Giuseppe Verdi, La Traviata

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Giuseppe Verdi, La Traviata
Stichworte zur Konzeption
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Giuseppe Verdi über „La Traviata“: „Einen Stoff unserer Zeit“. Von Theaterleitung
zur bei der Uraufführung zwar 150 Jahre zurückversetzt, geht es Verdi wie Dumas um
ein gegenwärtiges Thema, das in einer gegenwärtigen Form auf die Bühne gebracht
werden soll
Frage: handelt es sich um „ein Stück Gegenwart“ oder „ein Stück 1853“?
Einerseits: Verdi schildert Einzelmenschen in einem Spannungsfeld zueinander und zu
einer Gesellschaft. Die Art und Weise wie er das macht, hat auch heute noch etwas
Gültiges, Wahrhaftes. Bei „La Traviata“ kommen dazu ein bürgerliches Umfeld, die
schillernde Gesellschaft einer Metropole.
Andererseits: Im Umkehrschluss abzuleiten, dass die Geschichte IM „Heute“ spielen
muss, ist ebenso voreilig wie inhaltlich schwer zu rechtfertigen: Verdi schildert ein
soziales Milieu, das in dieser besonderen Form so nur in der Mitte des 19.
Jahrhunderts an einem Ort wie Paris stattfinden konnte.
Die Edel-Prostituierte, in der besonderen Form der Kurtisane, sind nicht automatisch
die Luxus-Callgirls von heute. Aus der Armut „arbeiteten“ sie sich „hoch“ um in den
Salons der Oberklasse von den „ehrbaren“, bürgerlichen Frauen nicht mehr
unterschieden werden zu können. Sie fristeten ein paradoxes Dasein in einem Umfeld,
das ihnen unter normalen Umständen nie offen gestanden wäre. Ihr Leben spielte sich
im dauernden Spannungsfeld der finanziellen, sozialen, aber auch charakterlichen
Abhängigkeit der männerdominierten Gesellschaft ab.
Ein Musikdrama auf der Ebene der Rhetorik
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Verdis Musikdrama handelt nicht von physischer Gewalt, wie sie ein Zuhälter an einer
Straßen-Prostituierten auslassen würde, sondern von der psychischen Brutalität des
Eindringens und Veränderns in das eigene Leben und das Anderer.
Die Vergewaltigung, die Germont an Violetta vornimmt, findet gerade nicht auf
körperlicher Ebene, sondern auf der Ebene der Rhetorik - auch der musikalischen statt.
Bsp.: Das Aufeinandertreffen im 1. Bild des 2. Akts ist „nur“ ein Gespräch. Aber in
diesem Gespräch beschließt eine junge Frau, die sich ihr gerade erst eröffnende
Zukunft, für die sie bis dahin gelebt hat, aufzugeben und sich in einem irrationalem
„Selbstopfer“ zuerst seelisch und dann körperlich zu Tode zu quälen. Verdis Musik
beschreibt das Aufbrechen, Aufbäumen und schließlich tödlich gefasste Akzeptieren
Violettas und ihren verebbenden Pulsschlag gegenüber Germonts stolzer, taktischer
Gesprächsführung, die letztlich doch nicht frei von Mitgefühl ist – auch wenn es auf
das eigene Handeln keine Konsequenz mehr hat.
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Auf der Ebene der Inszenierung bedeutet dieser Realismus des wörtlichen wie
musikalischen Gesprächs – mit Ausnahme des letzen Bildes - ein Spiel der Figuren,
deren Spannungsschwerpunkt immer in der Situation liegt. In ihr treffen Menschen
mit unterschiedlichen Absichten aufeinander, wollen sich durchsetzen, sich
verteidigen und gewinnen oder verlieren dabei immer. Im letzten Bild wird der
Realismus so weit aufgelöst, dass wir das Stück nur noch aus Violettas, nämlich einer
Krankheits- und Leidensperspektive, sehen.
Violetta – Alfredo – Germont oder Der Katalysator im Zerbrechen einer Beziehung
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Alfredo erkennt für Violetta, wie wenig sie selbst versteht, was für ein Leben sie führt.
Sich von „Vergnügen“ zu „Vergnügen“ über atemlose Koloraturen zu stürzen,
genauso wie sie sich einen Mann nach dem anderen nehmen muss um finanziell zu
überleben, kann sie nicht hinterfragen, weil es seit jeher die einzige Form von Leben
war, die sie erfahren hat. In der Enge der Salons wirkt Alfredo Germont da wie ein
rettender Engel, bei dem die „Liebe“ zum „Pulsschlag des Universums“ werden kann,
weil diese Liebe im Vergleich zur sexuell-pervertierten Salon-Gesellschaft wirklich
wie ein Universum im Vergleich zu einer Parzelle wirken muss
Alfredo als Lichtgestalt/Retter/Idealisierung bleibt folglich nur, bis die
klaustrophobischen Wände des Salons aufbrechen: auf dem Land entpuppt er sich im
eigenen Denken und im Bezug zu sich selbst als noch viel unrealistischer wie die nun
in einem befreiteren Leben angekommene Violetta. Dass die Liebe auch eine
Verantwortung für das Leben Violettas bedeutet – die ohne Einkommen den ganzen
Unterhalt bestreitet- liegt außerhalb Alfredos Blickwinkel, der nur von jugendlicher
Schwärmerei bis pathetisch gekränktem Stolz reicht
Giorgio Germont ist der Katalysator in die Katastrophe der Beziehung ein, deren
dramatisches Ende auf diese Weise über unausgesprochene Differenzen in der
Wahrnehmung des Liebespaares hinwegtäuscht. Germonts Berechnung tritt zu Tage,
als dem Zuschauer vorgeführt wird, wie er sogar ein sich so menschlich wehrendes
und für ihr Glück kämpfendes Opfer wie Violetta annimmt um seine Mission
(Restauration eines schon zuvor zerbrochenen „Familienglücks“) zu erfüllen. Seine
ideologische Verkleidung als christlich predigender Ersatz-Vater für Violetta gipfelt in
einem Satz: „È Dio que inspira, o giovine, quai detii a un genitor“ [„Es ist Gott, du
junges Mädchen, der einem Vater, diese Worte eingibt“].
