INHALTSANGABE Vorwort 2 Kurze Entstehungsgeschichte von "Euralille" 4 Das Transeuropäische Verkehrsnetz - TEN und seine Auswirkungen auf die Städte Europas 5 Städtekonkurrenz "Harte" und "weiche" Standortfaktoren Die Ausweitung des TEN nach Osten und Südosten aus der Position Wiens Was ist Stadtmarketing? Beispiele für Stadtmarketing Kritische Positionen Neue Tendenzen im Stadtmarketing und Neudefinition 8 Einige Begriffserklärungen zum besseren Verständnis für aktuelle Stadtentwicklungsmodelle: Public Private Partnership Vom Fordismus zum Postfordismus Was bedeutet Stadtgestaltung? Flächennutzungsplan Baunutzungsordnung Der Bebauungsplan Der städtebauliche Rahmenplan 12 Projektbeschreibungen TGV-Bahnhof Lille Europe Lille Grand Palais Die Türme - Les Tours: World Trade Center, Crédit Lyonnais Tower Centre Euralille - Le Triangle Viadukt Le Corbusier, Fußgängerbrücke - La Passerelle, City Park Hotel Türme FEVA- Fondation Européenne de la Ville et de l'Architecture Wohnbauprojekte 18 Zitate und Pressetexte 27 Quellenverzeichnis 32 Vorwort 1 Das Architektur Zentrum Wien präsentiert in Zusammenarbeit mit der Stadterrichtungsgesellschaft SEM (Societé Euralille Mixte) eine Auswahl der in Lille 1995/96 gezeigten Ausstellung "Euralille: Poser, exposer." Die Wiener Installation "Euralille. Creating a New City. Die Erschaffung der Neuen Stadt" zeigt den Prozeß einer Stadtplanungsstrategie mit den Problemen unvorhersehbarer Entwicklungen und gibt Einblick sowohl in die Arbeitsmethodik der Architekten als auch in die des Stadtplaners. Bei dieser Betrachtung rücken Fragen zu den vorgegeben Rahmenbedingungen, den wichtigen politisch-ökonomischen Entscheidungen und den Vorgaben bzw. Einschränkungen des Masterplans im Verhältnis zu den Umsetzungsformen und Durchführungsmöglichkeiten des Gebauten in den Vordergrund. Andererseits werden verschiedene Ansätze in der Stadtgestaltung, aktuelle Stadtentwicklungstendenzen mit ihren unterschiedlichen Akzentsetzungen und das vieldebattierte Phänomen "Stadtmarketing" beobachtet. Die Ausstellung soll den Blick schärfen für Veränderungen, die sich in der Lebenswelt Stadt, in der Sozial- und Berufsstruktur und in den räumlichen Zusammenhängen ergeben und die Grundlage für Überlegungen zu einer neuen europaorientierten Stadtpolitik bilden. Dabei erhält man Einblick in die französische Strategiepolitik und in das Planungsverfahren. Das Architektur Zentrum Wien bietet durch organisierte interdisziplinäre Führungen einen Einstieg in verschiedenste Problemstellungen zum Thema Stadt, Stadtplanung und Stadtentwicklung. Studenten aus den Bereichen Soziologie, Bodenkultur, Wirtschaft und Technik führen mit dem Ziel, den Blick für ein ganzheitliches Stadtenwicklungskonzept zu schärfen. Daß seit den ersten politischen Verhandlungsgesprächen bis zur Entstehung des Stadtentwicklungsprojektes "Euralille" mehr als zehn Jahre vergangen sind (1981 einigen sich Margret Thatcher und François Mitterrand über die Aufnahmen der Forschungen für den Euro-Tunnel, der ausschlaggebend für die Bahnstreckenlegung Paris-Lille war), ist auch für andere europäische 2 Stadtentwicklungskonzepte von Bedeutung. Einerseits stellt man sich die Frage, wieweit dieses Konzept heute noch in dieser Form möglich ist, andererseits wirkt es sicher beispielgebend auf die Anwendung für zukünftige Planungsverfahren in Europa und für die Kommunikationsstrategie im Vorfeld der Planungsverhandlungen. 3 Entstehungsgeschichte In den 8oer Jahren wurden in Frankreich neue, die Dezentralisierung fördernde Gesetze zur Stadtentwicklung verabschiedet, die die Kompetenzen der Gemeinden und damit auch deren ökonomische und planerische Verantwortung wieder stärken sollten. Grund dafür waren die ökonomische Krise des französischen Staatshaushaltes und eine anwachsende Mißstimmung gegenüber der zentral verwaltenden Planung. Die Kommunen wurden dadurch zu Unternehmern und stimulierten auch die Regionalentwicklung. Lille und seine Umgebung wollte sich dieser neuen Herausforderung auch in Hinblick auf Gesamteuropa stellen. Zwei Vorbedingungen waren für ein neues Stadtbild wichtig: Einmal die Eingliederung der Stadt in den europäischen Kontext durch die Vertragsunterzeichnung des Eurotunnels 1981 und andererseits die Einrichtung eines eigenen Bahnhofs für Hochgeschwindigkeitszüge im Zentrum von Lille, im Jahr 1987. Der damalige Premierminister Pierre Mauroy war an dem Zustandekommen dieser politischen Verhandlungen wesentlich beteiligt. Er betrieb starkes Lobbying, um seine Ziele zu verwirklichen: Lille zu einem "Zentrum Europäischen Interesses" zu machen, das im Umkreis bis zu 70 Millionen Menschen ansprechen könnte. Die Finanzierung wurde sowohl von privaten Investoren als auch von der öffentlichen Hand getragen. Beide Partner waren am Verlust- und Gewinnrisiko gleich beteiligt, was zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Stadt und privaten Investoren führte. Diese Entwicklungsstrategie, Public Private Partnership oder kurz PPP genannt, war ein von der USA ausgehendes Finanzierungsmodell und wurde in Lille von einer Gesellschaft für Stadtentwicklung überwacht und durchgeführt. Jene 1988 gegründete Gesellschaft SAEM für Urban Management (genannt Euralille Metropole), mit Jean Paul Baïetto als Geschäftsführer und Jean 4 Deflassieux als Obmann, stellte sich als Aufgabe, alles, was unter den Begriffen "Stadtplanung und Stadtentwicklung" fällt, in einer Organisation zu integrieren. Zahlreiche und langfristige Verhandlungen und Forschungen ermöglichten schließlich einen groben Richtplan für die Regionalentwicklung, an dem insgesamt 86 Gemeinden beteiligt waren. Der Entwurf umfaßt zwei Schwerpunkte: die Umgebung von Lille mit den Städten Roubaix, Tourcoing und Wattrelos und das neu geplante Euralille. Das Transeuropäische Verkehrsnetz - TEN und seine Auswirkungen auf die Städte Europas Die Entwicklung des Transeuropäischen Verkehrsnetzes, kurz TEN genannt, ist einer der wichtigsten Schwerpunkte der Unionspolitik. Für eine gemeinsame Verkehrspolitik wurden auf EU-Ebene (am 23. Juli 1996 als Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates) folgende Zielsetzungen für den Ausbau eines Transeuropäischen Verkehrsnetzes beschlossen: - Zusammenhalt der EU ("Kohäsion"), d.h. Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, insbesondere der Verbindungen zwischen peripheren und zentralen Gebieten sowie von städtischen Ballungsgebieten mit anderen Regionen - wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bei optimaler Nutzung der vorhandenen - Kapazitäten Schaffung von Arbeitsplätzen Insgesamt soll "in einem Raum ohne Binnengrenzen ein auf Dauer tragbarer Personen - und Güterverkehr unter möglichst sozialverträglichen und sicherheitsorientierten Bedingungen sichergestellt sein und gleichzeitig den Zielen der Gemeinschaft, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes " Rechnung getragen werden. Ebenso sind Verbindungen des TEN mit den Staaten außerhalb der EU (EFTA, mittel- und osteuropäische Länder sowie Mittelmeerländer) vorgesehen. Die Realisierung des Netzes soll im Jahr 2010 abgeschlossen sein. Zu diesen Zielsetzungen im Maastricht-Vertrag sind angesichts allgemein steigender Arbeitslosigkeit beschäftigungspolitische Argumente hinzugetreten. Städtekonkurrenz 5 Die Stadtregionen dürften vom Ausbau des TEN am meisten profitieren und auch untereinander um den Status als wichtige TEN-Knoten konkurrieren. Ergänzend zur Funktion als TEN-Knoten werden sich diese Städte um eine hohe Netzdichte innerhalb ihrer regionalen Interessen bemühen. Auch Wien muß angesichts dessen versuchen, ein wichtiger Terminal- und TEN-Knoten zu werden. Städte werben immer mehr um Investoren. Jene Städte, denen es gelingt die stärksten und zukunftsträchtigsten Investitionen an sich zu binden, werden die "Nase vorne haben". Diese Konkurrenz treibt letztlich die Entwicklung voran und führt langfristig zu immer neuen Positionsverhältnissen im europäischen Städtesystem. In organisatorischer wie in räumlicher Hinsicht wirken sich die neueren wirtschaftlichen Entwicklungen auf die verschiedenen Ebenen des Städtesystems höchst unterschiedlich aus. Manche Städte werden an transnationale Netze angebunden und damit für "höherwertige" Investitionen interessant, während andere von den Hauptzentren des Wirtschaftswachstums in ihrer Region oder in ihrem Land abgekoppelt werden und an Bedeutung verlieren. "Harte" und "weiche" Standortfaktoren Neben dem Standortvorteil einer an das TEN angeschlossenen Stadt spielen sogenannte "harte und "weiche" Faktoren eine wichtige Rolle. Zu den "harten" Qualitäten einer Stadt zählen die Steuerabgaben und Subventionen, die Flächenverfügbarkeit, der regionale Absatzmarkt, die Schnelligkeit und Flexibilität in der Verwaltung und die Verfügbarkeit von Arbeitnehmern. Unter der Bezeichnung "weiche" Faktoren versteht man die Kulturangebote, das soziale Klima, der Freizeitwert, der Wohnwert, die Schulen und das Image einer Stadt. "Die traditionellen nationalen Städtesysteme wandeln sich. Städte, die in ihrem Land einst eine beherrschende Rolle spielten, rücken in den Hintergrund, während Städte, die in den Grenzregionen angesiedelt sind oder als Verkehrsknotenpunkte fungieren, zu neuer Bedeutung gelangen. Darüber hinaus ziehen die neuen "Global Cities" mitunter einen Teil der Geschäftsund Investitionstätigkeit sowie der Nachfrage nach spezialisierten Dienstleistungen an sich, von der zuvor die Hauptstädte oder regionalen 6 Zentren profitierten. Städte an der Peripherie hingegen bekommen zu spüren, was es bedeutet, nicht zum Zentrum der neuen Raumordnung zu gehören." Saskia Sassen: Metropolen des Weltmarktes. Campus. Frankfurt/M.1996, S.60 Die Ausweitung des TEN nach Osten und Südosten aus der Position Wiens Die Ausweitung des TEN nach Osten und Südosten steht eng im Zusammenhang mit der Annäherung der jeweils betroffenen Stadt an die europäische Union ("Approximation"). Auf der Zielebene hat Österreich bereits eine differenzierte Position bezogen. Ausgehend von der Einschätzung, daß durch die Situation der letzten Jahrzehnte zwischen Ost- und Westeuropa ein enormes wirtschaftliches Gefälle entstanden ist, sozusagen eine europäische "Wohlstandskante", heißt es in den österreichischen Vorschlägen: Die Wiederaufnahme engerer Wirtschaftsbeziehungen mit den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten sowie eine allfällige Erweiterung der EU eröffnet einerseits neue Entwicklungsperspektiven, wobei die Möglichkeit für Österreich, an frühere enge wirtschaftliche und kulturelle Verflechtungen anzuknüpfen, einen wertvollen Startvorteil gegenüber konkurrierenden Regionen darstellt. Andererseits führt das extreme Einkommensgefälle für einzelne, weniger wettbewerbsstarke Wirtschaftszweige in Österreich, sowie für den Arbeitsmarkt zu einem erheblichen Risikopotential. Ohne regulierende Maßnahmen könnte dies die wirtschaftliche und soziale Kohäsion Österreichs destabilisieren. (ÖROK 1996, S.63) Quelle: Stadtplanung Wien (Hrsg.): Das Transeuropäische Verkehrsnetz. Magistratsabteilung 18 7 Was ist Stadtmarketing? Zum Begriff: Marketing "Marketingorientiertes Denken und Handeln läßt sich als eine Strategie beschreiben , die das gesamte Instrumentarium eines Unternehmens unter Berücksichtigung von klar umrissenen Unternehmenszielen, orientiert an den Bedürfnissen der Kunden (...), koordiniert zur Zielsetzung einsetzt." (Honert 1991, S. 396) "Der Vorteil des Marketingdenkens liegt insbesondere in seinem ganzheitlichen Ansatz. Marketing ist nicht die reine Vermarktung, die Werbung oder der Verkauf eines Produktes, sondern bedeutet, schon bei der Gestaltung eines Produktes, der Führung der MitarbeiterInnen, der 8 Organisation des Betriebes etc. - also bei allen unternehmensrelevanten Entscheidungen - die Erfordernisse des Marktes an den Anfang zu stellen. Es wird deshalb nicht als eine (technische) Steuerungsmethode, sondern als grundsätzliche Denkhaltung der Orientierung auf Bedürfnisse und Bedarfsstrukturen bezeichnet." (Töpfer/Braun 1989, S.9) Allerdings gibt es darüber durchaus kritische Positionen wie z.B. der Führungsanspruch des Marketing über andere Teile des Unternehmens. Außerdem führt ein derart weiter Blickwinkel im Marketingverständnis letztendlich zu einem interdisziplinären Ansatz, "in dem Teile der Betriebswirtschaft, der Volkswirtschaftslehre, der Soziologie, der Psychologie und der Verhaltenswissenschaft zusammengefaßt werden." (Wöhe 1981, S.535) Die Kennzeichen des Marketing sind neben dem ganzheitlichen Ansatz die Orientierung an Zielgruppen, Marktforschung und Marktanalyse, Kenntnisse über Konkurrenz und Wettbewerbsstrategien, ein koordinierter Planungsprozeß sowie ein Leitbild. (Ahrens-Salzsieder 1991, S.206) Zum Begriff: Stadtmarketing Hinter dem Terminus Stadtmarketing verbirgt sich nun die Idee, daß eine Stadt ebenso wie beispielsweise ein Automobilhersteller ein Angebot entwickeln muß, das attraktiv, einzigartig und marktfähig ist. Die Stadt wird als ein Produkt gesehen, das strategisch am Markt und für den Markt entwickelt werden muß. (Fehrlage/Winterling 1991, S.254) Mit dieser Orientierung am Markt sollen die neuen "komplexen und differenzierten" Erfordernisse (Megatrends) in eine bedarfsgerechte, strategische und effiziente Stadtentwicklungsplanung umgesetzt werden. Kritische Positionen Derzeit lassen sich verschiedene Interpretationsweisen der Stadtentwicklung am Markt unterscheiden. Die Stadt sei ein Produkt, das auf dem Markt plaziert werden müsse. Stadtmarketing soll diese "Vermarktung der Leistung einer Stadt "effektvoll managen". Sicherlich würden bei diesem direkten Transfer einige Übertragungsprobleme entstehen. So seien die Ziele städtischen Handelns komplexer als unternehmerische Handlungsmaximen. Auch 9 ist die Kommune in einer Stadt nicht so einflußreich wie die Unternehmenszentrale in einem Betrieb. All dies hindere aber nicht daran, die Marketinginstrumente auf die Stadt als Produkt zu übertragen. Mit Hilfe der Marketingmixpolitik könne in der Produktpolitik das Leistungsangebot der Stadt strategisch aufgebaut werden, ziele die Preispolitik auf eine kohärente Steuern,- Abgaben- und Gebührenpolitik, würden die Verkaufsstrategien durch die Distributionspolitik bestimmt und schließlich die Information über das Produkt Stadt mit Hilfe der üblichen Kommunikationsmittel