Zur Schulreform der 1970er Jahre

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Wintersemester 2003/04
Proseminar: Schulische Sozialisation
Seminarleiter: Dr. Hans-Peter Gerstner
Chancengleichheit durch die
Schulreformen?
Jutta Fertig
Am Leimenberg 21
64625 Bensheim
[email protected]
06251 2063
Studium für das Höhere Lehramt
Mathematik und Sport (HF, 6. Fachsemester)
Spanisch (NF, 3. Fachsemester)
1
Gliederung
Seiten
1. Entwicklung der Bildungschancen in Deutschland………………………….3
2. Definition der Chancengleichheit……………………………………………4
3. Beeinflussung der Chancengleichheit durch Schulreformen………………...4
3.1 Ungleichheiten nach dem Geschlecht……………………………………….4
3.2 Ungleichheiten nach sozialen Schichten…………………………………….6
3.3 Ungleichheiten nach Regionen………………………………………………7
3.4 Ungleichheiten nach der kulturellen Herkunft……………………………….8
4. Zusammenfassende Betrachtung……………………………………………..9
5. Literaturverzeichnis………………………………………………………….11
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1. Entwicklung der Bildungschancen in Deutschland
Der Zugang zur Bildung wurde lange Zeit nur einer kleinen Minderheit gewährt. So hatte
nur ein kleiner Teil der Menschen in der vorindustriellen Gesellschaft die Möglichkeit
Schulen und Hochschulen zu besuchen. Vielen blieb es verwehrt Schreiben und Lesen zu
lernen. Die Alphabetisierung der vielen Nicht-Gebildeten begann in den meisten Teilen
Deutschlands erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Ende des 19. Jahrhunderts bestand für die
meisten Teile Mitteleuropas die allgemeine Schulpflicht. Die Grundschule, die sich nach
dem ersten Weltkrieg durchsetzte, war der Realschule und dem Gymnasium vorgeschaltet.
Ab dem Jahre 1945 folgte eine Phase der Bildungsexpansion, die sich ab den 60er Jahren
noch verstärkte. Immer größere Teile der Gesellschaft strebten nach immer besserer Bildung.
Dieses Streben nach besserer Bildung und höheren Abschlüssen war in hohem Maße bedingt
durch die schlechter werdenden Einstellungschancen bei geringen Qualifikationen. So
besuchten 1960 70 % der Schüler in Deutschland (ohne die neuen Bundesländer) die
Hauptschule und nur 15 % das Gymnasium; bis 1998 reduzierte sich die Zahl der
Hauptschüler auf 21 % und die Zahl der Gymnasiasten stieg auf 30 %. (vgl. Hradil 2001:
158).
Abbildung 1: Schulbesuch der 13jährigen an ausgewählten Schularten 1960 und 1998
Quelle: Stat. Bundesamt (Hg.) 2000: 59
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2. Definition der Chancengleichheit
Wie oben dargestellt bestand lange Zeit für Mitglieder der Gesellschaft nicht die Chance unabhängig von leistungsfremden Merkmalen - die gleichen Bildungsangebote wahrnehmen
zu können. So formulieren die Mitglieder der Expertengruppe des Forum Bildung, dass das
Bildungssystem die Voraussetzungen dafür zu schaffen hat,
„dass alle Menschen, unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund, ihrer ethnischen und
kulturellen Herkunft und ihrern individuellen Voraussetzungen, Bildungsangebote wahrnehmen können, die
ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechen.“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2001: 25)
Chancengleichheit besteht nach diesem Verständnis also dann, wenn Gruppen mit gleichen
Hintergründen oder gleicher Herkunft, wie z.B. Männer und Frauen, Arbeiter und Beamte, Inund Ausländer, Moslems und Christen prozentual zu ihrem Bevölkerungsanteil auch gleich
viele das Abitur oder einen Universitätsschulabschluss erlangen. (vgl. Hradil 2001, S. 153)
Insbesondere seit den 70er Jahren erfuhr das deutsche Bildungssystem zahlreiche
Neuerungen. Die Bildungsreformen dieser Jahre hatten das Ziel das Bildungsniveau
insgesamt anzuheben. Als zweite und wichtige Forderung galt es, Chancengleichheit
herzustellen. Wie in Abbildung 1 deutlich wird, gelang es insgesamt das Bildungsniveau
anzuheben. Bezüglich der zweiten Forderung schreibt Hradil, dass in den 60er Jahren
festgestellt wurde,
„dass Kinder aus unteren Schichten, aus ländlichen Gebieten und Mädchen in Bildungseinrichtungen, die zu
höheren Qualifikationen führen, deutlich seltener vertreten waren, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung
entsprach.“ (Hradil 2001: 160)
Im Folgenden soll untersucht werden, ob es der Schulreform der 1970er Jahre gelang
Chancengleichheit in den genannten Bereichen herzustellen:
3. Beeinflussung der Chancengleichheit durch Schulreformen
3.1. Ungleichheiten nach dem Geschlecht
Frauen hatten schon jeher in ihrer Ausbildung Nachteile gegenüber den Männern. Noch zu
Anfang der Bildungsreformen erreichten signifikant weniger Frauen einen Schulabschluss als
die Männer. Mit den Schulreformen stieg die Beteiligung der Mädchen an der Schulbildung
stark an. Im allgemeinbildenden Schulwesen haben die Mädchen die Jungen sogar überholt.
