1 1. Einführung Das Thema meines Vortrages „Die Nibelungen als Kreuzfahrer“ geht bewusst nicht von der Untersuchung des literarischen Gegenstandes des Nibelungenliedes oder verwandter französischer und nordischer Epen aus, wie dies seit der Wiederentdeckung der Liedhandschriften (ab 1755) von der philologischen Forschung mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen praktiziert worden ist. Ebenso wird die Problematik der neuzeitlichen Rezeption des Liedes außer Acht gelassen. Die verschiedenen Herleitungen und Deutungen des Begriffes der Nibelungen, wie sie zuletzt (2008) Jörg Oberste in seinem Buch „Der Schatz der Nibelungen“ beschrieben hat, führen zu keinem befriedigenden Ergebnis: „Die Herleitung des Namens darf nach wie vor als ungeklärt gelten. Es stehen sich mythologische, literarische und historische Deutungen aus unterschiedlichen Epochen gegenüber: Nibelung als ´Sohn der nebligen Unterwelt` (W. Grimm), als ungeschickt agierender Herrscher über das nordische Bergvolk der Nibelungen, dem auch Riesen und Zwerge angehören (NL Str. 87-99), oder als Graf von Burgund und Verwandter Karls des Großen (L. Levillain, J. Breuer). Keiner dieser Deutungen ist unbesehen der Vorzug zu geben.“1 Der methodische Ansatz, die Bedeutung des Begriffes der Nibelungen aus der literarischen oder mythologischen Tradition klären zu wollen, kann wohl deshalb nicht zielgerichtet angewendet werden, weil es sich hier um Fiktion handelt, um Dichtung, die offen für alle Möglichkeiten der Deutung ist. Da nun die Dynastie der Nibelungen vom 8. bis zum 13. Jahrhundert in Urkunden und Chroniken erfasst werden kann, ist es nahe liegend, ihr Auftreten und ihre Wirkung in der geschichtlichen Überlieferung zu beschreiben. In ähnlicher Weise ist der Historiker Reinhold Kaiser bei der Klärung des Begriffes „Die Burgunder“ vorgegangen, indem er die wechselhafte Geschichte der Burgunder „im Bereich des Politischen“ beschrieb und erst nach der Analyse der sehr verstreuten Quellen ein Gesamtbild der Burgunder entwarf. Erst danach bezieht er sich auf die Fiktion des Nibelungenliedes mit der Feststellung: „Der Name der Burgunder evoziert ihren Untergang, besungen im Nibelungenlied. Das ist die andere Geschichte der Burgunder, die ihres literarischen Nachlebens im kollektiven Gedächtnis und ihres politischen Mythos.“2 Da das historische Auftreten der Nibelungen wesentlich zeitnäher zur Niederschrift des Nibelungenliedes um 1200 liegt, als dies bei den Burgundern der Fall ist, und die Quellenlage günstiger ist, erscheint meine Aufgabenstellung leichter lösbar als die von Kaiser. Zunächst stellt sich die Frage nach der Herkunft der fränkischen Dynastie der Nibelungen, die bis ins 8. Jahrhundert zurückführt. Sodann werden die Verzweigungen der Familie im fränkischen Reich benannt, die auch schwerpunktmäßig den Metzer und Wormser Raum betreffen. Dabei geht es nicht nur um die familienkundlichen Nachrichten in Urkunden und Chroniken, sondern auch um die politischen Ambitionen der Nibelungen, denn diese Familie scheint an der Herrschaftsausübung der Karolinger und der Könige der Nachfolgestaaten in Frankreich und Deutschland beteiligt. Die Pilgerund Kreuzzugsidee erfasst im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts immer stärker die Ambitionen dieser Familie. Von Interesse erscheint auch, dass die Stadt Worms und der Wormser Raum, in dem Angehörige der Nibelungen-Familie geistliche und weltliche Ämter bekleideten, zum Anlaufpunkt 1 Jörg Oberste: Der Schatz der Nibelungen, Mythos und Geschichte, Bergisch Gladbach 2008, S. 18. 2 Reinhold Kaiser: Die Burgunder. Stuttgart 2004, S. 14. 1 2 bzw. Ausgangspunkt der Kreuzzugbewegung wurde. Abschließend wird auf Anspielungen des NL auf das politische Zeitgeschehen im Zusammenhang mit den Kreuzzügen hingewiesen. 2. Die fränkische Dynastie mit dem Namen Nibelungus, Nivelon und Névelon In der fränkischen Geschichtsschreibung wird sehr früh eine Familie erwähnt, die den Karolingern nicht nur nahe stand, sondern sich selbst an der Darstellung der Geschichte der Pippiniden oder Karolinger beteiligt hatte. Der sog. Fredegar setzt die Geschichtsschreibung des Gregor von Tours (538-594, Zehn Bücher Geschichte) in seinen Vier Büchern der Chroniken bis zum Jahr 736 fort.3Die Fortsetzungen der Chronik des Fredegar, die continuationes werden vom Grafen Hildebrand von Burgund, Bruder oder Halbbruder von Karl Martell, des Großvaters Karls des Großen, und seinem Sohn Graf Nibelung von Burgund betreut. Der Vater diktierte die zweite Fortsetzung des Geschichtswerks von 736 bis 7514 seinem Schreiber, der Sohn die Geschichte der Karolinger zwischen 751 und 768. Als der letzte Merowingerkönig Childerich III. 751 ins Kloster geschickt worden war und die Karolinger die Königswürde an sich gerissen hatten, begann die Geschichtsschreibung des Grafen Nibelung: "Bis hierher ließ der vir inluster Graf Hildebrand, der Onkel des genannten Königs Pippin, diese Geschichte oder die Taten der Franken sorgfältig aufzeichnen. Von hier an stand die Aufzeichnung unter der Aufsicht des vir inluster Nibelung, des Sohnes Hildebrands, der ebenfalls ein Graf war.”5 Der Dynastiewechsel von den Merowingern zu den Karolingern fällt demnach mit dem Wechsel der Geschichtsschreiber zusammen.6 Die dem Seitenzweig der Karolinger entstammenden Verfasser der Continuationes Fredegarii Hildebrand und Nibelung gehörten zum fränkischen Hochadel. 3 Herwig Wolfram: Einleitung zu: Die vier Bücher der Chroniken des sogenannten Fredegar – Die Fortsetzungen (Continuationes) der Chroniken des sogenannten Fredegar (Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts - Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe IV a), S.6: "Als weitere Schwerpunkte des Fredegarischen Werkes müssen sein Interesse für den Königsschatz (zum Beispiel IV 85), Steuerwesen (II 37; III 80; IV 24) und für die Theorie zwischenstaatlicher Beziehungen (zum Beispiel IV 87) gelten." 4 Ebd. S. 8: "Hildebrand, der also seinem Halbbruder gegenüber völlig loyal geblieben war, verfügte über Besitzungen in Nähe von Melun und wahrscheinlich auch bei Autun. Über den Ort, wo diese pippinidisch-nibelungische Hausgeschichte geschrieben wurde, läßt sich nichts Näheres ermitteln, doch dürfte auch sie in Metz verfaßt worden sein." 5 Continuationes, wie Anm. 15, 34/S.301. 6 Herwig Wolfram: Einleitung zu: Die vier Bücher der Chroniken des sogenannten Fredegar (wie Anm. 15), S.9: Diese Continuationes Fredegarii sind als Quelle der Geschichtsschreibung bis heute von besonderer Bedeutung: "Daß ihre Darstellung jedoch so sehr auf Karl Martell und Pippin ausgerichtet ist, hängt natürlich mit dem Charakter einer Hausgeschichte zusammen. Aber gerade deshalb, weil hier die Meinung der aufstrebenden Karolinger über sich selbst wiedergegeben wird, sind die Continationes Fredegarii für uns von außerordentlichem Wert. Besonders bemerkenswert ist die von alttestamentarischen Vorstellungen geprägte Auffassung des Königtums, wie sie sich in allen Fortsetzungen zeigt." 