2.3 Gedächtniskonzeptionen von Aleida und Jan Assmann

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Machtstrukturen und Identität- Zum Erinnern und
Verdrängen im Roman Schlesisches Wetter (2003) von
Olaf Müller
Inhaltsverzeichnis
Seite
1.Literatur und Gedächtnis – Zur Zielbestimmung.................................5
2.Methodologischer Ansatz und Forschungsstand...................................7
2.1 Erinnerungskulturen als Forschungsbereich..........................................................7
2.2 Erinnern vs. Verdrängen........................................................................................8
2.3 Gedächtniskonzeptionen nach Aleida und Jan Assmann......................................9
2.3.1 Das kommunikative und kulturelle Gedächtnis.......................................10
2.3.2 Zwei Modi des kulturellen Gedächtnisses...............................................11
2.4 Konzepte des kollektiven Gedächtnisses nach Maurice Halbwachs...................12
2.4.1 Gedächtnis und soziale Gedächtnisrahmen.............................................13
2.4.2 Generationengedächtnis...........................................................................14
2.5 Die Kultur als Medium des kollektiven Gedächtnisses.......................................14
2.6 Die Erinnerungsorte nach Pierre Nora.................................................................15
2.7Der Begriff ‚Stereotyp’ in kritischer Sicht...........................................................17
2.7.1Heimat und Heimatlosigkeit....................................................................18
2.7.2 Tabuisierung und Ideologisierung von ‚Heimat’....................................19
2.8 Erzwungene Mobilitäten nach dem zweiten Weltkrieg......................................21
2.9 Literatur in narratologischer Perspektive............................................................24
2.9.1 Zur Erzähltheorie .......................................................................................24
2.9.2 Das Verhältnis zwischen dem Erzählen und dem Erzählten......................25
3. Erinnern und Verdrängen in Schlesisches Wetter von Olaf Müller.28
3.1 Die Polenwahrnehmung in der deutschen Literatur - „Schlesisches Wetter“
von Olaf Müller..................................................................................................28
3.1.1 Alexander Schynoski als Erzählfigur- zur Deutschen
Polenwahrnehmung..........................................................................................29
2
3.2 Figuren und Figurenkonstellationen...................................................................31
3.2.1 Aleksander Schynoskis Denken, Fühlen, Handeln...................................32
3.2.2 Familie Schynoski- zur Geschichte der Vertreibung und des
Heimatsverlusts................................................................................................33
3.2.2 Figuren und ihr soziales Umfeld- zur geschlossenen Gesellschaft der
DDR..................................................................................................................36
3.3 Die motivationale Verkettung von Ereignissen in narratologischen
Texten........................................................................................................................38
3.3.1
Motivierung von Ereignissen in Schlesisches Wetter von Olaf
Müller..................................................................................................................40
3.4 Raumentwurf......................................................................................................41
3.4.1 Räumliche Ordnung in Olaf Müllers Schlesisches
Wetter...................................................................................................................42
3.5 Erzählinstanz......................................................................................................46
3.6 Zeitlicher Situations- und Ereignisrahmen........................................................48
3.5 Fazit...................................................................................................................49
4. Zusammenfassung................................................................................50
5. Praktischer Teil- Didaktisierungsvorschläge.....................................52
5.1
Didaktisierungsvorschlag Nr 1........................................................................52
5.2
Didaktisierungsvorchlag Nr 2..........................................................................63
6. Literatur................................................................................................71
6.1 Primärliteratur...............................................................................................71
6.2 Sekundärliteratur........................................................................................71
6.3 Internetquellen............................................................................................73
3
1. Literatur und Gedächtnis – Zur Zielbestimmung
In den letzten Jahren beobachtet man nicht nur im wissenschaftlichen Bereich ein
wachsendes Interrese an den Gedächtnis- und Erinnerungskulturen. Auch in der
Gegenwartsliteratur wird das Verhältnis zwischen dem Gedächtnis, der Erinnerung und
der kollektiven Identität aufgenommen. In der vorliegenden Diplomarbeit wird am
Beispiel des Romanes Schlesisches Wetter von Olaf Müller auf den Zusammenhang
zwischen Literatur und Erinnerungskulturen hingewiesen.
Die Erforschung der einzelnen Erinnerungskulturen ermöglicht die geschichtlichen
Ereignisse zu vergegenwärtigen, was einen großen Einfluss auf das heutige Leben hat.
Gerade das Vergangene gestaltet das Bewusstsein der Menschen sowohl als Individuum
als auch als Kollektiv. Das Gedächtnis des Individuums, in dem sich die Erinnerungen
verankern, ist aber nicht konstant, sondern hat einen dynamischen Charakter. Das
Erinnern und Verdrängen hängt im großen Anmaß von den sozialpolitischen Faktoren
ab. Nicht zuletzt werden durch die Machtstrukturen in der geschlossenen Gesellschaft
bestimmte Phänomene aus der Vergangenheit tabuisiert oder verfälscht. Die
Schriftsteller fühlen sich selbst dafür zuständig, diese sozialpolitischen Verhältnisse zu
analysieren und Bestehendes zu verändern. Von daher sind die literarischen Texte als
Gedächtnismedium besonders geeignet.
Olaf Müller, der Vertreter der neuen Autorengeneration in Deutschland versucht in
seinem Roman die Nachkriegszeit zu vergegenwärtigen. Die Einbettung der
Geschichtserfahrungen von den fiktiven Figuren im Kontext des zweiten Weltkrieges
schafft dem Autor eine Möglichkeit, die damaligen Ereignisse aus der Perspektive der
Gegenwart aufzuarbeiten. Diese Vergegenwärtigung bassiert vor allem auf den
generationenspezifischen Erinnerungen und Erfahrungen der Zeutzeugen, die typische
Ereignisse aus der Vergangenheit wiedergeben. An dieser Stelle sollte man überlegen,
4
wie großen Einfluss die narrativen Texte auf das Bewusstsein der Gesellschaftsgruppen
der einzelnen Nationen hat. In erster Linie wird damit der Bezug auf den
Sonderforschungsbereich Erinnerungskulturen an der Justus-Liebig-Universität Gießen
genommen, in dem die Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen die
kulturellen Erinnerungen sowohl diachron als auch synkron erforscht haben. Weil die
Erinnerungskulturen im engen Zusammenhang zu dem Gedächtnis stehen, werden
hiermit aktuelle Gedächtniskonzeptionen von Jan und Aleida Assmann, Piere Nora,
Maurice Halbwachs und Aby Warburg erläutert. Die Thematik des Romanes ist
umfangreich. Sie betrifft die Frage der Vertreibung und des Heimatverlusts sowie die
deutsch-polnischen Beziehungen in Hinsicht auf die gegenseitigen stereotypen
Vorstellungen. Bei der Analyse des literarischen Textes wird aber nicht nur auf den
Inhalt des Romanes aufmerksam gemacht. Dabei wird auch die Art und Weise der
Vermittlung berücksichtigt. Hiermit legt die vorliegende Diplomarbeit einen besonderen
Nachdruck auf folgende Aspekte des narrativen Textes: die Erzählinstanz, Figuren und
ihr soziales Umfeld, die Raumsemantik und die Zeitgestaltung. Die Berücksichtigung
des Unterschieds zwischen dem Was und dem Wie ermöglicht korrekte Analyse des
literarischen Textes.
5
2. Methodologischer Ansatz und Forschungsstand
2.1 Erinnerungskulturen als Forschungsbereich.
Die
Erinnerung
und
das
Gedächtnis
wurden
zum
Forschungsziel
vieler
kulturwissenschaftlicher Disziplinen. Unter anderem beschäftigten sich damit
Historiker, Germanisten, Anglisten, Orientalisten, Philosophen, Politologen, Soziologen
und Kunsthistoriker. Die Vertreter aller dieser Disziplinen vereinigten sich und
entwickelten
einen
Sonderforschungsbereich.
Das
durch
die
Deutsche
Forschungsgemeinschaft geförderte Konzept entstand im Jahr 1997 an der JustusLiebig-Universität Gießen. Dieses Konzept betraf das Thema der Erinnerungskulturen.
Das Hauptziel der Forschungen war „[...] >> eine konsequente Historisierung der
Kategorie der historischen Erinnerung“1. Damit wird die Ausformung spezifischer
Erinnerungskulturen2 gemeint. Dies geschieht auf zwei Ebenen. Einerseits werden die
Inhalte und Formen kulltureller Erinnerung diachron untersucht, d.h. im Laufe der Zeit
von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Andererseits werden hier bestimmte Phänomene
parallel zu der Gegenwart besprochen. Wie schon der Begriff selbst suggeriert, ist die
Erinnerungskultur nicht homogen sondern heterogen. Es ist „[..] nicht nur in einem
kumulativen, sondern in einem theoretisch reflektierten Sinn von Erinnerungskulturen
die Rede“3. Dem zufolge hat man mit verschiedenen Erinnerungskulturen zu tun, je
nachdem welche Vergangenheitsbezüge in Betracht gezogen werden, z.B. religiöse
Erinnerungskulturen
der
römischen
Antike,
adelige
und
bürgerliche
Erinnerungskulturen des Spätmittelalters, protestantische Erinnerungskulturen, deutsch-
1
Erll, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und
Erinnerungskulturen, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2005, S.13-39 (hier S. 34).
2
Vgl., ebd., S. 35.
3
Ebd., S. 34.
6
judische Erinnerungskulturen, Krieg und Erinnerung im 19. Jahrhundert, russische und
islamische Erinnerungskulturen der Gegenwart4. Grundsätzlich kann man vier Arten der
Erinnerungskulturen unterscheiden:
1. universale Erinnerungskulturen- ( z.B. die Kulturen der alten Griechen und
Römer).
2. partikulare Erinnerungskulturen- (die Kulturen, die nur für bestimmte Gruppen
oder Gesellschaften charakteristisch sind).
3. komplementäre Erinnerungskulturen als sich gegenseitig ergänzende Kulturen.
4. konkurierende Erinnerungskulturen, wenn zwei Erinnerungskulturen synchron
zu einem gleichen Ereignis andere Stellungen nehmen.
Das Konzept des Gießener Sonderforschungsbereichs ist von dem Assmann'schen
Modell des kulturellen Gedächtnisses zu unterscheiden. Das kulturelle Gedächtnis
definiert man Assmann zufolge als ein statisches und überhistoriches Phänomen. Im
Gegensatz dazu geht der SFB davon aus, dass das kulturelle Gedächtnis keine statische
Größe ist, sondern einem ständischen Wandel unterworfen ist. Dank der Erinnerung hat
der Mensch als Individuum einen großen Einfluss auf die Form des kollektiven
Gedächtnisses. Diese Form ändert sich, je nachdem in welchen Rahmenbedingungen es
erinnert wird. Als eine der bedeutesten Faktoren, die die Form des kulturellen
Gedächtnisses bestimmen, gilt die Gesellschaftsformation. Man kann eine offene oder
eine geschloßene Gesellschaftsformation unterscheiden.
2.2 Erinnern vs. Verdrängen
Die Erinnerung definiert man als eine Fähigkeit, sich an etwas zu erinnern 5. Dieser Akt
ist dynamisch, kreativ und prozesshaft, d.h. dank der Erinnerung wird die Form des
Gedächtnisses kreirt. Sie hat einen großen Einfluss darauf, welche Gestalt das
Gedächtnis einer Gruppe oder einer Nation annimmt. An erster Stelle muss es aber
darauf hingewiesen werden, dass man sich nur an diese Personen, Gegenstände und
Ereignisse erinnern kann, die sich ins Gedächtnis tief eingeprägt haben. Hier spielt also
die Relevanz der Inhalte eine Rolle. Manche Inhalte verschwinden aus dem Gedächtnis,
weil sie mit der Zeit ihre Bedeutung verlieren. Die Erinnerung an die Vergangenheit hat
4
5
Vgl., ebd., s. 36.
Vgl., Duden, Mannheim 2007.
7
konkrete Dimensionen. Dies bedeutet, dass nicht alle Details wachgerufen werden,
sondern nur bestimmte Fragmente, die selektiv ausgewählt werden. „Kein Sinn und
keine Logik hält sie zusammen, [...]“6. Die Erinnerung hat einen subjektiven Charakter.
Diese Ereignisse, die für eine Person wichtig sind, können zugleich für die anderen
wertlos sein. Einige Inhalte, die alle Mitglieder einer Gruppe betreffen, können
identitätstiftend wirken. Die Erinnerung eines Mitgliedes wird sich aber von den
anderen wesentlich unterscheiden. Jeder Mensch sammelt doch eigene Erfahrungen und
nimmt die Realität auf andere Art und Weise wahr. Von Bedeutung ist die Tatsache,
dass die Erinnerung die Substanz des Lebens ist, denn sie kreirt die Persönlichkeit des
Menschen und weckt das Gefühl der Sicherheit. Diese Wichtigkeit wiederspiegeln am
besten die Worte von Gabriel García Márquez: „Das Leben ist nicht das, was man erlebt
hat, sondern an was man sich erinnert“7. Trotzdem muss es hier gesagt werden, dass die
Erlebnisse im gewissen Grade das Gedächtnis beeinflußen. Darunter versteht man vor
allem diese Erlebnisse, die bedrängt und unangenehm sind. Diese werden unbewußt aus
dem Gedächtnis verdrängt. Die Deaktivierung bestimmter Inhalte kann durch
verschiedene Faktoren verursacht werden. Die Erfahrungen, die die Leute während des
zweiten Weltkrieges und kurz danach gesammelt haben, hatten einen großen Einfluss
auf ihre Psyche. Viele von ihnen weigern sich heutzutage, dieses heikle Thema zu
berühren. Obwohl die Frage der Vertreibung der Deutschen nach dem zweiten
Weltkrieg nicht mehr ein Tabuthema ist, ruft sie sowohl in Deutschland als auch in
Polen eine negative Konnotation hervor. Es gibt immer weniger Zeuge, die dieses, wie
die Deutschen sagen, Verbrechen gegen der Menschheit am eigenen Leib erfahren
haben. Die Erinnerung an diese Zeit sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, denn sie
gilt als eine Mahnung für die nachfolgenden Generationen.
2.3 Gedächtniskonzeptionen von Aleida und Jan Assmann
Zu den wichtigsten Forschern des Gedächtnisdiskurses gehören Aleida und Jan
Assmann, die sich seit den 1980er Jahren innerhalb des deutschsprachigen Raums mit
dem Begriff „das kulturelle Gedächtnis“ auseinandersetzen. Jan Assmann, Professor
der Egyptologie, hat zwei Begriffe geprägt: das kulturelle Gedächtnis und das
kommunikative Gedächtnis. Aleida Assmann dagegen befasst sich mit dem Gedächtnis
6
7
Stasiuk, Andrzej: Erinnerung. In: In: Kafka, Zeitschrift für Mitteleuropa Nr. 2/2001, S. 6-10 (hier S. 6).
Ebd., S. 10.
8
als ars und vis. Hier muss man zwei Begriffe erwähnen: das Funktionsgedächtnis und
das Speichergedächtnis.
Die Basis der Assmann'schen Theorie ist die Verbindung von Kultur und Gedächtnis8.
Jan Assmann macht in seinem Diskurs auf drei Aspekte aufmerksam, die im engen
Zusammenhang
zueinander
stehen,
d.h.:
kulturelle
Erinnerung,
kollektive
Identitätbildung und politische Legitimierung. Das kullturelle Gedächtnis gestaltet sich
Assmann zufolge in Abhängigkeit von Machtstrukturen, Gesellschaftformationen und
Erinnerungsbedürfnissen. Je nachdem welche Inhalte zirkuliert werden, ändert sich das
kulturelle Gedächtnis, das wieterhin die Identitätsbildung beeinflußt. Daraus ergibt sich,
dass das kulturelle Gedächtnis prozesshaftig ist und Veränderungen unterworfen ist.
2.3.1 Das kulturelle und kommunikative Gedächtnis
Jan Assmann kommt in seinem Konzept zu dem Schluss, dass das kollektive Gedächtnis
auf zwei Ebenen betrachtet werden kann, die voneinander zu unterscheiden sind.
Einerseits ist das kollektive Gedächtnis
auf die Alltagskommunikation bezogen,
andererseits basiert es auf symbolträchtige kullturelle Objektivationen9. Deshalb spricht
er von zwei Gedächtnis-Rahmen, für die andere Inhalte, Formen, Medien, Zeitstruktur
und Träger charakteristisch sind.
Das kommunikative Gedächtnis wird durch die Alltagsinteraktionen realisiert. Die
Geschichtserfahrungen, die als Gegenstand der Kommunikation gelten, werden
mündlich überliefert. Aufgrund dessen stellt Assmann fest, dass das kommunikative
Gedächtnis im Bereich der Oral History funktioniert. Hier sieht man die Ähnlichkeit zu
dem Konzept des Generationengedächtnisses von Maurice Halbwachs. Weil die Träger
des kommunikativen Gedächtnisses die Zeitzeugen sind, ist der Zeithorizont begränzt
und dauert von etwa 80 bis 100 Jahren. Das betrifft also drei bis vier Generationen. Die
Form der Überlieferung ist chaotisch und hängt von der Erinnerung ab. Die Inhalte, die
in Folge der Alltagskommunikation ausgetauscht werden, betreffen persönliche
Erfahrungen der Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft. Weil sich die Erinnerung
in Abhängigkeit von der politischen Machtstrukturen und Sozialformen gestaltet,
verändert sich ständig das kommunikative Gedächtnis. Die Inhalte, die da kommuniziert
8
9
Vgl. Erll, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und
Erinnerungskulturen, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2005, S.13-39 (hier: S. 27)
Vgl., ebd., S: 27.
9
werden, haben eher private Dimension. Angesichts dessen wird es ihnen keine feste
Bedeutung zugeschrieben. Dies bedeutet, dass die Inhalte allgemein verbindlich sein
können, auch für die nachfolgenden Generationen. Die gemeinsame Vergangenheit, die
aus mehreren individuellen Biographien besteht, kann von allen Zeitgenossen
mitreflektiert werden.
Das kurturelle Gedächtnis, im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis, bezieht sich
nicht auf den Alltag, sondern markiert eine viel breitere Zeitspanne. Es reicht in eine
absolute Vergangenheit. Das Erinnerte wird in Form von Mythen und Legenden
gespeichert und an kulturelle Objektivationen weitertransportiert. Die Inhalte werden
traditionell durch Wort, Bild und Tanz kodiert.
Sie beinhalten mythische
Urgeschichten, wie z. B. Heldengeschichte über Kampf um Troja oder der Auszug aus
Ägypten. Das kulturelle Gedächtnis ist geordnet und verbindet sich mit einer
Zeremonie. Nicht alle sind für die Interpretation und Vermittlung des Erinnerten
geeignet. Als Träger des kulturellen Gedächtnisses gelten nur diese Leute, die dazu
ausgebildet werden, z.B. Priester, Schamanen, Archivare, Professoren
oder
Journalisten. Die Texte, Bilder und Riten, die in Rahmen dieser Gedächtnisform
wietergegeben werden, spielen in der bestimmten Gemeinschaft, Gesellschaft, Epoche
eine sehr wichtige Rolle. Sie sind für das Selbstbild einer Gruppe, Gesellschaft von
Bedeutung. Darüber hinaus entwickelt sich durch diese Inhalte das Bewusstsein von
Einheit und Eigenheit der Gemeinschaft. Sie haben also einen großen Einfluss auf die
Identitätsbildung.
Im Konzept von Assmann wird auch festgestellt, dass zwischen dem kommunikativen
und dem kulturellen Gedächtnis eine Lücke entsteht, die als ‚ floating gap’10 genannt
wird. Dieser Begriff hat der Ethnologe Jan Vansina eingeführt. Assmann weist darauf
hin, dass diese Lücke den Unterschied zwischen der lebendigen Erinnerung des Alltags
und der, die in der Öffentlichkeit funktioniert, wiederspiegelt.
2.3.2 Zwei Modi des kulturellen Gedächtnisses
Aleida Assmann konzentrierte sich in ihrem Buch „Erinnerungsräume” darauf, wie das
kulturelle Gedächtnis in der Neuzeit geformt wird und ob es den Wandlungen
unterliegt. Wenn man davon ausgeht, das das Gedächtnis ein heterogenes und
10
Vgl., ebd., S: 28.