von Öffentlichkeitsarbeit und Werbung gestreut. Diese Art des Marketingverständnisses ist häufig, aber unfruchtbar. Mit einem überzogenen Marketingformular werden Leerformeln zu einer künftigen Stadtentwicklungspolitik produziert, die sich nie auf die konkreten Bedingungen in den Gemeinden beziehen. Strukturelle Unterschiede zwischen kommunalen und unternehmerischen Aufgaben, Zielen und Handlungsbereichen werden schlichtweg negiert. Durch die schematische Übernahme der betriebswirtschaftlichen Instrumente findet eher eine Verschleierung denn Aufklärung der Möglichkeiten im Stadtmarketing statt. Es ist nicht zuletzt dieses beschränkte Verständnis von Marketing in der Stadtentwicklung, das bei SkeptikerInnen immer wieder - und das zurecht - zu Vorbehalten gegenüber der Marketingrhetorik im Zusammenhang mit Planungsfragen führt. Hiezu zählen beispielsweise die Imagekampagnen von Hamburg als "Hoch im Norden", deren jährlicher Werbeétat von 3,5 Mio DM als integriertes Kommunikationskonzept unter Stadtmarketing firmiert (Lalli/Kartte 1992, S.39) oder die regionale Vermarktung des Standortes Ruhrgebiet durch den Kommunalverband Ruhrgebiet als "Starkes Stück Deutschland" (Rechmann 1991, S.2f). Ihren Ursprung haben diese plakativen Schlagworte in der Vorstellung, daß mit den bewährten Methoden und Techniken zur Vermarktung von Seife, Zigaretten oder Computern auch erfolgreiche öffentliche Aufgaben oder soziale Probleme gelöst werden können." (Keller 1990, S.70) Diese Art des Stadtmarketing ist aus der Sicht einer integrierten Stadtentwicklung relativ uninteressant. Sie entspricht jedoch einer auch in der Betriebswirtschaftslehre zum Teil noch weit verbreiteten Verkürzung des Marketinggedankens. Andere VertreterInnen von Stadtmarketing interpretieren die Notwendigkeiten einer Stadtentwicklung am Markt im Sinne der angloamerikanischen Public Private Partnership als projektbezogene Kooperation. 10 Beispiele aus Deutschland Vorzeigebeispiel ist die Stadt Köln, in der seit 1984 verschiedene sektorale Public Private Partnerships installiert worden sind. So haben sich der innerstädtische Einzelhandel, die städtische Wirtschaftsförderung sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu einer Kölner Werbegemeinschaft zusammengeschlossen, die Stadtmarketing als Stadtwerbung betreibt. Hotellerie, Unternehmen und das Verkehrsamt haben eine Gemeinschaftsinitiative "Proköln" gegründet. Das wohl spektakulärste Beispiel aber ist das 1986 aus der Technologierunde Köln geborene Projekt des MediaParks (Köster/Schmidt 1992, S.143). Hier wird von einer öffentlich-privaten Entwicklungsgesellschaft - nach dem Vorbild der Urban Development Corporations - zeitlich befristet die Baubetreuung und Entwicklung des ehemaligen Betriebsbahnhofes Gereon betrieben, auf dessen 20 ha großem Gelände Medien- und Musikproduktionen, Kultur- und Kunstbetriebe, Bildungs- und Forschungseinrichtungen angesiedelt werden sollen, um so den Medienstandort Köln zu sichern und auszubauen. (Uhlig 1990, S.107f) Auch das von Bürgermeister Dohnanyi 1983 ausgerufene "Unternehmen Hamburg" profiliert sich mit einer Reihe von projektbezogenen Public Private Parnterships zur Wirtschaftsförderung und zum Informations - und Wissenstransfer. (Dangschat 1992, S.179ff) Ein solches "Stadtmarketing" als projektbezogene Public Private Partnership wird jedoch immer nur den Charakter einer planungspolitischen Teillösung für räumlich und sachlich begrenzte Aufgabengebiete haben. Neudefinition und neue Tendenzen von Stadtmarketing Deshalb besteht eine Variante im Stadtmarketing, die sich der Aufgabe einer ganzheitlichen Stadtentwicklungsplanung stellt. Sie will eine Neuinterpretation des betriebs-wirtschaftlichen Marketingeinsatzes für originär kommunale Aufgabenfelder leisten. Anknüpfungspunkt hierfür ist ein ganzheitliches Marketingverständnis, wie es von Teilen der Betriebswirtschaft befürwortet wird. Anstelle einer direkten Orientierung 11 am Markt wird Marketing definiert als Förderung von Austauschprozessen mit allen Partnern einer Unternehmung (oder einer Stadt). (Meiffert 1989, S. 6) Eine Parallelisierung von Bürgern als Kunden der Stadt oder der Vergleich zwischen Stadtrat und -verwaltung als Unternehmenszentrale wird strikt abgelehnt. (Honert 1991, S.395) Statt dessen wird Stadtmarketing als partnerschaftlicher Ansatz für ein kooperatives Handeln aller relevanten Entscheidungsträger in einer Stadt aufgefaßt. (Müller 1992, S.2ff) Aus der Beschreibung von Stadtmarketing als eine Koordinationsaufgabe zum Interessensausgleich und als Entscheidungsmethode folgt, daß Stadtmarketing als eine eminent politische Methode und Strategie angesehen werden muß. (Honert 1991, S.397) Damit findet eine grundlegende Neuinterpretation des betriebswirtschaftlichen Marketinginstrumentariums für den öffentlichen Handlungsbereich statt. Die Besonderheit der Stadt als Handlungsfeld (pluralistische Willensbildung, Vielzahl der Akteure und Perspektiven, mehrdimensionale Zielbereiche) wird im Stadtmarketing berücksichtigt. (Meffert 1989, S.12f) Stadtmarketing als neue Form kommunaler Entwicklungsplanung wäre somit "ein längerfristiges Führungs- und Handlungskonzept, das auf einer Leitidee für die Stadt aufbaut". (Presseausschuß 1990, S.233) Es wäre demnach "eine neue Methode, Ziele für die Stadtentwicklungspolitik herauszuarbeiten, sie in der Öffentlichkeit zu propagieren und Akzeptanz für sie zu schaffen. (Müller 1992, S.1) Da Neuland in der lokalen Gestaltungspolitik betreten wird, ruht die Durchführung des Stadtmarketing zum Teil auf den Schultern marketingerfahrener BeraterInnen. Das Interesse an dieser Form von Stadtmarketing ist besonders bei Klein- und Mittelstädten zwischen 50.000 und 100.000 EinwohnerInnen groß. Für Großstädte erscheint das fragile Konzept eines ganzheitlichen Stadtmarketing derzeit noch zu gewagt, da die Komplexität der örtlichen Strukturen Experimente hierzu erschwert und die Verwaltung mit einer bestimmten Größenstruktur über mehr eigene Kompetenz verfügt. Allerdings gibt es bisher insgesamt kaum Erfahrungen oder erprobte Modelle. Die konkreten Vorstellungen dieser Form von Stadtmarketing als "Strategie der Beziehungspflege" (Rathmayer 1991, S.43) gleichen gegenwärtig eher einem Forderungskatalog. 