Kampf dem Krebs Teil 1 Schützen Sie sich! Ein gesunder Lebensstil kann Krebs vorbeugen. Das zeigen neue Forschungen von Marion Meiner s Nie zuvor war sie ernsthaft krank gewesen. Doch als Gabriele Rady aus Westfalen, eine leidenschaftliche Raucherin, im Juni 2007 plötzlich Blut im Urin entdeckte, ahnte sie die Diagnose schon: Blasenkrebs. Nachdem der Tumor entfernt worden war und die Ärzte entdeckt hatten, dass auch die Blasenwand befallen war, rieten sie der 62 Illustriert von Jan Bazing 63 Patientin zu einer Chemotherapie oder der Entfernung der Organs. Dazu fehlte der damals 61-Jährigen der Mut. „Ich wollte wenigstens einen Versuch mit komplementären Therapien und einer Änderung meines Lebensstils machen“, erzählt sie. Sieben Wochen später fand sich bei einer Kontrollbiopsie keine Spur des Krebses mehr! Darüber staunte selbst Radys Operateur Dr. Rainer Bürger, Chefarzt der Urologie des Frankfurter St.-Katharinen-Krankenhauses: „Der Kampfgeist von Frau Rady, ihre Begleittherapien und ihre positive Einstellung haben sicher zu dieser ungewöhnlichen Heilung beigetragen.“ An ihrer Krankheit, glaubt die Pensionärin, seien vor allem das Rauchen und eine falsche Ernährung schuld gewesen: „Ich habe immer zu viel Brot und Süßes und zu wenig Gemüse gegessen.“ Beides hat sie seither radikal geändert – und ist gesund. Was die Westfälin vermutet, ist statistisch erwiesen: Rauchen begünstigt die Entstehung von Blasenkrebs – und Gemüse kann davor schützen. Dem Einfluss der Ernährung auf Tumorerkrankungen gilt derzeit das Hauptinteresse vieler Wissenschaftler: In Europas größter Ernährungs- und Krebsstudie namens EPIC wird seit 1994 dieser Zusammenhang an mehr als 500 000 Personen untersucht. „Mindestens ein Drittel aller Krebserkrankungen lässt sich durch einen gesunden Lebensstil verhindern“, fasst Professor Heiner Boeing aus Potsdam, Leiter des deutschen Teils der Studie, die Datenlage zusammen. 64 Wie wir leben, hat einen Einfluss darauf, ob Zellen entarten. Bis zu 330 000 Fälle der sechs meistverbreiteten Krebsarten hätten 2008 allein in Europa durch genügend Bewegung vermieden werden können, errechnet Epidemiologin Christine Friedenreich von der Universität von Calgary, die mit Kollegen europäische Studien ausgewertet hat. Nach wie vor gilt zudem, dass die Heilungschancen umso größer sind, je früher eine Tumorerkrankung erkannt wird. Lesen Sie also, was Sie vor Krebs schützt und bei welchen Warnzeichen Sie zum Arzt gehen sollten: Brustkrebs Allein in Deutschland hören jedes Jahr rund 58 000 Frauen die Diagnose Brustkrebs. Er ist damit die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen. Warnzeichen sind tastbare Knoten, eine eingezogene Brustwarze und Flüssigkeitsabsonderungen aus der Brust. Risikofaktoren: Vermutlich sind nur 5 bis 10 Prozent der Fälle erblich bedingt. Eine frühe erste Regel, ein spätes Einsetzen der Wechseljahre, die Einnahme von Hormonen nach der Menopause und ­– wenn auch in geringerem Maße ­– der Antibabypille können das Brustkrebsrisiko erhöhen. Auch Alkohol, Übergewicht, vor allem nach den Wechseljahren, sowie ein dauerhaft überhöhter Blutzuckerspiegel steigern das Risiko. So schützen Sie sich: „Wir sind uns heute sicherer als je zuvor, dass Frauen ihr Brustkrebsrisiko dramatisch senken können, indem sie wenireadersdigest.de 01/11 ger Alkohol trinken, ein gesundes Gewicht halten und körperlich aktiv sind“, erklärt Professor Martin Wiseman vom Amerikanischen Krebsforschungsinstitut in Washington. Sie können noch mehr tun: Sorgen Sie für einen angemessenen VitaminD-Spiegel im Blut. Als Mindestwert gelten 50 nmol/l. „Vitamin D scheint eine große Rolle bei der Krebsvorbeugung insgesamt zu spielen. Sonne ist die Hauptquelle für seine Bildung. Wer wenig ans Tageslicht kommt, sollte die Sonne im Körper imitieren, indem er zusätzlich Vitamin D als Supplement einnimmt“, rät