„Hirnschrittmacher“ gegen die Parkinson-Erkrankung Eine Patientenaufklärung Autoren: PD Dr. Andreas Kupsch, Neurologische Klinik der Charite, Humboldt-Universität Berlin Dr. Gudrun Ulm, Paracelsus-Elena-Klinik, Parkinsonfachklinik, Kassel Dr. Thomas Funk, Neurochirurgische Klinik, Frankfurt/Oder Einführung Die Parkinsonerkrankung ist eine „öffentliche“ Erkrankung. Die Behinderung ist den Patienten sozusagen „auf den Leib“ geschrieben. Die Hauptsymptome der Parkinsonerkrankung umfassen: • Muskelsteifigkeit (Rigor), • Zittern, welches überwiegend in Ruhe auftritt (Tremor) sowie • Bewegungsverlangsamung und Bewegungsarmut (Brady-/Hypo- bzw. Akinese). Die Parkinsonerkrankung beruht ursächlich hauptsächlich auf einem Untergang von bestimmten Nervenzellen in tiefliegenden Kerngebieten des Gehirns (Mittelhirn). Diese betroffenen Nervenzellen liegen in der sogenannten „schwarzen Substanz“, der Substantia nigra, die ihren Namen einem schwarzen Farbstoff, dem sog. Melanin verdankt. Bei Parkinsonpatienten ist die normalerweise dunkle, schwarze Substanz in Autopsieuntersuchungen (dies sind nach dem Tode durchgeführte Untersuchungen) ausgebleicht, was von dem jungen russischen Forscher C. Tretiakoff an der Universität von Paris erstmals Anfang der 20-ziger Jahre des 20. Jahrhunderts beschrieben worden ist. Die Nervenzellen der schwarzen Substanz entsenden Fortsätze zum ca. 1-2 cm entfernten Streifenkörper (Corpus striatum) und schütten dort den Nervenbotenstoff Dopamin aus. Der schwedische Forscher Arvid Carlsson hat bei parkinsonkranken Kaninchen die Rolle des Dopamins erstmals Ende der 50-ziger Jahre entdeckt. Durch die Gabe eines 1/12 Vorläuferstoffes von Dopamin, dem sog. L-DOPA, konnte er die Bewegungsarmut der Kaninchen erfolgreich behandeln. Dopamin selbst kann die Blut-Hirn-Schranke nicht gut überschreiten und zu den Zellen im Striatum gelangen. Arvid Carlsson wurde für diese bahnbrechende Entdeckung im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die L-DOPA-Therapie wurde Anfang der 60-ziger Jahre des 20. Jahrhunderts erstmals bei Parkinsonpatienten von österreichischen und kanadischen Forschern eingesetzt. Allerdings dauerte es nahezu 10 Jahre, bis L-DOPA zum noch heute gültigen Goldstandard der medikamentösen Parkinsontherapie entwickelt werden konnte: Erst die Kombination mit sogenannten Decarboxylasehemmern, Medikamenten also, die verhindern, dass L-DOPA vor Eintritt in das Gehirn zu Dopamin verstoffwechselt wird, hat den Siegeszug der L-DOPATherapie als Meilenstein für die medikamentöse Behandlung von Gehirnerkrankungen ermöglicht. Mit L-DOPA und Decarboxylasehemmern können alle drei Kardinalsymptome der Parkinson-Erkrankung deutlich gebessert werden, so dass gerade im Anfangsstadium ein fast normales Leben für die Betroffenen erreicht werden kann. Allerdings mussten Patienten (und mit ihnen auch die Ärzte) lernen, dass die L-DOPA-Therapie keine Heilung der Parkinsonerkrankung darstellt. Insbesondere kommt es bei der Mehrzahl der Betroffenen (ca. 60 %) nach ca. 3-7 Jahren fortgesetzter L-DOPA-Therapie zu Nebenwirkungen und einem Wirkungsverminderung von L-DOPA. Dies zeigt, dass L-DOPA den Fortschritt der Erkrankung nicht aufhalten kann, sondern „lediglich“ die Symptome der Parkinsonerkrankung lindert. Dies hängt vermutlich mit dem weitreichenden und fortschreitenden Verlust von Dopaminzellen in der schwarzen Substanz im Krankheitsverlauf zusammen. Die ursprünglich lange und gleichmäßige Wirksamkeit von L-DOPA wird deutlich kürzer, es kommt zu plötzlichen, vorhersehbaren und unvorhersehbaren Wirkungsverlusten (Wirkunsfluktuationen). Am häufigsten ist eine zeitlich verkürzte Wirkung von L-DOPA (end-of dose-Akinese bzw. wearing-of) zu beobachten. Phasen der „guten“ Beweglichkeit (ON) können