Agrarpolitik in der Schweiz Zeitreise durch Jahrzehnte des Wandels in der Agrikultur mit besonderer Berücksichtigung des Kantons Luzern Josef Blum, AgroEcoConsult, Sempach 2 Inhalt Einleitung .................................................................................................................... 3 Dreissiger Jahre, der Staat mischt sich ein................................................................. 3 Kriegszeit und Nachkriegszeit .................................................................................... 4 Wirtschaftsartikel von 1947 und Landwirtschaftsgesetz .......................................... 5 Jahrzehnte der Agrarrevolution .................................................................................. 7 Preis oder Produktionsmenge ................................................................................. 7 Zauberwort „Innere Aufstockung“ .......................................................................... 10 Strukturwandel verunsichert .................................................................................. 10 Zunehmende Steuerung der Landwirtschaft ......................................................... 12 Suche nach neuen Wegen .................................................................................... 13 „Neue“ Agrarpolitik ab 1993 ...................................................................................... 14 Art 104 der Bundesverfassung .............................................................................. 14 Bundesgesetz über die Landwirtschaft.................................................................. 15 Herausforderungen der nächsten 25 Jahre .............................................................. 18 3 Einleitung Der Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband feiert 2009 sein 150 jähriges Bestehen. Dieser Zeitpunkt soll zum Anlass genommen werden, um Rückschau zu halten auf die agrarpolitischen Änderungen der letzten Jahrzehnte und gleichzeitig einer Standortbestimmung für die Zukunft dienen. Eines kann hier bereits vorweggenommen werden, die Landwirtschaft musste sich ihre Position immer erkämpfen. Jede Generation sah sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert und richtete sich entsprechend aus. Die Stärke der Luzerner Bauernschaft kommt aus ihrer Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen. Dreissiger Jahre, der Staat mischt sich ein Wer sich mit der Agrarpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jh. beschäftigen will, muss sich kurz den Ereignissen widmen, welche die Nachkriegszeit beeinflussten. Schon bald nach dem Ersten Weltkrieg waren die Landwirte mit Überproduktion konfrontiert. Besonders hart traf es die Milchproduzenten. Ab 1924 hat der Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten eine Butterpreisgarantie abgegeben, um die Butterproduktion mit der Käsefabrikation konkurrenzfähig zu gestalten. Der Bund musste jeweils die Defizite decken. An einer Kundgebung vom 9.9.1928 auf dem Bundesplatz in Bern verlangten die Milchbauern umfangreiche Preis-, Zoll- und Kreditmassnahmen. Der Bund reagierte mit einer „ausserordentlichen Bundeshilfe zur Minderung der Notlage in der schweizerischen Landwirtschaft“ und diese Programme wurden bis zum Kriegsausbruch unter dem Titel „Stützungsmassnahmen für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage“ weitergeführt. Mit dem Getreidegesetz von 1932 griff der Staat auch ganz direkt in den Markt von Brotgetreide ein. Der Staat sicherte den Produzenten die Übernahme von in der Schweiz produziertem Brotgetreide zu einem garantierten Abnahmepreis zu. Für das auf dem Hof verwendete Getreide zur Eigenversorgung wurde eine Mahlprämie aus- 4 bezahlt. Der Bund verpflichtete sich zur Lagerhaltung von Brotgetreide und konnte auch private Müllereien damit beauftragen. Nachdem bereits in „Brotgetreide abgeben“ den Dreissiger Jah- Bei der Saat haben wir mit der letzten Handvoll Körner ein Kreuz am ren die Situation be- Ackerrand gesät und noch vor dem Wintereinbruch war es deutlich stand, dass Milcher- zu sehen. Die Bestockung, das Ährenschieben, die Reife, immer zeugnisse waren wir dabei. Dann eines schönen Tages kam der Bindemäher. Das traktorgezogene Gerät schnitt die stehenden Halme, band sie in und Zuchtvieh exportiert, Garben zusammen und legte sie in Reihen ab. Jetzt konnten wir an gleichzeitig aber die Arbeit gehen. Vater stellte die erste Garbe senkrecht auf und wir Brotgetreide und lehnten fünf weitere im Kreis daran. Zum Schluss wurde eine Garbe Futtergetreide in der Mitte geknickt und wie ein Dach über die Sechs ausgebreitet. grossen Stil impor- Das war eine Puppe. In regelmässigen Abständen gab‘s eine nächste und wenn sie alle so aufrecht standen, strahlte das Feld tiert wurden, im kam etwas Ehrfürchtiges aus. Bei der nächsten Schönwetterlage wurden die Idee auf, den die Garben zum Trocknen ausgelegt und am Nachmittag in die Getreidebau zu för- Scheune gefahren. dern, Nach dem Dreschen und Reinigen im Winter wurde das Getreide in Milchmarkt zu ent- Säcke der Eidgenössischen Getreideverwaltung abgefüllt. lasten. 