Medizin Panikattacken – Schilddrüsenhormone können schuld sein 2 3 Wir sprachen mit Dr. med. Axel Wagenmann, Leiter der Nuklearmedizin in der Diagnostik München. Herr Dr. Wagenmann, welche Symptome kann eine Schilddrüsenüberfunktion verursachen? Da bei einer Überfunktion der Organismus durch die vermehrte Hormonproduktion auf Hochtouren läuft, sind die Patienten meist hypernervös und gereizt. Durch diese gesteigerte Nervosität, verbunden mit hoher Pulsfrequenz, kann es bei psychisch belasteten Menschen auch zu Panikattacken kommen. Oftmals bemerkt übrigens der Partner oder die Familie, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Betroffenen reagieren nämlich oft vermehrt aggressiv und leiden unter ständigen Gefühlsschwankungen. Eine deutliche Persönlichkeitsveränderung eben. Schlafstörungen, unwillkürlicher Gewichtsverlust und starkes Schwitzen können ebenfalls Symptome einer Überfunktion sein. Die häufigsten Ursachen sind übrigens eine Schilddrüsenautonomie und der Morbus Basedow, aber auch eine Überdosierung von Schilddrüsenhormonen in Form von Tabletten. Und wie macht sich eine Schilddrüsenunterfunktion bemerkbar? Typische Symptome sind Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Manchmal sind die Patienten auch antriebsarm oder sogar depressiv. Ein unerfüllter Kinderwunsch kann auf eine zu geringe Schilddrüsenproduktion hinweisen. Ebenso kann eine Ge- wichtszunahme ein Anzeichen sein. Ursachen können vorangegangene Operationen beziehungsweise eine Radiojodtherapie sein, bei der in der Nachsorge die Schilddrüsengaben zu gering waren. Manchmal ist die Schilddrüse aber auch nur einfach zu klein. Auch eine Unterfunktion muss dringend behandelt werden. Das Risiko von Gefäßerkrankungen und damit auch von Herzinfarkt und Schlaganfall kann durch eine Unterfunktion zunehmen, da mit einer geringeren Hormonleistung Stoffwechselprozesse, wie beispielsweise der Fettstoffwechsel, verlangsamt ablaufen. Bei der Hypothyreose (med. Bezeichnung für Schilddrüsenunterfunktion) müssen lebenslang Schilddrüsenhormone eingenommen werden. 30 apo_m_030-031.indd 1 06.07.16 14:16 Foto, Illustration: Fotolia.com 1 Immer wieder befiel Andrea F. dieses unheimliche Gefühl der Enge im Hals, gefolgt von Herzrasen und Schweißausbrüchen, die in Todesangst endeten. Diese Panikattacken überfielen die junge Architektin oft völlig unerwartet aber seit einiger Zeit regelmäßig. Seit ein paar Wochen kommt auch noch ein diffuser Haarausfall dazu. Ein Bluttest beim Arzt brachte es ans Tageslicht. Andrea F. leidet an einer Schilddrüsenüberfunktion. Schuld an der vermehrten Hormonproduktion sind kalte Knoten in diesem kleinen, aber so wichtigen Organ. Damit ist die junge Frau nicht alleine. Millionen Menschen sind betroffen. Eine neue Behandlungsmethode kann vielen Patienten, gerade bei Knotenbildungen und Überfunktionen, künftig eine Operation ersparen. Die Schilddrüse sitzt unterhalb des Kehlkopfes vor der Luftröhre und hat die Form eines Schmetterlings Illustration: 1 Schildknorpel 2 Schilddrüse 3 Luftröhre Heiße und kalte Knoten sind oft Diagnosen. Diese Patienten können dank der neuen Behandlungsmöglichkeit hoffen? Ja, denn mit der Schilddrüsenablation steht uns ein neues Behandlungsverfahren zur Verfügung, das den Patienten oftmals eine Operation erspart. Generell stehen zur Therapie von Schilddrüsenerkrankungen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen die Operation, zum anderen eine Radiojodtherapie. Bei beiden Verfahren muss der Patient stationär behandelt werden. Die Schilddrüsenablation wird dagegen ambulant durchgeführt. Wie muss man sich diese neue Therapie vorstellen? Bei der Schilddrüsenablation wird eine Sonde unter Ultraschallkontrolle in den Knoten eingeführt. Durch die entstehende Hitze wird die Überfunktion in den Knoten beseitigt und er schrumpft dadurch. Der Vorteil dieser Therapie ist eben, dass man nicht die üblichen Operationsrisiken eingehen muss und auch nicht, wie bei der Radiotherapie, mehrere Tage stationären Aufenthalt einplanen muss. Wer trägt die Kosten für die Behandlung? Die Untersuchung wird nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet und den Patienten persönlich in Rechnung gestellt. Von den gesetzlichen Krankenkassen wird