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Thomas Schmitt
Islamische Organisationen und Moscheevereine in
Deutschland
Eine einführende Übersicht
2003
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Der vorliegende Text ist eine Ergänzung zum Band 252 der
„Forschungen zur deutschen Landeskunde“
mit dem Titel
„Moscheen in Deutschland. Konflikte um ihre Errichtung und Nutzung“.
erschienen
im Selbstverlag der deutschen Akademie für Landeskunde e.V.,
Flensburg 2003.
www.deutsche-landeskunde.de -> veröffentlichungen
Das Manuskript wurde im Sommer 2000 angefertigt und im Oktober 2003 aktualisiert.
2
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Inhalt
1
2
3
4
5
6
Die Türkisch-Islamische Union (DİTİB)
3
Kastentext: Die Orhan Gazi-Moschee in Berlin-Kreuzberg
7
Der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ)
7
Kastentext: Die VIKZ-Moschee in Duisburg-Rheinhausen
11
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș (IGMG)
ATİB und ADÜTDF/ATF
„Kalifatstaat“/ Kaplanci
Nurculuk/ Jam‘at un-Nur
12
14
17
18
Kastentext: Islamrat und Zentralrat als islamische Spitzenverbände
7
8
9
10
11
12
13
in Deutschland
19
Derwisch-Gruppen und Sufi
Unabhängige türkisch geprägte Moscheen
Sunnitische Moscheen anderer Ethnien
21
21
22
Arabische Moscheen
22
Kurdische Moscheen
23
Weitere nicht-türkische sunnitische Moscheen
23
Muslimische deutsche Muttersprachler
Schiiten und schiitische Moscheen in Deutschland
Die Aleviten
24
25
26
Glaubensvorstellungen der Aleviten
26
Zur gegenwärtigen Situation der Aleviten in der Türkei
28
Kastentext: Das Alevitische Kulturzentrum in Duisburg-Rheinhausen
30
Die Ahmadiyya
32
Die Anfänge der Ahmadiyya-Bewegung
32
Ahmadiyya in Deutschland
33
Anmerkungen
Literatur
34
37
3
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Dieser Beitrag vermittelt eine Übersicht über wichtige islamische Organisationen und
Moscheedachverbände in Deutschland. Ein Ziel dieses Textes ist es, die Vielfalt islamischen
Lebens in Deutschland einführend darzustellen, ohne einen Anspruch auf Berücksichtigung
sämtlicher Gruppierungen zu erheben. Beginnend mit der DİTİB, werden im folgenden zunächst
diejenigen islamischen Organisationen, die dem türkischen sunnitischen Islam zuzuordnen
sind, behandelt.1 Gelegentlich werden exemplarisch Hinweise auf lokale Gegebenheiten,
insbesondere in Bezug auf Moscheevereine in Duisburg eingebaut.
1 Die Türkisch-Islamische Union (DİTİB)
Die größte islamische Organisation in Deutschland, was die Zahl der ihr zugehörigen Moscheen
betrifft, ist seit etwa Mitte der achtziger Jahre die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für
Religion e.V., besser bekannt unter der türkischen Abkürzung DİTİB.2 Der Verbandsnamen
verweist dabei auf die feste Verbindung des Verbandes zur staatlichen türkischen
Religionsbehörde, der Diyanet İșleri Bașkanliği („Präsidium für Religionsangelegenheiten“).
Ende der neunziger Jahre wurde die Zahl der Moscheen, die der DİTİB angeschlossen sind, mit
rund 750 angegeben.3 Dabei ist die DİTİB derjenige Verband, der am meisten in der Fläche,
also auch in Klein- und Mittelstädten, mit Moscheen vertreten ist.
Wie bei den weiteren türkisch-sunnitischen Verbänden, so ist auch bei DİTİB ein recht starker
Türkeibezug festzustellen, welcher sich in der Anbindung an die türkische Religionsbehörde
manifestiert. Diese wurde 1924 im Zuge der kemalistischen Revolution in der Türkei
gegründet und repräsentiert den regierungsoffiziellen Islam in der türkischen Republik.
Letztlich sollte die Religionsbehörde sicherstellen, dass der Islam nicht die laizistischen
Prinzipien der kemalistischen Revolution in der Türkei gefährdete – was zu der paradoxen, mit
einem Laizismus nicht zu vereinbarenden Konstruktion führte, dass eine staatliche Behörde
die islamische Religionsausübung organisiert und damit auch kontrolliert.4
Die Gründung der deutschen DİTİB erfolgte 1982/84 mit dem Ziel, ein Gegengewicht gegen
die damals bestehenden islamistischen Organisationen in der Bundesrepublik zu bilden, die
unter anderem die Einführung des islamischen Rechts, der scheria, in der Türkei propagierten.
Mit der Gründung von „Konkurrenzmoscheen“ wollte die DİTİB die in Deutschland lebenden
Türken von den politisch agitierenden Vereinen abziehen und ihnen Moscheen anbieten, die
den konkreten religiösen Bedürfnissen der in Deutschland lebenden Migranten entsprachen.
Den türkischen Arbeitsmigranten sollte eine Form des Islams angeboten werden, welche ihnen
von der Türkei her vertraut war (HEINE 1997, S. 119f.). In einem Informationsblatt stellte sich
die DİTİB wie folgt dar:
4
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
„Begegnung der Religionen, das ist ein Ziel unserer Organisation. Sie hält sich fern von jeder Politik
und widersetzt sich allen Bestrebungen, den Islam für parteipolitische und materielle Ziele einzusetzen.
Gruppenbildungen und separatistischen Bewegungen stellen wir uns entgegen. (...) Sie [= die DİTİB]
ist bemüht, bei allen Menschen, und eben besonders bei den mit ihr zusammenarbeitenden Muslimen
Verständnis für gegenseitige Achtung, Liebe und Freundschaft mit den Angehörigen auch der anderen
Religionen zu wecken und zu fördern.“5
Ein unmittelbarer Vorteil, der sich für die örtlichen Moscheevereine durch die Zugehörigkeit
zur DİTİB ergibt, ist in der Tatsache zu sehen, dass in der Regel die Imame den örtlichen
Moscheevereinen von der türkischen Religionsbehörde zur Verfügung gestellt werden und –
im Unterschied zu anderen Verbänden – die örtlichen Vereine nicht für deren Lebensunterhalt
aufkommen müssen. Ansonsten agieren die (ehrenamtlichen) Vorstände der lokalen, rechtlich
selbständigen DİTİB-Moscheevereine weitgehend unabhängig von der Bundeszentrale in
Köln. Dies gilt auch für die Frage der Errichtung repräsentativer Moscheebauten, welche
von den Mitgliedern vor Ort entschieden wird. Sie müssen die Finanzierung des Baus tragen;
trotzdem wird in der Regel die (vom örtlichen Moscheeverein finanzierte) Moschee in das
Eigentum des Dachverbandes übertragen.
Die Imame der DİTİB-Moscheen sind in der Regel ausgebildete Theologen der türkischen
Religionsbehörde und werden von ihr als Beamte für vier bis etwa sechs Jahre nach Deutschland
entsandt. Mit der Lebenswirklichkeit gerade der jüngeren Muslime in Deutschland sind sie
häufig nur unzureichend vertraut. Zudem verfügten sie bisher meist nur über geringe oder
keine deutschen Sprachkenntnisse, so dass ausgerechnet die islamischen Theologen für die
Repräsentation der Moscheevereine in der Gesamtgesellschaft oder für den lokalen christlichislamischen Dialog weitgehend ausfallen. Diese eklatanten Nachteile können auch nicht durch
den Vorteil aufgewogen werden, dass an ihrer Stelle die Vereinsvorstände, also theologische
Laien im erhöhtem Maße für die Außenrepräsentation und die Organisation der Tätigkeiten des
Moscheevereins gefordert sind.
Es bleibt daher abzuwarten, ob sich diese Konstruktion – dass letztlich der türkische Staat in
einem hohen Maße bei der Religionsausübung von Muslimen in Deutschland mitentscheidet
–, auch langfristig als sinnvoll und tragfähig erweist; wenn etwa in fünfzehn bis zwanzig
Jahren für einen Großteil der türkischstämmigen Wohnbevölkerung der innere Abstand zur
Türkei vermutlich größer geworden sein wird und voraussichtlich viele von ihnen keine
türkische Staatsangehörigkeit mehr besitzen. Obwohl der DİTİB unbestritten wichtige
Verdienste für eine Stabilisierung des Islams in Deutschland zuerkannt werden müssen,
werden bereits seit einigen Jahren die Probleme dieser Konstruktion deutlich, etwa bei der
Frage der Einrichtung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts. Hierbei
erwies sich, neben deutschen staatlichen Stellen, auch die DİTİB bislang als ein bremsender
Faktor. Der organisationsimmanente Türkeibezug der DİTİB als bislang größter islamischer
Organisation bedarf mittel- bis langfristig einer erheblichen Lockerung, wenn muslimische
türkischstämmige Deutsche in Zukunft adäquat durch die DİTİB repräsentiert werden sollen.
5
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Hier hat aber auch die Gesamtgesellschaft in der Bundesrepublik Vorleistungen zu erbringen,
indem etwa an staatlichen Hochschulen Lehrstühle für islamische Theologie errichtet
werden, als eine notwendige Voraussetzung dafür, dass akademische islamische Theologen in
Deutschland ausgebildet werden können.
1982 wurde DİTİB als Berliner Regionalverband gegründet (SPULER-STEGEMANN 1998, S. 111). Zwei Jahre
später erfolgte die Gründung in Köln; dort wurde die Deutschland-Zentrale der DİTİB eingerichtet. Über die
Vereinssatzung ist die Verbindung zur türkischen Religionsbehörde festgeschrieben: Der fünfköpfige Beirat
der DİTİB, der auch den Vorstand ernennt, besteht aus Religionsbeauftragten (Theologen) des Präsidiums des
Diyanet (a.a.O.). Ende der neunziger Jahre gehörten der DİTİB rund 750 Moscheevereine in Deutschland an, in
denen knapp 500 theologisch ausgebildete Imame tätig waren (SPULER-STEGEMANN 1998, S. 112; DİTİB (Hg.),
ca. 1998). An den 14 Generalkonsulaten der Türkei in der Bundesrepublik hat je ein Religionsattaché seinen
Sitz, der für die Ortsvereine der DİTİB in seinem Gebiet zuständig ist. Die DİTİB vertritt in der Regel einen
gemäßigten, nach eigenem Verständnis „unpolitischen“, wenn auch häufig konservativen Islam, wobei bei
den einzelnen Funktionären und Theologen eine Spannbreite von ausgesprochen liberalen bis in Einzelfällen
islamistischen Haltungen zu beobachten ist. Seit 2000 ist für die Imame, die nach Deutschland entsandt werden,
der vorausgehende Besuch eines Deutschkurses Pflicht. In geringerer Zahl werden auch Theologinnen zur
seelsorgerischen Betreuung von Muslima nach Deutschland entsandt.
DİTİB ist weder Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), noch im älteren Islamrat. Das
bedeutet eine deutliche Schwächung beider, teils konkurrierender, teils kooperierender Organisationen, die
– wie in den Namensgebungen ausgedrückt wird –, einst mit dem Anspruch angetreten sind, einen Großteil,
wenn nicht die Gesamtheit der praktizierenden Muslime in Deutschland repräsentieren zu können.
6
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Die Orhan Gazi-Moschee in Berlin-Kreuzberg
Der DITIB sind zahlenmäßig ein Großteil der repräsentativen Moscheebauten in Deutschland
zuzuordnen. Daneben verfügt der Verband auch über viele Laden- und Hinterhofmoscheen.
Eine ausgesprochen kleine Moschee der DİTİB ist die Orhan Gazi-Moschee in BerlinKreuzberg. Man kann sie als eine Nachbarschaftsmoschee einordnen, die insbesondere
Muslime aus der unmittelbaren Wohnumgebung ansprechen soll, anders als zum Beispiel die
weitaus größere Merkez-Moschee der DİTİB im östlichen Kreuzberg. Die Orhan-Gazi-Moschee
ist in einer Ladenzeile untergebracht; der Gebetsraum umfasst etwa 75 m² . Ansonsten verfügt
die Gemeinde lediglich über die obligatorische Waschgelegenheit und einen Multifunktionsraum
im Keller. Zum Zeitpunkt des Besuchs (Februar 1999) war der Moschee eine Jugendgruppe
angeschlossen, die der Imam der Moschee leitete und welche gemeinsame Sport- und
Freizeitaktivitäten durchführte.
7
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
2 Der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ)
Der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) zählt, nach der semistaatlichen DİTİB
und etwa gleichrangig zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüș (IGMG), zu den größeren
islamischen Verbänden in Deutschland und ist wie diese vom türkisch-sunnitischen Islam
geprägt. Anfang 2000 verfügte der VIKZ über etwa 335 Moscheevereine; über 210 dieser
Moscheegemeinden waren Mitte 1999 in verbandseigenen, also nicht gemieteten Räumen
untergebracht.6 Für das Zentrum der Türkeistudien hatte sich der Verband – aus der Perspektive
von 1997 – „in den letzten Jahren in aller Stille zum drittgrößten7 türkisch-islamischen
Verband entwickelt, der nicht nur den Vorzug genießt, auf die längste Verbandsgeschichte
zurückzublicken, sondern von deutschen Gesprächspartnern auch am stärksten aktiv im
christlich-islamischen Dialog beschrieben zu werden“ (ZFT 1997, S. 132).
