Mehrstufige Zufallsexperimente Glücksspiele, Ziehen einer Stichprobe aus einer Grundgesamtheit u.ä. lassen sich durch Ziehen aus einer geeigneten Urne simulieren. Haben wir uns erst einmal auf eine Wahrscheinlichkeit geeinigt, so lässt sich fast jedes Zufallsexperiment durch eine Urnensimulation modellieren. Es genügt also im Folgenden, mehrstufige Zufallsexperimente bei Urnen zu betrachten. Urnenexperimente lassen sich in Form von Baumdiagrammen darstellen: Zu jedem der möglichen Ergebnisse des Zufallsversuch gehört ein so genannter Pfad im Baumdiagramm. Er beginnt an der Wurzel des Baumes, verläuft über die verschiedenen Verzweigungen und endet mit der letzten Stufe. Beispiel 3: Eine Münze wird geworfen. Es interessiert, ob die Zahl Z oder das Wappen W oben liegt. Die Erfahrung zeigt, dass für die Wahrscheinlichkeiten gilt: p (Z) p (W) 0,5 . Das Baumdiagramm für das dreistufige Experiment: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei dreimaligem Wurf einer Münze zweimal Wappen und einmal Zahl erscheint“ hat das folgende Aussehen: 1. Wurf 2. Wurf 1 2 W-keit p 3. Wurf Ergebnis Z Z/Z/Z 1 2 12 12 1 8 W Z/Z/W 1 2 12 12 1 8 Z Z/W/Z 1 2 12 12 1 8 W Z/W/W 1 2 12 12 1 8 Z W/Z/Z 1 2 12 12 1 8 W W/Z/W 1 2 12 12 1 8 Z W/W/Z 1 2 12 12 1 8 W W/W/W 1 2 12 12 1 8 Z 1 2 1 2 Z 1 2 1 2 1 2 W 1 2 S 1 2 1 2 Z 1 2 1 2 W 1 2 1 2 W 1 2 Abb.1: Dreifacher Münzwurf Blau eingefärbt wurden drei Pfade: (1) Z W W (2) W Z W (3) W W Z Diese Wege müssen wir einschlagen, wenn wir die Wahrscheinlichkeit für „zweimal Wappen und einmal Zahl“ beim dreimaligen Werfen berechnen wollen. 1 Längs der Pfade gilt die Produktregel: p (Z/W/W ) p (W/Z/W ) p (W/W/Z) 1 2 12 12 1 8 . Da wir hier drei Pfade, die für uns günstig sind, müssen wir diese addieren. Hier gilt für das Ereignis E: „zweimal Wappen und einmal Zahl“: E (Z/W/W), (W/Z/W), (W/W/Z) und p (E) 1 8 1 8 1 8 3 8 . Beispiel 4: Beim „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ dürfen wir bei einer „6“ starten. Dazu haben wir maximal drei Versuche. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Start gelingt? Die Wahrscheinlichkeit beim ersten Wurf eine „6“ zu werfen beträgt 1/6. D.h. in 5/6 aller Fälle sind wir noch nicht fertig. In 1/6 der Würfe von diesen 5/6 schaffen wir es im zweiten Wurf eine „6“ zu werfen. 5 1/6 von 5/6 sind 16 56 36 . Also können wir in 5/36 aller Fälle im zweiten Versuch starten, in 5/6 von den 5/6 die im ersten Versuch keine „6“ ergeben haben fällt auch im zweiten Versuch keine „6“, d.h. in 5 5 25 36 aller Fälle müssen wir es noch ein drittes Mal versuchen. Dabei gelingt es wahrscheinlich in 6 6 1/6 dieser Fälle endlich eine „6“ zu werfen. Die Wahrscheinlichkeit im Dritten Versuch eine 6 zu werfen ist also: 25 1 36 6 56 56 16 25 216 . Man beschreibt diesen Zufallsversuch ebenfalls durch ein dreistufiges Baumdiagramm (Abb.2). Die Wahrscheinlichkeit, dass wir überhaupt starten können, ist dann die Summe der Wahrscheinlichkeiten der drei Möglichkeiten eine „6“ zu werfen – also: 1 6 1. Wurf 1 6 5 36 25 216 125 216 0,42 ( 42 %) . 2. Wurf 3. Wurf Ergebnis W-keit p „6“ 1 6 6 5 6 „¬6“,“6“ S 5 6 16 5 36 6 1 6 ¬6 1 6 5 6 ¬6 6 „¬6“, 5 6 56 16 25 216 „¬6“,“6“ Abb.2: Dreifacher Würfelwurf (Es interessiert nur, ob eine „6“gewürfelt wird oder nicht.) Merksatz Pfadaddition: Setzt sich bei einem mehrstufigen Zufallsversuch ein Ereignis aus den Ergebnissen verschiedener Pfade im Baumdiagramm zusammen, dann erhält man die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses durch die Addition der Wahrscheinlichkeiten aller Pfade die zu dem Ereignis gehören. 