Sissi Farassat Zwei Lichtkästen Licht ist nicht, wie die Moralisten uns glauben machen wollen, der ewige Gegenpol der Dunkelheit. Licht flammt aus der Dunkelheit auf. John Berger In der Literatur und Malerei speziell des 19. Jahrhunderts steht das Motiv des erleuchteten Fensters für häusliche Intimität, Geborgenheit und Zuflucht. Als solches evoziert es Nähewünsche, Sehnsucht nach Zusammenhang ... Monika Schwärzler Die Omnipräsenz von künstlicher Beleuchtung ist ein Indikator für den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Schwellen und einem gleichzeitig ständig ansteigenden Sicherheits- und Überwachungsbedarf. Nächtliche Dunkelheit in bewohntem Gebiet ist längst zum Ausnahmefall oder auch zum Notfall-Szenario geworden - wie im letzten Weltkrieg, wo die Verdunkelung von Städten zum Schutz vor Bomberangriffen eine ganz zentrale Rolle spielte (wobei die erleuchtete Stadt damals schon als der natürliche Zustand galt, den man aufwendig kaschieren mußte) - es gab Masken für Autoscheinwerfer, Schwellenräume hinter Hauseingängen, bevor man einen beleuchteten Raum betrat ... Gisela Steinlechner Der Isenheimer Altar ist als umfassende theologische Welterklärung zu lesen. Wer nur einzelne Tafeln kennt, etwa die Darstellung der Kreuzigung oder eine der Tafeln, die den Heiligen Antonius zeigen, vermag dies nicht zu sehen. Heute ist der ehemals kompliziert gebaute Flügelaltar museumsgerecht in seine Bestandteile zerlegt. Alle Flächen sind zu sehen. Ursprünglich verwies das Sichtbare jeweils auf Unsichtbares, auf Tafeln also, die zu anderen Anlässen des Kirchenjahres geöffnet waren. Waren seine Flügel geschlossen, sah man eine Kreuzigung. Die beiden Seitenflügel, also Rückseiten der zweiten Schauseite, zeigten den heiligen Antonius und den heiligen Sebastian. Wurden die Flügel geöffnet, fiel der Blick auf die Darstellung eines Engelkonzertes und eine Madonna mit Kind. Daneben war die Verkündigung und die Auferstehung zu sehen. Noch einmal geöffnet, wurden Apostel und kirchliche Würdenträger sichtbar. Daneben die Versuchung des heiligen Antonius und die Eremitentafel. Der Isenheimer Altar in seiner ursprünglichen Form erinnert also an ein Buch, dessen Inhalt man nur zu verstehen vermag, wenn man sich an die Vorgaben des Textes hält. Tatsächlich ziehen sich bestimmte Momente durch alle Bildtafeln und fügen diese so zusammen. Man betrachte die dargestellten Handgesten, die Bedeutung von Tüchern oder jene des Lichts. Auffallend auch der Bruch zwischen den Tafelbildern und den Holzplastiken. Während sich Grünewald in seiner theologischen Welterklärung der Malerei bedient, sind die Bezüge auf die diesseitige Ordnung in Holz gearbeitet. Zur Beschreibung des Mysteriums bedurfte es vieldeutiger Lichteffekte. Während der meisten Zeit des Kirchenjahres war wohl der innerste Teil zu sehen, nämlich die Apostel mit den kirchlichen Würdenträgern und den beiden Antoniustafeln. Grünewalds Tafeln muss man lange betrachten, um das Lichtspiel überhaupt zu sehen. Ich sah es nicht. Und es lag sicher nicht daran, dass an diesem Tag kein Licht der tiefstehenden Wintersonne durch die Bogenfenster fiel. Der Museumsbetrieb mit seinen andächtigen Besuchern ließen mich stumpf und müde werden. Vor Jahren beschäftigte mich die Frage, wie ein