diese Behandlung nicht übernommen, viele private Krankenversicherungen übernehmen jedoch die Kosten. Im Einzelfall sollten Sie mit Ihrer Versicherung diesbezüglich Kontakt aufnehmen. Foto, Illustration: Fotolia.com Gibt es Patienten, für die sie nicht infrage kommt? Ausgenommen von dieser neuen Therapie sind Erkrankungen ohne Knotenbildungen. Bei einer Unterfunktion oder beim Morbus Basedow ohne Knotenbildung sind Hormongaben beziehungsweise Radiojodtherapie oder die OP immer noch Mittel der Wahl. Ebenfalls nicht behandelt werden können bösartige Erkrankungen wie Schilddrüsenkrebs und maligne kalte Knoten. Weshalb macht die Schilddrüse denn überhaupt so oft Probleme? Weil es kaum eine Funktion im menschlichen Körper gibt, an der die Schilddrüsenhormone nicht beteiligt sind. Alle Schilddrüsenkrankheiten wie ein Kropf, eine Autonomieerkrankung (heiße Knoten) oder eine Autoimmunerkrankung (Hashimoto/Basedow) haben Einfluss auf den gesamten Organismus. Warum ist dieses Organ so wichtig? Die Schilddrüse speichert Jod aus der Nahrung und bildet damit die für den Menschen so wichtigen Hormone. Diese gelangen über das Blutgefäßsystem zu den Organen und beeinflussen so den gesamten Stoffwechsel des Körpers. Vom Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt über die Gehirnfunktion und das Nervensystem bis hin zur Psyche. Sogar die Sexualfunktion wird beeinflusst. Die Schilddrüsenhormone spielen einfach überall mit. Sie regeln den Energieverbrauch und den Grundumsatz des Organismus. Ohne sie würde der Mensch nach einigen Monaten sterben. Wie wird die Diagnose einer Schilddrüsenerkrankung gestellt? Der Arzt wird im Blut das basale TSH und die freien Schilddrüsenhormone (fT3 und fT4) bestimmen. Auch eine Bestimmung von Schilddrüsenautoantikörpern (TPO-AK, TG-AK und TRAK) kann dazu sinnvoll sein. In der Regel wird der Arzt zuerst den Hals abtasten. Ein ausgeprägter Kropf ist nicht zu übersehen. Danach wird in der bildgebenden Diagnostik hauptsächlich der Ultraschall und zur weiteren Abklärung bei Knoten und Funktionsstörungen die Szintigrafie eingesetzt. In speziellen Einzelfällen kommen auch die Computertomografie und die Kernspintomografie zum Einsatz. Eine Feinnadelpunktion der Schilddrüse macht vor allem bei kalten Knoten Sinn, um das Risiko einer Bösartigkeit zu verkleinern. zusätzliche Möglichkeit ist die Verwendung von jodiertem Speisesalz. Häufig ist auch die Schilddrüsenautonomie. Hier kommt es zu einem unkontrollierten Wachstum von Schilddrüsengewebe. Tritt dieses Wachstum in Form knotiger Veränderungen auf, spricht man vom sogenannten heißen Knoten. Auch hier ist eine häufige Ursache der Jodmangel. Betroffen sind vor allem Patienten über dem 40. Lebensjahr. Weitere Erkrankungen sind Entzündungen der Schilddrüse wie Hashimoto und Morbus Basedow. Hier produziert der Körper selbst Antikörper gegen seine eigene Schilddrüse. Während der Morbus Basedow eigentlich immer in einer Überfunktion endet tritt bei Hashimoto nur zeitweise eine Überfunktion auf. Die Erkrankung führt immer langfristig zu einer Unterfunktion. Bei Morbus Basedow sind die Antikörper auch gegen die schützenden Bindegewebsstrukturen des Auges gerichtet. Bei vielen Patienten treten die typischen Basedow Augen auf. Dabei treten die Augäpfel nach vorne was durch eine Volumenzunahme des hinter dem Auge befindlichen Fettgewebes passiert. Der Schilddrüsenkrebs ist eine Erkrankung, bei der die Ursachen als gesichert gelten. Eine Bestrahlung im Halsbereich, die im Kinder- oder Jugendalter vorgenommen wurde, kann zu Schilddrüsenkrebs führen. Bei einer besonderen Unterform ist die Ursache genetisch bedingt. Vielen Dank für das Gespräch! Welche Erkrankungen der Schilddrüse gibt es noch? In Jodmangelgebieten kommt es häufig zum Struma (Kropf). Hier werden meist noch ausreichend viele Schilddrüsenhormone produziert. Frauen sind übrigens häufiger betroffen als Männer. Aufgrund des Jodmangels kommt es dann zu einer Vergrößerung der Schilddrüse. Die wichtigste Maßnahme zur Vorsorge besteht in einer ausgewogenen Ernährung. Eine Unser Experte Dr. med. Axel Wagenmann ist Radiologe und Leiter der Abteilung Nuklearmedizin in der Diagnostik München www.diagnostik-muenchen.de 31 apo_m_030-031.indd 2 06.07.16 14:16