Bewegungsanalyse Biomechanische Betrachtungsweise Biomechanische Betrachtungsweise Dr. Peter Wastl Betrachtungsweisen sportlicher Bewegungen Außensicht Innensicht ... ganzheitliche Betrachtungsweisen ... Systemdynamisch ... Konnektionismus ... Morphologie ... empirisch-analytische Betrachtungsweisen ... Anatomischphysiologisch Biomechanik Fähigkeitsorientiert ... funktionale Betrachtungsweisen ... Funktionsanalysen Handlungstheorien Informationsverarbeitung.... Dr. Peter Wastl 1 Biomechanische Bewegungsanalyse Biomechanische Bewegungsanalyse als empirisch-analytische Betrachtungsweise von Bewegungen Biomechanik des Sports: ... die Wissenschaft von der mechanischen Beschreibung und Erklärung der Erscheinungen und Ursachen von Bewegungen im Sport unter Zugrundelegung der Bedingungen des Organismus. (WILLIMCZIK 1999) Methodischer Ansatz: ... Zerlegung von beobachtbaren Bewegungen in einzelne quantitative Merkmale, zu deren Erfassung kinematographische und dynamographische Messverfahren eingesetzt werden (= empirisch-analytische Denkweise) (ROTH/WILLIMCZIK 1999) Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Innere und äußere Biomechanik Innere Biomechanik Funktions- und Steuerungsprozesse von Bewegungen è neurophysiologischer Ansatz è Innenaspekt Äußere Biomechanik Erscheinungen und Ursachen von Bewegungen nach den Gesetzen der Mechanik è mechanischer Ansatz è Außenaspekt Kernstück der Biomechanik im Sport Dr. Peter Wastl 2 Biomechanische Bewegungsanalyse Ausdifferenzierung der Biomechanik des Sports è Leistiungsbiomechanik Technikanalyse und Technikoptimierung Beispiel: Erklärung der Sprungweite beim Weitspringen è Anthropometrische Biomechanik Eignungsdiagnose und Leistungsprognose Beispiel: Körperbaumerkmale è Präventive Biomechanik Belastungsanalyse und Belastungsgestaltung Beispiel: Hebetechniken Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse MECHANIK KINEMATIK Erscheinungen von Bewegungen raum-zeitliche Charakterisierung von Bewegungen DYNAMIK Ursachen von Bewegungen Untersuchung der Kräfte, die der Bewegung zugrunde liegen Statik Kinetik Gleichgewicht der Kräfte Beschleunigung der Kräfte Dr. Peter Wastl 3 Biomechanische Bewegungsanalyse MECHANIK KINEMATIK Erscheinungen von Bewegungen raum-zeitliche Charakterisierung von Bewegungen … also Ortsveränderungen von Körpern bzw. Körperpunkten in der Zeit, wobei Körpermasse und angreifende bzw. zugrunde liegende Kräfte unberücksichtigt bleiben Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse MECHANIK Translation Rotation KINEMATIK Bewegungsarten Erscheinungen von Bewegungen raum-zeitliche Charakterisierung von Bewegungen Räumliche Charakteristik Zeitliche Charakteristik Bewegungsarten gleichförmig ungleichförmig 4 Biomechanische Bewegungsanalyse KINEMATIK Räumliche Charakteristik der Bewegung Bewegungsarten Fortschreitende Bewegung ê Translation Drehende Bewegung ê Rotation Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Translation und Rotation Translation … fortschreitende Bewegung aller Punkte eines Körpers um dieselbe Streckenlänge auf geraden oder gekrümmten Bahnen Rotation … um eine Drehachse bzw. einen Drehpunkt, wobei der Drehpunkt auch außerhalb des Körpers (z. B. Riesenfelge am Reck) liegen kann. Translation und Rotation … bei den meisten Bewegungen kommen Translationen und Rotationen gleichzeitig vor bzw. überlagern sich 5 Biomechanische Bewegungsanalyse Translation und Rotation Translation … fortschreitende Bewegung aller Punkte eines Körpers um dieselbe Streckenlänge auf geraden oder gekrümmten Bahnen Rotation … um eine Drehachse bzw. einen Drehpunkt, wobei der Drehpunkt auch außerhalb