A pooled analysis of adjuvant chemotherapy for resected

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SINNORIENTIERTE MEDIZIN (S.O.M.) *
Bewertung der Metaanalyse:
A pooled analysis of adjuvant chemotherapy for resected colon
cancer in elderly patients.
[SARGENT Daniel J. et al., N Engl J Med (2001) 345: 1091-1097]
Fragestellung
Die adjuvante Chemotherapie beim resezierten Kolonkarzinom mit erhöhtem Rezidivrisiko (Stadium II und III) ist heute allgemein Standard. Die Effektivität und Toxizität einer solchen Therapie bei Patienten über 70 Jahren
wird bis heute jedoch kontroversiell beurteilt.
Methode
Es wurden die Daten von 7 randomisierten
Studien (Gesamtzahl der Patienten: 3.351) gepoolt und die Wirkung einer postoperativen
adjuvanten Chemotherapie (Fluorouracil®
plus Levamisol® bzw. Leucovorin®) mit alleiniger Chirurgie bei Patienten im Stadium II
und III eines Kolonkarzinoms verglichen. Die
Patienten wurden in vier Altersgruppen im
Bereich von jeweils 10 Jahresabständen (<50,
51-60, 61-70, >70 Jahre) unterteilt und in Bezug auf Überleben, Rezidivraten und Toxizität der Chemotherapie untersucht.
Ergebnisse
Die Autoren fanden eine signifikant höhere 5
Jahresüberlebensrate von absolut 7% unter einer adjuvanten Chemotherapie wenn alle Altersgruppen zusammengenommen werden
*
(71% versus 64%). Im Vergleich der Altersgruppen untereinander konnte kein statistischer
Unterschied errechnet werden. Auch im Bezug
auf die Verträglichkeit fand sich nach Aussage
der Autoren kein statistisch signifikanter Unterschied.
Konklusion
Die Autoren schließen daraus, dass ältere Patienten mit Kolonkarzinom im gleichen Ausmaß von einer adjuvanten Chemotherapie profitieren wie jüngere, ohne dass die Toxizität signifikant höher wäre. Sie empfehlen daher,
dass bei praktisch allen Patienten im Stadium II
und III nach einem Kolonkarzinom eine adjuvante Chemotherapie in Betracht zu ziehen sei.
S.O.M.-Analyse
Stufe I: Wirkungsnachweis
Rein statistisch kann gesagt werden, dass die
Konklusionen der Autoren formal richtig sind.
Es gab keine „statistischen“ Unterschiede zwischen jungen und alten Patienten. Weiters ist
hervorzuheben, dass der Nachweis der Wirkung nicht auf Surrogatparametern (z.B.: Tumormarkern) sondern auf das direkte Hand-
In dieser Rubrik werden Studienergebnisse, die im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes des IMABE –
Instituts und der Gesellschaft für sinnorientierte Medizin unter der Leitung von Univ.Prof.Dr.Johannes BONELLI
erarbeitet werden, publiziert. Dieses Projekt wird vom Fonds Gesundes Österreich mitfinanziert.
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lungsziel des Arztes, nämlich auf die Reduzierung der Mortalität und auf mögliche toxische
Effekte der Chemotherapie (Lebensqualität)
abgestellt war.
Im Bezug auf die Plausibilität der Ergebnisse
sind freilich Zweifel anzumelden. Alte Patienten vertragen eine Chemotherapie auf Grund
ihrer multimorbiden Gebrechlichkeit erfahrungsgemäß schlechter. Außerdem ist das
Handling der notwendigen Maßnahme auf
Grund ihres allgemein reduzierten funktionellen und mentalen Status für ältere Patienten
viel mühsamer und aufwendiger als bei jüngeren. Auch rein hypothetisch ist zu erwarten,
dass eine Chemotherapie bei älteren Menschen
auf Grund Ihrer reduzierten Abwehrkräfte und
der kürzeren Lebenserwartung weniger effektiv ist als für jüngere.
