Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann Wintersemester 2013/2014 Verfassungsrecht I § 28. Politische Parteien Die verfassungsrechtlich gewollte Rückkopplung zwischen dem Volk als dem Souverän und den Staatsgewalten Parlament und Regierung ist – vor allem zwischen den Wahlen – Aufgabe (auch) der Parteien. In ihnen schließen sich Bürger zusammen, um wirksam Einfluss auf das politische Geschehen nehmen zu können: Die Willensbildung im Volk und auf staatlicher Ebene hat in steter Wechselwirkung zu geschehen, die durch die Parteien mitgeformt wird (E 85, 264), Art. 21 I GG erkennt diese Stellung der Parteien ausdrücklich an. Art. 21 GG nennt zwar die politischen Parteien, definiert sie aber nicht. Eine Legaldefinition findet sich hingegen in § 2 I PartG. Hiernach sind „Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten“. Hierbei ist zu beachten, dass eine einfachgesetzliche Formulierung für die Bestimmung eines verfassungsrechtlichen Begriffs nicht entscheidend sein kann, es kann aber dennoch davon ausgegangen werden, dass der Begriff der politischen Partei in § 2 PartG dem Begriff in Art. 21 GG weitestgehend entspricht. Hinzuzufügen sei zudem, dass auch Parteien, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfen, Parteien im Sinne des Art. 21 I GG sind (es besteht allerdings die Möglichkeit des Verbots, siehe dazu unten). Art. 21 I GG statuiert das Recht und die Pflicht der Parteien, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken; diese Mitwirkung besteht in der Aufgabe, die in der Bevölkerung bestehende politische Meinungsvielfalt zu formen, Parteiprogramme entsprechend den vorherrschenden politischen Strömungen aufzustellen und auf deren Grundlage Kandidaten zu den Wahlen zu präsentieren. Das BVerfG hat die Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution gehoben (std. Rspr. seit E 1, 225; 69, 92), ohne dass sie Teil der Staatsorganisation sind: sie verknüpfen staatlichen und gesellschaftlichen Bereich und sind gerade keine Verfassungsorgane; vielmehr bleiben sie frei gebildete, im gesellschaftlichpolitischen Bereich wurzelnde Gruppen. Da das Staatsvolk seinen Willen in Wahlen kund tut, müssen politische Parteien auf die Mitwirkung an Wahlen, zumindest auf Landesebene, zielen (vgl. die Legaldefinition in § 2 I PartG); folglich sind „Rathausparteien“ keine „Parteien“ im verfassungsrechtlichen Sinne (vgl. auch E 69, 92). Weiter verlangt wird eine gewisse organisatorische Verfestigung, weshalb z. B. Bürgerinitiativen keine Parteien sein können (vgl. auch BVerfGE 91, 262). Politische Parteien werden in Anbetracht der beschriebenen Rolle auch als „Bindeglied“ zwischen Zivilgesellschaft und Verfassungsleben bezeichnet. Parteien sind dabei selbst zugleich privatrechtliche Vereinigungen und Beteiligte am Wirken der Verfassungsorgane. Das GG hat aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Republik eine „wehrhafte Demokratie“ geschaffen. Verfassungsfeindliche Parteien können daher gemäß Art. 21 II GG (ausschließlich) vom BVerfG verboten werden. Voraussetzung hierfür sind das Abzielen auf Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder Beeinträchtigung des Bestands der Bundesrepublik und tatsächliches Streben nach Verwirklichung dieser Ziele (E 2, 20; 5, 380). Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ausschließlich über die Frage der Verfassungswidrigkeit politischer Parteien (Parteienprivileg; Entscheidungsmonopol Bundesverfassungsgericht). Zum Ausdruck kommt das Parteienprivileg immer dann, wenn eine Institution der öffentlichen Hand, eine Gemeinde etwa, einer Partei, die sie selbst für verfassungsfeindlich hält, aus diesem Grund eine öffentliche Leistung (etwa den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung) verwehren möchte. Hierzu ist die Verwaltung dann nicht befugt, wenn das Bundesverfassungsgericht die Partei noch nicht als verfassungsfeindlich eingestuft und über ein Verbot entweder noch nicht oder negativ entschieden hat. Solange die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorliegt muss die Partei nach Art. 21 GG iVm § 5 PartG allen anderen Parteien gleich behandelt werden. Eine eigenständige Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Partei steht der Exekutive damit nicht zu. Während in den 1950er Jahren SRP und KPD verboten wurden, herrscht seit den 1960er Jahren die Auffassung vor, politische Parteien müssten auf politischer, nicht auf rechtlicher Ebene bekämpft werden, weshalb Anträge nach § 43 BVerfGG kaum noch gestellt wurden. Das gegen die NPD gerichtete Verbotsverfahren wurde vom BVerfG eingestellt, da aus der Unterwanderung der