Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Prof. Dr. med. Thomas Römer Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Evangelisches Krankenhaus Köln-Weyertal VNR: 2760909004214060015 Gültigkeitsdauer: 01.01.2013 – 01.01.2014 1. Einleitung Über fünfzig Jahre nach der Einführung der Pille im Jahr 1960 ist die orale Kontrazeption heute die häufigste Form der Empfängnisverhütung in den Industrienationen. Derzeit verwenden nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. [DGGG 2010] 38,5% der 17,2 Millionen Frauen in Deutschland im gebärfähigen Alter zwischen 14 und 44 Jahren orale Kontrazeptiva (OK). Die Zusammensetzung moderner OK unterscheidet sich von den frühen auf dem Markt erhältlichen Pillen maßgeblich. Während das erste verfügbare orale Kombinationspräparat (KOK) im Vergleich zu den heutigen Produkten sehr hohe Hormonmengen enthielt [Sator et al. 2004], sind moderne orale Verhütungsmittel wesentlich geringer dosiert [Edgren 1991]. Damit sind die neuen Pillen allgemein nebenwirkungsärmer als ältere orale Kontrazeptiva. Dennoch sind sie kontrazeptiv sicher und zuverlässig, und darüber hinaus gewährleisten sie eine hohe Zyklusstabilität. Doch neben der Wirksamkeit, Sicherheit und Zyklusstabilität spielt auch der therapeutische Zusatznutzen eine zunehmende Rolle bei der Wahl oraler Kontrazeptiva. So belegen verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen den günstigen Einfluss Estrogen- und Gestagen-haltiger Präparate auf unerwünschte Begleiterscheinungen wie Akne, das prämenstruelle Syndrom und Dysmenorrhoe [Göretzlehner und Römer 2010, Kiley und Hammond 2007, Sator et al. 2004]. Die vorliegende Fortbildung gibt einen Überblick über die Zusammensetzung, Wirksamkeit, und Sicherheit oraler Kontrazeptiva und erläutert verschiedene therapeutische Zusatzeffekte, die moderne OK aufweisen. Hierbei wird auch anhand neuester Studienergebnisse der Status Quo bei der Behandlung zyklusbedingter Beschwerden mit Estradiol-basierten Kombinationspräparaten beschrieben. 2. Orale Kontrazeptiva 2.1 Wirkungen oraler Kontrazeptiva Alle Stoffwechselvorgänge der weiblichen Reproduktion werden durch die Wirkung von Estrogenen und Gestagenen auf die Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse gesteuert. Dabei hängt die Art des biologischen Effektes – positives oder negatives Feedback – maßgeblich von dem Verhältnis der beiden Hormone zueinander und von der zeitlichen Abfolge ab. Im Allgemeinen werden die Estrogene vor den Gestagenen wirksam [Göretzlehner et al. 2011]. Hormonelle Kontrazeptiva enthalten synthetische Hormone, die sich die natürlichen regulierenden Funktionen der Estrogene und Gestagene zunutze machen. So bewirken vor allem die Gestagene eine negative Rückkopplung an Hypothalamus und Hypophyse (Abbildung 1, Seite 2), wodurch die Ausschüttung des Gonatropin-Releasing Hormons (GnRH) und der Gonadotropine verhindert wird. In der Folge wird der Eisprung unterdrückt. Daneben verhindern Gestagene eine Proliferation des Endometriums und erschweren dadurch die Nidation (Einnistung) im Uterus. Außerdem erhöhen sie die Viskosität des Zervixschleims und vermindern damit die Penetrationsfähigkeit der Spermien in den Eileiter [Keskin und Köffers 2010, Kiley und Hammond 2007]. Auch die in OK enthaltenen Estrogene haben weitere Funktionen: So sind sie insbesondere für die Aufrechterhaltung der Zyklusstabilität zuständig und verhindern Schmier- und Durchbruchblutungen [Kiley und Hammond 2007]. 