innerhalb von Minuten oder Sekunden mit Phasen der Unbeweglichkeit (OFF) abwechseln, die auf eine verminderte Medikamentenwirksamkeit hindeuten (z.B. „freezing“). Ferner treten während der ON-Phasen nicht-kontrollierbare Überbeweglichkeit auf (choreatische Dyskinesien, Hyperkinesen); die Arme können plötzlich so schnell und unkontrollierbar hin- und herschleudern, dass der Patient stürzt und sich Knochenbrüche zuzieht. Diese Dyskinesien können in seltenen Fällen auch beim An- und Abfluten der Medikamente auftreten (biphasische Dyskinesien) oder als schmerzhafte dystone (Fuß-) 2/12 Krämpfe bei nachlassender Medikamentenwirkung (z.B. morgendliche OFF-Dystonie) imponieren. Schließlich können Alpträume, illusionäre Verkennungen, Halluzinationen und Verwirrtheitszustände die medikamentösen Therapiemöglichkeiten einschränken. Ärzte und Wissenschaftler bezeichnen diese Krankheitszustände auch als sogenannte Spätsyndrome. Dabei kann sich der Zustand der Patienten mitunter kontinuierlich verschlechtern, manchmal bis hin zur völligen Pflegebedürftigkeit. Es sei an dieser Stelle jedoch auch betont, dass das Hinauszögern einer medikamentösen Behandlung die Entstehung des Spätsyndroms nicht verhindern kann. Dies bedeutet, dass die medikamentöse Behandlung der Parkinsonsymptome begonnen werden sollte, sobald die Lebensqualität beeinträchtigt ist. Seit den 70-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte durch die Einführung von neuen Substanzen und Wirkpräparaten die Entwicklung und Behandlung der Spätsyndrome deutlich verbessert werden. Hierzu gehören z.B. Dopaminagonisten, welche die Wirkung von L-DOPA simulieren, Stoffe, die in die Verstoffwechslung von L-DOPA eingreifen (z.B. MAO- oder COMT-Hemmer) oder sogenannte Glutamatantagonisten (z.B. Amantadin). Allerdings können trotz erheblicher Fortschritte der medikamentösen Therapie die Entstehung der Spätsyndrome nicht vollständig verhindert werden. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand können Patienten mit einem Spätsyndrom, bei denen die medikamentösen Therapieoptionen ausgeschöpft worden sind, für eine stereotaktische Operation (z.B. Hirnschrittmacher) in Erwägung gezogen werden. Dabei sind für die individuelle Therapieentscheidung sowohl die Lebensqualität des Patienten (z.B. Berufstätigkeit, subjektive Befindlichkeit) als auch die Medikamentenverträglichkeit ausschlaggebend. Stereotaktische Verfahren Bis zur Einführung der L-Dopa–Therapie Ende der 60-iger Jahre war die chirurgische Stereotaxie-Behandlung von Patienten mit einem idiopathischen Parkinson-Syndrom häufig die aussichtsreichste Chance zur Linderung der Parkinson-Syndrome, insbesondere zur Behandlung eines Zitterns (Tremor). Stereotaktische Operationen sind Eingriffe am Gehirn, bei denen über ein kleines Bohrloch im Schädelknochen mit Hilfe eines um den Kopf eingespannten Zielapparates und dreidimensionalen Berechnungen tief gelegene Hirnareale genau erreicht werden können. 3/12 Bis Ende der 80-iger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dabei die Stereotaxie ausschließlich „ablativ“ eingesetzt, d.h. es wurden millimeterkleine Zellareale entweder mechanisch oder durch Kälte oder Wärme dauerhaft zerstört. So konnten z.B. Hirnareale, die durch ihre Überaktivität Tremor (Zittern) hervorrufen, ausgeschaltet werden (Thalamotomie, Pallidotomie). Problematisch war hierbei aber ein relativ hoher Prozentsatz (bis zu ca. 40 %) von Komplikationen wie z.B. Sehund Sprechstörungen bzw. Lähmungen. Auch kam es häufig nach wenigen Monaten zu einem Wirkungsverlust der initial eingetretenen postoperativen Besserung, vermutlich aufgrund von unerwünschten „Reparatur“-Vorgängen in den operierten Arealen. Die Bedeutung der zerstörend wirkenden (d.h. ablativen) neurochirurgischen