1938 wurde Brotgetreide hatte keinen Marktpreis. Der Bund gab den Preis vor mit und war auch bereit, alle Ware abzunehmen. So luden wir die 100 kg chen schweren Säcke auf den Pneuwagen und fuhren an einem vorgegebenen Tag zum nächsten Bahnhof zum „Getreide abgeben“. um einem schluss den dringli- Bundesbeein Flä- chenbeitrag für Futtergetreide im Umfang von Fr. 200.- /ha eingeführt, im Berggebiet plus Fr. 50.-/ha. Diese sogenannte Anbauprämie wurde aus Zollzuschlägen an der Grenze finanziert. Kriegszeit und Nachkriegszeit Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges änderte sich die Ernährungssituation in der Schweiz dramatisch. Was vorher in reicher Fülle vorhanden war, wurde nun aufgrund der stark reduzierten Importmöglichkeiten zur Mangelware. Der Bund reagierte darauf mit dem Plan Wahlen. Dieser ging von der Tatsache aus, dass mit einer Hektare Ackerland bis zu zehn mal mehr Menschen ernährt werden können als mit Milch und Fleisch, sofern diese Ackerprodukte direkt der menschlichen Ernährung zuge- 5 führt werden. Ab 1940 wurden deshalb die meisten Nahrungsmittel rationiert, ausser Kartoffeln, Gemüse und Obst. Den Bauern wurden Vorgaben über die Produktion gemacht. Diese lehnten sich zuerst gegen die behördliche Verordnung auf, da sie insbesondere in den Graswirtschaftsgebieten ihre Produktion umstellen mussten. Vielen fehlten auch das entsprechende Wissen und die Gerätschaften für den Ackerbau. Mit der Kapitulation Frankreichs wurde aber die Bedrohungslage offensichtlich und die Bauern und Bäuerinnen unternahmen gewaltige Anstrengungen, die Erwartungen der Schweizer Bevölkerung zu erfüllen. Von 1939 bis 1944 wurde der Ackerbau von 217‘000 ha auf 366‘000 ha oder um 77% ausgedehnt. Der Selbstversorgungsgrad stieg von 52% auf 72% an. Aus dieser existentiellen Bedrohung ging die Landwirtschaft gestärkt hervor. Wirtschaftsartikel von 1947 und Landwirtschaftsgesetz Die schweizerische Bevölkerung hat während der Kriegszeit den Wert einer einheimischen Landwirtschaft schätzen gelernt. Sie war aus dieser Erfahrung heraus an einer sicheren Versorgung mit Lebensmitteln interessiert. Zusammen mit einer Renaissance der Bauernideologie und einer gestärkten Interessenvertretung der Landwirtschaft gelang es, die Landwirtschaft im Wirtschaftsartikel von 1947 als einzige Berufsgattung in der Bundesverfassung zu verankern und den Grundstein zu legen, um gestützt darauf Massnahmen zur Erhaltung des Bauernstandes, der Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes und der Förderung eines leistungsfähigen Bauernstandes zu schaffen. Gegen diesen Verfassungsartikel wurde zwar das Referendum ergriffen, aber mit 53% der Stimmen sagten die Stimmbürger schliesslich ja zum neuen Verfassungsauftrag. Im Kanton Luzern wurde die Verfassungsänderung mit lediglich 50.1% Ja- zu 49.9% Nein-Stimmen angenommen. Mit dem Landwirtschaftsgesetz von 1951 wurde schliesslich einer Agrarpolitik zugestimmt, welche die einheimische Landwirtschaft gegen Importe schützte und den Bauern kostendeckende Preise zusicherte. Der Staat übernahm die gesamte Verantwortung für den Markt. Im Ingress zum Gesetz heisst es: “In der Absicht, einen gesunden Bauernstand und im Dienste der Landesversorgung eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten und sie unter Wahrung der Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft zu fördern“. 6 Die bereits bestehenden Massnahmen aus dem Jahre 1893 zur Förderung des landwirtschaftlichen Unterrichts und des Versuchswesens, der Förderung der Tierzucht, der Bodenverbesserung, der Abwehr von Schädlingen an landwirtschaftlichen Kulturen, der Vieh- und Hagelversicherung, der landwirtschaftlichen Organisationen und von landwirtschaftlichen Ausstellungen wurden weitergeführt und ausgebaut. Neu kam der Aspekt der schwierigeren Produktionsverhältnisse im Berggebiet hinzu. So heisst es in Art. 2: „Bei der Durchführung des Gesetzes sind die erschwerten Produktions- und Lebensbedingungen in den Berggebieten besonders zu berücksichtigen“. Wichtige Anliegen des Gesetzes waren die Erhaltung der Ackerfläche und die Anpassung Mutterkorn verlesen der Tierbestände an die In den Jahren 1939-1978 haben über 3500 Landwirte schweizweit auf 1500 ha Mutterkorn angebaut. Im Kanton Luzern lag der Schwerpunkt des Anbaus in den ackerbaulich genutzten Gebieten des Hinterlandes, des Rottals und des Surentals. Mutterkorn wurde auf Roggen gezüchtet und diente der Firma Sandoz als Rohstoff für zahlreiche Medikamente. Über Wirkung und Verwendung der „Droge“ war uns recht wenig bekannt, wir wussten einzig, dass sie als Bestandteil eines Wehenmittels eingesetzt wurde. betriebs- Mutterkorn wurde am stehenden Getreide