Die medizinische Erfahrung lässt also insbesonders im Bezug auf die Nebenwirkungen ein
anderes Ergebnis erwarten. In der Tat gibt es
auch eine Reihe von anderen Studien, die sehr
wohl über eine erhöhte Nebenwirkungsrate
bei älteren Patienten unter Chemotherapie berichten.
Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die praktische Glaubwürdigkeit von
Studienergebnissen nicht alleine von der statistischen Signifikanz sondern, wie oben dargelegt, auch von der Erfahrung des Arztes und
der zugrundeliegenden Hypothese abhängt
(Plausibilitätskriterium!).
Stufe II: Quantitativer Nutzen
Lebensverlängerung
Wie gesagt, wird die gleich gute Wirkung der
Chemotherapie bei jungen und alten Patienten
in der Studie damit begründet, dass die 5 Jahresüberlebensrate in beiden Altersgruppen un-
Abbildung 1: aus N Engl J Med (2001) 345: 1095
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ren die adjuvante Chemotherapie bei 7% der
Fälle zu einem anhaltenden Überlebensvorteil
führt, während dieser Überlebensvorteil bei
älteren Patienten nur kurzfristig zum Tragen
kommt. In Zahlen ausgedrückt: bei älteren Patienten führt eine adjuvante Chemotherapie
zu Heilungen, die mit einer normalen Lebenserwartung verbunden sind. Bei einem 50 jährigen Patient z.B. wäre dies eine Lebensverlängerung von ca. 25 Jahren. Berechnet man dazu
den Effektivitätsgrad nach der S.O.M. Methode, so ergäbe sich bei einer Behandlungsdauer
von einem halben Jahr ein Wert von 350%
(25/0,5 x 7 = 350%).
Ältere Patienten über 70 Jahre erreichen hingegen unter einer Chemotherapie bestenfalls
eine Lebensverlängerung von einem halben
Jahr (siehe Kurve). Der Effektivitätsgrad beträgt demnach lediglich 7% (0,5/0,5 x 7= 7%).
Dies bedeutet, dass die Effektivität der Behandlung der jüngeren Patienten um ein vielfaches
ter Chemotherapie um 7% höher lag als ohne
Behandlung. Die 5 Jahresüberlebensrate wird
bei Kolonkarzinom allgemein mit Heilung
gleichgesetzt, so dass auf den ersten Blick in
der Tat das Ausmaß der Wirkung in beiden
Gruppen gleich groß erscheint.
Vergleicht man jedoch den Verlauf der
Überlebenskurven beider Altersgruppen miteinander (siehe Abbildung 1), so zeigt sich ein
eklatanter Unterschied. In der Tat besteht
zwar in beiden Altersgruppen nach 5 Jahren
ein Überlebensvorteil von 7 % unter der Chemotherapie. Danach flachen allerdings nur die
beiden Überlebenskurven bei den jüngeren
Patienten als Ausdruck der überwundenen Erkrankung deutlich ab und laufen zunehmend
auseinander. Genau das Gegenteil ist hingegen
bei den ältern Patienten über 70 Jahre zu beobachten. Dort laufen die Kurven in den darauffolgenden Jahren wieder aufeinander zu. Dies
bedeutet, dass offensichtlich in jüngeren JahTherapie und Effekt
A lter < 70 Jahre A lter > 70 Jahre
P Wert
(%)
(%)
Fluorouracil ®plus Leucov orin ®
Ü belkeit, Erbrechen
5
2
0,15
Diarrhöe
15
15
0,99
Stomatitis
11
15
0,21
Leukopenie
4
8
0,05
Ü belkeit, Erbrechen
7
9
0,37
Diarrhöe
9
11
0,44
Stomatitis
5
9
0,09
Leukopenie
17
31
0,001
Fluo ro uracil ® plus Lev am isol ®
Tabelle 1:
1
Von den Patienten, die die Therapie erhalten haben, waren 987 70 Jahre alt oder jünger bzw. 130 Patienten älter als 70
Jahre.
2
Von den Patienten, die die Therapie erhalten haben, waren 470 70 Jahre alt oder jünger bzw.128 Patienten älter als 70
Jahre.
