„Amadeus“ mit stürmischen Beifall gefeiert Stadttheater Gießen: Roman Kurtz brilliert in Astrid Jacobs In Inszenierung als Salieri - Keine Anklänge an opulentes Rokoko „Mozart, verzeih mir, verzeih deinem Mörder“, murmelt die am Boden liegende Gestalt auf Italienisch. In der Dunkelheit ringsum schwirren Stimmen umher, verdichten sich und tragen die Selbstbezichtigungen des alten Mannes hinaus in den Klatsch der klatschhaften Stadt Wien: Alt, krank und von der Wahnidee getrieben, Mozart vergiftet zu haben, hält der einstige Hofkapellmeister Antonio Salieri Rückschau auf sein Leben und seine erbitterten Auseinandersetzungen mit dem Wunderkind: Nach dem überwältigenden Erfolg mit der „Orestie“ des Aischylos zu Beginn der Spielzeit ist auch die zweite Produktion im Schauspiel, Peter Shaffers „Amadeus“ in der Inszenierung von Astrid Jacob, einhellig gefeiert worden. Mit stürmischem Beifall und Bravorufen rief das Premierenpublikum im Stadttheater am Samstagabend nach der zweieinhalbstündigen Vorstellung immer wieder die Schauspieler und das Inszenierungs-Team auf die Bühne. Wieder ist eine geschlossene, sehr starke Ensembleleistung zu bewundern, bei der jeder Einzelne seine Rolle mit Spiellust und Herzblut ausfüllt und so zum Gelingen des großen Ganzen beiträgt. Gewaltiges Pensum Eingebunden in dieses Ensemble ist es diesmal Roman Kurtz, der wie ein Magnet wirkt, die Kräfte bündelt und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Als Salieri hat er ein gewaltiges Pensum zu absolvieren. In diesen zweieinhalb Stunden ist ihm keine Pause gegönnt, denn er ist nicht nur in die Handlung eingebunden, sondern tritt hin und wieder aus dem Spiel heraus und beschwört die „Geister der Zukunft“, also das Publikum, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Mit Ironie gewürzt „Amadeus“ ist ein zugkräftiges Stück, in dem die Auseinandersetzung von Mittelmäßigkeit und Genie im Mittelpunkt steht. Schon Puschkin griff 1830 in seiner Tragödie „Mozart und Salieri“ die Legende auf, Mozart sei von seinem neidischen Widersacher vergiftet worden. Der englische Dramatiker Peter Shaffer (Jahrgang 1926) hat daraus ein effektvolles Schauspielertheater mit pointierten Situationen gemacht - und dies nach guter britischer Manier ironisch gewürzt. Um sich schon optisch von dem berühmten, im opulenten Rokoko schwelgenden „Amadeus“-Film von Milos Forman abzusetzen, hat Bühnenbildner Lukas Noll einen abstrakten, überwiegend in schwarzes Dunkel getauchten Bühnenraum geschaffen, der so einfach wie überzeugend und prägnant ist: Auf eine schräge Ebene auf der Drehbühne treffen von oben mehrere Strahlenbündel, die man sowohl als göttliche Strahlen als auch als Gitterstäbe eines Gefängnisses deuten kann und die durch fantasievolle Beleuchtung (Licht: Thomas Niedermeier) einprägsame Bilder ergeben. Auf der schrägen Ebene genügen zwei, drei Stühle und ein Cembalo, um die wechselnden Schauplätze (kaiserliches Schloss, Hoftheater, Wohnung Salieris und Mozarts) zu verdeutlichen. Die Kostüme von Tina Hempel orientieren sich zwar an der Mode der Mozartzeit, lassen aber dezent ironische Details erkennen - etwa bei den Angehörigen des Hofstaates. Astrid Jacob vertraut ganz der Bühnenwirksamkeit des Stücks, entscheidet sich aber für eine vergleichsweise nüchterne, aber nicht kühle Präsentation des Geschehens, indem sie melodramatische Zuspitzungen vermeidet und Rührseligkeiten aller Art ausklammert. Sie nimmt die Figuren ernst, gestattet sich aber, sie mit Witz und Komik in ihrer Begrenztheit darzustellen. Und sie hat ein