10
dynamisches Phänomen ist, so kann man zwei Gedächtnispraktiken unterscheiden:
Gedenken und Erinnern. Die Anglistin stützte sich in ihrer Arbeit auf zwei Begriffe, die
schon in der Antike eingeprägt worden sind. Es geht hier um zwei Vorstellungen vom
Gedächtnis: als ars und als vis. „Das Gedächtnis als "ars" bezieht sich auf "Verfahren
der Speicherung" nach topographischem, also räumlichem Vorbild, das eine identische
Rückholung des Gespeicherten garantieren soll“11. Nach diesem Konzept wird das
Gedächtnis als ein Wissensspeicher definiert, in dem verschiedene Daten, Fakten,
Ereignisse verankert werden. Es entsteht dadurch eine Möglichkeit, nach bestimmten
Informationen zurückzugreifen. Nicht alle Daten werden aber aktiviert. Manche werden
vergessen, weil sie nicht so relevant sind. Die zweite Memorialfunktion ist mit einer
antropologischen Kraft12 verbunden. Darunter versteht man eine "Verschiebung,
Verformung, Entstellung, Umwertung, Erneuerung des Erinnerten"13. Das Gedächtnis
hat also einen prozesshaften Charakter. Aleida Assmann geht in ihrer Überlegungen
weiter und unterscheidet zwei Modi, in denen das Gedächtnis funktioniert, d.h. das
„bewohnte Funktionsgedächtnis" und das "unbewohnte Speichergedächtnis". Diese
zwei begriffe sind voneinander zu unterscheiden. Das Speichergedächtnis gilt als „[...]
das
Repertoire verpaßter Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter
Chancen“14. Hier werden alle lebendige Erinnerungen gespeichert, die aber
unbrauchtbar sind. Die Inhalte, die in diesem Modus funktionieren, können potentiell
aufgenommen werden. Wenn es dazu kommt, werden sie in das Funktionsgedächtnis
transportiert, d.h. aktiviert. Daraus ergibt sich, dass die Grenze zwischen dem
Speichergedächtnis und dem Funktionsgedächtnis durchlässig ist. Es entsteht ein
"Binnenverkehr zwischen aktualisierten und nichtaktualisierten Elementen"15.
2.4 Konzepte des kollektiven Gedächtnisses nach Maurice Halbwachs
11
Matussek, Peter: Erinnerung und Gedächtnis, unter: www.peter---matussek.de/pub/A32.html/ Zugriff
am:10.02.2009.
12
Vgl. Erll, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und
Erinnerungskulturen, a.a.O., S. 31.
13
Matussek, Peter: Erinnerung und Gedächtnis, unter: www.peter---matussek.de/pub/A32.html/ Zugriff
am:10.02.2009.
14
Erll, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und
Erinnerungskulturen, a.a.O., S. 31).
15
Langthaler, Ernst: Geschichte(n) über Geschichte(n).Historisch-anthropologische Feldforschung als
reflexiver Prozess, unter: www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/707/1532/Zugriff
am:10.02.2009.
11
Das
Gedächtnis
und
die
Erinnerung
wurden
zum
Forschungsziel
vieler
Wissenschaftler. Zu den wichtigsten Forschern, die sich mit diesen Themen befasst
haben, gehört der französische Soziologe, Maurice Halbwachs. Über 20 Jahre seines
Lebens beschäftigt er sich mit dem kollektiven Gedächtnis und seinen sozialen
Bediengungen. Halbwachs hat drei Schriften darüber verfasst, aus denen eine erst nach
seinem Tod veröffentlicht wurde. Gerade in diesen Werken entwickelte er zwei
Begriffe, die bis heute auf den Gedächtnisdiskurs einen großen Einfluss haben, d.h.
mémoire collective (das kollektive Gedächtnis) und cadres sociaux (die sozialen
Bezugsrahmen des Gedächtnisses). Im Konzept von Halbwachs unterscheidet man drei
Untersuchungsbereiche:

Das kollektive Gedächtnis im Sinne des sozialgeprägten individuellen
Gedächtnisses.

Das
Generationengedächtnis
als
eine
Form
der
kollektiven
Vergangenheitsbildung.

Das kollektive Gedächtnis im Sinne der Tradierung des kulturellen Wissens.
2.4.1 Gedächtnis und soziale Gedächtnisrahmen
Nach dem Verständnis von Halbwachs stehen das individuelle und das kollektive
Gedächtnis in einer Wechselbeziehung zueinander. Dies bedeutet, dass das kollektive
Gedächtnis nichts anders als ein individuelles Gedächtnis ist, das von den sozialen
Faktoren bedingt ist. Halbwachs geht davon aus, dass der Mensch ein soziales Wesen
ist. Dem zufolge braucht er ein soziokulturelles Umfeld. Ohne die Interaktion und die
Kommunikation mit den anderen Mitmenschen hätte er keinen Zugang zu kollektiven
Phänomenen wie Sprache und Sitten: „[...] jedes individuelle Gedächtnis ist ein
<Ausblickspunkt> auf das kollektive Gedächtnis“16. Diesen <Ausblickspunkt> versteht
man als einen Standort, in dem das Individuum von seiner Sozialisation und von der
kulturellen Prägung beeinflußt wird. Diese soziokulturelle Prägung wird auf der
materiellen, mentalen und sozialen Ebene realisiert. „Das Individuum erinnert sich,
indem es sich auf den Standpunkt der Gruppe stellt, und das Gedächtnis der Gruppe sich
16
Erll, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen
Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und
Erinnerungskulturen, a.a.O., S. 16.
12
verwirklicht und offenbart in den individuellen Gedächtnissen“17. Angesichts dessen ist
das kollektive Gedächtnis nicht eine Instanz, die von Individuen unabhängig egsistiert,
sondern wird durch die Teilnahme des Individuums am sozialen Leben und durch die
Erfahrungen, die es im Kreis anderer Menschen sammelt, konstituiert. Der Prozess der
Sozialisation geschieht aber nicht in einer Gruppe, sondern in verschiedenen Gruppen
und Gemeinschaften. Sie efüllen eine sehr wichtige Rolle, „[...] denn ohne sie können
Sinnwelten weder entstehen noch weitergegeben werden“18. Die Wahrnehmung des
Individuums und seine Erinnerungen hängen davon ab, in welchem Milieu der Mensch
funktioniert. Daraus ergibt sich, dass die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses
gruppenspezifisch sind.
2.4.2 Das Generationengedächtnis
Der Mensch als Individuum funktioniert in bestimmten Gruppen, deswegen
unterscheidet man Halbwachs zufolge verschiedene Ausprägungen des kollektiven
Gedächtnisses19. Zu diesen sozialen Umfeldern, in denen das Individuum existiert,
gehört die Familie. „Das Familiengedächtnis ist ein typisches intergenerationelles
Gedächtnis“20. Das Wort ‚intergenerationell’ verweist darauf, dass die einzelnen
Mitglieder
der
Familie
verschiedenen
Generationen
angehören.
Weil
Familienangehörige einen bestimmten Erfahrungshorizont teilen, sind sie als Träger des
kollektiven Gedächtnisses bezeichnet. Im Kreis der Familie kommt es zum „[...]
Austausch lebendiger Erinnerung zwischen Zeitzeugen und Nachkommen“21. Dieser
Austausch wird auf zwei Ebenen realisiert. Einerseits konstituiert sich das
Generationengedächtnis dadurch, dass die Familienmitglieder in Interaktionen
miteinander treten. Darunter versteht man gemeinschaftliche Handlungen und geteilte
Erfahrungen22. Andererseits wird das Familiengedächtnis durch die Kommunikation
kreiert. Bei der Kommunikation werden vor allem die individuell-autobiografischen
Erinnerungen an vergangene Ereignisse aus der Familiengeschichte hervorgerufent.
Durch diese Partizipation kann man auch davon erfahren, was man am eigenen Leib
17
Ebd., S. 16.
Ebd., S. 15.
19
Vgl., ebd., S. 16.
20
Ebd., S. 16.
21
Ebd., S. 16.
22
Vgl., ebd., S. 16.
18
13
nicht erlebt hat. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass das Generationengedächtnis
nur so weit reicht, wie die Erinnerungen der ältesten Mitglieder zurückgreifen.
2.5 Die Kultur als Medium des kollektiven Gedächtnisses
Die Studien von Aby Warburg sind Teil einer interdisziplinärorientierten Arbeit an dem
kollektiven Gedächtnis. Obwohl sein Konzept in den 20er Jahren entstanden ist, hat es
bis heute einen großen Einfluss auf den Gedächtnisdiskurs. An der ersten Stelle muss
aber darauf hingewiesen werden, dass seine Überlegungen sich wesentlich von den
anderen unterscheiden. Aby Warburg geht davon aus, dass das zentrale Medium des
kollektiven Gedächtnisses nicht wie bei Halbwachs die mündliche Rede ist. Er setzt sich
lieber für die materielle Dimension der Kultur ein. Da „[...] Kultur und ihre
Überlieferung Produkte menschlicher Tätigkeit[...]“23 sind, stellte Warburg das
Kunstwerk als ein zentraler Träger des kollektiven Gedächtnisses in den Vordergrund.
Die Kunst hinterlässt seiner Meinung nach bestimmte, geistige Spuren, die er kulturelle
Engramme oder Dynamogramme nannte. Das Kunstwerk existiert unabhängig von dem
Raum und kann lange Zeiten überdauern. Dem zufolge kann man also sagen, dass die
<mnemische Energie> speichernde Kunst in bestimmten Elementen in den
nachfolgenden Epochen und in verschiedenen Kulturräumen wiederaufgenommen
werden kann. Als Beispiel für diese wiederkehrende künstlerische Formen gelten die
antiken Vorbilder, die in den Kunstwerken der Renaissancekünstler wiederauftauchen.
Aufgrund dessen entwickelte Warburg einen Begriff: Pathosformeln. Sie haben einen
symbolischen Charakter und wiederspiegeln leidenschaftliche Erregung in Gebärde
oder Physiognomie24. Die Pathosformeln können sich also einerseits auf den
menschlichen Ausdruck beziehen, andererseits können sie mit dem Denken, Fühlen
oder Handeln im Zusammenhang stehen.
2.6 Die Erinnerungsorte nach Pierre Nora
Das Konzept von Pierre Nora hat im Vergleich zu den Konzepten von Halbwachs und
Warburg eine ganz andere Dimension. Der Unterschied besteht hier darin, dass die
Arbeiten von Halbwachs und Warburg in einem völlig anderen Zeitraum entstanden
23
24
Ebd., S. 21.
Vgl., ebd., S. 19.
14
sind, nähmlich in den 20er und 30er Jahren. Ihr Bezugspunkt griff auf das 19.
Jahrhundert, also auf das Jahrhundert der Nationalstaaten zurück. Pierre Nora äußerte
sich zu dem Thema des kollektiven Gedächtnisses erst 50 Jahre später. Dem zufolge
war sein Ausgangspunkt völlig anders. Das von Nora entwickelte Konzept wurde durch
die postmoderne Realität geprägt. In dieser Zeit beobachtet man in vielen europäischen
Ländern die Tendenz, dass man langsam von der Nationalstaatlichkeit abweicht
zugunsten der Idee des gemeinsamen Europas.
Pierre Nora stellte in seinem Konzept die These, dass es heutzutage kein einheitliches
kollektives Gedächtnis gibt, das identitätsstiftend wirken würde. Die Ursache dessen
liegt daran, dass die Struktur der heutigen Gesellschaften nicht einheitlich ist. Als
Beispiel gilt für ihn sein eigenes Land. Die französische Gesellschaft ist eine
multinationale Gesellschaft, in der es viele Leute mit dem Migrationshintergrund gibt.
Deren Vorfahren kommen aus anderen Kulturkreisen. Pierre Nora operiert deswegen in
seiner Arbeit lieber mit dem Begriff: die Erinnerungsorte. Dies versteht man als loci im
Sinne der antiken Mnemotechnik, „[...] die die Erinnerungsbilder der französischen
Nation aufrufen“25. Als diese französischen Erinnerungsorte können Nora zufolge
geographische Orte, Gebäude, Denkmäler, Kunstwerke aber auch historische
Persönlichkeiten, Gedenktage, philosophische und wissenschaftliche Texte oder
symbolische Handlungen26 gelten. Diese Erinnerungsorte erfüllen eine bestimmte
Funktion. Sie sind „[...] eine Art künstlicher Platzhalter für das nicht mehr vorhandene,
natürliche kollektive Gedächtnis“27. Nach dem Verständnis von Nora kann man also
über bestimmte Erinnerungsorte an die Vergangenheit anschließen. Hier muss aber
daran hingewiesen werden, dass nicht jedes Kulturphänomen als ein Erinnerungsort
gelten kann. Nora geht davon aus, dass die Erinnerungsorte drei Bedingungen erfüllen
müssen:
1. Materielle Dimension: Hier geht es darum, dass die kulturellen Objektivationen
nicht unbedingt fassbare Gegenstände wie Gebäude, Denkmäler oder
Kunstwerke sein müssen. Alle Kulturphänomene, die als ein „materieller
Ausschnitt einer Zeiteinheit“28 gelten, können als Erinnerungsorte betrachtet
werden.
25
Ebd., S. 23.
Vgl., ebd., S. 23.
27
Ebd., S. 23.
28
Ebd., S. 24.
26
15
2. Funktionale Dimension: Die Objektivationen müssen zu einem bestimmten
Zweck dienen. Durch diese Erinnerungsorte sollte bei dem Empfänger eine
Erinnerung wachgerufen werden. So eine Funktion erfüllt zum Beispiel die
Schweigeminute.
3. Symbolische Dimension: Die kulturellen Objektivationen sollten auch einen
symbolischen Charakter haben. Hier könnte man rituale Handlungen oder Orte
mit einer <<bestimmten Aura>>29 nennen.
Es muss aber noch dazu hinzugefügt werden, dass man nur dann mit dem
Erinnerungsort zu tun hat, wenn er (egal ob material, sozial oder mental) „[...] auf
kollektiver Ebene bewusst oder unbewusst in Zusammenhang mit Vergangenheit oder
nationaler Identität gebracht wird“.
2.7 Der Begriff ‚Stereotyp’ in kritischer Sicht
Der Begriff „ Stereotyp” kann auf verschiedene Art und Weise definiert werden und
sowohl positiv als auch negativ betrachtet werden. Das Wort ‚Stereotyp’ ist von dem
Grichieschen abgeleitet worden: stéreo= starr, fest und týpos= Schlag; Eindruck;
Muster, Modell. Die einfachste Definition dieses Wortes lautet dem entsprechend: mit
gegossenen feststehenden Typen gedruckt30.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Arbeit an diesem Phänomen interdisziplinär
ist. Dieses Wort taucht in verschiedenen Fachrichtungen wie Soziologie, Psychologie
und Linquistik auf. Zu den ersten Forschern, die sich mit dem Begriff ‚Stereotyp’
auseinandergesetzt haben, gehört Walter Lipmann, der amerikanische Publizist und
Soziologe. Er führte die Theorie der öffentlichen Meinung ein. Lipmann geht in seinem
Konzept davon aus, dass der Mensch nicht alles am eigenen Leib erfahren kann, deshalb
muss er verallgemeinern und klassifizieren. Der Prozess der Bildung von Stereotypen
ist demzufolge mit einer ‚Ökonomie des Denkens’31 verbunden. Die Stereotype kann
man mit den Bildern vergleichen, die in den Köpfen der Menschen entstehen. Darunter
versteht man bestimmte Vorstellungen, die alle Lebens- und Themenbereiche
durchziehen. Die können entweder eigene Gruppe (z.B. Nation) betreffen oder sich auf
eine fremde Gruppe beziehen. Von daher unterscheidet man Autostereotype (Stereotype
29
Vgl., ebd., S. 24.
Vgl., Duden, Mannheim 2007.
31
Vgl. Zimniak, Paweł: Nachbarn literarisch-Zu Polenbildern in der neuesten deutschen Literatur. In:
Kolago, Lech (Hg.): Studia niemcoznawcze, tom XXXVI, Warszawa 2007, S. 195-211 (hier S. 196).
30
16
über das Eigene) und Heterostereotype (Stereotype über das Fremde). In Überlegungen
von Ansgar Nünning wird das Stereotyp als eine „(zumeinst unbewußte) kognitive
Strategie der selektiven Wahrnehmung und Komplexitätsreduktion“32 definiert. Dies
bedeutet, dass die Stereotypenbildung davon abhängig ist, wie man sich selbst und die
anderen wahrnimmt. Dazu soll man noch hinzufügen, dass nicht alle Eigenschaften
hervorgehoben werden, sondern nur diese, die meist oberflächlich aber zugleich
besonders
aufällig
sind.
Die
Stereotype
sind
stark
vereinfachte
und
wahrnehmungsprägende Schemata. Weil sie oft weit verbreitet sind, lassen sie sich
schwer ändern.
Der Begriff „Stereotyp“ verwendet man in der Sozialwissenschaft, Kulturtheorie und in
der Literatur, um unter anderem die Beziehungen zwischen verschiedenen Nationen zu
beschreiben. Die Genese, Entwicklung und Wirkung von Stereotypen im literarischen
Bereich untersucht die komparatistische Imagologie.
2.8 Heimat und Heimatlosigkeit
Wenn man sich mit dem Begriff ‚Heimat’auseinandersetzt, muss man darauf
aufmerksam machen, dass es keine einheitliche Definition dieses Wortes gibt. Um das
vollkommend zu verstehen, soll man ihre historische Entwicklung in Betracht ziehen.
Die
Definition
von
Heimat
hat
verschiedene
Bedeutungsfacetten
und
Verwendungszusammenhänge33. Die Bedeutung dieses Wortes ist also nicht konstant,
hat sich im Laufe der Zeit geändert, je nachdem in welchem Zusammenhang es
verwendet worden ist. Das Wort ‚Heimat’ assoziiert man vor allem mit „ [...] dem Ort
der Kindheit und des Vertrauens, der Sprache und der Kultur, der Zugehörigkeit und der
Verwurzelung“34. In erster Linie bezieht es sich also auf den Ort, „in den der Mensch
hineingeboren wird, wo die frühen Sozialisationserfahrungen stattfinden, die weithin
Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und auch Weltauffassungen prägen“ 35.
32
Nünning, Ansgar ( Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Asätze-PersonenGrundbegriffe. 3. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (erweitert und aktulisiert), S. 626f. Nünning, Ansgar: Das
Image der (hässlichen?) Deutschen. Möglichkeiten der Umsetzung der komparatistischen Imagologie in
einer landeskundlichen Unterrichtsreihe für den Englischunterricht. In: „Die neueren Sprachen“
93.2/(1994), S. 160-184.
33
Vgl. Zimniak, Paweł: Heimatverbundenheit und Weltäufigkeit. In: Grimberg, Martin/ Engel, Urlich/
Kaszyński, Stefan (Hg.): „Cvivium. Germanistisches Jahrbuch“. Bonn:DAAD 2002, S. 75-98 (hier
S.76).
34
Bordersen, Ingke/ Dammann, Rüdiger: Überall und Nirgendwo. In: Kafka, Zeitschrift für Mitteleuropa
Nr 2/2001,S.4-5 (hier S.4).
35
Brockhaus-Enzyklopädie 1989
17
Obwohl man dieses Wort zur Unterscheidung
zwischen dem Eigenen und dem
Fremden verwenden kann, ist es notwendig zu sagen, dass ‚Heimat’ kein Vaterland ist.
Über das Wort ‚Vaterland’ definiert man eine nationale Zugehörigkeit. Heimat
assoziiert man eher mit dem Privatem, Individuellem. Dazu gehören nicht nur
Landschaft, sondern auch die Menschen, mit denen man zusammenlebt. Dieser Begriff
kann auch im übertragenen Sinne definiert werden. „Heimat als Sicherheit bedeutet die
Möglichkeit der Entwicklung eines Gefühls des Sich-sicher-Fühlens,[...]“36 . Heimat
erweckt bei den Menschen bestimmte Gefühle, Erinnerungen, Emotionen, mit denen
man sich identifiziert. Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass Heimat einem
Menschen für ewig gegeben ist. „Heimat kann auch verloren gehen, beschädigt oder
zerstört werden“37
(durch Kriege oder ungunstige politische Veränderungen).
2.8.1 Tabuisierung und Ideologisierung von „Heimat“
Zum ersten Mal erschien dieses Wort im 16. Jahrhundert und zwar als Neutrum, als das
Heimat. Im ursprünglichem Sinne verband es sich mit dem väterlichen Erbe, mit Haus
und Hof. Nur der älteste Sohn hatte das Recht, die Hofanlage ( das ganze Heimat) zu
erben. Die anderen mussten das Eigentum verlassen und blieben besitzlos. Unter dem
Begriff ‚Heimatlosigkeit’ versteht man also zugleich Besitzlosigkeit. Wer das Heimat
besass, der war auch ein Mitglied der Gemeinde und dem standen kommunalpolitische
Rechte zu. Diese Rechte konnte man auch durch Geburt, Einheirat, Einkauf oder
aufgrund verschiedener Verdienste erwerben, d.h. man musste auch für Gemeinde
arbeiten, aktiv sein, sich mit dieser Umgebung identifizieren. Das Wort „Heimat“ verlor
aber im 19. Jahrhundert diese unpolitische, lokale, regionale Bedeutung. In dieser Zeit
kam es in vielen europäischen Staaten, auch in Deutschland, zur politischen
Veränderungen. Im Jahre 1871 wurde Deutschland zum Nationalstaat. In Folge der
Vereinigung über 300
zersplitterter Fürsentümer stieg rasch die Mobilität. Die
Menschen, die heimatlos waren, zogen in die sich immer schneller entwickelten Städte
nach der Suche der Arbeit. Die Industrialisierung zwang die Leute, sich an die neue
Realität, an die neuen Lebensbedingungen anzupassen. Ihre bisherige Denkensweise
Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Literarische Fallstudien.