12 Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Stadtmarketing", Konturen einer kommunikativen Stadtentwicklungspolitik von Ilse Helbrecht. Birkhäuser Verlag. Basel.Boston. Berlin 1993 Begriffserklärungen USA und das Finanzierungsmodell Public Private Partnership, kurz PPP genannt Schon seit Mitte der 70er Jahre hat sich ein bedeutender Wandel der Stadtentwicklungsplanung in den Vereinigten Staaten vollzogen, der unter den Stichwörtern Public Private Partnership, die unternehmerische Stadt, Gewinnbeteiligung (profit-sharing), Risikobereitschaft (risk-taking), Aushandlungsprozesse (dealmaking) und strategische Planung diskutiert wird. Public Private Partnership läßt sich als die "Bildung von Kommissionen oder Institutionen definieren, denen zu gleichen Teilen Vertreter der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung angehören." (Häussermann 1992, S.27) Die Motive für die Versuche, die Grenzen zwischen Markt und Plan zu verwischen und Vorteile beider Steuerungssysteme zu verbinden, sind vor allem pragmatischer Natur. Die spezifische Art der US-amerikanischen Partnerschaft zwischen privater und öffentlicher Hand beruht auf raumstrukturellen, politischen und planerischen Voraussetzungen des amerikanischen Entwicklungsmodells. Die US-amerikanische Stadtentwicklung ist (schon für den Laien) deutlich erkennbar von europäischen Urbanisationsformen zu unterscheiden. Der massive Niedergang der Innenstädte (urban light), eine fortschreitende Suburbanisierung (urban sprawl) und extreme Segregationsformen nach Rassen und Klassen (Ghettobildung) machen einen Vergleich mit mitteleuropäischen Verhältnissen nahezu unmöglich. (Feagin/Smith 1990, S.76) 13 Vom Fordismus zum Postfordismus Der Fordismus kann als Gesellschaftsmodell der Moderne angesehen werden, die sich durch Industrialisierung, Kapitalismus, Wissensorientierung, Stadtwachstum, Massenkommunikation, Rationalismus, Funktionalismus etc. charakterisiert. Herausragendes Merkmal der Moderne ist die Planung, die Schaffung von Ordnung - der Ordnung als Aufgabe schlechthin. (Baumann 1995 In: Brandner 1996, S.68) Fordismus Der Fordismus ist benannt nach Henry Ford, dem amerikanischen Automobilhersteller. Ihm kam als einem der Ersten die Einsicht, daß eine Massenproduktion industrieller Güter, wie zum Beispiel sein Modell T., nur funktionieren würde, wenn eine Massennachfrage besteht. Er führte deshalb in seinen Fabriken den Achtstundentag bei einem Fünf-Dollar-Tag ein um so seinen ArbeiterInnen den Konsum der eigenen Produkte zu ermöglichen. Der Automobilproduzent steht deshalb stellvertretend für die damaligen Aushandlungsprozesse zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Der Fordismus charakterisiert sich durch die Merkmale Massenproduktion, Massenkonsum und die typischen Formen der sozialstaatlichen Interventionen durch keynesianische Steuerung (deficit spending, azyklische Wirtschaftssteuerung). In Europa hat sich dafür das Modell des Wohlfahrtsstaates herausgebildet. Mit einem umfangreichen sozialen Netz der Alters-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung werden die entsprechenden sozial- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen, die die Stabilität der fordistischen Massenkonsum- und Produktionsgesellschaft garantieren. 14 Postfordismus Der Strukturwandel bzw. Umstrukturierungsprozeß, der - regional zeitlich verschoben - seit den 70er Jahren stattfindet und als Postfordismus und Postmoderne bezeichnet wird, läßt sich ob seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit nur schwer darstellen. Versucht wird dies in der Regel durch die Beschreibung großer wirtschaftlicher und sozialer Trends. Diese Trends mutieren in der Diskussion zu vielzitierten Schlagwörtern - in den Raum gestellt und durch Debatten geisternd. Es sind dies Bezeichnungen für sich - teils ergänzende, teils widersprechende Phänomene - aus dem Bereich der Wirtschaft wie z.B. Globalisierung, Technologisierung, EntTerritorialisierung, Zentralisierung, Polarisierung/Marginalisierung, Regionalismus, Ökonomisierung und Ökologisierung und Begriffe aus dem Bereich des Sozialen wie Gegen-Urbanisation, Gegengenerationenkonflikt, multikulturelle Gesellschaft, Pluralisierungen der Lebensstile und Individualisierung. (Brandner 1996, S.71) Was bedeutet Stadtgestaltung? Der beste Bebauungsplan kann noch nicht eine gut gestaltete Stadt garantieren. Gutes Funktionieren allein führt noch nicht zur städtischen Lebensqualität. Der Erlebnisraum der Stadt wird bestimmt durch Gebäude, Brücken, Bäume und Geländeformen, durch den Gegensatz von Bebauung und Freifläche und deren Nutzung und Gestaltung. Je nach Form, Stellung und Höhe der Häuser, ob sie geschlossene Wände bilden oder locker einander zugeordnet sind, ob sie sich eng oder weit gegenüberstehen, bilden sich ganz unterschiedliche Räume. In alten Städten mit ihren winkeligen Gassen und platzartigen Ausweitungen, aber auch in den regelmäßigen Stadtanlagen der Barockzeit und des 19. Jahrhunderts kann man solche mehr oder weniger bewußt gestaltete Räume erleben. In diesen Städten spielen auch die Maßstäblichkeit und die Oberflächenstruktur der 15 Gebäude eine wichtige Rolle. Viele kleine Details - die Wahl der Baustoffe, Farben, Dachformen und Fenstergrößen - prägen die Stadtgestalt. Ganz im Gegensatz dazu stehen viele Neubaugebiete, die trotz großer Grünflächen und wohlüberlegtem Straßensystem oft monoton und langweilig wirken. Aber auch viele ältere Stadt- und Dorfgebiete haben durch Umbauten und Nutzungsveränderungen ihren Charakter verloren. Damit die einzelnen Häuser oder die Straßenzüge und schließlich das Stadtbild nicht seine Eigenart und überkommene Maßstäblichkeit verlieren, verhindern Bauvorschriften ein allzu willkürliches Eingreifen in das Stadtbild. Meistens sind es Festsetzungen einer bestimmten - Dachform (z.B. Satteldach mit Ziegeldeckung oder Flachdach) von bestimmten - Gebäudehöhen und Gebäudebreiten, die nicht überschritten werden dürfen und von - Baustoffen und Farben, die verwendet werden müssen bzw. nicht zulässig sind. Der Flächennutzungsplan FNP Der Flächennutzungsplan muß möglichst alle Nutzungen erfassen, die für die räumliche und bauliche Entwicklung der Stadt bedeutsam sein könnten. Das sind vor allem die bebauten und für die Bebauung vorgesehen Flächen, unterschieden nach Wohnflächen, gemischten oder gewerblichen Bauflächen. Sie können nach Bedarf auch weiter untergliedert werden in: - reine und allgemeine Wohngebiete, Kleinsiedlungsgebiete - Mischgebiete, in denen neben Wohnungen auch nicht störende Gewerbebetriebe wie Läden, Handwerksbetriebe, Büros usw. liegen dürfen - Kerngebiete, die vor allem in den Zentren der Städte für große Kaufhäuser, Büro- und Verwaltungsgebiete in hoher Verdichtung vorgesehen sind - Gewerbegebiete für nicht wesentlich störende Betriebe und Industriegebiete für eigentliche Industrie oder auch stärker störende Gewerbebetriebe 16 Außerdem können für besondere Zweckbestimmungen Sondergebiete ausgewiesen werden, z.B. Hafengebiete, Klinikgebiete, militärische Einrichtungen und große Einkaufszentren "auf der grünen Wiese". Baunutzungsordnung Genaue Begriffsbestimmungen über die Baugebiete und die zulässigen Nutzungsarten findet man in der Baunutzungsverordnung. Sie hat zum Ziel, unverträgliche Nutzungsarten soweit als möglich voneinander zu trennen. Dies ist eines der hauptsächlichen Merkmale des Städtebaus des 20. Jahrhunderts. Dieser städtebauliche Lehrsatz ist allerdings oft kritisiert worden, weil eine zu strenge Trennung der verschiedenen Funktionen einer Stadt oft zur Verödung in einzelnen Baugebieten führt, wie z.B. zu den "reinen" Wohngebieten, den sogenannten "Schlafstädten". Deshalb muß der FNP sehr sorgfältig überlegt werden, wo Trennung erforderlich und wo Mischungen erwünscht sind. Vielleicht die wichtigste Aufgabe für einen FNP ist es, die Flächen darzustellen, die für eine Bebauung nicht in Frage kommen, die also entweder für die Land- und Forstwirtschaft als Wiese, Acker oder Wald erhalten bleiben sollen oder die als Grünflächen vorgesehen sind. Darunter