des Körpers (z. B. Riesenfelge am Reck) liegen kann. Translation und Rotation … bei den meisten Bewegungen kommen Translationen und Rotationen gleichzeitig vor bzw. überlagern sich (Olivier & Rockmann, 2003, S. 29; modif. nach Hochmuth, 1982, S. 17) Biomechanische Bewegungsanalyse Kinematische Größen Translatorische Bewegungen Größe Symbol Formel Einheit Weg s m (km) Zeit t s (h) Geschwindigkeit v ∆s ∆t m/s Beschleunigung a ∆v ∆t m / s2 Dr. Peter Wastl 6 Biomechanische Bewegungsanalyse Kinematische Größen Translatorische Bewegungen Beispiel: Geschwindigkeiten Ausgewählte Beispiele für einige Momentan- und Durchschnittsgeschwindigkeiten: Weitsprung (8,50 m); am Balken 10,42 m/s 100-m-Sprint (10,0 sec) 10,00 m/s 36,0 km/h 5,39 m/s 19,4 km/h Marathon (2:10:00 h) 37,5 km/h 20 km Gehen (1:30 h) 3,69 m/s 13,3 km/h Torschuss im Fußball 32,80 m/s 118,0 km/h Torwurf im Handball 26,10 m/s 94,0 km/h Schmetterschlag im Volleyball 22,00 m/s 79,2 km/h Schmetterball im Badminton 81,00 m/s 291,7 km/h Aufschlag im Tennis 60,00 m/s 216,0 km/h Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Kinematische Größen Beispiel Weitsprung α0 h0 W W1 W2 W3 • V0xz V0x V0z = Sprungweite = Absprungspositionsweite = Flugbahnweite = Landepositionsweite = Körperschwerpunkt (KSP) = Abfluggeschwindigkeit = horizontale Abfluggeschwindigkeit = vertikale Abfluggeschwindigkeit Äz = Höhendifferenz des Körperschwerpunkts während des Landeanflugs α α 0 = Abflugwinkel h0 = Abflughöhe des KSP Dr. Peter Wastl 7 Biomechanische Bewegungsanalyse Kinematische Größen Beispiel Weitsprung Eine gute Weitsprungleistung ist abhängig von: a) Abflughöhe des KSP b) Abfluggeschwindigkeit c) Abflugwinkel des KSP (19°-22° nicht 45°) Abfluggeschwindigkeit V0xz ist die Resultierende aus der horizontalen Abfluggeschwindigkeit V0x und der vertikale Abfluggeschwindigkeit V0y V0y Gruppenmittelwerte und Standardabweichungen kinematischer Merkmale einer Weitspringergruppe (Olivier & Rockmann, 2003, S. 69; modif . nach Nigg, 1973, S. 265; aus Ballreich, 1988c, S. 127) V0xz 20° V0x KSP Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Kinematische Größen Rotatorische Bewegungen Größe Symbol Winkel ϕ (Phi) Grad (o) t s (h) Zeit Formel Einheit Winkel geschwindigkeit ω (Omega) ∆ϕ ∆t o /s Winkel beschleunigung α (Alpha) ∆ω ∆t o / s2 Dr. Peter Wastl 8 Biomechanische Bewegungsanalyse KINEMATIK Zeitliche Charakteristik der Bewegung Bewegungsarten gleichförmige Bewegung ungleichförmige Bewegung ê ê v = konstant a = null v = variabel Gleichmäßig beschleunigte Bewegung ê a = konstant ungleichmäßig beschleunigte Bewegung ê a = variabel Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse gleichförmige und ungleichförmige Bewegungen (Olivier & Rockmann, 2003, S. 32; modif. nach Hochmuth, 1982, S. 29,31) Dr. Peter Wastl 9 Biomechanische Bewegungsanalyse gleichförmige und ungleichförmige Bewegungen Beispiel: 100-m-Sprintlauf ... beste Läufer beschleunigen höher und schneller Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse MECHANIK DYNAMIK Ursachen von Bewegungen ... erklärt die wirklichen Bewegungen eines Körpers unter Berücksichtigung der Körpermasse und der Wirkung von Kräften. Untersuchung der Kräfte, die der Bewegung zugrunde liegen Statik Kinetik Gleichgewicht der Kräfte Beschleunigung der Kräfte Dr. Peter Wastl 10 Biomechanische Bewegungsanalyse DYNAMIK Statik Kinetik Gleichgewicht der Kräfte Beschleunigung der Kräfte keine Bewegung Bewegung entsteht „Kräfte stehen nicht im Gleichgewicht“ Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Dynamische Größen …auch hier unterscheidet man translatorische und rotatorische Bewegungen