Wrocław/Dresden: Neisse Verlag 2007, S.25-81 (hier S.71).
37
Ebd., S.71.
36
18
musste umgestellt werden. Das Wort „Heimat“ wurde gerade in dieser Zeit politisiert,
d.h. es wurde mit den Begriffen Vaterland, Nation gleichgestellt. Die Leute sollten sich
nicht mehr mit dem Haus und Hof identifizieren, sondern mit dem vereinigten
Deutschland.
Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus kam es zum zweiten Mal zu „einer
wesentlichen Stärkung der politischen Dimension des Heimat-Begriffs“38. Die Blut und
Boden-Ideologie hatte zum Ziel, das Fremde ins Abseits zu verschieben. Die Wörter:
‚Blut’und ‚Boden’ symbolisierten „einen quasi-biologischen Zusammenhang zwischen
der Bevölkerung und dem Territorium“39 . Die Annäherung der Begriffe: Heimat, Volk
und Rasse verursachte die Ausstoßung „unwertiger ud untauglicher Kräfte“40. Die NSHeimatideologie wurde von Hitler zur Entwicklung des Antisemitismus ausgenutzt. Der
Missbrauch dieses Begriffs hatte zum Ziel, das kollektive Bewusstsein nationaler
Zugehörigkeit zu stärken. Das Individuum sollte davon überzeugt sein, dass die
Deutschen eigenartig und auserwählt sind. Das Wort Heimat wurde zum Kampfbegriff,
mit dem sich große Menschenmassen identifiziert haben. Die von Nationalsozialisten
ausgeübte Rassenideologie führte zur Entstehung eines neuen Staates, in dem die
Bevölkerung den Anordnungen der Regierung folgte und gehorsam mitmarschierte. Das
Zitat, das 1933 durch die Zeitschrift „Die Heimat“ veröffentlicht wude, wiederspiegelt
genau diese Blut und Boden-Ideologie:
Volk und Heimat sind durch das Werden eines neuen Staates wieder
zu einem Begriff geworden. Blut und Boden sind Träger einer
gestaltenden Staatsidee, die bewußt alle Traditon und Geschichte
gewordene Vergangenheit an alle gutwilligen, eigenstarken Kräfte der
Gegenwart bindet, ein sauberes, sicheres Haus deutscher Zukunft zu
bauen.
Dieser Neubau beginnt die Ausscheidung und Ausstoßung unwertiger
Kräfte und untauglichen Baustoffes. Er verlangt aber auch
glaubensfrohe, arbeitswillige Mithelfer und Mitreiter, soll er das Haus
der deutschen Volksgemeinschaft werden. Aus Blut und Boden soll
das neue Reich entstehen, auf dem Boden deutscher Heimat soll das
Werk sich erheben, aus der Blutsgemeinschaft soll die
Volksgemeinschaft werden.41
38
Ebd., S.68.
Alexander von der Borch Nitzling: Zum Heimatbegriff , unter: www.transodra-line.net.de/node/1381/
Zugriff am: 2.01.2009.
40
Zimniak, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Literarische Fallstudien, a.a.O.,
S.69.
41
Zimniak, Paweł: Heimatverbundenheit und Weltäufigkeit. In: Grimberg, Martin/ Engel, Urlich/
Kaszyński, Stefan (Hg.): „Cvivium. Germanistisches Jahrbuch“. Bonn:DAAD 2002, S. 75-98 (hier
S.76).
39
19
Das Wort ‚Heimat’ wurde auch im Zusammenhang mit dem Vertreibungsschicksal der
Deutschen und anderer Nationen nach 1945 politisiert und ideologisiert. Durch die
Zwangsausweisungen und die Flucht geriet der Heimatbegriff in eine andere
Dimension. ‚Heimat’ wurde als ein Gut erklärt, auf das jeder Mensch Recht hat.
Christian Graf von Krockow verweist in seinem Beitrag: „Vom Recht und Unrecht auf
Heimat“ auf einen sehr wichtigen Aspekt. Er bezieht sich darauf, dass es unzulässig ist,
dass ein Mensch egal mit welcher Begründung dazu gezwungen ist, von seiner Heimat
vertrieben zu sein, denn das Recht auf Heimat ist ein Grundrecht jedes Menschen. Es
darf jedoch nicht übersehen werden, dass „das Heimatrecht des einen Menschen ein
Recht auf Heimat des anderen nicht ausschließen darf“42.
Die ideologisch-politische Überstrapaziertheit des Heimatbegriffs während und nach
dem zweiten Weltkrieg trug im Endefekt zur Tabuisierung dieses Wortes bei. Die
Jugendgeneration wollte mit vaterländischen Werten43 nichts mehr zu tun haben.
Das Wort ‚Heimat’ruft seit der NS-Zeit eine negative Konnotation hervor. Nicht zuletzt
muss aber darauf hingewiesen werden, dass man sich auch an peinliche Erfahrungen
erinnern sollte. Sie darf man auf keinen Fall aus der gemeisamen Geschichte tilgen,
denn
aus
jeder
(auch
unangenehmen)
Erfahrung
soll
man
bestimmte
Schlußfolgerungen für die Gegenwart und für die Zukunft ziehen, um Fehler der
Vorfahren nicht zu begehen.
2.9 Erzwungene Mobilitäten nach dem zweiten Weltkrieg
Rund zwanzig Millionen Menschen, die meistens aus Polen, Russland, Deutschland,
Ukraine, ehemaliger Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Jugoslavien kamen,
erlebten kurz nach dem Kriegsende am eigenen Leib
die Vertreibung. Nur die
Deutschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen wurden, waren etwa zwölf
Millionen. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges erarbeiteten die Siegermächte einen
Plan, nach dem „[...] zwischen Deutschland und der Sowjetunion homogene
Nationalstaaten ohne größere etnische Minderheiten entstehen sollten“44. Diese Politik
nennt man heutzutage <<ethnische Säuberung>>.
42
Unter anderem darüber berieten
Ebd., S. 76.
Vgl., ebd., S. 86.
44
Thum, Gregor: Bevölkerungsaustausch. In: Die fremde Stadt Breslau 1945, Siedlerverlag, Berlin 2003
S.107-114 (hier S. 107).
43
20
Roosevelt, Churchill und Stalin während der Konferenzen in Jalta und Potsdam kurz
nach dem Kriegsende. Ihr Hauptziel war, die Neuordnung Europas zu schaffen. Die
wichtigsten Themen, die dabei besprochen wurden ,betrafen: Verteilung der Macht in
Europa nach dem Kriegsende; die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszone; die
Gestaltung der Grenzen; die Ausschließung der künftigen Bedrohung durch
Deutschland und die Frage der Umsiedlungen. Die Entscheidung über die etnische
<<Entmischung>>45 in Europa wurde unter anderem durch die antideutsche Stimmung
verursacht. Als weitere Vorwände der Abschiebung der deutschen Bevölkerung gelten
handfeste materielle Interessen46. Darunter versteht man die Konfiszierung des
gesamten Vermögens der Vertriebenen. In Folge der Verschiebung von Grenzen und
der koordinierten Umsiedlung sollten die Bevölkerungsstrukturen verbessert werden.
Der Bevölkerungsaustausch sollte „[...] optimale Bevölkerungsdichte und Größe der
landwirtschaftlichen Betriebe“47 schaffen.
Der Verlauf und die Folgen des zweiten Weltkrieges bleiben bis heute nicht im Ganzen
erklärt zu werden. Auch die Ereignisse nach 1945 wecken in Europa hochemotionale
Reaktionen. Das heikelste Thema dieser Zeit betrifft die Frage der Vertreibung, Flucht
und Aussiedlung gleich nach dem Kriegsende. Über 40 Jahre wurde dieses Thema
verschweigert und tabuisiert. Man versuchte zwar in der Nachkriegszeit bestimmte
Schritte zu unternehmen, um den deutsch-polnischen Konflikt zu mildern. Hier kann
man zumindest die Worte der polnischen Bischöfe erwähnen, die sie an ihre deutschen
Amtskollegen richteten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“48. Mit der Initiative
der deutschen Seite zur Gründung eines ‚Zentrums gegen Vertreibungen’ im Jahre 2003
entbrannte aber in vielen europäischen Länder wieder ein heftiger Streit. Dieser Kampf
um die Erinnerung erschwechte deutlich die deutsch-polnischen Beziehungen. Die
Mehrheit der polnischen Öffentlichkeit kritisierte die Errichtung eines Berliner
Zentrums. Diese Idee wurde von der polnischen Seite „[...] als Ausdruck für
historischen Revisionismus und als bewusste Verwischung der Relationen zwischen
Tätern und Opfern des Krieges wahrgenommen“49. Der Standort eines Zentrums
erweckte viele Spekulationen darüber, ob das Mahnmal der deutschen Vertriebenen
„[...] ein moralisches Gegengewicht zum Holocaust schaffen“ sollte.
45
Vgl., ebd., S. 107.
Vgl., ebd., S. 108.
47
Ebd., S. 110.
48
Krzemiński, Adam: Kampf um Erinnerung, In: Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa r. 13/2004, S. 58-61,
(hier S. 58)
49
Ebd., S. 61.
46
21
Das von dem Bund des Vertriebenen mit Erika Steinbach an der Spitze entworfene
Projekt kann bestimmt zur Verwechslung zwischen der deutschen Schuld und dem
deutschen Leiden führen. Die Traumata, die die Flüchtlinge erlebt haben, sollten aber
auf keinen Fall in Vergessenheit geraten. Der Umgang mit diesem Thema erfordert aber
höchste Sensibilität. In der Dokumentation aus dieser Zeit findet man zahlreiche
Beweise der Augenzeugen, die über die Behandlung der Deutschen während der
Umsiedlung erzählen. Die amerikanische Korespondentin der New York Times, Anne
O'Hare McCormick beschrieb so diese Ereignisse:
Der Umfang der Umsiedlung und die Bediengungen, unter denen sie
stattfindet, sind beispiellos in der Geschichte. Niemand, der diese
Schrecken mit eigenen Augen sieht, kann bezweifeln, dass dies ein
Verbrechen gegen die Menschheit ist, für das die Geschichte
furchtbare Vergeltung fordern will.50
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Vertreibung’ muss es betont werden, dass
dieses Phänomen tatsächlich auf zwei Ebenen geschah. Einerseits spricht man von der
Vertreibung, wenn man an die Zwangsausweisungen der Minderheiten aus ihrer Heimat
denkt. Die Leute mussten dann ihr ganzes Vermögen verlassen. Im Gegensatz dazu
erlebten die <<Dagebliebenen >> eine Vertreibung aus der eigenen Sprache und
Kultur51. Sie mussten ihre Namen wechseln und die Sprache des Landes, wo sie jetzt
lebten, übernehmen. Jahrelang mussten sie verleugnen, welcher Herkunft sie sind. Als
gutes Beispiel gilt hier die deutsche Minderheit in Oberschlesien, die erst wieder seit
1989 offizell anerkannt wurde.
Die Flucht und Vertreibung nach 1945 ist eine der wichtigsten Folgen des zweiten
Weltkrieges. Dieses Phänomen tauchte in der Geschichte schon mehrmals auf, aber nie
zuvor weckte es so große Kontroverse wie jetzt. Die Ursache dessen liegt daran, dass
die Deutschen immer häufiger versuchen, die deutsch-polnische Geschichte zu
deformieren. Diese Missbildung besteht in der heftigen Betonung sowohl im deutschen
Fernseher als auch in den zahlreichen historischen Büchern, dass die Deutschen dem
Opfer des zweiten Weltkrieges gefallen sind. Die Polen werden größtenteils als
Antisemiten dargestellt. Dies schafft den deutschen Historikern eine Möglichkeit, die
50
Judt, Tony: Das Vermächtnis des Krieges.In: Die Geschichte Europas seit dem zweiten Weltkrieg.
Erster Teil: Nachkriegszeit 1945-1953, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 40-45 (hier
S. 41)
51
Vgl. Schlanstein, Beate: Neue Wurzeln, alte Wunden. Eine andere Geschichte der Vertreibung. In: Als
die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah: Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland,
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, Januar 2007, S. 7-21 (hier S. 16).
22
Verantwortung für die Judenvernichtung auf die Polen abzuwälzen, was natürlich einen
großen Einfluss auf die Polenwahrnehmung der anderen Nationen hat. In den letzten
Jahren beobachtet man in vielen Ländern, unter anderem auch in den hochentwickelten
Ländern auf internationaler Ebene, dass sich die Vorurteile über Polen systematisch
verstärken. Es gibt aber viele Autoren, die die stereotypen Vorstellungen über Polen
abzubauen versuchen. Als ein gutes Beispiel dafür gilt der Roman „Schlesisches
Wetter“ von Olaf Müller. Der Autor konfrontiert in seinem Buch die Geschichte der
deutschen Vertriebenen mit der der polnischen Bevölkerung.
2.9 Literatur in narratologischer Perspektive
2.9.1 Zur Erzähltheorie
Das Wort 'Erzählen' hat verschiedene Bedeutungsfacetten und wird in unterschiedlichen
Zusammenhängen benutzt. Der Definition nach bezeichnet man dieses Wort als "[...]
eine Art von mundlicher oder schriftlicher Rede, in der jemand jemandem etwas
besonderes mitteilt"52. Diese Rede kann aber nur dann als Erzählung gelten, wenn ihr
ein zeitlich vorausliegener Vorgang vorkommt. Dies bedeutet, dass der Erzähler ein
Geschehen
vergegenwärtigt,
das
früher
stattgefunden
hat.
Wenn
man
den
Realitätscharakter in Betracht zieht, so kann man reale oder erfundene Vorgänge
unterscheiden. Die Erzählsituation kann entweder im Rahmen von alltäglicher Rede
erzählt werden oder sich im Rahmen von Literatur abspielen. Die Erzählung im Rahmen
nichtdichterischer Rede gilt als eine authentische Erzählung, wenn sie sich auf die
bestimmten Fakten bezieht. Hinzu kommt aber eine Möglichkeit, dass in der faktualen
Erzählung auch von erfundenen Vorgängen berichtet wird. Dies ist dann der Fall, wenn
man etwas ausdenkt, vortäuscht oder lügt. Im Bereich der dichterischen Rede kann man
drei Begriffe heraussondern: fingiert, fiktional und fiktiv.
Das Wort 'fingieren' wird im Sinne 'vortäuschen' verwendet. An dieser Stelle sollte man
sich eine Frage stellen, welche Funktion die Literatur erfüllen sollte und was sie
ermitteln sollte. Schon in der Antike war die Meinung darüber unterschiedlich. Scheffel
und Martinez erwähnen zwei großen Philosophen, nähmlich Platon und Aristoteles, die
52
Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Merkmale fiktionalen Erzählens. In: Martinez, Matias/Scheffel,
Michael:
Einführung in die Erzähltheorie, München 1999, S.9-25 (hier S.9).
23
zu diesem Thema gegensätzliche Stellungen genommen haben. Platon geht in seiner
Überlegungen davon aus, dass die Dichtung überflüßig und schädlich ist. Einer völlig
anderen Ansicht war Aristoteles. In seinem Werk "Poetik" formulierte er eine These,
dass die dichterische Rede nützlich ist. Er stellte sogar fest, dass die Dichtung im
Gegensatz zur Geschichtsschreibung philosophischer und brauchbarer ist. Der Dichter
hat eine Möglichkeit, mit potenzielen und nicht nur mit stattgefundenen Welten zu
spielen. Die Streit zwischen Platon und Aristoteles über die Funktion der Dichtung hatte
einen grossen Einfluss auf die nachfolgenden Dichter, die sich verpflichtet fühlten, ihre
Arbeit zurechtzufertigen. Ihrer Meinung nach ist das Ziel der Dichtung auf keinen Fall,
den Empfänger vorzutäuschen. Im Rahmen der dichterischen Rede wird nicht von der
wirklichen, sondern von der potentielen Sphere referiert. Dies bedeutet, dass die
fiktionalen Texte nicht im empirischen Bereich verankert sind, deswegen haben sie mit
dem Lügen nichts zu tun.
Der zweite Begriff 'fiktional' steht im Gegensatz zu faktual oder authentisch. Das Wort
'fiktional' ist auf den pragmatischen Status der Rede bezogen. Die fiktionalen Welten,
die im Rahmen von Literatur auftauchen, sind also zugleich erzählte Welten.
Der Begriff 'fiktiv' wird antonimisch zum Wort 'real' verwendet. Er bezieht sich auf
„den ontologischen Status des in dieser Rede Aussagten“53. Im Rahmen der fiktionalen
Welten funktionieren fiktive Figuren. Im Vergleich dazu werden im Rahmen des
faktualen Textes tatsächliche Behauptungen des realen Autors dargestellt.
Die literarische Texte haben einen doppelten Charakter, d.h. sie funktionieren sowohl
im imaginären als auch im realen Kontext. Die reale Kommunikationssituation
geschieht in der Beziehung Leser-Autor. Ein realer Autor produziert reale Sätze, die an
einen realen Leser gerichtet werden. Sie ergeben aber einen fiktionalen Text. Im
Rahmen des dichterischen Textes tauchen aber auch fiktive Sätze auf, weil sie von
einem fiktiven Erzahler produziert werden.
2.9.2 Das Verhältnis zwischen dem Erzählen und dem Erzählten
Bei der Analyse von literarischen Texten sind zwei Ebenen herauszusondern:
1. die Ebene des Erzählens, d.h. wie die Geschichte vermittelt wird.
2. die Ebene des Erzählten, d.h. was erzählt wird.
53
Ebd., S. 13.
24
Matias Martinez und Michael Scheffel machen in ihrem Beitrag „das Erzählen und das
Erzählte“ darauf aufmerksam, dass die meisten Leser sich bei der Interpretation eines
fiktionalen Textes eher auf den Inhalt konzentrieren. Sie identifizieren sich mit den
Figuren und nehmen die erzählte Welt für real. Diese Lesehaltung berücksichtigt aber
nicht, auf welche Art und Weise die Geschichte vermittelt wird.
Scheffel und Martinez gehen in ihren Überlegungen davon aus, dass „[...] die erzählte
Geschichte und ihre Welt von der Art und Weise ihrer Darstellung zu unterscheiden
sind“54. Diese zwei Ebenen sollten aber auf keinen Fall voneinander abgetrennt werden,
weil der Leser gerade „[...] in den fiktionalen Werken nur über den Text selbst Zugang
zur erzählten Welt“55 hat. Dies bedeutet, dass in den fiktionalen Texten der Inhalt als
eine einzige Informationsquelle gilt. Im Gegensatz zu den faktualen Texten, die auf das
empirische Geschehen außerhalb des Textes referieren, werden in den fiktionalen
Texten diese Tatsachen dargestellt, die nur innerhalb der erzählten fiktionalen Welt
funktionieren. Wie aber der Leser von diesen Informationen erfährt, hangt in hohem
Masse von der Präsentationsweise ab. Deswegen sollte man beide Ebenen
berücksichtigen, um den Text richtig zu interpretieren. Die beiden Wissenschaftler
veranschaulichen dieses Wechselverhältnis zwischen dem Erzählen und dem Erzählten
anhand zwei Beispielen.
Bei der
Analyse des Werks "Leiden des jungen Werther" von Goethe spielt die
Präsentationsweise eine wichtige Rolle. Der Autor entschied sich, den Briefroman aus
der Ich-Perspektive zu verfassen, was gezielt war. Er wollte damit den Empfanger zu
der Identifikation mit der Hauptfigur fordern. Es ist ihm gelungen, bei den jungen
Leuten "Werther-Fieber" hervorzurufen, infolge dessen der Selbstmord der Hauptfigur
in vielen Fällen nachgeahmt wurde. Die Geschichte konnte zwar aus der Er-Perspektive
dargestellt werden. Diese Form hätte aber nicht so große Aussagekraft.
Auch der Roman von Franz Kafka "Das Schloss" beweist davon, wie die Art und Weise
des Erzählens den Inhalt beeinflusst. Der Beginn des Romanes wurde zweifach verfasst.
Die Informationen wurden einmal aus der Ich-Perspektive dargestellt, ein anderes mal
wurden sie aus der distanzierten Er-Perspektive vermittelt. Obwohl in beiden Fassungen
dieselbe erzählte Welt beschrieben wird, wirken sie anders auf den Leser.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass das Erzählte eine Funktion des Erzählens
ist. Der Empfänger interpretiert den Inhalt eines fiktionalen Textes anders in
54
55
Ebd., S. 21.
Ebd., S. 20.
25
Abhängigkeit davon, auf welche Art und Weise die erzählte Welt vermittelt wird.