1 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 1 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Hypothalamus Hypophyse Negative Rückkopplung an Hypothalamus und Hypophyse durch Gestagene und Estrogene Förderung der Zyklusstabilität, Verhinderung von Blutungsunregelmäßigkeiten durch Estrogene Viskositätserhöhung des Cervixschleims durch Gestagene Verhinderung der Endometriumsproliferation und Erschwerung der Nidation durch Gestagene Abbildung 1: Wirkmechanismus hormoneller Kontrazeptiva. Die Hauptwirkung der Estrogen- und Gestagenkomponente [modifiziert nach Keskin und Köffers 2010] 2.2 Nebenwirkungen oraler Kontrazeptiva Zwar enthalten moderne orale Kontrazeptiva nur noch geringe Hormonmengen. Dennoch kann die Einnahme von OK neben der erwünschten empfängnisverhütenden Wirkung auch unerwünschte Nebenwirkungen zur Folge haben. Zu den nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen oraler Kontrazeptiva gehören unangenehme Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Gewichtszunahme, Hautunreinheiten, Kopfschmerzen, Verstimmungen, Spannungen in den Brüsten sowie Libidoveränderungen. Auch Zwischenblutungen oder ein gänzliches Ausbleiben der Abbruchblutung kommen – je nach verwendetem OK – vor [DGGG 2010, Keskin und Köffers 2010]. Die schwerwiegenden Nebenwirkungen, die mit hormonellen Kontrazeptiva in Verbindung gebracht werden, umfassen thromboembolische und kardiovaskuläre Ereignisse (besonders bei Risikopatientinnen). Auch eine gering erhöh- te Inzidenz von Mamma- und Zervixkarzinomen werden als mögliche Folge einer lang andauernden Pilleneinnahme diskutiert [DGGG 2010, Keskin und Köffers 2010, Kiley und Hammond 2007]. Bei anderen Krebsformen wiederum senken OK das Erkrankungsrisiko, wie zum Beispiel beim Ovarial- und Endometriumkarzinom oder beim kolorektalen Karzinom [Hannaford et al. 2010]. Die größte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten venöser Thromboembolien (VTE) durch orale Kontrazeptiva besteht im ersten Anwendungsjahr; sie steigt mit zunehmender Estrogendosis. Die in Tabelle 1, Seite 3, dargestellten Daten zur Risikoerhöhung thromboembolischer Ereignisse im Zusammenhang mit hormoneller Kontrazeption wurden 2011 von der Deutschen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF e.V.) und dem Berufsverband der Frauenärzte (BVF e.V.) publiziert. 2 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 2 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Tabelle 1: Anzahl venöser Thromboembolien und Risikoerhöhung bei hormoneller (oraler) Kontrazeption [modifiziert nach Rabe et al. 2011] Art der oralen Kontrazeption Venöse Thromboembolien (Anzahl pro 10.000 Frauenjahre) Risiko Nichthormonell 3-4 Kein erhöhtes Risiko Estrogenfreie OK 3-4 Kein oder leicht erhöhtes Risiko KOK mit < 50 +g Ethinylestradiol, zusätzlich Norethisteron, Norethisteronacetat, Levonorgestrel, Norgestimat, Chlormadinonacetat, Dienogest; 3-10 Moderat erhöhtes Risiko 6-14 Moderat erhöhtes Risiko KOK mit Estradiolvalerat, zusätzlich Dienogest KOK mit < 50 +g Ethinylestradiol zusätzlich Desogestrel, Gestoden, Cyproteronacetat oder Drospirenon Auch das Herzinfarktrisiko sowie die Rate ischämischer Schlaganfälle sind – wenn auch in geringem Maße – bei Einnahme oraler Kombinationspräparate erhöht. Zu diesem Schluss kam eine aktuelle Kohortenstudie der Universität Kopenhagen. Frauen, die niedrig dosierte Ethinylestradiol-haltige Präparate einnahmen (Ethinylestradiol-Konzentration: 20 +g), waren einem bis zu 1,7-fach erhöhten Schlaganfall- und einem bis zu 1,55-fach erhöhten Herzinfarktrisiko ausgesetzt im Vergleich zu Frauen, die keine hormonellen Kontrazeptiva verwendeten. Bei höher-dosierten KOK (Ethinylestradiol-Dosierung: 30-40 +g) war das Schlaganfallrisiko bis zu 2,2-fach und das Herzinfarktrisiko bis zu 2,3-fach erhöht [Lidegaard et al. 2012]. Zur Assoziation oraler Kontrazeptiva