Translatorische Bewegungen Größe Symbol Masse m Kraft F mxa Masse x Beschleunigung kg x m/s2 bzw. N Kraftimpuls p F x ∆t bzw. mxv Masse x Geschwindigkeit kg x m/s Kraftstoß ∆p Formel Einheit kg Kraft x Zeit Fxt Nxs Dr. Peter Wastl 11 Biomechanische Bewegungsanalyse Beispiel: Kraftstoß ... kennzeichnet die Einwirkung einer Kraft auf einen Körper in einer bestimmten Zeit. Kraft x Zeit ( F x t ) (Einheit: Ns) Der Kraftstoß wird grafisch durch den Flächeninhalt einer Kraft-Zeit-Kurve dargestellt (hier: Kraftstoß bei variabler Kraft) (Olivier & Rockmann, 2003, S. 36; modif. nach Hochmuth, 1982, S. 37) Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Newton´sche Gesetze bzw. Axiome Newton (1643 – 1727) begründete die klassische Mechanik Axiome entsprechen der beobachtbaren Wirklichkeit. ... sie sind nicht beweisbar, sondern nur aus der Wirklichkeit bzw. aus dem physikalischen Experiment verifizierbar ... aus ihnen können durch rein logisches Schließen weitere Aussagen hergeleitet werden Drei hauptsächliche Axiome: • Trägheitssatz • Beschleunigungssatz • Gegenwirkungssatz Dr. Peter Wastl 12 Biomechanische Bewegungsanalyse 1. Newton´sches Gesetz = Trägheitssatz ... besagt, dass jeder Körper im Zustand der Ruhe oder einer gleichförmig gradlinigen Bewegung verharrt, wenn er nicht durch von außen wirkende Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern. ... damit ist die Trägheit eines Körpers gemeint, die wiederum durch seine Masse bestimmt wird. ... je größer die Masse eines Körpers, desto größer ist seine Trägheit und desto größer muss die einwirkende Kraft sein, um seinen Zu-stand nachhaltig zu ändern. ... es wird eine Beziehung zwischen der einwirkenden Kraft und der Masse des Körpers hergestellt. Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse 2. Newton´sches Gesetz = Beschleunigungssatz ... besagt, dass die Änderung der Bewegung der einwirkenden Kraft proportional ist und in der Richtung derjenigen geraden Linie verläuft, in der die äußere Kraft wirkt. Kraft = Masse x Beschleunigung m x a (kg x m/s 2 bzw. N) Grundgesetz der Mechanik ... es wird eine Beziehung zwischen der einwirkenden Kraft und der an dem Körper erzielten Beschleunigung hergestellt. Dr. Peter Wastl 13 Biomechanische Bewegungsanalyse 3. Newton´sches Gesetz = Gegenwirkungssatz ... besagt, dass die Kraftwirkungen zweier Körper aufeinander stets gleich groß und von entgegengesetzter Richtung sind. actio = reactio ... die Kraftwirkungen eines Körpers auf einen anderen und sich selbst sind immer gleich groß und von entgegengesetzter Richtung. ... es wird eine Beziehung zwischen den einwirkenden Kräften und den Massen zweier Körper hergestellt Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Kräfte, die in sportlichen Bewegungen auftreten ... am Äußeren des Körpers gemessen ... im Inneren des Körpers entstehen, bedingt durch die Hebelverhältnisse oft weitaus höhere Kräfte Einfacher Hockstrecksprung Absprung Landung ca. 3.000 N (2-4-fache Gewichtskraft) ca. 4.000 N (bis zur 5-fachen Gewichtskraft) Landung beim Hürdenschritt Beschleunigungsphase Sprint Jogging Gehen ca. 4.500 N (bis zum 8-fachen KG) ca. 2.000 N ca. 1.700 N ca. 900 N Dreisprung Hochsprung 1.337 N 1.793 N 1.650 N ca. 2.400 N Judo Fall nach einem Wurf ca. 6.000 bis 10.000 N Hop Step Jump Dr. Peter Wastl 14 Biomechanische Bewegungsanalyse Dynamometrische Messungen Vertikaler (FZ) und in Laufrichtung horizontaler (FY) Kraft-Zeit-Verlauf einer Bodenkontaktphase beim Gehen (Olivier & Rockmann, 2003, S. 38) Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Dynamometrische Messungen Vertikale Weg-Zeit-, Geschwindigkeits-Zeit und