26
3. Erinnern und Verdrängen in Schlesisches Wetter von Olaf Müller
3.1 Die Polenwahrnehmung in der deutschen Literatur- „Schlesisches Wetter“ von
Olaf Müller
Die Frage der Deutschen Polenwahrnehmung wird immer häufiger durch viele deutsche
Schriftsteller der neuen Autorengeneration berührt. Olaf Müller ist einer von den
zahlreichen Autoren, der sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. In seinem
Roman Schlesisches Wetter versucht er die polenbezogenen Stereotype zu schildern. An
dieser Stelle muss aber betont werden, dass diese Überlegungen dem Autor nicht
zugeschrieben werden sollten. Die Polenwahrnehmung hat hier keinen subjektiven
Charakter. Die Vorstellungen über das Eigene und das Fremde der Figur, des Erzählers
und des Autors sind voneinander zu unterscheiden, d.h. der fiktive Erzähler redet in
seinem eigenen Namen und seine Stellungnahme zu diesem Thema ist der Meinung des
Autors nicht ähnlich. Wenn man aber die Erzählfigur mit dem Autor des Textes
vergleicht, so kann man bestimmte Ähnlichkeiten in den Biographien beider Personen
feststellen. Dies kann rezeptionsseitig den Anschein erwecken, dass die Vorstellungen
des fiktionalen Erzählers mit denen des Autors übereinstimmen.
Olaf Müller beschreibt in seinem Roman nicht seine eigene Polenwahrnehmung,
sondern er versucht dem Empfänger die typischen, tief eingewurzelten, stereotypen
Vorstellungen der Deutschen über Polen darzustellen. Zu den meinst verbreiteten
Stereotypen über Polen gehören:
1. Das Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“56 , das als ein Stereotyp der „langen
Dauer“57 gemeint wird. Dieses Stereotyp existiert in der Polenwahrnehmung
anderer Nationen schon seit über 300 Jahren. Es steht im engen Zusammenhang
mit der Nationalstaatlichkeit, d.h. mit der Zeit, in der sich viele europäische
Länder (unter anderem auch Deutschland) modernisiert und entwickelt haben
und Polen von der politischen Landkarte verschwunden ist. Dazu haben
verschiedene Faktoren beigetragen. Hubert Orłowski weist in seinem Betrag
„Stereotype der <<langen Dauer>> und Prozesse der Nationsbildung“ auf den
historischen Aspekt hin. Der Begriff „polnische Wirtschaft“ bezieht sich auf den
Orłowski Hubert : Stereotype der >>langen Dauer<< und Prozesse der Nationsbildung. In: Lawaty,
Andreas/ Orłowski, Hubert (Hg.): Deutsche und Polen. Geschichte-Kultur-Politik. München: C.H. Beck
2003, S. 269-279 (hier S. 270).
57
Ebd., S. 269.
56
27
polnischen Reichstag und das bekannte liberum veto. Er verbindet sich mit
Unregierbarkeit, Anarchie, unwirksamen Handeln und Machtlosigkeit.
2. Das ‚Opfer-Stereotyp’58, das im engen Zusammenhang mit der Ideologie des
Sarmatismus steht. Die ‚goldene Freiheit’ und Gleichheit aller Edelleute59 haben
nichts anderes als Chaos nach sich gezogen. In dem 19. Jahrhundert gab es viele
nationale Aufstände, die aber größtenteils gescheitert sind, deswegen haben die
polnischen Romantiker das Schicksal Polens mit dem Schicksal Christi
verglichen. In der polnischen Opfergeschichte sieht man also deutlich die
Verbindung zwischen der Nation und dem Glauben.
3. Das Stereotyp der ‚schönen Polin’ hängt mit dem historischen Kontext des
Nationalitätenstreits60 zusammen. Die polnische Frau wird als Patriotin und
‚Mutter aller Rebellion’61 kreeirt.
3.1.1 Aleksander Schynoski als Erzählfigur- zur Deutschen Polenwahrnehmung
Die im Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller beschriebene Geschichte wird aus
der Perspektive eines knapp vierzigjährigen deutschen Journalisten vermittelt.
Aleksander Schynoski, so heißt die Hauptfigur, muss sich mit den Folgen der
Vertreibung seiner eigenen Familie konfrontieren. Der letzte Auftrag, den er von seiner
Redaktion bekommen hat, führt ihn nach Polen. Diese „polnische Angelegenheit“62
schafft
ihm
eine
Möglichkeit,
endlich
die
ganze
Wahrheit
von
seiner
Familiengeschichte zu erfahren. Der Anlass seiner Reise nach Breslau war auf keinen
Fall, „[...] Ahnenforschung zu betreiben, noch irgendwas in Augenschein zu nehmen,
etwa ein Dorf oder ein Haus oder einen verschollenen Grabstein, was irgendwer einmal
besessen haben könnte [...]“63. Den Polen hat sich aber ein Bild des deutschen
Heimwehtouristen ins Gedächtnis tief eingeprägt, der in Polen ankommt, um nur
Anspruch auf sein verlorenes Vermögen zu erheben. Auch die Polenwahrnehmung des
Vgl. Zimniak, Paweł: Nachbarn literarisch- Zu Polenbildern in der neuesten deutschen Literatur. In:
Kolago, Lech (Hg.): Studia niemcoznawcze, tom XXXVI, Warszawa 2007, S. 195-211 (hier 198).
59
Vgl. Olschowsky, Heinrich: Sarmatismus, Messianismus, Exil, Freiheit- typisch polnisch?, In: Lawaty,
Andreas/ Orłowski, Hubert (Hg.): Deutsche und Polen. Geschichte-Kultur-Politik. München: C.H. Beck
2003, S. 279-288 (hier S. 283).
60
Vgl. Zimniak, Paweł: Nachbarn literarisch- Zu Polenbildern in der neuesten deutschen Literatur,
a.a.O., S. 199.
61
Vgl., ebd., S. 199.
62
Müller, Olaf: Schlesisches Wetter,Roman. Berlin: BvT Berliner Taschenbuch Verlags GmbH 2005
(Berliner Verlag 2003), S. 29.
63
Ebd., S. 194.
58
28
Ich-Erzähles hängt von seiner bisherigen Sozialisation ab. Schynoski malt sich ein Bild
der polnischen Realität aus aufgrund dessen, was er in seiner Umgebung gehört hat.
[...] was ich allein in der Redaktion von den mafiösen Zuständen in
Polen gehört hatte, gelesen, vom erbarmungslosen Beute-Machen bei
deutschen Touristen, von spurlosem Verschwinden-, versuchte ich,
aus den aufsteigenden Begriffen einen einzufangen, welcher die Lage,
in die ich mich gebracht hatte, am sichersten beschrieben hätte. Aus
der Wortwolke fiel: Todesgefahr.64
Mit dieser Einstellung fährt er nach Breslau. Gleich nach dem Ausstieg aus dem Zug
wird der homodiegetische Erzähler mit der polnischen Realität konfrontiert, die nur
seine Überzeugung festigt: „Der Gestank nach Scheiße in der Bahnhofshalle. Die
durchgerosteten Pfeiler der Hallenkonstruktion drohten einzuknicken. Ich beeile mich,
da rauszukommen.“65 Diese Worte beweisen von der deutschen Vorstellung Polens als
ein Land, in dem Unordnung und mangelnde Sauberkeit herrschen. Überall begleitet ihn
das Gefühl der Todesgefahr. In jedem Passanten sieht er einen potentiellen Täter. Der
Verdacht fällt sogar auf die drei Säufer, die zufällig über ihn stolperten. Schynoski lässt
seine Phantasie weiter spielen. Er stellt sich vor, was es ihm in einem polnischen Hotel
passieren könnte:
Ich komme doch überraschend in einem Hotel unter und gebe das
Bündel in den Hotelsafe. Das Peronal lässt mich eiskalt über Nacht
verschwinden. Kein Mensch wähnt mich in Breslau. Hier wird
niemand anfangen zu suchen. Ich hatte es einmal meiner Mutter
gesagt.
Im ersten Fall hätte ich mein Geld nicht ohne Widerspruch
herausgegeben; und das wäre dann das Ende gewesen. Bei der zweiten
Variante wäre ich nicht mal gefragt worden. Keiner hätte mich je
gesehen.66
Schynoski kommt letztendlich in dem Breslauer Hotel Polonia unter. Vor seiner Augen
erscheint das Bild des Zerfalls: die auf gespenstige Weise glichenden Flure 67; „die
gleiche Ausstattung wie im Monopol“68; die fast bis zum Boden durchhängende
Matraze, die vermutlich „seit der Einweihung des Hauses nicht ausgetauscht worden
64
Ebd., S. 172.
Ebd., S 165f.
66
Ebd., S. 172f.
67
Vgl., ebd., S. 174.
68
Ebd., S. 175.
65
29
war, die Generationen von Generationen beherbergt hatte“69. Er wartet nur, bis sich die
Prophezeiung vom erbarmungslosen Beute-Machen bei deutschen Touristen70 in seinem
Fall bestätigt:
Die Rezeptionistin teilte mir mit, dass sie einhundertachtzig Mark für
eine Nacht berechnen müsste.Ich war gespannt auf das Zimmer,
welches diesen Preis rechtfertigen würde. Hier wurde mit zweierlei
Mass berechnet. Ein Sonderpreis für mich. Aber man sah es der Frau
nicht an. Das war für sie Routine. Wenn sich einmal ein Deutscher ins
Polonia verirrte.71
Jedes Geräusch schreckt den Ich-Erzähler auf, der in Folge negativer Stereotype davon
überzeugt ist, dass er gezwungen wird, ‚sich ‚die Zelle’ mit einem weiteren Bewohner
zu teilen. Er bereitet sich mental darauf vor, „[...] für alles zu büßen, was man ihm
vorwerfen würde“72. Diese Einstellung zeugt von dem deutschen Schuldbewusstsein
und der Absicht, das Unrecht des zweiten Weltkrieges wiedergutzumachen.
Die Hauptfigur erfährt mit der Zeit, dass sich die in der Deutschen Polenwahrnehmung
tief eingewürzelten negativen Stereotype in der Wirklichkeit nicht bestätigen. Die
Todesgefahr ergibt sich, höchst übertrieben zu sein. Auch die Angst vor dem
unerwünschten Besuch des Zimmergenossenen verwirklicht sich überhaupt nicht. Keine
von seiner stereotypen Vorstellungen, die er in Deutschland aufgebaut hat, stimmen mit
der Realität überein. An dieser Stelle könnte man feststellen, dass Olaf Müller sich
bewusst mit den polenbezogenen Stereotypen auseinandergesetzt hat. Sein Ziel war aber
auf keinen Fall, diese Vorstellungen über Polen hervorzuheben. Hier hat man eher mit
der Abkehr von negativen Stereotypen zu tun.
3.2 Figuren und Figurenkonstellationen
Der Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller berührt die heiklen Themen, die noch
zur Zeit eine negative Konnotation hervorrufen. Die Fragen der Vertreibung und des
Heimatverlustes werden mit höchster Sensibilität dargestellt. Trotzdem führte der Autor
in den Roman Elemente der Groteske ein, die vor allem die von ihm geschaffenen
Figuren betreffen. Die in komischen Zügen dargestellten Figuren und die Situationen, in
69
Ebd., S. 176.
Ebd., S. 172.
71
Ebd., S. 174.
72
Zimniak, Paweł: Nachbarn literarisch- Zu Polenbildern in der neuesten deutschen Literatur, a.a.O. , S.
202.
70
30
denen sie sich befinden, rufen dei dem Empfänger mehrmals das Lächeln auf seinem
Gesichts hervor. Die meisten Groteskelemente sind mit der Hauptfigur des Romanes
verbunden. Der Aufenhalt von Schynoski im Hotel Polonia oder das Verstecken seiner
Brille durch Maureen sind nur einige von den lustigen Situationen, die der Autor
beschreibt.
3.2.1 Alexander Schynoskis Denken, Fühlen und Handeln
Alexander Schynoski ist ein knapp vierzigjähriger Journalist, der seit Jahren mit der
erfolgreichen Architektin Maureen in Berlin wohnt. Er ist in Leipzig großgewachsen.
Sein alltägliches Leben ist sinnentleert. Die Arbeit als Sportredakteur macht ihm keine
Spaß. In der Redaktion fühlt er sich verachtet:
Letztlich war ich nur eine Randfigur. Ein Journalist aus der dritten
Reihe, der zu spät erfuhr, was Tage vorher verabredet war. [...] Die
Kollegen übersahen mich in ihrem Eifer; dem Fortschritt eine
Schlagzeile, einen Kommentar oder eine Reportage abzugewinnen.73
Schynoski ist noch nicht vierzig, als er in den vorläufigen Ruhestand geschickt wird.
Nach der Pensionierung bekommt er nur ab und zu einen Auftrag, sonst lebt er auf die
Kosten seiner Geliebte. Infolge dessen bricht er zusammen und nimmt deutlich zu:
Von meinem schmalen Hintern zog sich bald ein Panzer bis über die
Brust. Alles redlich angefressen. Meine ausdrucksstarke Stirn wurde
von widerwärtigem Lockenwildwuchs verunziert.74
Sein scheusliche Aussehen und die Arbeitslosigkeit führen dazu ein, dass er aufgigt.
Meine Lähmung war zu weit fortgeschritten. Die Kurzsichtigkeit oder
das Beinaheblindsein hatte meine Aussichten, wohin auch immer,
zunehmend verdunkelt. Den Scham darüber verdankte ich Maureen,
den Ekel davor mir allein.75
Der Empfänger erfährt mit der Zeit, dass die Familiengeschichte der Hauptfigur
ursprünglich nicht mit Leipzig sondern mit Schlesien verbunden ist. Schon als Kind
hörte Schynoski bei jedem Familienfest von der ‚Alten Heimat’, aber erst der vom
Chefredakeur beauftragte Hilfsjob schafft ihm eine Möglichkeit, die Vergangenheit der
Familie zu verstehen. Schynoski bekommt von den zwei polnischen Journalisten, die in
Berlin ankommen, einen Bildband über Breslau aus der Zeit vor 1945. Beata Szewińska
73
Müller, Olaf: Schlesisches Wetter, S. 27.
Ebd., S. 39.
75
Ebd., S 29f.
74
31
und Witek Misiak laden ihn nach Breslau ein. Obwohl seine Freundin auf ihn mit dem
Rückflugticket in London wartet, entscheidet er sich seine schlesischen Würzeln zu
erforschern. Schynoski fährt nach Leipzig, um seine Mutter zur gemeinsamen Reise zu
überreden. Ilse Schynoski will aber in die Alte Heimat nicht zurüchkommen. Trozt
dessen steigt die Hauptfigur in den Zug nach Breslau ein. Nach der Grenzüberquerung
kann der Leser beobachten, wie sich allmählig seine Einstellung Polen gegenüber
ändert. Schynoski verifiziert seine bisherige stereotype Polenwahrnehmung mit der
Realität. Schritt für Schritt wächst seine Liebe zu Polen. Während des Besuchs im Dorf,
aus dem seine Familie stammt, konfrontiert er sich damit, was ihm seine Mutter über
Vertreibung und Heimatverlust erzählt hat. Dort trifft er Agnieszka, in der er sich
verliebt und sich entscheidet, bei ihr das neue Leben zu beginnen.
Alexander Schynoski stand jahrelang neben sich, ohne Identität. Seine Erinnerungen
verbinden sich größtenteils mit der familiären Erzählungen über die alte Heimat.
Die entscheideste Erinnerung an meine Kindheit besteht darin, wie
man im Haus, in unserer Wohnung über die Alte Heimat gesprochen
hat. Großmutter erzählte, die Tanten, ihre Töchter, sekundierten.76
Wie gründlich ich mich auch mühte, mir gelang es nicht, die beiden
Sphären zu trennen. Die Gegenwart stand meiner Erinnerung im
Weg.77
Wegen des Schweigegebots musste er seine Gefühle unterdrücken, die mit der Zeit an
sein Gedächtnis heranwuchsen. Er versuchte mühesam, die Erinnerungen zu
verdrängen. Es gelang aber ihm nicht, den familiären Geschichten zu entkommen. Erst
der Anlass, nach Schlesien zu fahren, ermöglichte der Hauptfihur endlich die
Vergangenheit aufzuarbeiten. Daran sah er eine Möglichkeit, eine günstigere Identität
anzunehmen.
3.2.2 Familie Schynoski- zur Geschichte der Vertreibung und des Heimatverlusts
Familie Schynoski gilt bestimmt als Gedächtnismedium, denn innerhalb dieser Familie
kommt es durch alltägliche Kommunikation zum Austausch lebendiger Erinnerungen.
Die einzelnen Familienmitglieder sind Träger des kollektiven Gedächtnisses einer
bestimmten Gruppe. Die Erinnerungen werden zwischen Zeitzeugen und Nachkommen
76
77
Ebd., S. 162.
Ebd., S. 72.
32
ausgetauscht. Familie Schynoski repräsentiert eine typische deutsche Gruppe der
Vertriebenen, die mit den Folgen des zweiten Weltkrieges zurechtkommen muss. Flucht
und Vertreibung, Heimatverlust und Neubeginn verlaufen unter schwierigen
Bedingungen. Olaf Müller beschreibt am Beispiel der fiktiven Familie, wie diese
Ereignisse ausgesehen haben.
Die meisten Familienmitglieder kommen aus dem nicht weit von Breslau entfernten
kleinen Dorf, wo sie geboren und großgewachsen sind. Bis zum zweiten Weltkrieg war
dieses Dorf und seine Umgebung für Familie Schynoski wie eine Idylle, in der sie sich
wohl fühlten. Wie stark sich die Familie mit dieser kleinen Heimat identifiziert hat,
wiederspiegeln die genauen Beschreibungen der Mutter von Schynoski:
[...] da war die Bache, das war ein Nebenfluss von der Weide, und da
haben wir erst mal gebadet. Wir haben die nassen Klamotten
irgendwo versteckt und sind in den Wald gegangen und haben uns
eine Kanne Heidelbeeren gepflückt, und dann waren wir schon in
Baruthe bei meiner Großmutter, der Mutter von deinem Großvater.78
[...] nach Seydlitzruh hin war eine Kirschallee, und wenn du auf dem
Heuwagen nach Hause gefahren bist, dann konntest du mit dem
Wagen stehenbleiben, und du kannst gut an die Kirschen ran. Sonst
musste man ja immer aufpassen, da war ja ein Pächter...das war
wunderbar...die Kirschbäume stehen bestimmt nicht mehr da....wie die
Linden... Das Dorf war voller Linden...79
Ilse Schynoski, die nach dem Kriegsende das Dorf verlassen hat und dorthin nie wieder
zurückgekehrt ist, hat eine verklärte Vorstellung darüber. Ihre Erinnerungen
entsprechen nicht der gegewärtigen Realität. Die furchtbaren Ereignisse nach dem
Kriegsende prägen aber sehr stark ihr Gedächtnis. Beim Gespräch mit ihrem Sohn ruft
Ilse die Erinnerung an den Tag der Vertreibung hervor:
[...] im Januar, als wir aus Fürsten-Altguth weg mussten, hatte es
zwanzig Grad minus und es stürmte, am neunzehnten Januar '45 hieß
es noch, wir sollen alle dableiben, weil die Front nicht kommt, in der
Nacht zum zwanzigsten hieß es dann: Wir mussten weg, raus, sofort,
[...]80
Auf dem Weg sah es furchtbar aus. Das war ja nicht so ordentlich
zugegangen. Überall waren Sachen verstreut im Schnee, auch tote
Kinder, die zurückgeblieben waren, und überall Puppen von den
78
Ebd. S. 138.
Ebd., S. 152.
80
Ebd., S 148.
79
33
Kindern. Man hat das nicht so genau sehen können, ob das Puppen
waren oder tote Kinder, aber tote Kinder waren auch dabei.81
Am Beispiel der Familie Schynoski wird bildhaft der Ausmaß der Vertreibung
geschildert: Hunger, Angst, Vergewaltigungen, Verlust des ganzen Vermögens und
Schikanieren:
Der Krieg war zu Ende. Die Russen sind einmarschiert. Mit Panzern.
Und die Tschechen haben immer gesagt: Nemzi, Nemzi, Deutsche,
Deutsche. Auf uns gezeigt. Fast jede Nacht haben uns die Russen
gejagt.82
Bei der Erzählung von vergangenen Ereignissen werden aber keine Emotionen
aufgezeigt. Kein Gewein begleitet die Vermittlung. Bemerkenswert ist auch die
Tatsache, dass die Mutter erst nach über vierzig Jahren ihrem Sohn darüber erzählt. Der
Bildband über Breslau, den ihr Sohn gezeigt hat, hat dabei eine große Rolle gespielt.
Ilse ruft sich die Erinnerungen an die damaligen Ereignisse herbei. Früher hörte
Alexander Schynoski eher nur die Erzählungen seiner Großmutter und der Tanten und
zwar nur von der ‚Alten Heimat’. Obwohl er dort nie gewesen war, wusste er viel
davon. Der Heimatverlust hatte jährlich einen großen Einfluss auf das Leben der
Familie Schynoski in Leipzig. Bei jedem Familienfest wurde darüber diskutiert. Für die
Hauptfigur war die ‚Alte Heimat’ abstrakt. Je älter er war und mehr davon gehört hat,
desto „[...] der Hass auf dieses Wort und darauf folgenden Geschichten wuchs.“ 83 Jede
Familienfeier sah identisch aus:
Stundenlang sangen die Schynoskis und ihre angeheirateten
Wurmfortsätze, liebten und beglückwünschten sich. Erst gab es
Kaffee. Die Sahne goß man aus einem Kännchen dazu, das die Flucht
überstanden hatte. Meißner Porzellan. Torte. Helle und dunkle
Buttercreme. [...] Später Salamibrote und Eibrötchen mit einer
schimmernden Krone aus Kaviarersatz. Und Wein. Die Onkel und die
Großcousins rauchten schwer, wischten sich schon nach dem dritten
Kurzen die Stirn. Es wurden Trinklieder gesungen, und die Onkel
tanzten mit den Frauen ihrer Söhne. [...] Die freundlichen Feiern, die
sechs oder siebenmal im Monat abgehalten wurden. In jedem Jahr, in
jedem Monat jeden Jahres.84
81
Ebd., S. 149.