Der heutige Verband der Islamischen Kulturzentren geht auf das bereits 1973 in Köln
gegründete „Islamische Kulturzentrum e.V.“ zurück, das sich auf eine schon 1968 von
türkischen Arbeitsmigranten gegründete, heterogenere Organisation zurückführen lässt.8
Um 1980 geriet der Verband verstärkt in die öffentliche Kritik. 1979 hatte der Verband einen
Antrag auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gestellt. Daraufhin ließ der
Deutsche Gewerkschaftsbund eine Studie erstellen, die verschiedene Imame der Islamischen
Kulturzentren mit antisemitischen und gegen die deutsche Gesellschaft polemisierenden
Äußerungen zitierte (DGB 1980).9 Während es in den Folgejahren zunächst ruhig wurde um
den VIKZ und der Verband sein Bild bei der interessierten deutschen Öffentlichkeit allmählich
verbessern konnte, setzte zu Beginn der neunziger Jahre ein bemerkenswerter Öffnungskurs
der Verbandsleitung ein. Der VIKZ engagierte sich maßgeblich in der Dachorganisation
des Zentralrats der Muslime in Deutschland, initiierte „Tage der offenen Tür“ in seinen
Moscheen, beteiligte sich zunehmend an lokalen christlich-muslimischen Dialogprojekten und
professionalisierte seine Öffentlichkeitsarbeit. Höhepunkt dieses Öffnungskurses war 1998 die
Eröffnung einer verbandseigenen Akademie, der Villa Hahnenburg in Köln. Mit ihrem stark
dialogorientierten Programm unter Einbeziehung von Referentinnen und Referenten aus den
Bereichen der islamischen Organisationen, der christlichen Kirchen, staatlichen Stellen und
Hochschulen hatte die Akademie die Perspektive, eine Bildungs- und Begegnungseinrichtung
mit bundesweiter Ausstrahlung zu werden.10
Überraschenderweise wurde Mitte 2000 die Öffnungspolitik des Verbandes in markanter
Weise abgebrochen. Der Vorstand wurde ausgewechselt, der VIKZ trat aus dem Zentralrat
der Muslime in Deutschland aus, die Villa Hahnenburg wurde geschlossen, und auch in den
lokalen und regionalen Führungsebenen fanden Personalwechsel statt. Wie dieser Bruch in
seiner ganzen Tragweite zu bewerten ist, kann vermutlich erst im Abstand von einigen Jahren
sicher beurteilt werden.
8
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Von den Angehörigen der türkischen Wohnbevölkerung und teilweise auch in der
wissenschaftlichen Literatur werden Mitglieder des VIKZ häufig als „Süleymanci“
bezeichnet, was man mit „Anhänger Süleymans“ übersetzen kann. Diese weitverbreitete
Bezeichnung wird vom VIKZ wegen ihres pejorativen Hintersinns abgelehnt, zumal sie auch
fälschlicherweise eine Abweichung vom sunnitischen Islam suggeriere.11 Die Bezeichnung
verweist auf Süleyman Hilmi Tunahan (1888-1959), der im ausgehenden Osmanischen Reich
als Professor für Theologie arbeitete und in der türkischen Republik eine Korankurs-Bewegung
initiierte. Diese war in der Türkei insofern illegal, als nach der kemalistischen Revolution
der türkische Staat den Anspruch erhob, die islamische Religionsausübung monopolartig zu
organisieren und zu kontrollieren. Schüler Tunahans und dieser Korankurse waren es, die als
Arbeitsmigranten ab den sechziger Jahren die ersten derjenigen Einrichtungen und Moscheen
in Deutschland gründeten, aus denen später der VIKZ hervorgehen sollte. Wichtig auch
für das interne Selbstverständnis des VIKZ ist die Tatsache, dass Tunahan eine mystische
Richtung des Islams vertrat und Angehöriger des in der Türkei weitverbreiteten Sufi-Ordens
der Nakșibendiye war.
Die sufischen, also mystischen Traditionen des Islams werden insbesondere von Bruderschaften gepflegt, die
in der islamischen Welt als „tarikat“ („Weg“), im deutschen häufig als (Derwisch-)Orden bezeichnet werden.
Die Tarikat „versuchen nicht, sich aus der islamischen Gemeinschaft zu lösen, sondern sie wollen innerhalb der
Umma [= der Gemeinschaft der Gläubigen] den gemeinsamen Weg des Islam in einer ihnen angemesseneren,
tieferen und vollkommeneren Weise leben und damit auf ihre Art Gott näher kommen“ (JACOB 1990, S. 129).
Im Vergleich zu den bekannten christlichen Orden lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche
Unterschiede feststellen: So sind die Angehörigen der Tarikat in der Regel verheiratet, und nur ein kleiner Teil
von ihnen wohnt in der Tekke, das in erster Näherung dem christlichen Kloster entspricht. An der Spitze einer
Tarikat steht in der Regel ein Großmeister (Scheich oder Dede), dem allgemein eine große Autorität zufällt
und dem die Ordensangehörigen Gehorsam schulden. Vergleichbar den christlichen Orden, bildet die Tarikat
Zweigniederlassungen aus, die ebenfalls Tekke genannt und von einem lokalen Scheich geleitet werden.12
Was die theologische Ausrichtung der einzelnen Sufi betrifft, lassen sich in der islamischen Welt deutlich
verschiedene Konzeptionen feststellen: von streng dualistischen Vorstellungen, in denen sich Gott und
Welt getrennt gegenüberstehen, bis hin zu pan(en)theistischen oder nicht-dualistischen Konzepten.13 Die
Nakșibendiye, in deren Tradition der VIKZ steht, betonten von Anfang an ihre strenge Orientierung am
Sunnismus; es lassen sich bei ihnen keine Anknüpfungspunkte für pantheistische Vorstellungen finden (JACOB
1990, S. 141). Wie Angehörige anderer Tarikat, üben die Nakșibendiye neben den Pflichtgebeten geistliche
Übungen beziehungsweise meditative Praktiken aus. Dazu zählt unter anderem die Praxis der ständigen
Wiederholung der Anrufung des Namens Allah, oder der 99 Namen Gottes („dhikr“ bzw. türkisch „zıkır“:
„Gottgedenken“). Dhikr verrichten die Sufi sowohl alleine wie in gemeinsamen, mitunter mehrstündigen
Zeremonien. Ausführlichere Beschreibungen hierfür finden sich zum Beispiel bei JACOB (1990, S. 141-144).
9
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Eine nicht zu unterschätzende Besonderheit des VIKZ ist damit gegeben, dass zumindest ein Teil
seiner Mitglieder, und insbesondere seine leitenden Personen, Anhänger eines sufischen Islams
sind. Während der Verband diesen Umstand gegenüber der deutschsprachigen Öffentlichkeit
noch Anfang der neunziger Jahre bestritten hatte, wies er in seiner Selbstdarstellung ab 1997
zumindest ansatzhaft darauf hin.14
Ein Grund für die ursprüngliche Vorsicht dürfte darin zu suchen sein, dass in der Türkei Sufi-Orden im Zuge
der kemalistischen Revolution 1925 verboten wurden und somit die Korankurs Bewegung Tunahans nur im
Untergrund agieren konnte. Außerdem spielt sicher eine Rolle, dass von vielen nicht-sufisch orientierten
Sunniten die Anhänger eines sufischen Islams als nicht orthodox angesehen werden. Zudem wurden aus dem
Umfeld der staatlichen türkischen Religionsbehörde äußerst pejorative, offensichtlich interessensgeleitete
Arbeiten über die Person Tunahans und seine Anhänger veröffentlicht, die offenbar das Ziel verfolgen
sollten, eine unliebsame Konkurrenz zu diskreditieren. Auch in deutschsprachigen Studien wurden diese
Veröffentlichungen, stellenweise unkritisch, rezipiert.15
Die Vorstände der örtlichen Gemeinden des VIKZ werden im Unterschied zur DİTİB vom
Vorstand des Gesamtverbandes (Sitz: Köln)16 eingesetzt, also nicht gewählt. Dies berechtigt,
in Bezug auf den VIKZ von einem zentralistisch geführten Verband zu sprechen. Laut Satzung
wird der Gesamtvorstand von der Mitgliederversammlung gewählt, an der alle ordentlichen
Mitglieder teilnehmen können (VIKZ o.J.). Während der VIKZ seine ersten Imame noch aus der
Türkei bezog, sollten sie nach und nach durch Imame ersetzt werden, die im verbandseigenen
Internat in Köln in einem mehrjährigen Theologie-Kurs ausgebildet werden. Die theologische
Ausbildung steht auch Frauen offen, die somit innerhalb des Verbandes als Theologinnen tätig
werden können. Allerdings können die Theologinnen und Theologen des Verbandes damit
nicht für sich in Anspruch nehmen, ein theologisches Hochschulstudium absolviert zu haben.
Abschließend soll die Frage aufgegriffen werden, wie sich der VIKZ bezüglich des
Fragenkomplexes „Islam und Demokratie“ positionierte. Das Zentrum für Türkeistudien
schrieb 1997 hierzu: „Wenn der türkisch-national ausgerichtete Verband gegenüber seinen
Mitgliedern die Scharia als Richtschnur und idealen Rahmen für das Leben der Gemeinde
propagiert und auf ihre Einhaltung in der täglichen religiösen Praxis drängt, so dringt diese
Forderung nicht an die deutsche Öffentlichkeit und sie ist auch nicht mit Aufforderungen
zur gewaltsamen Umgestaltung eines Staatssystems verbunden.“17 Der VIKZ selbst führt
hingegen in einer Stellungnahme an, dass Kemal Kacar, Nachfolger Süleyman Tunahans in
der türkischen Mutterorganisation, gegenüber der türkischen Zeitung „Tercüman“ 1989 betont
habe, dass er das laizistische System der Türkei respektiere (VIKZ 1998b). In einem Vortrag
im Islamischen Zentrum München 1999 formulierte der damalige Generalsekretär des VIKZ
(und Jurist), Ibrahim Çavdar: „Die Väter und Mütter des [deutschen] Grundgesetzes wollten
einen Staat schaffen, der für die Menschen da ist. Das ist ihnen gelungen. (...) Das Grundgesetz
ist ein wertvolles Gut und verdient von uns Muslimen eine hohe Wertschätzung.“18 Offen
10
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Die VIKZ-Moschee in Duisburg Rheinhausen
Die VIKZ-Moschee im Duisburger Stadtteil Rheinhausen präsentiert sich von außen
vergleichsweise unauffällig, verfügt aber über einen großzügigen Gebetsraum, der in einem
ehemaligen Kino untergebracht ist. Die Moschee in Rheinhausen übt zentrale Funktionen für die
Duisburger Gemeinden des VIKZ aus, insbesondere was die religiös-theologische Bildung von
Mädchen und Frauen betrifft. Hier finden örtliche Vorbereitungsseminare für die verbandsinterne
theologische Ausbildung des VIKZ in Köln statt. Die Rheinhausener Gemeinde des VIKZ
hat lokale Geschichte in Sachen christlich-islamischer Dialog geschrieben, als in den frühen
siebziger Jahren die örtliche evangelische Kirchengemeinde über ein Jahr lang den Muslimen
mangels eigener Räume ihren Kirchenraum für das Freitagsgebet zur Verfügung stellte (vergl.
YARDIM/ FAUST 1999, S. 16f.). Das Foto rechts zeigt eine Zusammenkunft jüngerer ehrenamtlicher
Mitarbeiter des Duisburger VIKZ im Hof der Rheinhausener Moschee, anlässlich eines Vortrags
des türkischstämmigen CDU-Politikers Bülent Arslan (1999).
11
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
bleibt, ob nach dem Wechsel in der Verbandspolitik Mitte 2000 diese Position weiter vom
VIKZ vertreten wird. – 2002 legte JONKER eine umfangreiche Studie über das Innenleben des
VIKZ vor.
3 Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș (IGMG)
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș kann als die umstrittenste unter den größeren
islamischen Organisationen in Deutschland gelten, wobei Umstrittenheit immer bedeutet,
dass mehrere konkurrierende Sichtweisen auf den betreffenden Gegenstand, hier: einen
islamischen Verband, existieren. So ist für das Bundesamt für Verfassungsschutz Milli Görüș
eine eindeutig „extremistische“ Organisation;19 für den renommierten deutschen Muslim M.
S. Abdullah spiegelte 1993 Milli Görüș hingegen „das gesamte Spektrum des Islam“, „von
konservativ bis liberal“ wider, wobei die Organisation trotz der Nähe zur türkischen RefahPartei „längst zur Heimat auch politisch Andersdenkender geworden“ sei (ABDULLAH 1993,
S. 39). Die Frage, wie Milli Görüș einzuordnen ist, hat für potentielle Dialogpartner aus den
Bereichen Kirche oder kommunale Verwaltung nicht nur eine akademische, sondern eine
höchst praktische Bedeutung.