teilweise von Hand, später mit einem Gerät (dem Segel) auf einem Schlitten geerntet. Bei der Roggenernte entstand eine Restmenge von Roggen und Mutterkorn, die nicht weiter maschinell getrennt werden konnte. Dies war Arbeit für die langen Winterabende. Nach dem Nachtessen wurde jeweils ein Bündel auf den Stubentisch geleert und die ganze Familie beteiligte sich an der Verlesearbeit, nicht selten zusätzlich begleitet vom Rosenkranzbeten. Futtergetreide bzw. mit Der Erlös aus dem Mutterkorn war für manche Familie ein willkommener Zustupf neben den regelmässigen Einnahmen mit dem Milchgeld. Nach der Abgabe im Herbst wurde jeweils das Mutterkorngeld ausbezahlt und manches Weihnachtsgeschenk wurde erst damit möglich gemacht. bzw. landeseigene Futtergrundlage. Beides sind heute noch moderne Anliegen, die mit der Anbauprämie für den Preiszuschlägen auf Futtermitteln und mit der Übernahmegarantie für Brotgetreide gezielt gefördert wurden. Das Ziel der Erhaltung der offenen Ackerfläche konnte weitgehend erreicht werden. Ange- strebt wurden 300‘000 ha und in den Jahren 1990/92 waren 311‘741 ha vorhanden. Das zweite Ziel geriet zunehmend in den Hintergrund, so dass heute mehr als 50% des Kraftfutters für die Fleisch- und Eierproduktion aus dem Ausland importiert werden. Das Landwirtschaftsgesetz von 1951 brachte diverse neue Marktregelungen. Der Einfuhrschutz, wie er bei der Verwertung von im Inland produzierten Lebensmitteln in 7 Kraft gesetzt werden konnte, war bestimmt das schärfste Instrument. Er bestand aus Einfuhrbeschränkungen, Zollzuschlägen für Übermengen und einer Übernahmepflicht der Inland-Produktion durch Importeure. Für die Ausfuhr von Nutztieren konnten Beiträge ausgeschüttet werden. Der Bund übernahm zusätzlich die Pflicht zur Marktentlastung und der Überschussverwertung. Für Milch wurde die Sonderregelung für die Übernahmepflicht für die Inlandprodukte durch den Bund eingeführt und auch beim Weinbau konnten dank einer Sonderregelung auf Importen Abgaben erhoben werden, die zur Stützung der einheimischen Produktion eingesetzt wurden. Der Grundsatz der kostendeckenden Preise nach Art. 29 wurde schon bald zum Prüfstein des neuen Landwirtschaftsgesetzes und war während Jahrzehnten Diskussionsgegenstand. Interessanterweise wurde im Zusammenhang mit der Bodenverbesserung bereits auf die Anliegen von Natur und Umwelt hingewiesen. Namentlich wurden erwähnt der Schutz des Grundwassers, die Natur und die Wahrung des Landschaftsbildes. Wahrhaftig handelte es sich dabei um sehr weitsichtige Forderungen, die allerdings in der praktischen Umsetzung, wie die darauf folgenden Jahrzehnte zeigten, wenig Beachtung erlangten. Jahrzehnte der Agrarrevolution Das Landwirtschaftsgesetz von 1951 brachte, wie wir oben gesehen haben, einen umfassenden Schutz der einheimischen Landwirtschaft. Die Marktregelungen wurden in den kommenden Jahrzehnten bis zum Beginn der Neunziger Jahre zu einem umfassenden Instrumentarium ausgebaut und Eckpfeiler davon blieben bis 1994, dem Abschluss der Uruguay-Runde des GATT und zum Teil darüber hinaus bestehen. Preis oder Produktionsmenge Wenige Monate, nachdem das Landwirtschaftsgesetz in Kraft trat, musste der Bundesrat aufgrund einer massiven Ausdehnung der Milchmenge von 14.7 Mio. bei Kriegsende auf 20.3 Mio. Zentner im Jahre 1954 den Milchpreis von 39 auf 38 Rp/kg senken. Dieser Beschluss führte zu heftigen Protesten unter anderem mit einem 8 Marsch auf Bern, an dem 25‘000 Personen teilnahmen. „Auf Spruchbändern forderten sie den Bundesrat auf, das Landwirtschaftsgesetz einzuhalten“. Der Bundesrat reagierte mit dem ersten Landwirtschaftbericht vom 31. Januar 1956. Dieser wurde jedoch vom Parlament zur Überarbeitung zurückgewiesen und nach einer grundlegenden Überprüfung verschiedener landwirtschaftlicher Probleme wurde am 29. Dezember 1959 der zweite Landwirtschaftsbericht publiziert. Dieser Bericht zeigte Grundzüge der künftigen schweizerischen Agrarpolitik auf. Die wichtigsten Zielsetzungen dabei waren: Es ging nicht darum, eine möglichst grosse Zahl von Betrieben zu erhalten sondern leistungsfähige, mittelgrosse Familienbetriebe. Die Bewirtschaftungsnachteile des Berggebietes wurden anerkannt. Die staatliche Lenkung musste sich vor allem auf die Förderung des Ackerbaus und die Verminderung der Futtermittelimporte konzentrieren. Erstmals kam die internationale Zusammenarbeit zur Sprache. Es wurde aber darauf hingewiesen, dass in den Verhandlungen „die in der Agrargesetzgebung vorgesehenen Massnahmen zum Schutze der inländischen Landwirtschaft und zur Sicherung des Landesversorgung“ vorbehalten wurden. Es sollte eine Schwerpunktsverlagerung von Massnahmen zur Preisstützung auf solche zur Grundlagenverbesserung stattfinden. 