Ebd., S. 149.
83
Ebd., S. 23.
84
Ebd., S. 10f.
82
34
Für die meisten Familienmitglieder war es sehr schwer, sich mit der neuen Heimat zu
identifizieren. Helene Schynoski, die Großmutter der Hauptfigur war immer bereit nach
Fürsten-Altguth zurückzukehren. Die Einrichtung der Wohnung verweist darauf, als ob
die ganze Familie auf den gepackten Koffern gelebt hätte.
Mit einem Mal erklärte sich mir auch die immer provisorisch
eingerichtete Wohnung, in der ich von Mutter und Großmutter
erzogen worden war. Helene Schynoski wollte bereit sein, die Sachen
zu packen, wenn es soweit gewesen wäre.85
In der Öffentlichkeit wurde über die Vertreibung nicht diskutiert. Familie Schynoski
musste seine Herkunft verleugnen: „ Unser schlesisches Blut. [...] In der Familie nahm
man ein solch schwerwiegendes Wort nicht in den Mund.“86 Schynoski konnte die
familiären Erinnerungen nicht bekannt geben.
Ich verstand von Anfang an, dass die Warnung meiner Großmutter,
der Mutter, nicht aus der Luft gegriffen sein konnte. Wir waren
gefährliches Gut. Schon einmal unter Lebensgefahr transportiert.87
Alle Familienmitglieder konnten ihre Vergangenheit nicht zur Schau tragen. Nicht
zuletzt wurden sie aber in der neuen Realität schikaniert oder verfolgt. Als Beweis dafür
gilt die Brandstiftung des Hauses, wo Familie Schynoski und die anderen Vertriebenen
gewohnt haben.
Olaf Müller hat in seinem Roman eine fiktive Familie geschaffen, deren Erlebnisse
fiktiv aber zugleich wahrscheinlich sein können. Das Zentrum der Vergangenheit bilden
private Erinnerungen der Protagonisten. Die Frage der Vertreibung wird aber selektiv
dargestellt, ohne Versuch die damaligen Ereignisse zu beurteilen.
3.2.2 Figuren und ihr soziales Umfeld- zur geschlossenen Gesellschaft der DDR
Eine der Hauptfolgen des zweiten Weltkrieges war die teilung Deutschlands in vier
Besatzungszonen (englische, amerikanische, französische und sowjetische), aus denen
sich später zwei Teilstaaten entwickelt haben: BRD und die DDR. Obwohl die Deutsche
Demokratische Republik in ihrem Namen das Wort 'demokratisch' beinhaltete, hatte
diese Staatsform mit der Demokratie nichts zu tun.
85
Ebd., S. 105.
Ebd., S. 106.
87
Ebd., S. 163.
86
35
Die Sowjetunion, die in diesem Teilstaat ihre Herrschaft ausübte, wollte bei der
Bevölkerung ein sozialistisches Weltbild gestalten. Eine der Hauptmethoden, die dazu
führen sollten, war die Zensur. Sie betraf fast alle Spähren des menschlichen Lebens,
wie Politik, Meinungsfreiheit, Religion usw. Die Rechte der Bürger wurden
eingeschränkt. Jede Form des Widerstandes wurde sofort im Keim erstickt.
Gerade unter diesen schwierigen Umständen musste sich die Familie Schynoski nach
der Vertreibung zurechtfinden. Weil die komunistische Obrigkeit durch die Ausweisung
der deutschen Bevölkerung die polnischen Gebiete wieder gewinnen konnte, wurde die
Frage der Vertriebenen tabuisiert. Die Familie Schynoski musste jahrelang ihre
Herkunft verleugnen, um von dem Staat nicht verfolgt zu werden:
Neben dem Geschichtenerzählen vervollkommneten sie die Fähigkeit,
ihre Köpfe unten zu halten. Wie damals. Dass er nur nicht aus der
Familie dringt, der phantastische Faden, mit dem ich eingestrickt
werden sollte, dessen Verschnürungen, Knoten und Verwirrungen mir
an den Atem gehen wollten. Ich sollte schwigen lernen, wie sie es
gelernt hatten. In der Öffentlichkeit schweigen. Für die Alte Heimat
gab es die Familie.88
Den Familienmitgliedern blieb es nur, sich im geschlossenen Kreis der Verwandten zu
treffen und die familiäre Geschichte herbeizurufen. In der Öffentlichkeit war die Frage
der Vertreibung das Tabu-Thema:
In meiner Schule kamen Geschichten wie die unsere ohnehin nicht
vor, und ich durfte die Lehrerin nicht darüber belehren, dass es solche
wie mich gab, die aus einer unberichtbaren Familie kamen.[...] Ich
verstand von Anfang an, dass die Warnung meiner Grossmutter, der
Mutter, nicht aus der Luft gegriffen sein konnte. Wir waren
gefährliches Gut. Schon einmal unter Lebensgefahr transportiert.89
Dasselbe Schicksal betraf auch andere Vertriebenen, die sich in Leipzig niedergelassen
haben. Im Roman taucht aber eine Figur auf, die sich der komunistischen Macht
widersprechen wollte und ihre Vergangenheit ans Licht zu bringen versuchte:
Meier entspränge wie ich der ersten Generation. Dann sah er mich
lange an. Ein Verschwörer. Und schlug mir vor, erst einmal im
kleinen, das Schweigen im Osten zu brechen, vielleicht in der
88
89
Ebd., S. 23.
Ebd., S. 163.
36
Studentenzeitung, und über unsere Sache, wie er das nannte, zu
recherchieren und zu berichten.90
Dafür hatte aber Schynoski kein Verständnis, denn er war am Beispiel eigener Familie
schon dessen bewusst, dass solche Bemühungen in der DDR im Voraus zum Scheitern
verurteilt worden wären. Darüber hinaus muss hier noch gesagt werden, dass in den 60er Jahren während der Studentenrevolte das Schreiben oder Sprechen über das deutsche
Leid politisch inkorrekt war.
Olaf Müller stellt in seinem Roman ein Stück deutscher Geschichte vom Ende des
zweiten Weltkrieges bis in die Gegewart dar. Am Beispiel der fiktiven Figuren wurde
der historische Hintergrund aufgezeigt, der nicht nur in Deutschland sondern auch im
ganzen Europa von Bedetung war. Dank der Einbettung der Geschichte der Familie
Schynoski in dieser Zeitspanne kann der Leser die DDR-Realität näher kennen lernen.
3.3 Die motivationale Verkettung von Ereignissen in narratologischen Texten
Das Ereignis oder Motiv bedeutet nach Scheffel und Martinez die kleinste, elementare
Einheit der Handlung. Dieser erzählteoretische Terminus wurde zum ersten Mal von
Boris Tomaševskij definiert. Nach dem russischen Formalisten versteht man unter
diesem Begriff
Materials
eines
„ [...] die nicht mehr weiter unterteilbare Einheit des thematischen
Erzähltextes“91.
Motive
bestehen
grundsätzlich
aus
zwei
zusammengesetzten Elementen, d.h. Subjekt und Prädikat. Subjekte sind: Gegenstände
oder Personen. Prädikate repräsentieren dagegen Geschehnisse, Handlungen, Zustände
und Eigenschaften. Je nachdem, ob die Situation in einem narrativen Text verändert
wird, kann man die Motive in zwei Gruppen einteilen:
1. Zu den dynamischen Motiven zählt man:
a. Geschehnisse, bei denen eine nichtintendierte Zustandsveränderung
vorkommt.
b. Handlungen, bei denen sich die Situationen in Abhängigkeit von der
Handlungsabsichten menschlicher oder anthropomorpher Agenten
verändern.
2. Zu den statischen Motiven gehören:
90
Ebd.., S. 164.
Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Das ‹Was›: Handlung und erzählte Welt. In: Martinez,
Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, München 1999, S.108-134 (hier S.108).
91
37
a. Zustände, d.h. Informationen.
b. Eigenschaften, d.h. das Aussehen der Figuren.
Wenn man aber in Betracht zieht, ob die Motive „für den Fortgang der Haupthandlung
unmittelbar kausal notwendig sind“92, so kann man sie folgend einteilen:
a. verknüpfte Motive, die den weiteren Verlauf der Handlung beeinflußen.
b. freie Motive, die für die Handlung des Textes nicht relevant sind.
Die relativ einheitliche abgeschlossene Kette von Ereignissen bildet ein Geschehen.
Damit eine zusammenhängende Geschichte entsteht, müssen die einzelnen Ereignisse
nicht nur auf- sondern auch auseinander folgen, d.h. chronologisch und nach einer
Regel oder Gesetzmäßigkeit. In den fiktionalen Texten kann aber diese chronologische
Abfolge von Ereignissen durch Verwechslung der Zeiten, d.h. Anachronien
durchgebrochen werden. Die dargestellten Veränderungen müssen nach bestimmten
Regeln oder Gesetzen motiviert sein. Unter dem Begriff Motivierung oder Motivation
versteht man also „[...] den Inbegriff der Beweggründe für das in einem erzählten oder
dramatischen Text dargestellte Geschehen“93. Dank dessen werden die Ereignisse in
einen sinnhaften Erklärungszusammenhang integriert. Man unterscheidet drei Arten von
narrativer Motivierung:
- empirisch-kausale
- finale
- kompositorische oder ästhetische
In der kausalen Motivierung wird ein Ereignis in einen Ursache-WirkungZusammenhang eingebettet, d.h. die Ereignisse stehen in enger Beziehung zueinander.
Das betrifft Figurenhandlungen, Geschehnisse, Gemenlagen sich überkreuzender
Handlungen, nicht intentionales Geschehen und Zufälle.94
Bei den älteren, vor allem religiösen Erzähltexten ist der Handlungsverlauf von Anfang
an festgelegt. Die erzählte Welt wird von einer numinosen, göttlichen und allmächtigen
Instanz beherrscht. In diesen Texten hat man mit der finalen Motivierung zu tun, weil
alle kausal bestimmte Sequenzen einer finalen Bestimmung untergeordnet sind.95
Die letzte Art narrativer Motivierung erfüllt eine künstlerische Funktion. Sowohl freie
als auch verknüpfte Motive können kompositorisch motiviert sein. Im ersten Fall
besteht eine semantische Relation zwischen dem einzelnen Motiv und der Gesamtheit
92
Ebd., S. 109.
Ebd., S. 110.
94
Vgl., ebd., S. 111.
95
Vgl., ebd., S. 112.
93
38
der Handlung.96 Die freien Motive können metaphorisch, d.h. durch Ähnlichkeit
verwendet werden. Falls sie aber durch räumliche, kausale oder zeitliche Nähe bestimmt
werden, so hat man dann mit der metonymischen Verwendung eines Motivs zu tun.
Die narrativen Motivierungen können dem Leser im Text entweder explizit oder
implizit vermittelt werden. Explizit geschieht die Motivierung durch erklärende
Aussagen der Erzählfigur. Implizite Vermittlung geschieht, wenn die Erklärung von
Ereignissen aus eigener empirischer Weltkenntnis oder aus den Erwartungsrahmen, die
mit der bestimmten Gattung verbunden sind, abzuleiten ist.
Die Motivierungsfrage spielt eine wichtige Rolle bei der Analyse eines narrativen
Textes, weil sie hilft dem Leser den Text richtig zu interpretieren.
3.3.1 Motivierung von Ereignissen in Schlesisches Wetter von Olaf Müller
Im Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller sind fünf Motive herauszusondern, die
eine zusammenhängende Geschichte bilden. Dazu zählt man folgende Ereignisse:
1. Vertreibung
2. Auftrag der Redaktion
3. Gespräch mit Mutter
4. Ankommen in Breslau
5. Treffen mit Agnieszka
Jeder Motiv hat einen großen Einfluss auf die ganze Geschichte und determiniert das
Leben der dargestellten Figuren. Vom daher kann man sie als verknüpfte Motive
erfassen. Die Ereignisse stehen im Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zueinander.
Diese Beziehung verweist auf die kausale Art der narrativen Motivierung.
Die Vertreibung gilt als das erste und zugleich entscheidende Ereignis, denn es
verursacht alle anderen Motive des Romanes. Dieses Ereignis betrifft eine konkrete
Gruppe von Menschen, die nach 1945 aus Schlesien vertrieben worden sind. Die
Familie Schynoski ist in Folge des zweiten Weltkrieges gezwungen worden, ihr ganzes
Vermögen zu verlassen. Die Protagonisten haben sich in Leipzig niedergelassen. Die
Erinnerung an die Alte Heimat begleitet aber sie jahrelang und hat einen großen
Einfluss auf das Leben der Nachkommen. Alexander Schynoski, der Sohn einer
Vertriebenen versuchte lebenslang der familiären Geschichte zu entkommen. Erst der
Auftrag, den Schynoski von seiner Redaktion bekommen hat, schafft ihm eine
96
Vgl., ebd., S. 114.
39
Möglichkeit, sich endlich mit den Folgen der Vertreibung zu konfrontieren. Der
Bildband über Breslau von den zwei polnischen Journalisten ist für ihn wie ein Reiz und
bringt ihn dazu, dass er sich für die Reise in die Alte Heimat entscheidet. Bevor aber die
Hauptfigur in Breslau ankommt, besucht sie ihre Mutter, die sie seit zwölf Jahren nicht
gesehen hat. Schynoski gelingt es nicht, seine Mutter zur gemeinsamen Resie zu
überzeugen. Trotzdem erzählt Ilse Schynoski zum ersten Mal ihrem Sohn von der
Flucht aus der alten Heimat. Die beklemmende Beschreibung der Vertreibung und die
Erinnerung an die gemütliche Zeit in Fürsten-Altguth beeindrücken den vierzigjährigen
Mann. Er macht sich auf die Suche nach eigener Identität. Der Besuch in Breslau ändert
seine bisherige Polenwahrnemung. Die polenbezogene Stereotype werden Schritt für
Schritt abgebaut. Endlich hat die Hauptfigur eine Möglichkeit, die familiären
Erinnerungen mit der Realität zu vergleichen. Am Ende der Reise trifft er schließlich
Agnieszka, in der er sich verliebt und beschließt, bei ihr das eigene, nicht von der
Familiengeschichte eingeprägte Leben anzufangen. Diese Entscheidung verweist
darauf, dass Schynoski sich endlich mit der Vergangenheit seiner Vorfahren abfindet.
3.4 Raumentwurf
Bei der Analyse eines narrativen Textes muss man Jurij M. Lotman zufolge die
räumliche
Kulisse
in
Betracht
ziehen.
Der
estnische
Literatur-
und
Kulturwissenschaftler weist in seiner Überlegungen darauf hin, dass die räumliche
Ordnung zentral für die Bedeutungskonstituierung narrativer Texte ist. Die Bedeutung
von Erzählungen lässt sich dem zufolge auf die räumlichen Komponente zurückführen.
Der Raum wird mit der zeitlichen Situierung gleichgestellt als der zentrale Bestandteil
der fiktionalen Wirklichkeitsdarstellung. Je nachdem welche Funktion die Räume in den
narrativen Texten erfüllen, kann man sie in drei Gruppen einteilen:
1. Aktionsraum, d.h. der Schauplatz der Handlung.
2. Anschaungsraum, mit dem sich die Figuren distanzieren oder identifizieren
können in Abhängigkeit davon, welche Einstellung sie zu ihm haben.
3. Raum, in dem Emotionen und Stimmung im Vordergrund stehen.
Die sujethafte (d.h. narrative) Texte sollen im Sinne Lotmans drei Bedingungen
erfüllen:
1. Die erzählte Welt muss in zwei komplementäre Teilräume aufgeteilt sein, die
oppositionell zueinander stehen, z.B. hoch vs. tief.
40
2. Die Teilräume müssen durch eine Grenze getrennt sein, die normalerweise
impermeabel, d.h. undurchläßig ist. In den sujethaften Texten ergibt sich aber
eine Möglichkeit, dass der Held diese Grenze überschreiten kann, wodurch sich
eine narrative Dynamik entwickelt.
3. Es muss ein Held sein, der die Handlung trägt und sich zwischen den beiden
komplementären Teilräumen bewegen kann.
Die
Sujet-Raum-Struktur
ist
Lotman
zufolge
ein
notwendiges
Merkmal
bedeutungshaltiger narrativer Texte97. In Abhängigkeit von Überschreitung einer
klassifikatorischen Grenze unterscheidet man zwischen:
1. revolutionären Texten, in denen die Grenzüberschreitung vollzogen wird.
2. restitutiven Texten, in denen der Versucht die Grenze zu überschreiten scheitert
oder gelingt, aber wieder rückgängig gemacht wird.
Die komplementären Untermenge einer erzählten Welt stehen im Gegensatz zueinander.
Die Entfaltung dieser Gegensätze realisiert sich auf drei Ebenen:
1. topologisch, d.h. durch Oppositionen, wie: <innen vs. außen>; <linksvs. rechts>.
2. semantisch, die mit Wertungen einhergeht, wie ,gut vs. böse>; <vertraut vs.
fremd>; <natürlich vs. künstlich>; <ländlich vs. städtisch>; <statisch vs.
dynamisch>.
3. topographische, die die erzählte Welt konkretisiert, wie <Stadt vs. Land>; <Berg
vs. Tal>; <Himmel vs. Hölle>.
Die Raumgestaltung spielt eine wichtige Rolle, denn sie wird zum organisierenden
Element, das auch die anderen, nichträumlichen Relationen des Textes ausdrückt98. Die
räumliche Ordnung ist wie die kulturelle Ordnung der Welt topologisch strukturiert99.
Von daher betrifft sie auch andere Sphären des menschlichen Lebens, wie soziale,
religiöse, politische oder moralische Modelle. Die räumliche Kulisse ergibt im
narrativen Text eine autonome Sinnstruktur, deswegen wird ihre Bedeutung von
Lotman so hervorgehoben.
3.4.1 Räumliche Ordnung in Olaf Müllers Schlesisches Wetter
97
Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Die Bedeutung von Erzählungen: Handlungs- und
Tiefenstrukturen.. In: Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, München
1999, S.134-144 (hier S. 144).
98
Vgl., ebd., S. 141.
99
Vgl., ebd., S. 143.
41
Im Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller unterscheidet man zumindest drei
Aktionsräume, die als Schauplätze der Handlung gelten, d.h. Berlin, Leipzig, Breslau
und seine Umgebung. Mit diesen Städten sind ganz bestimmte Gefühle, Erinnerungen
und Ereignisse verbungen. Jede Stadt hat auch andere Dimension in Abhängigkeit
davon, womit sie assoziiert wird.
Die Handlung des Romanes fängt in Berlin an, wo Aleksander Schynoski mit seiner
Geliebte Maureen wohnt. Hier arbeitete er in der Redaktion als Sportredakteur. Die
Hauptfigur erinnert sich an den Ostbahnhof, der früher Schlesischer Bahnhof hieß: „In
der Nähe des Ostbahnhofs wohnte ich, bevor ich Maureen traf“100. Die Realität in der
DDR wiederspiegelt sich in seiner Beschreibungen:
Über mir logierte ein ehemaliger General der Sicherheit, den ich aus
der Zeitung kannte. Er grüßte sehr zuvorkommend, zog den Hut. Es
wimmelte in diesem Haus [ das sich in der Stalinallee befand] von
Parteisäkreteren. Aushänge im Treppenhaus forderten dazu auf, ihnen
Versammlungen beizuwohnen. Der Kommunistischen Plattform
beizutreten oder der Volkssolidarität.101
Schynoski erinnert sich besonders stark an den Markt, der neben dem Ostbahnhof war.
Da konnte man sich unter anderem die Jacken kaufen, die im ganzen Osten vor dem
Mauerfall in Mode waren. Berlin ist auch ein Anschaungsraum, zu dem die Hauptfigur
eine bestimmte Einstellung hatte:
Auch wenn die Blocks bunt getüncht worden waren, änderte das
nichts an der Erbarmungslosigkeit, die mich in dieser Umgebung
anfiel. Als wäre sie nie mehr zu reparieren. 102
In diesem Raum herrschte eine bestimmte Stimmung. Das Gefühl der Angst, das man
im ganzen Ostdeutschland in dieser Zeit spüren konnte, wurde am Beispiel der
Einkäufer aufgezeigt:
Dennoch spiegelte sich in den Gesichtern der Einkäufer das Glück
wider, diese Einkäufe getätigt zu haben, diese Stücke endlich
erworben zu haben, um sie nach Hause zu bringen, in die Höhle zu
schleppen, aber gleichzeitig sah ich auch die Angst, die dieses Gefühl
begleitete und unterminierte, die Angst, das wertvolle Gut könnte
ihnen wieder genommen werden. Die Zeiten seien unberechenbar,
hörte ich sie denken.103
100
Müller, Olaf: Schlesisches Wetter, S. 48.