Unstrittig ist die personelle und auch ideologische Nähe der Islamischen Gemeinschaft
Milli Görüș zu den wechselnden türkischen Parteien Necmettin Erbakans, der Faziletbeziehungsweise ihrer Vorläuferorganisation, der Refah-Partei.20 Diese wurde 1998
vom türkischen Verfassungsgericht verboten, nachdem sie noch ein Jahr zuvor an einer
Koalitionsregierung mit Erbakan als Ministerpräsidenten beteiligt war. Die Refah-Partei
hatte ein islamisch – beziehungsweise, je nach Bewertung: islamistisch – orientiertes
Parteiprogramm und sich zum Ziel gesetzt, mit legalen Mitteln das laizistische Staatssystem
der Türkei abzuschaffen. An seine Stelle sollte „ein auf Koran und Scharia basierendes Rechtsund Gesellschaftssystem treten, das die Refah-Partei als „gerechte Ordnung“ bezeichnet[e]
und das als Modell für eine weltweite Islamisierung dienen soll[te]“.21 „Gerechte Ordnung“,
gelegentlich auch „gerechte Wirtschaftsordnung“ ist der Name eines 1991 von Necmettin
Erbakan formulierten Programms, demzufolge ein islamisches Staatssystem in der Türkei
aufgebaut werden soll. Das bestehende System der Türkei wurde darin als Sklavenordnung
des Imperialismus, Zionismus und modernen Kolonialismus dargestellt.22 Der Programmtext
enthält eindeutig antizionistische bzw. antisemitische Passagen.23
Letztlich geht der Name Milli Görüș auf eine gleichnamige Schrift von Necmettin Erbakan
aus dem Jahre 1973 zurück (SPULER-STEGEMANN 1998, S. 118). Wörtlich bedeutet Milli Görüș
„nationale Sicht“, wobei nach der offiziellen Lesart des Verbandes der Begriff als „islamische
Anschauung“ zu verstehen ist.24
12
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Die AMGT (Vereinigung der neuen [beziehungsweise, je nach Interpretation: nationalen/
islamischen] Weltsicht in Europa) entstand 1985 als Zusammenschluss mehrerer Organisationen
und Moscheevereine, die teilweise bereits in den siebziger Jahren gegründet worden waren.
1995 wurde die AMGT neugegliedert; die eigentliche Nachfolgeorganisation der AMGT stellt
die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș (IGMG) dar, während seitdem die Immobilien der
Milli Görüș von der „Europäischen Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft e.V.“
(EMUG) verwaltet werden. Die EMUG hatte Ende 1999 „mehr als 200 Moscheen“ in Europa
im Bestand.25 Insgesamt betreibt die IGMG in Deutschland mehr als 500 Einrichtungen,26
wovon allerdings nicht alle Moscheen sind. Laut ZFT (1997, S. 126) verfügte die IGMG 1997
über 274 Moscheen in Deutschland.
Nicht selten wird der IGMG eine Doppelbödigkeit27 in dem Sinne vorgeworfen, dass sie sich
nach außen zum Grundgesetz und dem Dialog mit staatlichen und kirchlichen Stellen bekenne,
nach innen aber einen doktrinären Islam sowie antidemokratische und integrationsfeindliche
Positionen vertrete.
In dieses Bild der Doppelbödigkeit passt auch eine Begebenheit, über welche die Berliner Tageszeitung berichtete
und welche sie als Ausdruck einer solchen „islamistischen Doppelstrategie“ wertete. Bei einer hochkarätig
besetzten Podiumsdiskussion 1999 im Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD verweigerte der langjährige
AMGT-Funktionär28 und Islamratsvorsitzende Hasan Özdogan29 einem kritischen, mit investigativen Methoden
arbeitenden türkischstämmigen Journalisten den Zutritt und gab gegenüber der „Tageszeitung“ als Begründung
zu Protokoll, bei diesem Journalisten handle es sich um einen „Unruhestifter, Verleumder, schmutzigen
Journalisten und radikalen, ungläubigen Aleviten mit einem großen Rachebedürfnis an Muslimen“30 – was
zum einen auch einen Affront gegenüber den Aleviten darstellte, zum anderen eine deutliche Abkehr vom
dialogorientierten Kurs des Gründers und spiritus rectors des Islamrats, Muhammed Salim Abdullah.
Antisemitische Äußerungen finden sich in der türkischen Tageszeitung Milli Gazete, die der Politik Erbakans
und damit in Europa auch Milli Görüș nahe steht. Beispielsweise hieß es in der Milli Gazette vom 21.1.1994:
„Ein Jude unterscheidet sich vom Satan durch nichts. Wer von dem Satan Erbarmen oder eine Wohltat erwartet,
ist dumm. Die Juden sind die Quellen der bösen Taten, die sich nicht nur gegen das Volk Palästinas, sondern
auch gegen die ganze Menschheit richten.“31
Eine wichtige Frage bei der Auseinandersetzung mit Milli Görüș ist die, ob durch solche und
vergleichbare Äußerungen von Milli-Görüș-Vertretern und aus dem Umfeld des Verbandes
ein zutreffendes Bild der Gesamtorganisation konstruierbar ist. Nicht nur die Autoren eines
Dossiers in der „Zeit“ über die IGMG sprachen Ende der neunziger Jahre
„von einem neuen Trend bei der Milli Görüș. Junge, in Deutschland aufgewachsene Muslime streben
an die Spitze. (...) Die Jungtürken, heißt es, wollen die Organisation von Istanbul abnabeln, sich nicht
mehr instrumentalisieren lassen für die Machtinteressen alter Männer. Mehmet Erbakan32 sieht einen
Generationskonflikt: ‚Da brodelt es.‘“33
13
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Der Autor dieser Studie hat nur zu wenigen Milli-Görüș-Mitgliedern Kontakt, lernte im
Rahmen der Arbeiten für diese Studie aber auch solche Mitglieder kennen, die eher dem
liberalen Spektrum innerhalb des Islams zuzuordnen sind.
Mit großem Aufwand betreibt die IGMG Mitgliedertreffen, die teilweise in Fußballstadien
stattfinden und deren Besucherzahlen mehrere Zehntausende erreichen. Die folgende
Schilderung vermittelt einen Eindruck von einem Jugendtag der IGMG in Düsseldorf mit
7000 Teilnehmern:
„Rechts jubeln die Männer, links die Frauen, züchtig gekleidet mit Kopftüchern und langen Mänteln.
(....) Die Inszenierung ist perfekt. Auf türkische Märsche folgen stampfende Diskorhythmen, auf
anatolischen Sakropop die türkische Hymne (...) Wem der Text entschwunden ist, bekommt von der
Großbildleinwand Hilfe: ‚Mein geliebtes Vaterland Türkei:‘ Und dann ist Er da, wenn auch nur per
Telefon aus Istanbul zugeschaltet (...) Necmettin Erbakan, der ehemalige türkische Ministerpräsident.
Seine Worte sind kaum zu verstehen (...) Doch der Menge scheint jedes Wort eine Offenbarung.
Mücahit Erbakan, ‚Glaubenskämpfer Erbakan‘. Die Schlachtenbummler Gottes rasen. (....)
Parteikongreß und Folklorekonzert, Heimattreffen und Kirchentag. Die Inszenierung wechselt jeden
Augenblick die Form, das Geschehen pendelt zwischen der alten und der neuen Heimat. Und doch
scheint das Programm aus einem Guß: Wie ein Band durchzieht ein Grundton alle Reden, Jubilarien
und Lieder: Wir sind stark - Wir sind eine Einheit - Mit uns muß man rechnen.“34
Es ist durchaus möglich, dass in verschiedenen IGMG-Vereinen vor Ort eine größere
Öffnung gegenüber der deutschen Gesellschaft und liberalere Haltungen zu finden sind, als
es einigen der obigen Zitate entspricht. Innerhalb der Islamwissenschaft,35 der politischen
Parteien,36 der Kirchen und Beobachtern aus den Medien existieren durchaus unterschiedliche
Einschätzungen, was die religiösen und gesellschaftspolitischen Positionen von Milli Görüș
betreffen. Diese Differenzen in der Bewertung von Milli Görüș finden ihre Fortsetzung in
der Frage, ob und in welcher Form die Gesamtgesellschaft aktiv den Dialog mit Milli Görüș
suchen, beziehungsweise IGMG-Gruppierungen aktiv in bestehende lokale Dialoginitiativen
einbezogen werden sollen.37 Nach dem 11. September und im Zuge der Anklage gegen Metin
Kaplan (dessen Vater Cemaleddin Kaplan ursprünglich Milli Görüș angehört hatte, siehe
Kapitel 5) sah sich die IGMG einer verstärkten Kritik ausgesetzt bis hin zu der Frage, ob die
Organisation verboten werden sollte.
In der Türkei erlebte der (partei-)politische Islam durch die Abspaltung von Teilen ehemaliger
Parteigänger Erbkans und der Neugründung der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei
AKP eine folgenreiche Entwicklung. Ausgerechnet unter der Regierung einer islamischen
Partei wird derzeit die Ausrichtung der Türkei Richtung Europäische Union forciert. Die
europäischen Milli-Görüș-Bewegungen schienen diese Veränderungen in der Türkei bislang
weitgehend ignorieren zu wollen. Inwieweit und wann diese Veränderungen auch auf die
mitteleuropäischen Milli-Görüș-Organisationen durchschlagen, bleibt derzeit abzuwarten.
14
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
4 ATİB und ADÜTDF/ ATF
ADÜTDF („Türkische Föderation“)38 und ATİB39 sind zwei vergleichsweise kleinere türkischislamische Verbände, wobei die ATİB durch Abspaltung aus der ADÜTDF hervorgegangen
ist.
Die ADÜTDF bzw. ATF, auch als „Türkische Föderation“ bezeichnet, kann man auffassen als
deutschen Ableger der rechtsnationalistischen türkischen MHP40 („Partei der Nationalistischen
Bewegung“), deren Anhänger – die sogenannten „Grauen Wölfe“ oder auch „Idealisten“
– wegen ihrer Militanz in den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in der Türkei
der 1970er Jahre berüchtigt waren. Während die MHP ursprünglich eine großtürkischnationalistische, mit sozialdarwinistischen Elementen durchsetzte Ideologie ohne Bezugnahme
auf den Islam vertreten hatte, setzte sich 1968 die Parteiideologie einer „türkisch-islamischen
Synthese“ in der MHP durch.41 Ende der neunziger Jahre war eine relative Mäßigung in der bis
dahin extrem nationalistischen politischen Haltung der Partei bemerkbar.42
Nach der Einschätzung von Beobachtern hat sich auch die ADÜTDF/ATF in ihren Ortsvereinen
von der militanten Vergangenheit der „Grauen Wölfe“ weitgehend gelöst. So schrieb ANDERSON
bereits Mitte der neunziger Jahre in einer Veröffentlichung über Münchener Moscheevereine
in Bezug auf die örtlichen „Idealisten“: „Im Laufe verschiedener Gebräche mit Kennern der
Münchener Szene wurde aber der Eindruck vermittelt, daß bei dieser Organisation die Militanz
in den letzten Jahren erheblich abgenommen habe. An ihre Stelle sei eine Gesprächsbereitschaft
getreten. Die Vertreter seien sehr bemüht, ihr negatives Image abzulegen“ (ANDERSON 1996, S.
30). Ähnlich der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen über das Berichtsjahr 1997: „Im
Jahre 1997 sind keine Aktivitäten der ATF in NRW mehr bekannt geworden, die mit unserer
demokratischen Verfassung nicht zu vereinbaren waren. Die ATF hat ihre Bemühungen
fortgesetzt, die Anhängerschaft von Gewalt gegen den politischen Gegner abzuhalten. Sollte
sich diese Tendenz weiter verfestigen, wird die ATF künftig im Verfassungsschutzbericht NRW
nicht mehr aufgeführt werden“.43 Man kann davon ausgehen, dass sich diesbezüglich bei der
ADÜTDF/ATF eine zunehmende Orientierung an den Verhältnissen in der Bundesrepublik
bemerkbar macht.
Nur ein kleinerer Teil der Einrichtungen der ADÜTDF sind als Moscheen aufzufassen. Der
Föderation waren Anfang 2000 bundesweit rund 210 lokale Mitgliedsvereine angeschlossen.44
Zwar verfügten „alle“ örtlichen Vereine auch über Gebetsräume; diese seien zum Teil aber
sehr klein und dienten in diesem Falle lediglich dazu, dass die Besucher der Einrichtungen
ihre Pflichtgebete verrichten können, ohne zum Beispiel nach Hause gehen zu müssen.45
Die meisten Einrichtungen der Föderation lassen sich demnach neutral als „Kultur- und
Begegnungszentrum“ bezeichnen; ein Teil davon sind als Moscheen aufzufassen.