Kraft-Zeit-Verläufe beim counter movement jump (Olivier & Rockmann, 2003, S. 43) Dr. Peter Wastl 15 Biomechanische Bewegungsanalyse Dynamometrische Messungen Beschleunigungswege und Vertikalkräfte bei verschiedenen Ausführungen des „counter movement jumps“ (Olivier & Rockmann, 2003, S. 51; modif. nach Hochmuth, 1982, S. 154) Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Dynamische Größen …auch hier unterscheidet man translatorische und rotatorische Bewegungen rotatorische Bewegungen Größe Symb ol Formel Einheit Trägheitsmoment J m x r2 Kilogramm x Meter2 kg x m2 Drehimpuls L Mxt Kilogramm x Meter2/Sekunde Nm x s bzw. kg x m2/s Drehmoment M Fxr Kraft x Radius Nm bzw. Kg x m2/s2 Drehmomentenstoß ∆L Drehmoment x Sekunde Nm x s Nm x s Dr. Peter Wastl 16 Biomechanische Prinzipien Biomechanische Prinzipien Zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit sportlicher Techniken sind Kriterien erforderlich, die anhand des zeitlichen Verlaufs mechanischer Parameter eine entsprechende Bewertung des Bewegungsablaufs erlauben. Im deutschen Sprachraum besonders bekannt sind die als biomechanische Prinzipien von Hochmuth (1969, 1981) eingeführten Kriterien. … allgemeine Aussagen über die Zweckmäßigkeit sportlicher Bewegungen Heftige Diskussion um deren Geltungsbereich. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Allgemeine Aussagen über die Zweckmäßigkeit sportlicher Bewegungen Sie enthalten „die allgemeinsten Erkenntnisse über das rationale Ausnutzen der mechanischen Gesetze bei sportlichen Bewegungen. Sie stellen gewissermaßen die auf die Bewegungen des Menschen angewandten mechanischen Gesetze unter einer bestimmten Zielsetzung dar“ (Hochmuth, 1967, S. 187) Dr. Peter Wastl 17 Biomechanische Prinzipien Bei sportlichen Bewegungen gelten mechanische Gesetze unter Berücksichtigung biologischer Besonderheiten des menschlichen Körpers. Physikalische Begriffe wie Kraft, Masse, Trägheit, Geschwindigkeit etc. sind bei der Beschreibung auch sportlicher Bewegung erforderlich. Biologische Grundlagen sind durch die Struktur und Funktion des passiven Bewegungsapparates vorgegeben: • Abmessungen und Eigenschaften von Knochen, Sehnen, Bändern • Freiheitsgrade der Bewegung in den Gelenken • mechanische Eigenschaften der Muskeln in den verschiedenen Arbeitszuständen Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Man unterscheidet 6 Biomechanische Prinzipien: (1) Prinzip der Anfangskraft (2) Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges (3) Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf (4) Prinzip der zeitlichen Koordination von Teilimpulsen (5) Prinzip der Impulserhaltung (6) Prinzip der Gegenwirkung Dr. Peter Wastl 18 Biomechanische Prinzipien Prinzip 1 Prinzip der maximalen Anfangskraft Eine Körperbewegung, mit der ein großer Kraftstoß erreicht werden soll, ist durch eine entgegengesetzt gerichtete Bewegung einzuleiten. Durch das Abbremsen der Gegenbewegung ist zu Beginn der Zielbewegung bereits eine positive Kraft (Anfangskraft) für die Beschleunigung vorhanden. Dieses vergrößert den Kraftstoß, wenn Brems- und Beschleunigungskraftstoß dabei in einem optimalen Verhältnis stehen. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der Anfangskraft: Kraft-Zeit-Verlauf Ausholbewegungen müssen abgebremst werden. Dieser Vorgang heißt Amortisation. Abwärtsbeschleunigungen müssen amortisiert werden. Von optimaler Amortisation spricht man, wenn Bremskraftstoß und Beschleunigungskraftstoß das Verhältnis 1:3 nicht überschreiten. Dieses Verhältnis ist für Vertikalsprünge aus Untersuchungsergebnissen gewonnen. Bremskraftstoß : Beschleunigungskraftstoß = 1:3 = 0,33 Beispiel: Kraft-Zeit-Kurve eines optimalen Vertikalsprungs Dr. Peter Wastl 19 Biomechanische Prinzipien KSP- Bewegung Beispiel: Kraft-Zeit-Kurve eines optimalen Vertikalsprungs tiefe letzter Hockstellung Bodenkontakt Flug A b w ä r t s b e- Streckung wegung B e s c h l e u n i g u n g s- t kraftstoß F = m x g F = 0 negativer Kraftstoß t Verhältnis von Bremskraftstoß zum Bremskraftstoß Beschleunigungskraftstoß optimieren (≈ ≈ 1:3 bis 1:5) Biomechanische Prinzipien Prinzip der Anfangskraft: Kraft-Zeit-Verlauf Bei Beuge- und Streckbewegungen ist mit direkter Bewegungsumkehr zu Beginn der Streckbewegung eine positive Anfangskraft vorhanden. Ist die Ausholbewegung und der die Ausholbewegung abfangende Bremskraftstoß zu groß, wird für das Abbremsen der Ausholbewegung zuviel von der zur Verfügung stehenden Kraft verbraucht, die dem Beschleunigungskraftstoß nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Bremskraftstoß und Beschleunigungskraftstoß dürfen ein optimales Verhältnis nicht überschreiten. Beispiel: Kraft-Zeit-Verlauf bei verschiedenen Sprungarten Dr. Peter Wastl 20 Biomechanische Prinzipien Verschiedene Sprungarten und deren zeitliche und dynamische Abstimmung von Ausholbewegung und Beschleunigungsbewegung Welche Kraftstöße entstehen? a) Der Springer senkt aus dem Stand in die Ausholstellung, verharrt dort 3 Sekunden und springt dann ohne nochmalige Ausholbewegung - nach oben ab (Squat-Jump) b) Der Springer lässt die Ausholbewegung und den Sprung fließend ineinander übergehen (Counter-Movement -Jump) c) Der Springer führt vor dem Hochsprung zwei bis drei einleitende Laufschritte aus und lässt sie fließend in den beidbeinigen Absprung übergehen ( Drop-Jump) d) Der Springer steht auf einem dreiteiligen Sprungkasten, springt von dort herunter und lässt den Niedersprung fließend in den Anschlagsprung übergehen ( Drop-Jump als Niedersprung) Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Kraftstoßverlauf bei Sprungart a, b, c F= Kraft F1 negativer Kraftstoß F2 Bremskraftstoß F3 Beschleunigungskraftstoß B Beginn des Bremskraftstoßes A -A1 Anfangskraft t Zeit G=Gewichtskraft des Springers Unterschiedliche Kraft-ZeitVerläufe bei Sprüngen Bei b und c liegt die Anfangskraft deutlich höher als bei Sprungart a (die Muskeln leiten die Bewegungsumkehr mit deutlich höherer Kraft ein) (c) Drop-Jump (a) Squat-Jump (b) Counter-Movement-Jump Dr. Peter Wastl 21 Biomechanische Prinzipien Kraftstoßverlauf bei Sprungart d (Niedersprung) Unterschiedliche Kraft-ZeitVerläufe bei Sprüngen Ungünstiges Verhältnis von Bremskraftstoß und Beschleunigungskraftstoß. Die Anfangskraft ist deshalb geringer als bei den Sprungarten b und c. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip 2 Prinzip des optimalen Beschleunigungswegs Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit der Körper des Sportlers oder eines Sportgerätes auf eine hohe Endgeschwindigkeit gebracht werden, muss der Beschleunigungsweg eine optimale Länge haben und geradlinig oder stetig gekrümmt sein. Bei Körperbewegungen, mit denen eine möglichst hohe Endgeschwindigkeit erreicht werden soll, ist ein optimal langer Beschleunigungsweg auszunutzen. Dabei soll der geometrische Verlauf des Beschleunigungsweges gradlinig oder stetig gekrümmt sein. Dr. Peter Wastl 22 Biomechanische Prinzipien Prinzip des optimalen Beschleunigungswegs Das Prinzip des optimalen Beschleunigungsweg kommt bei bei solchen sportlichen Bewegungen zum Tragen, die hohe Endgeschwindigkeiten erfordern (z. B. Würfe/Stöße in der Leichtathletik). Länge und Richtung des Beschleunigungsverlaufs müssen optimal gestaltet werden, wobei optimal nicht