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SPEECH/07/48
Vladimír Špidla
Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für
Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit
Eröffnung des Europäischen Jahres
der Chancengleichheit für alle 2007
Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle 2007
Berlin, den 30. Januar 2007
Sehr geehrte Frau von der Leyen,
Sehr geehrte Frau Brandi,
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Freude und großem Stolz eröffne ich heute zusammen mit Ihnen das
„Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle“. Diese Veranstaltung ist
Ausdruck unserer guten Zusammenarbeit und des hohen Stellenwerts, den die
Bundesregierung der Chancengleichheit beimisst.
Es ist kein Zufall, dass 2007 das 'Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle'
wurde: Vor fünfzig Jahren wurden die Römischen Verträge unterzeichnet. Heute
bekräftigen wir mit dem Europäischen Jahr, dass die Gleichheit aller vor dem
Gesetz und das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung Grundwerte Europas
sind. Unser Rechtsrahmen zur Sicherung des Gleichheitsgebots gehört zu den
vollständigsten weltweit, und darauf können wir zu Recht stolz sein. Im Bereich der
Gleichheit zwischen Mann und Frau hat sich dieser Rechtsrahmen über ein halbes
Jahrhundert entwickelt. In anderen Bereichen – ethnischer Ursprung, Behinderung,
sexuellen Orientierung, Religion oder Weltanschauung – ist diese Entwicklung auf
europäischer Ebene in den letzten zehn Jahren geschehen. Als Historiker bin ich
sicher, dass diese Entwicklung auf europäischer sowie nationaler Ebene zwei
wichtigen, obwohl nicht allgemein anerkannten Tendenzen moderner
Gesellschaften entspricht:
• Zum einen haben unsere Gesellschaften eine zunehmende Sensibilität und
Solidarität gegenüber den verschiedensten Minderheiten entwickelt – also den
„anderen“, deren Marginalisierung von der Mehrheitsgesellschaft über Jahrhunderte
hinweg als legitim betrachtet wurde.
• Die zweite Tendenz besteht darin, dass sich unser Verständnis der Gleichheit in
den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat. Begonnen hat der Schutz gegen
Diskriminierung im Wirtschaftsleben, insbesondere am Arbeitsplatz. Beruf und
Beschäftigung sind auch weiterhin die Kernbereiche, in denen das
Gleichstellungsgebot zwischen Privaten durchgesetzt wird. Weil aber unser
Verständnis der Gleichheit dem humanistischen Ideal unveräußerlicher
Menschenwürde folgt, greift es immer mehr auch über den Arbeitsmarkt hinaus.
Das Konzept der Chancengleichheit erfasst dadurch zunehmend Situationen, in
denen Leute beispielsweise wegen ihrer Behinderung oder ihres Alters nicht (oder
nicht mehr) ökonomisch aktiv werden können.
Dies zeigt, dass Chancengleichheit und Menschenwürde untrennbar verbunden
sind. Natürlich richtet sich Chancengleichheit zunächst darauf, jeder Person
unabhängig von etwaigen individuellen Nachteilen größtmögliche Teilhabe am
Arbeits- und Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es ist jedoch klar, dass die
Gleichheit der Individuen und deren Anspruch auf soziale Teilhabe weit über den
ökonomischen und materiellen Bereich hinausreichen. Die Entwicklung ist in vollem
Gange - z. B. wenn wir an die Bedürfnisse der Pflege sehr alter Menschen oder
Schwerbehinderter denken. Vor einigen Jahrzehnten ging es meist um die Deckung
existenzieller Bedürfnisse. Dazu tritt heute das Recht der Hilfebedürftigen auf
Selbstbestimmung und auf soziale Interaktionen mit anderen Menschen.
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Obwohl es klar ist, dass es aus kulturellen und historischen Gründen bestimmte
Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten gibt, haben sich diese Tendenzen im
ganzen europäischen Raum entwickelt. Ich möchte auch gern unterstreichen, dass
diese Änderungen vor allem durch die Aktivitäten der Zivilgesellschaft im weitesten
Sinne erreicht wurden – durch Menschenrechtsinitiativen und andere nichtstaatliche
Organisationen, durch die Medien und die Wissenschaft.
Allerdings entspricht die Realität nicht immer unseren hehren Grundsätzen. Selbst
unser europäischer Rechtsrahmen bietet bislang noch keinen umfassenden Schutz
gegen Diskriminierung außerhalb der Bereiche Beschäftigung und Beruf. Dazu
wissen wir, wie lange es dauert, bis Gesetze im praktischen Leben voll wirksam
werden. Die Gleichheit zwischen Männern und Frauen kann als Beispiel gelten:
trotz großer Fortschritte in den letzten 50 Jahren liegt ohne Zweifel noch viel Arbeit
von uns.
Wie Sie sehen werden, geht aus der jüngsten Eurobarometer-Umfrage eines ganz
deutlich hervor: Die Menschen wollen, dass mehr gegen Diskriminierung
unternommen wird. Wir stehen daher in der Pflicht zu handeln.
