Dokumentation auf ARTE vom 08.11.2013 – Juden und Muslime – So Nah und doch so fern 4 Teile – Besprechung der Teile 1 und 2 Technische Universität Dortmund – Fakultät Humanwissenschaften und Theologie Seminar: Vielfalt des Islam – Traditionen und Entwicklungen (WiSe 2013/14) Zusammenfassung von Tobias Straka Dossier und weitere Hinweise zur Sendung: http://www.arte.tv/guide/de/042497-000/juden-muslime-so-nah-und-doch-so-fern-1-4 Teil 1 von 4: die Jahre 610 – 721 : Anfänge des Islam Die Dokumentation „Juden und Muslime – So nah und doch so fern“ zeigt die Anfänge des Islam in der Parallele zum damaligen Judentum. Erzählende, mit Zeichentrick unterlegte, Szenen zeigen narrativ die Anfänge des Islam. Unterbrochen werden die Zeichentricksequenzen immer wieder durch Interviews mit Wissenschaftlern unterschiedlichster Universitäten. Die gemeinsame Geschichte von Juden und Muslimen beginnt in Mekka, die Stadt, die um das Heiligtum der Kaaba erbaut wurde. Die Mehrheit der Araber waren Polytheisten. Unter ihnen gab es auch Juden und Christen. Viele von ihnen lebten 400 km nördlich von Mekka in Medina. Gesellschaftlich unterschieden sich die Jüdischen Stämme nicht sonderlich von den arabischen. Konflikte gab es auch damals schon, allerdings gab es keine Religionskonflikte, sondern eher Stammeskonflikte. Durch Bündnisstrukturen konnte es daher durchaus vorkommen, dass sich verschiedene jüdische Stämme bekämpften. Die Tora sowie die Evangelien wurden schon immer als wichtiges Kulturgut angesehen und übten auch auf die Araber eine magische Anziehungskraft aus. Ihnen bereitete es jedoch Unbehagen, dass sie im Gegensatz zu Juden und Christen keine Heilige Schrift hatten. Byzanz und Äthiopien waren mehrheitlich christlich geprägt, und in Persien herrschte auch das Judentum (neben dem Zarathustrismus). Es gab Menschen, die sich eine neue Religion wünschten und weder das Christentum, noch das Judentum akzeptieren wollten, da sie sich weder von Byzanz, noch von Persien abhängig machen wollten. Mohammad war weder Jude noch Christ. Er lebte in Mekka und suchte nach dem einen wahren Gott, obwohl er dem Stamm angehörte, der sich am stärksten dem Polytheismus verbunden fühlte, den Quraisch. Die Quraisch verwalteten die Kaaba, die auch zur damaligen Zeit schon zahlreiche Pilger anlockte und dem Stamm daher einen großen Reichtum bescherte. Mohammad zog sich regelmäßig in eine nahegelegene Höhle zurück. Eines Tages kehrte er wie verwandelt zurück und berichtete, dass er eine übernatürliche Botschaft empfangen hatte. Gott hatte ihm offenbart, dass er eine neue Religion gründen solle. Eine kleine Gruppe sammelte sich um den Propheten und vernahm das Wort Gottes. Sure für Sure entstand so der Koran, der zunächst mündlich überliefert wurde. Bestimmte Vorschriften wie das Verbot von Schweinefleisch oder das Beten nach Jerusalem sowie das Einhalten einer Fastenzeit sind klare Hinweise auf den jüdischen Einfluss im Islam. Da die Quraisch mit Mohammed einen Unruhestifter in ihren eigenen Reihen hatten, sah er sich gezwungen auszuwandern. Seinen Stamm verlassen zu müssen, kam damals einer großen Katastrophe nahe. Das Datum dieser Auswanderung stellt den Beginn der Islamischen Zeitrechnung dar. Im September 622 kommen die Muslime in Medina an, wo sie auf eine