Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 12 /
12. Wahlperiode
19. 06. 2000
5269
Antrag
der Abg. Carla Bregenzer u. a. SPD
und
Stellungnahme
des Staatsministeriums
Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten über Konzert mit
Scientologin
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. ob ihr bekannt ist, dass bei den Schlosskonzerten auf der Insel Mainau die
Sängerin Julia Migenes gemeinsam mit dem Staatsorchester Stuttgart auftreten wird, eine Sängerin, die seit über 10 Jahren intensiv Werbung für
Scientology macht;
2. welche Bedeutung nach ihrer Kenntnis Künstlerinnen und Künstler für die
Scientology-Organisation bzw. in der Organisation haben und wie die Landesregierung sowie andere Institutionen die Scientology-Organisation beurteilt;
3. ob sie die Meinung der Veranstalter teilt, dass es sich um eine religiöse Angelegenheit handelt und damit Privatsache der Künstlerin sei;
4. ob ihr bekannt ist, dass sich der „Südkurier“ als Sponsor zurückgezogen
hat, nachdem er von der Teilnahme der Künstlerin, die für die ScientologyOrganisation Werbung macht; erfahren hat.
5. ob es zutrifft, dass der Ministerpräsident an seiner Schirmherrschaft über
die Konzerte festhält, obwohl bekannt ist, dass dort eine aktive Scientologin auftritt;
Eingegangen: 19. 06. 2000 / Ausgegeben: 18. 08. 2000
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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 12 / 5269
6. wie sie den Widerspruch löst, der dadurch entsteht, dass sie einerseits eine
Interministerielle Arbeitsgruppe zur Aufklärung über Scientology finanziert, andererseits dieser durch die Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten zur Reputation verhilft;
7. wie sie die Tatsache beurteilt, dass der Ministerpräsident in seiner Funktion als Schirmherr praktisch schützend die Hand über eine Künstlerin
hält, die für eine Gruppe Werbung macht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird;
8. ob der Landesregierung bewusst ist, dass die Künstlerin die Gage, die sie
für diesen Auftrtitt erhält, voraussichtlich in nicht geringem Umfang der
Scientology-Organisation zur Verfügung stellen wird, z. B. für Kurse oder
als Spende in die „Kriegskasse“;
9. welche Konsequenzen der Ministerpräsident aus diesen Beurteilungen und
Einschätzungen ziehen wird?
15. 06. 2000
Carla Bregenzer, Zeller, Braun,
Christine Rudolf, Wintruff SPD
Begründung
Es ist bekannt, dass Künstlerinnen und Künstler, die bei Scientology nach
den Techniken von L. Ron Hubbard geschult wurden, für diese Organisation
Werbung machen. Sie dienen damit dem Zweck, vom eigentlich menschenverachtenden Kern der Organisation abzulenken, die negativen Eindrücke,
die in der Öffentlichkeit inzwischen über diese Organisation herrschen, zu
übertünchen. Gleichzeitig ist bekannt, dass es die zwingende Aufgabe jedes
Scientologen ist, für die Organisation zu werben, ihr neue Mitglieder und
Kursteilnehmer zuzuführen. Daher erscheint es völlig unverständlich, dass
der Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Schirmherrschaft über eine Veranstaltung behält, obwohl dort eine Künstlerin auftritt, die seit über
10 Jahren genau diese Vorgaben erfüllt. Nicht nachvollziehbar ist, dass der
Ministerpräsident an der Schirmherrschaft festhält, damit der Veranstaltung
zusätzlichen Werbeeffekt verschafft, während der Verfassungsschutz des
Landes Baden-Württemberg seit Jahren die Organisation wegen ihrer Praktiken beobachtet. Einerseits finanziert das Land eine Interministerielle Arbeitsgruppe zur Aufklärung und im Kampf gegen die Praktiken, andererseits begleitet das Staatsorchester eine Künstlerin, die sich seit über zehn Jahren für
die Scientologie-Organisation stark macht. Die Selbsthilfegruppen, die sich
seit vielen, vielen Jahren ehrenamtlich, ohne jede staatliche Unterstützung
der Aufklärung, vor allem aber der Opfer annehmen, können da nur verständnislos den Kopf schütteln, sich verhöhnt fühlen.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 12. Juli 2000 Nr. III–7171. nimmt das Staatsministerium
im Einvernehmen mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport und
dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zu dem Antrag wie
folgt Stellung:
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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 12 / 5269
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
Zu 1.:
ob ihr bekannt ist, dass bei den Schlosskonzerten auf der Insel Mainau die
Sängerin Julia Migenes gemeinsam mit dem Staatsorchester Stuttgart auftreten wird, eine Sängerin, die seit über 10 Jahren intensiv Werbung für Scientology macht;
Der Landesregierung ist bekannt, dass Frau Migenes für einen Programmpunkt des Konzerts des Staatsorchesters Stuttgart auf der Insel Mainau kurzfristig eingesprungen ist, für den zunächst eine andere Sängerin vorgesehen
war.
