahme von aufwendigen Berechnungen
ist
es
möglich,
millimetergenau
und
patientenindividuell tiefe Hirnareale zu erreichen. Hierbei ist es nicht erforderlich das Gehirn
freizulegen oder größere Teile der Schädeldecke zu öffnen. Das Anlegen des stereotaktischen
Rahmens erfolgt in der Regel in Kurznarkose. Dann erfolgt schmerzlos die Schädelöffnung
(Lochgrösse ca. 10 mm) mittels eines kleinen Bohrers. Anschließend wird die Narkose
ausgeschlichen, um eine Testelektrode bis kurz vor den berechneten Zielpunkt vorzuschieben.
Dieser Teil des Eingriffs erfolgt nur noch in örtlicher Betäubung, da die Mitarbeit des Patienten
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benötigt
wird,
um
mögliche
Nebenwirkungen
(Kribbeln,
Sprechstörungen,
Augenbewegungsstörungen, Muskelverkrampfungen usw.) festzustellen und insbesondere auch
um den Effekt der Stimulation auf die ParkinsonSyndrome
beurteilen
zu
können.
Während
der
Operation wird vorrangig der Rigor bzw. ein eventuell
vorhandener Tremor vom behandelnden Neurologen zur
Beurteilung einer optimalen Lokalisation herangezogen.
Die Fortführung des Eingriffs kann in örtlicher
Betäubung vorgenommen werden, da Eingriffe im
Gehirn selbst schmerzfrei sind. Ggf. kann die Beurteilung des Therapieerfolges durch spezielle
elektrophysiologische Ableitungen von der eingeführten Testelektrode ergänzt werden. Zur
Beurteilung eines optimalen Therapieerfolges während der Operation ist es erforderlich, dass
die Parkinson-Medikation spätestens am Vorabend
abgesetzt wird, um ausgeprägte Symptome im OP
sicherzustellen. Die Dauer des Eingriffes variiert
von Zentrum zu Zentrum sowie von Patient zu
Patient und beträgt zur Zeit ca. 6-12 Stunden. Wenn
nach
sorgfältiger
Testung
der
optimale
Stimulationspunkt gefunden ist (wenig oder keine
Nebenwirkungen und deutliches Nachlassen von Rigor bzw. Tremor), wird unter
Röntgenkontrolle die endgültige 4-polige Elektrode platziert und am Schädel befestigt.
Die meisten Zentren werden nach diesem Eingriff zunächst die Elektroden nach außen ableiten,
um ihre Wirksamkeit nochmals unabhängig vom operativen Eingriff mit einem externen
Stimulator zu überprüfen (Vermeidung von Narkose-Effekten).
Die Elektrode, die im Gehirn implantiert wird, besteht aus
vier isolierten Drähten, die mit vier elektrischen PlatinIridium-Kontakten
verbunden
sind.
Sie
hat
einen
Durchmesser von 1.3 mm. Die implantierte Elektrode
wird mit einer Kabelverlängerung, die unter der Haut
vorgeschoben
wird,
mit
einem
endgültigen
batteriebetriebenen Impulsgeber verbunden. Hierfür ist
eine zweite OP-Sitzung in Vollnarkose erforderlich, die in
der Regel 2-7 Tage nach dem ersten Eingriff erfolgt. Der Impulsgeber besteht wie ein
Herzschrittmacher aus einem kleinen, versiegelten Titangehäuse (etwa so groß wie zwei
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Streichholzschachteln) mit der Batterie und der Elektronik
für
die
Einstellung
Impulsgeber
wird
der
auf
Stimulationsparameter.
dem
Brustmuskel
oder
Der
im
Unterhautfettgewebe (Bauch) eingepflanzt und anschließend
mit dem unter der Haut liegenden Elektrodenkabel
verbunden. Hiermit sind in der Regel kaum kosmetische
Beeinträchtigungen verbunden. Zum Einsatz kann entweder
ein Stimulator für eine Elektrode (Soletra) oder ein
Stimulator für zwei Elektroden (KINETRA) kommen. Mit
diesen Impulsgebern und mit Hilfe eines von außen anlegbaren Programmiergerätes ist es nun
möglich, die für den Patienten optimale Lokalisation und Stimulationsintensität einzustellen,
die eine optimale Symptombesserung ohne Auftreten von Nebenwirkungen ermöglicht.