Eingriffe trat aufgrund der zunehmenden Fortschritte der medikamentösen Therapie (L-Dopa-Therapie) in den Hintergrund. Die nun in den Folgejahren beobachteten Komplikationen der L-Dopa-Therapie mit Entwicklung der Spätsyndrome (s.o.) und neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben zu einer Renaissance von neurochirurgischen Operationsverfahren in der Behandlung des Parkinson-Syndroms geführt. So können heute Hirnregionen mit Hilfe der sogenannten tiefen Hirnstimulation (Englisch: „deep brain stimulation“, abgekürzt: DBS) funktionell beeinflusst werden, d.h. reversibel und ohne bleibende Schädigung durch Gabe von elektrischen Impulsen. Populärwissenschaftlich hat sich hier auch der griffige Begriff des Hirnschrittmachers eingebürgert. Der hauptsächliche Vorteil des neuen Verfahrens im Vergleich zu den früheren ablativen Verfahren liegt in seiner Reversibilität: Hirnareale werden durch die tiefe Hirnstimulation nicht mehr zerstört, sondern vorübergehend, eben reversibel beeinflusst, wodurch z. B. auch zukünftige Therapieoptionen (Stichwort: Zellersatztherapie) möglich sind. Die tiefe Hirnstimulation lässt die beidseitige Behandlung funktionell übergeordneter Kerngebiete (Nucleus subthalamicus) zu und erlaubt die Anpassung von Therapieerfolg und Nebenwirkungen. Neuere Studien z. B. aus Holland haben die Überlegenheit der Hirnschrittmachertherapie im Vergleich zu Läsionsverfahren (Thermokoagulation) über einen längeren Zeitraum bei Tremorpatienten nachweisen können. Dies beruht vermutlich darauf, dass der Hirnschrittmacher durch die Nacheinstellung von Stimulationsparametern einem Nachlassen des Therapieeffektes entgegenwirkt bzw. Nebenwirkungen durch eine veränderte Stimulationseinstellung reduziert werden können. 4/12 Der Wirkungsmechanismus der tiefen Hirnstimulation ist nach wie vor nicht vollständig verstanden und Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen. Man nimmt z. B. an, dass durch die tiefe Hirnstimulation überaktive Nervenzellgebiete normalisiert werden, die durch das Dopamin-Defizit im nigrostriatalen System hervorgerufen vermutlich auch werden. eine Ungleichgewichtes Dabei spielt Wiederherstellung zwischen des hemmenden (γ-Aminobuttersäure, GABA) sowie erregenden (Glutamat) Nervenbotenstoffen eine wichtige Rolle. Es darf jedoch angenommen werden, dass überaktive Hirnareale gebremst werden, so dass die entsprechenden Schaltkreise der Basalganglien wieder „normal“ funktionieren können. SNc = Substantia nigra compacta SNr = Substantia nigra reticulata GPL = Globus pallidum lateralis GPm = Globus pallidum medialis VL = ventrolateraler Thalamus STN = Nucleus subthalamicus Brainstem = Hirnstamm Je nach Überwiegen von einzelnen Symptomen stehen 3 unterschiedliche Zielpunkte für ein operatives Verfahren zur Wahl, wobei bei Parkinsonpatienten mit Spätsyndromen in der Regel beide Hirnhälften operiert werden müssen. Nur in Ausnahmefällen (z. B. einseitiger Tremor) genügt die Operation einer Hirnhälfte (gegenüber zur betroffenen Körperhälfte). 1) Nucleus subthalamicus Die überwiegende Zahl der internationalen OP-Zentren sieht den Nucleus subthalamicus (NST) als den am besten geeigneten Zielpunkt für die Mehrzahl der „austherapierten“ ParkinsonPatienten mit sogenannten Spätsyndromen an. Der Erfolg der Operation kann durch die Wirkung von L-DOPA, und das ist wesentlich, annähernd vorhergesagt werden, da vorrangig nur die Symptome, die auch durch L-DOPA gebessert werden, auch durch die Neurostimulation im NST in vergleichbarer Weise vermindert werden. Zum Nachweis der Wirksamkeit von Dopamin auf die Parkinson-Symptome wird deshalb in der Regel vor der Operation ein L-DOPA-Test mit dem Patienten durchgeführt. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch auch, dass die Parkinsonsymptome, die nicht oder nur wenig auf L-DOPA ansprechen 5/12 auch nur wenig durch die Neurostimulation im Nucleus subthalamicus gemildert werden. So haben Rigor, Akinese, und Tremor die besten Chancen auf eine dauerhafte postoperative Besserung. Dagegen werden ausgeprägte Gleichgewichts-, vegetative und kognitive Störungen, Sprechvermögen und medikamentenunabhängige freezing-Effekte nicht ausreichend gebessert. Man kann den optimalen Erfolg der Neurostimulation vergleichen mit der bestmöglichen L-DOPA-Wirkung bei deutlicher Verminderung von dopaminergen Nebenwirkungen. So ist die Wirkung der Neurostimulation gleichmäßiger wirksam als L-DOPA, mit der Folge, dass Fluktuationen und Dyskinesien gebessert werden. Zusätzlich kann die dopaminerge Medikation durchschnittlich um ca. 50-60 % vermindert werden. 2.) Pallidum Der Globus pallidus internus (hier kurz Pallidum oder GPi genannt) ist wie der Thalamus und der Nucleus subthalamicus Bestandteil des Schaltkreises der Basalganglien. Durch eine Platzierung der Stimulationselektroden im Pallidum werden vorrangig Überbeweglichkeit (Hyperkinesen) deutlich gebessert. Gute bis mäßige Erfolge können jedoch auch bezüglich der weiteren Kardinalsymptome der Parkinson-Erkrankung wie Rigor und Ruhetremor beobachtet werden. Im Gegensatz zur Neurostimulation im Nucleus subthalamicus kann nach Eingriffen im Pallidum in der Regel die dopaminerge Medikation nicht vermindert werden. Auch ist aufgrund der regelmäßig hohen Stromstärken eine hohe Leistungsabgabe der Stimulatorbatterie in Rechnung zu stellen, so dass die meisten Zentren heute eine tiefe Hirnstimulation im Nucleus subthalamicus bei Parkinsonpatienten favorisieren. Eine endgültige Beurteilung, welches Hirnareal zu den besten Therapieerfolgen bei Parkinsonpatienten führt (Pallidum versus Nucleus subthalamicus) wird jedoch noch wissenschaftlich kontrovers diskutiert. In der Regel sind mehrere ambulante oder stationäre Aufenthalte erforderlich, um zu entscheiden, welcher Zielpunkt individuell am besten geeignet ist. Interessanterweise scheint der Globus pallidus einen vielversprechenden Zielpunkt darzustellen für die Linderung weiterer Bewegungsstörungen, wie z.B. unterschiedliche Formen der Dystonie. 3) Thalamus Der Ncl. ventralis intermedius des Thalamus (VIM) eignet sich am besten für Patienten mit einem sogenannten essentiellen Tremor, einer Erkrankung, die vom Laien mit der Parkinsonerkrankung leicht verwechselt werden kann. Im Gegensatz zum typischen 6/12 Ruhetremor bei Parkinson-Patienten leiden die Patienten mit einem essentiellen Tremor jedoch vorrangig an einem sogenannten Halte- und Aktionstremor. Diese Tremorform äußert sich verstärkt bei Tätigkeiten, z. B. wenn man ein Glas zum Mund führt. Die Behinderung durch den essentiellen Tremor ist bei Patienten in der Regel deutlich stärker ausgeprägt als bei Parkinsonpatienten mit einem Ruhetremor, wo der Tremor bei Tätigkeiten verschwindet. Wichtig: Patienten mit einem essentiellen Tremor weisen kein Dopamin-Defizit (im nigrostriatalen System) auf. So spricht diese Tremorform auch nicht auf dopaminerge Medikation an. Durch die Elektrodenimplantation im Thalamus kann der essentielle Tremor z. T. dramatisch dauerhaft gebessert werden, so dass dieses Verfahren sowohl in Europa als auch in den USA als erstes Elektroden-Verfahren zur Therapie von Tremor zugelassen wurde. Bei den meisten Parkinson-Patienten steht neben der Behinderung durch den Tremor ganz wesentlich auch eine Minderung der Lebensqualität durch die Bradykinese und den Rigor im Vordergrund. Diese Symptome können jedoch nicht ausreichend durch eine Stimulation im Thalamus gebessert werden. Entsprechend besteht bei den meisten Zentren heute Übereinkunft, dass Parkinson-Patienten