mit Krebserkrankungen gibt es eine Reihe Publikationen [Kiley und Hammond 2007]. Eine große wissenschaftliche Untersuchung, die 2010 letztmals aktualisiert wurde, kam zu folgendem Ergebnis: Bei Frauen, die die Pille über einen sehr langen Zeitraum einnahmen (23.377 Frauen, Beobachtungszeitraum: 774.000 Frauenjahre) zeigte sich im Vergleich zu Probandinnen, die niemals orale Kontrazeptiva nutzten (23.796 Frauen, Beobachtungszeitraum: 339.000 Frauenjahre) ein nur leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko sowie eine gering erhöhte Zervixkarzinomrate [Hannaford et al. 2007]. Die Wahrscheinlichkeit eines Ovarial- oder Endometriumkarzinoms war dagegen bei den OK-Anwenderinnen reduziert. Deshalb führte die Einnahme der Pille insgesamt gesehen zu keiner signifikanten Veränderung des Krebsrisikos [Hannaford et al. 2007]. 2.3 Zusammensetzung und Darreichungsformen oraler Kontrazeptiva Die auf dem Markt verfügbaren oralen Kontrazeptiva unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer Zusammensetzung als auch ihrer Darreichungsform. Zu den in heutigen KOK eingesetzten gängigen synthetischen Gestagenen zählen beispielsweise Levonorgestrel und Desogestrel, die androgene sowie antiestrogene Partialwirkungen aufweisen. Ein weiteres synthetisches Gestagen ist Dienogest, das im Gegensatz zu den zuvor genannten antiandrogene Partialwirkungen besitzt und zudem eine starke transformatorische Aktivität am Endometrium aufweist. Dienogest ist das einzige Gestagen, das extragenital keine antiestrogene Partialwirkung hat [Göretzlehner et al. 2011, Sator et al. 2004]. Als Estrogenkomponente wurde in KOK in der Vergangenheit nahezu ausschließlich Ethinylestradiol verwendet (Abbildung 2, Seite 4), ein synthetisches Derivat des natürlich vorkommenden Estradiols mit einer Ethinylgruppe in der 17_-Position. Ethinylestradiol (EE) weist eine deutlich stärkere Wirkung auf als natürliches Estrogen. Mit Estradiolvalerat, steht eine weitere Estrogenkomponente zur Verfügung, deren Wirkung in OK – im Gegensatz zu EE – auf natürlichem Estradiol basiert. Estradiolvalerat wird bereits im Dünndarm und während der ersten Leberpassage vollständig in Estradiol umgewandelt. 3 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 3 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen O HO OH C CH O H H HO HO HO Estradiol H Ethinylestradiol Estradiolvalerat Abbildung 2: Stukturformeln des natürlichen Estrogens Estradiol sowie von Ethinylestradiol und Estradiolvalerat Verabreicht werden heutige OK entweder als reine Gestagenpräparate oder als kombinierte OK (KOK) mit einer Gestagen- und einer Estrogenkomponente. Innerhalb dieser KOK unterscheidet man wiederum klassische einphasische Pillen von Sequential- und Stufenpräparaten. Einphasische KOK sind heute überwiegend Mikropillen, bei denen der Estrogenanteil definitionsgemäß unter 50 +g Ethinylestradiol pro Dragee liegt. Des Weiteren ist ein Einphasenpräparat mit Estradiol und Nomegestrolacetat im Schema 24+4 verfügbar. Es werden folgende Typen oraler Kontrazeptiva unterschieden: Weitere Typen oraler Kombinationspräparate Neben den einphasischen KOK unterscheidet man entsprechend der Hormonzusammensetzung zwischen Sequential- und Stufenpräparaten (Abbildung 3). Diese sind in der Regel genauso kontrazeptiv sicher und verträglich wie Einphasenpräparate, doch können sie auf Grund ihrer Zyklusangepasstheit und daraus resultierenden Estrogenbetontheit bei einigen Frauen durchaus vorteilhaft sein. Reine Gestagenpillen Zu den reinen (Estrogen-freien) Gestagenpräparaten gehören die so genannten Minipillen. Die in ihnen enthaltene Gestagendosis bleibt über die gesamte Einnahmedauer konstant (Abbildung 3, Seite 5). Sie ist allerdings so niedrig, dass der Anteil anovulatorischer Zyklen bei nur 15-20% liegt [Sator et al. 2004]. Die kontrazeptive Wirkung beruht hauptsächlich auf einer Blockierung der Spermienmigration, zum Beispiel durch die Erhöhung der Zervixschleim-Viskosität (Abbildung 1, Seite 2). Der Pearl-Index liegt mit 0,5-3 [DGGG 2010] etwas höher als der kombinierter oraler Kontrazeptiva. Inzwischen gibt es auch reine Gestagenpillen, die insofern eine Ausnahme zu den klassischen Minipillen bilden, als dass sie die Ovulation zuverlässig inhibieren. Dieser Estrogenfreie Ovulationshemmer (z. B. 75 +g Desogestrel) besitzt eine höhere kontrazeptive Wirkung als herkömmliche Minipillen (Pearl-Index: 0,14) [DGGG 2010]. Klassische einphasische Kombinationspräparate Bei den klassischen einphasischen Kombinationspräparaten (KOK) bleibt die Wirkstoffmenge von synthetischem Gestagen und Estrogen über die gesamte Einnahmedauer von meist 21 Tagen konstant (Abbildung 3). Die Hemmung der Ovulation beruht hauptsächlich auf einer Inhibition der Gonadotropinsekretion. Der Pearl-Index der KOK liegt allgemein zwischen 0,1-0,9 [DGGG 2010]. Zweiphasenpräparate (Sequentialpräparate) enthalten in der ersten Einnahmephase nur Estrogen, in der zweiten Phase Estrogen und Gestagen. Hierdurch lassen sich gestagenbedingte Beschwerden reduzieren [Keskin und Köffers 2010]. In Deutschland ist inzwischen jedoch kein Sequentialpräparat mehr erhältlich. Zweistufenpräparate enthalten im Gegensatz zu den Zweiphasenpräparaten bereits von der ersten Tablette an Gestagen, jedoch ist dies in der ersten Zyklushälfte niedriger dosiert als an den Folgetagen. Die Ethinylestradiol-Dosis bleibt hingegen konstant oder wird im Zyklusverlauf reduziert. Dreistufenpräparate orientieren sich in ihrer Zusammensetzung noch stärker am natürlichen Zyklus. Die Estrogen-Gestagen-Kombination ändert sich entsprechend in drei Stufen. 4 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 4 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Normalzyklus Reine Gestagenpille Einphasenpräparat klassisches Kombinationspräparat Zweiphasenpräparat (Sequentialpräparat) Zweistufenpräparat Dreistufenpräparat Präparat mit dynamischem Dosierungsschema Zyklustage 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 2 5 26 27 28 Einnahmetag Gestagen Estrogen Abbildung 3: Zusammensetzung oraler Kontrazeptiva im Verlauf des Einnahmezyklus Insgesamt werden heutzutage einphasische Kombinationspräparate auch im so genannten Langzyklus oder als kontinuierliche Langzeitanwendung (Off-Label-Use) angewandt. Statt der früher üblichen 21-tägigen Einnahmephase, der eine 7-tägige Pillenpause folgte, wird im Langzyklus auf das pillenfreie Intervall verzichtet – das OK wird über mehrere Monate hinweg „durchgenommen“ [Römer und Göretzlehner 2012]. Während des Langzyklus kommt es nicht zu einem Abfall des Hormonspiegels. Zyklusbedingte Beschwerden können auf diese Weise reduziert werden und die Hormonentzugsblutung bleibt aus [Göretzlehner und Römer 2010]. Präparate mit dynamischem Dosierungsschema Seit 2009 ist ein orales Kontrazeptivum mit dynamischem Dosierungsschema am Markt. Es enthält als Gestagenkomponente Dienogest und als Estrogenkomponente Estradiolvalerat (Abbildung 2, Seite 4), in der für jeden Tag jeweils niedrigsten effektiven Dosis. Dienogest wirkt sehr spezifisch am Progesteronrezeptor. Es hat eine niedrige Transformationsdosis und inhibiert den Aufbau des Endometriums. Dieser ausgeprägte gestagene Effekt macht die Verwendung von Estradiol bzw. Estradiolvalerat anstelle von Ethinylestradiol als zweite Hormonkomponente möglich. Präparate mit dynamischem Dosierungsschema