Während beider Operationen werden Nährlösungen verabreicht (Infusionen), um einer
Austrocknung vorzubeugen. Zusätzlich erfolgen krankengymnastische Übungen, um den
Verkrampfungen während der Operationen entgegenzuwirken. Nach den Erfahrungen der
meisten Patienten ist der Eingriff retrospektiv weitaus weniger belastend als vor der Operation
befürchtet.
Operationsrisiko
Jeder operative Eingriff ist mit einem Risiko für Blutungen und Infektionen behaftet. Im
Vergleich zu anderen Gehirnoperationen sind die Risiken einer stereotaktischen Operation
jedoch relativ gering. Bei ca. 1-4% (diese Zahlen können geringfügig von Zentrum zu Zentrum
variieren) der operierten Fälle können Blutungen oder seltener Infektionen im Gehirn durch die
Elektrodenimplantation auftreten, die zu vorübergehenden oder seltener auch zu dauerhaften
Schäden führen. Wenngleich diese Zahl auch gering anmutet, unterstreicht sie dennoch, dass
erst alle konservativen Therapieoptionen vor einer stereotaktischen Operation ausgenutzt
werden sollten.
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Nachbetreuung:
Die Nachbetreuung --- und dies gilt besonders für Patienten mit einer Neurostimulation im
Nucleus subthalamicus oder im Pallidum --- ist der zeitlich aufwendigste Teil des operativen
Eingriffes. Er dient einer möglichst optimalen Abstimmung zwischen Medikamentenwirkung
und Wirkung des Neurostimulationssystems. Hierzu ist es erforderlich, dass die vier Kontakte
der implantierten Elektrode einzeln überprüft werden. Diese Testung erfolgt, wie schon
während der Operation, ohne Medikamente, um den isolierten Stimulationseffekt zu erfassen.
Dazu wird der Arzt mit Hilfe eines Programmiergerätes jeden Pol der Elektrode einzeln
ansteuern. Dauerhafte Nebenwirkungen (z. B. Kribbelgefühle, Sprechstörungen, Lichtblitze)
können durch Anpassung der Stimulationsparameter in der Regel vollständig vermieden
werden. Postoperativ sind hierzu ca. 2-3 Wochen erforderlich, um Medikamente und
Stimulationsparameter
aneinander
anzupassen.
Gleichzeitig kann während dieses stationären
Aufenthaltes die Wundheilung überprüft werden.
Dem
Patienten
kann
Weiterversorgung
ausgehändigt
ein
werden
Funktion
kann
vorgegebene Einstellungen
die
ambulante
Patienten-Steuergerät
werden,
ordnungsgemäße
überprüft
für
mit
des
sowie
dem
die
Stimulators
ggf.
verändert
einige
werden
können.
Da sich während des operativen Eingriffs oft ein Ödem (Wassereinlagerung mit der Folge eines
sogenannten Mikroläsionseffektes) um die Elektrode bildet, welches sich zum Teil erst nach
einigen Wochen zurückbildet, ist regelmäßig nach 3 Monaten ein erneuter stationärer
Aufenthalt erforderlich, um eine endgültige Elektrodeneinstellung und eine erneute
Medikamentenanpassung vorzunehmen. Ziel dieser postoperativen Einstellung ist keineswegs
vorrangig die größtmögliche Verminderung der Parkinson-Medikamente, sondern das
Erreichen einer optimalen Symptomreduktion. Nur in wenigen Einzelfällen kann postoperativ
ganz auf Medikamente verzichtet werden.
Postoperativ können bei bis zu ca. 10% der Patienten mit einer Nucleus subthalamicusStimulation psychische Veränderungen beobachtet worden. Dabei können sowohl depressive
als auch hypomanische (euphorische) Zustände auftreten. Diese psychischen Störungen sollten
im Rahmen eines stationären Aufenthaltes aufgefangen werden. Ihre Ursache ist noch nicht
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endgültig geklärt, jedoch sind sie am ehesten multifaktoriell bedingt. Auslösende Faktoren
können z. B. eine zu schnelle Verminderung der L-Dopa-Medikation (Depression), zu hohe
Erwartungshaltung an den operativen Eingriff (keine Heilung) und auch Veränderungen im
familiären oder persönlichen Umfeld (der vormals schwer betroffene Parkinson-Patient ist
wieder beweglich) darstellen. Manchmal müssen Patienten auch erneut lernen, mit der neu
gewonnenen Beweglichkeit umzugehen, z. B. um Stürze zu vermeiden, die durch zu schnelles
Gehen
bei
noch
bestehenden
„Rest“-Symptomen
(z. B.