nur in Ausnahmefällen (z. B. bei stark ausgeprägtem Tremor ohne weitere Parkinsonsymptome) im Thalamus operiert werden sollten (siehe Punkt 1). Ablauf der Operation: Um die Zielpunkte millimetergenau zu erreichen, wird auf das in den 40-iger Jahren entwickelte sogenannte „stereotaktische“ Verfahren zurückgegriffen. Hierzu wird ein 3-dimensionales Ringsystem (stereotaktischer Rahmen) um den Kopf des Patienten gespannt. Mit Hilfe dieses Ringsystems und unter Zuhilfenahme von aufwendigen Berechnungen ist es möglich, millimetergenau und patientenindividuell tiefe Hirnareale zu erreichen. Hierbei ist es nicht erforderlich das Gehirn freizulegen oder größere Teile der Schädeldecke zu öffnen. Das Anlegen des stereotaktischen Rahmens erfolgt in der Regel in Kurznarkose. Dann erfolgt schmerzlos die Schädelöffnung (Lochgrösse ca. 10 mm) mittels eines kleinen Bohrers. Anschließend wird die Narkose ausgeschlichen, um eine Testelektrode bis kurz vor den berechneten Zielpunkt vorzuschieben. Dieser Teil des Eingriffs erfolgt nur noch in örtlicher Betäubung, da die Mitarbeit des Patienten 7/12 benötigt wird, um mögliche Nebenwirkungen (Kribbeln, Sprechstörungen, Augenbewegungsstörungen, Muskelverkrampfungen usw.) festzustellen und insbesondere auch um den Effekt der Stimulation auf die ParkinsonSyndrome beurteilen zu können. Während der Operation wird vorrangig der Rigor bzw. ein eventuell vorhandener Tremor vom behandelnden Neurologen zur Beurteilung einer optimalen Lokalisation herangezogen. Die Fortführung des Eingriffs kann in örtlicher Betäubung vorgenommen werden, da Eingriffe im Gehirn selbst schmerzfrei sind. Ggf. kann die Beurteilung des Therapieerfolges durch spezielle elektrophysiologische Ableitungen von der eingeführten Testelektrode ergänzt werden. Zur Beurteilung eines optimalen Therapieerfolges während der Operation ist es erforderlich, dass die Parkinson-Medikation spätestens am Vorabend abgesetzt wird, um ausgeprägte Symptome im OP sicherzustellen. Die Dauer des Eingriffes variiert von Zentrum zu Zentrum sowie von Patient zu Patient und beträgt zur Zeit ca. 6-12 Stunden. Wenn nach sorgfältiger Testung der optimale Stimulationspunkt gefunden ist (wenig oder keine Nebenwirkungen und deutliches Nachlassen von Rigor bzw. Tremor), wird unter Röntgenkontrolle die endgültige 4-polige Elektrode platziert und am Schädel befestigt. Die meisten Zentren werden nach diesem Eingriff zunächst die Elektroden nach außen ableiten, um ihre Wirksamkeit nochmals unabhängig vom operativen Eingriff mit einem externen Stimulator zu überprüfen (Vermeidung von Narkose-Effekten). Die Elektrode, die im Gehirn implantiert wird, besteht aus vier isolierten Drähten, die mit vier elektrischen PlatinIridium-Kontakten verbunden sind. Sie hat einen Durchmesser von 1.3 mm. Die implantierte Elektrode wird mit einer Kabelverlängerung, die unter der Haut vorgeschoben wird, mit einem endgültigen batteriebetriebenen Impulsgeber verbunden. Hierfür ist eine zweite OP-Sitzung in Vollnarkose erforderlich, die in der Regel 2-7 Tage nach dem ersten Eingriff erfolgt. Der Impulsgeber besteht wie ein Herzschrittmacher aus einem kleinen, versiegelten Titangehäuse (etwa so groß wie zwei 8/12 Streichholzschachteln) mit der Batterie und der Elektronik für die Einstellung Impulsgeber wird der auf Stimulationsparameter. dem Brustmuskel oder Der im Unterhautfettgewebe (Bauch) eingepflanzt und anschließend mit dem unter der Haut liegenden Elektrodenkabel verbunden. Hiermit sind in der Regel kaum kosmetische Beeinträchtigungen verbunden. Zum Einsatz kann entweder ein Stimulator für eine Elektrode (Soletra) oder ein Stimulator für zwei Elektroden (KINETRA) kommen. Mit diesen Impulsgebern und mit Hilfe eines von außen anlegbaren Programmiergerätes