Essstörungen - MediClin Bliestal Kliniken

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05.06.2012
Was ist eine Essstörung ? Essstörungen Prof. Dr. med. V. Köllner Fachklinik für Psychosoma=sche Medizin Bliestal Kliniken, 66440 Blieskastel [email protected] Essstörung: Essen/Eßverhalten wird durch andere Faktoren bes=mmt als Hunger und Genuß: •  Selbstwertregula=on •  Abwehr nega=ver Emo=onen •  Emo=onskontrolle •  Kommunika=on Gestörtes Essverhalten/ Fehlernährung: •  Überernährung durch fehlende Steuerungsfähigkeit, Bewegungsmangel, ungesundes Eßverhalten •  Unterernährung durch fehlende Selbstaufmerk-­‐
samkeit oder funkt. Magenbeschwerden Eßstörungen Kontrolle des Essverhaltens
niedrig
Anorexia nervosa Typ I
(mit Erbrechen)
Körpergewicht
Bulimia nervosa
„normales“
Essverhalten mit
niedrig
Normalgewicht
Anorexia nervosa
Typ II (mit Fasten)
gezügeltes Essen
Binge eating disorder /
Adipositas
„normales“
Essverhalten mit
Normalgewicht
Körpergewicht
hoch
Kontrolle des Essverhaltens
hoch
(Normales) gesundes Essverhalten •  Die Nahrungsaufnahme wird ohne bewusste Einflussnahme so
gesteuert, dass Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch
ausgeglichen bleiben
(Normales) gesundes Essverhalten etwa
•  50 % Kohlehydrate (auch Süßigkeiten)
•  35 % Fette
•  autonome Funktion ähnlich wie Schlaf oder Sexualität
•  15 % Eiweiß
•  stabiler Tagesrhythmus mit 3 - 5 Mahlzeiten, Appetit, Sättigung
und Sattheit
Alle Nahrungsmittelgruppen sollten dabei eingeschlossen sein:
•  Appetit antizipiert Nährstoffmangel bevor er tatsächlich eintritt
•  nur in Intervallen wird sich mit Essen beschäftigt
•  das Essverhalten führt zu einem relativ konstanten Körpergewicht
bei gleicher Aktivität und Umgebungsbedingung
•  und einem leichten Anstieg des Gewichts mit dem Lebensalter
•  Getreideprodukte
•  Gemüse
•  Obst
•  Speisefette
•  Milchprodukte
•  (Fisch und Fleisch)
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05.06.2012
Ursachen von Essstörungen Kontrolle des Essverhaltens
niedrig
Anorexia nervosa Typ I
(mit Erbrechen)
Körpergewicht
niedrig
Anorexia nervosa
Typ II (mit Fasten)
Kontrolle des Essverhaltens
hoch
Anorexia nervosa nach DSM-­‐IV Kontrolle des Essverhaltens
niedrig
•  Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen
Körpergewichts zu halten (der Gewichtsverlust führt dauerhaft zu
einem Körpergewicht von weniger als 85 % des zu erwartenden
Gewichts, BMI < 17,5)
Bulimia nervosa
•  ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme oder davor, dick zu
werden trotz bestehenden Untergewichts
Normales
Körpergewicht
•  Störung des Körperschemas, übertriebener Einfluss des
Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung
•  bei postmenarchalen Frauen Amenorrhoe in mind. 3
aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen
Bestimme den Typus:
•  restriktiv oder mit Fressanfällen und Erbrechen
Bulimia nervosa nach DSM-­‐IV •  Wiederholte Episoden von Essattacken mit folgenden
Merkmalen:
•  Nahrungsmenge erheblich größer ist als die, die die
meisten Menschen in gleichem Zeitraum unter
vergleichbaren Bedingungen essen würden
•  Gefühl, während der Episode die Kontrolle zu verlieren
•  gegensteuernden Maßnahmen wie z.B. selbstinduziertes
Erbrechen, Laxantien, Diuretika, Klistieren, anderen
Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung
Kontrolle des Essverhaltens
niedrig
Binge eating disorder /
Adipositas
Körpergewicht
hoch
•  Fressattacken kommen mind. 3 Mon. im Durchschnitt mind.
2 x / Woche vor
•  Figur und Körpergewicht haben übermäßigen Einfluss auf
Selbstbewertung
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Binge-­‐EaEng-­‐Disorder nach DSM-­‐IV Epidemiologie
•  Wiederholte Episoden von Essanfällen charakterisiert durch:
•  Essen in relativ kurzer Zeit
•  Gefühl des Kontrollverlusts über das Essen
•  dabei mind. 3 der folgenden Verhaltensweisen:
Anorexie
Bulimie
Binge-Eating
Prävalenz steigend seit
den 60er Jahren
ca. 1 %
Prävalenz steigend,
Krankheitsbild erst Ende
70er Jahre beschrieben
ca. 2 - 3 %
Prävalenz steigend
ca. 2 – 3 %,
Adipositas bei 31 % einer
Großstadtbewölkerung
•  sehr viel schnelleres Essen als normalerweise üblich
•  Essen, bis man sich in unangenehmer Weise voll fühlt
•  Essen größerer Nahrungsmengen, obwohl kein Hungergefühl
besteht
•  alleine essen, wegen Scham über die Essensmenge
Erkrankungsbeginn in der
Erkrankungsbeginn im
früheren Adoleszenz, im frühen Erwachsenenalter,
Durchschnitt mit 16 J.
bei 4/5 vor dem 22. LJ
Mortalität bei 10 – 20 %
•  Ekel vor sich selbst, Depression oder Schuldgefühle
•  Essanfälle mind. 2 x / Woche über 6 Monate ohne
kompensatorische Verhaltensweisen
Beginn einer Anorexia nervosa
in 50 % geht eine
Anorexie voraus.