Flügelaltar der Postmoderne auszusehen hätte. Welche Bilder würden wir heute sehen? Welche Farben würden dominieren? Wo müsste er stehen? Eines der Bilder, welches mir einfiel, zeigt eine Frau, die ihr Schoßhündchen wieder gefunden hat. So schmutzig dieses auch sein mag, sie nimmt es hoch, küsst es und drückt es an ihre Brust. In seiner Aufregung kann es seine Pisse nicht mehr halten und lässt diese über ihr schönes Kleid und ihre Brüste laufen. Dort wo früher Maria mit dem Kind zu sehen war, ist nun eine Frau mit einem Hündchen abgebildet. Ihr Kleid ist nass. Unter einem Vordach stehen Bauern. Ihre Gesichter sind heiter. Im Hintergrund eine Landschaft mit Traktoren. Wiesen werden gemäht. Ein Flügelaltar mit einer solchen Abbildung wäre weniger seiner Darstellung wegen absurd, sondern deshalb, weil Flügelaltäre sich unzweifelhafter Bedeutungen verdankten. Es ging nicht um persönliche Erfahrungen, Beobachtungen oder Äußerungen, sondern um die didaktische Vermittlung zentraler Bilder des christlichen Glaubens. Wenn in Darstellungen der Kreuzigung ein geschundener Körper zu sehen ist, dann genügt es nicht, einen geschundenen Körper des zwanzigsten Jahrhunderts an dessen Stelle zu setzen. In der christlichen Opfertheologie kennt der Kreuzestod vielfältigste Bezüge, er ist ohne Abendmahl und Auferstehung nicht denkbar. Aus seinem Kontext gelöst, handelt es sich einzig um ein Ereignis unter vielen anderen Ereignissen. Zwar kennen auch die Schrecken unserer Zeit ihre religiösen Besetzungen und kultähnliche Handlungen, Opfer und Märtyrer, die an alte Opfertraditionen erinnern. Aber Theologie gibt es keine mehr. Nur noch Ereignisse. Zumindest einem österreichischen Besucher fallen in Colmar die vielen City Lights auf, die an Kreuzungen für Produkte oder Dienstleistungen werben. In Sekundenabständen schiebt sich eine neue Botschaft vor eine andere. Mit dem Lesen eines Buches haben wir es nicht zu tun. Das Kino stand Pate. Montierte Endlosschleifen. Dies auch dann, wenn die einzelnen Folien ohne jede Regie, mehr oder weniger zufällig zusammengefügt wurden. Wie beim Isenheimer Altar spielt das Licht eine große Rolle. Es bringt nicht nur zum Leuchten, sondern verweist auf etwas, was nicht zu sehen ist. Allerdings birgt der Isenheimer Altar ein Mysterium, in welches man nicht ohne Anstrengung einzudringen vermag, während hier jedes Versprechen banal ist und auf einen Kaufakt verweist. Der Isenheimer Altar war für einen exakt definierten Ort konzipiert. Er konnte nur im Altarraum stehen, also dort, wo das Messopfer dargebracht wurde. Längst ist der Isenheimer Altar im erbauenden Geschichtsgut inventarisiert, untersucht, vermessen, bis in die kleinsten Details dokumentiert. Wie der Altar ins Museum gewandert ist, also seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat, so erodieren die Bedeutungen seiner Bilder. Ohne Mühe lässt sich der Isenheimer Altar in der Werbung zitieren, der angstgeplagte Antonius etwa in der Werbung für Psychopharmaka. Sissi Farassat arbeitet mit Lichtkästen. Dienten diese der Werbung und befänden sie sich im öffentlichen Raum, wir sprächen von City Lights. Jedes der von ihr verwendeten Fotos ließe sich auch in der Werbung zitieren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Bilder sie selbst