Ebd., S. 48f.
102
Ebd., S. 50.
103
Ebd, S. 50.
101
42
Als der zweite Aktionsraum gilt Leipzig. In dieser Stadt ist die Hauptfigur geboren und
großgewachsen. Für die älteren Generation der Familie Schynoski hat sie aber eine ganz
andere Dimension. Hier haben sie nämlich nach dem Kriegsende neue Heimat
gefunden. Die Einstellungen der einzelnen Protagonisten zu diesem Ort sind aber
unterschiedlich. Die meisten Familienmitglieder distanzierten sich von dieser Stadt. In
Leipzig fühlten sie sich einsam, fremd und unsicher. Als Vertriebene wurden sie von
dem Rest der Gesellschaft isolliert. Die politische Struktur des Staates hatte einen
großen Einfluss auf das familiäre Zusammenleben. Die Herkunft der Familie konnte
nicht ans Licht gebracht werden. Trotzdem trafen sich die Familienmitglieder oft
zusammen, um die Erinnerungen an die Alte Heimat hervorzurufen. Manche
Protagonisten, wie Helena Schynoski, waren immer bereit nach Fürsten-Altguth
zurüchzukehren. Die anderen dagegen, obwohl sie jahrelang auf den gepackten Koffern
lebten, wollten sich lieber mit der neuen Realität nicht konfrontieren. Alexander
Schynoski hatte eine zweierleie Einstellung zu dieser Stadt. Einerseits weckt bei ihm
Leipzig
positive
Gefühle
in
Verbindung
mit
der
Schulzeit
und
seinen
Schulkammeraden. Auf der anderen Seite wird seine Kindheit mit den Familienfesten
assoziiert, auf denen man ununterbrochen über die Alte Heimat erzählte. Auch am
Beispiel dieses Raumes wird die DDR-Realität aufgezeigt. Besonders stark sieht man
das in den Erinnerungen der Hauptfigur an die heufigen Reise zwischen Berlin und
Leipzig durch Jüterbog, wo die russische Armee stationierte, weiterhin durch
Wittenberg und das verschmutzte Bitterfeld.
Breslau, der dritte Aktionsraum, spielt eine representative Rolle, denn am Beispiel
dieser Stadt wird die polnische Realität dargestellt. Alexander Schynoski kommt in
diese Stadt an, um auf die Spuren seiner Familiengeschichte zu stoßen. Während des
Aufenthalts im Hotel Polonia konfrontiert sich die Hauptfigur mit den Stereotypen, die
durch seine Sozialisation eingeprägt waren. Mit der Zeit ändert sich aber seine bisherige
Polenwahrnehmung.
Breslau,
das
Schynoski
von
den
Erinnerungen
seiner
Familienmitglieder kannte, scheinte ihm jetzt fremd zu sein. Die Wirklichkeit entsprach
seinen Vorstellungen über diese Stadt nicht:
Die Stadt kehrte in mein Blickfeld zurück. Ich war ringsum von
Breslau umstellt, womit ich niemals gerechnet hatte. Ich wurde dazu
das unaussprechliche Gefühl nicht los, dass die Bewohner dieser
unwirklichen Stadt nicht zu ihr gehörten, sondern zu einer anderen,
43
wirklicheren Stadt. Dieses Gefühl bildete die Tyrannei meines
fehlprogrammierten Gedächtnisses ab.104
Fürsten-Altguth, das Dorf aus dem die Familie Schynoski stammt, kannte die
Hauptfigur nur aus den Erzählungen seiner Verwandten. Sehr genaue Beschreibung
dieses Raumes taucht beim Gespräch zwischen Ilse Schynoski und ihrem Sohn auf.
Dieses Dorf ist bestimmt ein Anschaungsraum, denn mit diesem Ort verbinden sich die
Erinnerungen, Emotionen, Gefühle und tragische Geschichte der ganzen Familie.
Obwohl Ilse Schynoski schon fast fünfzig Jahre da nicht gewesen war, konnte sie sich
sehr genau an dieses Dorf und seine Umgebung erinnern:
Im Sommer war es herrlich, im Winter eisekalt. Es gab viel Gewitter,
hat eingeschlagen und gebrannt. Sonnabend wurde die Straße gefegt
und der sommerweg geharkt, und wenn Pfingsten war, wurden
Lindenzweige abgebrochen. Wenn man nach Wilhelminenort wollte,
konnte man über Lampersdorf gehen, man konnte aber auch den
Lindenweg gehen, das war ein feldweg, dort war alles voller Linden,
Lindenzweige wurden an die Zäune gesteckt, das war unser
Pfingstschmuck. 105
Wie sich aber diese Umgebung nach dem Krieg geändert hat, erfuhr sie nur von ihrer
Familienmitglieder, die dahin gefahren sind:
Mathilde war zweimal nach dem Kreig wieder dort, nach der Wende;
das Dorf isr erhalten, die Leute sollen freundlich zu ihr gewesen sei,
es gibt sogar Neubauten, die Kirche haben sie wieder aufgebaut, aber
unsere Gräber, die sind weg, die Grabsteine haben sie als
Fußwegplatten genommen, das weiss ich aber nicht so genau. Jeder
erzählt da was anderes.106
Der Roman schlesisches Wetter von Olaf Müller gehört zu den revolutionären Texten,
denn man hat hier mit der vollzogenen Grenzüberschreitung zu tun. Alexander
Schynoski als Träger der Handlung überschreitet die Grenzen, was zur Entfaltung der
narrativen Dynamik führt. Dieser sujethafte Text beinhaltet folgende sich ergänzende
Hauptteilräume:
1. Polen vs. Deutschland.
2. Gegenwart vs. Vergangenheit.
3. Stadt vs. Dorf.
104
Ebd., S. 182.
Ebd., S. 139.
106
Ebd., S. 139.
105
44
Diese komplämenteren Untermengen stehen im Gegensatz zueinander. Alle drei
Gegesatzpaare realisieren sich auf der topographischen Ebene. Sie konkretiesieren
entweder räumlich oder zeitlich die erzählte Welt. Die Überschreitung der Grenze
zwischen Deutschland und Polen trägt dazu bei, dass die Hauptfigur ihre Einstellung zu
diesem Staat ändert. Hier lernt er Agnieszka kennen und entschließt sich in Polen bei ihr
das neue Leben zu beginnen. Mit dem Ankommen in Polen wird auch die
Grenzüberschreitung zwischen Gegenwart und Vergangenheit vollzogen. Alexander
Schynoski kann endlich die familiären Erinnerungen mit der Realität konfrontieren und
dadurch seine Familiengeschichte aufzuarbeiten. Die ältere Generation der Familie
Schynoski stammt aus dem schlesischen Dorf, das als die Alte Heimat genannt wird.
Die Hauptfigur ist dagegen in Leipzig großgewachsen und mit dieser Stadt identifiziert
sie sich. In diesem für Schynoski vertrauten Ort fühlten sich aber die anderen
Protagonisten fremd und einsam.
In der Auseinandersetzung mit der räumlichen Ordnung muss gesagt werden, dass die
Existenz der Figuren stark von den Räumen abhängt und beeinflußt wird. Jedem Ort
wird eine andere Bedeutung zugeschrieben. Je nachdem welche Einstellung die
Protagonisten zu den einzelnen Räumen haben, wecken sie unterschiedliche Emotionen.
Diese Räume berühren auch solche Spheren des menschliechen Lebens wie: Politik,
Sozialisation oder Moralität.
3.5 Erzählinstanz
In der Auseinandersetzung mit der Erzählperspektive muss gesagt werden, dass die
literarischen Texte „[...] durch ein vielfältiges und komplexeres Zusammenspiel
unterschiedlicher
Erzählstrukturen
gekennzeichnet
sind.“107
Der
französische
Literaturwissenschaftler Genette hat drei mögliche Erzählfiguren unterschieden:
1. homodiegetischer Erzähler, d.h. der Handlungsbeteiligte.
2. autodiegetischer Erzähler, d.h. ein Teil der Diegese und zugleich die Hauptfigur.
3. heterodiegetischer Erzähler, d.h. der Handlungsunbeteiligte.
Grundsätzlich kann man drei typische Erzählsituationen heraussondern: ich-bezogene,
auktoriale und personale. Franz K. Stanzel geht in seinem Modell davon aus, dass die
107
Schülein, Frieder/Stückrath, Jörn: Erzählen. In: Brackert, Helmut/ Stückrath, Jörn:
Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1996, S.54-69 (hier S. 65).
45
erzählte Wirklichkeit je nach der Erzählperspektive anders konstruiert werden kann.
Dabei zieht er zwei Dimensionen in Betracht:
1.
Erzählposition, d.h. inwieweit ist die Erzählfigur in die erzählte Geschichte
involviert.
Dem
zufolge
kann
der
Erzähler
aus
der
Sicht
eines
Handlungsbeteiligten erzählen oder an der Handlung nicht unmittelbar beteiligt
sein, d.h. die Informationen aus der anderen Hand haben.
2. Erfahrungsmodus, d.h. wie das dargestellte Ereignis vom Erähler verarbeitet
wird. Der Erzähler kann entweder die Geschehnisse reflektiert wahrnehmen oder
eine begrifflich und logisch kohärente Geschichte wiedergeben. Hier muss man
sich eine Frage stellen, ob die Erzählperspektive in der Außenwelt fällt oder ob
es sich eher um die Innenwelt d.h. Gedanken, Gefühle handelt.
Aus der Verknüpfung dieser beiden Dimensionen entstehen vier verschiedene
Erzählperspektiven:
1. Ich-Perspektive: Wissen aus der Sicht des Handelnden.
2. Auktoriale Perspektive: Wissen aus der sicht des Beobachters.
3. Erlebnisperspektive: Verselbständigung des inneren Geschehens des IchErzählers.
4. Erlebnisperspektive:
Verselbständigung
des
inneren
Geschehens
der
Handelnden.
Im Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller hat man mit der Polyperspektivität zu
tun. Alexander Schynoski gilt als homodiegetischer Erzähler, denn er ist an der
Handlung unmittelbar beteiligt, ist ein Teil der Diegese. Der Focus, d.h. die
Erzählperspektive fällt sowohl in der Innen- als auch in der Außenwelt des IchErzählers. Die Erzählfigur erzählt aus der Perspektive eines knapp vierzigjährigen
Mannes von den Ereignissen, die sie am eigenen Leib erlebt hat, z.B. die Erinnerungen
an die Kindheit. Er zeigt dabei eigene Gefühle auf und nimmt eine bestimmte Stellung
zu den einzelnen Figuren und Ereignissen. Im Roman lassen sich aber auch andere
Erzählfiguren unterscheiden. Damit werden die anderen Mitglieder der Familie
Schynoski gemeint. Sie erinnern sich an die Ereignisse aus der Vergangenheit und
schildern sie aus der eigenen Perspektive. Im Text kann man auch die auktoriale
Erzählperspektive unterscheiden: „Schynoski hatte keinen Plan für die nächste Zeit.“108
108
Müller, Olaf: Schlesisches Wetter, S. 101.
46
Aus der Analyse des Romanes Schlesisches Wetter von Olaf Müller ergibt sich deutlich,
dass in den literarischen Texten die Erzählfigur im Gegensatz zur Altagskommunikation
frei von dem Wahrheitsanspruch ist und dadurch kann sie eine komplexere und nicht
zuletzt künstliche Welt gestalten.
3.6 Zeitlicher Situations- und Ereignisrahmen
Charakteristisch für die fiktionalen Texte ist die Tatsache, dass die Erzählfigur ungleich
freier und artistischer über die Zeitachse109 verfügt. Daraus ergibt sich, dass der
sprachliche Ablauf der Erzählung mit der chronologischen Reihenfolge der erzählten
Geschehnisse nicht übereinstimmen muss. Die lineare Zeitgestaltung kann durch
Zeitsprünge, d.h. Anachronien unterbrochen werden. Dazu zählt man:
1. Analepse, d.h. der Zeitsprung in die Vergangenheit.
2. Prolepse, d.h. der Zeitsprung in die Zukunft.
Die meisten Ereignisse des Romanes Schlesisches Wetter von Olaf Müller sind in die
1990-er Jahre eingebettet. Die gegenwärtigen Ereignisse folgen nacheinander, d.h. sie
werden chronologisch dargestellt. Im Text kommen aber zahlreiche Rückwendungen
vor. Die Protagonisten erinnern sich nämlich an ihre Vergangenheit. Die Hauptfigur
greift in seinen Erinnerungen mehrmals auf die Zeit seiner Kindheit in Leipzig zurück.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Schynoski sehr genau die damaligen Ereignisse
beschreibt:
Tatsächlich wäre es sehr gefährlich gewesen, halbblind durch die
Ruinen zu stolpern, in denen wir noch Ende der sechziger Jahre in
Leipzig gespielt haben. Unter dem Schutt lagen überall Eingänge zu
feuchten Kellerlöchern. Ein falscher Schritt, und wir wären metertief
in die Abgründe gestürzt, die der Krieg hinterlassen hatte.
Überwucherte Kratzer, heimtückische Gruben, Fallen. [...]110
Direkt meinem Haus gegenüber lagen die trümmer der Dosenfabrik
Köhler, die an ein Ruinengrundstück grenzte, wo vor der
Bomberdierung ’43, als meine Familie noch in Fürsten-Altguth saß,
ein wohnhaus gestanden hatte.111
Die Erinnerungen werden oft durch verschiedene Gegenstände verursacht, wie z.B. bei
Ilse Schynoski durch den Bildband über Breslau oder zahlreiche Fotos:
109
Vgl. Schülein, Frieder/Stückrath, Jörn: Erzählen. In: Brackert, Helmut/ Stückrath, Jörn:
Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, a.a.O., S.65.
110
Müller, Olaf, Schlesisches Wetter, S. 8.
111
Ebd., S. 8.
47
Ich erinnere mich an kein Kind in meiner Klasse, das dick gewesen
wäre. Damals war nach sicher nicht die Zeit für übergewichtige
Kinder, stellte ich nach der Besichtigung dunkelvergilbter
Klassenaufnahmen aus der Sechzigern fest.112
Die ältere Generation der Familie Schynoski ruft hingegen in ihrem Gedächtnis die
Ereignisse aus der Zeit des zweiten Weltkrieges und eine kurze Zeitspanne nach 1945
herbei. Sie sind größtenteils mit der alten Heimat verbunden. Nicht zuletzt
wiederspiegeln diese Erinnerungen Gewalt und Gräueltaten des Krieges:
Die Polen haben uns nicht vergewaltigen wollen, die haben uns nur
schikaniert, früh wurden wir zur arbeit eingeteilt, vergewaltigt haben
sie uns nicht, sie haben uns zermürbt, die haben uns beschimpft.113
Im Roman kann man außer Analepse auch Prolepse unterscheiden. Als das beste
Beispiel dafür gilt hier das Moment, als die Hauptfigur sich in ihrem Kopf den Besuch
in Breslau ausmalte:
Ich finde kein Hotelzimmer und bin gezwungen, die Nacht auf dem
Bahnhof zu verbringen oder in einem modrigen Hauseingang. Die
Männer aus dem Monopol stecken Pennern Złotykleingeld zu und
erkundigen sich nach mir. Aus vielerlei Auskünften bekommen sie
schließlich Wind von meinem Aufenthaltsort, sind im Vorteil, weil sie
wissen, wohin ich mich verkrochen habe, ich aber nicht weiss, woher
sie kommen werden. 114
Die Anachronien spielen eine wichtige Rolle. Der Leser kann dank den Analepsen die
Geschichte der Familie Schynoski kennen lernen. Sie haben aber vor allem einen
großen Einfluss auf die einzelnen Protagonisten. Die Vergangenheit determiniert
nämlich ihr gegenwärtiges Leben, wie z.B. die Erinnerungen der Hauptfigur, die sie
dazu verführt haben, dass sie sich für die Reise in das schlesische Dorf entscheidet, um
sich mit der Familiengeschichte zu konfrontieren.
3.7 Fazit
Der Roman Schlesisches Wetter von Olaf Müller referiert auf die realen Fakten, die am
Beispiel der fiktiven Figuren beschrieben werden. Die Ereignisse betreffen die
Zeitspanne vom Ende des zweiten Weltkrieges bis in die 1990-er Jahre. Der Autor
112
Ebd., S. 40.
Ebd., S. 143.
114
Ebd., S. 172.
113
48
berührt im Roman unterschiedliche Themen, wie die Frage der Vertreibung, der
Heimatverlust und Neubeginn unter schwierigen Umständen in der DDR und die
stereotypen Vorstellungen Deutschen Polen gegenüber. In den vorigen Kapiteln wurden
folgende Ebenen der Analyse berücksichtigt: der Aufbau von Figuren, die
Erzählinstanz, der Raumentwurf und die Zeitgestaltung im narrativen Text. Hinsichtlich
der Figurenkonstellation wurde vor allem die Familie Schynoski hervorgehoben, als
Träger des kollektiven Gedächtnisses. Auf der Ebene der Erzählinstanz wurde die
Erzählfigur und ihre Einstellung zu der erzählten Welt analysiert. Weiterhin wurden die
Teilräume des Romanes festgestellt, die für den Verlauf der Handlung von Bedeutung
sind. Dabei wies man auch darauf hin, dass die Räume in einer gewissen
Gegenüberstellung zueinander stehen. Aus der Analyse der zeitlichen Gestaltung des
Romanes ergab sich die Unterbrechung der Chronologie von Ereignissen durch die
Anachronien, die meistens auf die Vergangenheit bezogen sind.
Die vorgenommenen Kriterien bestätigen die These, dass bei der Analyse eines fiktiven
Textes nicht nur der Inhalt sondern auch die Art und Weise der Vermittlung in Betracht
gezogen werden sollten. Dies ermöglicht dem Leser, den sujethaften Text in
mehrperspektivischer Sicht zu betrachten.
4. Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wird am Beispiel des Romanes Schlesisches Wetter von Olaf
Müller der Zusammehang zwischen den Gedächtnis- und Erinnerungskulturen und der
Literatur aufgezeigt. Durch die Analyse des Textes versucht man festzustellen,
inwieweit
die
Erinnerungen
und
das
Gedächtnis
das
Leben
bestimmter
Gesellschaftsgruppen determienieren. Dabei wird eine konkrete Gruppe berücksichtigt,
die nach dem zweiten Weltkrieg zum Verlassen ihr ganzes Vermögen gezwungen war.
Im ersten Kapitel wird das Ziel der Arbeit bestimmt. In diesem Teil werden wichtige
Aspekte hervorgehoben, die man bei der Analyse des Romanes berücksichtigen sollte.
Weiterhin wird auf bestimmte Tendenzen in der Literatur hingewiesen, die sich in den
letzten Jahrzehnten entwickelt haben.
Der
zweite
Kapitel
beinhaltet
die
methodologische
Analyse
des
aktuellen
Gedächtnisdiskurses. Dabei werden die Gedächtniskonzeptionen der wichtigsten
Theoretiker erläutert, wie Aleida und Jan Assmann, Pierre Nora, Maurice Halbwachs
und Aby Warburg. In diesem Kapitel wird auf zwei spezifische Begriffe aufmerksam
49
gemacht: die Heimat und ihr Verlust und das Stereotyp. Hier wird auch die Frage der
Vertreibung im historisch-politischen Kontext dargestellt. Als letztes Punkt dieses
Kapitels gilt hier die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen dem Erzählen
und dem Erzählten in den literarischen Texten.
Im dritten Kapitel geht man zur Analyse des Romanes Schlesisches Wetter von Olaf
Müller über. Der narrative Text wird nach bestimmten Kriterien analysiert, die folgende
Aspekte berücksichtigen: Figuren und ihr soziales Umfeld, die motivationale
Verkettung von Ereignissen, die Erzählperspektive, die räumliche Kulisse sowie die
zeitliche Fixirung.
Das
letzte
Kapitel
der
vorliegenden
Diplomarbeit
beinhaltet
die
Didaktisierungsvorschläge. Die Stundenentwürfe zeigen, wie die im Roman
vorgenommene Thematik vom Lehrer im DAF-Unterricht einbezogen werden kann.
50
5. Praktischer Teil- Didaktisierungsvorschläge
5.1 Didaktisierungsvorschlag Nr 1
Zielgruppe:
3 Klasse- Allgemeinbildendes Lizeum
Zeit:
45 Minuten
Thema:
Typisch deutsch?
Pragmatische Ziele:
Ich kann anhand des Textes sagen, wie die Deutschen sind.
Kognitives Ziel:
Ich weiß, was ein Stereotyp ist und wie man es abbauen kann.
Sozial-affektives Ziel:
Ich kann mit anderen Schülern in der Gruppe
zusammenarbeiten.