Gleichgewichtsstörungen)
hervorgerufen werden. Einige Patienten nehmen nach der Operation deutlich an Gewicht zu.
Dieser Effekt wird von den meisten der Patienten jedoch positiv wahrgenommen, da
Parkinsonpatienten häufig aufgrund der wechselnden Beweglichkeit untergewichtig sind.
Die Langzeiterfahrungen mit der Neurostimulation sind noch begrenzt. Als sicher kann jedoch
gelten, dass die Stimulationseffekte im Nucleus subthalamicus über einen Zeitraum von vielen
Jahren, z. T. sogar nach bis zu 9 Jahren stabil sind. Dies könnte darauf hin deuten, dass durch
eine Neurostimulation im Nucleus subthalamicus, das Fortschreiten der Erkrankung verzögert
werden könnte (neuroprotektiver Effekt?). Diese Hypothese wird jedoch wissenschaftlich und
tierexperientell noch kontrovers diskutiert.
Die Batterien des Impulsgebers haben in der Regel eine Lebenszeit von 3-6 Jahren in
Abhängigkeit vom erforderlichen Stromverbrauch. Nach diesem Zeitraum ist eine erneute,
allerdings nur kleine Operation erforderlich, um den Impulsgeber auszuwechseln. Dieser
Eingriff, der nur einen kleinen Hautschnitt am Ort des Impulsgebers notwendig macht, wird
meist ambulant erfolgen können.
Vorsichtsmassnahmen
Besondere Vorsichtsmassnahmen sind für Patienten mit einem Hirnschrittmacher im Alltag
nicht erforderlich. Bis auf Sportarten, die mit heftigen Kopferschütterungen einhergehen (z. B.
Boxen; Risiko der Elektrodenverschiebung), ergeben sich im täglichen Leben keine
Einschränkungen.
Allerdings
sollten
bestimmte
medizinische
Untersuchungen
oder
Heilverfahren nur nach Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt durchgeführt werden. So hat
sich gezeigt, dass eine sogenannte Diathermiebehandlung, wie sie z. B. von einigen
Rehabilitations-Zentren oder auch Zahnärzten zur Behandlung von Muskelkrämpfen oder
Schmerzen unterstützend eingesetzt wird, unbedingt vermieden werden muss. Hierbei sind in
Einzelfällen durch Erwärmung an den Elektrodenkontakten im Gehirn tragischerweise z. T.
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nicht behebbare Schäden gesetzt worden. Sie sollten Ihren Arzt konsultieren, falls
diagnostische Maßnahmen geplant sind, die mit erheblichen Magnetfeldern einhergehen, wie
z. B. die Kernspintomographie. Ergänzend sei erwähnt, dass der gleichzeitige Einsatz von
Herz- und Hirnschrittmacher prinzipiell möglich ist, aber der Rücksprache zwischen dem
Neurologen und Kardiologen bedarf. Die üblichen Haushaltsgeräte stellen keine Gefahr für die
Funktionstüchtigkeit des Neurostimulators dar, insbesondere ist wahrscheinlich auch eine
Handynutzung problemlos möglich.
Kosten:
Die Kosten der Operation belaufen sich alleine für das Stimulationsgerät mit den Elektroden
auf ca. 15 000.-Euro. Zusammen mit der prä- und postoperativen Diagnostik und Betreuung
entstehen damit ca. Kosten in Höhe von 30 000.- Euro. Dem sind allerdings neben dem Gewinn
an Lebensqualität durch die Symptombesserung die postoperativen Einsparungsmöglichkeiten
gegenüber zu stellen (Medikamentenreduktion). Prinzipiell werden die Kosten von den
Krankenkassen erstattet, wobei eine abschließende bundeseinheitliche Regelung fehlt. So
werden die Kosten entweder aus dem Krankenhausbudget (ggf. Sonderentgelt) oder auf
Einzelantrag erstattet. Es ist zu hoffen, dass durch die Einführung eines neuen
Kostenabrechnungssystems (Stichwort DRG, disease related groups) diese für Patienten und
Ärzte gleichermaßen unbefriedigende und unklare Situation bald geregelt wird.
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