Zum Nachwort

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Zum Nachwort
In dem Buch Phänomen und Wirklichkeit des Ich wird die Subjektproblematik aus
verschiedenen Standpunkten erörtet. Im ersten Teil sind die Grundbegriffe des Subjekts in der
westeuropäischen Philosophie dargestellt. Der zweite Teil ist der Rolle des Scheins und seinem
Subjektbedingtsein gewidmet. Die unmittelbare Gegebenheit des Ich und ihre phylogenetische
Ursprung werden im dritten Teil besprochen. Im letzten, vierten Teil hat sich der Autor
vorwiegend kulturphilosophischen Fragen zugewandt.
Laut Th. Celms, hat die abendländische Philosophie historisch nur sieben Hauptbegriffe
von menschlichem Subjekt gebildet. Der erste Grundbegriff bezeichnet das empirische Subjekt,
das als psychophysisch in der naturwissenschaftlichen Psychologie oder bloss psychisch in der
Psychologie der reinen Innenwendung betrachtet wird. Die übrigen sechs Grundbegriffe wurzeln
sich tief in philosophischen Systemen ein. Zwei von ihnen sind engstens mit entsprechenden
bewusstseinsmäßigen Zeitbegriffen verbunden, nämlich dem der fundamentaler Zeit, die reelle
Dauer bei Bergson und immanente Zeit bei Husserl heisst, und dem der ekstatischen Zeitlichkeit
Heideggers. Zu dem vierten Grundbegriff wird die Subjektstruktur in den dualistischen
Systemen von Platon und Aristoteles zugerechnet. Der fünfte Grundbegriff stellt das
gegenständlich konstitutive, empirisch-apriorische Subjekt der kantischen Philosophie vor. Der
vorletzte Grundbegriff vertritt das strukturell in absolutem Subjekt begründete menschliche
Subjekt der idealistischen Systeme Fichtes und Hegels. Das Subjekt der Identitätsphilosophie
Schellings legt das siebte Glied in der Reihe der beschriebenen Grundbegriffe vor.
Im zweiten Teil des Buches wird das betrachtet, was ursprünglich als etwas dem Ich
Gegenüberstehendes, Ichfremdes, vom Ich Unabhängiges gemeint wird und sogar anschaulich
vorfindbar sein kann, eigentlich aber subjektbedingt ist. Die einfachsten Beispiele dafür sind die
sogenannte Sinnesqualitäten (Farben, Gerüche, Geschmacke usw.) der physikalischen Objekte.
Gemäß der Meinung des Verfassers, wurde dieser Aspekt des Subjekts in der früheren
Philosophie nicht hinreichend berücksichtigt. Die erkenntnistheoretische Enthüllung des blossen
Für-Subjekt-Seins dessen, dem ursprünglich Ansichsein zuerkannt worden war, wird mit dem
Terminus Subjektivierung ausgedrückt. Zunächst wird ein derartiges scheinbar Ansichseiendes
subjektiviert, dessen Erkenntnisversuche zu Widersprüchen führen, d.h. man geht dabei vom
logischen Prinzip des Widerspruchs aus. Eine andere Motivation der Subjektivierung besteht in
der Begrenztheit der Gegebenheit von bekannten Qualia nur auf einzelne Subjekte. Das
entscheidende Motiv der Subjektivierung liegt in der ontologischen Überzeugung, dass der
Schein nicht an sich bestehen kann, sondern des Subjekts als eines wahren Seienden für seinen
Seinsgrund bedarf. Da die Subjektivierungen auf Grund des logischen Prinzips des Widerspruchs
im ontologischen Prinzip des Widerspruchs fundiert sind, ist der Autor vor die Frage nach der
Art und Geltung des letzteren gestellt. Th. Celms hebt ausdrücklich hervor, dass im Rahmen der
vorliegenden Problematik das Prinzip des Widerspruchs nur in seiner nichtdialektischen
Formulierung angewandt werden muss.
