Die Vorsokratiker Die Bedeutung der Vorsokratiker liegt insbesondere darin begründet, dass viele wesentliche Fragen, Themen und Bedingungen der Wissenschaft und der Philosophie erstmalig in den uns erhaltenen Äußerungen dieser Pioniere des Geistes aufzufinden sind. Wenn es eine Vorbildhaftigkeit der Vorsokratiker gibt, so besteht sie vor allem in ihrer kritischen und rationalen Haltung. Die Bezeichnung „Vorsokratiker“ hat im Übrigen lediglich eine konventionelle Bedeutung. Einige als Vorsokratiker geltende Philosophen waren nämlich Zeitgenossen des 399 v. Chr. gestorbenen Sokrates. Der Begriff besagt nur, dass sie Naturphilosophen waren.1 Die vorsokratische Philosophie begann in den ersten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts v. Chr. in Ionien mit Thales und Anaximander. Von dort emigrierten einige Generationen später ihre führenden Vertreter Pythagoras und Xenophanes nach Süditalien, wo ihre Philosophie schnell Fuß fasste. Es ist bemerkenswert, dass, soweit wir wissen, das griechische Mutterland an diesen Entwicklungen zunächst nicht teilgenommen hat. Erst um die Mitte des 5. Jahrhunderts wird die Philosophie in Athen eingeführt, wieder von einem Ionier, nämlich Anaxagoras. Die Randgebiete boten anscheinend günstigere Bedingungen für die erste Entfaltung des philosophischen Denkens als das eher konservative Mutterland.1 Die älteren Vorsokratiker setzten dem mythologisch geprägten Weltbild der homerischen Epen eine naturphilosophische Welterklärung entgegen.2 Ihr gemeinsames Motiv war die Suche nach einem Urstoff (ἀρχή), aus dem letztlich die Welt bestünde und aus dem die Entstehung der Welt erklärt werden könne. Thales nahm als Urstoff das Wasser an. Anaximander postulierte stattdessen das ἄπειρον, wörtlich das „Grenzenlose“ oder „Unendliche“, eine Art unausgeprägter Materie, aus der heraus der Gegensatz von Warm und Kalt entstanden sei, aus dem alles weitere hervorgehe. Alle Dinge kehrten wieder in das Apeiron zurück, indem sie vergingen. Anaximenes wurde wieder konkreter und nahm als Urstoff die Luft an.3 Die spekulativen „Erkenntnisse“ der Vorsokratiker beruhten aber nicht auf physikalischen Thesen im Sinne der neuzeitlichen Naturwissenschaft, so dass es letztlich nicht ihre Antworten und Spekulationen waren, die ihre Bedeutung ausmachen, sondern die von ihnen gestellten Fragen und ihre Loslösung vom Mythos, die die Entdeckung des rationalen Denkens in Anwendung auf Naturphänomene markiert.4 Vgl. MANSFELD, Jaap: Die Vorsokratiker I, Stuttgart 1991, S. 9 - 10 Vgl. www.norbertschultheis.de/pdf/Philosophie.pdf, S. 78 3 Vgl. www.norbertschultheis.de/pfd/Philosophen_der_Antike.pdf, S. 338 4 BEISER, Emanuel: Die Vorsokratiker, Die Kosmogonien und Kosmologien von Thales, Anaximander, Anaximenes und Heraklit, Norderstedt 2011, S. 4 1 2 Kantharos 1, Vorsokratiker (17.10.2014)