384 Mozart – Don Giovanni Don Giovanni, Szenenfoto mit Anton Scharinger (Leporello), Malin Hartelius (Elvira) und Simon Keenlyside (Giovanni), musikalische Leitung: Franz Welser-Möst, Regie: Sven Eric Bechtolf, Bühnenbild: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg, Oper Zürich 2006 Marianne Glittenbergs Kostüme setzten auf glamouröse Effekte, behielten aber dennoch eine klassische Eleganz. Don Giovanni, Szenenfoto mit Johannes Mannov (Don Giovanni), Inszenierung: Andreas Homoki, musikalische Leitung: Marco Guidarini, Bühnenbild: Hartmut Meyer, Det Kongelige Teater Kopenhagen 1996/97 Don Giovanni, wie so oft, auf der Flucht. Was tanzt, isst, trinkt und musiziert man im Don Giovanni? Das Finale mit dem Diner und dem schaudererregenden Gast findet sich in fast allen Don-Juan-Bearbeitungen, auch beim unmittelbaren Vorbild Da Pontes und Mozarts, bei Bertati. Wir kennen nicht das ganze Menü, doch ist der Tisch mit verschiedenen Gerichten reichlich gedeckt, und Don Giovanni besänftigt unter anderem seinen Riesenhunger (»che barbaro appetito«, seufzt neidisch der hungrige Leporello) mit einem Fasan. Der Wein, den Leporello seinem Herrn serviert, ist genau bekannt: »Marzimino«, eine italienische Sorte, die noch heute von Weinkennern hoch geschätzt wird. Auch Don Giovanni nennt diesen Wein »eccelente«. Zum festlichen Essen und Trinken gehört auch Tafelmusik. Für diesen Zweck ist eine »Harmonie«, das heißt eine Gruppe von Bläsern (je zwei Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner mit Kontrabass verstärkt) engagiert. Eine kammermusikalische Zusammenstellung, die in der Mozart-Zeit üblich und besonders bei Kaiser Joseph II. sehr beliebt war (auch Mozart hat wunderbare Kompositionen für dieses Ensemble geschrieben). Bei so einem Herrn wie Don Giovanni spielt man natürlich die neuesten Opernschlager. Mozart zitiert zuerst eine Melodie aus der Oper Una cosa rara von Vicente Martín y Soler, dann aus der Oper Fra i due litiganti il terzo gode (Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte) von Giuseppe Sarti, schließlich aus der Arie des Figaro am Ende des ersten Aktes seiner eigenen Oper: »Non più andrai farfallone amoroso ...« (»Nun vergiss leises Fleh’n, süßes Kosen« →N 30). Das kann man in dieser Situation einerseits parodistisch auffassen (die Liebschaften Giovannis werden bald ein Ende haben), andererseits ist es eine geistvolle Anspielung auf den Prager Erfolg des Figaro. Don Giovannis Ball Die Ballszene am Schluss des ersten Aktes ist eine Erfindung von Da Ponte und Mozart. In dieser imposanten Szene laufen die Fäden der bisherigen Handlung zusammen: Don Giovanni hat alle zum Ball geladen. Die Bäuerin Zerlina tanzt auf demselben Parkett wie Donna Anna, die Tochter des (toten) Commendatore von Sevilla. Dieser »demokratische« Ball hat seine Wurzeln in den Gewohnheiten der josephinischen Wiener Gesellschaft. Zu den Reformen des Kaisers gehörte die Neuerung, dass er für sein Volk die Kaiserlichen Lustgärten und auch die Maskenbälle zugänglich machte. Daraus erklärt sich Don Giovannis Begrüßung »Viva la libertà!« (nicht ganz ungefährlich zwei Jahre vor der Französischen Revolution). Die »Freiheit« ist die Freiheit des Vergnügens (in Don Giovannis Castello auch im sexuellen Sinn). Die verschiedenen Gesellschaftsschichten werden durch die Musik differenziert. Den Gästen stehen drei Kapellen mit drei verschiedenen Tänzen zur Verfügung. Die aristokratischen Masken (Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio) können nach dem vertrauten Menuett ihre Schritte setzen. N 43 Für die bürgerlichen Anwesenden empfiehlt der Zeremonienmeister einen modischen Kontretanz (Don Giovanni selbst tanzt dazu mit Zerlina: Auf der imaginären Leiter der Rangordnung steigt er eine Stufe tiefer und sie höher). N 44 Schließlich bleiben auch die Beine der Bauernmädchen und Burschen nicht untätig: Die dritte Kapelle wartet mit einem schwerfälligen, volkstümlichen Ländler auf. N 45 Die unnachahmliche Bravour Mozarts besteht darin, dass die drei Tänze während der Ballszene gleichzeitig ertönen. 