ist es nun möglich, die für den Patienten optimale Lokalisation und Stimulationsintensität einzustellen, die eine optimale Symptombesserung ohne Auftreten von Nebenwirkungen ermöglicht. Während beider Operationen werden Nährlösungen verabreicht (Infusionen), um einer Austrocknung vorzubeugen. Zusätzlich erfolgen krankengymnastische Übungen, um den Verkrampfungen während der Operationen entgegenzuwirken. Nach den Erfahrungen der meisten Patienten ist der Eingriff retrospektiv weitaus weniger belastend als vor der Operation befürchtet. Operationsrisiko Jeder operative Eingriff ist mit einem Risiko für Blutungen und Infektionen behaftet. Im Vergleich zu anderen Gehirnoperationen sind die Risiken einer stereotaktischen Operation jedoch relativ gering. Bei ca. 1-4% (diese Zahlen können geringfügig von Zentrum zu Zentrum variieren) der operierten Fälle können Blutungen oder seltener Infektionen im Gehirn durch die Elektrodenimplantation auftreten, die zu vorübergehenden oder seltener auch zu dauerhaften Schäden führen. Wenngleich diese Zahl auch gering anmutet, unterstreicht sie dennoch, dass erst alle konservativen Therapieoptionen vor einer stereotaktischen Operation ausgenutzt werden sollten. 9/12 Nachbetreuung: Die Nachbetreuung --- und dies gilt besonders für Patienten mit einer Neurostimulation im Nucleus subthalamicus oder im Pallidum --- ist der zeitlich aufwendigste Teil des operativen Eingriffes. Er dient einer möglichst optimalen Abstimmung zwischen Medikamentenwirkung und Wirkung des Neurostimulationssystems. Hierzu ist es erforderlich, dass die vier Kontakte der implantierten Elektrode einzeln überprüft werden. Diese Testung erfolgt, wie schon während der Operation, ohne Medikamente, um den isolierten Stimulationseffekt zu erfassen. Dazu wird der Arzt mit Hilfe eines Programmiergerätes jeden Pol der Elektrode einzeln ansteuern. Dauerhafte Nebenwirkungen (z. B. Kribbelgefühle, Sprechstörungen, Lichtblitze) können durch Anpassung der Stimulationsparameter in der Regel vollständig vermieden werden. Postoperativ sind hierzu ca. 2-3 Wochen erforderlich, um Medikamente und Stimulationsparameter aneinander anzupassen. Gleichzeitig kann während dieses stationären Aufenthaltes die Wundheilung überprüft werden. Dem Patienten kann Weiterversorgung ausgehändigt ein werden Funktion kann vorgegebene Einstellungen die ambulante Patienten-Steuergerät werden, ordnungsgemäße überprüft für mit des sowie dem die Stimulators ggf. verändert einige werden können. Da sich während des operativen Eingriffs oft ein Ödem (Wassereinlagerung mit der Folge eines sogenannten Mikroläsionseffektes) um die Elektrode bildet, welches sich zum Teil erst nach einigen Wochen zurückbildet, ist regelmäßig nach 3 Monaten ein erneuter stationärer Aufenthalt erforderlich, um eine endgültige Elektrodeneinstellung und eine erneute Medikamentenanpassung vorzunehmen. Ziel dieser postoperativen Einstellung ist keineswegs vorrangig die größtmögliche Verminderung der Parkinson-Medikamente, sondern das Erreichen einer optimalen Symptomreduktion. Nur in wenigen Einzelfällen kann postoperativ ganz auf Medikamente verzichtet werden. Postoperativ können bei bis zu ca. 10% der Patienten mit einer Nucleus subthalamicusStimulation psychische Veränderungen beobachtet worden. Dabei können sowohl depressive als auch hypomanische (euphorische) Zustände auftreten. Diese psychischen Störungen sollten im Rahmen eines stationären Aufenthaltes aufgefangen werden. Ihre Ursache ist noch nicht 10/12 endgültig geklärt, jedoch sind sie am ehesten multifaktoriell bedingt. Auslösende Faktoren können z. B. eine zu schnelle Verminderung der L-Dopa-Medikation (Depression), zu hohe Erwartungshaltung an den operativen Eingriff (keine Heilung) und auch Veränderungen