Die ATİB wurde 1987 unter anderem Namen46 von Musa Serdar Celebi, ehemals
Generalsekretär der ADÜTDF, in Frankfurt/Main gegründet.47 Mittlerweile hat die ATİB, wie
15
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
die meisten überregionalen türkisch-islamischen Verbände, ihre Verbandszentrale in Köln,
von wo sie, nach Einschätzung des Zentrums für Türkeistudien, in zentralistischer Weise
geführt wird (ZFT 1997, S. 157).
Die ATİB ist wie die ADÜTDF ein relativ kleiner unter den überregionalen türkischislamischen Verbänden. Ende der neunziger Jahre belief sich die Anzahl der angeschlossenen
Vereine – die nicht alle über Gebetsräume verfügen und somit nur zum Teil als Moscheevereine
zu bezeichnen sind – auf 122, die der Mitglieder auf 11.000 (ATİB 1999a). Anfang 2001 waren
43 Moscheen der ATİB angeschlossen.48
Als Abspaltung der ATF/ADÜTDF teilt die ATİB mit dieser eine nationale Grundorientierung,
wobei die ATİB in Differenz zur ADÜTDF stärker das religiöse beziehungsweise islamische
Element als konstituierend betont. GÜR (1993, S. 83) zitierte die Aufschrift eines Transparents
auf einer ATİB-Veranstaltung im Jahr 1989: „Der Islam ist unser Geist, das Türkesein ist
unser Leib“. In einer jüngeren Selbstdarstellung im Internet formulierte der Verband unter
der Überschrift „Grundsätze der ATİB“, die ATİB befasse sich mit den sozialen, kulturellen,
seelischen, religiösen, sprachlichen, schulischen und Erziehungsproblemen der in Europa
lebenden türkischen Mitbürger:
„Um die gesellschaftliche Isolation zu verhindern, werden (..) die Organisation von Kultur- und
Volksabenden, sowie Islamische Wochen mit den deutschen Muslimen, Ausländerwoche[n] mit den
Ausländerbeiräten, Bücherausstellungen und Sportveranstaltungen übernommen. Übergeordnetes
Ziel ist die Integration unserer Mitglieder in das Land, das für viele von uns schon zu einer Heimat
geworden ist“ (ATİB 1999b).
Die hier auszugsweise zitierte Selbstdarstellung betont vor allem die Bildungsarbeit für
Jugendliche. In Darmstadt wurde von der örtlichen ATİB in den neunziger Jahren eine
repräsentative Kuppelmoschee mit zwei Minaretten errichtet.
16
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
5 „Kalifatstaat“/ Kaplanci
Der im Dezember 2001 von Bundesinnenminister Schily verbotene „Verband der islamischen
Vereine und Gemeinden e.V.“ (ICCB) wurde 1984 von Cemaleddin Kaplan in Köln gegründet und
wurde nach dessen Tod im Mai 1995 von seinem angeblichen49 Sohn Metin Kaplan angeführt.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurden beide bekannt als „Khomeini“ beziehungsweise „Kalif“
von Köln. Die Funktionäre des Verbandes propagierten in einer gewalttätigen Sprache den
Sturz des bestehenden Systems der Türkei und die Errichtung eines islamischen Staates. 1992
ließ sich Cemaleddin Kaplan zum „Staatsoberhaupt und Kalifregenten“ einer „Islamischen
Republik Türkei“ ausrufen; sein Sohn, der nicht von allen Vereinsmitgliedern als Nachfolger
anerkannt wurde, übernahm diesen Titel. Die Vereinigung bezeichnete sich schließlich als
„Hilafet devleti“ (Kalifatstaat). Seine Sicht der bundesdeutschen Demokratie beschrieb
Cemaleddin Kaplan 1984 wie folgt: „Die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik
Deutschland ist keine islamische Ordnung. Also ist sie eine tyrannische Ordnung des
Unglaubens.“50
Cemaleddin Kaplan, einst Beamter der türkischen Religionsbehörde, kam 1984 zur
Mitarbeit in einer Vorläuferorganisation von Milli Görüș/IGMG nach Deutschland, wo
es wegen seines autoritären Führungsstils und seiner kompromisslosen Islamauffassung
zu Auseinandersetzungen und schließlich zu einer Abspaltung von Kaplan und seinen
Gefolgsleuten und der Gründung eines eigenen Verbandes kam.51
In Deutschland verfügte der Verband Ende der neunziger Jahre noch knapp über 1200
Mitglieder, mit rückläufiger Tendenz.52 Die Moscheen in Köln, Düsseldorf, und Berlin wurden
1997 polizeilich durchsucht, nach der Ermordung eines innerverbandlichen Rivalen Kaplans,
der sich 1996 zum Gegen-Kalifen ernannt hatte. Im November 2000 wurde Metin Kaplan vom
Oberlandesgericht Köln wegen Mordaufrufs zu vier Jahren Haft verurteilt. Unter anderem
anhand von Videodokumenten konnte ihm nachgewiesen werden, dass er auf Versammlungen
des Verbandes zur Ermordung des Gegenkalifen aufgerufen hatte. Mittlerweile sind die
Moscheen des Verbandes – zumindest offiziell – aufgelöst.
Die großen islamischen Verbände und ihre Vertreter gingen nicht erst im Vorfeld des
Prozesses zu Kaplan und seiner Organisation klar auf Distanz, wie auch das Bundesamt für
Verfassungsschutz 1998 feststellte: „Unter den Muslimen in Deutschland bleibt der Verband
weiterhin isoliert; die Einrichtungen der Organisation wurden von Anhängern anderer
muslimischer und auch islamistischer Organisationen zumeist gemieden“.53 Die Vereinigung
Kaplans hatte damit geringes Gewicht innerhalb der religiösen türkischen Community, spielte
und spielt aber in der Außenwahrnehmung des Islams in Deutschland eine nicht unerhebliche
Rolle. Durch die Frage einer möglichen Auslieferung Kaplans an die Türkei war dieser auch
2002/2003 häufig in den Medien präsent. – 2000 legte SCHIFFAUER eine detailreiche Studie
17
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
über die Organisation Kaplans vor, die teilweise als ethnologische Fallstudie angelegt ist und
damit einen Zugang zu den Denk- und Lebenswelten der Anhänger Kaplans erlaubt.
6 Nurculuk („Jama‘at un-Nur“)
Eine relativ kleine, aber sicher nicht unwichtige islamische Gruppierung stellt die „NurculukBewegung“ dar. Die Bewegung geht zurück auf den reformorientierten islamischen Gelehrten
Said Nursi (1877-1960). Die offizielle Bezeichnung der Bewegung „Islamische Gemeinschaft
Jama‘at un-Nur“ (deutsch: „Gemeinschaft des Lichts“) gibt bereits einen impliziten Hinweis
darauf, dass ihre Mitglieder eher eine mystisch orientierte Weltsicht und einen entsprechenden
Islam vertreten. Der Name verweist auf das zentrale Werk Nursis, die „Risale-i Nur“,
die „Schriften des Lichts“, die im wesentlichen in den 1920er und 1930er Jahren verfasst
wurden und die man im weiteren Sinne als Korankommentare auffassen kann. Mit ihnen
wollte Nursi „eine Neuinterpretation des Islam ermöglichen, die den zeitgenössischen
Problemen und Erfordernissen angepaßt sein sollte“ (ZFT 1997, S. 145). Nursi, der ebenso
wie Süleyman Tunahan ein Anhänger des Nakșibendiye-Ordens war,54 wurde zum Gründer
einer Reformbewegung, die sich zum Ziel setzte, die moderne Wissenschaft und den
Islam miteinander zu versöhnen. SCHIFFAUER (1997, S. 205) beschreibt seine in Augsburg
gewonnenen Beobachtungen einer kleineren Nurculuk-Gruppe, auch kontrastierend zu solchen
mit politisch-islamischen Gruppierungen, wie folgt:
„Die jungen Männer, die sich zu den Nurcu hingezogen fühlten, zeigten sehr existentielle Interessen
- immer wieder tauchten die Fragen nach dem Tod, nach dem Sinn des Lebens usw. auf - und
schwelgten nicht selten in beschaulichen Betrachtungen über die Schönheit der Schöpfung, das
Rätsel der Zeit und ähnliches. Sie wirkten eher quietistisch als revolutionär.“
Die Nurculuk pflegen das kontemplative Lesen der Schriften Nursis. Trotz ihrer mystischen
Orientierung können sie von ihrer Struktur her nicht als Orden angesehen werden. Die Nurculuk
verfügen im allgemeinen über keine Moschee. Jedoch ist es „durchaus möglich, dass eine
Moschee als Nurcu-Moschee bezeichnet wird, da sich der Vorstand, Imam oder viele Mitglieder
des Moscheevereins der Nurculuk-Bewegung nahe fühlen“ (ZFT 1997, S. 146). Bundesweit
betrieben die Nurculuk Anfang der neunziger Jahre etwa 30 Ausbildungsstätten (Medresen)
und hatten 6000 eingetragene Mitglieder (ABDULLAH 1993, S. 41). Die Gemeinschaft Jama‘at
un-Nur e.V. ist Mitglied im Islamrat und hat ihren Sitz in Köln. Weltweit soll sich die Zahl der
Anhänger der Bewegung auf 1,5 Millionen belaufen; die Gesamtleitung liegt bei einer Gruppe
gleichberechtigter Brüder in Istanbul (ZFT 1997, S. 147f.).
18
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Islamrat und Zentralrat als islamische Spitzenverbände in Deutschland
Mit dem Islamrat (gegründet 1986) und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD,
gegr. 1994) traten in den achtziger und neunziger Jahren zwei Organisationen an, die mehr
oder weniger explizit gegenüber der außerislamischen Öffentlichkeit den Anspruch erhoben,
ein Großteil, wenn nicht die Gesamtheit des Islams in Deutschland zu repräsentieren. Beide
Dachverbänden gemeinsam ist, dass sie islamische Organisationen unter sich vereinen,
die sich hinsichtlich ihrer Größe und Mitgliederzahl, regionalen Verbreitung, aber auch ihrer
religiös-politischen Orientierungen markant unterscheiden können. So gehörten 2000 dem
Islamrat unter anderem die Islamische Gemeinschaft Milli Görüș (als mitgliederstärkste, aber
auch politisch umstrittene Organisation), die Islamische Gemeinschaft Jama‘at un-Nur e.V., der
Bund Moslemischer Pfadfinder, aber auch die lokalen und regionalen, allgemein als IGMG-nah
betrachteten Islamischen Förderationen in Bremen, Hamburg und Berlin an.
Spätestens Ende der neunziger Jahre konnte sich allerdings die Konkurrenzgründung des
Zentralrats der Muslime in Deutschland als die Spitzenorganisation etablieren, die in der
Öffentlichkeit und von Seiten der Politik am ehesten als Vertreterin muslimischer Interessen
wahrgenommen wird – auch wenn 2000 ausgerechnet die bis dahin größte Mitgliedsorganisation,
der VIKZ, aus dem Zentralrat ausschied. Neben der ATİB und der Union der Islamisch
Albanischen Zentren in Deutschland (UIAZD) sind die religiös-politisch bekanntermaßen
konservativen Islamischen Zentren in Hamburg, München und Aachen Mitglied. Von letzterem
stammt auch der langjährige und aktuelle Vorsitzende des Zentralrats, Nadeem Elyas.
Die Bedeutung beider Spitzenorganisationen wird aber dadurch erheblich geschmälert, dass
ausgerechnet die DİTİB als Repräsentantin eines Großteils der türkischen Moscheevereine
sich bislang keiner Dachorganisation angeschlossen hatte, was mit dem Selbstverständnis
von DİTİB als semistaatlicher türkischer Einrichtung zusammenhängen mag. Zudem gehört die
breite Basis der Muslime überhaupt keinem islamischen Verband oder örtlichem Moscheeverein
an – Strukturen, die den christlichen Kirchen vergleichbar wären, sind dem Islam weitgehend
fremd.
Dass die DİTİB doch zu einer gewissen Kooperation mit dem Zentralrat und dem Islamrat bereit
ist, zeigt der 1999 gemeinsam von den drei Organisationen verabschiedete „Brief der Muslime
in Deutschland zur Zukunftsverantwortung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“.1
Im Januar 2002 verabschiedete der Zentralrat – als eine Reaktion auf die Diskussionen nach
dem 11.09.01 – die „Islamische Charta“, die einerseits die Rückbindung an die traditionellen
Quellen islamischer Lehre sucht (u.a. in der Bekräftigung des Koran als verbale Offenbarung
Gottes; der Beachtung der fünf Säulen des Islams), andererseits ein eindeutiges Bekenntnis
zur pluralistischen und demokratischen Gesellschaft, zur Religionsfreiheit ablegt, dem Modell
19
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
eines klerikalen „Gottesstaats“ absagt und den Anspruch auf aktive muslimische Mitgestaltung
der Gesellschaft formuliert.2
1
Wiedergegeben in http://www.vikz.de/public/briefDerMuslimeiInDeutschland.html (1999).