Den Schock Violettas über die Desillusionierung ihrer Zukunft, die Nicht-Akzeptanz
ihrer Vergangenheit und die Infragestellung ihres Lebenswandels kombiniert Germont
blitzschnell mit der Rehabilitierung Violettas als Opfer für das Glück seiner Familie.
Diese indirekte Funktion, die Aufnahme in Germonts Familie, leitet für Violetta den
fatalen Schritt zur vollständigen Selbstzerstörung ein
Der „Sinn“ eines (Opern-) Opfers – Die Grausamkeit des Unwiederbringbaren
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die Geschichte Violettas ist im 1. Bild des 2. Akts entschieden, ihr Abstieg und Fall
mit der versprochenen Lossagung Alfredos beschlossen; die Aufgabe einer
Inszenierung muss jetzt über den Zynismus der mit Gewissheit für die zu
befriedigende Rührseligkeit des Publikums sterbenden Frau hinausgehen, damit die
Oper ihre zwei weiteren Bilder rechtfertigen kann
die Demütigung Violettas auf Floras Ball ist wichtiger Bestandteil für die Einsicht
Alfredos und später auch Germonts; dass alles schon zu spät ist, die Fehler,
Anmaßungen und Einmischungen in das Leben anderer nicht mehr rückgängig
gemacht werden können, darin liegt der gezielte und im 3. Akt explizit ausgestellte
Schmerz der „Traviata“; „Parigi o cara“ soll nicht wegen dem Anblick einer
todkranken Frau berühren, sondern seinen Schmerz aus der Unwiderbringlichkeit der
Möglichkeit ein ganz anderes Leben weitergelebt haben zu können, resultieren
Räume
Die Idee der 4 Räume greift den ästhetischen Gedanken vom Anfang auf , eine „historische
Situation“ als gegeben zu sehen und sich der Gegenwart sowohl im Spiel als auch optisch
(eher unmerklich) im Lauf der 4 Bilder anzunähern.
Das erste Bild zeigt Violettas Salon: ein hoher, schmaler Raum, an den sich in engen Gängen
weitere Räume anschließen. Dieses Labyrinth aus Innenräumen ist überall mit der gleichen
roten Samttapete, dem selben beigen Teppich und den gleichen Stühlen und Sitzbänken
bestückt. Ein schwarzer Sekretär aus Holz, in dem Violetta Rechnungen und Papiere
verwahrt, steht im rechten Seitengang. Die schrägen Wände setzen sich nach außen und
hinten fort, bis der Raum am Rand von einem Fundament aus grauem Beton eingefasst wird.
Tageslicht dringt in diese „Zusammenfassung“ der immer selben Innenräume der Pariser
Gesellschaft nicht herein.
Das „Gartenhaus“, das im zweiten Bild gefordert wird, ist eine Art großes, freistehendes
Gewächshaus. Die matten Scheiben werden von einer Konstruktion aus Metallstangen
gehalten, die vorne so scheinen, als ob sie sich in Richtung des Publikums verlängern würden.
Der Fußboden ist mit grauen Fließen belegt. Bis auf ein paar aufeinander gestapelte Stühle
und Violettas Sekretär ist das Haus völlig leer.
Das dritte Bild spielt wieder in der Stadt, dieses Mal der Salon bei Flora. Nach der Weite des
Land-Bilds, hier nun wieder die Enge der Stadt, wie sie Violetta jetzt erleben muss: ein
einziger, gelb-tapezierter Raum, dessen Zugang allein über eine Art Aufzug (Podesterie in der
Mitte) funktioniert. Im Gegensatz zu Violettas Salon sind hier nun alle Wände angeschrägt
und auch hier fasst ein massiver Betonrahmen das Ganze an den Seiten sichtbar ein.
Im letzten Bild gleitet der Zuschauer über die teilweise Wiederholung des Vorspiels in die
Perspektive Violettas. Für Violetta gibt es in ihrer Krankheit keine Erlösung mehr. Ihr Leben
besteht nur noch aus einem zerfressenden, unendlich scheinenden Schmerz, der ihr jeden
Schlaf raubt und Tag und Nacht zu einem grellen Zeit-Raum werden lässt, der für sie in
gleißendes Licht getaucht ist.
Felix Seiler
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