Psychiatrische Diagnostik und Störungsbilder

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Forensische Psychiatrie
für Juristinnen und Juristen
Psychiatrische Diagnostik und Störungsbilder
Basel, 9. März 2016
Prof. Dr. med. Marc Graf
Forensisch Psychiatrische Kliniken
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Vorlesungsprogramm Forensische
Psychiatrie für Juristen 2016
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24. Februar
2. März
9. März
16. März
23. März
30. März
6. April
13. April
20. April
27. April
4. Mai
11. Mai
18. Mai
25. Mai
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1. Juni
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29. Juni
Einführung in das Thema und Geschichte der Forensischen Psychiatrie
keine Vorlesung
Psychiatrische Diagnostik und Störungsbilder
Persönlichkeitsstörungen, Dissozialität und Aggression
keine Vorlesung
Psychotrope Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikamente etc.)
KS: Begutachtung der Glaubhaftigkeit
Grundlagen der forensisch psychiatrischen Begutachtung + Schuldfähigkeit
Prognose, Risikobeurteilung
Sexualstraftäter
keine Vorlesung
strafrechtliche Massnahmen, forensische Therapie (Möglichkeiten und Grenzen)
deliktorientierte Psychotherapie
zivilrechtliche und verkehrspsychiatrische Begutachtung
Prüfung (Bernoullianum)
Nachprüfung (UPK Basel, Treffpunkt Porte UPK, Wilhelm Klein-Str. 27, 1815 Uhr)
Medizinische Diagnose
• Betroffenes Organsystem
• Aetiopathogenese (ursächlicher Entstehungsmodus)
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Verletzung
Entzündung
Degeneration
Neoplasie («Tumor»)
etc.
• Verlauf
• Prognose
Lebenszeitprävalenz einiger
psychischer Störungen
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Demenz
Alkohol (Abh./Missbrauch)
Drogen
«»
Sedativa, Anxiolytika etc.
Schizophrenien
Depression
Bipolar affektive Störung
Angststörungen
Zwangsstörungen
Persönlichkeitsstörungen
5 % > 65. LJ, altersabhängiger Anstieg
8 – 14 %
0.5 – 0.7 %
1%
0.5 – 1 %
10 – 25 % w, 5 – 12 % m
0.5 – 1.5 %
1.5 – 13 %
2.5 %
0.5 – 3 %
• Weltweit ähnliche Zahlen, zeitlich einigermassen stabil
Psychiatrische Diagnostik
• Anlass des Erstkontaktes
• Psychiatrische Untersuchung
• Fremdanamnese, Akten
Psychopathologie
• Lehre von den Symptomen psychischer Störungen
• Allgemeine Psychopathologie: systematische Beschreibung aller
vorkommenden Symptome
• Spezielle Psychopathologie: Symptome der einzelnen
Störungsbilder
Bewusstsein: wach, somnolent (schläfrig), komatös (nicht erweckbar)
Bewusstsein: weit oder eingeengt
Bewusstsein: getrübt
Orientierung: Zeit, Ort, Person, Situation
Auffassungsgabe
Konzentration
Denkstörungen
• Denken = Ordnen und Bewerten von Informationen, in Beziehung
setzen, Urteilen, Entscheiden, sich etwas vorstellen, Handlungen
vorbereiten
• Symbole des Denkens: Sprache und Schrift
• Denken ist abhängig von: Stimmung, Persönlichkeit,
soziokulturelles Umfeld, Intelligenz
• Denken kann beschleunigt oder verlangsamt ablaufen
• Bei inkohärentem Denken ist für den Aussenstehenden kein
Zusammenhang mehr erkennbar
SpinnenPhobie
WaschZwang
Wahn
• Krankhafte Fehlbeurteilung der Realität
• Oft groteske Deutung von alltäglichen Begebenheiten mit
erfahrungsunabhängiger besondere Gewissheit
• Betroffener braucht weder Begründung noch Beweis: logische
Gegenargumentation sinnlos, denn
• Widerspruch zu allgemein akzeptierten Überzeugungen führt nicht
zur Aufgabe des Wahns
• Wahn ist eine individuelle starre Überzeugung, die Erleben und
Handeln bestimmt und Betroffene schliesslich völlig isoliert
Wahnstimmung
Beziehungswahn
Verfolgungswahn
Grössenwahn
Sinnestäuschungen
Halluzinationen
• Illusion = Verfälschung einer wirklichen Wahrnehmung, meist
korrigierbar