2 Pfadmultiplikation: Bei einem mehrstufigen Zufallsversuch ist die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses (d.h. eines Pfades im Baumdiagramm) gleich dem Produkt der Wahrscheinlichkeiten entlang des zugehörigen Pfades im Baumdiagramm. Rechenkontrolle: Die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Pfade ist gleich 1! Allgemein verlangt man, dass das Ziehen von Kugeln aus einer Urne ein Laplace-Experiment ist. Bei jedem Zug muss also jede sich in der Urne befindende Kugel die gleiche Chance haben, gezogen zu werden. Der zugehörige Wahrscheinlichkeitsraum heißt dann Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum oder kurz: Laplace-Raum. Anmerkung: (1) Bei vielen Glücksspielen stellt man geradezu die Forderung, dass alle möglichen Ergebnisse gleichwahrscheinlich sind. Durch strenge Bestimmungen wird z. B. beim Zahlenlotto die Gleichwahrscheinlichkeit aller Kugeln gefordert. (2) Ist eine Ergebnismenge und P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf der Potenzmenge , so nennen wir das Paar (, P) einen Wahrscheinlichkeitsraum. Ein Wahrscheinlichkeitsraum mit endlicher Ergebnismenge Wahrscheinlichkeitsraum, wenn jedem Elementarereignis dieselbe Wahrscheinlichkeit, d.h. p 1 heißt Laplacescher zugeordnet ist. Bekannt ist uns bereits: Sei (, P) ein Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum, dann wird durch p A A die Wahrscheinlichkeit eines beliebiges Ereignisses A aus bestimmt. Wollen wir in einem Laplace-Raum Wahrscheinlichkeiten angeben, müssen wir also die Anzahl der Elemente der Teilmengen von berechnen. Dabei bedienen wir uns oft der Mittel der Kombinatorik. Die Ergebnisse eines n-stufiges Zufallsexperimentes können wir, wie oben erwähnt, durch so genannte n-Tupel a1 a 2 ... a n notieren, wobei an der i-ten Stelle, i 1, 2, ..., n , das Ergebnis des i-ten Zufallsexperimentes steht. Bilden wir nun solche n-Tupel, wobei für jede Stelle eine bestimmte Anzahl ( m1 bzw. von Elementen zugelassen ist, so ist die Gesamtzahl aller möglichen solcher n-Tupel m2 bzw. mn ) n mi . k 1 Der beschriebene Weg ist hinlänglich als Allgemeines Zählprinzip bekannt. Das allgemeine Zählprinzip verwenden wir schließlich, um die Anzahl der Möglichkeiten zu bestimmen, aus einer Menge (Urne) mit N Elementen (Kugeln) n Elemente herauszugreifen. Wir unterscheiden dabei zwei grundlegende Urnenmodelle: (I) mit und (II) ohne Zurückziehen. Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die zu betrachtenden Fälle: Tabelle 3: Urnenmodelle aus Sicht der Kombinatorik Ziehen von n Kugeln aus N Kugeln mit Zurücklegen (Modell I) mit Berücksichtigung der Reihenfolge Nn Möglichkeiten N! ohne Zurücklegen (Modell II) N n ! n N i 1 i 1 Möglichkeiten ohne Berücksichtigung der Reihenfolge N n 1 n Möglichkeiten N! N n !n ! N n Möglichkeiten 3 Anmerkung: (1) Zur Herleitung der Ergebnisse in der Tabelle vergleiche beispielsweise Plachky (1983). (2) Wir verzichten an dieser Stelle auf die Beschreibung der einzelnen Ergebnismengen. Einen Überblick liefert z.B. Plachky (1983). Merksatz Beim Ziehen ohne Zurücklegen können n Kugeln einzeln oder auch gleichzeitig ausgewählt werden. Für dieses Modell gilt unter Anwendung der obigen Tabelle: Eine