EPICStudienleiter Professor Boeing. Das schützende Vitamin findet sich in Käse, Eigelb, Pilzen und Seefisch, vor allem aber bildet es unser Körper bei Tageslicht. Das Motto lautet also: Raus an die frische Luft! Dazu kommt: Nur 1,25 bis 2,5 Stunden Bewegung und Sport pro Woche senken die Brustkrebsgefahr um rund 18 Prozent. Nach den Wechseljahren gilt: Viel hilft viel. Jede wöchentliche Stunde mehr an regelmäßiger Bewegung senkt das Risiko um weitere 6 Prozent. Welchen Vorteil regelmäßige Mammografien bieten, ist umstritten: Wissenschaftler der Cochrane Collaboration, eines angesehenen internationalen Forschernetzwerks, attestieren ihr nur eine 0,05-prozentige Reduktion des Sterblichkeitsrisikos. In Deutschland setzt man im Kampf gegen Brustkrebs dennoch auf regelmäßige Mammografien für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. Prostatakrebs Man(n) spürt ihn meist erst im fortgeschrittenen Stadium, wenn etwa Probleme beim Wasserlassen, Rücken- oder Knochenschmerzen auftreten. Mit jährlich mehr als 60 000 Erkrankungen allein in Deutschland ist die Wucherung in der Vorsteherdrüse der häufigste Krebs bei Männern hierzulande. Die meisten erkranken nach dem 50. Lebensjahr. Risikofaktoren: Für Männer, deren Vater oder Brüder an Prostatakrebs litten, erhöht sich das Erkrankungsrisiko. Es wächst auch mit dem Bauchumfang, und zwar um 6 Prozent pro fünf Zentimeter Bauch – das ermittelten Potsdamer Forscher in der EPICStudie. Auch Milchprodukte stehen unter Verdacht: Mehr als 600 Milli65 Die fünf wichtigsten Lebensmittel im Kampf gegen Krebs gramm Kalzium aus Milchprodukten pro Tag sollen Langzeitstudien zufolge das Risiko um mehr als 30 • Beeren wie Blau-, Brom-, Erd- und HimProzent erhöhen. beeren: Ihr Vitamin C kann vor SpeiseSo schützen Sie sich: Greiröhrenkrebs, ihre Ballaststoffe können fen Sie öfter mal zu roten Pastavor Darmkrebs schützen. soßen. Das in gekochten Tomaten • Kreuzblütlergemüse: Brokkoli, Blumenenthaltene Lycopen, eine Vitaminkohl, Rosenkohl beugen Mund-, Rachen-, A-Vorstufe, hilft womöglich bei Kehlkopf-, Speiseröhren- und Magenkrebs der Prävention von Prostatakrebs. vor. Brokkoli schützt auch die Blase. Schutz bietet auch Sex: Viele Eja• Knoblauch und andere Lauchgewächse kulationen, vor allem in jungen wie Zwiebeln, Schnittlauch, Porree: Sie Jahren, senken später offenbar das enthalten Quercetin und andere organiErkrankungsrisiko. Die Vorstehersche schwefelhaltige Verbindungen. Diese drüse wird durch den SamenerSubstanzen schützen vor Magen- und guss gereinigt, und es können sich Darmkrebs. keine kristallinen Mikroverkal• Tomaten: Der roten Frucht schreiben kungen bilden, welche auch mit die Forscher einen möglichen Schutz vor der Entstehung von Prostatakrebs Prostatakrebs zu. in Verbindung gebracht werden. • Grüne Blattgemüse: Spinat, Kohl, Salat, Der PSA-Test zur FrüherkenChicorée und Mangold vermindern durch nung, der die Konzentration eines Ballaststoffe, Carotinoide und Folat das bestimmten Antigens im Blut MM Risiko für diverse Krebsarten. nachweist, ist hingegen umstritten. Allerdings halbierte er – regelmäßig durchgeführt – in einer schwe- Risikofaktoren: Bei höchstens 5 dischen Studie mit 20 000 Männern Prozent der Betroffenen liegt eine deren Risiko, an Prostatakrebs zu erbliche Veranlagung vor. Wer mehsterben. rere Angehörige mit Darmkrebs hat, gilt als Risikopatient und sollte sich einer jährlichen Darmspiegelung unDarmkrebs ist der zweithäufigste terziehen. Besonders gefährdet sind Krebs bei Männern und Frauen in Personen, die an chronisch entzündDeutschland. Blutbeimengungen im lichen Darmerkrankungen wie Colitis Stuhl und Veränderungen der Stuhl- ulcerosa oder Morbus Crohn leiden. Rotes Fleisch, also Rind, Schwein, gewohnheiten gehören zu den deutlichsten Warnzeichen. Oft entwickelt Kalb und Lamm, scheint das Dicksich der Tumor meist lange unbe- darmkrebsrisiko vor allem dann stark merkt aus zunächst gutartigen zu erhöhen, wenn es als verarbeitete Schleim­hautwucherungen, sogenann- Ware verzehrt wird: Pro 100 Gramm täglichem Konsum erhöhte sich in der ten Polypen. 