• Halluzinationen = auf allen Sinnesgebieten vorkommende
Wahrnehmungserlebnisse
• Keine reale Reizquelle vorhanden
• Betroffener kann Halluzination nicht von realem Sinneseindruck
unterscheiden
Illusionäre Verkennung
Optische (szenische) Halluzination
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen
Akustische Halluzination: Stimmenhören
Ich-Störungen
• Üblicherweise können Menschen jeder Zeit zwischen sich und
Umwelt klar unterscheiden
• Diese Ich-Umwelt-Grenze geht bei Ich-Störungen verloren
• Depersonalisation: Patient erlebt sich selbst als verändert
• Derealisation: Patient erlebt Umfeld als verändert
• Gedankenausbreitung: Patient glaubt, alle wissen was er denkt
• Fremdbeeinflussungserleben: Patient fühlt sich durch fremde
Mächte gesteuert oder beeinträchtigt, z. B. aus dem Weltraum
bestrahlt
Depersonalisation
Derealisation
Gedankenausbreitung
Fremdbeeinflussungserleben
Störungen der Affektivität
• Affektivität = gesamtes Gefühlsleben eines Menschen,
Gestimmtheit, Befindlichkeit
• Affekte werden durch Mimik, Gestik und Sprache dargeboten =
Psychomotorik
• Affektlabil = rascher Stimmungswechsel, starker affektiver
Ausdruck
• Affektarmut, Affektstarre: geringer Ausdruck des Gefühlslebens,
mangelnde Ansprechbarkeit
• Ambivalenz: gleichzeitiges Vorhandensein verschiedener Gefühle
deprimiert, bedrückt, herabgestimmt, hoffnungslos, freudlos,
interessenlos
vital gestört, kraftlos, müde
Euphorie
Antriebsarmut, Antriebshemmung
Antrieb: Kraft, die physische und psychische Leistungen antreibt
Antriebssteigerung, motorische Unruhe
Psychomotorik: Stupor = bewegungslose Erstarrung vs.
hochgradiger Erregungszustand
Psychomotorik: theatralisch, manieriert
Intelligenz
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Erkenntnisvermögen
Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen
Finden optimaler Problemlösungen
Multi-Faktoren Konzept:
– Räumliches Vorstellungsvermögen
– Rechenfähigkeit
– Verbale Fähigkeiten (Sprachverständnis)
– Gedächtnis
– Verarbeitungsgeschwindigkeit
– Logisches Denken
• Verbale vs. praktische Intelligenz
• Scherzhaft: Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen.
Einteilungsmöglichkeiten psychischer
Störungen I
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Ursachen
Gehirn- oder Körperkrankheit
äussere Einflüsse (z.B. Gifte, Traumata)
reaktiv (belastende Ereignisse, Erlebnisse,
Lebensumstände)
"angeboren" (genetisch, früh erworben)
"endogen" (von innen heraus, eigengesetzlich
aber ohne erkennbare Ursache)
Verlauf
akut / chronisch
Beginn: plötzlich / schleichend
einmalige Episode / rezidivierend / längerfristig
oder ständig vorhanden
Einteilungsmöglichkeiten
psychischer Störungen II
Symptome wie
• Bewusstsein
• Orientierung
• Denken
• Gedächtnis
• Affektivität
• Wahn
• Intelligenz
• Sozialverhalten
Schweregrad
• leicht, mittel, schwer
Klassifikation psychischer Störungen
• Grundlegendes Konzept: z.B. rein deskriptiv vs. theoretische
Grundannahmen
• Zuordnungsprozess
• Notwendige Eigenschaften definieren
• Zuordnungsregeln: Ein- und Ausschluss-Kriterien
• Operationale Diagnostik: Genaue Handlungsanweisungen für die
Diagnosestellung
• Aufstellung von Kategorien mit ähnlichen Eigenschaften
ICD-10: International Statistical Classification
of Diseases and Related Health Problems
(WHO)
F0
F1
F2
F3
F4
Organische psychische Störungen
Störungen durch psychotrope Substanzen
Schizophrenien und wahnhafte Störungen
affektive Störungen
neurotische-, Belastung- und somatoforme
Störungen
F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Faktoren
F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F7 Intelligenzminderung
F0 Organische psychische
Störung
• Demenz
– Vaskulär
– Alzheimer
– Pick, Parkinson,
Creutzfeld Jacob etc.