fallen Kleingärten und Friedhöfe. Gerade in einer Zeit, in der die Landschaft in Gefahr ist, zersiedelt und von Verkehrsverbänden zerstückelt zu werden, in der die natürlichen Lebensgrundlagen Luft, Wasser, Boden durch eine rasante Ausdehnung der Bebauung und des Verkehrs gefährdet sind, kommt es vor allem darauf an, ausreichend große und zusammenhängende Freiflächen kurz- und langfristig zu sichern. Der Bebauungsplan B-Plan Der Bebauungsplan wird im Unterschied zum FNP als Satzung beschlossen, ist also ein Gemeindegesetz, das rechtsverbindlich regelt, wie ein Grundstück genutzt werden darf: Ob eine Bebauung und in welcher Nutzungsart, welche Höhe und Dichte zulässig ist - wo und wie die Straßen verlaufen sollen und welche Flächen für Schulen, Kirchen, Grünflächen und andere Gemeinbedarfseinrichtungen 17 bestimmt sind. Der Bebauungsplan kann von jedem Bürger bei der Gemeindeverwaltung eingesehen werden. Der städtebauliche Rahmenplan Zwischen FNP und B-Plan entsteht - vor allem bei größeren Gemeinden und Städten - eine Lücke, weil der FNP nur sehr allgemein gehaltene Aussagen machen kann, während der Bebauungsplan sehr detaillierte Festsetzungen für relativ kleine Bereiche enthält. Der "städtebauliche Rahmenplan" (auch Stadtteilentwicklungsplan, Programmoder Strukturplan) soll für baulich und funktional zusammenhängende Bauund Planungsgebiete ("städtebauliche Einheiten") eine einheitliche Entwicklungskonzeption gewährleisten und auf Verflechtungen im Inneren und nach Außen hinweisen. Weiters dient er dazu, Mängel, die zu beseitigen sind, und Werte der Bebauung und der Landschaft, die es zu erhalten gilt, aufzuzeigen. Der Rahmenplan soll Aussagen darüber enthalten, was aus sozio-ökonomischen, funktionalen, verkehrstechnischen und gestalterischen Gründen geändert oder neu geschaffen werden muß, aber auch was nicht verändert werden darf. Dabei soll er nicht nur über die räumliche Entwicklung etwas aussagen, sondern auch über die politischen Ziele und die Durchführungsmöglichkeiten. Er wird deshalb in mehrere Teile gegliedert, die sich gegenseitig ergänzen: -das räumliche Konzept (der eigentliche Rahmenplan) mit Darstellung der raumbegrenzenden Elemente (Einzelgebäude, Gebäudegruppen, Baumreihen usw.) und ihre Höhenentwicklung, durch die städtebauliche Räume (Straßen, Plätze, Grünflächen, Durchblicke) entstehen sollen, um damit einen hohen städtebaulichen Erlebniswert zu schaffen bzw. zu erhalten. Dabei ist auf bauliche und landschaftliche Werte besonders zu achten. - Im Nutzungskonzept ist die beabsichtigte Art der Nutzung darzustellen, und zwar das detaillierter als im FNP. Das Verkehrskonzept verdeutlicht einerseits die Verkehrsbeziehungen über Plangebiet hinaus. Andererseits soll es das Verkehrssystem innerhalb des Plangebiets genau darstellen, gegliedert nach Verkehrsarten (Fußgänger, Fahrverkehr, ruhender Verkehr, öffentliche Verkehrsmittel) und Funktion der Verkehrsflächen (Anliegerverkehr, Durchgangsverkehr). - Das sozio-ökonomische Konzept ist handlungsbezogen, es veranschaulicht die Mängel der bestehenden Sozialstruktur und zeigt Maßnahmen zur Beseitigung von Konflikten. 18 - Der Maßnahmenplan (das Durchführungskonzept) erläutert, wie und in welcher Rangfolge und gegenseitigen Abhängigkeit die verschiedenen Planungen realisiert werden sollen. - Er schlägt vor, ob und wo Bebauungspläne aufzustellen sind, wo etwa ein Sanierungsverfahren angewandt werden soll, etc. - Die Kostenübersicht mit Finanzierungsvorschlag soll die finanziellen Folgen und Möglichkeiten für die öffentliche Hand und für private Eigentümer und Investoren erkennbar machen. Sie ist räumlich und zeitlich auf die Rangfolge und das Durchführungskonzept abzustimmen. Quelle für die Begriffe FNP, Bebauungsplan und Rahmenplan: Labyrinth Stadt. Michael Andritzky. Peter Becker. Gert Selle (Hrsg): Planung und Chaos im Städtebau. Ein Handbuch für Bewohner. DuMont Aktuell 1975 19 Projektbeschreibungen TGV - Bahnhof Lille Europe Architekt: Jean Marie Duthilleul, Lille Ingenieure: Ove Arup & Partners, Peter Rice, London 15.000 Reisende / Tag Der Bahnhof dient als Knotenpunkt für den internationalen TGV-Verkehr des Eurostars London-Brüssel und den Regionalverkehr Süd-Ost und Süd-West über Paris. J. M. Duthilleul ist für alle TGV Bahnhöfe in Frankreich verantwortlich und wird auch die geplanten Metro "Eole-Stationen" in Lille planen. Der Bahnhof wurde entgegen Koolhaas Plänen als eigenständiges Bauwerk errichtet. Ursprünglich hätte das Lille Grand Palais die Gleisanlagen der SNCF überbrücken und so eine Verbindung zwischen dem altem und dem neuem Stadtteil schaffen sollen. Der ursprünglichen Idee folgend, liegt eine große Galerie über den Bahnschienen und vereinigt so alle Transportsysteme in einer einzigen Halle mit einer Länge von 500m. Die Seitenwände des Gebäudes sind ringsum verglast, wodurch sich ein direkter Sichtkontakt vom Bahnhof sowohl von den Bahnsteigen (6 Geleise) als auch von der Verteilerebene zur Stadt ergibt. Ein Wasserbecken vor dem Bahnhof lenkt zusätzliches Tageslicht ins Innere. Die große Halle liegt über den Schienen und unter den Türmen Crédit Lyonnais und World Trade Center, abgetrennt durch das S-förmige Dach aus Glas (11.000m2). Dieses "fließt" über den Bahnhof und paßt sich in seiner Form den einzelnen Abschnitten an, kaum ist eine Verbindung der filigranen Stahlrohrkonstruktion mit der Dachhaut wahrzunehmen. 20 Lille Grand Palais Architekt: O.M.A., Rem Koolhaas, Rotterdam in Zusammenarbeit mit Marie und François Delhay, Lille Ingenieure: Künstler: Ove Arup & Partners, London Joep van Lieshout: Entwurf der Treppen zu den kleineren Sälen und Toiletten Petra Blaisse: Materialgestaltung einzelner Innenräume Gesamtfläche : 60.000 m2 Es ist das einzige von Koolhaas entworfene Gebäude, ein typischer LowBudget-Bau. Ursprünglich als "Brückengebäude" geplant, machte es sechs verschiedene Versionen durch, um schließlich nach einer kompletten Umformulierung zu seiner ovalen Form zu führen, die ihm auch den Spitznamen "das Ei" einbrachte. Die Außenfassaden wirken roh, die Materialien gehen von Metall über Polyester zu Beton über. Die polyesterverkleidete Fassade auf der Stadtseite nimmt die Form eines gewellten Vorhangs an. Die Abwechslung der Materialien spiegelt auch die Dreiteilung im Inneren des Gebäudes wider. Das einzige, den Bau verbindende Element ist das Dach, eine Stahl- und Holzkonstruktion. Die drei Teilbereiche des Gebäudes bestehen aus dem zentralen Foyer, welches zwischen der Ausstellungshalle (Expo, 20.000m2) und dem großen Konzertsaal (Zènith, 7.500 m2) mit 5.000 Sitzplätzen liegt. Darüber befinden sich die Auditorien des Kongreßzentrums (Congrès, 18.000m2) mit 350, 500 und 1.500 Sitzplätzen. Die Innenräume vermitteln alle eine eigene Atmosphäre, die durch die unterschiedliche Gestaltung geschaffen wurde und die Autonomie der drei Gebäudeteile noch unterstreicht. 