9 Auch der zweite Landwirtschaftsbericht mochte die Stimmung bei den Bauern nicht zu beruhigen und als im November 1961 der Bundesrat den Milchpreis nur um 2 Rp., statt der vom Schweizerischen Bauernverband geforderten 4 Rp. anhob, kam es am 17. November 1961 in Bern zu einer Demonstration mit 40‘000 Bauern für einen höheren Milchpreis. „Gerechte Preise anstatt Subventionen“ wurden gefordert. Der Schweinehändler kommt Er kam immer wieder vorbei und wie von Geisterhand gelenkt wusste er, dass wieder eine Schar Jager zum Verkaufe anstand. Zuerst drehte sich das Gespräch mehr um das unpassende Wetter oder das Heu, das schon lange gemäht werden sollte. Dann ging‘s aber zu Sache. Man stand an der Bucht und mit seinem Kennerblick stand der Preis schon bald fest. Vater hatte sich im „Landwirt“ orientiert. Aber das war der Preis der vergangenen Woche. Diese Woche sei das Angebot viel höher und mehr als 90 Franken pro Stück lägen auf keinen Fall drin. Da klafften die Vorstellungen weit auseinander. Man einigte sich erstaunlicherweise immer wieder auf einen Kompromiss und wenn der Schweinehändler merkte, dass die Unzufriedenheit etwas gross war, so gab’s nach dem Händedruck noch einen „Näpu“ für die Mutter und den Kindern eine Schokolade. Am Markttag in der Früh fuhr der Jeep vor und mit viel Gekreische wurden die Jager in die Kiste verladen. 10 Zauberwort „Innere Aufstockung“ Der vorhin erwähnte zweite Landwirtschaftsbericht brachte eine Verlagerung von der Sicherung der Ernährung zur Sicherung des Einkommens auch kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe. Die aufkommende bodenunabhängige Veredlungswirtschaft in der Schweine- und Geflügelhaltung sollte dahingehend genutzt werden, um eine möglichst grosse Zahl von leistungsfähigen, bäuerlichen Familienbetrieben zu erhalten bzw. zu schaffen. In dieser Zeit entfaltete sich auch die Schweinehaltung im Kanton Luzern. Bei Wachstumsraten um 10% pro Jahr stieg der Schweinebestand im Kanton Luzern in den sechziger und siebziger Jahren auf das heutige Niveau an. Strukturwandel verunsichert In den sechziger Jahren herrschte Vollbeschäftigung. Dies führte zu einer hohen Abwanderungsquote von 4% pro Jahr aus der Landwirtschaft. Die familienfremden Arbeitskräfte reduzierten sich so innert 20 Jahren auf einen Viertel. Diese Gesundschrumpfung wurde von vielen Bauern eher als Todschrumpfung empfunden. Gleichzeitig stieg die Produktivität in der Landwirtschaft um 6% pro Jahr an, so dass die Mansholt-Plan Abwanderung den Produktivitätsfortsch Sico Mansholt war ein niederländischer Politiker. In einem öffentlichen Referat vertrat er im November 1967 die Auffassung, dass sich der ritt nicht zu technische Fortschritt nicht mit dem Familienbetrieb vertrage. Die kompensieren Situation der Bauern habe sich mit der gemeinsamen Agrarpolitik nicht vermochte. gebessert. Um ein Gleichgewicht der Märkte herzustellen, sollen bis Strukturwandel 1980 5 Mio. Bauern in den 6 EWG Ländern aufgemuntert werden, aus wurde der Landwirtschaft auszusteigen. Als Massnahmen schlug er für ältere Betriebsleiter eine Vorruhestandsregelung vor, jüngeren Landwirten Der vom nicht Staat explizit soll die Möglichkeit gegeben werden, einem Beruf ausserhalb der gefördert, Landwirtschaft nachzugehen und den verbleibenden Betrieben sollen aber mit Investitionsbeihilfen die Strukturen verbessert werden. Die gewollt. Reaktionen in der Landwirtschaft waren harsch und der Plan wurde Landwirtschaftsberic weitgehend fallengelassen. Trotzdem fand der Strukturwandel statt und auch in der Schweiz hat der Mansholt-Plan das Denken der Menschen stark beeinflusst. er war durchaus Im dritten ht (1965) wurde der bäuerliche 11 Familienbetrieb wie folgt definiert: „Er lässt sich zwar flächenmässig nicht umschreiben, muss aber so beschaffen sein, dass ein rationeller Einsatz des investierten Kapitals und eine volle Aus- lastung der Arbeitskräfte der bäuerlichen Familie möglich ist“. Weiter bei den wurde agrarpolitischen Zielsetzungen auf die Förderung des Ackerbaus gesetzt, um die Produktionsbereitschaft zu erhalten. Eine grosse Bedeutung nahm auch die Verbesserung der Produktionsgrundlagen ein, wie sie schon im zweiten Landwirtschaftsbericht postuliert wurde. Die Einkommenssicherung hatte wie bisher vor allem über Preisund Absatzsicherung zu erfolgen. Diesem Vorgehen waren jedoch Grenzen gesetzt, da inzwischen das Agrarpreisniveau bei Milch und Fleisch 25% und bei Getreide 50% über dem EWG Niveau lag. Es kamen deshalb eher neue Mittel der direkten Einkommenszahlung zum Einsatz wie Kostenbeiträge für Rindviehhalter im Berggebiet, Familienzulagen und Verbilligung des Treibstoffs. 