Dieses Europäische Jahr muss zu echten und messbaren Fortschritten führen. Ich
möchte Sie ermutigen, konkrete Empfehlungen auszusprechen, die dann unsere
Arbeit während des gesamten Jahres begleiten werden. Sie sollen die von den
Staaten erarbeiteten nationalen Strategien zur Verwirklichung des Europäischen
Jahres ergänzen. Die Kommission hat die Prüfung dieser Strategiepapiere noch
nicht abgeschlossen, doch kann ich bereits sagen, dass wir sehr angetan sind von
den Anstrengungen der Teilnehmerländer, solide, ehrgeizige und oft innovative
Konzepte zu entwickeln.
Meine Damen und Herren,
denken wir einmal das Europäische Jahr für Chancengleichheit vom Ende her. Wo
wollen wir stehen, wenn wir es im November in Lissabon feierlich beschließen
werden?
Konkret haben wir uns in den Zielen für das Jahr 2007 dreierlei vorgenommen:
1) die Menschen besser über ihre Rechte zu informieren;
2) einen praktischen Beitrag dazu zu leisten, einer wirklichen Chancengleichheit für
alle näher zu kommen,
3) die Vorteile der Vielfalt herauszustellen.
zu 1) Erstens, wie die Eurobarometer-Umfrage zeigt, sind zu wenige Menschen
über das geltende Anti-diskriminierungsrecht informiert. Deshalb ist unser
Europäisches
Jahr
eine
ideale
Gelegenheit,
die
Information
und
Bewusstseinsbildung der Bürgerinnen und Bürger zu verstärken.
zu 2) Zweitens, bietet uns das Europäische Jahr die Gelegenheit, Impulse, Ideen
und Initiativen zu entwickeln, damit Chancengleichheit im täglichen Leben verankert
werden kann.
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zu 3) Drittens, wollen wir die Vorteile der Vielfalt in unseren Gesellschaften
herausstellen. Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Vielfalt in Europa sein.
Daran gibt es kaum Zweifel. Wie die Zukunft unseres Kontinents aussieht, hängt
aber nicht zuletzt davon ab, wie wir mit dieser Vielfalt umgehen:
• Die Einwanderung aus Drittländern spielt in einigen Ländern bereits eine zentrale
Rolle für die demografische Entwicklung. Wir brauchen deshalb eine erfolgreiche
Integrationspolitik.
• Überall altert die Bevölkerung, aber gleichzeitig empfinden immer noch viele
Arbeitgeber die 45- oder 50-Jährigen schon als „alt”. Es gilt daher, das Konzept
des „aktiven Alterns” mit Inhalt zu füllen, und so weiter.
Das Europa der Vielfalt im 21. Jahrhundert muss einen integrativen und tatkräftigen
Ansatz verfolgen. Wir sind es den Menschen in ihrer Einzigartigkeit und Würde
schuldig. Außerdem können wir es uns nicht erlauben, die Fähigkeiten, Fertigkeiten
und Erfahrungen eines jeden einzelnen zu vergeuden. Denn darin liegt der
Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt.
Mit Hilfe der Chancengleichheit werden wir in vielerlei Hinsicht – sei es
wirtschaftlich, gesellschaftlich oder kulturell - die Früchte der Vielfalt ernten.
Und dafür leisten auch Sie, die Gleichstellungsorganisationen, die
Nichtregierungsorganisationen und die Sozialpartner einen unschätzbaren Beitrag.
Sie haben Anteil am Fortschritt für mehr Chancengleichheit.
Und genau deshalb wollte ich diesen Gleichstellungsgipfel:
• So können in Europa wenigstens einmal im Jahr Entscheidungsträger aus Politik
und Wirtschaft auf gleicher Augenhöhe mit den Akteuren diskutieren, die sich
„vor Ort“ für die Rechte diskriminierter Menschen einsetzen.
• Außerdem können wir – unter Wahrung unterschiedlicher kultureller
Vorstellungen – unsere konkreten Erfahrungen austauschen und von- und
miteinander lernen - sei es bei der Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über
ihre Rechte, bei der Hilfe für die Opfer oder bei weiteren vorbildlichen Initiativen
und Maßnahmen.
Ich bin daher glücklich, dass an diesen beiden Tagen alle Beteiligten zu Wort
kommen und ihre Ansichten darüber austauschen können, wie wir das Europäische
Jahr nutzen und weiterarbeiten sollen.
Ich vertraue darauf, dass wir unvoreingenommen und mit Fantasie diskutieren
werden. [Wie Sie, Frau von der Leyen, schon sagten], wir müssen – und ich glaube
wir können - eine neue Dynamik erzeugen. Wir können auch konkrete und
neuartige Maßnahmen und Instrumente schaffen, damit Chancengleichheit überall
Wirklichkeit wird.
Ich wünsche uns allen in diesem Sinne zwei fruchtbare Arbeitstage und danke
Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
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