2
Nach: Frankfurter Rundschau, 22.2.2002: „Muslime bejahen die demokratische Grundordnung
Deutschlands“.
20
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
7 Derwisch-Guppen/ Sufi in Deutschland
Was den „mystisch“ orientierten Islam betrifft, so existiert in Deutschland neben dem
Nakșibendiye-nahen VIKZ (Kap. 2; in dem Kapitel finden sich auch einige einführende
Bemerkungen zur islamischen Mystik), den „reformmystisch“ orientierten Nurculuk (Kap. 6)
sowie den in Kap. 12 behandelten Aleviten mittlerweile eine recht vielfältige und keineswegs
homogene Szene von Sufi-Gruppen unterschiedlicher Provenienz und theologischer
sowie gesellschaftlicher Ausrichtung. Dazu gehören unter anderem mehrere Gruppen der
Nakșibendiye, die sich an verschiedenen Scheichs orientieren. Die als antidemokratisch
und religiös intolerant eingestufte55 Untergruppe der Menzilci hat ihre Zentrale in CastropRauxel.56
Eine andere Art des Sufitums verkörpert der gebürtige Berliner Scheich Abdullah Halis
Dornbach, der im brandenburgischen Trebbus die „Islamische und ökologische Lebensund Wirtschaftsgemeinschaft Trebbus“ initiierte, nachdem er in der Türkei sechzehn Jahre
in verschiedenen Tekke (Derwisch-Klöstern) lebte und von fünf Orden die Lehrerlaubnis
erhielt. SPULER-STEGEMANN schreibt hierzu: „Der Derwisch-Konvent ist inzwischen ein fester
Bestandteil der Ortsgemeinde geworden, in der sich die Dornbachs angenommen fühlen und
der sie ihrerseits ein kulturelles Zentrum bieten. Die Religion des jeweils anderen grenzt
hier nicht aus, sondern beide Seiten wachsen aufeinander zu“.57 Eine Übersicht über die
unterschiedlichen Sufi-Gruppen in Deutschland bietet zum Beispiel SCHLEßMANN 1999.
8 Unabhängige türkisch geprägte Moscheen
Neben den verbandlich organisierten Moscheen des türkisch-sunnitischen Islam gibt es auch
eine ganze Reihe von verbandlich unabhängigen, türkisch geprägten Moscheen. Dabei kann
man davon ausgehen, dass die betreffende Moschee-Gemeinde in der Regel eine bewusste
Entscheidung gefällt hatte, unabhängig zu bleiben und sich keinem Verband anzuschließen.58
Ansonsten haben die unabhängigen Moscheen vergleichbare Angebote und eine ähnliche
Variationsbreite wie die anderen Moscheen auch.
Die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Berlin-Neukölln verfügt beispielsweise über einen Gebetsraum, einen
Frauenraum, einen Aufenthaltsraum, einen kleinen Buchladen sowie die sogenannte Kantine (Lebensmittelverkauf
an „Mitglieder“ der Moscheegemeinde). Jungen und Mädchen erhalten getrennt Koranunterricht. Erwachsene
können Einzelunterricht beim ehrenamtlichen Hoca in Arabisch oder in Koran-Rezitation erhalten. Auffallend
ist, dass, obwohl eindeutig Türken die Gemeinde prägen, ein recht hoher Anteil der Besucher nicht-türkischer
Herkunft ist (vor allem Bangladeshi, Inder, Pakistani und Araber).59 Dies kann man als Indiz dafür werten, dass
21
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
im konkreten Fall nicht-türkische Muslime offenbar diese unabhängige Moschee den verbandlich gebundenen
Moscheen türkischer Prägung vorziehen.
In Duisburg waren 1999 von den 34 türkisch-sunnitischen Moscheen immerhin fünf Moscheen
unabhängig.
9 Sunnitische Moscheen anderer Ethnien
Arabische Moscheen
In geringerer Zahl findet man in der Bundesrepublik, vor allem in Großstädten, neben
den Moscheen mit vorwiegend türkischen Gemeindemitgliedern solche Moscheen, die
überwiegend von Arabern besucht werden. In diesem Sinne kann man diese Moscheen als
„arabische“ Moscheen bezeichnen. Prinzipiell stehen solche Moscheen in der Regel natürlich
auch türkischen oder anderen Muslimen offen; aber diese Moscheen sind in erster Linie ein
Gebetsort und sozialer Treffpunkt für arabische Muslime. Gelegentlich wird bei arabischen
Moscheen nach Herkunftsland oder -region weiter differenziert, so dass beispielsweise von
einer „marokkanischen“ oder einer „libanesischen“ Moschee gesprochen wird.60 Umgekehrt
gibt es Moscheen, die man bei hohem arabischen Besucheranteil als multi-ethnisch bezeichnen
kann, da auch eine deutliche Anzahl nicht-arabischer Muslime – zum Beispiel türkischer oder
pakistanischer Herkunft – die Moschee besucht.61 In einer „arabischen“ Moschee wird in der
Regel auch die Freitagspredigt in arabischer Sprache gehalten. Es ist natürlich denkbar, dass
auf mittlere Sicht, vor allem in Moscheen mit jüngeren Besuchern, die deutsche Sprache das
Arabische als Predigtsprache ablöst. Ob sich in Zukunft die meisten Moscheen, auch die
jetzigen „türkischen“, nicht nur in der Theorie als multiethnisch verstehen, sondern auch in
der Praxis als solche erweisen werden (mit Deutsch als Umgangssprache), bleibt abzuwarten;
zum jetzigen Zeitpunkt kann man lediglich darüber spekulieren.
Die Zahl der „arabischen“ Moscheen in Deutschland ist im Vergleich zu den „türkischen“
recht gering. In Duisburg ließen sich 1999/2000 von rund 40 Moscheen insgesamt drei bis vier
als „arabisch“ ansprechen; vergleichbare Relationen lassen sich auch in anderen Großstädten
beobachten.
Wie die „türkischen“ Moscheen, weisen auch die arabischen Moscheen eine deutliche
Variabilität auf.
Neben kleinen Moscheen mit äußerst einfacher Ausstattung findet man solche mit ansprechend eingerichteten
Gebetsräumen, was man von außen allerdings nicht immer vermuten mag - so etwa bei der Omar-Moschee in
einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Dieselbe Variabilität darf man auch für den „Geist“ oder das „Programm“
der arabischen Moschen vermuten. So existiert im Duisburger Stadtteil Bruckhausen eine kleine arabische
Moschee („masjid al-haram“), die vor allem ältere arabischstämmige Muslime aufsuchen. Dagegen wird die
22
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
arabische „Masjid Ali“-Moschee in Duisburg-Hochfeld zwar auch von älteren Arabern besucht. Zugleich ist
es aber dem Vereinsvorstand gelungen, in hohem Maße jüngere arabische Muslime an die Moschee zu binden:
Etwa dadurch, dass mittlerweile die Freitagspredigten regelmäßig von Studenten (vor allem technischer und
naturwissenschaftlicher Fächer) gehalten werden oder man für Jugendliche besondere Veranstaltungen anbietet.
Dazu zählen zum Beispiel Glaubensabende, an denen sich Jugendliche an Samstagabenden treffen, gemeinsam
essen und anschließend bis in die Morgenstunden hinein über Glaubensfragen reden.62
Nach dem 11.09.01 gerieten gerade arabische Moscheen in das Blickfeld einer kritischen
Öffentlichkeit. Der 1995 in Bonn eröffneten König-Fahd-Akademie, einer Schule mit
angeschlossener Moschee, die vom saudi-arabischen Staat finanziert und an der nach saudischen
Lehrplänen (!) unterrichtet wird, wurden im Oktober 2003 vom Kölner Regierungspräsidenten
Auflagen gemacht, nachdem die islamistische Orientierung von Lehrkräften und Predigern
publik wurde.
Kurdische Moscheen
Die Kurden bilden eine multireligiöse Volksgruppe. Schätzungen zufolge sind etwa 70%
Prozent der Kurden in der Türkei sunnitische Muslime, 20 bis 25 Prozent Aleviten und ein
kleinerer Anteil Angehörige anderer Religionen63 (ZFT 1998, S. 69). Kurdische Sunniten
besuchen teilweise auch „türkische“ Moscheen, wobei aber insbesondere nationalistisch
orientierte Moscheen eher von ihnen gemieden werden dürften.64 Mittlerweile existiert auch
eine, allerdings recht kleine Anzahl von „kurdischen“ Moscheen in Deutschland, in denen sich
fast ausschließlich Kurden treffen und die Freitagspredigt auf Kurdisch erfolgt.
In Duisburg existiert seit 1998 eine kurdische Moschee im Stadtteil Marxloh, in Berlin gibt es zwei kurdische
Moschen in Kreuzberg. Die Duisburger kurdische Moscheegemeinde ist relativ klein; sie hat nach eigenen
Angaben rund 60 Mitglieder. Die meisten von ihnen haben allerdings als Asylsuchende kaum finanzielle Mittel,
was sich auch auf die finanzielle Situation der Gemeinde auswirkt.65 Die Moschee verfügt lediglich über einen
(allerdings in Bezug auf die Größe der Gemeinde) recht großen Gebetsraum und eine kleine Tee-Ecke.
Weitere nicht-türkische sunnitische Moscheen
Daneben gibt es, vor allem in Großstädten, vereinzelt Moscheen weiterer ethnischer
Minderheiten. Bosnische Moscheen wurden vor allem seit den neunziger Jahren von bosnischen
Kriegsflüchtlingen eingerichtet, als die Zahl der Bosnier in der Bundesrepublik infolge der
Balkankriege stark anstieg. Die bosnischen Moscheen haben einen eigenen Dachverband,
den „Verband islamischer Gemeinden der Bosniaken in Deutschland e.V.“ (VIGB) mit Sitz
in Kamp-Lintfort. Anfang 2001 verfügte die VIGB über 48 Mitgliedsvereine.66 In Duisburg
23
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
existiert im nördlichen Stadtteil Fahrn eine bosnische Moschee, die bereits 1987 gegründet
wurde.
Am Beispiel einer Moschee in Bremen wird sichtbar, wie sich mit der Aufspaltung
Jugoslawiens auch die Moscheegemeinde veränderte: Die 1987 gegründete „Gemeinde
jugoslawischer Muslime“, die von Bosniern, Kosovo-Albanern und unter anderen von
Mazedoniern besucht wurde, wurde infolge der, entlang ethnischer Bruchlinien verlaufenden
Kriege im ehemaligen Jugoslawien, in „Gemeinde Bosnischer Muslime e.V.“ umbenannt
(FRESE/HANNEMANN 1995, S. 55).
Auch albanisch sprechende Muslime haben in Einzelfällen eigene Moscheegemeinden.
Diese Muslime stammen großenteils aus dem Kosovo sowie aus Mazedonien und nur zu einem
kleineren Teil aus Albanien.67 Die albanischen Muslime vertritt dabei die „Union der Islamisch
Albanischen Zentren in Deutschland e.V.“ (UIAZD) mit Sitz in Hamburg. In Duisburg existiert
eine kleinere albanische Moschee im Stadtteil Bruckhausen, die 1995 eingerichtet wurde.
Weitere ethnische Minderheiten haben nur sehr vereinzelt eigene Gebetsräume in
Deutschland. So existiert in München seit 1991 eine kleine Moschee afghanischer Muslime
(ANDERSON 1996, S. 44), ebenso in Essen (STADT ESSEN 1995, S. 43f.). In Berlin existiert eine
indonesische Moschee im Bezirk Tiergarten (JONKER/KAPPHAN 1999, S. 75).
10 Muslimische deutsche Muttersprachler
In Deutschland lebt eine ganze Reihe von Muslimen, die ursprünglich nicht dem Islam
angehörten, sondern in der Regel zuvor den christlichen Kirchen zugehörig waren und später
zum Islam konvertierten. Das Zentral-Institut Islam-Archiv schätzte ihre Zahl für Ende der
neunziger Jahre auf maximal 10.000.68
In Berlin besteht seit 1979 die „Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime &
Freunde des Islam Berlin e.V.“, die sich in vielerlei Hinsicht um den interkulturellen und
interreligiösen Dialog bemüht. Der Verein verfügt zwar über ein Büro, aber keine eigenen
Gebetsräume. Die Angehörigen des Vereins suchen zum Gebet dieselben Moscheen wie die
muslimischen Migranten auf.69
Gerade deutschstämmige Muslime haben in verschiedenen Städten die Aufbauarbeit
von Moscheegemeinden in den siebziger und achtziger Jahren unterstützt, etwa bei der
Kontaktnahme zu Behörden oder Kirchen. Spätestens seit Beginn der neunziger Jahre
wachsen allerdings gut ausgebildete Angehörige der zweiten und dritten Migrantengeneration
in den Moscheevereinen nach, so dass die Moscheegemeinden im Prinzip nicht mehr auf die
Vermittlertätigkeit von Muslimen mit Deutsch als Muttersprache angewiesen sind.
24
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
11 Schiitische Muslime und schiitische Moscheen
Vergleichsweise gering ist die Zahl der schiitischen Moscheen in Deutschland. In Berlin
gab es 1998/1999 etwa drei schiitische Moscheen gegenüber ca. 70 Moscheen insgesamt.