702 Verdi – La Traviata La Traviata Melodramma in drei Akten Text: Francesco Maria Piave nach dem Schauspiel La Dame aux camélias von Alexandre Dumas d. J. Uraufführung: 06.03.1853, Venedig (Teatro La Fenice) Personen: Violetta Valéry, Pariser Kurtisane (S), Flora Bervoix, ihre Freundin (S), Annina, Dienerin Violettas (Ms), Alfred Germont (T), Georges Germont, sein Vater (Bar), Gaston, Vicomte de Létorères (T), Baron Douphol (Bar), Marquis d’Obigny (B), Doktor Grenvil, Arzt (B), Joseph, Violettas Diener (T), Ein Diener bei Flora (Bar), Ein Komissionär (B); Freunde und Freundinnen, Gäste Violettas und Floras, Diener, Maskierte (Chor) Ort und Zeit: Paris und Umgebung, um 1850 La Traviata, Szenenfoto mit Tiziana Fabuccini als Violetta und Roberto Alagna als Alfred, Inszenierung: Liliana Cavani, musikalische Leitung: Riccardo Muti, Bühnenbild: Dante Ferretti, Kostüme: Gabriella Pescucci, Teatro alla Scala, Mailand 1991 Die einzige Situation, in der Gewalt in La Traviata überhaupt eine Rolle spielt, ist das Finale des zweiten Aktes. Alfred glaubt, Violetta habe ihn verraten. In dieser Szene wurden die Qualen der beleidigten, todkranken Heldin ins Unerträgliche gesteigert. Inhalt Eine Pariser Kurtisane und ein junger Mann aus der Provinz entdecken, dass es mehr gibt als nur die Vergnügungen der Gesellschaft. Sie erfahren die Grenzüberschreitung des eigenen Ich durch eine große wahre Liebe. Violetta und Alfred fliehen vor der Pariser Gesellschaft aufs Land. Doch hier holt sie die Konvention ein. Alfreds Vater fordert im Namen der Familie, Violetta habe ihre Liebe zu opfern. Violetta spielt Alfred eine Komödie vor, geht nach Paris zurück und lebt scheinbar so wie früher als Kurtisane. Erst im Sterben gesteht sie dem Geliebten die Wahrheit, findet sie in Alfreds Armen Glück und Liebe. I. Akt Salon im Hause Violettas. Violetta Valéry feiert nach kurzer schwerer Tuberkulose-Erkrankung ihre Rückkehr in die Gesellschaft mit einem Fest. Unter den alten Bekannten ist ein Neuankömmling aus der Provinz, der sich aufrechten Herzens in die schöne Frau verliebt. Violetta versucht das ihre Seele anrührende Gefühl durch Ironie und Koketterie zu verdrängen, doch ist sie vom Zauber der Liebe bereits ergriffen. Als die Gäste gegangen sind, vermeint sie noch immer Alfreds Liebeserklärung in ihrem Innern zu vernehmen. II. Akt 1. Bild: Landhaus bei Paris. Alfred und Violetta haben sich aufs Land zurückgezogen, um sich ganz ihrer Liebe hinzugeben. Der zärtliche Liebhaber ist ein unpraktischer Bürger. Erst von der Dienerin erfährt er, dass Violetta ihren Besitz verkauft, um die gemeinsamen Ausgaben zu decken. Beschämt macht er sich nach Paris auf, um Geld zu besorgen. Diese Abwesenheit nutzt sein Vater Germont. Er dringt bei Violetta ein und fordert, sie möge auf Alfred verzichten, damit die Familie nicht in Verruf gerate. Nach verzweifelter Gegenwehr willigt Violetta in die Trennung ein und vollzieht diese durch einen Abschiedsbrief. Alfred ist überrascht, verzweifelt und in seiner Eigenliebe gekränkt. Die scheinheiligen Tröstungen des Vaters können ihm nicht helfen. Alfred kennt nur noch einen Wunsch, sich an Violetta zu rächen. 