2 3 Bevor die Bedeutung der Nibelungen-Dynastie geklärt werden kann, muss auf die im Frankenreich unterschiedliche Namensschreibung hingewiesen werden: In den Continuationes Fredegarii haben wir es mit dem lateinischen Namen Nibelungus zu tun, den die späteren, lateinisch verfassten Quellen in eben dieser Form beibehalten haben. In den französischen Quellen des 11. bis 13. Jahrhunderts treffen wir schon häufig auf die altfranzösische Namensform der Angehörigen dieser Familie, geschrieben entweder Nivelon oder Névelon. Der Stammvater der Nibelungendynastie heißt für die französische Forschung demnach Névelon l´Historien, er ist jener genannte Nibelungus der Continuationes Fredegarii. Wir haben es daher bei der Nennung dieser Namen in den verschiedenen Sprachformen der deutschen und französischen Urkunden vom 8. bis zum 13. Jahrhundert mit Angehörigen derselben Sippe zu tun; diese verzweigte sich durch das Konnubium mit weiteren Familien des Hochadels, hat aber in diesem Zeitraum nie den Anspruch der pippinidischen Abkunft und der Königsnähe aufgegeben. Die Vergabe des Namens Nibelung (Névelon / Nivelon) für den Sohn von Graf Hildebrand von Burgund scheint mit der Bedeutung des Klosters Nivelles für die Pippiniden zusammenzuhängen, denn das Kloster Nivelles in Brabant nahm für die Dynastie der Karolinger in ihrem religiöspolitischen Anspruch eine Schlüsselfunktion ein7. Die Verehrung der Gertrud (626 – 659), Tochter Pippins des Älteren, Äbtissin von Nivelles, erweiterte sich nach deren Tod im ganzen Frankenreich zum Kult. „Als Adelsheilige wurde Gertrud von den Karolingern und den großen Familien, die sich karolingischer Abstammung rühmten, intensiv verehrt. Sie war Patronin der Reisenden (vor allem zur See), Pilger und Spitalinsassen (…).“8 Hildebrand, der Stammvater der Nibelungen, war mit Gertrud von Nivelles direkt verwandt: Sie war die Schwester seiner Großmutter Begga. Die ausführliche Erwähnung der militärischen Verdienste Hildebrands im Kampf gegen die Sarazenen steht im Zusammenhang mit seiner Rolle als Schreiber der Continuationes.9 Nachdem Hildebrand die Kämpfe gegen die Sarazenen in Aquitanien geschildert hat, schließt er seinen Bericht mit den Worten ab: Als er(Karl Martell), der bei allen Entscheidungen von Christus geleitet wurde, in dem allein das Heil des Sieges liegt, das Heer seiner Feinde besiegt hatte, kehrte er wohlbehalten in sein Gebiet zurück, ins Land der Franken, den Sitz seiner Herrschaft.10 Hildebrand bringt die Leistung seiner Persönlichkeit an den Stellen seiner Geschichtsschreibung ein, die vom Kampf gegen die Ungläubigen handeln. Er stellt seinen Halbbruder Karl Martell und sich selbst als Anführer der militia Christi dar, deren Aufgabe es ist, die Heiden nicht nur aus dem Frankenreich, sondern aus dem Römischen Reich zu vertreiben. Hildebrands Sohn Nibelung, seit 751 der Nachfolger in der Berichterstattung über das Frankenreich, übertrifft den Vater, indem er den päpstlichen Auftrag an den selbst ernannten fränkischen König Pippin zur Bekämpfung der Langobarden ausführlich erläutert.11 Nibelung schildert dann die vergeblichen Gesandtschaften an Aistulf und schließlich die Siege über die Langobarden. Abschließend berichtet wie folgt über den Tod des Aistulf: Danach wurde der Langobardenkönig 7 Vgl. Marc von Uytfanghe: Gertrud von Nivelles. In: Lexikon des Mittelalters Bd. IV, Sp. 1356. 8 Ebd. 9 Continuationes 20/S. 288 f. 10 Continuationes 20/S. 290 11 Continuationes 36/S. 300 f. 3 4 Aistulf, als er in einem Walde jagte, durch Gottes Urteil vom Pferd, auf dem er ritt, gegen einen Baum geschleudert und verlor Leben und Reich in einem grausamen Tode, wie er ihm gebührte.12 Hildebrand und sein Sohn Nibelung gehen beide über die Norm der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung hinaus, indem sie das Programm von Gregor von Tours (538 – 594) fortsetzen. „Ein wichtiges Charakteristikum des Kirchenbegriffs Gregors ist in der Tat die Aufhebung des traditionellen Gegensatzes von ecclesia und res publica“, schreibt Martin Heinzelmann in seiner Analyse der „Zehn Bücher Geschichte“.13 Dieser Gegensatz löst sich bei Hildebrand und Nibelung vollends auf, da Papst und König mit dem gemeinsamen Ziel zusammengefunden haben, die Feinde der katholischen Kirche zu bekämpfen. Rudolf Schiefer fasst diese Programmatik wie folgt zusammen: „Prägnanten Ausdruck hat dieses frühkarolingische Selbstbewusstsein in dem hochgestimmten Prolog zur 763/64 neu gefassten Aufzeichnung des fränkischen Volksrechts, der Lex Salica, gefunden, wo von dem ´hehren Stamm der Franken` (gens Francorum inclita) die Rede ist, der, ´von Gott gegründet`, als ´tapfer unter Waffen und standhaft im gegebenen Friedenswort, weise im Rat und von edlem Aussehen`, aber auch als ´zum katholischen Glauben bekehrt und frei von Irrlehren` gepriesen wird; Christus, ´der die Franken liebt`, solle ´ihr Reich schirmen und ihre Lenker (rectores) mit seiner Gnade erleuchten, ihr Heer schützen und seinen Glauben stärken`.14 Die „von Pippins Vetter Nibelung als Familiechronik redigierte Fredegar-Fortsetzung“15 hat damit ein christlich-religiöses Herrscherbild entwickelt, dessen Ideal Vorbild für die Politik Karls des Großen werden konnte, selbst wenn die Realität, z.B. in der Bekämpfung des Emir von Cordoba Abdarahman 778 anders aussah. Der Tod des Befehlshabers an der bretonischen Grenze, Hruodland (Roland) durch den Überfall der Sarazenen auf die Nachhut von Karls Heer während des Rückzugs scheint das Herrscherbild zunächst zu trüben; doch gerade die Idee, sich für den christlichen Herrscher und dessen Kampf gegen die Heiden zu opfern, hat Bestand und wird literarisches Vorbild. „Früh schon wird Roland im Zusammenhang mit der Gottesstreiter (und später der Kreuzzugs-)idee zur Identifikationsfigur für adelige illiterate Laien, zunächst noch vorliterarisch-mündlich und im Gebrauchszusammenhang bildlicher Darstellungen (…). Bald jedoch werden Bildprogramme aus dem umlaufenden literarischen Stoff abgeleitet. Kurz nach der Eroberung Zaragozas 1118 ließ Bischof Girart, verantwortlich für von Aquitanien ausgehende Spanienkreuzzüge, auf einem ein ApostelTympanon stützenden Architrav (Angoulême, St. Pierre) aus der ´Chanson de Roland` Rolandslied) anbringen: der Verkündigung des Evangeliums durch das Wort ist damit die durch den ´heiligen Krieg` zugeordnet. (…) Aus der Zeit der ersten Erfolge Saladins, 1179, datiert das Bodenmosaik der Kathedrale des Kreuzfahrerhafens Brindisi, auf dem Szenen aus der Roncesvallesschlacht das Programm des Mittelteils umgeben.“16 Aus dem „Modell“ der christlichen Herrscherfigur und vor allem der treu folgenden Vasallenfigur, wie es Hildebrand und Nibelung in der Historiographie des 8. Jahrhunderts entwickelt haben, ergab sich literarisch das Heldenbild der Kreuzzugsdichtung. 12 Continuationes 39/S. 306 f. 13 Martin Heinzelmann: Gregor von Tours, ´Zehn Bücher Geschichte`, Historiographie und Gesellschaftskonzept im 6. Jahrhundert, Darmstadt 1994, S. 194. 14 Rudolf Schieffer: Die Karolinger, Stuttgart, Berlin, Köln, 1992, S. 66 f. 15 Ebd. S. 66 16 Norbert H. Ott: Roland. In: Lexikon des Mittelalters VII, Sp. 952 f. 4 5 Sichtbar und fassbar wird diese Tradition in der deutschen Literatur im Rolandlied des Pfaffen Konrad; in der Heeresversammlung des Kaisers Karl gibt zunächst er selbst gegenüber den Helden das Programm aus: daz wir daz himilriche buwen, des scul wir gote wol getruwen (196/97). Den Kaiser ergänzt der Erzbischof, er zirte wol des keiseres hof (224): Wol ir heiligin pilgerime „Ihr heiligen Pilger, nu lat wol schinin Jetzt lasst sehen, durch waz ir zu sit komen weshalb ihr zusammengekommen seid unt daz heilige cruce habet genuomin. und das heilige Kreuz genommen habt. daz ist des tuvelis ungemach, Darunter leidet der Teufel, want im nie so leide gescach. weil ihm solches Leid noch nie widerfahren ist. also er des wirdit innen, Wenn er dies bemerkt, so muz er intrinnen: muss er entweichen. iz truc selbe unser herre. Unser Herr trug selbst das Kreuz, di sine uil suoze lere seine süße Lehre hat er uns uor getragen. (245-255) hat er uns vorgetragen.“ Das Zusammenwirken von Kaiser, Papst, Bischof und Rittertum in der Bekämpfung des Heidentums ist somit zum Leitmotiv der Kreuzzugsdichtung geworden; Karl erfüllt die Qualitäten des vorbildlichen Königtums: „Priesterkönigtum, göttliche Erwähltheit, ideales Lehensherrentum, glaubenskämpferischer Eifer“.17 Im Rolandslied wird bei der Truppenzusammenstellung für den finalen Angriff des Kaisers Karl auf das Heer der Sarazenen übrigens als Truppenkontingent auch das des Nibelung genannt: Die von Brittanne „Zwanzigtausend Mann zwaincec tusend manne, aus der Bretagne Neuelun si belaite: führte Nibelung an: Si sint helde wol geraite. (7831-7834) Sie waren wohl gestaltete Helden.