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höher liegt als bei älteren Menschen, deren Leben durch die Therapie kaum verlängert werden kann, obwohl die Reduktion der Mortalität rein statistisch in beiden Gruppen gleich
war. Aus der Perspektive einer Sinnorientierten Medizin (S.O.M.) kann daher keinesfalls
gesagt werde, dass der Nutzen einer adjuvanten
Chemotherapie bei älteren Menschen gleich
groß ist wie bei jüngeren Patienten, wie dies die
Autoren der Studie behaupten.
Nebenwirkungen
Die Autoren schreiben weiter in der Diskussion, dass kein evidenter Unterschied in der Verträglichkeit der Chemotherapie bei jüngeren
und älteren Patienten gefunden werden konnte.
Vergleicht man allerdings die Zahlen über
schwere Nebenwirkungen Grad 3 (Tabelle 1),
dann zeigt sich, dass bei fast allen untersuchten
Parametern die älteren Patienten (wenn auch
nicht signifikant) mehr Nebenwirkungen gefunden wurden als bei jüngeren. Offensichtlich hatte die Studie nicht genug „Power“, um diese Unterschiede zu belegen. Den Schluss zu ziehen,
dass die Behandlung in beiden Gruppen gleich
gut vertragen worden sind, scheint auf Grund
der vorliegenden Zahlen nicht gerechtfertigt.
Weiters muss bedacht werden, dass es sich bei
den untersuchten älteren Patienten sicher nicht
um die typischen multimorbiden Krankheitsfälle gehandelt hat, wie sie normalerweise in der
Praxis vorkommen, sondern eher um selektiert
biologisch jüngere Patienten. Multimorbide Patienten mit all den damit verbundenen Problemen werden normalerweise nicht in Studien
aufgenommen. Hier dürfte also eine Selektionsbias vorliegen, so dass auch aus dieser Perspektive, die „gleich gute Verträglichkeit“ mit Skepsis
betrachtet werden sollte. Dieses Argument räumen im übrigen auch die Autoren selbst ein und
empfehlen die Chemotherapie letztlich auch bei
alten Patienten nur in „ausgewählten“ Fällen.
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Stufe III: Verhältnismäßigkeit
Bei der Analyse der Verhältnismäßigkeit gilt
es den Nutzen einer Therapie gegenüber dem
möglichen Schaden abzuwägen. Aus den Daten der Studie geht hervor, dass der Nutzen
einer adjuvanten Chemotherapie bei jüngeren
Patienten eindeutig den Schaden überwiegt,
weil die größere Heilungschance mit einer erheblichen Lebensverlängerung einhergeht (Effektivitätsgrad weit über 100%). Im Gegensatz
dazu kann bei älteren Patienten trotz gleicher
Heilungschance wie bei jüngeren Patienten
nur eine geringe Lebensverlängerung erreicht
werden, was den Effektivitätsgrad stark reduziert (7%). Aus der Perspektive einer Sinnorientierten Medizin (S.O.M.) kann daher nicht
behauptet werden, dass ältere Patienten von einer adjuvanten Chemotherapie nach Kolonkarzinom im gleichen Ausmaß wie jüngere
profitieren. Deshalb wird man sich auch bei
älteren Patienten eher überlegen, ob eine adjuvante Chemotherapie z.B. im Stadium II wirklich sinnvoll ist, bzw. ob sie dem Patienten zumutbar ist. Dies ist vor allem dann zu überlegen, wenn schwere Nebenwirkungen unter
der Chemotherapie auftreten. In solchen Fällen wird man bei älteren Patienten eher auf
eine Weiterführung der Therapie verzichten
können, weil der Nutzen relativ gering ist,
während man sie jüngeren Patienten wegen
der hohen Effektivität sehr wohl trotzdem zumuten wird können.
Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass dieses Beispiel sehr eindrucksvoll
zeigt, dass die Ergebnisse einer Studie nach den
Kriterien der Evidence Based Medicine nicht
ausreichen, um den praktischen Nutzen einer
Therapie für den Einzelfall abschätzen zu können, sondern dass dazu die Kriterien der
S.O.M. (Quantitativer Nutzen, Verhältnismäßigkeit) zusätzlich herangezogen werden sollten.
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