Urne enthalte N Kugeln, von denen M rot und die übrigen N-M weiß sind. Daraus werden zufällig und ohne zwischenzeitliches Zurücklegen n Kugeln gezogen. Das Ereignis E: „Unter den n ausgewählten Kugeln befinden sich genau k rote“ besitzt die Wahrscheinlichkeit M N M k n k p k p E N n , n N. Merksatz Beim Ziehen mit zwischenzeitlichem Zurücklegen müssen die Kugeln einzeln gezogen und vor dem nächsten Zug wieder in die Urne zurückgelegt werden. Hier gilt: Eine Urne enthalte N Kugeln, von denen M rot und die übrigen N-M weiß sind. Daraus werden nacheinander n Kugeln gezogen. Jede Kugel werde vor dem nächsten Zug in die Urne zurückgelegt. Das Ereignis E: „Unter den n ausgewählten Kugeln befinden sich genau k rote“ besitzt die Wahrscheinlichkeit k n M M p k p E 1 N N k n k . für k = 0, 1, 2, ..., n; n IN. n Anmerkung: Neben der Kombinatorik findet der so genannte Binomialkoeffizient eine Anwendung u.a. bei der Berechnung k höher Binome: (a b )n n n k a n k k 0 bk . So lässt sich beispielsweise die erste Binomische Formel (a b )2 a 2 2ab b 2 mit Hilfe von Binomialkoeffizienten schreiben als: (a b ) 2 2 2 k a 2 k k 0 2 2 2 b k a 2 0 b 0 a 2 1 b 1 a 2 2 b 2 a 2 2ab b 2 0 1 2 oder (a b )3 3 3 k a 3k k 0 b k a 3 3a 2b 3ab 2 b 3 usw. 4 Aufgaben 11. Im Fußballtoto werden jeweils elf Spiele gleichzeitig betrachtet. In jedem Spiel gibt es drei Tippmöglichkeiten (0, 1, 2). Wie viele Möglichkeiten gibt es, denn Tippschein auszufüllen? 12. Beim Pferdetoto erzielt man den Hauptgewinn, wenn man die ersten drei Pferde in der Reihenfolge ihres Eintreffens im Ziel angeben hat. Wie groß ist die Anzahl der Tippmöglichkeiten, wenn zehn Pferde im Rennen sind? 13. Beim Zahlenlotto interessiert man sich für die Anzahl der Möglichkeiten, sechs Zahlen (Kugeln) aus 49 zu ziehen. Wie viele Möglichkeiten gibt es? (Achtung: Die Reihenfolge spielt keine Rolle.) 14. Eine Kiste enthalte N 10 Rundfunkröhren, von denen S 4 defekt seien. Jemand nimmt n 3 Röhren ohne Zurücklegen heraus und probiert, ob sie defekt sind. Man kann die drei Röhren auch mit einem Griff herausnehmen. Insofern kommt es auf die Reihenfolge der gezogenen Röhren nicht an. Mit welcher Wahrscheinlichkeit p k werden genau k defekte Röhren gezogen? ( k 0, 1, 2, 3 ) 15. Eine Urne enthalte N 10 Kugeln, von denen S 4 schwarz seien. Jemand nimmt eine Kugel heraus und stellt fest, ob sie schwarz ist. Danach legt er sie zurück und wiederholt der Vorgang noch zweimal. Nun wird gefragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit p k genau k ( k 0, 1, 2, 3 ) schwarze Kugeln gezogen werden. 16. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass beim sechsmaligen Würfelwurf mindestens einmal „6“ fällt. 17. Eine Reisegesellschaft besteht aus N Personen. Während der Fahrt diskutiert man die Frage, ob unter den Anwesenden zwei am gleichen Tag Geburtstag haben. Ab welcher Gruppengröße würde sich eine Wette auf einen „Doppelgeburtstag“ lohnen? 18. Zwei Personen X und Y treffen sicher in der Zeit zwischen 11.00 und 12.00 Uhr an einem bestimmten Ort unabhängig voneinander ein. Wir nehmen für jede der Personen an, dass die Wahrscheinlichkeiten, innerhalb bestimmter Zeitintervalle anzukommen, proportional zu deren Zeitlängen sind. Weiter nehmen wir an, dass jede Person genau zehn Minuten auf die andere wartet. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die beiden treffen? (Lösung: 11 ) 36 5