“ Wie in der Historiographie Hildebrands und Nibelungs in den continuationes gilt in der Dichtung der Name Nibelung als Garant für den Erfolg des Königs und die Erfüllung treuer Vasallenpflicht. Das Kloster Nivelles und seine Abtissin Gertrud haben ihre Bedeutung für die späteren Generationen in der Historiographie und in der Dichtung nicht verloren, sondern sie bleiben wichtig für die französischen Kreuzzugs- und Pilgerbewegung des 12. Jahrhunderts. So schreibt Ekkehard von Aura in seiner Chronik zu den Ursachen des ersten Kreuzzuges: Von hier und überall her vermehrte sich täglich ringsum die Zahl der Gezeichneten, und, wie wir sagten, die ganze Welt war entflammt für diese Heerfahrt, wurde erschüttert, oder besser, schien umgestaltet zu werden.Die Westfranken ließen sich leicht gewinnen, ihr Land zu verlassen, denn seit Jahren suchten Bürgerkrieg, Hungersnot und Sterblichkeit Frankreich schwer heim, und zuletzt hatte sie die Plage, die bei der Kirche der heiligen 17 Vgl. Michael Heintze: König, Held und Sippe. Untersuchungen zur Chanson de geste des 13. und 14. Jahrhunderts und ihrer Zyklenbildung (Studia Romanica, hrsg. v. Kurt Baldinger, Klaus Heitmann, Ulrich Mölk, 76. Heft), Heidelberg 1991, S. 102. 5 6 Gertrud zu Nivelles zuerst auftrat, in solchen Schrecken versetzt, dass sie am Leben verzweifelten. 18 Ekkehard bezeichnet mit seiner Schilderung das Zentrum der Kreuzzugsbewegung, zu dem Nivelles als Kloster und Gertrud als Heilige der Pilger gehörten, obwohl die Kreuznahme in vielen Regionen stattfand: Infolge dieses Versprechens erhoben sich die Herzen aller, und etwa 100000 Mann wurden auf einmal für das Heer Christi bezeichnet, aus Aquitanien und der Normandie, aus England, Schottland und Irland, aus der Bretagne, Galicien, Gascogne, Gallien, Flandern, Lothringen und den übrigen christlichen Völkern, deren Namen jetzt gar nicht alle einfallen. An diesem gewaltigen Kreuzzug, der zur Gründung der Kreuzfahrerstaaten führte, sind die historischen Nibelungen, Nachfahren des Nibelung, der die continuationes schrieb, ebenfalls beteiligt, wie unten erläutert wird. Zunächst sei jedoch auf die Bedeutung der Gertrud von Nivelles für das Gelingen des Kreuzzuges hingewiesen: Im Epos „König Rother“ wird auf Gertrud als Schutzpatronin verwiesen, nämlich vor der grozen herevart die Rother gelovet hat (3494-95). Zum Aufgebot reitet ein junger Held namens Wolfrat, als uns daz buch gezalt hat, „Wie uns das Buch erzählte: mit wie getanen erin Mit hohen Ehren sie Rothere deme herrin haben sie, die guten gewunnin die vil goten dem Herrn Rother Pipinchis muder, Pippins Mutter zugeführt, von deme uns Karlus sit bequam von dem danach Karl abstammt und eine magit lossam, und eine ehrenwerte Jungfrau, die gode sanctae Gerdrut: die gute St. Gertrud. dar zo Nivele hat sie hus In Nivelles hat sie ihr Haus unde hilfit den ellenden und hilft denen in der Fremde gerne uze den sunden. (3479-89) gern aus ihren Sünden.“ Gertrud von Nivelles ist als Schutzheilige für die Heerfahrt nach Konstantinopel und nach Jerusalem angesprochen; sie hilft den Kreuzfahrern, so dass diesen durch die Kreuzfahrt ihre Sünden vergeben werden. Seit der Zeit des Geschichtsschreibers, des Herzogs und Grafen Hildebrand, der seinen Sohn Nibelung nannte, hat sich das „Haus“, die Familie der Nibelungen, als Adelsdynastie weit verzweigt, seine Mitglieder sind aber konsequent am Heiligen Krieg um das Grab Christi direkt und indirekt beteiligt. 3. Die Beteiligung der Nibelungen von Fréteval an den Kreuzzügen Die geistlichen und materiellen Voraussetzungen für die Teilnahme am Kreuzzug verrät die Urkunde des Nivelon von Fréteval zugunsten des Klosters St. Peter in Chartres aus dem Jahr 1096: Ich, Nivelo entsage auf ewig – um der Rettung meiner Seele willen sowie im Tausch für eine große mir hierfür gegebene Geldsumme – meinem gewalttätigen, schlechten Brauch entstammenden Verhalten. Grausam bedrückte ich das Land von St. Peter und dessen Umland, indem ich mir die Güter 18 Genannt ist das „Ignis sacer“, das Antoniusfeuer, eine mittelalterliche Epedemie, die durch das sog. Mutterkorn im Getreide erzeugt wurde. 6 7 der Einwohner aneignete…Gegen alles …Recht übergab ich das Eigentum der Untertanen von St. Peter meinen Rittern zur Nahrung…Um die Vergebung meiner Sünden zu erlangen, die mir Gott gewähren kann, begebe ich mich auf Pilgerfahrt nach Jerusalem…Die Mönche haben mir zehn Pfund in Dinaren für die Kosten der verabredeten Reise gegeben als Gegenleistung dafür, dass ich von dieser Unterdrückung ablasse.19 Die Kreuzfahrt nach Jerusalem wird dargestellt als Pilgerfahrt. Sie dient zur Vergebung der Sünden und zur Rettung von Nibelungs Seele, sie muss aber selbst finanziert werden. Hierzu dient der Verkauf der Vogteirechte an St. Peter. Der Teilnehmer des 1. Kreuzzuges, zu dem Papst Urban II. aufgerufen hat, ist Nibelung II. von Fréteval, Sohn des Volker (Fulcherius), Sire von Fréteval, Enkel des Nivelon I.von Chartres, der erstmals 1032 als Herr von Fréteval auftritt. Die Abkunft dieser Familie von den oben genannten karolingischen Geschichtsschreibern ist sicher, denn der Name des Sohnes unseres Kreuzfahrers Ursio verweist auf den gleichnamigen Schwiegersohn des Grafen von Autun, Theoderich „le Trésorier“, Theodericus et Urso, filius et gener quondam Theoderici comitis, gemäß einer Urkunde des Jahres 885.20 Auch wenn nach dem Wortlaut der Urkunde von 1096 die Beziehungen Nibelungs zur Klostergeistlichkeit nicht immer positiv waren, ist doch anzunehmen, dass der Geistliche Fulcher von Chartre, der bekannteste Berichterstatter des Verlaufs des 1. Kreuzzuges, ebenfalls aus seiner Familie hervorgegangen ist.21 Nibelung II. kehrte erst 1114 vom Kreuzzug zurück. In dieser Zeit wurde Fréteval bis 1108 von seinem Cousin Salomon II. von Laverdin verwaltet, dann übernahm der Sohn Nibelungs Ursio die Herrschaft, der sich mit der Tochter Salomons Beatrix verehelichte. Der Burgensitz Fréteval spielte eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung zwischen den Grafen von Anjou und der französischen Krone. 1154 wurde von der Garnison in einer Schlacht der Bruder von Heinrich Plantagenet Gottfried gefangen genommen. Allerdings musste Fréteval 1158 infolge des Vertrags zwischen dem französischen König und Heinrich II. Plantagenet, nun englischer König, an letzteren abgegeben werden. Ursio II., der sich daher de Meslay le Vidame nannte, erhielt das Familienschloss erst 1186 zurück. Sein Sohn Nivelon IV. nannte sich wieder „von Fréteval“. Beide waren zu Gefolgsleuten des englischen Königs geworden. Konsequenterweise nahmen die Brüder Nivelons Fulcher und Philipp am 3. Kreuzzug unter der Führung von Richard Löwenherz teil. Fulcher wurde danach Mönch in Bonneval und Kanoniker in Chartres. Ein Ereignis machte Fréteval und seine Nibelungen über die Grenzen aller adeliger Regionalherrschaft bekannt.22 Im Juni 1170 trafen sich hier – eigentlich zum Zweck der Versöhnung – Thomas Becket, der Erzbischof von Canterbury, und der englische König Heinrich II. Die „Constitutions of Clarendon“ Heinrichs waren von Thomas Becket nicht anerkannt worden, ebenso wenig die Krönung des Mitkönigs Heinrichs des Jüngeren durch Roger, Erzbischof von York. Hiermit war das alte Recht des Erzbischofs von Canterbury, dort die Könige zu krönen, verletzt worden; 19 Urkunde zugunsten des Klosters St. Peter in Chartres, zitiert nach: Großer Bildatlas der Kreuzzüge, hrsg. v. Riley Smith, Freiburg 1992, S. 28. 20 Prou, Maurice, et Vidier, Alexandre (réunies et publiées par), Recueil des chartes de l'abbaye de Saint-Benoît-sur-Loire, tome premier, Paris, 1900-1907 (Documents publiées par la Société historique et archéologique du Gâtinais, V), XXX, S.83. 