bzw. ihren Körper zeigen. Auch die Werbung kennt das Spiel mit dem Intimen, obwohl ihre Enstehungsbedingungen mit Intimität gerade nichts zu tun haben. Die Bezeichnung “Model” ist treffend. Es geht nicht um die abgebildete Person, auch nicht um deren Obsessionen, Erfahrungen oder Ängste. Das Model, in Position gebracht, zu bestimmten Handlungen, Gesten, zu einer bestimmten Mimik veranlasst, verweist im Idealfall ausschließlich auf die Betrachter: “Megan ist jung und selbstbewusst. Ihr Look ist frisch und erotisch. Sie hat ausdrucksstrake Augen und süße Sommersprossen. Die Aufnahmen mit Megan scheinen rein zufällig entstanden zu sein und lassen dem Betrachter der Bilder viel Interpretationsfreiheit. Wartet sie auf ihren Liebhaber, auf einen erlösenden Anruf? Oder steht sie vor einer wichtigen Entscheidung ihres Lebens?” (Skiny Homepage 2002) Das Beispiel dieser Skiny-Werbung ist treffend. Hier wird Intimität simuliert. In solchen Abbildungen werden wesentliche Bereiche der Wirklichkeit vollkommen ausgeblendet und auf Wohnzimmerformat zugeschnitten. Der Grundwiderspruch von Werbung, nämlich einzelne Menschen anzusprechen, diese aber nur in Kategorien der Masse zu denken, wird besonders dort offensichtlich, wo sich scheinbar Intimes im öffentlichen Raum, noch dazu in endloser Wiederholung inszeniert wird. In Farassats Arbeit wird das Konzept der City Lights auf den Kopf gestellt. Bewegungsmelder bringen das Licht zum Erlöschen, bewegt sich ein Nähe suchender Betrachter auf den Lichtkasten zu. Es ist mehr als ein Spiel. Sissi Farassat beschäftigt sich mit dem schmalen Grat zwischen Preisgabe und Behauptung des Intimen. Heutige Museumsbesucher, die Flügelaltäre bestaunen, oft mit der Kenntnis kleinster Details, da ein Blutspritzer, dort eine Dorne, die hart ins Fleisch sticht, sind sich nicht bewusst, dass Flügelaltäre einst aus relativ großer Distanz betrachtet wurden. In den modernen Gesellschaften haben sich die traditionellen Vorstellungen von Nähe und Distanz aufgelöst. Das Ferne kann in obszöner Weise in die Nähe rücken, das Nahe im Fernen verschwimmen. Sissi Farassat greift in ihrer Arbeit diese Unschärfe auf, bedient sich eines technischen Behelfs der Gegenwart, der üblicherweise dazu dient, verlorengegangene Schwellen zu behaupten. Mit Hilfe von Bewegungsmeldern schalten sich nicht nur Lampen in Vorräumen ein. Sie finden sich auch in Museen. Betritt man etwa einen schwach beleuchteten Raum, um einen Blick auf eine kostbare Handschrift zu werfen, wird es hell. Gisela Steinlechner meint, wir lebten in einer euphorischen Meldekultur. Sensoren, Bewegungsmelder, unsichtbare Apparaturen, die automatisch Türen öffnen, Räume zum Leuchten bringen oder Bilder von einem machen, finden sich heute in nahezu allen Lebensbereichen. Wird der Mechanismus in sein Gegenteil verkehrt, wird es also dunkel, wenn man in die Nähe eines Bildes tritt, so wird der neugierige Betrachter in schmerzhafter Weise an eigene Wünsche und Projektionen erinnert. Format: 40 x 60cm Material: Faserplatten (Duplex), farblos lackiert, 8 Aluminiumverbindungen, 32 Torbandschrauben, 4 Metallstifte, 4 Glasplatten (zwei davon sandgestrahlt), 2 Folien, 2 Mehrschichtplatten, 4 Sparlampen je 7 Watt, 1 Bewegungsmelder, 1 Zeituhr, 35m Kabel, Kleinmaterial.