im familiären oder persönlichen Umfeld (der vormals schwer betroffene Parkinson-Patient ist wieder beweglich) darstellen. Manchmal müssen Patienten auch erneut lernen, mit der neu gewonnenen Beweglichkeit umzugehen, z. B. um Stürze zu vermeiden, die durch zu schnelles Gehen bei noch bestehenden „Rest“-Symptomen (z. B. Gleichgewichtsstörungen) hervorgerufen werden. Einige Patienten nehmen nach der Operation deutlich an Gewicht zu. Dieser Effekt wird von den meisten der Patienten jedoch positiv wahrgenommen, da Parkinsonpatienten häufig aufgrund der wechselnden Beweglichkeit untergewichtig sind. Die Langzeiterfahrungen mit der Neurostimulation sind noch begrenzt. Als sicher kann jedoch gelten, dass die Stimulationseffekte im Nucleus subthalamicus über einen Zeitraum von vielen Jahren, z. T. sogar nach bis zu 9 Jahren stabil sind. Dies könnte darauf hin deuten, dass durch eine Neurostimulation im Nucleus subthalamicus, das Fortschreiten der Erkrankung verzögert werden könnte (neuroprotektiver Effekt?). Diese Hypothese wird jedoch wissenschaftlich und tierexperientell noch kontrovers diskutiert. Die Batterien des Impulsgebers haben in der Regel eine Lebenszeit von 3-6 Jahren in Abhängigkeit vom erforderlichen Stromverbrauch. Nach diesem Zeitraum ist eine erneute, allerdings nur kleine Operation erforderlich, um den Impulsgeber auszuwechseln. Dieser Eingriff, der nur einen kleinen Hautschnitt am Ort des Impulsgebers notwendig macht, wird meist ambulant erfolgen können. Vorsichtsmassnahmen Besondere Vorsichtsmassnahmen sind für Patienten mit einem Hirnschrittmacher im Alltag nicht erforderlich. Bis auf Sportarten, die mit heftigen Kopferschütterungen einhergehen (z. B. Boxen; Risiko der Elektrodenverschiebung), ergeben sich im täglichen Leben keine Einschränkungen. Allerdings sollten bestimmte medizinische Untersuchungen oder Heilverfahren nur nach Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt durchgeführt werden. So hat sich gezeigt, dass eine sogenannte Diathermiebehandlung, wie sie z. B. von einigen Rehabilitations-Zentren oder auch Zahnärzten zur Behandlung von Muskelkrämpfen oder Schmerzen unterstützend eingesetzt wird, unbedingt vermieden werden muss. Hierbei sind in Einzelfällen durch Erwärmung an den Elektrodenkontakten im Gehirn tragischerweise z. T. 11/12 nicht behebbare Schäden gesetzt worden. Sie sollten Ihren Arzt konsultieren, falls diagnostische Maßnahmen geplant sind, die mit erheblichen Magnetfeldern einhergehen, wie z. B. die Kernspintomographie. Ergänzend sei erwähnt, dass der gleichzeitige Einsatz von Herz- und Hirnschrittmacher prinzipiell möglich ist, aber der Rücksprache zwischen dem Neurologen und Kardiologen bedarf. Die üblichen Haushaltsgeräte stellen keine Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Neurostimulators dar, insbesondere ist wahrscheinlich auch eine Handynutzung problemlos möglich. Kosten: Die Kosten der Operation belaufen sich alleine für das Stimulationsgerät mit den Elektroden auf ca. 15 000.-Euro. Zusammen mit der prä- und postoperativen Diagnostik und Betreuung entstehen damit ca. Kosten in Höhe von 30 000.- Euro. Dem sind allerdings neben dem Gewinn an Lebensqualität durch die Symptombesserung die postoperativen Einsparungsmöglichkeiten gegenüber zu stellen (Medikamentenreduktion). Prinzipiell werden die Kosten von den Krankenkassen erstattet, wobei eine abschließende bundeseinheitliche Regelung fehlt. So werden die Kosten entweder aus dem Krankenhausbudget (ggf. Sonderentgelt) oder auf Einzelantrag erstattet. Es ist zu hoffen, dass durch die Einführung eines neuen Kostenabrechnungssystems (Stichwort DRG, disease related groups) diese für Patienten und Ärzte gleichermaßen unbefriedigende und unklare Situation bald geregelt wird. 12/12