große Anzahl von Juden trafen. Muhammad hielt sich zunächst für einen Propheten im jüdischen Sinne, der das Gleiche verkündete wie die vorherigen Propheten. Er wollte als Abgesandter Gottes von den Juden anerkannt werden. Die Rabbiner der jüdischen Stämme wollten aber Mohammad nicht als höchsten der Propheten akzeptieren. Aus jüdischer Sicht gab es keine weitere Prophezeiung mehr. Die religiösen Unterschiede hinderten allerdings Muslime und Juden nicht, Bündnisse zu schließen. Mohammad wurde politischer Führer im Kampf gegen die Polytheisten. Bald schon entstand ein Konflikt der Muslime mit den Juden. Das führte zu blutigen Kämpfen gegen die die drei Jüdischen Stämme von Medina. Die Jüdischen Stämme wurden – mit Ausnahme eines Stammes – nicht ausgelöscht, sondern in die Verbannung geschickt. Die theologischen Konflikte hatten Auswirkungen auf die Muslime. So wurde jetzt im Monat Ramadan gefastet. Auch die Gebetsrichtung wurde von Jerusalem nach Mekka geändert, da die Kaaba von Abraham gebaut 1 wurde. In der jüdischen Tora/der hebräischen Bibel soll Abraham seinen Sohn Isaak opfern. In letzter Sekunde verhindert Gott dieses. Im Koran allerdings soll Ismael, also der Sohn der Ägypterin Hagar, geopfert werden und wird in letzter Sekunde gerettet. Ismael gilt als Stammvater der Araber. Abraham heißt im Koran Ibrahim. Die Muslime sahen es als ihre Pflicht an, Mekka und die von Abraham erbaute Kaaba von den Polytheisten zurückzuerobern, was ihnen kampflos gelang. Die weiterhin eroberten Gebiete wurden einer Steuer unterworfen, was Mohammad und den Muslimen eine Einkommensquelle bescherte. Im Jahr 632, 22 Jahre nach seiner göttlichen Weisung, erkrankte der Prophet und starb. Fortan wurden die Muslime durch Kalifen regiert, die für eine rasche Ausdehnung der Islamischen Gebiete sorgten. Die Juden wurden nun, angeblich als letzte Weisung Mohammads, aus den arabischen Gebieten vertrieben. In dieser Zeit erschien Kaʿb al-Ahbār, ein jemenitischer Jude, der zum Islam übergetreten war. Für die Muslime war er ein engagierter Lehrer der jüdischen Quellen. Er bereicherte den Koran durch die Figuren der jüdischen Tradition, die dadurch ein Bestandteil der muslimischen Kultur werden. Die bestehenden Geschichten wurden nicht eins zu eins von der Tora in den Koran überführt, sondern bekamen eine komplett muslimische Färbung. Die Ausbreitung des Islamischen Reiches ging unter Führung des Kalifen Umar immer weiter. Auch die Stadt erusalem, die bis dato von den Christen beherrscht wurde, wurde eingenommen. Die Jerusalemer Christen begrüßten die Muslime mit größtem Respekt. Auch der Kalif zeigte gegenüber den Christen Respekt, denn er wollte mit Christen und Juden in Frieden leben. Nach Umars Tod dehnte sich das Islamische Reich in allen Richtungen weiter aus. Die große Ausbreitung hatte nicht allein mit den Islamischen Streitkräften zu tun, sondern auch mit der islamischen Botschaft und deren Anziehungskraft. Die rasche Ausbreitung machte es den Muslimen aber schier unmöglich, die ganzen Gebiete selbst zu verwalten. Sie lösten daher nicht die ganze Verwaltung ab, sondern ließen die eingesessene Verwaltung größtenteils ihre Dienste weiter verrichten. Die Eroberung Nordafrikas gestaltete sich langwierig und sehr schwer. Nach fast einem halben