NVwZ-Editorial Heft 9/2017 Das NPD-Urteil: Offene Fragen, für die Kommunen Anlässlich des Verbotsverfahrens der NPD, die seit den Kommunalwahlen 2014 bundesweit über 367 kommunale Mandate verfügte, hat das BVerfG (NVwZ Beil. 2/2017, S. 46) seine Rechtsprechung zu einem Parteiverbot aktualisiert und fortentwickelt. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) iSv Art. 21 II 2 GG umfasst danach nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Eine gegen die FDGO gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots nicht aus. Vielmehr muss die Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung dieser Grundordnung „ausgehen“. Der NPD attestierte das BVerfG, sie strebe nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der FDGO an, gleichwohl sei der Verbotsantrag unbegründet. Es fehlten konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die ein Erreichen der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele zumindest möglich erscheinen ließen, daher liege kein „darauf Ausgehen“ iSv Art. 21 II 1 GG vor. Es ist zwar nachvollziehbar, die Messlatte für ein Parteienverbot möglichst hoch zu legen, dennoch hinterlässt die Entscheidung viele offene Fragen. Kann es bei einer belegten systematischen Missachtung der Menschenwürde und einem planvollen Arbeiten gegen die FDGO darauf ankommen, ob dieses Handeln zu einem (bundesweiten?) Erfolg zu führen droht? Kann ausgerechnet Wahlerfolg in einem demokratischen Staat die Legitimation für ein Einschreiten des Staates sein? Ist der Schutz des höchsten Verfassungsgutes in Art. 1 I GG quantitativen Erwägungen zugänglich? Welche Auswirkungen haben die Maßstäbe des BVerfG zum Parteienverbot auf ein mögliches vereinsrechtliches Verbot verfassungsfeindlicher Wählergruppen, die nicht dem Parteienprivileg unterliegen, aber auf kommunaler Ebene im Wettbewerb mit den politischen Parteien stehen? Fieberhaft spürt die Politik in diesen Tagen den Hinweisen der Karlsruher Richter nach, Differenzierungen in der Parteienfinanzierung könnten zulässig sein. Was aber heißt das für die nicht weniger bedeutsame Finanzierung der Ratsfraktionen, die anders als die Parteien nicht dem gesellschaftlichen Bereich, sondern der „organisierten Staatlichkeit“ eingefügt sind? Den „Klassiker“ des Parteienrechts in der Praxis bilden die Zulassungswünsche extremistischer Parteien zu öffentlichen Einrichtungen der Kommunen. Das Parteienprivileg und der Gleichheitssatz gaben bisher eine klare Linie vor. Kategorisch schließt das BVerfG auch weiterhin jedes administrative Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit aus. Muss also der zum Eintreten für die Grundprinzipien der Verfassung verpflichtete Beamte eine Partei zulassen, die die Beseitigung der FDGO anstrebt? Oder gilt die gleichsam konditionierte Argumentation des BVerfG im Hinblick auf den Grad der Gefährlichkeit einer Partei auch für einzelne Maßnahmen der Verwaltung, die als solche den „Bestand“ einer Partei nicht gefährden? Die neue Rechtsprechungslinie droht komplexe verfassungsrechtliche Probleme auf kommunale Schreibtische zu verlagern. Erste verwaltungsgerichtliche Entscheidungen (s. die PM des VGH Kassel, Beschl. v. 5.4.2017 − 8 C 459/17.N) zeichnen sich bereits am Horizont ab. Professor Dr. Hubert Meyer, Hannover