66 readersdigest.de 01/11 Darmkrebs EPIC-Studie die Erkrankungsgefahr um bis zu 70 Prozent. Auch Rauchen, Alkohol und Übergewicht zählen zu den Risikofaktoren. So schützen Sie sich: Ein höherer Serumspiegel an Vitamin D vermindert, ein Mangel erhöht die Krebsgefahr. Der Verzehr von reichlich kal­ ziumreichen Milchprodukten senkt laut einer Auswertung von 60 Studien das Erkrankungsrisiko. Auch Ballaststoffe, vor allem aus Vollkorngetreide, mindern das Darmkrebsrisiko um 40 Prozent – wenn Sie täglich 35 Gramm davon verzehren. Auch hier gilt: Schlüpfen Sie öfter in Ihre Sportschuhe. Regelmäßig körperlich aktive Menschen erkranken um rund 24 Prozent seltener als eher träge Zeitgenossen. Auf die von den gesetzlichen Krankenkassen angebotene Krebsvorsorge sollte niemand verzichten. Bei einer Darmspiegelung lassen sich potenziell gefährliche Polypen erkennen und entfernen. Lungenkrebs Das Lungenkarzinom ist mit 32 500 Neuerkrankungen bei Männern und 14 600 bei Frauen in Deutschland die dritthäufigste Krebsart. Warnzeichen wie beispielsweise neu einsetzender Dauerhusten oder die Verschlimmerung eines chronischen Hustens treten meist erst im Spätstadium auf. Risikofaktoren: Rauchen ist der Hauptrisikofaktor – rund 30 bis 40 Jahre nach dem Griff zur ersten Zigarette muss etwa jeder zehnte Raucher mit Lungenkrebs rechnen! Täglich mehr als 30 Gramm Alkohol, also ungefähr zwei große Gläser Wein, erhöhen das Erkrankungsrisiko ­– erstaunlicherweise bei Nichtrauchern stärker als bei Rauchern. Studien zufolge scheint auch eine Hormonersatztherapie nach den Wechseljahren das Risiko zu steigern. So schützen Sie sich: Die Wissenschaft ist sich einig: Geben Sie das Rauchen auf – oder fangen Sie erst gar nicht damit an! Zugleich kommt wiederum der Ernährung eine wichtige Rolle zu: „Wer regelmäßig viel Obst und Gemüse verzehrt, senkt sein Krebsrisiko um 10 Prozent. Das gilt insbesondere für Krebsformen, die mit dem Rauchen zu tun haben, vor allem für Lungenkrebs“, sagt Ernährungsforscher Professor Boeing. Gebärmutterkrebs Zwischenblutungen, insbesondere bei Frauen über 35, und Blutungen nach den Wechseljahren können ein Warn- Form von Brot, Pasta oder Reis fördert das Risiko einer Tumorentstehung in der Gebärmutter. So schützen Sie sich: Die langjährige Einnahme der Pille scheint das Risiko für eine Tumorbildung in der Gebärmutter zu senken, zugleich erhöht sie geringfügig die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken. Wie sinnvoll die Einnahme von Hormonen ist, sollte darum jede Frau mit ihrem Arzt individuell besprechen. Freundinnen des Kaffeeklatschs werden es gerne lesen: Vier und mehr Tassen Kaffee und Tee am Tag halbieren einer Studie zufolge das Gebärmutterkrebsrisiko. Koffeinfreier Kaffee zeigt diesen Effekt Auf 5 bis 10 Prozent schätzten Forscher übrigens nicht. bislang den Einfluss von Erbanlagen auf die Krebsentstehung. Neue Studien lassen vermuten, dass sich jedes Krebsrisiko beDas wichtigste Warnzeichen sind einflussen lässt – unabhängig von der geBlutbeimengungen im Urin. Mit netischen Ausstattung. „Die Wahrscheinjährlich über 19 000 Neuerkranlichkeit zu erkranken lässt sich klar durch Umweltfaktoren beeinflussen“, sagt Prokungen in Deutschland sind Mänfessor Kari Hemminki vom Deutschen ner mehr als doppelt so oft betrofKrebsforschungszentrum Heidelberg. Wie fen wie Frauen, von denen rund stark, das zeigen Erkenntnisse einer Stu8000 jedes Jahr neu erkranken. die aus New York, die das Brustkrebsrisiko Risikofaktoren : Ganz oben für Frauen mit den Mutationen im BRCA1steht das Rauchen. Auch manche und BRCA2-Gen untersuchten: Hatten vor Medikamente aus der