Jahrhundert gelang es aber den Muslimen, Nordafrika zu erobern. Im Jahre 711 erreichten die Muslime die Iberische Halbinsel, die zu der Zeit von Christen, den Westgoten, beherrscht wurde. Die spanischen Juden wurden von den Christen verfolgt und für die um sich greifende Pest verantwortlich gemacht. Als Befreier wurden die Muslime von den spanischen Juden natürlich feierlich begrüßt und so gestaltete sich der Feldzug hier ziemlich kurz und erfolgreich. Die zahlenmäßig unterlegenen Muslime brauchen die Juden als Verbündete im Kampf gegen die spanischen Christen und schlossen so auch Bündnisse. Innerhalb von kaum 10 Jahren gelang es den Muslimen, Spanien komplett zu erobern. Knapp ein Jahrhundert nach Mohammads Offenbarung erstreckte sich das muslimische Reich mit seiner Hauptstadt Damaskus nun über drei Kontinente (Asien, Afrika und Europa). Teil 2 von 4 Die Jahre 721 - 1789 : Miteinander leben Zwar ist der Islam im gesamten arabischen Reich nun Staatsreligion, allerdings haben Juden und Christen eine gesonderte Stellung. Sie zahlen einen gewissen Tribut und sind dafür Schutzbefohlene. Neue Gotteshäuser dürfen Christen und Juden nicht bauen, und auch ihre Religion dürfen sie nicht zur Schau stellen. In der Mitte des 7. Jahrhunderts herrschen die Omayyaden über das gesamte Reich. Der Widerstand gegen die Omayyaden wächst allerdings, und letztendlich werden sie gestürzt. Nur einem einzigen Omayyaden gelingt die Flucht. Abu’l-Abbas as-Saffah wird der erste Kalif der Abbasiden-Dynastie. Bagdad wird zur neuen Hauptstadt. Der Regierungsstil unterscheidet sich von nun an drastisch vom Vorherigen der Omayyaden. Man toleriert Hindus, Buddhisten, Christen und auch Juden und sieht Streitgespräche über den Glauben als eine Art Wettkampf an, und zwar welche Religion Recht habe. Die Entwicklung der Wissenschaften und er Philosophie blüht in dieser Zeit der gegenseitigen Toleranz und des regen Austausches auf. Die erste Weltkarte wird in Bagdad erstellt, die Algebra wird entwickelt, und das erste stationäre Observatorium wird erbaut. Religion und Wissenschaft sind für die Abbasiden untrennbar miteinander verbunden. Gleichzeitig wird eine neue Auslegung des Korans entdeckt, der sogenannte Kalām (Vernunftgemäßheit), basierend auf der griechischen Philosophie. Auch jüdische Theologen entdecken den Kalām für sich und legen mit seiner Hilfe die Tora neu aus. Das Judentum wurde zu dieser Zeit sehr stark vom Islam und deren Wissenschaft und Philosophie beeinflusst. Auch auf der Iberischen Halbinsel (in Al Andalus) kommt dieser neue Reichtum von Kultur, Wissenschaft und Philosophie an. Vor allem Cordoba entwickelt sich zu einem wichtigen kulturellen Zentrum. In Al Andalus gibt es ein 2 besonderes Miteinander von Muslimen, Juden und Christen (la Convivencia genannt). Die sehr liberale Kultur wird von den verschiedenen Religionen geteilt. In Granada wird 1027 eine beispiellose Entscheidung getroffen. Ein Jude, Schmuel ibn Naghrela, wird zum Großwesir ernannt, obwohl er als Jude eigentlich keinerlei Politische Ämter ausüben darf. Er darf ein paar Jahre später sogar die Armee befehligen, obwohl er eigentlich weder ein Pferd besteigen darf, noch Muslime befehligen dürfte. Es gibt eine Reihe von Gegnern, die nicht Schmuel ibn Naghrela, sondern einen