Diese wurden hauptsächlich von türkischen Schiiten, nicht hingegen von Iranern besucht. In
Duisburg war im selben Zeitraum von rund 40 Moscheen nur eine schiitisch. In Essen existierte
1995 offenbar keine schiitische Moschee (vergl. STADT ESSEN 1995), ebenso in Bremen (FRESE/
HANNEMANN 1995). In Köln ließen sich 1994 zwei der 29 Moscheen der schiitischen Konfession
zuordnen (LIER/PIEST 1994, S. 53).70 In München gab es 1995 lediglich einen Gebetsraum von
Schiiten, der von Beschäftigten des iranischen Konsulats für Landsleute unterhalten wurde
(ANDERSON 1996, S. 55).
Ein Hauptgrund für die geringe Zahl schiitischer Moscheen ist selbstverständlich darin zu
suchen, dass die Zahl der schiitischen Muslime in der Bundesrepublik deutlich geringer als
die der sunnitischen ist. So standen 1998 in der Bundesrepublik 114.000 Iranern alleine 2,1
Millionen Türken, die mehrheitlich71 sunnitisch sind, gegenüber. Zudem kann man vermuten,
dass ein recht großer Teil der in Deutschland lebenden Iraner religiös nur wenig gebunden ist,
was insbesondere für diejenigen Iraner zutreffen dürfte, die nach der Revolution von 1979 das
Land verließen.72 Ob die Anzahl der schiitischen Moscheen nicht nur absolut, sondern auch
relativ geringer ausfällt im Vergleich zu den sunnitischen, in Relation zur Größe der jeweiligen
konfessionellen Gruppen in Deutschland, lässt sich aufgrund der unsicheren Zahlenangaben
nur schwer beurteilen.
Da selbst in Großstädten wie Berlin, München oder Duisburg kaum schiitische Moscheen
existieren, sind Schiiten auf den Besuch sunnitischer Moscheen angewiesen, sofern sie die
Pflichtgebete nicht zum Beispiel zu Hause verrichten wollen. Die Unterschiede im Ablauf
des Ritualgebets sind zwischen Sunniten und Schiiten relativ gering, so dass es durchaus
vorkommt, dass Schiiten an den Gebeten in sunnitischen Moscheen teilnehmen.
Eine bedeutende schiitische Moschee in Deutschland stellt das Islamische Zentrum
Hamburg dar, dessen Grundsteinlegung 1961 aufgrund der Initiative iranischer Kaufleute
in der Hansestadt erfolgte (ESCH/ILHAN 1999). Die Moschee vertritt nach der Einschätzung
vieler Beobachter den iranischen Staatsislam (vergl. SPULER-STEGEMANN 1998, S. 127). Der
gegenwärtige iranische Staatspräsident Khatami war hier zwei Jahre als Imam tätig. Die
vom islamischen Zentrum Hamburg herausgegebene deutschsprachige, auf recht hohem
Niveau gehaltene Zeitschrift „al-Fadschr - Die Morgendämmerung“ verteidigt einerseits die
iranische Revolution, lässt in anderen Artikeln aber auch einen gewissen Pluralismus und die
Bereitschaft zu einem interreligiösen Dialog erkennen.
25
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
12 Die Aleviten
In der Türkei wie in der türkischstämmigen Bevölkerung der Bundesrepublik bilden die
Aleviten eine zahlenmäßig beachtliche religiös-kulturelle Minderheit. Ethnisch und sprachlich
ist ein größerer Teil der Aleviten als türkisch, ein kleinerer Teil als kurdisch einzuordnen.
Schätzungen für die Türkei gehen davon aus, dass die Aleviten dort 20 bis 25 Prozent der
Bevölkerung stellen; in der Bundesrepublik dürfte ihr Anteil an der türkischstämmigen
Bevölkerung vermutlich noch etwas höher ausfallen und etwa bei einem Drittel liegen
(einschließlich der Kurden aus der Türkei).73 Auf den ersten Blick um so erstaunlicher erscheint
es deshalb, dass zumindest bis Ende der neunziger Jahre weder die Aleviten, geschweige denn
ihre Glaubensvorstellungen in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt waren. Bis
in die neunziger Jahre lag zudem kaum wissenschaftliche Literatur über sie vor; gelegentlich
wurden sie unzutreffenderweise den arabischen Alawiten (Nusarier) zugeordnet, mit denen sie
zwar einige Glaubensvorstellungen gemeinsam haben, von denen sie sich aber auch deutlich
unterscheiden.74
Einen Grund hierfür kann man in dem Umstand suchen, dass die Aleviten jahrhundertelang
im osmanischen Reich unterdrückt wurden. In der türkischen Republik fand diese direkte wie
strukturelle und kulturelle Gewalt gegen die Aleviten praktisch ungebrochen ihre Fortsetzung.
Erst seit Ende der achtziger Jahre haben sich Aleviten stärker in der Türkei, gerade aber auch in
der mitteleuropäischen Diaspora artikuliert. Bevor auf die gegenwärtige Situation der Aleviten
in der Bundesrepublik eingegangen wird, erscheint es deshalb an dieser Stelle angemessen,
zunächst etwas ausführlicher einige grundlegende alevitische Glaubens- und Wertvorstellungen
darzulegen. Damit soll zugleich einer gewissen Schieflage in der wissenschaftlichen Literatur
entgegengewirkt werden, die in der Vergangenheit die Aleviten im Vergleich zu den Sunniten
regelmäßig vernachlässigt hatte.75
Glaubensvorstellungen der Aleviten
Unter den Aleviten selbst, aber auch unter sunnitischen und schiitischen Muslimen sowie unter
Religionswissenschaftlern war und ist es zum Teil immer noch eine kontrovers diskutierte
Frage, ob man das Alevitentum als eine eigenständige Konfession innerhalb des Islam oder gar
als eine eigenständige Religion (oder Kultur oder Philosophie) außerhalb des Islam, allerdings
mit islamischen Wurzeln einordnen soll. Der in Köln ansässige alevitische Dachverband
AABF ordnet das Alevitentum als zum Islam gehörig ein, wobei er die Unterschiede zum
sunnitischen Islam deutlich betont und zugleich die Ansprüche von Sunniten (und implizit
auch Schiiten) zurückweist, quasi monopolartig über Inhalte und Praxis islamischen Glaubens
bestimmen zu können.76 Tatsächlich zeigt das Alevitentum, das sich etwa vom 13. bis 16.
Jahrhundert in Anatolien herausbildete, neben den islamischen Wurzeln (mit einem Islam
mystischer und schiitischer Prägung) auch Einflüsse vorislamischer turkmenischer Religiosität
26
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
sowie, zum Beispiel in den religiösen Zeremonien, offensichtlich christliche Einflüsse, die
über das allgemeine jüdisch-christliche Erbe des Islam hinausgehen. In diesem Abschnitt kann
naturgemäß keine geschlossene Einführung in die alevitische Glaubenswelt unternommen
werden. Jedoch soll versucht werden, stichwortartig einige der zentralen und kennzeichnenden
Lehren der Aleviten anzureißen:
- Die Bezeichnung „Alevitentum“ leitet sich von Mohammeds Schwiegersohn Ali ab, den die
Aleviten besonders verehren und dem sie eine besondere Stellung zubilligen. Hier wird der
alte schiitische Einfluss (Schia = „Partei Alis“) deutlich. Gelegentlich bezeichnen sich die
Aleviten auch als Aleviten-Bektaschiten, was auf den Orden der Bektaschi verweist. Dessen
Ordensgründer Haci Bektasch Veli (ca. 1247-1338, nach alevitischer Überlieferung)77 hat
die theologische Ausrichtung der Aleviten grundlegend geprägt und wird von Aleviten
ebenfalls hoch verehrt.
- Kosmologie und Gottesbild der Aleviten zeigen panentheistische Elemente mit
erkennbaren Parallelen zum Beispiel zum Neuplatonismus: Gott ist „der Eine, jene einzige
reine psychische Energie, die das Universum aus sich selbst heraus schafft, erhält und
umfaßt. Diese reine psychische Energie wird als al-Haq definiert, als die letztlich einzige
Wirklichkeit“ (ABDULLAH 1993, S.54).
- Diese göttliche Kraft ist nach alevitischer Überzeugung nicht nur in Mohammed und Ali,
sondern in allen Menschen vorhanden, bei Muslimen wie Nicht-Muslimen, Frauen wie
Männern. Hierauf gründet die Betonung der Menschlichkeit und der besonderen Stellung
des Menschen, wie man sie in der alevitischen Literatur häufig findet: „Nach diesem
Glauben ist der Mensch das vollkommenste und schönste Lebewesen im Universum“, und
der Mensch wird als „Wiederspiegelung Gottes“ betrachtet (AABF 1997, S. 10). In den
Worten des alevitischen Dichters Yunus Emre (ca. 1250 - 1320):
„Ich bin das Äußere und das Innere,
das Vergangene und die Zukunft.
Ich bin das Er und das Er ist das Ich
Ich bin das Erhabene.“78
-
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Unter den Aleviten werden auch Reinkarnationsvorstellungen akzeptiert und gelehrt.79
Zwar werden der Koran, sowie des Weiteren die Thora und das Neue Testament als Heilige
Schriften anerkannt; allerdings lehnen Aleviten einen Absolutheitsanspruch des Korans
oder anderer Heiliger Schriften ab.
Der Absolutheitsanspruch der sunnitischen Scharia als einem göttlichen Gesetz wird in
Theologie und Praxis zurückgewiesen. In vielen Fragen und Lebensbereichen werden
die Regeln der sunnitischen Scharia abgelehnt (siehe unten). Die Aleviten kennen zwar
ebenfalls eine sogenannte Scharia als religiöses Regelsystem und als einen von mehreren
Torwegen (kapı) auf dem Weg zu Gott. Diese Regeln sind allerdings von der sunnitischen
Scharia deutlich verschieden und haben zudem nicht denselben Stellenwert wie die
27
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
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anderen alevitischen Torwege, in denen die Orientierung nach innen betont und auf denen
die mystische Erkenntnis Gottes angestrebt wird.80
Eine zentrale ethische Grundregel der Aleviten lautet: „Beherrsche Deine Hände, Deine
Zunge und deine Lende“ – aufgeschlüsselt und spezifiziert: keine Gewalt anwenden, nicht
töten, nicht stehlen; nicht lügen, nicht verletzend reden; monogam leben, in der Ehe treu
sein (GÜLÇIÇEK 1996, S. 20).
Frauen und Männer sind bei den Aleviten von den theologisch-philosophischen
Fundamenten, aber auch weitgehend in der Alltagspraxis, gleichberechtigt. Die Frauen
sind unverschleiert. Weder im Alltag, noch in den religiösen Zeremonien herrscht eine
Trennung der Geschlechter.
Die fünf täglichen Ritualgebete (salat), deren Ausübung für Sunniten und Schiiten nach
orthodoxer Überzeugung eine grundlegende Verpflichtung für alle Muslime darstellt,
werden von den Aleviten in der Regel nicht ausgeführt. Die Gebetsräume der Aleviten
unterscheiden sich damit auch deutlich von den Moscheen; es fehlt zum Beispiel die nach
Mekka orientierte Gebetsnische (Minbar).
Statt den Pflichtgebeten üben die Aleviten eine eigene gottesdienstliche Zeremonie aus,
die sogenannte Cem-Zeremonie (türkisch cem: „Versammlung“). Diese kann mehrere
Stunden dauern und findet pro Gemeinde nur an wenigen ausgewählten Terminen im
Jahr, traditionell an einem Donnerstag Abend, statt. Der Leiter der Zeremonie wird unter
anderem als Dede (wörtlich: „Großvater“) bezeichnet. Das Amt des Dede ist erblich; die
Dede führen sich genealogisch auf die Familie des Propheten Mohammed zurück. In der
Cem-Zeremonie sitzen die Frauen und Männer im Kreis. Sie besteht aus mehreren Teilen
mit verschiedenen Gebeten, Liedern und kultischen Tänzen („semah“). Zum Abschluss der
Cem-Zeremonie wird ein gemeinsames Mahl durchgeführt; das hier verzehrte Essen haben
die Gemeindemitglieder von zu Hause mitgebracht, und es wird unter allen Anwesenden
aufgeteilt. Ein kurzes Segensgebet beendet die Versammlung.81
Zur gegenwärtigen Situation der Aleviten in der Türkei und der Bundesrepublik
Fast von Anbeginn der Türkischen Republik bis zum heutigen Tag wurden die Aleviten
diskriminiert und kulturell unterdrückt. Zwar hatten sich gerade Aleviten deutlich zu den
Prinzipien eines republikanischen, demokratischen und laizistischen Staates bekannt.
Allerdings entsprachen sei nicht der informellen Norm des türkisch-sunnitischen Staatsbürgers.
