Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 Tutorium Wirtschaftspolitik Thema 11: Agrarpolitik 26.01.-30.01.2004 von Michael Lepherc und Gabor Erfert Frage 1: Vergleichen Sie die allokativen Wirkungen von direkten Einkommenshilfen für die Landwirtschaft mit denen einer Politik der Preisstützung. Die Agrarmärkte sind insofern von speziellem Interesse, da das Angebot seitens der Landwirte auf eine relativ starre Nachfrage nach Nahrungsmitteln trifft, was bei steigender Produktivität zu einem anhaltenden Preisverfall führt. Somit kann es aus verteilungspolitischen oder auch allgemein politischen Gründen erwünscht sein, die Einkommenslage der Landwirte zu verbessern bzw. zu stabilisieren. Dieses Bestreben spiegelt sich in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU wieder. Als die wichtigsten Arten dieser Unterstützung sind zu nennen: • Preisstützung • Direkte Einkommenshilfen 1.1. Preisstützung Bei der Politik der Preisstützung werden die Landwirte gefördert, indem die Preise für landwirtschaftliche Produkte auf ein Niveau oberhalb der Weltmarktpreise gehoben werden. Dies lässt sich am Beispiel der EU-Getreidemarktordnung zeigen. Abbildung 1.1. Die Getreidemarktordnung Preis pR - Richtpreis Transportkosten inländischer Marktpreis pI -- Schwellenpreis Interventionspreis EE IA pW Weltmarktpreis Export Binnenmarkt Import Menge 1 Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 Während auf dem Weltmarkt der Weltmarktpreis (pW) gilt, wird durch die Getreidemarktordnung der Binnenpreis innerhalb der EU angehoben. Aus einem Richtpreis (pR) wird der für Importeure geltende Schwellenpreis abgeleitet. Um diesen zu erreichen, werden flexible Zölle (ImportAbschöpfungen, IA) in Höhe der Differenz aus Schwellenpreis und Weltmarktpreis auf die Importe erhoben, so dass Importeure nur zu Schwellenpreisen in die EU importieren können. Da Importeure Transportkosten zu tragen haben, werden auch sie nur zum Richtpreis (pR) anbieten können. Bei Export wird den europäischen Landwirten hingegen eine Export-Erstattung (EE) gewährt, so dass sie zumindest den Interventionspreis (pI) erzielen. Für Landwirte innerhalb der EU besteht die Garantie bestimmter Mindestpreise (Interventionspreise). Die Interventionsstellen sind im Falle eines Angebotsüberhanges (d.h. wenn der inländische Preis unter den Interventionspreis zu fallen droht) gezwungen, die überschüssigen Produktionsmengen zu diesem Preis (pI) aufzukaufen. Der für die folgende Analyse relevante Interventionspreis liegt zwischen Weltmarkt- und Schwellenpreis. Die Politik bewirkt, dass der Marktpreis im Inland immer zwischen Interventions- und Richtpreis liegt. Dadurch können Importeure, die wegen der Zölle und der Transportkosten zum Richtpreis anbieten müssen, nicht kostengünstiger sein als inländische Produzenten. Der Getreidemarkt wird abgeschottet (vgl. Abbildung 1.1.). Allokative Wirkungen der Preisstützung Abbildung 1.2. Garantierter Verkauf zum Interventionspreis P B YD pI YS D F E Wohlfahrtsverlust A p* C pW O G H Y1 Y2 Y 2 Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 Im Ausgangspunkt bei (Autarkie-) Marktgleichgewicht in Punkt A entspricht die Konsumentenrente dem Dreieck ABC, die Produzentenrente dem Dreieck OAC. Wird nun der oberhalb des Gleichgewichtspreises p* liegende Interventionspreis pI eingeführt, so sinkt die Konsumentenrente um das Trapez ADFC. Die Produzentenrente allerdings, wie geplant, steigt um das Trapez CAEF. Nur liegt in dieser Situation ein Angebotsüberhang