Muslim an dieser mächtigen Position sehen wollen. Schmuel ibn Naghrela weiß sich aber als geschickter Redner zu wehren und kann seinen Einfluss sogar noch etwas ausweiten. Sein Sohn und Nachfolger Josef ibn Naghrela, der arrogant und nicht so redegewandt ist, sieht sich schon bald der Feindseligkeit der muslimischen Gesellschaft ausgesetzt. Am 30. Dezember 1066 wird er ermordet. Als Folge wird die gesamte jüdische Bevölkerung von Granada niedergemetzelt. Viertausend Menschen sterben. Mitte des zwölften Jahrhunderts erobern die radikalen Almohaden den Süden der Iberischen Halbinsel und verändern von heute auf morgen die Bedingungen für Christen und Juden. Sie werden gezwungen, zum Islam zu konvertieren oder zu fliehen. Es leiden allerdings auch Muslime unter dem speziellen Fanatismus der Almohaden. Ähnlichen Fanatismus findet man im Christentum in Europa. Auch hier werden zur gleichen Zeit Ungläubige getötet. Papst Urban II ruft 1096 zur Verfolgung und Vernichtung derjenigen auf, die die Heilige Stadt, Jerusalem, besetzten. Die Kreuzzüge finden unter Berufung auf Jesus Christus statt. Auch Juden werden getötet, da sie dafür verantwortlich gemacht werden, Jesus hingerichtet zu haben. Im Jahre 1099 wird in einem grausamen Gemetzel die Stadt Jerusalem von Kreuzfahrern eingenommen. Es wird nicht unterschieden zwischen Juden und Muslimen. Es entstehen die sogenannten Kreuzfahrerstaaten. Da für die Muslime die Stadt Jerusalem genau wie für Christen und Juden heilig ist, wird ein Gegenkreuzzug vorbereitet. Der Sage nach ist Muhammad in Jerusalem vom Felsendom in den Himmel aufgefahren und hat dort Gott getroffen. Unter Saladin erobern die Muslime 1187 Jerusalem wieder zurück. Die dortigen Christen dürfen gegen ein Lösegeld die Stadt verlassen. Saladin zerstört keine Kirchen und keine Synagogen, da er nicht Gleiches mit Gleichem vergelten will. In Spanien verliert der Islam allmählich an Boden. Die Christen erobern Spanien Stück für Stück zurück. Bis zum 14 Jahrhundert ist die Lage der Muslime und Juden in Spanien nicht schlecht. Allerdings werden sie ab dem 14 Jahrhundert als Ketzer angesehen und daher auch verfolgt. Die rituellen Bäder werden den Muslimen untersagt und als unnötig empfunden. Ab 1489 verbreiten die Inquisitionsgerichte in Spanien Angst und Schrecken. Die Vertreibung der Juden wird 1492 befohlen und 1526 werden auch die letzten Muslime auf Befehl der Königin offiziell vertrieben. Zuflucht finden die Juden und Muslime in Bosnien und Nordafrika. Die vertriebenen Juden genießen aufgrund ihrer Bildung ein hohes Ansehen und werden im Exil zu Rabbinern und Richtern. Die Osmanen schätzen Juden sehr, und so geht es jüdischen Gelehrten und Kaufleuten im Osmanischen Reich sehr gut. Der Niedergang des Osmanischen Reiches, ab dem frühen 17 Jahrhundert, stürzt viele Juden in die Armut. Ein Jude mit messianischem Anspruch, Schabbatai Zvi, tritt auf und schart Zehntausende von Anhängern um sich. Als die Muslime ihn vor die Entscheidung stellen „Tod oder Konvertierung zum Islam“ wählt er die Konvertierung. Die Französische Revolution stellt alle damaligen Verhältnisse wiederum auf den Kopf, da man ab diesem Zeitpunkt anfängt, den Juden die gleichen Rechte wie den Christen einzuräumen. TU-DO/WiSe 2013/14, Arte-Doku-Islam, 06.12.13 3