32 % leiden mehr als 10
Jahre unter Störung vor 1.
Behandlung
Teufelskreis der Essstörung
Veränderung des Körpers durch die Pubertät
⇓
Unzufriedenheit mit sich selbst
sich selbst fremd fühlen
⇓
Diät
⇓
Anerkennung
⇓
Befriedigung durch Hungern selbst (stark sein, autonom)
⇓
Angst vor Rückfall
⇓
Sicherheitsabstand zu Ausgangsgewicht schaffen
Behandlung von Anorexia und Bulimia nervosa
Hungern, Verzicht auf fette und süße Speisen
⇓
Heißhunger auf gemiedene Speisen
Gedankeneinengung auf Essen und Gewicht
⇓
Angst vor Kontrollverlust
⇓
⇓
Zählen der Kalorien
Überessen
häufigeres Wiegen
⇓
⇓
Fasten,
Erbrechen
körperliches Training
Laxantienabusus
⇓
Schuld- und Schamgefühle
Behandlung von Anorexia und Bulimia nervosa
2. Behandlungsabschnitt:
1. Behandlungsabschnitt:
•  Führen eine Ess-Tagebuchs
•  Mindestgewicht ermitteln (BMI 17,5 - 20 kg/m
kein spezifisches
Erkrankungsalter
2)
•  Analyse der Bedingungen, die zum gestörten Essverhalten
geführt haben, z.B. Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl, Konflikte mit anderen Menschen, innere Spannungen
•  Mindestzunahmegewicht festlegen von 500 - 700 g / Woche
•  Erhöhung der Selbstsicherheit
•  Einbeziehung von gemiedenen Speisen
•  Planung von Aktivitäten und zwischenmenschlichen Kontakten
•  Auseinandersetzung mit dem Körper und seinen
Veränderungen
•  Verbesserung der Konfliktlösefähigkeit
•  Programm aus Einschränkungen, wenn die Patientinnen ohne
Druck nicht zunehmen können (ihre Angst nicht überwinden
können)
•  Umgang mit Gefühlen und inneren Spannungen erlernen
3. Behandlungsabschnitt:
•  regelmäßiges Essen
•  gestörtes Essverhalten als Indikator für ungelöste Probleme
•  strukturierte Esstage mit vertraglichen Festlegungen
•  selbständig Ideen zur Lösung entwickeln
•  Rückfallprophylaxe
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Studien zum Verlauf
bei Anorexie: nach 4 Jahren haben 40 - 60 % stabiles
Gewicht und Menstruationszyklus, 20 - 30 % sind
weiter erkrankt, 1- 5 % verstorben; nach 10 Jahren 12
% noch anorektisch, nach 25 - 50 Jahren Mortalität bei
18 %
bei Bulimie: langfristig stabile Effekte, 60 %
symptomfrei bzgl. Heißhungeranfällen, 51% bzgl.
Erbrechen nach Behandlungsende;
Unterschicht
Mittelschicht
Oberschicht
Mythen •  Übergewich=ge/Adipöse sind undiszipliniert oder selber schuld •  Adipositas lässt sich mit Willenskraj überwinden •  Adipositas ist eine psychische Erkrankung •  Adipositas ist nur eine Essstörung •  Normal-­‐ oder Idealgewicht ist ein realis=sches Therapieziel •  Eine Diät machen ist besser als Nichts tun 9
-7
70
0
Alter
9
-6
60
5
0
9
-4
10
5
40
15
10
9
-5
50
20
15
9
-3
30
25
20
9
Männer
Frauen
30
•  Adipositas ist v. a. bei Frauen schicht-­‐
spezifisch verteilt. •  Je ausgeprägter die Adipositas, um so wahrscheinlicher liegt eine relevante psychische Komorbidität vor! 25
9
-2
35
30
20
Adipositas 35
-1
18
bei Binge-Eating-Störung: guter Effekt auf Esssanfälle
und Depression, aber nicht auf die begleitende
Adipositas
Adipositas 40
Männer
Frauen
•  Übergewicht ab BMI < 25(27)kg/m2 •  Adipositas ab BMI < 30 kg/m2 •  adipöse Jugendliche sind mit 50% Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsene übergewich=g Adipositas: Ausgangslage •  Adipositas als „Pandemie des 21. Jahrhunderts“ => körperliche und seelische Folgeerkrankungen => erhöhte Mortalität => ca. 7% der Gesundheitskosten durch Adipositas verursacht •  Problem: Jahrmillionen dauernde gene=sche Anpassung an Nahrungsmangel und körperliche Ak=vität in einer Zeit des Nahrungsüberflusses, der professionellen Verführung und des Bewegungsmangels •  Adipositas ist eine chronisch progrediente Erkrankung Behandlung von Adipositas und Binge-­‐EaEng-­‐Störung
Ziele der Ärzte:
•  Einhalten der verordneten Diät
•  Normalisierung der Blutfette, des Blutdrucks etc.