Ensemble an der Hand, das das Drama mit enormer Intensität lebendig werden lässt. Als musikalischer Leiter hat Herbert Gietzen dazu die passende Musik ausgewählt, von „Figaros Hochzeit“ über die „Zauberflöte“ bis zum Requiem. Sprachlich und spielerisch souverän zeigt uns Roman Kurtz einen Salieri, der seinen Rivalen mit steigendem Hass verfolgt und gleichzeitig einer ohnmächtigen Bewunderung erliegt, die ihn selbst immer kleiner werden lässt. Wie geschickt er manövriert, wie er schmeichelt, intrigiert und seine Fallstricke auslegt - das macht Kurtz wunderbar. In seiner Darstellung kommt ein Mann zum Vorschein, der keine Freude am Leben hat, weil sein ganzes Tun dem (ewigen) Ruhm gilt. Wie im Fieberwahn Lachend, scherzend, das Leben von der leichten Seite nehmend und immer zu fäkalischen oder sexuellen Späßen aufgelegt, stellt Corbinian Deller den Komponisten des „Figaro“ und der „Zauberflöte“ als genialisches Wunderkind dar, das mit seiner naiven, unbekümmerten Art überall aneckt. Dellers von Unrast getriebener Mozart agiert zuweilen wie im Fieberwahn und ist daher eine leichte Beute für Intrigen. Mit Anmut und dem Selbstbewusstsein einer jungen Frau spielt Irina Ries Mozarts Frau Constanze, die nicht so leichtlebig ist wie ihr Mann und sich den Nachstellungen durch Salieri mit entwaffnender Freizügigkeit erwehrt. Rainer Hustedt spielt als Joseph II. einen gutmütigen Kaiser, der die Musik liebt, aber ansonsten nicht besonders hell im Kopf ist. Wenn er im Gespräch nicht mehr weiter weiß, flüchtet er sich in stereotype Wendungen wie „Spektakel müssen sein“ und „Ja, das wär’s dann wohl“. Die Speichellecker seines Hofstaates verkörpern Christian Fries (Rosenberg), Frerk Brockmeyer (Kammerherr), Markus Rührer (Swieten) und ein prächtig barock ausstaffierter Rainer Domke als alter Kapellmeister Bonno. Mit spitzen Gesangstönen verschafft sich Antje Tiné als Salieris Schülerin Katharina Cavalieri Gehör; Dominik Breuer und Milan Pesl sind als „Lüftchen“, als Zuträger von Gerüchten, flink unterwegs. Eine stumme Rolle hat Musikdramaturg Christian Steinbock übernommen: Er stellt die völlig leidenschaftslose und nur böse dreinblickende Frau Salieri dar. Die Zuschauer haben ihren Spaß daran. Thomas Schmitz-Albohn, 01.11.2010 – Gießener Anzeiger AMADEUS Der Stoff aus dem Legenden gestrickt sind Im Takt: Astrid Jacob gelingt eine stimmige Inszenierung von Peter Shaffers Erfolgsstück „Amadeus“ am Stadttheater Es gibt nur wenige Komponisten, die zu ihren Lebzeiten von ihrer Profession komfortabel existieren konnten. Antonio Salieri (1750 - 1825) war einer von ihnen. Als Kompositeur und Kapellmeister am Hofe des österreichischen Kaisers Joseph II. genoss er außerordentliches Ansehen, hatte zahlreiche prominente Schüler und war ein fleißiger Verfasser unzähliger Werke, die - und das war sein großes Pech - nach seinem Tod in Vergessenheit gerieten. Ganz im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Wolfgang Amadeus Mozart, der mit seinen Kompositionen Weltruhm erlangte, aber völlig mittellos bereits im Alter von 35 Jahren 1791 in Wien verstarb. Seiner Ehefrau Constanze gegenüber soll Mozart damals die Vermutung geäußert haben, er sei vergiftet worden. Auch spricht er in Briefen mehrmals von »Cabalen« Salieris gegen ihn. Ein Stoff also, aus dem Legenden gestrickt sind. Es ist die künstlerische Freiheit des Dichters, daraus ein Drama zu kreieren, das mit der Wahrheit nicht mehr viel gemein hat. Peter Shaffer ist dabei mit seinem »Amadeus« der ganz große Wurf gelungen. Ein Stück, das über 30 Jahre nach