21 Zu Fulcher von Chartre zuletzt Verena Epp: Fulcher von Chartre, Studien zur Geschichtsschreibung des ersten Kreuzzuges (Studia humaniora Bd. 15), Düsseldorf 1990. 22 Zum Folgenden vgl. Claude Lemarios: Fréteval, Histoire d´unde forteresse médiévale, 2001. 7 8 Thomas Becket exkommunizierte daraufhin alle an der Krönung in York Verantwortliche und weigerte sich, diese mit dem Papst Alexander III. abgesprochene Maßnahme zurückzunehmen. Daraufhin erfolgte die Äußerung Königs Heinrich II in etwa der Form: „Who will rid me of this turbulent priest?“, die von seinen Getreuen als Mordbefehl aufgenommen wurde. Reginald Fitzurse (= Sohn des Ursio), Hugh de Moreville, William de Tracy und Richard le Breton erschlugen am 29.12.1170 den Erzbischof in der Kathedrale von Canterbury. Dieser Mord erregte in der europäischen Adelswelt gewaltiges Aufsehen. Die Heiligsprechung Beckets am 21.2.1173 war die Folge, wohl betrieben durch die Ehefrau Heinrichs des Löwen, Tochter des englischen Königs Heinrich II Mathilde, die bei Papst Alexander III. in dieser Hinsicht intervenierte. Heinrich II. wurde 1174 zum Bußgang nach Canterbury gezwungen und musste Becket als seinen Schutzheiligen erklären. Auch das Schicksal der Mörder ist bekannt: Sie erreichten nach 1174 eine Audienz bei Papst Alexander III., der sie zum Exil nach Jerusalem und zum Kampf gegen die Ungläubigen auf 14 Jahre verurteilte. Danach sollten sie sich scheren lassen und den Rest ihres Lebens betend auf dem Schwarzen Berg in Antiochia verbringen. Hugh de Moreville erscheint 1193 bzw. 1194 nochmals im Wormser Raum, als er als Geisel des Gefangenen Richard Löwenherz dem Dichter Ulrich von Zatzikhofen die französische Vorlage für den Roman Lanzelet lieferte.23 Der Herzogin Mathilde ist übrigens die Förderin der Übersetzung bzw. Umgestaltung des Rolandsliedes durch den Pfaffen Konrad. Im Braunschweiger Dom sind Reliquien des Märtyrers Thomas Becket nachgewiesen, auf dem so genannten Krönungsbild im Evangeliar Heinrichs des Löwen ist er unter den dem Braunschweiger Dom und dem Herzogspaar besonders wichtigen Heiligen zu sehen, direkt über Vater und Großmutter der Herzogin Mathilde. Die Ermordung Thomas Beckets durch die Ritterschaft des englischen Königs ist ein Indiz dafür, dass das in der gregorianischen erweitert in der nibelungischen Geschichtsschreibung Programm der beschworenen Einheit zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft, mit motiviert durch die Bekämpfung des Heidentums, mittlerweise seine Tragfähigkeit verloren hat. Zwar ist das Ideenpotential des weltlichen und himmlischen Jerusalem nach wie vor gesellschaftlich vorhanden, es wird aber in der Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden weltlichen Gewalten und der römischen Kurie häufig missbraucht. Es besteht sehr wohl ein Unterschied zwischen der Motivation des Nibelung von Fréteval, sich am 1. Kreuzzug zu beteiligen, und dem Urteil über Reginald Fitzurse durch Papst Alexander, sich 14 Jahre am Kampf der Templer gegen die Heiden im Heiligen Land beteiligen zu müssen. Parallel dazu führt der machtpolitische Konflikt zwischen den Königen von England und Frankreich und dem deutschen Kaiser in den letzten Jahrzehnten zum Missbrauch der Kreuzzugsidee zugunsten der eigenen Machtstellung: Beispiele hierfür sind die Konflikte zwischen der französischen und englischen Krone um das angevinische Reich, von denen auch die Nibelungen direkt betroffen waren. So wurde Fréteval schließlich nochmals Ort der Auseinandersetzung zwischen dem englischen und dem französischen König. In der dortigen Schlacht am 3.7.1194 verlor Philipp August II. auf der Flucht vor Richard Löwenherz die Archive des französischen Königsreiches, die seit diesem Zeitpunkt in Paris neu angelegt wurden. Nivelon IV. (1187 – 1214), Seigneur de Fréteval, befand sich in dieser Schlacht auf der Seite des englischen Königs. Seine Brüder Volker (Foucher) und Philipp waren Teilnehmer des Kreuzzuges des englischen Königs Richard Löwenherz, der für ihren Herrn in der einjährigen Wormser Gefangenschaft endete, aus der Kaiser Heinrich VI. das gewaltige Lösegeld von 150 Pfund Silber erpresste. Wie oben angedeutet führt der unfreiwillige Aufenthalt 23 Vgl. Sudeley, Lord: Becket´s Murderer William de Trace. In: The Sudeleys – Lords of Toddington, London 1987, S. 77 – 91. 8 9 Richards in Heinrichs Machtbereich andererseits zum literarischen Austausch. Doch auch literarisch war die Kreuzzugsidee bereits beschädigt, auch wenn sie vom Pfaffen Konrad bezüglich der Karlszeit fordernd und überzeugend vorgetragen wurde. Nach der Katastrophe von Hattin wurde zwar die Führungsriege der westlichen Christenstaaten nochmals sehr lebendig, die Idee vom gesammelten Christenheer, wie sie der Pfaffe Konrad in seinem Werk vorträgt, funktioniert jedoch nicht mehr: Der Kreuzfahrer König Philipp August II. verlässt das Heilige Land, um die Abwesenheit des englischen Königs Richard für Rückeroberungen auszunutzen. Der Fürst Leopold von Österreich lauert dem heimkehrenden Pilger König Richard auf, um den Heimkehrer an den Kaiser Heinrich VI. zu verkaufen, der wiederum die Kirchen Englands und Aquitaniens zur Zahlung des Lösegelds erpresst. 4. Névelon von Chérisy, Bischof von Soissons und Anführer des Kreuzzuges gegen das christliche Konstantinopel Ein weiterer Zweig der französischen Nibelungen ist an den Kreuzzügen maßgeblich beteiligt, allerdings viel stärker zum französischen Königtum hin orientiert als die Herren von Fréteval. Diese Familie nannte sich nach dem Ort Chérisy nordöstlich von Paris, aber auch nach der Burg Pierrefont, gelegen zwischen Soissons und Compiègne, die später von den Herzögen von Orleans und schließlich durch Napoleon III. zur pseudo-mittelalterlichen Festungsburg ausgebaut wurde. Als Seigneur de Pierrefont trat um 1061 Nivelon I. von Chérisy auf. Sein Bruder Thiebaud hatte das 48. Amt des Bischofs von Soissons inne. Dieses Amt ist in den Reihen der Familie auch späterhin weiter vergeben worden, so an Hugo I. von Pierrefont (1093-1103), der seinen Bruder Nivelon II. überredete, den Mönchen von St. Martin des Champs die Kirche St-Mesme im Turm seines Schlosses zu übertragen, bevor Nivelon zum 1. Kreuzzug aufbrach. Von seinen 4 Söhnen Pierre, Ancoul, Nivelon (III.) und Dreux (Drogo) traten die beiden ersteren in den geistlichen Stand, während Nivelon III. und Dreux Drogo den Stammsitz übernahmen. Letzterer war mit Beatrix, Tochter von Gui le Rouge von Rochefort, verehelicht, die ihm den Besitz von Crécy einbrachte. In einer Schenkungsurkunde an St. Martin de Champs werden neben ihrem Gatten die Söhne Guido, Hugo und Johannes genannt, nicht aber die Tochter Ade Pierrefont, die Gaucher II. von Châtillon ehelichte. Dessen Bruder Rainald, Teilnehmer des 2. Kreuzzuges, erwarb sich im Heiligen Land als Fürst von Antiochia durch seine Brutalität einen zweifelhaften Ruhm, dem Saladin nach der Schlacht von Hattin 1187 ein Ende setzte, indem er dem Gefangenen persönlich das Haupt abschlug. Der Enkel von Gaucher II. und Ade, Gaucher III., wurde zu einem der großen Barone in Nordfrankreich, er war Herr von Châtillon, Troissy, Montjay, Crécy, Pierrefonds, Encre, Pont-St-Maxence und Broigny. Nach seiner Rückkehr vom 3. Kreuzzug, auf dem er König Philipp II. August begleitete, wurde er Seneschall von Burgund und Bouteiller (Mundschenk) der Champagne. Durch seine Ehe erhielt er zudem die Grafschaft St-Pol. Der jüngere Sohn Gauchers III., Hugues I., Graf von St-Pol, heiratete Marie aus der großen Familie Avesnes, Tochter von Gautier und Marguerite, Gräfin von Blois (Tochter des Grafen Tedbald VI. und Witwe des Pfalzgrafen von Burgund, Otto von Andechs-Meranien). Er war maßgeblich am 4. Kreuzzug und an der Eroberung Konstantinopels unter geistlicher Leitung seines Verwandten Bischof Nivelon von Soisson beteiligt. 