21 Die Türme - Les Tours World Trade Center Architekt: Claude Vasconi, Paris, in Zusammenarbeit mit Jean-Claude Burdèse (Turm) und Patrick Vanderdootd (Atrium) Statiker: Séchaud und Bossuyt Gesamtfläche Büros: 25.124m2 ; Atrium 15.449m2 Das World Trade Center bildet den Abschluß des Bahnhofdaches im Süden. Der Turm liegt auf zwei Betonblöcken, die einen Rahmen über den Bahnhof bilden und mit zwei gewaltigen Stahlbalken verbunden sind. Das Gebäude besteht aus 25 Etagen mit Büroflächen, die Struktur ist horizontal in zwei Hälften geteilt. Das Atrium dient als verbindendes Element und öffnet sich sowohl zum Bahnhof als auch zum Centre Euralille von Jean Nouvel. Rund um das Atrium sind Restaurants, Ausstellungsflächen, Schauräume, etc. angesiedelt. Crédit Lyonnais Tower Architekt: Christian de Portzamparc Gesamtfläche Büros: 14.600m2 22 Regionaler Direktionssitz der Bank "Crédit Lyonnais", 6.000m2. Der Crédit Lyonnais Tower ist direkt über dem TGV-Bahnhof angesiedelt - ein "Brückenhaus", von einem Steg aus zu erreichen, das über das Wasserbecken, das im Vorfeld der Bahnsteige liegt, gespannt ist. Die eigenwillige L-Form des Turmes ließ den Namen "Skischuh" entstehen. Der den vertikalen Teil unterstützende Sockel grenzt an einen Parkplatz, den Bahnhof und an eine U-Bahn Station. Die Fensteröffnungen weisen auf den einzelnen Seiten des Gebäudes unterschiedliche Gestaltungsformen auf: trapezförmig auf der Stadtseite und rechteckig in Richtung Außenbezirke. Die grüne Farbe der Fassade spiegelt das ständige Wechseln des Himmels wider. Centre Euralille - Le Triangle Gesamtprojekt, Architekt: Jean Nouvel und Partner, in Zusammenarbeit mit Marc Paindavoine Gesamtfläche: Geschäfte: 92.000m2; Garage 3.400 Parkplätze; Mischnutzung: 15.150m2; Wohnungen: 43.000m2 -Hotel, Studentenheim, drei Büroareale, Le Corbusier Gebäude: Jean Nouvel & Partner, in Zusammenarbeit mit Bertrand Dubus & Thomas Richez Fläche: 35.000m2 -Wirtschaftsfachschule, Architekt: Michel Lenglart Fläche: 11.400m2 Aéronef Konzerthalle, Architekt: Marc Paindavoine Fläche: 2.810m2 Der Innenraum der Shopping Mall erstreckt sich vom World Trade Center bis zum Haupteingang des City Centers und bildet dadurch eine Verbindung von Lille und Euralille. 23 Eine zweite Halle verbindet Lille's Administrationszentrum mit dem Place de l'Europe. Nouvels Idee, das Design der Geschäfte möglichst individuel und vielfältig zu gestalten und große Werbeschilder und Leuchtreklamen als Gestaltungselemente einzusetzen, konnte bislang nur teilweise umgesetzt werden. Das Triangle wurde fast komplett mit einem gewaltigen, geneigten und befahrbaren Dach überspannt, das zur Stadt hin, auf der hohen Seite entlang der Willy Brandt Avenue, mit einer Reihe von bisher drei, später fünf Hochhäusern verzahnt ist. Es umfaßt vier Hektar Fläche. Die Leuchtreklame in Verbindung mit dem Dach sollte den Eindruck einer Landebahn für Flugzeuge erwecken. Die Türme sind in Gestalt und Material angeglichen und 15 Meter vom Boden abgehoben. In dem hoch gelegenen Teil zwischen den Türmen ist Raum für kulturelle und schulische Einrichtungen. Im flacheren Bereich bieten zwei Ebenen Platz für Restaurants, Geschäfte etc. Das Untergeschoß ist dem Parken (3000 Stellplätze) vorbehalten. Die drei Türme beherbergen ein Studentenheim - "Studiantes", ein Administrationsgebäude für das Personal der SNCF, ein Parahotel - "Citadines" (100 Zimmer), einen Bürokomplex - "Euro-City", sowie Miet- und Eigentumswohnungen. Entlang der 350m langen Fassade sind Fußgängerbrücken angebracht. Der untere Bereich der Fassade ist mit einem Hologram-Film überzogen, der ein faszinierendes Spiel mit Licht und Farbe erzeugt. Die Innenräume werden durch Glas und Metall, in Verbindung mit grauem Kunststein geprägt, sowie rot beschichtete Flächen und Streifen in den öffentlichen Bereichen und an den Fassaden. Die Wirtschaftsfachschule liegt direkt hinter der Shopping Mall und hat einen Eingang auf die Willy Brandt Avenue. Die Aéronef Konzerthalle befindet sich im "Flügel" des Daches neben dem Shopping Center und öffnet sich gegen die Stadt hin. Sie ist geteilt in eine 450m2 freistehende Fläche, der eine 325m2 große "klassische" Bühne gegenüber liegt. Das Le Corbusier Gebäude erstreckt sich entlang der le Corbusier Avenue und überblickt an der Nordseite den Park und an der Südseite den offenen Horizont. 24 Viadukt Le Corbusier Architekt: Francois Deslaugiers, Antoine Béal, Ludovic Blanckaert Länge: 172m Das Viadukt verbindet den Bahnhof Lille Europe mit dem bestehenden Bahnhof Lille Flandres und führt am Einkaufszentrum Centre Euralille vorbei. Die geschwungenen Bögen stehen in einem rechten Winkel zum Viadukt. Oben verläuft die Straße, kaum sichtbar abgehängt darunter der Fußgängerweg, der den Blick auf die Konstruktion des Viadukts sowie auf das umliegende Areal freiläßt. 25 Fußgängerbrücke - La Passerelle Architekten: Länge: Antoine Béal und Ludovic Blanckaert ca. 100m Die Fußgängerbrücke verbindet das Administrationszentrum mit der Shopping Mall und überquert die Schienen und die Willy Brandt Avenue. Um den Spannungseffekt zu erhalten, wurden neun identische Metall - "Giraffen" geplant, die die Brücke mit ihren "Hörnern" an den einzelnen Plattformen stützen und dabei trotzdem eine möglichst große Eleganz ausstrahlen sollten. Die Benützer bewegen sich frei auf der Passerelle ohne Gefühl des Eingeschlossenseins. City Park Landschaftsarchitekten: Sylvain Flipo & Eric Berlin, Gilles Clément, Claude Courtecuisse Fläche: 10 ha Hauptmerkmal des Stadtparks ist die "Derborence Insel", ein nicht öffentlich zugänglicher Hügel (2.500m2), auf welchem ein primärer Wald gepflanzt wurde und zu Studienzwecken sich völlig selbst überlassen wird. Die Idee für diesen "primären Wald" kam aus der Schweiz, wo ein Urwald, von Menschenhand unberührt, lange Zeit überlebt hatte. Rund um die "Derborence Insel" wurden verschiedene Orte definiert, wie Themengärten, der "Wald der Lichtungen", eine Wasserfläche und ein Hauptweg, der von der Porte de Roubaix zum Ostfriedhof führt. Hotel Türme Architekt: Kazuo Shinohara, in Zusammenarbeit mit Marie und François Delhay Das Projekt wurde mehrmals geändert, dreimal völlig neu präsentiert, und scheiterte letztendlich mangels Interesses der Investoren. 26 1. Version: Ein auf vier Betonsäulen stehender Turm in zwei voneinander getrennten Teilen. Der abgehängte obere Teil (17 Stöcke über ca. 60m) beinhaltet Hotelzimmer und schließt am unteren Ende als Viertelkreis ab. Die Restaurants, Aufenthaltshallen, etc. sind im unteren Teil (vier Stöcke über 17m) als Block zusammengefaßt. Die beiden Teile sind voneinander getrennt und lassen eine Leere dazwischen entstehen. Diese Version wurde mehrmals verändert und in ihrer Struktur gestrafft. Bis 1995 lag das Projekt völlig auf Eis, als es plötzlich doch noch möglich schien, den Hotel Turm zu realisieren und Marie und François Delhay das Projekt endgültig von Kazuo Shinohara übernahmen. Der neue Entwurf beinhaltete außer dem Hotel auch noch Luxuswohnungen. Aufgrund der zu hohen Kosten und dem Überangebot an Flächen, wurde eine völlig neue Form gewählt: Ein niedriges Gebäudes, das sich an den Bahnhof "anschmiegt". Zwei Betonbalken, über 100 Meter lang und 50 Zentimeter dick, betonen die Struktur und Fassade des Gebäudes. FEVA - Fondation Européenne de la Ville et de l'Architecture Als "lebendiges Museum der Städte und gleichzeitig Laboratorium ihrer Zukunft", sollte EVA (Europa, Stadt, Architektur) einen