•  Gewichtsreduktion bis unter BMI 30 kg / m2 bzw. Erreichen
und Einhalten des nächst niedrigeren Adipositasgrades
Ziel der Patienten:
•  Traumgewicht so schnell wie möglich erreichen
Ziele der Psychotherapeuten:
•  Ernährungswissen vermitteln
•  Essverhaltensänderung mit Bedürfnisaufschub
•  kleine Erfolge anerkennen
•  unvermeidbare Rückschläge als Chance begreifen
•  Selbstwert verbessern
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Gesundes Abnehmen: Gesundes Abnehmen: •  langfris=ge und ggf. interdisziplinäre Betreuung ist notwendig •  Pa=ent vor übersteigerten Zielvorgaben schützen •  Pa=ent auf Mißerfolge und Rückschläge vorbereiten •  Psychische Komorbidität und Teufelskreise beachten (z. B. Depressivität, soziale Phobie, Alkoholabusus...) •  Ini=al sta=onäre Therapie bei aufgehobener Tages-­‐/
Eßstruktur und ausgeprägter psych. Komorbidität sowie Immobilität •  Medikamentöse Therapie ist wenig effek=v (Ausnahme: An=depressiva bei entsprechender Indika=on, CAVE: Trizyklika, Mirtazapin => NW Gewichtsans=eg). Diäten sind nicht sinnvoll! Gewichtsabnahme maximal 500g/Woche Es gibt keine Verbote für Nahrungsminel Fenanteil und Alkoholkonsum reduzieren vegetarisch ausgerichtete mediterane Kost ist sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig •  fenhal=ge Nahrungsminel (z. B. Schokolade) primär unter Genußaspekt •  Regelmäßige Mahlzeiten •  Regelmäßiges Ausdauertraining! • 
• 
• 
• 
• 
Wirksamkeit von Verhaltenstherapie
(Becker et al., 2007)
•  VT >> unbehandelte Kontrollen (10 Studien) •  VT & Ernährungs-­‐ und Bewegungstherapie >> Ernährungs-­‐ und Bewegungstherapie alleine (10 Studien, -­‐10 vs. +0,5 kg zu Behandlungsende) •  Längere Programme (12 Monate) wirken besser als kürzere •  Erreicht werden Ø -­‐10,7 kg (etwa -­‐10%) in den Studien 1996-­‐2002 (1974: -­‐ 3,8kg); Therapiedauer Ø 32 Wochen; Kathamnesedauer Ø 42 Wochen Problem: Nachhal=gkeit •  Nach 2 -­‐ 4 Jahren nur noch < 5% Reduk=on unter Ausgangsgewicht (Douke=s et al., 2005; 16 Studien) •  Programme mit Nachsorge: -­‐13 von 13,2 kg, Programme ohne Nachsorge -­‐5,7 von -­‐10,8 kg Reduk=on behalten (Phelan & Wadden, 2002; 13 Studien; Treffen alle 1 -­‐ 3 Monate über 2 Jahre) •  Internetbasierte Programme in der Nachsorge wahrscheinlich ähnlich wirksam wie therapeutenbegleitete Treffen (Becker et al., 2007) Adipositas: Lösungsansätze Literatur:   Adipositas ist kein individuelles Problem: Verhaltenspräven=on muß durch VerhältnisprävenEon ersetzt werden (Ampelkennzeichnung, Schulsport, gesundes Minagessen in der Schule...)   Verhaltensmedizinische Interven=onen möglichst schon bei Adipositas I   LangfrisEg angelegte interdisziplinäre & vernetzte Konzepte bei Adipositas II & III   Bei Adipositas III ist bei der Mehrzahl der Pa=enten nur durch Adipositaschirurgie (Magenband, -­‐bypas) eine nachhal=ge Gewichtsreduk=on zu erzielen. •  Jacobi C, Paul T & Thiel A: Essstörungen. Göyngen, Hogrefe, 2004 •  Kapitel Anorexia nervosa und Bulimie in v. Uexküll (Hrsg.) Psychosoma=sche Medizin. München, Urban&Fischer, 2003 •  Pudel V: Adipositas. Göyngen, Hogrefe, 2004 •  Rüddel H & Sachse H: Adipositas. In Köllner V & Broda M (Hrsg.) Prak=sche Verhaltensmedizin, Stungart, Thieme, 2005 •  Koppenhöfer E: Kleine Schule des Genießens. Lengerich, Pabst, 2004. 5
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