9 10 Zurück zur Seitenlinie dieser überaus erfolgreichen Familie:24 Der Bruder Nivelons I. von Chéresy, Gerhard I. nahm ebenfalls am 1. Kreuzzug teil, wurde in Antiochia verletzt, was ihm den Namen Le Borgne eintrug. Ein weiterer Bruder, Richard de Chérisy, war Burgherr in Laon, das er zeitweise mit seinen Brüdern verwaltete. Gerhard überstand den 1. Kreuzzug unter Führung Gottfrieds von Bouillon, befehligte vor Jerusalem einen Teil der Truppen und erholte sich von seinen Verletzungen nach der Rückkehr. Er wurde aber 1107 in der Kathedrale von Laon von der Mannschaft des feindlichen Bischofs Radbod von Noyon ermordet. Sein Sohn Gérard II. de Chérisy überwarf sich zunächst mit dem Bischof Noyon, wurde exkommuniziert und schließlich vom französischen König gezwungen, die Festung Quierzy zu schleifen. Verheiratet mit Agnes von Longpont förderte er die dortige Abtei, die 1132 durch Bernhard von Clairvaux den Zisterziensern übergeben wurde. Gérard II. und seine Gattin traten 1160 beide in den Orden ein und blieben dort bis zum Lebensende. Von den drei Söhnen vertraten zwei, Gérard III. und Evrard, den weltlichen Stand, während der dritte, Nivelon de Chérisie, als Geistlicher eine außergewöhnliche Karriere machte. Gérard III. nahm am 3. Kreuzzug teil, ordnete vorher die Versöhnung mit dem Bischof von Noyon und vollzog zahlreiche Schenkungen an die Kirche. Über Evrard wissen wir wenig, um so genauer ist der Lebensweg von Nivelon überliefert: Zunächst war Nivelon Probst und Archidiakon von Soissons, er wurde 1175 zum Bischof dieser Diözese gewählt und ein Jahr später geweiht. 1179 nahm er am 3. Laterankonzil teil. 1185 überließ Nivelon seine Rechte an der Festung Pierrefonds dem König. In dessen Auftrag erschien Nivelon am 29.6.1198 in Worms und unterzeichnete hier einen Freundschaftsvertrag zwischen Philipp II. von Frankreich und dem König Philipp von Schwaben, der gegen den englischen König Richard Löwenherz und dessen Neffen, Gegenkönig Otto IV. gerichtet war.25 Ob er hier schon für den so genannten 4. Kreuzzug geworben bzw. eine Absprache mit Philipp über die Beziehung zu Konstantinopel getroffen hat, wissen wir nicht. Jedenfalls predigte in diesem Jahr bereits Foulques (Volker) de Neuilly in Frankreich, beauftragt durch Papst Innozenz III., den Kreuzzug, dessen Ziele und Durchführung auf der Synode in Soissons unter der Leitung des Bischofs Nivelon diskutiert wurden. Als unerwartet eine der Leitfiguren des geplanten Kreuzzuges, Thibaud (III.) von der Champagne, starb, wurde 1201 der Markgraf Bonifaz von Montferrat auf einem weiteren Konzil in Soissons mit der militärischen Leitung des Kreuzzugs betraut. Die geistliche Führung hatte Nivelon inne, dessen direkte und weitläufige Verwandtschaft ebenso am Kreuzzug teilnahm wie er selbst. Geoffroy de Villehardouin schildert in seiner Chronik anschaulich das Wirken Nivelons:26 Zu seiner Aufgabe gehörte es, nachdem die Kreuzfahrer auf Druck der Venezianer die christliche Stadt Zara erobert hatten, diese vom päpstlichen Bann zu befreien; er reiste deshalb von Zara aus nach Rom zu Innozenz III., der in der Tat die Exkommunikation der französischen Kreuzfahrer aufhob. Durch die Intervention des vertriebenen byzantinischen Kaisersohnes Alexeios III. und auf Anraten Philipps 24 Zum folgenden: Henry Martin / Paul-L. Jacob: Histoire de Soissons, depuis les temps les plus reculés jusqu´a nos jours. Soissons / Paris 1837, S. 51 – 81. 25 Vgl. Bernd Schütte: König Philipp von Schwaben. Itinerar – Urkundenvergabe - Hof (MGH Schriften, Bd. 51), Hannover 2002, S. 529. 26 Vgl. Chroniken des Vierten Kreuzzugs. Die Augenzeugenberichte von Geoffroy de Villehardouin und Robert Clari, ins Neuhochdeutsche übersetzt und erläutert von Gerhard E. Sollbach (Bibliothek der Historischen Forschung Bd. 9), Pfaffenweiler 1998, S. 20 – 81. 10 11 II. von Schwaben wurde der Angriff des Heeres auf Konstantinopel scheinbar legalisiert, der 1204 zur Zerstörung und Plünderung der reichsten Stadt der christlichen Welt führte. Nach dem Bericht von Robert de Clari hat das Belagerungsschiff des Nivelon mit dem Namen „Pilgrim“ den entscheidenden Angriff gegen die Mauern von Konstantinopel erfolgreich durchgeführt. Nivelon war danach der Wahlleiter der Kommission, die den neuen – lateinischen – Kaiser bestimmte, nämlich den Grafen Baudouin von Flandern und Hennegau und nicht Bonifaz von Montferrat, der sich mit dem Königtum von Tessalonike begnügen musste. Nivelon wurde für sein Engagement durch den neuen byzantinischen Kaiser reichhaltig entlohnt. Er erklärte dem Kapitel der Kathedrale von Soissons bei der Übergabe der aus Konstantinopel entwendeten Reliquien selbstbewusst: „Je vous donne ma parole et je la garderai, pourvu que je puisse obtenir cette grâce de l´empereur de Constantinople, qui m´est tellement obligé, que, tout puissant et tout riche qu´il soit, il ne pourra jamais payer les services que je lui ai rendus.“27 („Ich gebe euch mein Wort und werde es halten, dass ich diesen Dank (die Reliquien) vom Kaiser in Konstantinopel erhalten konnte, der mir so verpflichtet ist, dass er – so mächtig und so reich er auch ist – niemals die Dienste bezahlen könnte, die ich ihm geleistet habe.“) Nivelon betrachtete die Reliquien der Märtyrer und Heiligen aus Konstantinopel im Vergleich zu dem mitgebrachten Gold, den Edelsteinen und den seidenen Gewändern als den eigentlichen Schatz, zu dem u.a. der Schädel des Evangelisten St. Markus, der Kopf von St. Johannes, der Daumen von St. Thomas und ein Dorn der Krone von Jesus gehörten. Schließlich trat Nivelon im Frühjahr 1206 nochmals eine Reise nach Konstantinopel in Begleitung von zahlreichen Mönchen, Klerikern und Laien an; von Papst Innozenz III. mit der Würde des Erzbischofs von Tessalonike ausgestattet erkrankte er in Apulien und starb am 13. September des gleichen Jahres in Bari.28 Nivelon wurde in der Kathedrale von Notre-Dame in Soissons bestattet. Die Beurteilung seiner Persönlichkeit durch Martin im Jahr 1837 ist bis heute gültig: „Nivelon était un esprit bouillant, audacieux, plein de zèle pour l´Eglise et anime d´une vive foi qui éclate dans ses écrits, de meme que dans les actions de sa vie. Il avait été chevalier avant de se faire prêtre, et il se servait souvent de sa crosse épiscopale comme d´une arme offensive; il fut toute sa vie possédé du désir de défendre les chrétiens d´Orient et de combattre pour la cause de la justice et de la vérité.”29 5. Die Nibelungen im Wormser Raum bis zur Abfassung des Nibelungenliedes Ein Familienzweig der Nibelungen ist im 12. Jahrhundert auch in Worms ansässig, die früheste urkundliche Erwähnung erfolgte 1106.30 In einer Wormser Urkunde Lothars III zugunsten des 27 Zitiert nach Martin / Jacob, Histoire de Soissons (wie Anm. 26), S. 74. 28 So Martin / Jacob, Histoire de Soissons, S. 77; Martins Version widerspricht der Angabe von Alberich von Trois- Fontaines, Chronika zum Jahr 1205 (S. 886), Nivelon sei in Apulien auf der Rückkehr vom Kreuzzug gestorben, ebenfalls aber der Todesangabe auf den 14.11.1207, die Bernd Schütte (vgl. Anm. 27), S. 529 vertritt. Martins Bericht von einer neuerlichen Reise nach Konstantinopel ist überzeugender, zumal Jaques de Baadthe, Nivelons Neffe, bereits 1107 die Nachfolge im Bistum Soissons übernommen hat. 29 Martin / Jacob, Histoire de Soissons, S. 51. 30 WUB I, Nr. 59/S. 51 / Schannat II, Nr. 67/S. 56. 