2. Bild: In Floras Palais. Die Trennung Violettas von Alfred ist das neueste Thema des Kostümfestes bei Flora, die die Freundin gern bei sich begrüßt. Violetta erscheint mit dem Baron Douphon, den Alfred für Violettas neuen Favoriten hält. Am Spieltisch sitzen sich die beiden als Gegner gegenüber, und Alfred verärgert den Baron mit spitzen Bemerkungen. Violetta versucht, einen Skandal zu vermeiden, redet Alfred ins Gewissen. Da sie ihm aber keine Erklärung über den Abbruch ihrer Beziehungen gibt, wirft er ihr sein gewonnenes Geld vor die Füße, schmäht sie damit als käufliche Dirne. Der Baron fordert ihn zum Duell. Vater Germont findet die Gesellschaft in Aufruhr und Violetta unschuldig gedemütigt. Er weist den Sohn zurecht, weil er die gesellschaftliche Etikette verletzte. III. Akt Violettas Schlafgemach. Die Tuberkulose-Krankheit ist in ihr letztes Stadium eingetreten. Violetta glaubt den Versprechungen des Arztes auf eine baldige Genesung nicht. Alfred hat im Duell den Baron verwundet, blieb selbst aber unverletzt und floh ins Ausland. Vom reumütigen Vater Germont über Violettas selbstloses Opfer informiert, kehrt Alfred nach Paris zurück, um Violettas Verzeihung zu erbitten. Die Liebenden träumen von einem neuen gemeinsamen Leben. Doch es ist zu spät. Violetta S. N. stirbt in Alfreds Armen. Szenenenfoto mit Teresa Stratas aus dem Film La Traviata von Franco Zeffirelli, Italien 1982 Die kanadische Künstlerin sang mit ihrer lyrischen Sopranstimme selbst dramatische Partien. La Traviata, Maria Callas als Violetta, 1958 Violetta war für Maria Callas eine vertraute Rolle. Die große Künstlerin fühlte sich vor allem von Figuren angezogen, die von Traurigkeit gekennzeichnet waren. Dies mochte bei einer Sängerin, die sich so absolut ihrer Kunst hingab, auch persönliche Gründe haben. Die Kameliendame Die Kameliendame hieß im wahren Leben Marie Duplessis. Sie war erst 23 Jahre alt, als sie 1847 (ein Jahr vor dem Erscheinen von Alexandre Dumas’ Roman, in dem sie Marguérite Gautier heißt) ihrer Lungenkrankheit zum Opfer fiel. Sie stammte aus der Provinz, kam mit 15 Jahren nach Paris, begann hier als Midinette (Modeverkäuferin). Ihre seltsame Schönheit und ihre Abenteuerlust führten sie bald aus dieser Sphäre heraus, und sie wurde eine unter luxuriösesten Verhältnissen lebende Kurtisane des damaligen Paris; ausgehalten von reichen Aristokraten und Bel Amis. Sie erschien immer mit einem Strauß Kamelien in der Hand oder einer Kamelienblüte an der Brust. Marie war so alt wie der junge Dumas (der Sohn des berühmten Romanciers). Beide waren zur Zeit ihrer Liaison 20-jährig. Ihr Verhältnis dauerte knapp ein Jahr, von 1844 bis 1845. Im Roman ist die Ursache der Trennung in einem tragischen Bonmot zusammengefasst: »Liebe Marguérite, ich bin nicht reich genug, um Sie so zu lieben, wie ich es gerne tun würde, bin aber auch nicht arm genug, mich so lieben zu lassen, wie Sie es sich J. K. vorstellen ...« Links La Traviata, Szenenfoto mit Anna Netrebko (Violetta) und Thomas Hampson (Vater Germont), musikalische Leitung: Carlo Rizzi, Regie: Willy Decker, Ausstattung: Wolfgang Gussmann, Salzburger Festspiele 2005 Um die Salzburger Traviata wurde 2005 schon im Vorfeld ein Medienrummel veranstaltet, der an Hysterie grenzte. Willy Decker und Wolfgang Gussmann hoben die Stärken von Netrebkos Spiel deutlich hervor. Im kurzen roten Kleid kam ihre schmale Gestalt gut zur Geltung. Netrebkos Agilität, mit der sie sich z. B. auf dem Sofa räkelte, wirkte mitunter etwas zu vital für die sterbenskranke Violetta. Weit weniger im Fokus stand in Salzburg der exzellente Vater Germont, den Thomas Hampson mit wunderbarem Legato ohne die übliche Larmoyanz gestaltete.