enthalten in den ersten beiden Tagen des Zyklus ausschließlich die Estrogenkomponente, wodurch eine anfängliche geringfügige Endometriumproliferation und die Blutstillung sichergestellt werden sowie die Progesteronrezeptor-Synthese veranlasst wird. Zwischen Tag 3 und Tag 24 ist zusätzlich das Gestagen enthalten [Sator et al. 2004]. Während die Gestagen-Dosis über den Zyklus ansteigt, wird die Estrogen-Dosis reduziert. Es folgen zwei Tage (Tag 25 und 26), in denen lediglich Estrogen als Hormon eingenommen wird sowie zwei Tage (Tag 27 und 28) mit wirkstofffreien Tabletten (Abbildung 3). Durch dieses spezielle dynamische Dosierungsschema ist die Hormondosis bei zuverlässig kontrazeptiver Wirkung (Pearl-Index: 0,42) bestmöglich an die Erfordernisse jedes einzelnen Zyklustages angepasst. Das 28-tägige Einnahmeschema verhindert, dass Pausen zwischen den Einnahmen entstehen, was die Anwendung des Präparates vereinfacht und eine bessere Compliance erwarten lässt. 3. Positive Wirkungen oraler Kontrazeptiva – die Studienlage Eine Pille muss zuverlässig wirken und außerdem gut verträglich sein – diese Aspekte sind dem Großteil der Frauen wichtig. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt für die meisten Anwenderinnen ist die Zyklusstabilität. Aber auch der Zusatznutzen, den orale Kontrazeptiva haben können, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. 5 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 5 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen 3.1 Zusatzeffekte oraler Kontrazeptiva Der Zusatznutzen oraler Kontrazeptiva wurde in einer Reihe von Studien für folgende zyklusbedingte Beschwerden belegt: Akne und Seborrhoe Akne ist mit einer Prävalenz bis zu 90% ein häufiges und oft belastendes Problem von Teenagern [Perkins et al. 2012]. Meist wird sie ausgelöst durch eine verstärkte ovarielle Androgenproduktion. Kombinierte orale Kontrazeptiva besitzen verschiedene (mehr oder minder starke) antiandrogene Effekte, die einen günstigen Einfluss auf Akne und Seborrhoe gezeigt haben [Arowojolu et al. 2012]. Alle Gestagene hemmen die HypothalamusHypophysen-Ovar-Achse und supprimieren dadurch die Androgenbiosynthese in den Ovarien. Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung wie Dienogest führen darüber hinaus durch Rezeptorblockade zu einer kompetitiven Verdrängung der Androgene vom Androgenrezeptor. Ethinylestradiol und andere Estrogene steigern die Bildung von Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG), das wiederum den Anteil freien Androgens reduziert [Ludwig et al. 2006]. Prämenstruelles Syndrom (PMS) Das prämenstruelle Syndrom tritt bei etwa 20-40% der Frauen im gebärfähigen Alter auf [Kleine-Gunk 2003]. Es äußert sich typischerweise in emotionalen und psychovegetativen sowie somatischen Veränderungen, die in der Lutealphase beginnen und sich bis zum Einsetzen der Regelblutung verstärken. Eine Sonderform ist das prämenstruelle dysphorische Syndrom (PMDS), das bei bis zu 5% der Betroffenen auftritt und dessen Hauptkennzeichen besonders schwere emotionale Probleme sind [KleineGunk 2003]. Einige Studien konnten belegen, dass eine Kombination aus Estrogen und Gestagen einen positiven Einfluss auf das PMS hat. Besonders gut belegt ist die Wirkung für eine Kombination aus Ethinylestradiol und Drospirenon [Lopez et al. 2012], aber auch andere Präparate, wie beispielsweise Ethinylestradiol/ Chlormadinonacetat-Kombinationen, konnten einen ausgleichenden Effekt hervorrufen [Zahradnik et al. 2010]. Dysmenorrhoe Unter Schmerzen während der Regelblutung leiden mit einer Prävalenz von über 50% vor allem junge Frauen, 20-25% sind behandlungsbedürftig. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Regelschmerzen spielt das Prostaglandinsystem. Daher zielt die Behandlung der Dysmenorrhoe auf eine Hemmung der Prostaglandinsynthese, die unter anderem im Endometrium stattfindet, ab. Wünscht die betroffene Frau gleichzeitig eine sichere Empfängnisverhütung, sind hormonelle Kontrazeptiva die Mittel der Wahl. Denn unter dem Hormoneinfluss wird deutlich weniger Endometrium aufgebaut, sodass geringere Mengen Prostaglandine synthetisiert werden. Dazu kommt, dass bestimmte Gestagene die Prostaglandinsynthese auch direkt inhibieren [Zahradnik et al. 2010, Kiley und Hammond 2007]. Auch auf die sekundäre Dysmenorrhoe, häufig bedingt durch eine Endometriose oder Adenomyosis, haben orale Kontrazeptiva einen positiven Effekt, wodurch Schmerzen reduziert werden können. Menstruelle Migräne Menschen, die unter Migräne leiden, besitzen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. [Heinze et al. 2005]. Bei einer Migräne mit Aura sind KOK kontraindiziert. Tritt die Migräne bei Einnahme von KOK jedoch nur während der einwöchigen Pillenpause und ohne Aura auf, ist der Auslöser der Migräneattacke meist im Estrogenentzug zu suchen. In diesem Falle kann ein niedrig dosiertes einphasisches Präparat im Langzyklus oder besser als Langzeiteinnahme (Off-Label-Use) zu einer Besserung führen. Es hat sich außerdem gezeigt, dass sich auch die Einnahme reiner Gestagenpräparate günstig auf Migräneattacken auswirken kann [Nappi et al. 2011]. 3.2 Zusatznutzen Estradiolvalerat/Dienogest-haltiger OK bei Kopf- und Unterleibsschmerzen: aktuelle Studienergebnisse Im natürlichen Zyklus wie auch bei der Einnahme von KOK kommt es regelmäßig in der Pause zu einem Hormonabfall, der zu verschiedenen unerwünschten Begleiterscheinungen führen kann. Die im Folgenden vorgestellte Studie hat den Effekt zweier unterschiedlicher oraler Kontrazeptiva auf hormonentzugsbedingte Kopf- und Unterleibsschmerzen bei 391 Frauen während einer Dauer von sechs Behandlungszyklen untersucht [Macias et al. 2012]. Dazu wurden in einer randomisierten doppelblinden Phase-IIIb-Studie ein einphasisches KOK, das 150 +g Levonorgestrel (LNG) und 30 +g Ethinylestradiol (EE) enthielt, mit einem Estradiol-basierten Präparat mit dynamischem Dosierungsschema verglichen. Letzteres enthielt die Estrogenkomponente Estradiolvalerat (E2V), die im Körper zu Estradiol umgesetzt wird, sowie das Gestagen Dienogest (DNG) (siehe Kasten, Seite 7) [Macias et al. 2012]. Über sechs Zyklen erhielten die Probandinnen entweder das E2V/DNG-haltige Präparat oder das EE/LNGhaltige Vergleichsmedikament. Untersucht wurde die durchschnittliche subjektive Schmerzempfindung für die Hormonentzugserscheinungen „Kopfschmerzen“ und „Unterleibsschmerzen“. Zur Ermittlung der subjektiven Schmerzempfindung wurden die drei höchsten VAS-Werte zwischen Tag 22 und Tag 28 pro Visite und Behandlungsart berechnet. (VAS: Visuelle Analogskala: 0= kein Schmerz, 10= unerträglicher Schmerz). 6 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 6 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Dynamisches Dosierungsschema des Estradiolvalerat/Dienogest-haltigen Präparates: 2 Tableen mit 3 mg Estradiolvalerat 5 Tableen mit 2 mg Estradiolvalerat und 2 mg Dienogest 17 Tableen mit 2 mg Estradiolvalerat und 3 mg Dienogest 2 Tableen mit 1 mg Estradiolvalerat 2 Tableen, die keine Wirkstoffe enthalten Einschlussbedingungen für die Studie: 18-50-jährige Frauen Einnahme eines KOK (Einnahmeschema: 21/7) mit Levonorgestrel, Desogestrel oder Gestoden als Gestagenkomponente über mindestens 3 Monate mäßige oder starken Kopfschmerzen und/oder Unterleibsschmerzen während des hormonfreien Intervalls Neben