seiner Uraufführung in London immer noch gern auf deutschen Bühnen gegeben wird und jetzt auch in einer stimmigen Inszenierung von Astrid Jacob am Stadttheater Gießen zu sehen ist. Eigentlich müsste das Werk »Salieri« heißen, ist er doch Dreh- und Angelpunkt des ganzen dramatischen Geschehens. Der Sterbende hält Rückschau, hadert dabei mit sich und Gott, mit seiner Mittelmäßigkeit und dem Genie Mozart, von dem er umsonst Vergebung fordert, weil er ihn mit seinem Neid und falschem Ehrgeiz zerstört hat. Ja, Salieri nährt sogar in seiner Hybris das Gerücht, er habe Mozart vergiftet - nur damit ihn wenigstens diese Tat unsterblich macht. Roman Kurtz ist es gewohnt, große Partien zu stemmen, und er meistert auch diese Aufgabe mit Bravour. Als er zum ersten Mal »Mozart!« brüllt, spricht schon Hass und Hader aus ihm. Und Kurtz gibt ganz den durchtriebenen Intriganten, dem manchmal der Zufall zu Hilfe kommt, der aber auch immer wieder an seine Grenzen stößt und in den Momenten der Erleuchtung erkennen muss, wie vollkommen die Musik Mozarts klingt und die Menschen in Verzückung setzt. Salieri - ein Zerrissener. Für diese Abrechnung mit dem eigenen Leben hat Lukas Noll einen phänomenalen Raum geschaffen, der die Möglichkeiten der Drehbühne raffiniert ausschöpft und von seinem angeschrägten Rund - je nach Beleuchtung - göttliche Strahlen nach oben schickt, die aber auch als Saiten eines Instruments gedeutet werden können. Denn die Musik - zumeist von Mozart - spielt natürlich eine wichtige Rolle und wird von Astrid Jacob genau nach den Anweisungen des Autors eingesetzt. Die Regisseurin vertraut ganz der Bühnenpräsenz ihres Ensembles, das Tina Hempel in opulente Roben und üppige Allongeperücken gekleidet hat. Bei all dem Glanz der Stoffe hat die Kostümbildnerin sich den pfiffigen Spaß erlaubt, die ausladenden Reifröcke der Damen über ihr Gewand zu stülpen. So dient dieser Constanze als willkommene Abwehrmaßnahme gegenüber Salieri und anderen zudringlichen Freiern. Irina Ries kann sich im Laufe des kurzweiligen Abends immer mehr steigern. Wenn sie die bunte Kleidung und das kichernde Gehabe der Constanze nach und nach ablegt und als Mutter die fatale finanzielle Situation ihres armseligen Haushalts erkennt, vermag sie sich gegen ihren versponnenen Wolferl nur noch schreiend zu wehren. Corbinian Deller erfüllt ganz und gar das Bild eines albernen Frechdachses, das Shaffer von Mozart zeichnete und sich bei gewiss einigen im Premierenpublikum durch die mehrfach prämierte Verfilmung von Milos Forman in den Köpfen festgesetzt hat. Mit verspielter Leichtigkeit zeigt Deller das begnadete Genie, das von der Muse geküsst wurde und dem die Noten nur so zufliegen, der aber letztlich an seinen Misserfolgen verzweifelt und zugrunde geht. Durch und durch homogen präsentiert sich der verknöcherte Hofstaat um Kaiser Joseph II., bei dem Rainer Hustedt so gänzlich auf alles Österreichische in Sprache und Gehabe verzichtet. Flink in der Bewegung und mit ihrem Mundwerk huschen die beiden Venticelli von Dominik Breuer und Milan Pesl durch die Szenerie, streuen hier und da ein Gerücht in die feine Gesellschaft, um ihrem Herrn und Meister Salieri die neusten Ereignisse zuzutragen. Letzterer liegt am Ende so da, wie er zu Anfang begann. Das Bett- wurde allerdings zum Leichentuch. Effektvoll hat sich Salieri, der nicht in Frieden sterben konnte, selbst die Kehle durchgeschnitten. Der Kreis hat sich geschlossen. Die Zuschauer applaudierten am Samstagabend minutenlang und dankten Darstellern wie Regieteam mit vielen Bravorufen.