11 12 Reichsministerialen Konrad von Hagen (27.12.1128) wird in der Zeugenliste der Reichsministeriale Nibelung genannt. Zur gleichen Zeit hat im Domstift zu Worms ein zweiter Nibelung das geistliche Kustos-Amt inne. Er wird erwähnt in einer Urkunde Konrads, des Grafen von Lauffen, im Zusammenhang der Belehnung des Grafen durch den Wormser Bischof Burchard II. (genannt Buggo) vom 18.5.1127.31 In den wenigen erhaltenen Wormser Urkunden ist Nibelung in der Zeit von 1137 bis 1160 ständig vertreten; ein Ministerialer Nibelung findet sich 1139 in der Zeugenliste einer Wormser Bischofsurkunde zugunsten des Stiftes St. Paulus; vor ihm urkundet der geistliche Amtsträger Nibelung als Nibelongus eiusdem monasterii custos et sancti Pauli praepositus.32 Dieser Nibelung trägt in einer frühen Urkunde von 1140 oder von 1141 den Titel Nibelungus maioris ecclesie thesaurarius et ecclesie sancti Pauli archidiaconus.33 Er ist somit der Schatzmeister des Wormser Domstiftes und ergänzt als Archidiakon die Verwaltungsaufgaben des Wormser Bischofs. Diese umfassende Aufgabenstellung hat Nibelung zur Amtszeit des Wormser Bischofs Konrad von Steinach 1152 den Titel des vicedominus, des Stellvertreters des Bischofs, verschafft.34 1173 ist in einem Rechtsstreit zwischen Kloster Otterberg und den Dorfgenossen von Ibersheim nochmals ein Nibelung in der Zeugenliste als Ministerialer der Wormser Kirche bezeichnet. In der Zeugenliste finden wir als Vogt von Ibersheim Walter von Hausen und seinen Sohn, den Minnesänger Friedrich von Hausen vor.35 Aus der Urkundensituation vor 1200 entsteht ein Bild, das sich im 13. Jahrhundert für den Wormser Raum wiederholt: Persönlichkeiten der Familie Nibelung sind in den hohen geistlichen Ämtern – im Domstift und in St. Paul – vertreten, ihre Angehörigen üben parallel dazu Funktionen als weltliche Herrschaftsträger aus, als Reichsministeriale bzw. Kirchenministeriale, die ihre Burgensitze imWormser Raum haben. Im 13. Jahrhundert verdichtet sich die Präsens der Familie im Wormser Raum sorgar. Diese nächste Generation der Nibelungen tritt ist erstmals gut fassbar in einer Urkunde des Domstiftes über den Kauf eines Gutes auf dem Scharhof durch das Kloster Schönau aus dem Jahr 1216.36 Der Verkäufer ist Berthold von Dirmstein. Unter den Bürgen befindet sich Rüdiger von Dimarstein, unter den geistlichen Zeugen, direkt nacheinander, sind Nibelung ante Monetam und Nibelung de Wolveskelen aufgeführt. In den Orten Dimarstein und Wolfskehlen befanden sich Burgensitze, die wir der Familie der Nibelungen zuordnen können. Wolfskehlen scheint zum Namen des Geschlechts geworden sein. Jener Rüdiger von Dimarstein hat sich 1217 gemeinsam mit seinem Bruder Nibelung von Diemerstein mit dem Kloster Otterberg auseinandergesetzt, die Schlichtung nahmen ihre Lehnsherren vor, die Grafen von Leiningen.37 Rüdiger von Diemerstein scheidet im selben Jahr aus der Gütergemeinschaft aus, weil er das Kreuz genommen hat.38 31 WUB I, Nr. 63/S. 54 f. 32 WUB I, Nr. 65/S. 56. 33 WUB I, Nr. 68/S. 57. 34 WUB I, Nr. 76/S. 62. 35 WUB I, Nr. 84/S. 69 f. 36 WUB I, Nr. 120/S. 92 f. 37 OUB Nr. 20/S. 18. 38 OUB Nr. 21/S. 19. 12 13 Noch vor Nibelung von Wolfkehlen ist in der Urkunde vom 11.11.1216 Nibelung ante Monetam aufgeführt. Wir finden in den Wormser Urkunden somit zwei Kleriker gleichen Namens vor. Aus der Urkunde des Wormser Bischofs Heinrich von 1224 ergibt sich39, dass Nibelung von Wolfskehlen zum Dompropst ernannt worden ist, während sein Verwandter als Nibelungus de Moneta auftritt. Dessen Beiname deutet darauf hin, dass er – wie eine Generation vorher der thesaurarius Nibelungus, für das Wormser Münzwesen verantwortlich ist oder war.40 Nibelung von Wolfskehlen ist im Amt als Dompropst letztmalig am 18.6.1242 nachzuweisen, er führt die Zeugenliste einer Urkunde an, die die Schlichtung der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Neuhausener Stift St. Cyriacus und den Bürgern der Stadt Worms beinhaltet. Dieser Nibelung hat 1227, also etwa zur Entstehungszeit der Handschrift C des Nibelungenliedes, sowohl im Hochstift als auch im Martinsstift das Propst-Amt inne: In einer Bischofsurkunde dieses Jahres tritt er als Nibelungus maior et sancti Martini prepositus auf; als Mitglied des Domkapitels wird wiederum Nibelungus ante Monetam genannt. Unter der Rubrik der Laien, die ebenfalls zum Bischofsrat gehören, findet sich in der Zeugenliste Rugerus ante Monetam (Rüdiger ante Monetam). Der Beiname ante Monetam ist somit deutlich zum Familiennamen dieses Zweiges der Nibelungen geworden. Der Leitname Rüdiger wiederum verweist auf die oben angeführte Urkunde von 1217 zurück, in der der Streit zwischen Nibelung und Rüdiger von Diemerstein und dem Kloster Otterberg durch den Grafen Friedrich von Leiningen geschlichtet wurde. Im Zusammenhang mit den Besitzungen des Klosters Otterberg treffen wir 1227 auch eine Familie der Nibelungen von Abenheim (heute nördlicher Vorort von Worms) an, nämlich den Nebelungus de Abenheim, consobrinus eius Nebelungus et sororius eius Nebelungus.41 Abschließend seien – wohl eine Generation später im Jahr 1255 urkundend – die Ritter (milites) Nibelung von Sultzen (wohl Hohensülzen) und Rüdiger von Hargesheim (Harxheim) genannt, die die Schlichtung des Streites zwischen Gräfin Uta von Leiningen und dem Kloster Otterberg bezeugen. 42 Trotz der spärlichen Wormser Überlieferung lässt sich nachweisen, dass der Familienverband der Nibelungen einen wesentlichen Teil der Führungsschicht des hiesigen Raumes stellte. Dabei fällt im 13. Jahrhundert der links- und rechtsrheinische Burgenbesitz auf. Eindeutig ist die Zugehörigkeit einerseits zur Reichsministerialität, andererseits zum geistlichen Adel nachweisen.43 6. Die Bedeutung von Worms für die Kreuzzüge Die Bischofsstadt Worms, eingebunden in die Reichpolitik der Staufer, wirkt wie eine Drehscheibe der Ambitionen des Adels, an der Kreuzzugsbewegung Teil zu haben. Damit wird die 39 WUB I, Nr. 132/S. 160. 40 Zum Wormser Münzwesen vgl. u.a. die Barbarossa-Urkunde vom 24.9.1165, mit der der Kaiser die Rechte der Münzer bestätigte (WUB Nr. 80/S. 64) 41 OUB Nr. 48/S. 36 f. 42 OUB Nr. 123/S. 93 ff. 43 So heißt es im OUB, Nr. 20/S. 18: viros nobiles Nebelungum et Rudigerum des Dymerstein. 13 14 Stadt auch tatsächlich im 12. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Schauplatz von reichspolitisch bedeutsamen Ereignissen, die mit den Kreuzzügen zusammenhängen. Die Teilnahme von Mitgliedern des geistlichen und weltlichen Niederadels im Wormser Raum am 1. Kreuzzug hat ihre Spuren hinterlassen.44 Dokumentiert wird dies durch den Nachbau der Türme der Heiliggrabkirche am Paulusstift in Worms und den Kirchen in Alsheim, Dittelsheim und Guntersblum, die allesamt dem Eindruck der ersten Kreuzfahrer von Jerusalem ihre Entstehung verdanken.45 Belegt ist die Beteiligung der Ritterschaft des Wormser und Mainzer Raumes auch durch das unrühmliche Engagement des Grafen Emich aus der Familie der Wildgrafen;46 Emich griff mit seinem Gefolge zunächst die Speyerer jüdische Gemeinde an, danach die Wormser Juden, unter denen es am 20. Mai 1096 trotz des Einspruchs des Bischofs zum Massenmord kam. Nach der Wormser Gemeinde wurden die Mainzer und schließlich die Kölner Juden zu Mordopfern der Kreuzfahrer, bis dann Graf Emich sich mit seinem Heerhaufen mainaufwärts zur Donau und schließlich nach Ungarn bewegte. Dort erlebte er die Vernichtung seines Heeres bei Wieselburg durch den ungarischen König Koloman und dessen Truppen. Emich selbst konnte entkommen und schloss sich späterhin den französischen Kreuzfahrern an.47 Die traditionelle Route der französischen Kreuzfahrer, unter denen die französischen Nibelungen, wie wir oben sahen, eine führende Rolle spielten, führte sowieso über Worms, dann über das Swalefeld zur Donau, folgte diesem Strom durch Ungarn und hatte zum ersten Ziel das oströmische Byzanz. Die Rolle der Stadt Worms bzw. ihres Umlandes als wichtige Zwischenstation der französischen Kreuzfahrer beweist der Verlauf des zweiten Kreuzzuges. Als bereits Konrad III. zusammen mit seinem Neffen Friedrich (dem späteren Friedrich