1966 trat die Schweiz dem GATT bei. Für die Landwirtschaft konnte ein Sonderstatut erwirkt werden, so dass die vom Schweizervolk beschlossene Agrarschutzgesetzgebung, beruhend auf dem 12 Landwirtschaftsgesetz, dem Getreidegesetz und dem Alkoholgesetz, intakt blieb. „Die historische Bedeutung und die grosse Leistung der Kennedy-Runde liegt in den beträchtlichen Resultaten für den Handel mit Industrieprodukten zwischen den hochentwickelten Ländern der Welt. Hier kann ohne Zweifel von einem eigentlichen Durchbruch zu freieren Formen des internationalen Warenaustausches gesprochen werden“. Im vierten Landwirtschaftsbericht vom 26.2.1969 wurde der Strukturwandel als „unumgänglich“ bezeichnet, da die Ziele der rationellen Produktion, des Marktgleichgewichts und eines angemessenen Einkommens nur so zu erreichen sind. Der Bericht wies weiter darauf hin, dass die Preispolitik vermehrt für die Produktionslenkung genutzt werden soll. Zunehmende Steuerung der Landwirtschaft Ab 1968 konnte keine Butter mehr importiert werden, die Gefahr eines Butterbergs kam auf. Der Bund reagierte darauf mit Beiträgen für Kuhhalter ohne Milchablieferung, förderte die Umstellung auf Mutterkuhhaltung und führte 1971 die Globalkontingentierung für Milch ein. Die Situation beruhigte sich allerdings nur kurzfristig. Als auf den 1. September 1974 der Rückbehalt erhöht wurde, kam es zu einer Demonstration in Bern. Diese ebnete das Feld für eine einzelbetriebliche Milchkontingentierung. Im fünften Landwirtschaftsbericht vom 22.12.1976 wurde zwar noch erwähnt, dass im „Sektor Landwirtschaft keine grossen Umwälzungen zu erwarten und wohl auch nicht möglich sind“. Trotzdem folgten sich jetzt die Regelungen, welche direkt in die Produktion der Landwirtschaft eingriffen Schritt auf Schritt. 1977 wurde die Milchkontingentierung eingeführt, welche jedem Betrieb die Milchmenge vorschrieb. In der Fleisch- und Eierproduktion wurden 1979 mit der Revision des Landwirtschaftsgesetzes Höchstbestandesgrenzen erlassen, für den Um- und Neubau von Ställen war eine Bewilligung notwendig und für die Stilllegung von Beständen konnten Beiträge ausbezahlt werden. Preiserhöhungen waren jetzt wieder möglich, Jahr für Jahr folgte eine Preisrunde und in guten Jahren konnte auch der Paritätslohn erreicht werden. Die Landwirtschaft war jedoch in ihren Strukturen gefesselt. 13 Suche nach neuen Wegen Die achtziger Jahre waren so etwas wie ein Experimentierfeld für eine neue Agrarpolitik. Zwar plädierte der sechste Landwirtschaftsbericht vom 1. Oktober 1984 noch für „einen agrarpolitischen Mittelweg, zwischen einem statischen Leitbild, das staatliche Erhaltungsinterventionen mit Beschränkung der unternehmerischen Freiheit vorsieht, und einem dynamischen Leitbild, das die Rationalisierung und Intensivierung der Produktion nicht behindert, die Eigeninitiative möglichst wenig beschränkt, dafür aber den Strukturwandel in Kauf nimmt. Grenzen sind in der Strukturentwicklung unter anderem hinsichtlich der Konzentration im Bodenbesitz und in der Tierhaltung zu setzen. Beschränkungen sind aber auch dort notwendig, wo es sich um die Erhaltung der Berglandwirtschaft sowie um Fragen des Umweltschutzes, der Nahrungsmittelqualität und der Abwanderung handelt“. In der Bevölkerung war jedoch eine grosse Unzufriedenheit über die immer komplexere Agrarpolitik festzustellen. Ein deutliches Zeichen dafür war die Ablehnung des Zuckerbeschusses, mit der die Selbstversorgung beim Zucker von 45% auf 55% hätte erhöht werden sollen. Dem Referendumskomitee ging es allerdings darum, eine generelle Neuorientierung der Agrarpolitik zu erreichen. So steht in den Erläuterungen zur Volksabstimmung: „Nur mit einem Nein erreichen die Stimmbürger eine Neuorientierung unserer Agrarpolitik, die uns insgesamt 5 Mia. kostet und die ausserdem wegen der milliardenschweren Überschüsse unter Beschuss geraten ist“. Die 1. Kleinbauerninitiative von 1985 nahm vermehrt Umweltanliegen auf und wollte den Schutz der Landwirtschaftsgesetzgebung auf bäuerliche Betriebe beschränken, welche vorwiegend durch familieneigene Arbeitskräfte bewirtschaftet werden und deren Tierhaltung vor allem auf betriebseigener Futterbasis beruht. Der Bundesrat wies in seiner Botschaft darauf hin, dass den Anliegen der Initiative Rechnung getragen werden soll, in dem zwei Arten von Direktzahlungen in Vorbereitung sind: Allgemeine produktionsunabhängige Beiträge und spezifische Beiträge für ökologische Leistungen. Die Initiative wurde schliesslich 1989 mit knapp 51% nein verworfen. Sie war allerdings ein Schuss vor den Bug der offiziellen Agrarpolitik. Ein erster konkreter Schritt für flächenbezogene Beiträge wurde 1980 mit den Flächenbeiträgen für Hang und Steillagen und den Sömmerungsbeiträgen gemacht. Es folgten die Beiträge für kleine und mittlere Tierhalter ab 1988 und die Beiträge für die 14 extensive Nutzung landwirtschaftlicher Flächen und die Stilllegung von Ackerflächen ab 1991, die erstmals auch eine direkte ökologische Komponente beinhalteten. „Neue“ Agrarpolitik ab 1993 Die Ausgaben für die Landwirtschaft stiegen aufgrund der Preisstützung kontinuierlich an, so dass sich diese 1990 auf insgesamt Fr. 2.7 Mia. beliefen. Diese hohen Kosten, aber auch der Ruf nach mehr Ökologie und Markt machten eine Agrarreform unumgänglich. Zudem entsprachen die Preisstützungsmassnahmen