Soweit der von der Landesregierung eingerichteten Interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen sog. Sekten und Psychogruppen bekannt ist, handelt
es sich bei der Sängerin Julia Migenes Johnson nach Selbstdarstellungen der
Scientology-Organisation um ein Lebenszeitmitglied der Internationalen Vereinigung der Scientologen (IAS).
Zu 2.:
welche Bedeutung nach ihrer Kenntnis Künstlerinnen und Künstler für die
Scientology-Organisation bzw. in der Organisation haben und wie die Landesregierung sowie andere Institutionen die Scientology-Organisation beurteilt;
Nach den Anweisungen des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard ist der
Einfluss von prominenten Persönlichkeiten auf die Gesellschaft für die
Zwecke von Scientology zu nutzen. Die von der Scientology-Organisation
eingerichteten sog. „Celebrity Centres“ haben u. a. die Aufgabe, Persönlichkeiten aus dem Bereich der darstellenden und bildenden Künste, des Sports
und der Geschäftswelt usw. für die Scientology-Organisation zu gewinnen.
Diese Zentren arbeiten strikt nach der sog. Technologie von L. Ron Hubbard.
Dabei ist zu vermuten, dass die Kunden der Scientology-Organisation in den
„Celebrity Centres“ eine Vorzugsbehandlung genießen und vielfach nicht
über die wahren Ziele der Scientology-Organisation unterrichtet sein dürften.
Zu 3.:
ob sie die Meinung der Veranstalter teilt, dass es sich um eine religiöse Angelegenheit handelt und damit Privatsache der Künstlerin sei;
Die vom Deutschen Bundestag eingerichtete Enquête-Kommission „Sog.
Sekten und Psychogruppen“ hat in ihrem Mitte 1998 vorgelegten Abschlussbericht (BT-Drucksache 13/10950) die Scientology-Organisation nicht als religiöse Gruppe bewertet. Diese Auffassung vertritt auch die Landesregierung.
Welcher Religionsgemeinschaft Frau Migenes Johnson angehört, ist der Landesregierung unbekannt.
Zu 4.:
ob ihr bekannt ist, dass sich der „Südkurier“ als Sponsor zurückgezogen hat,
nachdem er von der Teilnahme der Künstlerin, die für die Scientology-Organisation Werbung macht, erfahren hat;
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Drucksache 12 / 5269
Der Landesregierung sind entsprechende Pressemeldungen bekannt.
Zu 5. bis 7.:
5. ob es zutrifft, dass der Ministerpräsident an seiner Schirmherrschaft über
die Konzerte festhält, obwohl bekannt ist, dass dort eine aktive Scientologin auftritt;
6. wie sie den Widerspruch löst, der dadurch entsteht, dass sie einerseits eine
Interministerielle Arbeitsgruppe zur Aufklärung über Scientology finanziert, andererseits dieser durch die Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten zur Reputation verhilft;
7. wie sie die Tatsache beurteilt, dass der Ministerpräsident in seiner Funktion als Schirmherr praktisch schützend die Hand über eine Künstlerin
hält, die für eine Gruppe Werbung macht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird;
Die durch den Herrn Ministerpräsidenten übernommene Schirmherrschaft
bezieht sich auf die gesamte Veranstaltungsreihe und nicht auf Einzelveranstaltungen bzw. Aktivitäten einzelner Mitwirkender. Im Übrigen war für die
betreffende Einzelveranstaltung zunächst eine andere Künstlerin vorgesehen.
Es besteht auch kein Widerspruch zur Arbeit der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen sog. Sekten und Psychogruppen, die den Auftrag hat, die
Öffentlichkeit vor problematischen und konfliktträchtigen Gruppierungen im
Rahmen des rechtlich gesetzten Rahmens zu informieren und ggf. zu warnen.
Berührt wird dadurch auch nicht die Tatsache, dass die Scientology-Organisation in Baden-Württemberg weiterhin durch den Verfassungsschutz beobachtet wird.
Zu 8.:
ob der Landesregierung bewusst ist, dass die Künstlerin die Gage, die sie für
diesen Auftritt erhält, voraussichtlich in nicht geringem Umfang der Scientology-Organisation zur Verfügung stellen wird, z. B. für Kurse oder als Spende
in die „Kriegskasse“;
Wie die Künstlerin ihre Gage verwendet, ist der Landesregierung nicht bekannt.
Zu 9.:
welche Konsequenzen der Ministerpräsident aus diesen Beurteilungen und
Einschätzungen ziehen wird;
Die Landesregierung wird wie bisher das Auftreten und Wirken sog. Sekten
und Psychogruppen wie Scientology mit unveränderter Aufmerksamkeit beobachten. Sie ist gleichzeitig gewillt, allen Systemen entgegenzutreten, die
durch destruktive Abhängigkeitsstrukturen geprägt sind und die es tolerieren,
dass Menschen psychisch, physisch und materiell ausgebeutet werden. Als
erstes Land hatte Baden-Württemberg sich dafür entschieden, bei der Bekämpfung der Scientology-Organisation den Verfassungsschutz einzubeziehen. Entsprechende Überwachungsmaßnahmen erfolgen seit Beginn des Jahres 1997.
Dr. Menz
Staatssekretär
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