So waren 1999 nur 36 % derer, die die Schule ohne Abschluss verließen weiblich. 42 % der
Hauptschulabgänger waren Mädchen und waren somit auch hier unterrepräsentiert. Im
Gegensatz dazu waren 52 % der Absolventen der Realschule weiblich. Noch auffälliger
verbesserten sich die Erfolge von Schülerinnen im Gymnasium: 1967 gab es nur gut ein
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Drittel (36,5 %) Abiturientinnen, 1999 stellten sie mehr als die Hälfte (55 %)der Abgänger
mit Allgemeiner Hochschulreife dar. (vgl. Klemm/ Rolff 2002: 23)
In der schulischen Bildung sind die Mädchen also nicht mehr benachteiligt. Der prozentuale
Anteil der weiblichen Abgänger der Realschule und des Gymnasiums ist wie erwähnt sogar
höher als der Anteil der Jungen.
Beim Übergang in die berufliche Ausbildung konnten sie diesen Vorteil aber nur zum Teil
umsetzen. 2002 betrug der Anteil der weiblichen Studienanfänger 50,6 %. Wie aus Tabelle 1,
die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes zeigt, hervorgeht, trifft man auch noch am
Anfang des 21. Jahrhunderts prozentual weniger Frauen an, je höher der Qualifikationsgrad
steigt. Im Jahre 2002 promovierten nur wenig mehr als ein Drittel Frauen ( 36,4 %). Im
gleichen Jahr waren Frauen sogar nur zu 21,6 % an Habilitationen beteiligt. Insgesamt zeigt
sich aber eine steigende Tendenz. (vgl. Tabelle 1)
Tabelle 1: Frauenanteile in verschiedenen Stadien der akademischen Laufbahn
Gegenstand der Nachweisung
Studienanfänger
Studierende 1
Absolventen
Promotionen
Habilitationen 2
Hochschulpersonal insgesamt 3
Hauptberufliches wissenschaftliches
und künstlerisches Personal 3
Wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter 3
Professoren 3
C4 -Professoren 3
Bevölkerung insgesamt 4
1
Wintersemester.
2
Kalenderjahr.
3
01. Dezember. Angaben für 2002.
4
31. Dezember des Vorjahres.
Frauenanteil in Prozent
2000 2001 2002
49,2
49,4
50,6
46,1
46,7
47,4
44,8
46,0
47,0
34,3
35,3
36,4
18,4
17,2
21,6
50,8
51,2
51,2
25,6
30,4
10,5
7,1
51,2
27,0
31,9
11,2
7,7
51,2
27,7
32,7
11,9
8,0
51,1
Aktualisiert am 04. Dezember 2003
Quelle: Stat. Bundesamt Deutschland 2004
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In der Berufs- und Studienwahl sind Frauen noch immer geschlechtsspezifisch geprägt. Es
gibt Berufe, die auffallend häufig von Frauen gewählt werden. Genauso gibt es
männerspezifische Berufsziele. In der Tabelle wird deutlich, dass sich die Studienwahl von
Männern und Frauen abgesehen von wenigen Ausnahmen deutlich unterscheidet.