I Begrüßung
Die Schüler werden mit einem Guten Tag begrüßt. Die Lehrerin prüft die Anwesenheit.
Sozialform: Frontalunterricht.
Feinziel:
------------
Zeit:
1 Minute.
Materialien: -----------
II Aufmunterung
Die Lehrerin schreibt „Typisch Deutsch“ an der Tafel und fragt die Schüler, womit sie
das assoziieren. Alle Meinungen werden gesammelt und in Form eines Assoziogramms
an die Tafel geschrieben. Die Schüler machen sich Notitzen in ihren Heften.
Sozialform:
Frontalunterricht.
Feinziel:
Ich kann sagen, was ich unter dem Begriff „Typisch Deutsch“ verstehe.
Zeit:
3 Minuten
Materialien: Tafel, Kreide, Hefte
III Thema- und Zielangabe
Die Lehrerin stellt das Thema und Ziel des Unterrichts dar. Sie werden auf Deutsch
formuliert und von der Lehrerin an die Tafel geschrieben.
51
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich weiß, womit ich mich heute beschäftigen werde.
Zeit:
1 Minute
Materialien: Tafel, Kreide, Hefte.
IV Einführungsphase
Die Lehrerin teilt die Schüler in sechs Kleingruppen ein. Jede Gruppe zieht einen Zettel.
Auf den Zetteln befinden sich folgende Schlüßelwörter:
1. Mädchen
2. Jungs
3. Schule
4. Humor
5. Partys
6. Zeitgefühl
Die Lehrerin lässt die Schüler ihre Phantasie wecken. Die Schüler stellen sich eine
Situation vor. Sie treffen einen jungen Deutschen und möchten mehr über das Thema,
das sie ausgewählt haben, wissen. Sie sollten jetzt ausdenken, welche Fragen sie dem
jungen Deutschen dazu stellen würden.
Die Lehrerin verteilt danach die Texte. Die Schüler lesen in Kleingruppen die Texte
durch. Sie sollten den Text allgemein verstehen. Nach dem Lesen sagt jede
Kleingruppe, ob die von ihr ausgedachten Fragen mit dem Inhalt des Textes
übereinstimmen.
Sozialform: Gruppenarbeit
Feinziel:
Ich kann den Text allgemein verstehen.
Zeit:
15 Minuten
Materialien: Zettelchen mit den Schlüßelwörtern, die Texte.
V Übungsphase
Die Schüler lesen die Texte nochmal durch. Jede Kleingruppe bekommt bestimmte
Fragen zu ihrem Text. Die Schüler müssen die wichtigsten Informationen aus den
Texten herausfinden und die Fragen beantworten.
Jede Kleingruppe präsentiert die Antworten vor der Klasse.
52
Sozialform: Gruppenarbeit/ Plenum
Feinziel:
Ich kann die wichtigsten Informationen aus dem Text herausfinden und
die Fragen beantworten.
Zeit:
15 Minuten
Materialien: die Texte
VI Anwendungsphase
Die Schüler sollten in den Kleingruppen überlegen, welche Stellung die polnischen
Schüler zu den Themen: Mädchen, Jungs, Schule, Humor, Partys und Zeitgefühl in
Deutschland nehmen. Die Gruppen tauschen ihre Meinungen darüber.
Sozialform: Gruppenarbeit, Plenum
Feinziel:
Ich kann mich zu einem Thema äußern.
Zeit:
5 Minuten
Materialien: ----------------
VII Testphase
Die Schüler vergleichen ihre Meinungen darüber mit den Meinungen der Jugentlichen
aus den anderen Ländern. Aufgrund dessen versuchen sie zusammen festzustellen, was
man unter dem Begriff ‚Stereotyp’ verstehen kann und wie es zur Entstehung von
Stereotypen kommt. Die von den Schülern erstellte Definiton wird an die Tafel
geschrieben.
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich kann eine Definiton formulieren.
Zeit:
4 Minuten
Materialien: Kreide, Tafel, Hefte
VIII. Zusammenfassung.
Die Lehrerin fasst die Unterrichtsstunde zusammen.
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich weiß, was im Unterricht von bedeutung war.
53
Zeit:
1 Minute
Materialien: ----------
Übungsblatt zum Didaktisierungsvorschlag Nr. 1
Anlage 1:
Deutsches Zeitgefühl: Immer mit der Ruhe.
Rong Liu, 17, aus Shanghai, lebt seit September in München und geht im Juli zurück
nach China.
"Die Chinesen leben irrsinnig schnell, versuchen, in möglichst kurzer Zeit möglichst
viel zu schaffen. Meine Eltern sind nie zu Hause, weil sie immer nur arbeiten. Auch bei
uns gibt es das Sprichwort, dass Zeit Geld ist - und die meisten Chinesen richten sich
danach. Wir haben so gut wie keine Freizeit. Die Deutschen denken ja immer sie wären
hektisch. In Wirklichkeit aber leben sie sehr langsam, überlegen lange, was sie gerade
tun möchten oder müssen. Sie haben viel Zeit für sich und ihre Familie. Die deutsche
Zeit rennt nicht, sie bewegt sich in langsamen Kurven. Sie ist nicht durch einen strengen
Wettkampf um Arbeit und Platz vorgegeben. Die Deutschen können sich die Zeit
einfach nehmen. Vielleicht ist das so, weil hier so wenig Menschen leben und deshalb
viel Zeit und Raum für alle da ist. Ich finde das wunderschön. Denn wer sich keine Zeit
nimmt, wird krank und schlecht gelaunt. Manchmal gehen die Deutschen trotzdem
penibel mit ihrer Zeit um. Was wirklich seltsam ist, denn sie haben doch so viel davon.
Wenn ich zum Beispiel eine Freundin treffen will, kann ich nicht einfach
vorbeikommen, das nennen sie dann "Überraschungsbesuch" und so was gehört sich
wohl nicht. Ich muss vorher anrufen und mich ordentlich mit ihr verabreden. Gerade
wenn es ums Essen geht. Essen hat hier immer mit Zeit zu tun. Deutsche versuchen,
gemeinsam zu essen und dabei in Ruhe miteinander zu reden. Sie mögen es nicht, nur
schnell mal was reinzuschlingen. Es sieht gemütlich aus, wie sie essen. Sie schneiden
mit Messer und Gabel klein, was sie vor sich auf dem Teller haben. In China essen die
Leute mit hoher Geschwindigkeit, schon wegen der Stäbchentechnik, und weil sie keine
Zeit haben. Aber das Wichtigste, wenn man sich mit Deutschen zum Essen verabredet,
ist pünktlich zu sein. Die Zeit der Deutschen ist langsam, aber genau."
54
A. Die Deutschen sind schrecklich hektisch. Nie haben sie Zeit zum Leben.
B. Die deutsche Zeit rennt nicht, sie bewegt sich in langsamen Kurven.
Deutsche Partys: Gemeinsam einsam
Claudia Parisi, 17, aus Arco am Gardasee, lebt seit September in Bremen und geht im
Juli zurück nach Italien.
"Ich gehe in Deutschland viel öfter auf Partys, als ich es in Italien getan habe. Ich
komme aus einem kleinen Ort, da gibt es so was nicht so oft. Hier bin ich fast jedes
Wochenende unterwegs, entweder auf Privatpartys, zu denen ich eingeladen werde,
oder auf diesen etwas größeren, halboffiziellen, bei denen die Leute einen Raum mieten
und die Gäste dafür Eintritt bezahlen. Ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie viel Bier
und Schnaps getrunken wird. Wissen Deutsche eigentlich, wie viel sie trinken? Ich will
jetzt nicht schimpfen, ich trinke ja auch immer mit, aber ich glaube, eine deutsche Party
ohne Bier wäre keine Party. Oder alle fänden es total schrecklich. Kürzlich war ich bei
Südamerikanern eingeladen. Wir saßen die ganze Nacht zusammen, haben nur Saft
getrunken und uns bis morgens um vier köstlich amüsiert. Ich glaube, so was wäre mit
Deutschen nicht möglich. Sie müssen Alkohol trinken, um in Stimmung zu kommen,
um lockerer zu werden, sich miteinander zu unterhalten und Spaß zu haben. Vielleicht
auch deshalb, weil sie nicht so offen gegenüber Fremden sind. Sie kommen als
Grüppchen und gehen als Grüppchen. Ich lerne auf deutschen Partys ganz selten jemand
kennen. Würde ich alleine auf ein solches Fest kommen, würde ich auch alleine wieder
gehen. Vielleicht wollen sie ja gar keine Fremden kennenlernen? Ich glaube wirklich,
sie sind lieber mit denen zusammen, die sie schon kennen. Die Deutschen sind weniger
aufmerksam als die Italiener, schauen einen nicht an. Vielleicht ist ihnen deshalb auch
nicht so wichtig, was sie auf Partys für Klamotten anhaben. In Italien bespreche ich mit
meinen Freundinnen jedes Mal stundenlang, was wir tragen werden. Hier haben die
Leute abends das Gleiche an wie tagsüber. Sogar an Silvester sahen sie so aus wie
immer. Auch das mit dem Tanzen ist irgendwie komisch: Es dauert sehr lange, bis mal
jemand tanzt. Niemand traut sich so richtig. Alle warten, bis einer den Anfang macht.
Und dann tanzen vor allem die Mädchen. Die Jungs tanzen selten bis gar nicht, weil sie
wohl Angst haben, sich lächerlich zu machen und ihre Coolness zu verlieren. Deshalb
55
wird natürlich auch nicht oft zusammen getanzt. Ja, in Deutschland tanzen die
Menschen nicht miteinander, sondern eher alleine."
A. Ich lerne auf deutschen Partys ganz selten jemanden kennen. Die Leute kommen als
kleine Gruppe und gehen als kleine Gruppe.
B. Auf deutschen Partys kann man leicht Leute kennen lernen. Man wird als Fremde
sofort aufgenommen.
Deutscher Humor: Keine Angst vor schlechten Witzen.
Suzanna Homérová, 17, aus Nitra, lebt seit September in Hamburg und geht im Juli
zurück in die Slowakei.
"Ich muss in Deutschland eigentlich über alles lachen. Nicht weil ich es hier so albern
finde, sondern weil die Deutschen einfach lustig sind. Ich kenne viele deutsche
Jugendliche, die immerzu lachen und andauernd Witze erzählen, über Politiker,
Polizisten, Perverse und Blondinen. Ich glaube, die Deutschen sind viel fröhlicher, als
sie von sich denken. Wenn ich hier durch die Straßen laufe, sehe ich lockere, lustige
Gesichter. Ich habe mich auch von Anfang an getraut, selber Witze zu erzählen, weil
gerade die jungen Deutschen alles nicht so furchtbar ernst nehmen und ich deshalb
auchkeine Angst habe, etwas falsch zu machen. Am lustigsten finde ich immer, wenn
sich die Deutschen über sich selbst lustig machen. Sie halten sich nicht für die Größten vielleicht haben sie aus der Geschichte gelernt. Auch zittert niemand so vor Autoritäten.
Wovor
man
keine
Angst
hat,
darüber
kann
man
sich
lustig
machen.
So richtig intelligente Witze machen die Deutschen allerdings nicht. Ihr Humor ist oft
platt, aber vielleicht muss ein guter Witz das auch sein, damit ihn jeder versteht. Was
ich nicht mag, ist, wie deutsche Männer lachen. Ich saß mal mit Freunden in einer
Kneipe und am Nebentisch hörte eine Gruppe von Männern überhaupt nicht mehr auf
zu lachen. Das war so laut und auch irgendwie böse, wie sie ihre Münder aufrissen und
abgehackte "Ha!"s ausstießen. Ihr Lachen kam mir vor wie ein Wettkampf, in dem jeder
der Beste sein wollte. Fast ein bisschen bedrohlich. Vielleicht habe ich aber einfach nur
den Witz nicht verstanden."
56
A. Die Deutschen sind sehr oft schlecht gelaunt und können nicht über sich selbst
lachen.
B. Ich glaube, die Deutschen sind viel fröhlicher als sie von sich denken.
Schule in Deutschland: Lernen ohne Erfolgsdruck.
Ilja Krylov, 17, aus Yaroslawl, lebt seit September in Weilheim bei München und geht
im Juli zurück nach Russland.
" Nur wer in Russland in der Schule besonders gut ist, viele Einsen hat und dafür
Medaillen gewinnt, hat eine Chance, an die Uni zu gehen. Und nur wer studiert hat,
bekommt später auch eine Arbeit, mit der er genug Geld verdienen kann, um normal zu
leben. Und trotzdem müssen viele auch noch Nebenjobs annehmen, damit es zum
Leben reicht. Erfolgreich ist, wer viel weiß und sich ein menschenwürdiges Leben
leisten kann. Hier in Deutschland ist das alles ganz anders. Die Leute arbeiten viel,
erarbeiten sich aber vor allem Zeit, um zu reisen und ihr Leben zu gestalten. Sie sind
frei, selbst zu entscheiden, wer sie sein wollen und wie ihr Leben aussehen soll. Die
Deutschen sollten wissen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Das fängt schon in
der Schule an: Es ist völlig üblich, für ein oder zwei Jahre nach Frankreich oder
Amerika zu gehen. Auch wenn darunter vielleicht die Noten leiden, ist es mindestens
genauso wichtig, die Welt kennen zu lernen. Vielleicht ist das sogar das einzig
Wichtige: gut sein, um mehr Möglichkeiten und mehr Spaß zu haben. In Russland bin
ich eine große Ausnahme. Wir haben in den seltensten Fällen die Möglichkeit, unser
Land zu verlassen, weil wir das Geld eben zum Leben brauchen und keine Reisen
finanzieren können. Schon mit 16 weiß jeder genau, in welchem Beruf er später einmal
arbeiten möchte. In Deutschland machen die Jugendlichen einfach ihr Abitur. Und dann
haben sie erst mal Zeit. Manche nehmen sich ja sogar ein ganzes Jahr frei, jobben rum,
machen Praktika oder auch gar nichts, bis sie sich dann irgendwann entscheiden, ob und
was sie studieren wollen. Erfolg ist hier schon auch sehr wichtig, aber eben nicht, um zu
überleben, sondern um schön zu leben. Man leistet halt etwas, um nicht ganz dumm
dazustehen und andere Länder kennen zu lernen. So scheinen in deutschen Schulen
auch Sprachen sehr viel wichtiger zu sein als Naturwissenschaften. Aber manchmal
scheint es mir, als würden die Deutschen ihre Freiheit gar nicht bemerken. Denn trotz
ihrer Weltoffenheit beschäftigen sie sich komischerweise mehr mit Gegenständen als
57
mit anderen Menschen. Ich bin nachmittags und am Wochenende oft alleine. Wie gern
würde ich mich doch mit den anderen aus der Schule treffen, aber die sitzen meistens
mit Stereoanlagen und Computern zu Hause. Schade finde ich auch, dass viele so
arrogant werden, sobald sie etwas erreicht haben. Die wollen dann, dass jeder weiß, was
sie können und sagen zu allem ihre Meinung, auch wenn die manchmal gar niemand
hören will."
A. Reisen und die Welt kennen lernen ist deutschen Schülern wichtiger als gute Noten
zu haben.
B. Deutsche Schüler achten sehr auf ihre Noten, damit sie später einen guten Job
bekommen.
Deutsche Jungs: Sie glauben, sie kriegen alles
Leah Nielsen, 18, aus New Uom in Minnesota, lebt seit September in Bremen und geht
im Juli zurück in die USA.
"Zu Anfang war ich oft etwas schockiert, weil deutsche Jungs so wahnsinnig schnell bei
der Sache sind, was Flirten und Sex angeht. In den Discos, zum Beispiel: Da kommen
die Leute zusammen, tanzen miteinander und küssen sich dann auch sehr schnell,
obwohl sie sich kaum kennen. Ich fand das sehr seltsam. Die Amerikaner sind da
langsamer. Auch wenn wir nicht immer an dem starren Dating-System festhalten, wie
Europäer uns das oft unterstellen, gibt es einfach einige Regeln: Wenn mich in den USA
ein Junge fragt, ob ich mit ihm ins Kino oder zum Essen gehen will, heißt das, dass er
mich süß findet und Interesse hat. Wenn ich dann mit ihm ausgehe, signalisiere ich
natürlich Zustimmung, aber auch, dass ich ihn kennen lernen will, wissen will, wer er
ist und wie er denkt. Kann schon sein, dass ich mich am Ende des Abends dann auch
küssen lasse, aber wir würden nicht gleich miteinander schlafen. Ich habe das Gefühl,
dass so was in Deutschland eher vorkommt. Inzwischen habe ich mich aber daran
gewöhnt, dass die deutschen Jungs so ein "Alles geht"-Gefühl haben. Vielleicht haben
sie weniger Hemmungen, weil ihre Eltern meistens nicht so streng sind wie
amerikanische. Ich könnte hier zum Beispiel einfach so bei meinem Freund
übernachten. In den USA wäre das unmöglich, wir kennen uns ja noch nicht mal ein
Jahr. Und sonst? Jungs sind Jungs, überall auf der Welt."
58
A. Es dauert sehr lange, bis man mit deutschen Jungs ins Gespräch kommt. Sie können
nicht richtig flirten.
B. Zu Anfang war ich schockiert, weil deutsche Jungs so wahnsinnig schnell bei der
Sache sind, was Flirten angeht.
Deutsche Mädchen: Sie sind schön für sich selbst.
Roberto Tenorio, 18, aus San José, lebt seit September in Bad Oldeslohe bei Hamburg
und geht im Juli zurück nach Costa Rica.
"Deutsche Mädchen sind viel freundlicher und offener als die Mädchen in Costa Rica.
Sie haben keine Angst, öffentlich mit einem Jungen gesehen zu werden. Und sie
kümmern sich nicht groß darum, ob ein Mädchen 'so etwas tut' oder nicht. Sie machen,
was sie wollen und kämpfen um ihre Gleichberechtigung. Sie sind auch im Umgang mit
Jungs sehr entspannt. Man redet halt einfach so miteinander und trifft sich, ohne dass es
gleich etwas mit Sex zu tun haben muss. Und wenn es dann doch in diese Richtung
geht, geben sie einem das auch zu verstehen. Als ich hierher nach Bad Oldeslohe
gekommen bin, waren es Mädchen und nicht Jungs, die auf mich zugegangen sind und
mir geholfen haben. Ich habe auch viele Mädchen kennen gelernt, die sich für Politik
interessieren und die in fremde Länder fahren, um den Menschen dort zu helfen. Meine
Gastschwester, etwa, ist gerade in Guatemala, um dort an einer Schule zu arbeiten.
Außerdem finde ich, dass deutsche Mädchen sehr gut angezogen sind. Hosen, Pullis alles sieht elegant und selbstbewusst aus. Sie ziehen sich für sich an und nicht für die
Blicke der Männer. Sie scheinen die Blicke nicht nötig zu haben. Das ist wirklich etwas
Besonderes. Die Mädchen in Costa Rica kleiden sich betont sexy, tragen knappe Röcke
und Tops, präsentieren immer nur ihren Körper, verstecken aber ihre Seele. Bei den
deutschen Mädchen ist es ihre ganze Art, die sie so schön macht. Das schönste deutsche
Mädchen, das ich kenne, ist meine Schulfreundin Hannah. Weil sie so hilfsbereit ist und
immer das tut, was sie für richtig hält. Sie hat mir in meinen ersten Wochen in
Deutschland geholfen, wo sie nur konnte: Ob ich Probleme mit der Sprache hatte oder
einfach nur einsam war, sie war immer da. An der Eigenständigkeit der Mädchen liegt
es wohl auch, dass die Paare hier in Deutschland nicht so zusammenkleben wie in Costa
Rica. Ich kann mich mit Mädchen treffen, obwohl sie einen Freund haben. Das Einzige,
59
was mich an deutschen Mädchen stört, ist, dass sie dieses Vorurteil gegenüber
Südamerikanern haben: Viele denken, ich wäre ein Macho und wollte sowieso nur mit
ihnen ins Bett gehen."
A. Deutsche Mädchen sind viel freundlicher und offener als Mädchen in Costa Rica.
B. Es ist schwierig deutsche Mädchen kennen zu lernen.
Quelle:Goethe-Institut: http://www.goethe.de/Z/jetzt/dejart38/dejprv38.htm
Anlage 2:
Fragen zu den Texten:
I Gruppe:
1. Wie sieht das Leben in China aus?
2. Wann kommt zum ‚Überraschungsbesuch’?
3. Wie essen die Deutschen?
4. Sind die Deutschen pünktlich?
II Gruppe:
1. Was trinken die deutschen auf Partys?
2. Schließen die Deutschen gerne Bekanntschaften?
3. Wie ziehen sich die Deutschen an?
4. Warum wird auf deutschen Partys nicht so oft zusammen getanzt?
III Gruppe:
1. Worüber lachen die Deutschen?
2. Können sich die Deutschen über sich selbst lustig machen?
3. Wie ist ihr Humor?
4. Was mag Suzanna nicht bei den deutschen Männern?
IV Gruppe:
1. Sind die Jugentliche in Russland unter Druck gesetzt?
2. Wie lernt man in Deutschland?
60
3. Sind die Deutschen weltoffen?
4. Wie beschreibt Ilja die Deutschen?
V Gruppe:
1. Wie betrachtet Leah die deutschen Jungs?
2. Wie betrachtet Leah die Jungs in Amerika?
3. Wie benehmen sich die Deutschen auf Partys?
4. Wie sind die deutschen Eltern?
VI Gruppe:
1. Wie sind die deutschen Mädchen?
2. Was ist für sie besonders wichtig?
3. Wie sind die Mädchen in Costa Rica?
4. Was für ein Vorurteil haben die deutschen Mädchen gegenüber Südamerikanern?
61
5.2 Didaktisierungsvorschlag Nr 2
Zielgruppe:
III. Studienjahr
Zeit:
90 Minuten
Thema:
DDR-Realität.