Die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet vertritt den sunnitischen Islam. Von ihrer
Seite wurde die Existenz der Alevitentums als eigenständige Konfession entweder geleugnet,
zumindest wurden die Glaubensdifferenzen großenteils negiert, oder die Aleviten wurden
wegen ihrer abweichenden Glaubensvorstellungen diffamiert. Es wurde eine Strategie der
Zwangssunnitisierung verfolgt. Demnach wurden in alevitischen Dörfern mit staatlicher
Unterstützung Moscheebauten errichtet; ferner werden alevitische Schüler zur Teilnahme
28
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
am sunnitisch-islamischen Religionsunterricht gezwungen. Die kulturelle Marginalisierung
führte dazu, dass nicht nur viele Aleviten selber kaum etwas über ihre Konfession und Kultur
wussten, sondern auch bei vielen Sunniten zahlreiche Vorurteile und Desinformationen das
Bild des Alevitentums bestimm(t)en.82
In der Bundesrepublik hielten zunächst viele Aleviten, wie in der Türkei, ihre Glaubensidentität
verborgen. Sie mussten sich damit auseinandersetzen, dass auch hier sunnitische Muslime
ihnen die eigenen Verhaltensnormen (wie z.B. Kopftuchzwang, Fasten im Ramadan,83
Moscheebesuch) aufoktroyieren wollten. Andererseits hat gerade die Diasporasituation der
Aleviten in West- und Mitteleuropa eine verstärkte Reflexion und eine Art Selbstfindungsprozess
der Aleviten befördert und unter dem Schutz der Religionsfreiheit erst möglich gemacht.84
1993 wurde als Dachverband von alevitisch-bektaschitischen Kulturvereinen die „Föderation
der Aleviten Gemeinden in Europa e.V.“ (AABF) mit Sitz in Köln gegründet. Der Verband
betont seine demokratische und dem Laizismus verpflichtete Grundhaltung. Nach „innen“
will der Dachverband von selbständigen örtlichen Vereine „die kulturelle Identität sowie
die religiösen und philosophischen Werte der in Europa lebenden Aleviten“ bewahren und
fördern (AABF 1997, S. 28); nach außen will er die Interessen der Aleviten vertreten - zum
Beispiel auch in der Frage der Berücksichtigung von alevitischen Werten und Inhalten bei der
Ausgestaltung eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland.
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Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Das Alevitische Kulturzentrum in Duisburg-Rheinhausen
In Duisburg existierten im Jahr 2000 zwei alevitische Kulturzentren, eines im nördlichen Stadtteil
Marxloh und eines im westlichen Bezirk Rheinhausen. Beide bezogen ihre jetzigen Gebäude
Mitte der neunziger Jahre. Die Vereine wurden 1989 (Rheinhausen) bzw. 1994/98 (Marxloh)
gegründet – daran erkennt man, dass sich die Aleviten in Duisburg deutlich später als die
Sunniten organisierten. Der Verein in Rheinhausen ist im ehemaligen Kantinengebäude des
Krupp’schen Hüttenwerkes untergebracht.
Das Gebäude verfügt über einen großen Raum für die Cem-Zeremonie, wobei die mehrstündigen
Zeremonien nur etwa drei- bis fünfmal pro Jahr durchgeführt werden. Jeden Donnerstag trifft sich
zusätzlich im Cem-Raum eine Gruppe von Senioren, um gemeinsam über religiöse Themen
zu sprechen. Ein Café-Raum im Erdgeschoss wird insbesondere von (männlichen) Rentnern
genutzt; prinzipiell steht der Raum aber auch Frauen offen. Maßvoller Alkoholgenuss ist Aleviten
auch gemäß ihrer traditionellen religiösen Normen erlaubt.
Der Verein hat eine Frauenabteilung mit eigenem Vorstand; einmal pro Woche kommen die Frauen
in einem eigenen Frauenraum zusammen und organisieren bisweilen auch Veranstaltungen, etwa
zum Thema Frauenrechte. Im großen Veranstaltungssaal mit Bühne führt die Jugendabteilung
gut besuchte Kulturveranstaltungen mit Folklore-Sängern oder Discos durch. Daneben finden hier
auch politische Veranstaltungen statt; so gab es eine Podiumsdiskussion mit Parteienvertretern
im Vorfeld der Duisburger Kommunalwahl 1999. Die politischen Veranstaltungen befassen sich
also in erster Linie mit der politischen Situation in Deutschland.
Im Vorstand der Jugendabteilung arbeiten, anders als es bei Moscheevereinen üblich ist,
weibliche und männliche Jugendliche nicht getrennt, sondern planen und organisieren die
Veranstaltungen gemeinsam. Auch hier reicht die Vielfalt von kulturellen über religiöse bis hin zu
politischen Veranstaltungen.
Der Duisburger Verein hat den bundesweiten Dachverband AABF mitbegründet. Auf die Frage,
was sich der Vereinsvorstand für die Zukunft für Muslime, Aleviten und das Zusammenleben
mit Nicht-Muslimen wünsche, antwortete ein Vorstandsmitglied: „Es ist sehr wichtig, dass
die Behörden fundamentalistische Tendenzen nicht unterstützen, dass ein Miteinander, kein
Gegeneinander zwischen Deutschen und Muslimen besteht. (....) Wir sollten für die Zukunft uns
Gedanken machen, dass Christen und Muslime friedlich miteinander leben können.“1
1 Interview mit einem Vorstandsmitglied, September 1999 (zitiert nach handschriftlichem Protokoll). – Die
weiteren Angaben im Text beruhen auf Angaben von Vorstandsmitgliedern und einem Besuch des
Kulturzentrums.
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Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Oberes Foto: Blick in die Teestube des Alevitischen Kulturzentrums in Duisburg-Rheinhausen
Unteres Foto: Die Jugendleiterrunde des Alevitischen Kulturzentrums Duisburg-Rheinhausen
(1999)
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Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
13 Die Ahmadiyya
Die beiden Ahmadiyya-Bewegungen spielen in Deutschland zwar heute eine eher geringe
Rolle. Allerdings war es ihnen vorbehalten, die ersten „sichtbaren“ Moscheen mit islamischer
Architektur in Deutschland zu errichten. Bevor im folgenden auf die Ahmadiyya in Deutschland
eingegangen wird, sollen zunächst die Ursprünge der Ahmadiyya beleuchtet werden.
Zu den Anfängen der Ahmadiyya-Bewegungen
Beide Ahmadiyya-Bewegungen gehen auf den Inder Mirzâ Ghulâm Ahmad (1835-1908)
zurück, der sich, aufgrund seiner finanziellen Unabhängigkeit, intensiv religiösen Studien
und Meditationsübungen widmen konnte. 1889 behauptete er, eine göttliche Offenbarung
empfangen zu haben, und von diesem Zeitpunkt an sammelten sich Anhänger um ihn. SMITH
1960 zufolge erklärte Ahmad schließlich, er sei sowohl eine Inkarnation des Hindu-Gottes
Krishna, als auch eine Wiederkunft der Propheten Mohammed und Jesus.85 Anlässlich der
Frage, ob Ahmad sich tatsächlich als Propheten bezeichnet habe,86 sollte es nach seinem Tod
(1908) im Jahre 1914 eine Spaltung der Bewegung geben:
Die größere Gruppe, die Ahmadiyya Muslim Jamaat, häufig auch als „Qadiani“87
bezeichnet, behauptet den prophetischen Anspruchs Ahmads. Seit 1984 hat der Oberhaupt
der Ahamdiyya Muslim Jamaat, der für sich den Titel Kalif in Anspruch nimmt, seinen Sitz
in London, weil in Pakistan die Ahmadiyya wegen ihrer als häretisch eingestuften Ansichten
massive Verfolgungen erleiden mussten. Allerdings beachten beide Ahmadiyya-Gruppen die
orthodoxen Regeln islamischen Lebens und vollführen zum Beispiel auch die fünf täglichen
rituellen Pflichtgebete.
Die kleinere Gruppe, die Ahmadiyya Andjuman Ischaat el-Islam Lahore, liegt näher an der
traditionellen islamischen Lehre, da sie Mirzâ Ghulâm Ahmad nicht als Propheten, sondern
nur als „Erneuerer“ des Islams ansieht. Was dem fernstehenden Beobachter auf den ersten
Blick lediglich wie ein „Sprachspiel“ anmutet, hat im Lichte der islamischen Orthodoxie
enorme Bedeutung, da damit dieser Zweig der Ahmadiyya seinen Anspruch aufrecht erhalten
kann, nicht gegen klassische Lehrsätze islamischer Theologie zu verstoßen und folgerichtig
innerhalb des Islams zu stehen. Trotzdem wird auch diese Gruppe der Ahmadiyya, im Sog der
Ablehnung der Ahmadiyya Muslim Jamaat, von orthodoxen Muslimen häufig als häretisch
angesehen.
32
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
Die Ahmaddiyya in Deutschland
Die Lahore-Guppe der Ahmadiyya errichtete in den 1920er Jahren die erste „klassische“,
heute noch existierende Moschee in Deutschland, die sogenannte „Wilmersdorfer“ Moschee in
Berlin, die in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren Kristallisationspunkt für fruchtbare
Begegnungen zwischen der islamischen Welt und Deutschen wurde. Meines Wissens ist die
Lahore-Gruppe innerhalb Deutschlands nur in Berlin mit einer Moschee-Gemeinde vertreten.
Imam der Moschee war 2001 der Pakistani Saed Ahmad Chaudry, der seit Ende der achtziger
Jahre in Deutschland lebt.
Die Ahmadiyya Muslim Jamaat hat ihre Deutschland-Zentrale in Frankfurt/Main. Sie hatte
2000 in Deutschland 20 lokale Gemeinden88 und errichtet derzeit eine zunehmende Zahl von
repräsentativen Moscheen.
Mit zum Teil deutschsprachigen Schriften will die Gemeinde friedlich bei Muslimen, aber
auch bei Christen für ihre Glaubensvorstellungen werben und missionieren. Seit 1994 strahlt
die Bewegung über Satellit ein tägliches Fernsehprogramm in mehreren Sprachen aus, unter
anderem in Urdu, Arabisch, Englisch und in Deutsch.89
In Berlin verfügt die Ahmadiyya Muslim Jamaat über ein kleines Gemeindezentrum in
einem ehemaligen Einfamilienhaus in Reinickendorf. Die Gesamtgemeinde in der Stadt
(Männer, Frauen und Kinder) beläuft sich auf etwa 300 Mitglieder. Die Anhänger kommen
aber aufgrund der peripheren Lage und der großen Distanzen innerhalb der Stadt häufig nur
zum Freitagsgebet und an herausragenden Festen zum Gebet in die Moschee.
Der Gebets- und Mehrzweckraum der Berliner Gemeinde ist in einem ehemaligen Wohnzimmer eingerichtet
und schlicht gehalten. Über einen größeren Fernseher können die Sendungen des Verbandssenders verfolgt
werden. Oft bietet die Gemeinde, für Mädchen und Jungen getrennt, Freizeit-Tage an Wochenenden an, an
denen sowohl Spiele und Sport (z.B. Volleyball), als auch religiöse Themen auf dem Programm stehen. Wie ein
Gemeindevertreter beschrieb, können dabei auch religiöse Themen spielerisch aufbereitet werden. Zum Beispiel
werden Wissenswettbewerbe zur Religionsgeschichte oder zur Koranrezitation angeboten.90
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Anmerkungen
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Vgl. parallel zu dieser Darstellung auch LEMMEN (2000; 2001) – diese beiden Veröffentlichungen wurden hier nur noch
stellenweise eingearbeitet – sowie ZFT 1997, einführend SPULER-STEGEMANN 1998.
Die Abkürzung DİTİB steht für die türkischsprachige Fassung des Verbandsnamens: „Diyanet İșleri Türk İslam
Birliği“.
Vergl. SPULER-STEGEMANN 1998, S. 112, in Bezug auf das Jahr 1997. Diese Zahl wurde dem Autor auch von Mitarbeitern
der Deutschland-Zentrale der DİTİB Ende 2000 genannt.
Vergleichbare Abhängigkeiten zwischen Religion und Staat finden sich selbstverständlich auch in der europäischen
Kirchengeschichte.
DİTİB o.J. (ca. 1998) – Wenn das hier zitierte Informationsblatt einerseits den unpolitischen Charakter der Organisation
konstatiert, andererseits im unmittelbar folgenden Satz feststellt, dass man sich separatistischen Bewegungen (der
PKK?) entgegenstelle, so wird deutlich, dass sich hinter der scheinbar unpolitischen Haltung eine ausgesprochen
politische verbirgt.
Interview İ. Çavdar, damaliger Generalsekretär des VIKZ, August 1999.
Ob man den VIKZ oder die IGMG als den zweitgrößten islamischen Verband in Deutschland ansieht, variiert je nach der
zugrunde gelegten Bezugsgröße (Anzahl der Moscheen, Anzahl der Einrichtungen insgesamt, Anzahl der Mitglieder).
Allerdings sind in Bezug auf die IGMG diese Größen der Öffentlichkeit nicht sicher bekannt.