Krebsthera1940 geborene 50-jährige Frauen mit Risipie, chronische Entzündungen kogenen ein nur 24-prozentiges Risiko, jeund bestimmte Chemikalien, zum mals im Leben diesen Krebs zu entwickeln, Beispiel in Textilfarbstoffen, Leso lag diese Gefahr für die nach 1940 gederfarben und Pestizide gelten als borenen Frauen bereits bei 67 Prozent. riskant. Zu viel Wurst und FleischRobert Gramling und seine Kollegen von produkte scheinen das Blasender Universität Rochester im US-Bundesstaat New York wiesen jüngst nach, dass krebsrisiko zu erhöhen. Als Ursaauch Frauen, in deren Familien Brustkrebs che vermuten die Forscher Nitrite, gehäuft vorkam, durch einen gesunden die bei der Verarbeitung von Lebensstil ihr Erkrankungsrisiko senken Fleisch entstehen. MM können. 68 readersdigest.de 01/11 zeichen sein. Jedes Jahr erkranken mehr als 11 000 Frauen allein in Deutsch­land. Risikofaktoren: Neben Diabetes zählen Fettleibigkeit und Hormon­ ersatztherapien nach der Menopause zu den krebsfördernden Faktoren. Im Zuge einer Brustkrebstherapie kann die langjährige Einnahme von Antiöstrogenen oder Aromatasehemmern das Tumorwachstum begünstigen. Auch ein Verzehr von zu vielen Kohlenhydraten beispielsweise in Wie hoch ist Ihr genetisches Risiko? Blasenkrebs So schützen Sie sich: Große Por- tionen Kreuzblütlergemüse wie Brokkoli, Radieschen und Rettich auf dem Teller vermindern laut einer Studie nicht nur das Blasenkrebsrisiko um rund 29 Prozent, sondern verlängern bei Erkrankten die Überlebenszeit. Obst und Gemüse immer gründlich waschen, genau wie neue Kleidungsstücke vor dem ersten Tragen, um die Belastung mit Chemikalien und Pestiziden zu minimieren. Viel Kaffee scheint das Risiko einer Blasenkrebserkrankung vor allem für Raucher zu halbieren. Das könnte am hohen Anteil zellschützender Antioxidantien liegen. Täglich mindestens sechs große Gläser Wasser oder Tee zu trinken senkt die Gefahr einer Krebsentstehung in der Blase um fast die Hälfte. Möglicher Grund: Durch die hohe Flüssigkeitszufuhr werden vermehrt krebserregende Schadstoffe aus der Blase geschwemmt. Eierstockkrebs Meist macht sich der aggressive Tumor erst im fortgeschrittenen Zustand bemerkbar, etwa mit Völlegefühl oder einer Zunahme des Bauchumfangs bei gleichbleibendem Gewicht. Jährlich erkranken fast 10 000 Frauen. Risikofaktoren: Frauen, deren Verwandte ersten Grades an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankten, haben ein etwa um 10 Prozent, Frauen mit einem der beiden Brustkrebsgene BRCA-1 und BRCA-2 ein um bis zu 50 Prozent erhöhtes Erkrankungsrisiko. Eine Hormonersatztherapie steigert die Gefahr der Krebsentstehung um bis zu 44 Prozent. Ein allzu großer Konsum von Milch und Milchprodukten könnte die Entstehung des Ovarialkarzinoms ebenfalls fördern. Schwedische Forscher vermuten, dass der Milchzucker dabei eine Rolle spielt. So schützen Sie sich: Frühe Wechseljahre und die Antibabypille schützen offenbar vor der Erkrankung. Wiederum gilt: Die Vor- und Nachteile einer Einnahme von Hormonen sollte jede Frau gründlich abwägen. Wenig Fleisch, viel Obst und Gemüse, insbesondere gelbes wie Möhren und Paprika und Kreuzblütlergemüse, also Brokkoli, Kohl, Rettich oder Kresse, kann die Überlebenszeit für Eierstockkrebs-Patientinnen verlängern. Ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel im Blut senkt offenbar das Risiko: Erkrankte Frauen litten fast viermal so häufig an Vitamin-D-Mangel wie gesunde Frauen. Eines ist klar: Nicht jede Krebs‑ erkrankung lässt sich verhindern. Aber mit einem gesunden Lebensstil, ausgewogener Ernährung und genügend Bewegung können Sie viel dazu beitragen, dass es Sie nicht trifft! Nächsten Monat lesen Sie, auf welche Behandlungen die Krebsmedizin heute setzt und woran sie forscht. Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand. M a x Fr is c h , schweiz. Schriftsteller (1911-1991) 69