Pragmatische Ziele:
Ich kann anhand des Textes die Situation in der DDR
schildern.
Ich lerne die typischen Wörter und Wendungen aus dieser Zeit
kennen.
Kognitives Ziel:
Ich weiß, wie das Leben in einem totalitären System
ausgesehen hat.
Sozial-affektives Ziel:
Ich kann mit anderen Schülern zusammenarbeiten.
I Begrüßung
Die Schüler werden mit einem Guten Tag begrüßt. Der Lehrer prüft die Anwesenheit.
Sozialform:
Frontalunterricht.
Feinziel:
------------
Zeit:
3 Minuten
Materialien:
-----------
II Aufmunterung
Der Seminarleiter schreibt „Das totalitäre System“ an die Tafel und fragt die Schüler,
was für dieses System charakteristisch ist. Alle Assoziationen werden an die Tafel
geschrieben. Der Lehrer fragt danach, in welchen Ländern ein totalitäres System
herrscht und welche Länder in der Geschichte von dieser Staatsform betroffen waren.
Die Studenten machen sich Notitzen in ihren Heften.
Sozialform:
Frontalunterricht.
Feinziel:
Ich kann sagen, was ich unter dem Begriff „Das totalitäre System“
verstehe.
Zeit:
5 Minuten
Materialien: Tafel, Kreide, Hefte
62
III Thema- und Zielangabe
Der Seminarleiter stellt das Thema und Ziel des Unterrichts dar. Sie werden auf
Deutsch formuliert und von der Lehrerin an die Tafel geschrieben.
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich weiß,womit ich mich heute beschäftigen werde.
Zeit:
1 Minute
Materialien: Tafel, Kreide, Hefte.
IV Einführungsphase
Der Seminarleiter verteilt das Kapitel Rinks und lechts aus dem Buch Mein erstes TShirt von Jakob Hein. Die Studenten lesen den Text durch und versuchen den Inhalt
zusammenzufassen.
Sozialform: Einzelarbeit
Feinziel:
Ich kann den Text allgemein verstehen.
Zeit:
15 Minuten
Materialien: der Text
V Übungsphase
Der Seminarleiter lässt die Studenten, im Text Wörter und Wendungen herauszufinden,
die mit der DDR verbunden sind. Danach bekommen die Studenten eine Liste mit
Begriffen und vergleichen diese mit denen, die sie im Text herausgefunden haben. Die
Studenten müssen mit Hilfe der Wörterbücher die Begriffe mit eigenen Worten
erklären.
Sozialform: Einzelarbeit/ Plenum
Feinziel:
Ich kann die wichtigsten Informationen aus dem Text herausfinden und
die Begriffe mit eigenen Worten erklären.
Zeit:
30 Minuten
Materialien: die Texte
VI Anwendungsphase
63
Der Seminarleiter teilt die Studenten in drei Gruppen ein. Jede Gruppe bekommt
dieselbe Textstellen. Die Studenten versuchen sie zu interpretieren.
Sozialform: Gruppenarbeit
Feinziel:
Ich kann mich zu einem Thema äußern.
Zeit:
20 Minuten
Materialien: Textstellen
VII Testphase
Die Gruppen präsentieren die Ergebnisse ihrer Arbeit. Die Studenten vergleichen, ob
alle Gruppen die Textstellen gleich interpretiert haben. Im Plenum wird diskutiert, wie
das totalitäre System in der DDR ausgesehen hat und was sich nach der Wende in
diesem Staat verändert hat.
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich kann eine Definiton formulieren.
Zeit:
15 Minuten
Materialien: Textstellen
VIII. Zusammenfassung.
Der Seminarleiter fasst die Unterrichtsstunde zusammen.
Sozialform: Frontalunterricht
Feinziel:
Ich weiß, was im Unterricht von Bedeutung war.
Zeit:
1 Minute
Materialien: ----------
Übungsblatt zum Didaktisierungsvorschlag Nr. 2
Anlage:1
Totalitäre
Staaten
64
Anlage 2:
Rinks und lechts
Es gibt Leute, die meinen, rinks und lechts seien nicht zu verwechsern.
Ernst Jandl
Besonders schwer war es in der DDR. Wenn Leute sagen, sie möchten noch mal
vierzehn sein, dann kann man ihnen doch eigentlich genau das nur lebenslänglich
wünschen. Bis in den Tod engstirnigen Lehrern ausgeliefert, Mitternacht zu Hause, kein
eigenes Geld, ständig irgendwelche lächerlichen Moden mitmachen und dann trotzdem
nicht an Jessica Drechsler rankommen.
Um nicht so oft an Jessica denken zu müssen, vertrieb ich mir meine Zeit mit Ideologie.
Diese bezog sich auf die Musik, ich konnte kein menschliches Wesen als vollwertige
Person akzeptieren, das Kylie Minogue gut fand oder Nick Cave nicht kannte. Aber sie
bezog sich auch auf Politik, und hier war es eben besonders schwer in der DDR. Diese
nannte sich sozialistisch und demokratisch, und erst später wies mich mein Freund Bob
Mankoff darauf hin, dass es wohl kein demokratisches Land auf der Welt gibt, das
dieses Wort in seinem offiziellen Namen hat.
Ich wuchs in einem Haushalt notorischer Nestbeschmutzer auf. Meine Eltern hatten
beide Philosophie studiert, nur um jetzt alles besser zu wissen als die Partei- und
Staatsführung. Mein Vater war so etwas wie ein Belzebub des Sozialismus, denn
tatsächlich wirkten seine Argumente gegen den Fünf-Jahr-Plan oder die neue Initiative
zur Verbesserung von allem in sich schlüssig. Stimmen konnten sie aber nicht, denn
schließlich stand es schwarz auf weiss anders in der Zeitung. Und die war zuverlässig.
Als Westjourlanisten Honecker fragten, warum denn der Kurs vom Ostgeld so schlecht
sei, antwortete er: >>Der Wechselkurs der Mark der DDR zur D-Mark beträgt 1:1, wie
sie bei uns jeden Tag der Tagespresse entnehmen können<<.
Mein Bruder hörte Udo Lindenberg und flog beinahe von der Schule, weil er BAP-Fan
war. Er hatte sich mit einem Freund am Vorabend des Kartenverlaufs für deren BerlinKonzert angestellt und vor dem Palast der Republik in der Schlange im Schlafsack
übernachtet. Daher hatte er eine der fünfzig frei verkäuflichen von insgesamt 1000
Eintrittskarten bekommen. BAP wurden dann ausgeladen, aber nicht etwa, weil
plötzlich der gute Geschmack im Osten ausgebrochen wäre, sondern weil sie ein
beinahe kritisches Leid über die DDR singen wollten. Soviel Klasse wie China heute
65
hatte die DDR-Regierung nicht. Das wurde uns spätestens klar, als wir Wandlitz sahen.
In Honeckers Haus würde ja die Putzfrau vom Kanzler wohl keine Nacht schlafen.
Mein Bruder ärgerte sich jedenfalls sehr über den Verfall seiner Eintrittskarte, obwohl
er die sechzehn Mark Eintrittspreis und fünf Pfennig Kulurbeitrag komplett
zurückerhalten hätte. Er nahm daher >>Junge Welt<<-Artikel über BAP und der
Ausladung und stellte sie auf der Wandzeitung seiner Klasse einander gegenüber. Es
fiel auf, dass eine Band innerhalb kurzer Zeit von Vorkämpfern der BRDFriedensbewegung zu Zugpferden des Karrens der kalten Krieger mutiert waren.
Beinahe flog er von der Schule. Ich hatte also kaum die Chance auf einen eigenen
Meinungsbildungsprozess. Ich empfand mich als Linker. Aber nicht so wie die DDR-,
sondern so wie die West-Linken. Die kämpfen gegen Atomkraftwerke und bewarfen die
Polzei mit Pflastersteinen. Häuser wurden besetzt, Barrikaden errichtet, und der JusoVorsitzende Gerhard Schröder las in Mutlangen aus Karl Marx vor, Wasserwerfer,
Knüppelschweine, Gorleben, Kampf dem Schweinesystem, das war richtig links, so war
ich politisch.
Doch es war schwer, so zu sein und nicht vom eigenen Schweinesystem vereinnahmt zu
werden.
Ich war verzweifelt, dann traf ich Clemens. Er erzählte mir von Konzerten, wo
Punkmusik gegen das Schweinesystem gespielt wurde und wo sich der Sänger in
Scherben wälzte, die nicht in Liverpool, sondern in Ostberlin stattfanden. Ich wertete
Clemens´ Erzählungen mit Freunden aus meiner Klasse aus, und wir schlußfolgerten,
dass ihm kein Wort zu glauben sei. Ich beschloss, ihn fertigzumachen, und bat ihn, mich
doch mal auf so ein Konzert mitzunehmen. Er tat ganz cool und sagte, nächsten
Samstag. An diesem Samstag zeigte Clemens mir das Paradies. Wir gingen in eine ganz
normale Kirche, wo man sonst immer nur vorbeiläuft. Dort lagen auf Klopapier
gedruckte Postillen gegen Atomkraftwerke, Razzien und politische Verfolgung bei uns.
Irgendwie war ich fast ein bisschen stolz auf beide Seiten. Der Keller der Kirche war
gerammelt voll mit richtigen Punks, und dann spielte die Band drei mal drei Akorde
himmlischer Verheißung. Die Leute tanzten Pogo, und die Texte waren glasklar gegen
das Schweinesystem. Ich kaufte mir die Kassetten von allen Bands und wusste nun, wo
ich politisch stand.
Von diesem Abend an änderte sich mein ganzes Leben. Ich ging, so oft ich konnte, zu
Konzerten und schleppte nach und nach meine ganzen Freunde mir dorthin. Wir lasen
illegale Postillen und >>1984<< und fuhren zu Punkfestivals nach Leipzig. Langsam
66
änderte sich unser /aussehen, die Haare wurden bunter und länger, die Stiefel höher und
dreckiger. Nur wenige Monate nachdem ich meine Bestimmung gefunden hahhe, wurde
mir
von
einem
Angehörigen
der
Volkspolizei
das
ehrenhafte
Prädikat
>>unsozialistisches Aussehen<< verliehen.
Doch nach der ersten Zeit der Verliebheit stellten sich bei mir einige Ernüchterungen
ein. Manche der Schreiber in den Postillen waren recht ideologisiert, und außerdem war
es echt zum Kotzen, dass vom Schweinesystem in den besetzen Häusern das Wasser
abgestellt wurde. Und meine spießige Nase war von bestimmten Körppergerüchen
ideologisch echt nicht zu überzeugen.
Trotztdem wäre alles noch eine Weile gutgegangen mit mir und dem Linkssein, wenn
nicht dieser verfluchte Systemumsturz stattgefunden hätte. Er zerstörte die ganze
Gemütlichkeit. Manche setzen sich gleich ab und begannen vom Westen aus eine
Karriere als Drogen- oder Computerhändler. Die Ideologen witterten Morgenluft und
brachten sich durch endlose Versammlungen an die Macht. Dort suchten sie so lange
nach Konsens und diskutierten noch mal drüber, bis sie alle dasaßen.
Heute bin ich ausgeschlossen von institutionalisierten politischen Meinungen. Die
Dinge erscheinen mir alle komplizierter, und meine Punker-Idole machen Geld in
irgendwelchen Blut-und-Boden-Kapellen, Nick Cave singt Schnulzen im Duett mit
Kylie Minogue. Und ich muss mir immer meine eigene politische Meinung bilden.115
Anlage 3:
Eine Liste mit Begriffenb aus dem Text.
Notorischer Nestbeschmutzer (S. 124, 2. Zeile von unten)
______________________________________________________________________
Belzebub des Sozialismus (S. 125, 3. Zeile)
______________________________________________________________________
Wandlitz (S. 125, 6. Zeile von unten)
______________________________________________________________________
115
Hein, Jakob: Rinks und rechts. In: Mein erstes T-Scirt, Piper Verlag GmbH, München 2001, S. 124-
128.
67
Juso-Vorsitzender Gerhard Schröder (S. 126, 12. Zeile)
______________________________________________________________________
himmlische Verheißung (S. 127, 6. Zeile)
______________________________________________________________________
illegale Postillen (S. 127, Mitte)
______________________________________________________________________
Morgenluft wittern (S. 128, Z. 4/5)
______________________________________________________________________
nach einem Konsens suchen (S. 128, Z. 6/7)
______________________________________________________________________
Blut- und Boden-Kapellen (S. 128, 4. Zeile von unten)
______________________________________________________________________
Schnulzen singen (S. 128, 3. Zeile von unten)
______________________________________________________________________
Anlage 4:
Textstellen
Diese (die DDR) nannte sich sozialistisch und demokratisch, und erst später wies mich
mein Freund Bob Mankoff darauf, dass es wohl kein demokratisches Land auf der Welt
gibt, das dieses Wort in seinem offiziellen Namen hat. (S. 124 unten)
Ich empfand mich als Linker. Aber nicht so wie in der DDR-, sondern so wie die WestLinken. (S. 126, Z. 8)
68
Trotzdem wäre alles noch eine Weile gutgegangen mit mir und dem Linkssein, wenn
nicht dieser verfluchte Systemumsturz stattgefunden hätte. Er zerstörte die ganze
Gemütlichkeit. Manche setzten sich gleich ab und begannen vom Westen aus eine
Karriere als Drogen- oder Computerhändler. (S. 127 unten, S. 128 oben)
Heute bin ich ausgeschlossen von institutionalisierten politischen Meinungen. Die
Dinge erscheinen mir alle komplizierter, und meine Punker-Idole machen Geld in
irgendwelchen Blut- und Boden-Kapellen, Nick Cave singt Schnulzen im Duett mit Kylie
Minogue. Und ich muss mir meine eigene politische Meinung bilden. (S. 128, letzter
Abschnitt)
69
6. Literatur
6.1 Primärliteratur
MÜLLER, Olaf: Schlesisches Wetter, Roman. Berlin: BvT Berliner Taschenbuch
Verlags GmbH 2005 (Berliner Verlag 2003).
6.2 Sekundärliteratur
BORDERSEN, Ingke/ DAMMANN, Rüdiger: Überall und Nirgendwo. In: Kafka,
Zeitschrift für Mitteleuropa Nr 2/2001
BROCKHAUS-Enzyklopädie 1989
ERLL, Astrid: Die Erfindung des kollektiven Gedächtnisses: Eine kurze Geschichte der
kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. In: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis
und Erinnerungskulturen, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2005
HEIN, Jakob: Rinks und rechts. In: Mein erstes T-Shirt, Piper Verlag GmbH, München
2001
DUDEN, Mannheim 2007.
JUDT, Tony: Das Vermächtnis des Krieges.In: Die Geschichte Europas seit dem
zweiten Weltkrieg. Erster Teil: Nachkriegszeit 1945-1953, Bundeszentrale für politische
Bildung, Bonn 2006
KRZEMIŃSKI, Adam: Kampf um Erinnerung, In: Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa
Nr. 13/2004
MARTINEZ, Matias/SCHEFFEL, Michael: Die Bedeutung von Erzählungen:
Handlungs- und Tiefenstrukturen.. In: Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung
in die Erzähltheorie, München 1999
70
MARTINEZ, Matias/SCHEFFEL, Michael: Das ‹Was›: Handlung und erzählte Welt.
In: Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, München
1999
NÜNNING, Ansgar ( Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. AsätzePersonen-Grundbegriffe. 3. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (erweitert und aktulisiert), S.
626f. Nünning, Ansgar: Das Image der (hässlichen?) Deutschen. Möglichkeiten der
Umsetzung
der
komparatistischen
Imagologie
in
einer
landeskundlichen
Unterrichtsreihe für den Englischunterricht. In: „Die neueren Sprachen“ 93.2/(1994)
OLSZOWSKY, Heinrich: Sarmatismus, Messianismus, Exil, Freiheit- typisch
polnisch?, In: Lawaty, Andreas/ Orłowski, Hubert (Hg.): Deutsche und Polen.
Geschichte-Kultur-Politik. München: C.H. Beck 2003
ORŁOWSKI, Hubert: Stereotype der >>langen Dauer<< und Prozesse der
Nationsbildung. In: Lawaty, Andreas/ Orłowski, Hubert (Hg.): Deutsche und Polen.
Geschichte-Kultur-Politik. München: C.H. Beck 2003
SCHLANSTEIN, Beate: Neue Wurzeln, alte Wunden. Eine andere Geschichte der
Vertreibung. In: Als die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah:
Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei
Hamburg, Januar 2007
SCHÜLEIN, Frieder/STÜCKRATH, Jörn: Erzählen. In: Brackert, Helmut/ Stückrath,
Jörn: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1996
STASIUK, Andrzej: Erinnerung. In: In: Kafka, Zeitschrift für Mitteleuropa Nr. 2/2001
THUM, Gregor: Bevölkerungsaustausch. In:
Siedlerverlag, Berlin 2003
Die fremde
Stadt Breslau 1945,
ZIMNIAK, Paweł: Nachbarn literarisch-Zu Polenbildern in der neuesten deutschen
Literatur
71
ZIMNIAK, Paweł: Heimatverbundenheit und Weltäufigkeit. In: Grimberg, Martin/
Engel, Urlich/ Kaszyński, Stefan (Hg.): „Cvivium. Germanistisches Jahrbuch“.
Bonn:DAAD 2002
ZIMNIAK, Paweł: Niederschlesien als Erinnerungsraum nach 1945. Literarische
Fallstudien. Wrocław/Dresden: Neisse Verlag 2007
6.3 Internetquellen
ALEXANDER VON DER BORCH NITZLING:
Zum Heimatbegriff , unter:
www.transodra-line.net.de/node/1381/ Zugriff am: 2.01.2009.
LANGTHALER, Ernst: Geschichte(n) über Geschichte(n).Historisch-anthropologische
Feldforschung
als
reflexiver
Prozess,
unter:
www.qualitativeresearch.net/index.php/fqs/article/view/707/1532/Zugriff am:10.02.2009.
MATUSSEK, Peter: Erinnerung und Gedächtnis,
matussek.de/pub/A32.html/ Zugriff am:10.02.2009.
unter:
Goethe-Institut: http://www.goethe.de/Z/jetzt/dejart38/dejprv38.htm
www.peter---
72
Streszczenie
W ostatnich latach można zaobserwować, iż dyskurs pamięci cieszy się coraz większym
zainteresowaniem, nie tylko w obszarze naukowym. Motyw wspomnień i pamięci
przewija się coraz częściej także w literaturze, czego przykładem jest powieść Olafa
Müllera pt.: Schlesisches Wetter. Autor, jako przedstawiciel nowej generacji autorów w
Niemczech porusza w swojej książce tematykę drugiej wojny światowej i ciągnące się
za tym konsekwencje dla narodu niemieckiego. Na przykładzie fikcyjnej rodziny
zostają opisane losy Niemców wypędzonych tuż po drugiej wojnie światowej z terenów
Śląska. Autor ukazuje poprzez rodzinę Schynowskich tragiczny los wypędzonych,
którzy po stracie swojej małej ojczyzny musieli się odnaleźć w nowej rzeczywistości.
Opis ich powojennego życia w Lipsku dostarcza czytelnikowi wiele informacji
dotyczących egzystencji w zamkniętym społeczeństwie. Ważną rolę spełniają tutaj
wspomnienia poszczególnych członków rodziny. Dogłębna analiza tekstu umożliwiła
stwierdzenie, jak silny jest wpływ pamięci i wspomnień na kształtowanie się tożsamości
indywidualnej i kolektywnej.
Niniejsza praca składa się z dwóch części: teoretycznej i praktycznej. W części
teoretycznej przedstawiony został aktualny stan badań związanych z dyskursem
pamięci. W tym rozdziale opisane zostały także dwa pojęcia: ojczyzna i stereotyp.
Szczególny nacisk położono także na historyczny kontekst kwestii wypędzeń.
Zwrócono również uwagę na analizę tekstu literackiego z narratologicznego punktu
widzenia. Kolejne podrozdziały poświęcone są analizie i interpretacji powieści Olafa
Müllera pt. Schlesisches Wetter.
W części praktycznej zostały szczegółowo opisane propozycje dydaktyzacji. Konspekty
lekcji przedstawiają, jak w nauce języka obcego, w tym przypadku języka
niemieckiego, można wykorzystać podjętą w powieści problematykę.
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