Tabelle 2: Die zehn am stärksten besetzten Studienfächer 1985/86 und 1998/99
Quelle: Stat. Bundesamt 1987: 68; Stat. Bundesamt (Hg.) 2000:71
3.2 Ungleichheiten nach sozialen Schichten
Ein großes Engagement der Bildungsreform 1970 bestand darin Chancengleichheit für Kinder
verschiedener sozialer Schichten herzustellen. Kinder aus Arbeiterfamilien und Familien mit
geringer Schulbildung und geringem Einkommen sind benachteiligt gleiche Bildung zu
erlangen. Böttcher/ Klemm (1995: 222) listen folgende „schichtspezifische
Bildungsbeteiligung“ auf: 1989 besuchten 13-14jährige Arbeiterkinder zu 58,1 % eine
Hauptschule, zu 26,3 % eine Realschule und nur 10,7 % dieser Kinder versuchten die
Hochschulreife zu erlangen. Im Gegensatz dazu besuchten gleichaltrige Beamtenkinder zu
13,3 % die Hauptschule, 24,2 % die Realschule und 58,3 % das Gymnasium. Diese starke
Differenz lässt sich auch in der gymnasialen Oberstufe verzeichnen: 15,8 % der 17-18jährigen
Arbeiterkinder war es 1991 möglich den gymnasialen Bildungsweg in der Oberstufe
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weiterzuführen; dagegen hatten dazu mehr als die Hälfte der Beamtenkinder (58,7 %) die
Gelegenheit. (vgl. Tabelle 3)
Tabelle 3: 17- bis 18jährige nach der sozialen Stellung des Familienvorstands und der
Beteiligung in den Klassenstufen 11 bis 13 (gymnasiale Oberstufe)
Quelle: Auswertung des Mikrozensus 1991
Leider nimmt der Mikrozensus seit 1991 Vergleichsdaten der Schulbeteiligung ,abhängig von
der sozialen Stellung der Familie, nicht mehr mit auf.
Wie aus den angeführten Zahlen hervorgeht, bestehen noch Anfang der 90er Jahre
gravierende schichtspezifische Ungleichheiten beim Zugang zu Bildung. Die Bildungsreform
konnte ihre Ziele in diesem Bereich nicht erreichen.
3.3 Ungleichheiten nach Regionen
Neben geschlechts- und schichtspezifischen Ungleichheiten bestanden auch
Bildungsungleichheiten zwischen Kindern aus verschiedenen Regionen. Auch auf diesem
Gebiet sollte die Schulreform Chancengleichheit herstellen.
Es fiel auf, dass deutlich weniger Kinder aus ländlichen Regionen in weiterführenden
Bildungsangeboten anzutreffen waren als Kinder aus städtischen Regionen. Des weiteren
bestanden länderabhängige Unterschiede bei der Bildungsbeteiligung. Folgende Maßnahmen
sollten die Ungleichheiten vermindern: Schulbusse wurden eingesetzt, um die Distanz zu
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Schulen zu überbrücken; es wurden zunehmend Schulen und Universitäten vor allem in
ländlichen Gegenden und Arbeiterregionen errichtet.
Diese Maßnahmen verhalfen dazu, dass die Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen
Regionen zwar schrumpften, aber trotzdem bestehen blieben. Hradil (2001: 169)
veröffentlicht folgende Daten: In ländlichen Gegenden besuchten Anfang der 90er Jahren
25,4 % der Schüler die Hauptschule, nur jedes vierte Kind (27,5 %) genoss eine Bildung im
Gymnasium. Sehr deutlich unterschieden sich die gewählten Bildungsgänge in Städten: Nur
10,8 % der Schüler gingen in die Hauptschule, mehr als die Hälfte (51,2 %) wählte das
Gymnasium als Bildungsweg.
Wie schon erwähnt, bestehen ebenfalls Disparitäten zwischen den Bundesländern. 2000
erlangten z.B. in Bayern 20,5 % eines Altersjahrgangs das Abitur, in Baden-Württemberg
hingegen 30,6 %.
Obwohl diese Daten sicherlich nicht nur regionale Ursachen haben, sondern in erheblichem
Maße auch soziale und kulturelle Zusammensetzungen mitwirken, kann man festhalten, dass
Ungleichheiten aufgrund von regionalen Gegebenheiten zwar gemindert wurden, aber immer
noch bestehen. (vgl. Klemm/ Rolff 2002: 25 f)
3.4 Ungleichheiten nach der kulturellen Herkunft
Seit den Jahren der Bildungsreformen hat sich eine neue Gruppe entwickelt, die im heutigen
Schulsystem benachteiligt ist. Im Jahre 1960 gab es in Deutschland nur 1,6 % Ausländer, so
dass diese Gruppe bei der Diskussion um Chancengleichheit nur marginal interessierte. (vgl.