• Delir
• Organische
Persönlichkeitsstörung
Vielfältige mögliche
Symptome bei
organischen psychischen
Störungen
F1 Störungen durch psychotrope
Substanzen
• F1x.0 Akute Intoxikation: unmittelbare Substanzwirkung, je nach
Stoff sehr variabel
• F1x.1 Schädlicher Gebrauch: Schädigung der körperlichen oder
psychischen Gesundheit
• F1x.2 Abhängigkeitssyndrom: chronische Schädigung, unfähig zur
Abstinenz
• F1x.4 Entzugssyndrom: variabel, körperliche und psychische
Symptome, von leichter Unruhe bis zu lebensgefährlichen
Störungen wie Delir oder epileptische Krampfanfälle
F1x.2 Abhängigkeitssyndrom
Mindestens drei der nachfolgenden Kriterien während des letzten
Jahres gleichzeitig vorhanden:
1.
Zwanghaftes Verlangen nach der Substanz
2.
Kontrollverlust
3.
Konsum zur Verminderung von Entzugssymptomen
4.
Körperliches Entzugssyndrom
5.
Toleranzentwicklung
6.
Eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Substanz
7.
Vernachlässigung anderer Interessen und Pflichten
8.
Fortsetzung des Konsums trotz bewusster Schädigung
Symptome eines
Alkohol-AbhängigkeitsSyndroms
Schizophrene Störungen
Schizophrene Störungen
• 4 A nach Bleuler:
–
–
–
–
Assoziationsstörungen (Denken)
Affektivitätsstörungen
Ambivalenz
Autismus
• Ursache:
–
–
–
–
Stress-Vulnerabilitäts These
Hypofrontalität
Dopamin/Glutamat
Psychotrope Substanzen (Cannabis)
• Verlauf: «Drittelsregel»
– kontinuierlich
– episodisch
– remittiert
• Lebenszeitprävalenz ca. 1%, peak Männer 20.-25. LJ, Frauen 25.30. LJ
F2x Schizophrene Störungen nach ICD-10
Ein eindeutiges der Gruppe 1 – 4 oder mind. zwei Symptome der
Gruppe 5 – 8 während mindestens eines Monates:
1.Gedankenlautwerden, -Eingebung, -Entzug, -Ausbreitung
2.Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten,
Wahnwahrnehmungen
3.Kommentierende oder dialogisierende Stimmen
4.Anhaltender, kulturell unpassender Wahn
5.Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität
6.Gedankenabreissen, Zerfahrenheit, Danebenreden, Neologismen
7.Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Mutismus,
Stupor
8.«Negative Symptome» wie Apathie, verflachter oder inadäquater
Affekt, Sprachverarmung
F3x Affektive Störungen
– für alle: erheblich erhöhtes Suizidrisiko
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Manische Episode
Bipolare affektive Störung
Depressive Episode
Rezidivierend depressive Störung
Manie
•
1.
2.
3.
Drei Schweregrade:
Hypomanie
Manie ohne psychotische Symptome
Manie mit psychotischen Symptomen
E. Hemingway
E. Munch
L. Flynt
Depressive Episode nach ICD-10
• Leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode
• Letztere mit/ohne psychotische Symptome
• Symptome:
–
–
–
–
–
–
–
–
Gedrückte Stimmung
Antriebslosigkeit
Interessenverlust
Ermüdbarkeit
Suizidalität
Schmerzempfinden
Appetit- und Schlafstörungen
…
• Unterformen: Agitiert, wahnhaft
• Ursachen: Störung serotonerges/noradrenerges system, StressMaladaptation
F4x Neurotische-, Belastungs- und
somatoforme Störungen
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Phobien
Zwangsstörungen
Dissoziative Störungen
Anpassungsstörungen
Posttraumatische Belastungsstörung
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
…
F5x Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen und Faktoren
• z.B. Essstörungen
F6x Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
• Persönlichkeitsstörungen: Vorlesung 18. März
• Störungen der Sexualpräferenz: Vorlesung 15. April
F7x Intelligenzminderung
• Leichte IQ < 70: volle Unabhängigkeit, Anlehre
• Mittelgradige IQ < 50: Unterstützung, nur basale schulische
Fertigkeiten
• Schwergradige IQ < 35: dauernd unterstützungsbedürftig, grobe
motorische Auffälligkeiten, kaum verbale Kommunikation
F8x Entwicklungsstörungen
• Lese- und Rechenstörung
• Autismus
F9x Verhaltens- und emotionale Störungen
mit Beginn in der Kindheit und Jugend
• Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung ADHD
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