Zur frühen Geschichte der Islamischen Kulturzentren in Deutschland vergleiche, aus unterschiedlichen Perspektiven:
VIKZ 1997, S. 4-6; GÜR 1993, S. 49f.; BINSWANGER/SIPAHIOĞLU 1988, S. 50.
Die Studie des DGB (DGB 1980) bezog die Zitate der Imame aus der rechtsgerichteten türkischen Zeitschrift „Anadolu“.
Entsprechende Zitate finden sich auch in BINSWANGER/SIPAHIOĞLU (1988, S. 56f.). Eine Kritik an der Vorgehensweise der
Autoren der DGB-Studie gibt z.B. BÜSCHER (1988, S.93).
Vergleiche die Programmhefte der Islamischen Akademie 1999 und ihre Selbstdarstellung (= ISLAH o.J.).
VIKZ 1997, S. 15; vergl. auch SPULER-STEGEMANN 1998, S. 139.
JACOB 1990, S. 130; vergl. auch z.B. SPULER-STEGEMANN 1998, S. 132f.
Einführend hierzu: SCHIMMEL 1995, S. 18-21.
Siehe VIKZ 1997, S. 14f.; vergl. auch SPULER-STEGEMANN 1998, 138f. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 1998
wurde der Verband präziser: Es „bleibt festzuhalten, daß nur ein Teil der Mitglieder des Verbandes der Islamischen
Kulturzentren auch Angehörige der Nakschibendiyye sind. Jeder kann Vereinsmitglied im Verband der Islamischen
Kulturzentren werden, unabhängig davon, ob er dem Nakschibendiyye-Orden angehört oder nicht“ (VIKZ 1998a, Punkt
2.a.).
Zu den angeblichen Sonderlehren der „Süleymancis“, die zum Beispiel Tunahan „als gottähnliche Gestalt“ verehrten;
vergl. u.a. (in offenbar teils unkritischer Rezeption) FEINDT-RIGGERS/STEINBACH 1997, S. 17f., sowie SPULER-STEGEMANN
1998, S. 141. Vergl. dazu die recht ausführlichen Repliken des VIKZ zu entsprechenden Angaben und Vorwürfen (VIKZ
1998a, sowie VIKZ 1998b).
Vergl. Abb. 5-18 in SCHMITT 2003 (S. 76), die die Verbandszentrale des VIKZ in Köln wiedergibt.
ZFT 1997, S. 132f.
Zitiert nach dem Vortragsmanuskript, S. 11.
VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 1998, S. 153.
refah: dt. „Wohlfahrt“; fazilet: dt. „Tugend“.
So in VERFASSUNGSSCHUTZ NRW 1999, Kap. 3.2.5.
VERFASSUNGSSCHUTZ NRW 1999, Kap. 3.2.5
Ein Beispiel: „Der Zionismus ist ein Glaube und eine Ideologie, dessen Zentrum sich bei den Banken der New Yorker
Wallstreet befindet. (...) Ferner sind sie [= die Zionisten] davon überzeugt, daß die anderen Menschen als ihre Sklaven
geschaffen wurden. (...) Die Zionisten haben den Imperialismus unter ihre Kontrolle gebracht und beuten mittels der
kapitalistischen Zinswirtschaft die gesamte Menschheit aus“ (zitiert nach: VERFASSUNGSSCHUTZ NRW 1999, a.a.O.)
Vergl. CHRISTLICH-ISLAMISCHE GESELLSCHAFT o.J.
Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
25 Briefliche Auskunft der EMUG vom 30.10.1999.
26 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 1998, S. 153.
27 Vergl. z.B. VERFASSUNGSSCHUTZ NRW 1998, S. 213.
28 Wie oben erwähnt, war die AMGT die faktische Vorläuferorganisation der IGMG.
29 Hasan Özdogan war Anfang der neunziger Jahre stellvertretender Generalsekretär der AMGT. Der Islamrat versteht sich,
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ebenso wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland, als eine islamische Spitzenorganisation in der Bundesrepublik.
Die IGMG ist dem Islamrat angeschlossen und stellt darin den mitgliederstärksten Verband dar.
Zitiert nach „Die Tageszeitung“, 2./3.10.1999, (Autor: Eberhard Seidel): „Islamistische Doppelstrategie: Dialog und
Ausgrenzung“; vergleiche auch die Ausgabe vom 11.10.1999, S. 5. – Der Journalist Ali Yildirim arbeitet für den
deutsch-türkischen Fernsehsender Aypa TV, der mehrfach mit Mitteln des investigativen Journalismus kritisch über
Milli Görüș berichtete.
Zitiert nach VERFASSUNGSSCHUTZ NRW, a.a.O.
Mehmet Erbakan ist Generalsekretär der IGMG und Neffe des türkischen Politikers Necmettin Erbakan.
SPIEWAK/UCHATIUS 1999, S. 15.
SPIEWAK/UCHATIUS 1999, S. 12.
Vergleiche z.B. JONKER in JONKER/ KAPPHAN 1999, S. 69; hingegen SPULER-STEGEMANN 1998; dieselbe 2000.
Vergl. z.B. den Artikel „Christenunion preist Islamisten“, in: Die Tageszeitung, 5.6.2000.
Ein Gesprächspartner aus dem kirchlichen Raum formulierte im Interview in diesem Zusammenhang den
bedenkenswerten Satz: „Radikale stärkt man, indem man sie ausgrenzt“.
Das Kürzel ADÜTDF steht für „Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyon“, die „Föderation der
Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.“, die 1978 in Frankfurt/M. gegründet wurde. Der Verein
wird kürzer auch als „Türk Federasyon“ (oder „Türkische Föderation“) bezeichnet, die Anhänger als „Idealisten“
(türk.: Ülkücüler) oder häufig auch als „Graue Wölfe“ (türk.: „Bozkurtçular“). Lokale Vereine der „Idealisten“ gab es
in Deutschland zumindest seit den frühen siebziger Jahren. 1996 wurde eine Umbenennung des Vereins beschlossen.
Als neuer Name wurde „Almanya Türk Federasyonu - Deutschland Türkische Föderation“ (ATF) gewählt (vergl. ZFT
1997, S. 151; SPULER-STEGEMANN 1998, S. 124). Die Umbenennung wurde aber in der Praxis nicht vollzogen. Der Verein
behielt den alten Namen bei, weil er sich eben eingebürgert habe (fernmündliche Auskunft eines Verbandsmitarbeiters,
Januar 2000).
ATİB steht für Avrupa Türl-İslâm Birliği. In deutscher Sprache firmiert ATİB unter Türkisch-islamische Kulturvereine
e.V.
MHP ist die Abkürzung für Milliyetçi Hareket Partisi.
BINSWANGER/SIPAHIOĞLU 1988, S. 65.
Vergl. GOTTSCHLICH 1999a und 1999b.
VERFASSUNGSSCHUTZ NRW 1998, S. 216
Telefonische Auskunft eines Mitarbeiters der Verbandszentrale, Januar 2000.
Siehe Fußnote 46.
TIKDB - Avrupa Türk-Islam Kültür Dernekleri Birliği/ Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V.
ZFT 1997, S. 155.
Telefonische Auskunft des Generalsekretärs, März 2001.
Dass Metin Kaplan möglicherweise nicht der leibliche Sohn von Cemaleddin Kaplan ist, wurde im Rahmen des
Prozesses um Metin Kaplan bekannt (vergl. Die Tageszeitung, 16.11.2000: „Der Kalif bleibt hinter Gittern“).
Zitiert nach ABDULLAH 1993, 67.
ZFT 1997, S. 138. Eine umfangreiche, qualitativ angelegte Studie über die Anhänger Kaplans legte SCHIFFAUER 2000
vor.
VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 1998, S. 150.
VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 1998, S. 153.
JACOB 1990, S. 149f.
SPULER-STEGEMANN (1998, S. 137) verweist hierzu auf ABDULLAH 1993, S. 66.
Regelmäßig jeden Samstag Abend wird das Gebäude von Hunderten Muslimen aus dem ganzen Ruhrgebiet aufgesucht.
Nach einem etwa zwanzigminütigen Ritualgebet (zikr) finden dort bis tief in die Nacht hinein, theologische Vorträge
statt, denen die Zuhörer in einem großen Versammlungsraum folgen (eigener Besuch, September 1999).
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Islamische Organisationen und Moscheevereine in Deutschland
57 S PULER-S TEGEMANN 1998, S. 145, vergl. dazu auch SCHLE ß MANN 1999, S. 19.
58 Zwei Vorstandsmitglieder der unabhängigen Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Berlin-Neukölln sagten mir bei spielsweise:
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Wenn sie sich einem Dachverband angeschlossen hätten, hätten manche Menschen vielleicht bestimmte Vorurteile
gegenüber der Moschee, deshalb sei die Moscheegemeinde unabhängig geblieben (Gespräch mit Vorstandsmitgliedern
des Moschee-Vereins, März 1999).
Besuch in der Moschee und Interview mit Vorstandsmitgliedern, März 1999.
Vergl. z.B. STADT ESSEN 1995, S. 50f.
So der „International Treff“ (Taqwa-Moschee) in Duisburg-Hochfeld.
Gespräche mit einem Vorstandsmitglied der Moschee, August/September 1999.
Dazu gehören Yeziden, christliche Kurden (armenisch-apostolische Kirche), sowie, außerhalb der Türkei, jüdische
Kurden in Nord-Irak bzw., migrationsbedingt, mittlerweile in Israel.
Auf die Frage, inwiefern Kurden türkische Moscheen aufsuchen, erhielt ich von verschiedenen Kurden (und auch
Funktionären islamischer Verbände) unterschiedliche, konträre Einschätzungen, die letztlich unterschiedliche
Beobachtungen in den eigenen Bekanntenkreisen wiederspiegeln. Unterschiedliche Verhaltensweisen dürften hierbei
auch für Kurden aus der Türkei und dem Irak vorherrschen.
Gespräch mit dem Imam der Moschee, September 1999.
Schriftliche Auskunft der VIGB, März 2001.
AWO/STADT DUISBURG o.J., S. 25.
Moslemische Revue 2/1999, S. 111.
Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gemeinschaft, Mohammed Herzog, Februar 1999.
WOLFF (o.J., S. 62f.) führt für 1999 nur noch eine schiitische Moschee in Köln an.
Zu beachten ist, dass neben der starken alevitischen Minderheit beispielsweise auch Schiiten eine, wenn auch kleine
konfessionelle Minderheit in der Türkei bilden.
Vergl. ANDERSON 1996, S. 55.
Vergl. ZFT 1998, S. 32; ZFT 1997, S. 41. - Gesicherte statistische Angaben existieren weder für die Türkei noch für die
Bundesrepublik.
SPULER-STEGEMANN 1998, S. 51.
Die Auseinandersetzung mit dem Alevitentum ist zudem nicht unrelevant für den Diskurs um die Frage, wie ein
„sanfter“ (vgl. dazu SCHMITT 2003, S. 141) oder auch ein liberaler Islam aussehen kann.
Vergl. z.B. AABF 1997, S.8f. Die Abkürzung AABF steht für Avrupa Alevi Birlikleri Federasyonu (Förderation der
Alevitengemeinden in Europa).
Zu den Zahlenangaben: SCHIMMEL 1995, S. 478.
Zitiert nach AABF 1997, S. 10, in einer Übersetzung von Ismail Kaplan.
Vergl. z.B. AABF 1997, S. 12f.; ERBEKTAȘ 1998, S. 36f.
Vergl. z.B. GÜLÇIÇEK 1996, S. 36f., S. 91-95.
Einen Überblick über den Ablauf der Cem-Zeremonie gibt zum Beispiel GÜLÇIÇEK 1996, S. 84-101.
Zu einem traurigen Höhepunkt der Spannungen zwischen Sunniten und Aleviten kam es 1993 im türkischen Sivas. Dort
wurde ein Hotel, in dem ein alevitischer Kulturkongress zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal (16. Jhdt.) tagte, von
einer aufgebrachten Menge von Islamisten in Brand gesteckt; 37 Menschen, darunter mehrere Schriftsteller, starben an
den Folgen des Brandes. Türkische Sicherheitskräfte ließen die Ausschreitungen gewähren (vergl. z.B. YILDIRIM 1998).
Dieses Ereignis hat sich in der alevitischen Community, auch in der Bundesrepublik, nachhaltig eingeprägt und führte
letztlich zu einer stärkeren Organisierung und Solidarisierung unter Aleviten (AABF 1997, S. 22).
Statt eines Fastens im Monat Ramadan führen die Aleviten ein zwölftägiges Fasten im Monat Muharram durch.
Vergl. z.B. ZFT 1997, S. 40, S. 164.
So z.B. SMITH 1960, S. 301.
Dem orthodoxen Islam gilt Muhammed als „Siegel“ und auch als letzter der Propheten, welchem keinere weiteren
Propheten mehr folgen können.
Nach dem zwischenzeitlichen Sitz der Bewegung im pakistanischen Qadian. Die Mitglieder lehnen diese Bezeichnung
aber im allgemeinen als pejorativ ab.
Mündliche Auskunft eines Vertreters der Verbandszentrale, November 2000.
Vergl. AHMAD 1993, S. 134.
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