nicht mehr den Vorgaben des GATT, der heutigen WTO. Im siebten Landwirtschaftsbericht von 1992 wurde der hohe Stand des Staatsinterventionismus aufgezeigt und Vielfältigkeit des agrarpolitischen Instrumentariums dargelegt. Vor allem aber wurde das Konzept für die Neuorientierung der Agrarpolitik eröffnet. „So sollten direkte Einkommensübertragungen an die Landwirtschaft künftig auch im Talgebiet eine grössere Rolle spielen. Die Direktzahlungen werden eine teilweise Entlastung der Produktepreise von ihrer einkommenspolitischen Funktion bewirken. Preisgarantien und Marktregulierungen können etwas gelockert werden, so dass die Markteinflüsse die Landwirte sowie die Handels- und Verarbeitungsunternehmen besser erreichen und in ihrem Handeln beeinflussen. Die dank den Direktzahlungen tendenziell niedrigeren Preise werden den Anreiz zur Intensivierung der Produktion bis zu einem gewissen Grad dämpfen. Darüber hinaus sollen besonders umweltschonende Bewirtschaftungsformen und ökologische Leistungen mit Beiträgen gefördert werden“. Art 104 der Bundesverfassung 15 Der neue Verfassungsartikel zur Landwirtschaft wurde 1996 mit 77.6% Ja angenommen. Dies war eine tragfähige Basis, auf der nun die neue Agrargesetzgebung zügig aufgebaut werden konnte. Bundesgesetz über die Landwirtschaft Das Landwirtschaftsgesetz von 1998 brachte als wesentliche Neuerung die Direktzahlungen, die in allgemeine und ökologisch begründete unterteilt Zahlungen wurden. Reform der erfolgte in Die Agrarpolitik bisher vier Etappen: Die erste Etappe brachte mit dem neuen Art. 31a und 31b des revidierten Landwirtschaftsgesetzes von 1992 die Einführung von produktionsunabhängigen Direktzahlungen, verbunden mit Preissenkungen und Anreizen für ökologische Bundesverfassung: Art. 104 Landwirtschaft 1 Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur: a. sicheren Versorgung der Bevölkerung; b. Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft; c. dezentralen Besiedlung des Landes. 2 Ergänzend zur zumutbaren Selbsthilfe der Landwirtschaft und nötigenfalls abweichend vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit fördert der Bund die bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betriebe. 3 Er richtet die Massnahmen so aus, dass die Landwirtschaft ihre multifunktionalen Aufgaben erfüllt. Er hat insbesondere folgende Befugnisse und Aufgaben: a. Er ergänzt das bäuerliche Einkommen durch Direktzahlungen zur Erzielung eines angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, unter der Voraussetzung eines ökologischen Leistungsnachweises. b. Er fördert mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen Produktionsformen, die besonders naturnah, umweltund tierfreundlich sind. c. Er erlässt Vorschriften zur Deklaration von Herkunft, Qualität, Produktionsmethode und Verarbeitungsverfahren für Lebensmittel. d. Er schützt die Umwelt vor Beeinträchtigungen durch überhöhten Einsatz von Düngstoffen, Chemikalien und anderen Hilfsstoffen. e. Er kann die landwirtschaftliche Forschung, Beratung und Ausbildung fördern sowie Investitionshilfen leisten. f. Er kann Vorschriften zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes erlassen. 4 Er setzt dafür zweckgebundene Mittel aus dem Bereich der Landwirtschaft und allgemeine Bundesmittel ein. 16 Leistungen. Die ökologischen Verbesserungen standen im Zentrum der Massnahmen. Die Preisstützungsmassnahmen wurden im Gegenzug sukzessive abgebaut. Noch 1994 wurde bei der Ausarbeitung des kantonalen Landwirtschaftsgesetzes darüber debattiert, welcher Prozentsatz der Betriebe bis zum Jahre 2000 wohl im IP/Bio-Programm teilnehmen werde. Es waren sozusagen alle Betriebe mit genügender Fläche und Standardarbeitskräften. Gleichzeitig verlangsamte sich der Strukturwandel. Von 1999 bis 2007 sind im Durchschnitt pro Jahr 1% der Betriebe aus der Landwirtschaft ausgestiegen, also deutlich weniger als in den Jahrzehnten zuvor (Strukturwandel = Abnahme Betriebe bei Integrierter Produktion in obiger Abbildung). In einer zweiten Reformetappe ab 1999 wurden die Preis- und Absatzgarantien aufgehoben. Mit den Programmen nach Art 62a, Gewässerschutzgesetz konnten neu Projekte zur Sanierung des Sempacher-, Baldegger- und Hallwilersees angegangen, die Butyra und die Käseunion wurden aufgehoben. Die Landwirtschaft war nun vermehrt dem Markt ausgesetzt. Die Direktzahlungen wurden an den ökologischen Leistungsnachweis gebunden. In der dritten Reformetappe 2003 bis 2007 wurde die Deregulierung weiter vorangetrieben und die Milchkontingentierung aufgehoben. Fleischimporte werden neu versteigert. Die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Landwirtschaft soll damit verstärkt werden. Die schweizerische Landwirtschaft steht demnach vor einer neuen Situation. 