unbedingt maximale Länge des Beschleunigungsweges bedeutet. Beispiel: Kugelstoßen Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip des optimalen Beschleunigungswegs Beispiel: Sprungbewegung Bei der Gestaltung der räumlichen Länge der Ausholbewegung konkurrieren zwei Bedingungen, eine physikalische und eine biologische: Physikalische Bedingung: Ausholbewegung möglichst groß gestalten, damit ein möglichst großer (maximalen) Beschleunigungsweg zur Verfügung steht. Biologische Bedingung: Ausholbewegung nicht zu tief, denn Hebel- und Kraftverhältnisse und Freiheitsgrade sind zu berücksichtigen Dr. Peter Wastl 23 Biomechanische Prinzipien Prinzip des optimalen Beschleunigungswegs Beispiel: Sprungbewegung Schwerkraftmomente bzgl. Hüft- und Kniegelenk in verschiedenen Beinbeugestellungen; G: Gewicht KSP(X): Körperschwerpunkt r: Kraftarm des Gewichts Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip 3 Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf Die größten Beschleunigungskräfte sollen am Anfang der Beschleunigungsphase wirksam werden, wenn es darum geht, schnellstmöglich hohe Kräfte zu entwickeln (Bsp. Boxen). Sollen hohe Endgeschwindigkeiten erreicht werden, liegen die größten Beschleunigungen am Ende des Beschleunigungsweges (Beispiel leichtathletische Wurfdisziplinen). Dr. Peter Wastl 24 Biomechanische Prinzipien Prinzip 4 Prinzip der zeitlichen Koordination von Teilimpulsen Bei sportlichen Sprüngen vergrößern die Schwungbewegungen den Absprung-Kraftstoß, indem ihre reaktive Wirkung die Zeitdauer des Kraftstoßes der Beinstreckung verlängert Das Ziel heißt: Schwungübertragung: Durch plötzlich abgebremste Ausholbewegungen wird Energie nicht vernichtet, sondern in einer Gliederkette weitergeleitet. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Bei vielen sportlichen Bewegungen ist es möglich, den Gesamtimpuls durch das Hintereinanderschalten mehrerer Einzelimpulse zu erhöhen. Wesentlich ist dabei, dass der Impuls durch Abbremsung von einem Körperteil auf ein anderes übertragen werden kann. Dabei sollen die Beschleunigungsmaxima der Körperteile zeitlich nacheinander auftreten ... Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der zeitlichen Koordination von Teilimpulsen Beispiel: Sprungbewegung (Jump and Reach) Durch die Streckbewegung der Beine und die Schwungbewegung der Arme werden beide Impulse für die Aufwärtsbewegung genutzt. (allerdings keine einfache Addition beider Kraftwirkungen, da noch Reaktions kräfte eine Rolle spielen) Dr. Peter Wastl 25 Biomechanische Prinzipien Prinzip der zeitlichen Koordination von Teilimpulsen Teilaktionen gut aufeinander abgestimmt sein. So beeinflusst z.B. beim Hochsprung nicht nur die Aktion des Sprungbeins die Sprungleistung. Auch das Schwungbein und die Armbewegung erzeugen Impulse, die für die Gesamtbewegung wichtig sind und die in einem optimalen Verhältnis stehen müssen. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der zeitlichen Koordination von Teilimpulsen Ein weiteres Beispiel (hohe Geschwindigkeit eines Körperteils): Beim Kugelstoßen wird die Kugel (nacheinander) durch die Streckbewegung der Beine, durch Aufrichten des Rumpfes und die Schwungbewegung des Armes/der Hand in Bewegung gesetzt. „Nacheinander der Teilkräfte“ Dr. Peter Wastl 26 Biomechanische Prinzipien Prinzip 5 Prinzip der Impulserhaltung Das Prinzip der Impulserhaltung beruht auf dem Drehimpulserhaltungssatz. Danach bleibt der Drehimpuls einer Bewegung konstant, wenn keine äußeren Kräfte wirken. Diese Gesetzmäßigkeit erlaubt einem Sportler die aktive Kontrolle seiner Drehgeschwindigkeit. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der Impulserhaltung der Dreh- und Pendelbewegungen Durch Annäherung der Extremitäten an eine Drehachse können Drehbewegungen ohne Veränderung des Krafteinsatzes beschleunigt werden. Vergrößerung der Winkelgeschwindigkeit durch Verkleinerung des Trägheitsmoments (infolge der Annäherung der Masseteile an die Drehachse). Bei der Riesenfelge ist die Reckstange die Drehachse. Dr. Peter Wastl 27 Biomechanische Prinzipien Prinzip der Impulserhaltung der Dreh- und Pendelbewegungen Beim Salto ist die Körperquerachse die Drehachse Bei der Piruette ist die Körperlängsachse die Drehachse. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip 6 Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Das Prinzip der Gegenwirkung besagt, dass bei Bewegung im freien Fall oder Flug die Bewegung einzelner Körperteile notwendigerweise die Gegenbewegung anderer Körperteile zur Folge hat. Dieses beruht auf dem dritten Newtonschen Gesetz („actio et reactio“). Dr. Peter Wastl 28 Biomechanische Prinzipien Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Der Gegenwirkungssatz (3. Newtonsches Gesetz) besagt: Wirkt ein Körper A auf einen Körper B die Kraft F aus, dann übt Körper B auf A eine gleichgroße, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft F aus. Bei sportlichen Bewegungen liefert in der Regel die mechanische Umwelt die Reaktionskraft zur Muskelkraft des Sportlers. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Finden Aktionen bestimmter Körperteile keine Reaktion in der Umwelt (Flugbewegungen, freier Fall), so sind notwendigerweise Gegenbewegungen anderer Körperteile die Folge. Beispiel Weitsprung: Der Springer bringt während der Flugphase die Beine nach vorne. Nach dem Prinzip der Gegenwirkung wird automatisch der Oberkörper nach vorne gebeugt. Dr. Peter Wastl 29 Biomechanische Prinzipien Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Beispiel Hürdenlauf: Der Läufer bringt während der Flugphase das Schwungbein nach unten. Nach dem Prinzip der Gegenwirkung wird automatisch der Oberkörper nach oben gestreckt. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Beispiel Skilauf: Wie verhindert der Skiläufer bei der starken Rücklage in Bild 3 einen Sturz? Er macht weiträumige und schnelle Kreisbewegungen rückwärts mit den Armen (actio = reactio) Der Drehimpuls der Arme muss gleich groß sein wie der Drehimpuls des Rumpfes (actio = reactio), diesem aber entgegengerichtet sein. Da das Trägheitsmoment des korrigierenden Körperteils (hier also der Arme) im Vergleich zum Trägheitsmoment des zu korrigierenden Körperteils (Rumpf) relativ klein ist, muss für eine geringfügige Korrektur der Körperhaltung verhältnismäßig schnelles und weiträumiges Armkreisen erfolgen. Dr. Peter Wastl 30 Biomechanische Prinzipien Prinzip der Gegenwirkung (und des Drehrückstoßes) Beispiel Schwebebalken: Schwebebalken Pferdsprung Hat eine Turnerin auf dem Balken zu viel Seitlage nach rechts, so kann sie mit den Armen nach rechts kreisen und damit eine korrekte Standposition erreichen. Beispiel Pferdsprung: Hat ein Springer in der zweiten Flugphase zu viel Vorlage, so kann er durch Armkreisen vorwärts eine korrekte Landung erreichen. Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Kritische Anmerkungen Die Prinzipien basieren ausdrücklich auf mechanischen Überlegungen, schließen dabei in ihre Aussagen die mechanische Erscheinung der biologisch bedingten Sachverhalte, die sich in den Bewegungsabläufen widerspiegeln, mit ein, ohne jedoch die biologische Begründung dafür angeben zu können". Die Allgemeingültigkeit sämtlicher Prinzipien wird durch sportartspezifische Bedingungen eingeschränkt, was dem Charakter eines Prinzips widerspricht. Mit diesen Prinzipien - soweit es sich nicht um mechanische Gesetze handelt - konkurrierende Kriterien schränken die Anwendbarkeit dieser Art von Prinzipien weiter ein. Dr. Peter Wastl 31 Biomechanische Prinzipien Kritische Anmerkungen „Die dargestellten Prinzipien sind bei kritischer Anwendung hilfreiche Leitlinien bei der Beurteilung sportlicher Techniken. Prinzipien im strengen Sinne allgemeingültiger Grundsätze sind es nicht. Die biologischen Charakteristiken fehlen vollständig." (Baumann, in: Willimczik 1989, S.98) Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Optimale Bewegungsabläufe müssen physikalischen/ mechanische Gesetze berücksichtigen. Aber es ist nicht möglich, aus einem physikalischen Gesetz unmittelbar einen optimalen Bewegungsablauf zu konstruieren, da der Körper und die Sportart bzw. Bewegung spezifische Voraussetzungen haben. Deshalb sollte man von biomechanischen Prinzipien als Leitlinien sprechen (Gesetze wie in der Physik sind es ohnehin nicht). … alle Prinzipien wurden dahingehend modifiziert, dass sich ihre Aussagen unterschiedlich auf bestimmte Gruppen strukturverwandter Bewegungsabläufe oder Zielstellungen beziehen. ê Dr. Peter Wastl 32 Biomechanische Prinzipien Sieben Gruppen strukturverwandter Bewegungsabläufe (Olivier & Rockmann, 2003, S. 45/46) Dr. Peter Wastl Biomechanische Prinzipien Sieben Gruppen strukturverwandter Bewegungsabläufe (Olivier & Rockmann, 2003, S. 45/46) Dr. Peter Wastl 33 Methoden zur Ermittlung biomechanischer Größen • Kinemetrie bzw. Kinematographie Bestimmung der kinematischen Größen Weg und Zeit sowie die daraus abgeleiteten Größen Geschwindigkeit und Beschleunigung • Dynamometrie Bestimmung der Kräfte in Abhängigkeit von der Zeit sowie der daraus abgeleiteten Größen wie z.B. Drehmoment und Drehimpuls Messprinzipien • mechanisch (Maßband, Stoppuhr) • elektronisch (Umwandlung mechanischer in elektrische Größen) • optisch (Film- und Videoanalyse) Dr. Peter Wastl Methoden zur Ermittlung biomechanischer Größen Kinemetrie bzw. Kinematographie Bestimmung der kinematischen Größen Weg und Zeit sowie die daraus abgeleiteten Größen Geschwindigkeit und Beschleunigung direkte Verfahren èdirekte Ortsmessung - Schrittlängenmessung èdirekte Zeitmessung - Stoppuhr - Lichtschranke indirekte Verfahren = optische verfahren èBildserienfotographie èFilm- / Videoanalyse Messprinzipien: vorwiegend mechanisch und optisch Dr. Peter Wastl 34 Methoden zur Ermittlung biomechanischer Größen Dynamometrie Bestimmung der Kräfte in Abhängigkeit von der Zeit sowie der daraus abgeleiteten Größen wie z.B. Drehmoment und Drehimpuls Es werden diejenigen Kräfte gemessen, die zwischen dem Gesamtsystem Mensch und seiner Umwelt auftreten. Typische Meßverfahren: Messplattformen bestimmen am Boden auftretende Reaktionskräfte dynamometrische Reckstange Bestimmen auf die Reckstange ausgeübte Kräfte dynamometrische Stemmbretter und Dollen Bestimmen auf das Ruderboot ausgeübte Kräfte dynamometrische Skier Bestimmen auf die Skier ausgeübte Kräfte dynamometrische Fahrräder Bestimmen die Kräfte bei der Trittbewegung Messprinzipien: vorwiegend elektronisch und optisch Dr. Peter Wastl Biomechanische Bewegungsanalyse Probleme und Kritikpunkte • Ausgereifte und anerkannte Teildisziplin der Sportwissenschaft • Trotzdem besteht die Gefahr der Verabsolutierung Zu beachten ist: - nur spezieller Aspekt der Mechanik - nur der Außenaspekt der Bewegung - die analytische Herangehensweise lässt die Ganzheitlichkeit vermissen - die Erkenntnisse müssen in die Sprache der Praktiker übersetzt werden Dr. Peter Wastl 35