Die unmittelbare (phänomenale) Gegebenheit des Ich wird im dritten Teil des Buches in
der Hinsicht auf Gefühlen, Willenserlebnissen, des körperlichen Selbst und Nicht-Selbst, als
auch das fremde Selbst dargestellt. Die Entwicklung des Bewusstseins wird als auf biologischen
Grundlagen gestützt verstanden. Der Autor hält sich an der evolutionistischen Einstellung fest,
dass das Auftauchen des Bewusstseins biologisch zweckdienlich gewesen sei und in
Kampfsituationen um Lebensentfaltung stattgefunden habe. Th. Celms stimmt dem Psychologen
Konstantin
Oesterreich
bezüglich
des
ichhaften
Charakters
von
Gefühlen
und
Aktivitätszuständen weitgehend bei. Besonders ist ihm Oesterreich durch die Feststellung
verwandt, dass der ganze Umfang des Ich durch phänomenale Deskription nicht erschöpft
werden kann, sondern auch in gedanklichem Verfahren erworbene Schlussfolgerungen enthalten
muss. Zum Unterschied von Oesterreich setzt sich unser Autor bedingt für die Ichhaftigkeit der
Empfindungen ein, obwohl er die Argumente für die entgegensetzte Meinung eingehend auslegt.
Gäbe es keine ichhaften Empfindungen, wäre die unmittelbar erlebte Zweiteilung von Selbst und
Nicht-Selbst unerklärlich.
Die Kultur, der Th. Celms sich im vierten Teil des Buches zuwendet, wird von ihm nur
als die menschliche Kultur verstanden. Dadurch weist er die Anschauung derjenigen Soziologen
zurück, die den Begriff der Kultur auch auf das Tierleben verbreiten, sofern das Lernen von
anderen in der Tierwelt nachweisbar sei. Der Verfasser beginnt seine Ausführung mit der
Übersicht der Werkzeuge, zu welchen er nicht nur materielle Geräte, sondern auch
Wissenschaften und Künste rechnet. Danach erörtet er inartikulierte und artikulierte Symbole
und definiert die Kultur als ein Gebiet, das durch den Gebrauch von artikulierten Symbolen
gekennzeichnet ist. In der Objektivierung als dem Mittel, das die eigene Innerlichkeit einem
fremden Bewusstsein fassbar macht, unterscheidet er drei Formen: 1) die innerhalb der Grenzen
des Leibes des Objektivierenden bleibende (Gesichtsausdruck und Gebärde); 2) die ausserhalb
des Leibes, aber doch in aktuellem Zusammenhang mit dem Leibe stattfindende (Sprechen,
Singen); die als geformte Realkörper fortan unabhängig vom Schöpfer bestehende (Schriften,
Kunstwerke). Betreffs des objektiven Geistes hat Th. Celms die Inkonsequenz des von ihm im
allgemeinen hochgeachteten Nicolai Hartmanns bemerkt und die zugelassene Verwirrung
beseitigt.
In der letzten Abhandlung beschreibt der Autor das Subjekt in der realen Umwelt und
seiner Bewusstseinsumgebung und klagt über die Sichentfremdung, das Gefühl des Verlassens
und Verlorenseins in der modernen Gesellschaft.
In einem einzelnen Kapitel ist die Kritik der Philosophie Heideggers und Sartres
gegeben, die Th. Celms als den extremen Existenzialismus bezeichnet. Hauptsächlich wendet er
gegen die ekstatische Zeitlehre ein, in der die Zeit nicht mehr universal, sondern nur identisch
mit individuellen Subjekten verstanden und also als „Kleinkram von einzelnen Zeitinseln“
gedeutet wird. Th. Celms ist überzeugt, dass die Annahme von nur zwei Arten der Zeitlichkeit –
der ekstatischen und der vulgären – für die Beschreibung des Seins ungenügend ist, unter
anderem mit der Geltung der Resultate von Objektwissenschaften nicht zurechtkommen kann.