Hradil 2001: 170)
Seither ist der ausländische Bevölkerungsanteil stark gestiegen. 2002 leben in Deutschland
8,9 % Prozent Ausländer. (vgl. Stat. Bundesamt 2002) 1994 erlangten fast die Hälfte der
ausländischen Kinder (43,6 %) nur einen Hauptschulabschluss, 8,8 % erreichten die
allgemeine Hochschulreife. Im Vergleich dazu beendeten nur 25,4 % der Deutschen die
Schule mit einem Hauptschulabschluss. Fast ein 3mal so hoher Prozentsatz der deutschen wie
der ausländischen Schüler schaffte die Hochschulreife.
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Tabelle 4: Ausländische und deutsche Schulabgänger im Jahre 1994 nach ihrem Abschluss
Quelle: Beauftragte 1997: 34
Auch neuere Zahlen verstärken den 1994 bestehenden Trend. Die PISA-Studie 2001 testete
unter anderem die Erfolge der Kinder von Arbeitsmigranten. In verschiedenen
Kompetenzbereichen wurden die Werte von Jugendlichen ohne Migrationsgeschichte, von
Jugendlichen bei deren ein Elternteil im Ausland geboren ist und von Jugendlichen, bei denen
beide Elternteile nicht in Deutschland geboren sind, verglichen. In allen getesteten
Kompetenzbereichen ergab sich für die ersten beiden Gruppen ein vergleichbarer Wert.
Jugendliche, bei denen die Eltern aus dem Ausland kommen, erbrachten signifikant
schlechtere Leistungen. (vgl. Klemm/ Rolff 2002: 27)
Diese Daten sollten dazu motivieren, gerade in diesem Bereich mehr Chancengleichheit zu
ermöglichen.
4. Zusammenfassende Betrachtung
Die Bildungsreformen 1970 waren angetreten, um Chancengleichheit herzustellen. Diese
Arbeit soll herausstellen, ob der Schulreform dies gelang. Dazu wurden vier Problembereiche
beleuchtet die Geschlechterrolle, soziale und kulturelle Herkunft, wie auch regionale
Abhängigkeiten.
Die Analyse der gegenwärtigen Bildungssituation von Frauen ergab, dass Frauen vor allem in
der schulischen Bildung keine Nachteile gegenüber den Männern haben. In Berufen mit
höheren Qualifikationen sind Frauen hingegen weniger stark vertreten. Bei der Berufswahl
besteht immer noch eine stark geschlechtsspezifische Prägung.
Die Chancenungleichheit, die zwischen verschiedenen sozialen Schichten bestand, konnte
zwar verringert werden, doch 25 Jahre nach den Bildungsreformen sind Kinder aus den
unteren Schicht in weiterführenden Bildungswegen prozentual zu ihrem Anteil in der
Bevölkerung selten anzutreffen.
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Durch Maßnahmen der Bildungsreformer konnten regionale Benachteiligungen gemindert
werden.
Als neuer Problembereich entstand die mangelnde Chancengleichheit bei Kindern
ausländischer Mitbürger.
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5. Literaturverzeichnis
Arbeitsstab Forum Bildung: Förderung von Chancengleichheit. Vorläufige Empfehlungen und
Expertenbericht. Bonn 2001.
Beauftragte der Bundesländer für die Belange der Ausländer (Hg.): Daten und Fakten zur
Ausländersituation. Bonn 1997
Böttcher, Wolfgang/ Klemm, Klaus: Bildung in Zahlen. Statistisches Handbuch zu Daten und
Trends im Bildungsbereich. Weinheim und München 1995.
Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit. 8. Auflage, Opladen 2001.
Klemm, Klaus/ Rolff, Hans-Günter: Chancengleichheit-eine unabgegoltene Forderung zu
Schulreform. In: Kampshoff, Marita/ Lumer, Beatrix: Chancengleichheit im Bildungswesen.
Opladen 2002.
Statistisches Bundesamt, in Zusammenarbeit mit dem WZB und dem ZUMA (Hg.).
Datenreport 1987. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1987.
Statistisches Bundesamt, in Zusammenarbeit mit dem WZB und dem ZUMA (Hg.).
Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 2000.
Statistisches Bundesamt (Hg.): http://www.destatis.de/basis/d/biwiku/hochtab8.htm, 28.04.04
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