II.) sich mit dem deutschen Kontingent auf dem Weg zur Donau befand, zog das französische Heer unter Führung des französischen Königs Ludwig VII. mit seiner Gattin Eleonor von Aquitanien von Metz aus in den Wormser Raum und bezog nach Anweisung der Wormser Verwaltung, zu der auch der Propst von St. Paulus, der Domkustos und Vizedominus Nibelungus, gehörte, auf der rechten Rheinseite auf der sog. Maulbeeraue Zeltlager und Quartier. Zum Festtag des Dompatrons Petrus, am 29.Juni 1147, empfingen Klerus und populus Ludwig VII. und seine Gattin in der Stadt. Nach dem Bericht des Odo von Deuil, Abt von Compiègne und St. Denis, Kaplan und Sekretär des französischen Königs, versorgten die Wormser Rheinschiffer das Kreuzfahrerheer mit Lebensmitteln, während es auf der rechten Rheinseite auf den Zuzug weiterer Truppenkontingente durch den Bischof von Luxeuil, Arnulf, wartete.48 Es kam aber seitens der Franzosen zu Übergriffen auf die Wormser Fährleute, die der Verfasser der Chronik scharf kritisiert, indem er die Einstellung der Kreuzfahrer grundsätzlich in 44 Vgl. Bernd Ulrich Hucker: Das Grafenpaar Beatrix und Otto von Botenlauben und die deutsche Kreuzfahrerbewegung. In: Kein Krieg ist heilig. Die Kreuzzüge. Hrsg. v. Hans-Jürgen Kotzur, Ausstellungskatalog o.Jg., S. 22-47. 45 Vgl. Hans-Jürgen Kotzur: Denkmäler des Triumpfs. In: Kein Krieg ist heilig. Die Kreuzzüge. Hrsg. v. Hans-Jürgen Kotzur, Ausstellungskatalog o.Jg., S. 22-47, S. 264-284 46 Vgl. zur Identität Ingo Toussaint: Die Grafen von Leiningen, Siegmaringen 1982, S. 28. 47 Vgl. Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge, 1. Bd., München 1957, S. 134 f. 48 Ex Odonis de Deogilo libro de via sancti sepulchri a Ludovico VII. Francorum rege suscepta, MGH, Scriptores 26, hg. v. Georg Waitz u.a. 1882, Nd. Stuttgart 1975, S. 59 ff., S. 61 f. – Vgl. Gerold Bönnen: Der Durchzug französischer Kreuzfahrer durch Worms im Sommer 1147. In: Der Wormsgau, 21. Bd., 2002, S. 177-184, 14 15 Frage stellt: Hic primam nostri populi stultam superbiam sensimus. Daraufhin stellten die Wormser den Schiffsverkehr und die Versorgung des französischen Heeres ein. Erst nach geduldigen Verhandlungen und wohl entsprechenden Zahlungen seitens der französischen Heerführung wurde die Lieferung von Lebensmitteln wieder aufgenommen und schließlich zog das französische Kontingent in Richtung Donau ab. Der Wormser Bischof Burchard II. (Buggo) war während der Anwesenheit der französischen Kreuzfahrer in Worms wahrscheinlich persönlich nicht an seinem Amtssitz zugegen, denn er nahm am Reichstag Konrad III. am 23.4.1147 in Nürnberg teil und reiste danach als Legat des zur Kreuzfahrt aufbrechenden Königs zu Papst Eugen III., der am 11.6.1147 noch einmal mit dem französischen König Ludwig VII. zusammengetroffen war.49 Das französische Heer folgte somit dem deutschen auf derselben Donaustrecke bis hin nach Konstantinopel. Weder die deutschen noch die französischen Kreuzfahrer hatten Erfolg. Bekanntlich endete in Kleinasien das Unternehmen sowohl für die Deutschen als auch für die Franzosen mit der weitgehenden Vernichtung der Heere, deren Niederlage mit der abgebrochenen Belagerung von Damaskus Ende Juli 1148 vollends offenkundig wurde Im Gegensatz zum Zweiten Kreuzzug nahm 1172 der Wormser Bischof Konrad II. (von Sternberg) persönlich an einer bewaffneten Pilgerfahrt teil, die bislang in der Forschung nicht als Kreuzzug registriert wurde, die diesen Namen jedoch verdient. Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern und Vetter des Kaisers Barbarossa, hatte über 500 Panzerreiter aus seiner sächsischen und bayerischen Ministerialität aufgeboten und sich zusammen mit den Bischöfen von Lübeck und Worms, dem Obotritenfürst Pribislav, den Markgrafen von Steiermark und Sulzbach, den Grafen von Wittelsbach, Falkenstein, Schwerin und Blankenburg auf den Landweg nach Konstantinopel begeben.50 Kaiser Manuel stellte der Truppe den Schiffsraum zur Verfügung, mit dem Akkon erreicht wurde. In Jerusalem wollte Heinrich zusammen mit Amalrich und den Templern einen militärischen Vorstoß gegen die Muslims unternehmen, beide lehnten dies jedoch ab. Im Dezember 1173 kehrte der Herzog mit seinen Kreuzfahrern über Konstantinopel nach Bayern zurück. Einen Beitrag zur politischen Funktion des Wormser Bischofs bei dieser Kreuzfahrt liefert die Wormser Chronik von Friedrich Zorn: Anno 1172 als herzog Heinrich Lew von Sachsen ins gelobt land gezogen, hat sich zu ihm geschlagen Conrad bischof zu Worms, welcher von kaiser Friedrichen zum kaiser gen Constantinopel geschickt war, ein heirath und schwagerschaft zu machen zwischen beider kaiser kindern. wiewohl viel meinen, solche des bischofs legation sei von kaiser Friedrichen mehr derhalben angestellt worden dem herzogen zu ehren, damit er desto sicherer durch des griechischen kaisers land, welcher unsere fürsten nicht so gar gerne sahe, möchte passieren. nach deme ihme der kaiser zu Constantinopel ein panket gehalten, und bischof Conrad von Worms auch an die tafel kommen, hat er die alte frag de processione spiritus sancti, darvon die griechische und lateinische 49 Zum Aufenthalt Buggos Bernd Schütte: Konrad III. und der deutsche Reichsepiskopat (Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters, Bd. 20), Hamburg 2004, S. 86; zum Papstaufenthalt Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge, 2. Bd., München 1958, S. 247. 50 Vgl. Bernd Ulrich Hucker: Das Grafenpaar Beatrix und Otto von Botenlauben und die deutsche Kreuzfahrerbewegung (wie Anm. 47), S. 29. 15 16 kirch streitig sind, erregt.(…)51 Ein Ehebündnis wurde bei der Mission nicht erreicht, ebenso wenig eine Annäherung der kirchlichen Positionen. Immerhin erreichte dieser Kreuzzug als letzter Jerusalem, in das nach der für die Christen katastrophalen Schlacht von Hattin Sultan Saladin am 2. Oktober 1187 siegreich einzog. Der dritte Kreuzzug, ausgelöst durch die Katastrophe von Hattin, weicht erstmals von der Strategie der vorangegangenen ab, da der französische König Philipp Augustus und der englische König Richard Löwenherz nicht mehr den Landweg über Worms und den Donauweg sowie über Konstantinopel wählten, sondern den schnelleren und ungefährlicheren Seeweg über Sizilien und Zypern direkt nach Akkon einschlugen. Friedrich Barbarossa hingegen zog mit seinem Sohn Friedrich von Schwaben den Landweg vor. Obwohl dieser Kreuzzug glänzend vorbereitet war, z.B. durch Bündnisse mit den Ländern, die das Heer durchziehen musste und durch Absprache mit dem byzantinischen Kaiser, entwickelte er sich für Heer und Reich zur Katastrophe, mit bedingt durch den unerwarteten Tod des Kaisers am 10.Juni 1190 im Fluss Saleph. Zwar kamen Reste des deutschen Heeres bis zur Küste nach Akkon durch, sie wurden dann aber durch die Seuchen dahingerafft. Opfer waren außer Herzog Friedrich von Schwaben z.B. Diepold, Bischof von Passau, und sein Schreiber Tageno, dessen Aufzeichnungen über die Strapazen, Opfer und den Tod des Kaisers zurück ins Reich gelangten und dort das blanke Entsetzen auslösten. Der Kreuzzug hat ein Nachspiel durch die Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz in Wien, der sich eine über einjährige Gefangenschaft (1193) im Wormser Raum anschloss. Der Vertrag zwischen dem Kaiser Heinrich VI. und Richard, dessen Freilassung und die Zahlung von 150.000 Mark Silber (etwa 35 Tonnen Silber), wurde in Worms vereinbart. Er ermöglichte Kaiser Heinrich VI. nicht nur die Eroberung von Sizilien, sondern mit Hilfe des dortigen Normannschatzes auch die Planung eines Kreuzzuges, der noch größer ausfallen sollte als der seines Vaters. Dieser Kreuzzug der Deutschen taucht seltsamerweise nicht in der offiziellen Zählung auf. Wiederum erhält die Stadt Worms eine Schlüsselfunktion im imperialen Machtanspruch der Staufer, denn am Nikolaustag, dem 6. Dezember 1195 nahmen der Kaiser und seine familia, die Spitzen der Reichsministerialiät im Wormser Dom öffentlich das Kreuz, nachdem er es Karfreitag zu Bari zusammen mit seinen Kapellanen bereits heimlich genommen hatte.52 Beteiligt an der Kreuznahme waren in noch größerer Zahl als bei Barbarossa die geistlichen und weltlichen Reichsfürsten, darunter als ranghöchster Geistlicher der Mainzer Erzbischof Konrad von Mainz. Kurz nach der Kreuznahme empfing – wohl auch in Worms – der Kaiser eine Delegation des Amalrich von Lusignan, der Heinrich die Huldigung für Zypern antragen ließ, um aus dessen Händen die Königskrone zu erhalten. Heinrich ging wegen der strategischen Bedeutung der Insel auf das Angebot ein und ließ Amalrich durch die Erzbischöfe von Trani und Brindisi ein Szepter übersenden.53 Die Königskrönung Amalrichs ist auf dem Kreuzzug durch Konrad von Querfurt, Bischof von Hildesheim, 1197 vorgenommen worden. 