Für die Behauptung Heideggers, dass die Zukunft den Vorrang unter den Zeitmodi habe, findet
Th. Celms keine Rechtfertigung im Rahmen der Existenzphilosophie. Jedenfalls kann das auf die
Zukunft gerichtete Sollen diesen Vorrang nicht gründen, weil dieses Sollen nicht ein im
kantischen Sinne apriorishes Prinzip, sondern nur faktisch und also kontingent ist. Die
existenzphilosophische Forderung, dass die Entscheidung für die Eigentlichkeit das Subjekt
immer aufs neue zu treffen muss, hält Th. Celms für allzu rigorös. Eine erkenntnistheoretische
Parallele dieser Forderung bestünde darin, dass der pythagoreische Lehrsatz für wahr gehalten
werden könnte, nicht weil man ihn früher bewiesen hat, sondern nur sofern, als man diesen
Beweis aktuell im Bewusstsein vollzieht.
Im vorliegenden Buch gibt es Seiten, die als selbstständige Informationsquelle benutzt
werden können. Zu ihnen gehören Ausführungen Windelbands zugunsten seines neu-kantischen
Idealismus und die Erklärung der eigenartigen Terminologie der Existenzialisten.
Leider enthält der Text des Buches in der Weise, in welcher er uns zugänglich ist,
einzelne Momente, die unseres Erachtens eine Zurechtstellung zulassen und sogar verdienen. Die
Behauptung (Einleitung, Kapitel III, a), dass die neuere Philosophie allgemeine Wesenheiten
immer als subjektive versteht, geht über die Untersuchungen, die abstrakten Objekten
eigenartiges Sein zuschreiben, hinweg. Auch sind wir mit der Bezeichnung der Philosophie
Nicolai Hartmanns als einer radikal antiidealistischen Ontologie nicht einverstanden: dieser
Denker setzte sich wohl entschieden für Realismus in der Gnoseologie ein, jedoch gab den
zeitlosen allgemeinen Wesenheiten ein eigentliches ideales Reich zu.
Die Beurteilung der Anschauung Platons vom unvollständigen Sein der Sinnenwelt als
eines Ausdrucks seiner Rückständigkeit in der Subjektlehre (Kapitel IX, Einleitung), dünkt uns
auf ein blosses Missverständnis zu ruhen. Der protagoreischen Entdeckung der theoretischen
Subjektheit kannte Platon sich aus; in seiner Polemik gegen die Relativität beliebiger Meinungen
prägte er selbst einen besonderen Terminus für eine Ansicht, die von der Wahrheit abweicht, –
Allodoxia (Theaitetos, 189c). Die Wesen-Erscheinung-Problematik ist doch von der vom Sein
und Schein verschieden. Dass das Veränderliche nicht zum wahren Sein gehören kann, war eine
gewöhnliche Ansicht der antiken Philosophie; auch Aristoteles charakterisierte das Werden als
den mittleren Zustand zwischen Sein und Nicht-Sein.
Ferner, wir finden keine Rechtfertigung dafür, dass Augustins Philosophie zum
Unterschied von anderen theistischen Systemen zum subjektzentrischen Idealismus dank seiner
Theorie der kontinuierlichen Schöpfung gerechnet wird (Kapitel III, b); diese Lehre sieht keinen
zusätzlichen Eingriff Gottes in die Prozesse der geschöpften Welt voraus, sondern betont nur die
begrenzte Schöpfungsfunktion der endlichen Wesen.
Bei Erörterung der sensorischen Qualia und Träume werden nur die Außenwelt und
psychische Inhalte betrachtet (Kapitel VII, b). Dennoch haben diese seelischen Prozesse auch
gerade Beziehung zur Anatomie des körperlichen Subjekts als auch der Physiologie des Schlafes.
Th. Celms sieht Zeitlichkeit und Individualität als Grundmerkmale alles Realen an
(Kapitel I). Da in der Quantenphysik das Identitätsprinzip der Elementarteilchen erkannt wird,
kann Individualität als universale Eigenschaft alles Seienden nicht mehr aufrechterhalten
werden.
A. Mazlovski
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