Parteispitze durch V-Leute ein absolutes Verfahrenshindernis gefolgert wurde (BVerfGE 107, 339). Im Jahre 2001 hatte die Bundesregierung und anschließend auch der Bundestag ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt. Das Verfahren wurden wegen genannter Hindernisse eingestellt, über die materielle Verfassungsmäßigkeit der NPD wurde nicht entschieden. Aktuell wird ein erneutes Verbotsverfahren diskutiert. Im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um die terroristische Gruppe NSU werden Vorbereitungen für ein erneutes Verbotsverfahren getroffen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2001 allerdings die Anforderung formuliert, vor und nach dem Verfahren müssten die Informanten und Spitzel aus den Kreisen der NPD abgezogen werden, wenn das erneute Vorliegen eines Verfahrenshindernisses vermieden werden soll. Der Bundesrat hat am 14. Dezember 2012 einen neuen Anlauf für ein Verbot der NPD genommen. Er beschloss nahezu einstimmig, beim BVerfG eine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit der NPD zu beantragen. Mit der Antragstellung und Prozessführung soll Bundesratspräsident Winfried Kretschmann einen Verfahrensbevollmächtigten beauftragen. Der Antrag wird voraussichtlich Ende des 2013 beim BVerfG vorliegen. Bundestag und Bundesregierung haben entschieden sich nicht dem Verbotsantrag anzuschließen (mit rechtlichen Anmerkungen zur aktuellen NPD-Verbotsdebatte Morlok, ZRP 2013, 69). Die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien wird bestimmt durch die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit (d.h. vor allem Chancengleichheit). Dies hat Bedeutung vor allem im Wahlkampf: Hier besteht grundsätzlich Anspruch auf Gleichbehandlung (Propagandamöglichkeiten, Hallenvergabe); jedoch lässt § 5 PartG eine gewisse Differenzierung zu (Umfang der Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen; vgl. E 47, 198). Freiheit und Gleichheit sind auch von Bedeutung für die Parteienfinanzierung, die nicht in Abhängigkeit von Staat und privaten Spendern enden darf (Staatsfreiheit, vgl. zuletzt E 73, 40; in E 85, 264 wird nunmehr – in Abweichung von der früheren Rspr. – eine staatliche Finanzierung nicht mehr nur auf Wahlkampfkostenersatz für zulässig erklärt, jedoch darf es sich nur um eine Teilfinanzierung handeln; vorrangig muss die Eigenfinanzierung sein, vgl. § 18 PartG). Dabei muss sich die staatliche Unterstützung am Erfolg der einzelnen Parteien bei Wahlen, der Gewinnung von Spenden und der Mitgliederzahl orientieren; folglich sind „Sockelbeträge“ als erfolgsunabhängige Basisfinanzierung verfassungswidrig (E 85, 264). Gleiches gilt für Mechanismen wie „Chancenausgleich“ (Parteien, die aus Spenden und Beiträge geringere Einnahmen erzielten, erhielten zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt) oder zu hohe Sätze für steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden. Offen ist, ob eine verfassungsrechtliche Pflicht zur teilweisen staatlichen Parteienfinanzierung besteht (m.E. nein, da mit der Parteigründungsfreiheit kein Anspruch auf staatliche Leistungen gegeben ist). Hinsichtlich der Herkunft ihrer Einnahmen unterliegen die Parteien einer Offenlegungspflicht (E 85, 264; zu den Folgen fehlerhafter Rechenschaftsberichte für die staatliche Parteienfinanzierung s. BVerfGE NJW 2005, 126). Gemäß Art. 21 I 3 GG müssen Parteien über eine demokratische Binnenstruktur verfügen. Die Grundrechte gelten im Innenverhältnis zwischen Parteien und ihren Mitgliedern nicht unmittelbar, da Parteien nicht Träger staatlicher Gewalt sind, allenfalls mittelbar, d.h. soweit sie Ausdruck des Erfordernisses einer demokratischen Binnenstruktur sind. Über Art. 21 I 3 GG wird auch die Frage nach der Zulässigkeit/Notwendigkeit von Quotenregelungen zur Herstellung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern innerhalb politischer Parteien relevant. Aus der Doppelstellung von Parteien als Verfassungsorgane und private Vereinigungen ergeben sich prozessuale Folgen: Streitigkeiten innerhalb einer Partei (Parteiausschluss, Wahlen) sind von den Zivilgerichten zu entscheiden. Streitet eine Partei gegen den Staat (etwa im Falle der Zulassungsentscheidung zu einer öffentlichen Einrichtung), ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, ggf. kann gestützt auf Art. 3 I i.V.m. Art. 21 GG Verfassungsbeschwerde erhoben werden (vgl. E 47, 198: Sendezeiten im Rundfunk). Soweit jedoch Parteien in ihrer Rechtsstellung als Institution des Verfassungslebens betroffen sind, sind sie im Organstreitverfahren antragsberechtigt (E 44, 125: Verletzung der Chancengleichheit durch ParteienfinanzierungsG).