17 Es lächelt der See Die vierte und bisher letzte Er lächelt wieder, muss ich sagen, denn in den letzten 25 Etappe ist im Moment in der Jahren konnten bei der Sanierung der Mittellandseen im Ausführung und bringt als landwirtschaftlichen Bereich grosse Erfolge erzielt werden. wesentliche Neuerung die Mit dem Rückgang des Phosphorgehalts im Sempachersee definitive auf 21 mg/m3 (2007) und im Baldeggersee auf 32 mg/m 3 (2008) sind wichtige Teilziele erreicht. Zwar sind die beiden Aufhebung der Milchkontingentierung ab Seen noch nicht gesund. Es gilt nun auch das Sauerstoffziel Mai 2009. Die noch beste- von mindestens 4 mg/l überall einzuhalten und die henden Naturverlaichung der Felchen zu ermöglichen. Wasser und Markstützungsmassnahmen Boden im Einzugsgebiet sollen nachhaltig und vielfältig werden in Direktzahlungen genutzt werden können und dies alles zusammen mit einer produzierenden Landwirtschaft, die den Anforderungen des umgewandelt. Die Sees Rechnung trägt. Exportsubventionen werden So sehr wir uns auch über die wieder gesundenden Seen aufgehoben. freuen dürfen, muss uns trotz allem immer wieder bewusst viele der vom Bund früher sein, dass der Erhalt des Erreichten nicht als dauerhaft erlassenen gesichert ist. Ein gesunder See ist heute nicht mehr einfach das Nebenprodukt der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Damit Marktregelungen sind beseitigt. Vielmehr sind in der Landwirtschaft dauernde Es ist nicht mehr der Staat, Anstrengungen notwendig, um die Qualitätsziele im See der die Preise vorgibt, son- einhalten zu können. Die bisherige Erfahrung hat auch dern der Markt. Für die Lö- gezeigt, dass die Gesellschaft durchaus bereit ist, dafür sung der noch anstehenden einen Preis zu bezahlen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im See-Einzugsgebiet ist sich nämlich Umweltprobleme (z.B. Am- bewusst, dass nur Bauern und Bäuerinnen einen gesunden moniak) wurden die Res- See sowie eine schöne, gepflegte und naturnahe sourcenprogramme gestar- Landschaft mit sich abwechselnden Wiesen, Weiden, tet. Sie bieten neu die Mög- Hecken und Wäldern erhalten können. lichkeit, Massnahmen zur effizienteren Nutzung von Stickstoff mit Beiträgen zu fördern. Die massiven Veränderungen seit 1993 haben auch Chancen eröffnet. Der Handlungsspielraum für die Produzenten hat wieder zugenommen. Viele der einengenden Marktregelungen der achtziger Jahre sind verschwunden. Es ist wiederum mehr möglich und der unternehmerische Spielraum hat sich vergrössert. 18 Herausforderungen der nächsten 25 Jahre Man kann mit gutem Recht sagen, dass es zu einem grossen Teil in der Hand jedes einzelnen Landwirts/in liegt, was die Zukunft bringt und wo der Betrieb in 25 Jahren steht. Trotzdem möchte ich auf vier Punkte eingehen, die eine Art Leitplanken der kommenden Entwicklung sein werden. Es ist zum einen der Markt, der die Zukunft der Landwirtschaft mehr beeinflussen wird als alles andere. Die Weichen in diese Richtung wurden schon lange gestellt. Zurzeit ist das Freihandelsabkommen mit der EU in Diskussion. Da können wir noch ja oder nein sagen. Aber im Hintergrund wartet schon der Abschluss der DohaRunde im Rahmen der WTO, die eine noch weitergehende Öffnung der Märkte bringen soll. Mit dem Fall der Berliner-Mauer hat die Globalisierung einen ungeahnten Aufschwung erlebt und es gibt bis heute kein alternatives Konzept dazu. Offensichtlich gibt es keinen „halben“ Markt. Die Schweiz als kleines Land, mitten in Europa, das auf Handel angewiesen ist, kann sich den Marktmechanismen nicht entziehen. Mit dem Strukturwandel haben wir in der Zwischenzeit leben gelernt. Er wird im Rahmen des Generationenwechsels, je nach Ausgestaltung der Bundesmassnahmen, weitergehen. Ganz generell werden wir uns aber an eine grössere Vielfalt von Betrieben gewöhnen müssen. Es wird Betriebe geben, die voll auf Produktion setzen und so am Markt bestehen wollen, es gibt solche die Nischen besetzen und so weiterkommen oder andere die ihren Weg im Nebenerwerb finden. Der traditionelle Luzerner Betrieb mit Milchvieh und Schweinen, der erst nach dem Wechsel von der gelben zur grünen Schweiz im 19. Jh. entstanden ist, wird nicht verschwinden, er wird allerdings nicht mehr der Standard sein, nach dem sich alle ausrichten werden. Gerne sprechen wir von der Landwirtschaft als Energielieferanten. Dabei dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass die Energieeffizienz der schweizerischen Landwirtschaft seit Mitte der achtziger Jahre um 0.4 pendelt, das heisst, es werden 2.5 mal mehr Energie aufgewendet, als schliesslich in den Produkten enthalten ist. Immerhin ist seither keine weitere Verschlechterung mehr eingetreten. Unsere heutige Landwirtschaft, deren eigentliche Aufgabe es ist, Sonnenenergie einzufangen und diese als Nahrungsmittel bereitzustellen, unterscheidet sich somit nicht gross von der übrigen Wirtschaft, die ebenfalls am Hahn der fossilen Energie hängt. Es wird eine Auf- 19 gabe der nächsten Jahrzehnte sein, unsere Landwirtschaft auf dem Weg der Nachhaltigkeit voranzubringen