Platz in der Gruppe der großen Präsidentenprojekte erhalten. Das Ziel von FEVA war es, ein 27 riesiges Medienzentrum der Stadt und ihrer Bewohner zu werden: es sollte nicht nur ein spezialisiertes Fachpublikum angesprochen werden, sondern auch die breite Öffentlichkeit für diese Fragen sensibilisiert werden. Sowohl ein permanentes als auch temporäres Angebot sollte als Stadtkultur vorgestellt werden, dem Erbe sowie neuen Entwicklungen treu, wurzelnd im historischen Kontext der europäischen Städte, und dabei alle Präsentationsmöglichkeiten nutzend, wie Kinos, Videos, Science Fiction, Musik, etc. Ein anderer Schwerpunkt war die Idee des Netzwerkes. FEVA sollte eine feste Verbindung von Städten und Institutionen bilden. Kritische Stimmen wurden vor allem von der Architekten Gruppe, welche den City Park geplant hatte, laut. Gilles Clement kritisiert: " Was FEVA fehlt, ist ein Zuhause, ein Ort von dem aus FEVA sagen kann, was es zu sagen hat. Das Hauptaugenmerk der Betreiber des Projektes liegt auf dem Gebäude: wo soll FEVA stehen, in Lille oder anderswo? Es scheint, als ob für diese Leute ein Konzept ohne eine Box, in die man es hineinstecken kann, nicht existieren kann. Dabei gibt es Beispiele, die das Gegenteil beweisen: nehmen Sie nur den Europarat. (...)" 28 Wohnbauprojekte Der Masterplan von 1989 beinhaltete auch die Stadtrandgebiete zwischen dem Zentrum von Lille und den angrenzenden Bezirken Fives, Saint Maurice und La Madeleine. Saint Maurice Bezirk Architekten: O.M.A. in Planung Für den Saint Maurice Bezirk gibt es einen Plan von O.M.A., der vorsieht einen Abschnitt der Ringstraße für den Verkehr abzublocken. Durch diese Abkehrung von der Ringstraße soll der Fußgängerstrom zwischen Henri Matisse Park und der östlich gelegenen Pasteur Straße und dem Dondaines Park verstärkt werden. Architekten: Pierre Du Besset, Dominique Lyon, in Zusammenarbeit mit Jean Luc Roussel in Planung Die Wohnanlage Saint Maurice umfaßt 101 Wohnungen und liegt am Ende der Le Corbusier Avenue zwischen dem City Park und dem Friedhof. Das Projekt sieht zwei identische Gebäude vor, die Schulter an Schulter stehen. Architekt: Xaveer de Geyter in Planung Durch die Schlüssellage, das dichte Programm - 200 Wohneinheiten pro Hektar, mit vorgesehenen Aktivitäten und Arbeitsplätzen - und den großen Maßstab wird es zu einer der großen Bauprojekte mit eigener Identität, die den urbanen Charakter Euralilles strukturieren. Der offene Baublock und die homogene Ausrichtung des Gebauten in parallele Reihen mit übereinandergestellten Raumtypologien definieren die Siedlungsstruktur. Es wechseln Gebäude, die "die Straße" definieren, und höhere Bauteile, die eine neue Tiefenschärfe erzeugen, einander ab. Das sichtbarste Merkmal des Wohnquartiers sind seine Dächer - als öffentliche und halböffentliche Gärten - sowohl für seine Bewohner, als auch für die Benutzer der Euralille - Türme. Diese "Fassade" wird so zu einem schwimmenden Garten über dem Stadtteil. 29 La Madeleine Bezirk Architekten: Patrice Mottini; Masterplan: O.M.A. in Planung Geplant sind 136 Wohnungen an der Schwelle zum Matisse Park und dem Boulevard Carnot. Situiert an der Stadteinfahrt, wenn man von "Lille Roubaix Tourcoing" kommt, öffnen die Fassaden auf die Straße und bilden eine Linie mit den bestehenden Gebäuden. Zitate und Presseauszüge - Rem Koolhaas, Bruce Mau. In: S, M, L, XL. Publisher, Rotterdam. 1995. S. 1156: Hypothese: Lille (1 Mill. Einw.), früher einmal eine bedeutende Stadt, fristete bis vor kurzem ein etwas melancholisches Dasein. Für die einstige Bergbau- und Textilstadt waren harte Zeiten gekommen. Aber zwei neue Gegebenheiten - der Tunnel zwischen England und dem Kontinent und das TGV-Netz (der französische Hochgeschwindigkeitszug, der durch die Stadt fahren wird) - werden Lille wie durch einen Zauber verwandeln und die Stadt auf eine völlig synthetische Weise bedeutend machen. - Joseph Giovanni. In: Architektur & Wohnen. Nr. 5. Oktober/November 1995. (...) Rem Koolhaas ist dabei, die Bühne zu bereiten für eine neue Weltordnung, die durch die Hintertür schon eingedrungen ist. -Friedrich Dassler. In: AIT. Nr. 3. März 1995. (...) Frankreichs Bemühungen um mehr Dezentralisierung finden auch hier (Euralille) ihren Ausdruck. Ob ein derart radikaler Identitätswandel mit Erfolg durchzuhalten ist, muß sich erst noch erweisen, und es ist derzeit noch kaum abzusehen, ob die Protagonisten des Projektes als Helden eines wirtschaftlich erstarkten Französisch- Flanderns in die Geschichte eingehen werden. Die Baugeschichte tut sich da leichter und Professor Rem Koolhaas, (...), kann sich seines Platzes da sicherer sein. 30 (...) Masterplaner Rem Koolhaas kann mit der Wahl (Jean Nouvel) zufrieden sein. Das Centre ist ein echter Nouvel und trotz seiner Komplexität eindeutig und signifikant. Die großzügige Geste des weiten Daches, umrahmt von den Hochbauten, stellt eine schlüssige Einheit dar, ohne in Kleinteiligkeit zu zerfransen oder als wuchtiger Block alles andere zu erdrücken. (...) Eine Maßstäblichkeit, bezogen auf das alte Lille, kann sowieso nicht gefragt gewesen sein. Die Parameter liegen woanders, in Europa, in der Zukunft und sind Fiktion. -Christoph Gunßer. In: deutsche bauzeitung. Nr. 5. 1995. (...) Rein baulich hätte alles schlimmer kommen können. "L'urbanisme sur dalle", der berüchtigte Betonplattformfunktionalismus, ist in Euralille oberflächlicher Komplexität gewichen. (...) Sind die über dem eleganten Bahnhof balancierenden Türme nur peinlich, so geht das Einkaufszentrum von Euralille der Stadt an die Substanz. Die 31.000m2 Verkaufsfläche, sofort zu 98% vermietet, sind es vor allem, die der Stadt zu schaffen machen. Zwar wird allenthalben beteuert, das Angebot ziehe vor allem Kaufkraft daß damit auch die Typologie der suburbanen Shopping Mall ins Zentrum vorrückt, ist ein Desaster. Zweckfreie aus dem Umland ab, doch Öffentlichkeit reduziert sich dadurch auf den Raum-Zwickel zu Füßen des Bahnhofs. Das entpuppt sich bei allem Bemühen um Nutzungsmischung als das eigentlich Zynische am Konzept der "Stadtlandschaft". Da Koolhaas wie die Chaos-Philosophen und ewigen Futuristen davon ausgeht, daß die lokale Öffentlichkeit in der mediatisierten Welt keine Zukunft mehr hat, unterwirft sich sein Konzept von vornherein dem Fetischismus des Rendite-Objekts. (...) Selbst die verlangten Wohnungen sind nur über Schlupflöcher zu erreichen, wo sie absolut "sicher" sind vor den Überraschungen der Stadt. Das Leben wird hier nicht von "virtueller" Elektronik getilgt, sondern von einer konkreten, feindseligen Planung, die sich gern in Vogelperspektiven und illuminierten Nachtaufnahmen zeigt. 31 (ebd.) (...) (Lille Grand Palais) Was für ein wohltuender Kontrast jedoch zu den vor Marmor und Messing strotzenden Kongreßpalästen andernorts! Die "armselige" Materialcollage führt - obwohl im Einzelnen très Fifties - zu Koolhaas' ganz eigener Poesie. (ebd.) -Sabine Schneider. In: Baumeister. Nr. 9. 