der Schwere der Hormonentzugssymptome konnte auch die Häufigkeit der auftretenden Kopfund Unterleibsschmerzen durch das E2V/DNG-haltige Präparat stärker reduziert werden als durch die Einnahme der EE/LNG-haltigen Mikropille. Darüber hinaus griffen Frauen, die das E2V/DNG-haltige KOK mit dynamischem Dosierungsschema einnahmen, im Durchschnitt seltener zu Schmerzmedikamenten als die Vergleichsgruppe. Bei 60,1% der mit dem E2V/DNG-haltigen KOK Behandelten sank der VAS-Score auf die Hälfte. Demgegenüber halbierte sich in der Vergleichsgruppe der VAS-Score bei 46,4% der Patientinnen. Die Ergebnisse der Studie stehen mit der Theorie in Einklang, dass ein kürzeres hormonfreies Intervall Hormonentzugserscheinungen mindern kann [Macias et al. 2012]. Entscheidend für die Reduktion der Symptome ist aber wohl das dynamische Dosierungsschema des E2V/DNG-haltigen Präparates. Dieses bewirkt, dass die Estradiolspiegel im Zyklusverlauf nicht absinken, wodurch Estrogen-bedingte Entzugssymptome reduziert werden [Fruzetti et al. 2012, Sulak et al. 2000]. E2V/DNG-haltiges Präparat EE/LNG-haltiges Präparat VAS (mm) Mean + SD Mean + SD P < 0.01 80 60 40 20 0 Baseline Zyklus 6 Baseline Zyklus 6 Abbildung 4: Vergleich des Schweregrades der Kopfschmerzen (Tag 22-28) bei Studienbeginn und nach Zyklus 6. Braun: Estradiolvalerat/Dienogest-haltiges Präparat mit dynamischem Dosierungsschema. Ocker: Ethinylestradiol/ Levonorgestrel-haltiges Präparat. Der Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen ist statistisch signifikant (p<0,01) [modifiziert nach Macias et al. 2012] E2V/DNG-haltiges Präparat EE/LNG-haltiges Präparat Mean + SD Mean + SD P < 0.0001 80 VAS (mm) Von den 409 randomisierten Patientinnen durchliefen insgesamt 248 (60,6%) (Einschlusskriterien: siehe Kasten) die Studie vollständig. Nach sechs Monaten zeigte sich für beide OK eine Linderung der Hormonentzugssymptome „Kopfschmerzen“ (Abbildung 4) und „Unterleibsschmerzen“ (Abbildung 5). Die Behandlung mit dem E2V/DNGhaltigen Präparat (n=122) führte jedoch zu einer signifikant größeren Schmerzreduktion als die Therapie mit dem Vergleichspräparat (n=126). 60 40 20 0 Baseline Zyklus 6 Baseline Zyklus 6 Abbildung 5: Vergleich des Schweregrades der Unterleibsschmerzen (Tag 22-28) bei Studienbeginn und nach Zyklus 6. Braun: Estradiolvalerat/Dienogesthaltiges Präparat mit dynamischem Dosierungsschema. Ocker: Ethinylestradiol/Levonorgestrel-haltiges Präparat. Der Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen ist statistisch signifikant (p<0,0001) [modifiziert nach Macias et al. 2012] 7 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 7 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen 3.3 Zusatznutzen Estradiolvalerat/Dienogest-haltiger OK bei Hypermenorrhoe: aktuelle Studienergebnisse Zum Zusatzeffekt oraler Kontrazeptiva bei Hypermenorrhoe liegen ebenfalls wissenschaftliche Studiendaten vor. Ungefähr ein Drittel aller Frauen leiden irgendwann in ihrem Leben an einer Hypermenorrhoe, 5% der Betroffenen in den Industrienationen suchen deswegen jedes Jahr Hilfe bei ihrem Gynäkologen [Hurskainen et al. 2007]. Der außergewöhnlich hohe Blutverlust während der Menstruation hat häufig physische, soziale und emotionale Folgen und kann den Alltag der Betroffenen maßgeblich einschränken. Um Hypermenorrhoen zu therapieren, wenden Ärzte häufig chirurgische Verfahren an, beispielsweise die Endometriumablation. Zur Schmerzlinderung kommen Medikamente wie nichtsteroidale Antiphlogistika häufig zum Einsatz. Aber auch hormonelle Präparate wie KOKs mit einem dynamischen Dosierungsschema können sich – wie Studiendaten belegen – positiv auf starke Menstruationsblutungen auswirken: Zwei randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studien wurden über einen Zeitraum von sieben 28-tägigen Zyklen hinweg durchgeführt; eine Studie fand in Nordamerika statt (47 Zentren, n=190), die zweite in Europa und Australien (34 Zentren, n=231). Frauen mit einer zu starken Menstruationsblutung wurden im Verhältnis 2:1 in die Gruppe mit E2V/DNG-haltigem Präparat mit dynami- scher Dosierung (n=269) bzw. in die Placebogruppe (n=152) randomisiert. Die Studiendaten aus Nordamerika und die Daten aus Europa/Australien wurden gepoolt und die Ergebnisse der letzten 90 Behandlungstage mit denen der Einschlussphase verglichen [Fraser et al. 2011a]. Die Datenauswertung zeigte, dass das E2V/DNG-haltige OK den Blutverlust in einer 90-Tage-Periode um 72% gegenüber 14% in der Placebogruppe reduzierte (Abbildung 6). Umgerechnet bedeutet dies auf eine 90-Tage-Periode bei Frauen mit einer Hypermenorrhoe eine Reduktion des Blutverlustes um ca. 500 ml [Fraser et al. 2011b]. Wie weiterführende Datenanalysen ergaben, verbesserten sich außerdem die Hämoglobin-, Hämatokrit- und Ferritinwerte in der Behandlungsgruppe, während in der Placebogruppe kein Effekt auf die Eisenparameter beobachtet wurde [Jensen et al. 2011]. Auch die Alltagsaktivitäten konnten wieder besser bewältigt werden – Frauen, die das E2V/DNG-haltige Präparat einnahmen, waren im Schnitt leistungsfähiger als Frauen aus der Placebogruppe [Wasiak et al. 2010]. Aufgrund der bestehenden Zulassung und der hohen Effektivität sollte daher ein E2V/DNG-haltiges OK zur Behandlung einer Hypermenorrhoe und gleichzeitig gewünschter oraler Kontrazeption die Therapie der ersten Wahl sein. Mileres Volumen des Menstrualblutverlustes (ml) (72% Reduktion) 700 (14% Reduktion) 645 mL 639 mL 600 554 mL 500 400 300 200 176 mL 100 0 Letzten 90 90 Tage Einschlussphase Behandlungstage E2V/DNG-haltiges Präparat (N = 108) Letzten 90 90 Tage Einschlussphase Behandlungstage Placebo (N = 60) Abbildung 6. Absolutes Volumen des Menstrualblutverlustes. Braun: Estradiolvalerat/Dienogest-haltiges Präparat mit dynamischem Dosierungsschema. Ocker: Placebo [modifiziert nach Fraser et al. 2011b] 8 221112_CME_Orale Kontrazeptiva_v1.indd 8 29.11.12 08:14 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen 4. Fazit Neben der kontrazeptiven Wirkung sind zusätzliche Wirkungen hormoneller Kontrazeptiva von zunehmender Bedeutung. Diese sollten bei der Wahl des geeigneten oralen Kontrazeptivums mitberücksichtigt werden. Zahlreiche Studien haben den positiven Effekt hormoneller Kontrazeptiva auf bestimmte Erkrankungen und Beschwerden wie Akne, prämenstruelles Syndrom und Dysmenorrhoe gezeigt. Wissenschaftliche Daten belegen, dass Estradiol-basierte Präparate mit dynamischem Dosierungsschema positive Zusatzeffekte auf menstruationsbedingte Kopf- oder Unterleibsschmerzen sowie auf Hypermenorrhoen haben können. 5. Literatur 1. Arowojolu AO, Gallo MF, Lopez LM, et al. Combined oral contraceptive pills for treatment of acne. Cochrane Database Syst Rev 2012 Jul 11;7:CD004425 2. DGGG – ehemalige S1-Leitlinie AWMF 015/015; seit 2010 „sonstiger Text“. 2010. Online verfügbar unter: http://www.dggg.de/fileadmin/ public_docs/Leitlinien/2-4-5-antikonzeption-2010.pdf 3. Edgren RA. Oral contraception: a review. Int J Fertil 1991;36(Suppl 3):16-25 4. Fraser IS, Parke S, Mellinger U, et al. Effective treatment of heavy and/ or prolonged menstrual bleeding without organic cause: pooled analysis of two multinational, randomised, double-blind, placebo-controlled trials of estradiol valerate and dienogest. Eur J Contracept Reprod Health Care 2011a;16(4): 258-69 5. 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