und ihre Energieeffizienz massiv zu steigern. In der Zwischenzeit fragen wir uns nicht mehr ob, sondern in welchem Ausmass der Klimawandel die Situation unserer Landwirtschaft beeinflussen wird. Wir werden zwar davon vorerst eher profitieren können. Wir erwarten in der Schweiz höhere Temperaturen aber auch in der Tendenz feuchtere Winter und trockenere Sommer. In den Gebieten, welche bisher schon unter Trockenheit gelitten haben, nimmt diese letzte Tendenz noch zu. Extremereignisse treten vermehrt auf. Beim Futterbau wird mit einer Zunahme der Erträge und Schnitthäufigkeiten gerechnet, beim Getreidebau wirken sich kürzere Wachstumszeiten vermindernd auf die Erträge aus. Bei ungebremstem Klimawandel wird auch die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz beeinträchtigt sein, besonders, wenn das verfügbare Wasser während der Vegetationszeit knapp wird und auch die erhöhten Wetterschwankungen werden die schweizerischen Landwirte vor besondere Herausforderungen stellen und die Ertragssicherheit gefährden. Die bestehenden Unsicherheiten bei der Prognose sollen uns nicht dazu verleiten, das Problem zu negieren. Bei langfristigen Investitionen ist es angebracht, dem Klimawandel bereits heute Rechnung zu tragen. Darüber hinaus muss auch die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen leisten. Dazu gehören die Fütterung, der Düngereinsatz, die Massnahmen zum Boden- und Erosionsschutz, die Renaturierung kultivierter Moorböden sowie der Ersatz fossiler durch erneuerbare Energieträger. Problematisch sind aus Sicht des Klimawandels auch die hohe Fleischproduktion und dessen Konsum in der Schweiz. Noch bis in die sechziger Jahre war die Anpassung des Tierbesatzes an die landeseigene Futtergrundlage oberstes Ziel der Agrarpolitik und noch in den achtziger Jahren wurde laut über eine Futtermittel-Kontingentierung nachgedacht. Heute lassen wir auf einer Fläche von 200‘000 ha Futtermittel im Ausland produzieren (offene Ackerfläche der Schweiz 280‘000 ha) und importieren diese in die Schweiz. Das Problem hat sich mit dem Verbot von Fleischmehl noch verschärft, da nun Soja importiert werden muss. Die Folgen davon sind uns bekannt. Daraus einen Vorwurf an unsere Landwirte/innen abzuleiten wäre allerdings zu kurz gegriffen. Sie produzieren aus guten Gründen, was sich am Ladentisch verkaufen lässt. Es liegt vielmehr in der Verantwortung der Politik, die Weichen in eine nachhaltige Zukunft richtig zu stellen. 20 Der Rückgang der Biodiversität oder der Verlust der Arten ist ein Prozess, der eher unbemerkt abläuft. Während uns die Zusammenhänge zu Energieverbrauch und Klimawandel noch recht naheliegend erscheinen, fragen wir uns mit Recht, welche Beziehungen zwischen der biologischen Vielfalt und unserem menschlichen Dasein bestehen. „Diese Vielfalt und die Veränderlichkeit von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen sind notwendig, um die Schlüsselfunktionen des Agroökosystems seine Struktur und Prozesse aufrecht zu erhalten. Die Aufrechterhaltung der biologischen Vielfalt ist eine unabdingbare Voraussetzung, damit Grundbedürfnisse wie Ernährung, Bekleidung, Medizin oder Baumaterial auch in Zukunft sichergestellt werden können“. Neuere Untersuchungen zeigen, dass der bisherige ökologische Ausgleich keine Trendwende zu bewirken vermochte. Bei den gefährdeten Arten der Rote Liste des Kulturlandes ist der Trend anhaltend negativ. Gemäss Art. 104 der Bundesverfassung hat die Landwirtschaft einen zentralen Beitrag zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu leisten. Aber wir wissen es ja zu genüge, Paragraphen allein werden die Situation nicht verbessern. Was es braucht ist eine veränderte Wertschätzung, dass Blumenwiesen und Brachen nebst Kartoffeln und Käse auch eine Leistung darstellen. Eine einheimische Landwirtschaft ist wie eine Versicherung, die es in guten Zeiten weniger, in schlechten Zeiten aber umso mehr braucht. Die Geschichte lehrt uns, dass eine komplette Abhängigkeit von importierten Lebensmitteln zu risikoreich wäre. Dieses Risiko wird in Zukunft eher noch zunehmen, da die Weltbevölkerung weiter wächst und nach Meinung der Experten der Bedarf an Nahrungsmitteln sich in den nächsten 25-50 Jahren weltweit verdoppeln wird. Das heisst, wenn wir das Abholzen des Tropenwaldes nicht noch weiter fördern wollen, muss der einheimische Boden vorrangig für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Der Verlust der besten Ackerböden, wie er in den letzten Jahrzehnten mit stoischer Gelassenheit akzeptiert wurde, muss auf das absolut Notwendige reduziert werden. Gross genug sind auch so noch die Herausforderungen an unsere Landwirtschaft. Sie muss bei offeneren Märkten, unter dem Einfluss des Klimawandels, energieeffizienter und unter Wahrung der Biodiversität qualitativ hochstehende Lebensmittel produzieren. Eine Aufgabe die herausfordernd, interessant und zukunftsgerichtet bleibt.