1995. S. 19ff. Man könnte ins Schwärmen kommen: Stromlinienförmige Superzüge, filigrane, lichtdurchflutete Bahnhofshallen, ein gesamteuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetz und dann in Windeseile über den Kontinent - das zweite große Bahnzeitalter beginnt. Gäbe es eine Skala für den Glauben an die Zukunft, an den Fortschritt, Frankreich stünde in Eropa sicherlich an der Spitze. (...) Die französische Stadt Lille zeigte sich bisher am wagemutigsten, sie besann sich ihrer Verpflichtung als nördliches Tor zur Grande Nation und errichtete nach den Plänen von Rem Koolhaas ein riesiges Büro- und Geschäftszentrum zusammen mit dem neuen TGV-Bahnhof. Ob sich die Riesenchance allerdings nicht bald als Riesenflop erweisen wird, muß sich erst noch zeigen. (ebd.) - Joseph Giovanni. In: Architektur & Wohnen. Nr. 5. Oktober/November 1995. (...) Der locker entworfene Kongreß-Bau ist ein riesiger öffentlicher Schuppen mit lässiger Geometrie, zweckdienlichem Grundriß und Baumarkt-Material, er bekennt sich offen zu seiner Rolle: ein billiger Palast für die heutige Massenkultur. - In: L'Architecture d'Aujourd'hui. Nr. 280. April 1992. Interview von François Chaslin mit Rem Koolhaas. - Rem Koolhaas: Als wir die Arbeit über Lille begonnen haben, waren wir in einem Schockzustand. Wir, die wir einen Diskurs über die Stadt geführt hatten, der eher dazu tendiert, die Macht des Architekten, der Architektur an sich und die des Städtebaus zu vermindern, wir, die sogar jenseits von jedem Relativismus das Gefühl hatten, daß diese professionellen Positionen definitiv ausgehöhlt waren, wir 32 standen diesmal plötzlich vor der Verpflichtung, eine Ordnung zu schaffen, die Rolle des Städteplaners im traditionellsten Sinn des Wortes zu spielen, und wir waren sehr erstaunt, daß diese Rolle überhaupt noch existierte. (...) Wir haben nicht versucht, von vornherein eine Ästhetik oder Poesie des Chaos, des Zusammenprallens der städtebaulichen Elemente oder der Überreizung der Infrastrukturen durchzusetzen. Die Situation, der wir gegenüberstanden, drängte sich uns einfach auf. (ebd.) - François Chaslin: (...) Glauben Sie nun, daß die Architektur eine Sache ist, die ständig von neuem überholt werden muß? -R.K.: Das ist kein Wunsch. Das ist eine Feststellung. -In: L'Architecture d'Aujourd'hui. Nr. 280. April 1992. Gastkommentar von Jean-Claude Garcias. Man sieht, daß Euralille ein klassisches Verführungsmanöver ist, das die üblichen Instrumente des Stadt-Marketings und der Schaffung eines Architektur-Images verwendet. Es sind ebenso klassisch die üblichen Akteure im Spiel (Lokalpolitiker, Geschäftsleute des öffentlichen und privaten Sektors, Verwaltungen, Stadttechnokraten), die schließlich das unabdingbare Kulturalibi vor den Wagen spannen, hier Koolhaas und seine Theorie des "etwas japanischen Aufbruchs" und der "Symbolik der Infrastrukturen". Und genau da gerät alles ins Wanken, wie es scheint. Denn Koolhaas begnügt sich nicht damit, seine Lieblingsrolle des "Mannes im Hintergrund" zu spielen, und der Erschließungsgesellschaft seine Zeichnungen zur Verfügung zu stellen. Er liefert den Entscheidungsträgern und Investoren von Lille genau die intellektuelle Legitimität, die dem Städtebau der Büro- und Geschäftszentren nach der Niederlage des "wissenschaftlich-staatlichen" Städtebaus der siebziger Jahre fehlt: eine paradoxe Theorie der Inkohärenz als höchste Form der städtischen Integration, dazu noch mit großstädtischen Ambitionen in der Provinz. (...) Die Stärke von Koolhaas und OMA liegt sicher in ihrer Fähigkeit, die großstädtischen Traumvorstellungen der führenden Politiker von Lille zu befriedigen bzw. zu antizipieren. Es geht darum, einen alten provinziellen Minderwertigkeitses besser - weil schlechter - gemacht wird als 33 komplex zu bekämpfen, indem La Défense (Paris): die Elemente des Programms werden mit Bezeichnungen ausstaffiert, die dem Pariser Modernismus abgeschaut sind: ein "Forum" wie bei den Halles, ein "Vorplatz" wie beim Centre Pompidou, ein "Globus" wie in La Villette, und nicht zu vergessen, das unaussprechliche "Congrexpo". -In: Architecture d'Aujourd'hui.Nr.280. April 1992. Gastkommentar von Pierre Riboulet. (...) Sind wir - unter dem Vorwand, alles über den Haufen zu werfen, um dem Zeitgeist zu entsprechen - nicht dabei, den Augen zu verlieren, das Wesentliche aus sind wir nicht maßlos geworden und aus dem Gleichgewicht gekommen? Ist das Projekt von Lille nicht an der Grenze dazu? Ich wollte, Koolhaas bewiese mir, daß ich mich täusche, daß meine Ängste grundlos sind, daß das Talent diese Flucht nach vorne kompensieren kann und die Welle nicht den "Surfer" verschlingt. (...) Das sind für mich offene Fragen, die jedoch die Vorgehensweise von Rem Koolhaas nicht in Frage stellen; denn diese ist verdienstvoller Weise fortschrittlich, bereit Risiken einzugehen, die mit der Avantgarde verbunden sind, die aber auch oft den zahlreicheren Nachfolgern die Wege ebnen werden. Ich bin ihm persönlich dankbar, daß er diese wunderbare Wende vollzogen hat und uns gezeigt hat, was wir nicht immer sehen konnten. -In: L'Architecture d'Aujourd'hui.Nr.280. April 1992. Gastkommentar von Paul Chemetov. (...) Alles in allem, das Prinzip der Montage von Euralille ist wirklich bemerkenswert und zählt sicher zu den Strukturen, die heute notwendig sind, um städtebauliche Operationen dieser Größenordnung zu einem Erfolg zu führen. (...) Die Idee eines Masterplans scheint in diesem Maßstab wirklich eine Verkürzung zu sein; Architekturkonzepte, die den Erfolg von lokalisierten Lösungen ermöglichen, können - vor allem mit dem heute 34 verbreiteten Anliegen, "anders" zu sein - nicht den Raum des allgemeinen städtebaulichen Projekts fassen. -Brigitte Fitoussi. In: AA. 298. April 1995. (...) Schließlich bleibt nichts mehr übrig von dem schönen Gefüge und den perspektivischen Brüchen, die der Masterplan ankündigte. Aber Koolhaas wird sagen, daß das alles so vorgesehen war und daß es nicht die Aufgabe eines Plans - wenn es ihn schon geben muß - ist, etwas zu antizipieren, und schon gar nicht, Ordnungen vorzugeben, sondern er ist für die Träumer da, die ihn nach und nach zerlegen. Unwirkliche Form, umrißlose Lokalisierung, deren unaufhörliche Theoretisierung auf die Nerven geht, von der man aber nicht sagen kann, daß die heutigen Architekten nicht darauf vorbereitet sind. Denn das ganze Geheimnis von Euralille, das Seltsame an diesem riesigen Auftauchen von Blech und Zeichen, von Verkleidungen und Schrägen ist, daß die Architekten, die sich hier gefunden haben, scheinbar nicht davon ausgegangen sind, mehr als nur nebeneinander zu stehen. (...) -Gert Walden. In: Der Standard. 19. Dezember 1996. (...) Der Gesamtplan von Rem Koolhaas zeigt neben der Konzeption einer verbindlichen Stadtgestalt also jene Flexibilität, die erfolgreiche Urbanistik auszeichnet. In diesem Sinn erfüllt trotz Marketing-Mängel „Euralille“ den Anspruch, eine „Stadt des 21. Jahrhunderts“ zu werden. Quellenverzeichnis -Andritzky, M. Becker P. Selle G. (Hrsg): Labyrinth Stadt. Planung und Chaos im Städtebau. Ein Handbuch für Bewohner. DuMont, Aktuell 1975 -Brandner,B.: Kulturstädte in Europa: Konkurrenz, Kommunikation und Urbane Entwicklung. Die Debatte in Graz, Innsbruck, Wien, Glsagow, Antwerpen, Lissabon, Krakau, Budapest und Prag, Salzburg 1996 35 -Dangschat, J. 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