51 Wormser Chronik von Friedrich Zorn, hrsg. v. Wilhelm Arnold (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart XLIII.), Stuttgart 1857, ND Amsterdam 1969, S. 57 f. 52 Zum Kreuzzug, den Motiven und Teilnehmern ausführlich: Claudia Naumann: Der Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI., Frankfurt/Main 1994. 53 Vgl. Szendes, Heinrich VI., S. 170; Annales Marbcenses/Marbacher Annalen, hrsg. und übers. Von Franz-Josef Schmale (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters Bd. 18a), Darmstadt 1998, S.194. 16 17 Der so genannte vierte Kreuzzug, der zur Eroberung und Plünderung der christlichen Städte Zara (1202) und Konstantinopel(1204) führte, stand unter der geistlichen Führung des Nivelon de Chérisie, der in der Vorbereitungszeit des Kreuzzuges 1198 als Vertreter des französischen Königs Philipp II. Augustus dessen Bündnis mit Philipp von Schwaben in Worms aushandelte und unterzeichnete.54 In Worms hatte Philipp zum ersten Mal den Anspruch auf die Königswürde gestellt, als er am Sonntag nach Ostern hier unter der Krone ging. Der Verhandlung über das Freundschaftsbündnis gegen den Gegenkönig Otto IV. mit Nivelon am 29. Juni 1198 in Worms wohnte auch der Reichsministeriale Werner von Bolanden bei, der sich seit 1202 selbst am Kreuzzug beteiligte, diesen jedoch 1203 mit seinen Anhängern verließ, als der Vorstoß der Venetianer und der französischen und deutschen Kreuzfahrer direkt gegen Konstantinopel richtete.55 Die Weigerung des Bolanders, sich weiter am Kreuzzug der Nibelungen gegen die Christen in Konstantinopel zu beteiligen, spiegelt die Skepsis großer Teile der Geistlichen und der Ritter gegenüber der Legitimation dieses Kreuzzugs und dem Sinn der Kreuzzüge überhaupt wider, zumal Papst Innozens III. wegen der Eroberung der Stadt Zara die Kreuzfahrer exkommuniziert hatte und erst die Intervention des Nivelon und des Jean de Noyon in Rom die Exkommunikation der Kreuzfahrer aufhob. Dennoch wurde der Kreuzzug und die Eroberung Konstantinopels von Kreuzfahrern als von Gott bescherter Sieg betrachtet, wie es aus den Augenzeugenberichten von Geoffroy de Villehardouin und Robert de Clari hervorgeht.56 Das Schiff Pilgerin des Nivelon, Bischof von Soissons, erreichte als erstes durch Gottes Geschick den Verteidigungsturm, über den die Stadt von den Kreuzfahrern erobert werden konnte. Und Nivelon ist dann auch der Sprecher, der das Ergebnis der Kaiserwahl in Konstantinopel verkündet: „Und zu dieser Stunde, welche die Stunde ist, zu der unser Herr geboren wurde, nennen wir ihn: den Grafen Baudouin von Flandern und Hennegau.“57 Dieser Kreuzzug der Nibelungen führte zur absurden Ermordung großer Teile der griechischen Bevölkerung, der Plünderung der reichsten Stadt des christlichen Abendlandes und beendete vorerst die Existenz des oströmischen Reiches. 7. Das Nibelungenlied Die Beschreibung der Nibelungendynastie und ihrer politischen Aktivitäten evoziert abschließend die Frage, ob und inwieweit der Dichter des Nibelungenliedes den Zeitbezug, insbesondere zu den Kreuzzügen in sein Epos eingearbeitet hat. Bei der Betrachtung des Werkes lassen sich folgende Aussagen machen: Die erste Aventiure, die den Wormser Burgondenhof mit seine Protagonisten vorstellt, wird vom Schreiber der Handschrift C als Aventiure von den Nibelungen bezeichnet. Die Besitzer des Nibelungenschatzes Schilbung und Nibelung wurden – berichtet Hagen – von Siegfried mit dem Nibelungenschwert Balmung erschlagen (3. Aventiure) 54 Vgl. Bernd Schütte: König Philipp von Schwaben. Itinerar, Urkundenvergabe, Hof (MGH Schriften, Bd. 51), Hannover 2002, S. 397 ff. 55 Chroniken des vierten Kreuzzuges, S. 42. 56 Chroniken des vierten Kreuzzuges, S. 75 f. und 120 f. 57 Ebd. S. 80. 17 18 Siegfried führt als Herr des Nibelungenlandes König Gunther 1000 Nibelungen-Recken zu, um die erfolgreiche Brautwerbung gegenüber Brünhild zu sichern. (8. Aventiure) Beim Zug von Worms an Etzels Hof unter der Führung von Hagen und Volker im 2. Teil des Epos werden die Burgonden als Nibelungen bezeichnet. Die Darstellung der Wegstrecke, die die Nibelungen bis zu Etzels Hof zurücklegen, den Main aufwärts, durch Ostfranken bis zur Donau und weiter durch Bayern und Österreich entlang der Donau bis hin zur Etzelburg entspricht der Route der drei ersten Kreuzzüge. Die Schlussstrophe der Handschrift C nimmt das Untergangsprogramm der Nibelungen rückblickend auf: Ine sage iu nu niht mere von der grozen not, die da erslagen waren, die lazen ligen tot, wie ir dich an geviengen sit der Hunen diet. hie hat daz maere ein ende. daz ist der Nibelunge liet. (2440) Kommen wir abschließend zum Verhältnis der historischen Nibelungen zu denen, die im Nibelungenlied als Burgonden ihrem Untergang entgegen ziehen. Die Liedfiguren Siegfried und später Hagen als Herren der Nibelungen und ihres Hortes sind zu Trägern des Heldenmythos ausgestaltet: „Der Dichter hat sie in seinem Heldenlied vereinigt und die Darstellung der barbarischen Vorzeit mit jener höfisch-ritterlichen Welt der eigenen Zeit verknüpft“, schreibt Reinhold Kaiser.58 Dabei scheinen die alten maeren vordergründig in die Zeit der Völkerwanderung zu verweisen. Unter dem Mantel des Sagenhaften, des Mythos liegt jedoch – für das zeitgenössische Publikum durchaus erkennbar – der Zeitbezug des nibelungischen Untergangs im Rahmen der Kreuzzüge, wie ihn die Stauferkönige und ihre Heere erlitten haben. So wird Siegfried von seiner liebenden Gattin Kriemhild gegenüber dem Mörder Hagen mit dem Kreuz gezeichnet, das ihn schützen soll, aber tatsächlich die einig verwundbare Stelle seines Heldenkörpers markiert. Und Hagen, der Marschall des Heeres, das er über die Fluten der Donau führen soll, erhält von den sagenhaften Meerfrauen eine trügerische Auskunft über das künftige Schicksal der Nibelungen: Die eine sagt ihm große Ehre voraus, die zweite aber versichert ihm, dass der Zug in den sicheren Tod führt. Ihr Rat, Hagen solle sich als Amelrich ausgeben, um vom Fährmann die Überfahrt zu erhalten, weist die Richtung des Nibelungenzugs ins Heilige Land. Amelrich, der durch veintscheft rawmt dise lant (NL 1584), wie die Meerfrau sagt, spielt wohl auf Amelrich von Lusignan an, der wegen eines Aufstandes gegen den englischen König Heinrich II. 1168 seine Burg verlassen musste, später aber König zunächst von Zypern, dann von Jerusalem wurde. Er war der Garant für den Kreuzzug Heinrich VI. Diese beiden Hinweise auf die Einbeziehung der historisch und zeitgeschichtlich bedeutsamen Familie der Nibelungen in das poetische Konzept des Dichters mögen hier genügen, um die Bezüge des literarischen Werkes zum politischen Geschehen im Reich anzudeuten. Der Mythos vom versenkten Nibelungenschatz verweist dabei auf die Nibelungen am Rhein und nicht an der Donau, gleiches gilt wohl auch für die Niederschrift des Epos um 1200. 58 Reinhold Kaiser: Die Burgunder, S. 203. 18