vor, so dass die Interventionsstelle gezwungen ist, die Differenz zwischen Y1 und Y2 zum Interventionspreis aufzukaufen. Dieser Teil der Produktion kann nun von der Interventionsstelle entweder zum niedrigeren Weltmarktpreis pW verkauft werden oder muss vernichtet werden. Im Falle einer Vernichtung entstehen Kosten in Höhe des Rechtecks EDy1y2 (plus Vernichtungskosten), denen aber keinerlei Nutzen gegenübersteht, es ergibt sich somit ein Wohlfahrtsverlust in Höhe der Fläche Y1DAEY2 (rote und violette Fläche, Saldo: Konsumenten / Landwirte / Staat). Wird der Überschuss auf dem Weltmarkt abgesetzt, so bewirkt die Preisstützung durch Protektion und den Ankauf von Überschüssen für das gesamte Inland einen geringeren Wohlfahrtsverlust als bei Vernichtung. Die Höhe dieses Verlustes ist letztlich davon abhängig, welcher Preis für die Überschüsse auf dem Weltmarkt erzielt werden kann. In der Graphik entsprechen die Erlöse aus dem Export dem Rechteck Y1GHY2 (violette Fläche). Der Wohlfahrtsverlust verringert sich also für die EU auf die Fläche GDAEH (rote Fläche). Diese Verringerung des Wohlfahrtsverlustes durch Export ins Ausland reduziert allerdings die Produzentenrente der Nicht-EU-Produzenten (nicht abgebildet). Es bleibt zu klären, ob durch direkte Einkommenshilfen dieser negative Wohlfahrtseffekt vermieden werden kann. 1.2. Direkte Einkommenshilfen Bei direkten Einkommenshilfen findet kein Eingriff in den Agrarmarkt statt. Der Markt verharrt somit im Marktgleichgewicht A. Es finden keine Importe statt, da diese bei niedrigem Weltmarktpreis durch die Importabschöpfungen im Inland teurer als pI angeboten werden müssten. Abbildung 1.3. Direkte Einkommenshilfen P Y s (inländisches Angebot) p I p* A Yd Y` Y 3 Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 Wenn, wie in diesem Beispiel etwa, Einkommenstransfers in Höhe der Differenz zwischen ehemaligem Interventionspreis und Gleichgewichtspreis gezahlt würden, so ergäbe sich ein Zuwachs an Produzentenrente in Höhe des schattierten Rechtecks. Da wir uns aber weiterhin im Marktgleichgewicht befinden, ändert sich die Konsumentenrente nicht. Es handelt sich hierbei also um eine Umverteilungsmaßnahme von den Steuerzahlern hin zu den Landwirten, bei der, abgesehen von den Verlusten bei der Steuererhebung, keine nennenswerten Wohlfahrtsverluste in Kauf genommen werden müssen. Die Wohlfahrt bleibt somit (fast) unverändert und die Marktpreise werden nicht verzerrt. Es wird nur die Menge Y` produziert, die im Inland auch abgesetzt werden kann. Jedoch bestehen die Wohlfahrtsverluste, die mit dem Zollschutz aufgrund mangelnder Einbindung in den Welthandel (und damit Verzicht auf die Vorteile internationaler Arbeitsteilung) verbunden sind, in beiden Fällen. Im Falle direkter Einkommenshilfen, wird jedoch der Anreiz zu einer inländischen Überproduktion vermieden. Die Produktionsmenge verharrt nämlich bei Y’ im Falle der direkten Einkommenshilfen, während sie im Falle der Preisstützung auf Y2 ansteigt. Insgesamt sind dem gemäß direkte Einkommenshilfen der Preisstützung vorzuziehen und der mit der EU-Agrarreform 1992 einhergehende Übergang von Interventionspreisen zu Einkommenstransfers ist als positiv zu beurteilen. Dieser Übergang wird zudem um so dringlicher aufgrund der in der GATT Uruguay Runde vereinbarten Maßnahmen zur Liberalisierung des Welthandels mit Agrarprodukten und dem sich daraus für die EU ergebenden Handlungsbedarf. Frage 2: Zählen Sie Gründe auf, warum sich die EU-Kommission zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) durch die Agenda 2000 und die Reform 2003 gezwungen sah. Die Probleme der EU-Agrarpolitik gehen weit in die 1950er-Jahre zurück. Damals wurde diskutiert, ob der Agrarsektor ebenso wie andere Sektoren der sozialen Marktwirtschaft unterworfen werden sollten. Man entschied, dem Agrarsektor eine Sonderrolle zu verschaffen, da die deutsche Landwirtschaft auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig war und Deutschland aufgrund des Verlustes der ehemaligen Ostgebiete Nettoimporteur von Agrarprodukten geworden war. Die europäische Agrarpolitik orientierte sich daran. Allerdings spielten auch die Interessen der französischen Landwirtschaft eine erhebliche Rolle. Es entstand ein Agrarprotektionismus in der Form, dass ein Einfuhrschutz durch Zollschranken aufgebaut wurde und die innereuropäische Produktion durch Manipulation der Preise massiv subventioniert wurde. Das führte zu Überproduktionen, z.B. zu „Butterbergen“ oder „Milchseen“. Es wurde nicht mehr produziert, was nachgefragt wurde, sondern was subventioniert wurde, und damit häufig am Markt vorbei. Dies führte zu Überkapazitäten. Es ähnelte einer Planwirtschaft. Allerdings wurden keine Marktpreise festgelegt, sondern vielmehr Marktordnungspreise, die sich bei einzelnen Produkten unterschiedlich stark in der Bestimmung der Marktpreise auswirken. Die Handelspartner der EU beklagten die Weltmarkteffekte, die zunehmend größer wurden, weil die EU sich von sechs auf 15 Länder vergrößerte. Die immer größer werdende Überproduktion wurde auf den Weltmärkten verkauft, so dass die weltweiten Agrarpreise verfielen. Darunter litten die Produzenten in Entwicklungsländern, aber auch große Agrarexporteure, wie z.B. Argentinien (Rindfleisch) oder Neuseeland (Wolle). 4 Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 Die Steuerausgaben für diesen Sektor wuchsen und auch die Wirksamkeit wurde in Frage gestellt. Die Verbraucher klagten über zu hohe Preise. Dem Ausgabendruck begegnete man zunächst mit einer Erhöhung der Regelungsintensität; Milchquoten und Flächenstilllegungen sollten die Ausgabensteigerung dämpfen. Verbraucherschützer forderten vehement die Abkehr von der Quantitätsförderung in der Agrarproduktion. Sie verlangten stattdessen, die Qualität der Agrarprodukte anzuheben. Im Zuge der Schweinepest und der BSE-Krise verstärkte sich der Druck. Weitere Gründe sind die Beschränkungen von externen Protektionen des Agrarsektors auf der Ebene der WTO (Welthandelsorganisation als Nachfolgeorganisation zum GATT). Die dort verabschiedete Agenda hält fest, dass die Exporterstattungen weiterhin abgebaut werden müssen und auslaufen sollen. Zölle sollen reduziert und der Marktzugang erweitert werden. Bei NichtEinhaltung drohen empfindliche Strafen und Strafzölle auf andere industrielle Produkte. Dies verstärkte auch den Druck der Industrie, im Agrarsektor auf Protektionismus zu verzichten. Schließlich bedeutet die Erweiterung der EU ab 2004, dass viele Staaten mit hohem Beschäftigungsanteil im Agrarsektor in den Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) integriert werden müssen. Wenn auch kurzfristig durch Kappungsgrenzen die finanzielle Stabilität noch gesichert ist, so lässt sich langfristig die Ausdehnung der GAP auf das östliche Mitteleuropa nicht mehr finanzieren. Mit der Agenda 2000 wurden weitgehende Reformen beschlossen. Allerdings waren die Regierungschefs nicht in der Lage, sich auf grundlegende Reformen zu einigen. Deswegen wurden im Januar 2003 neue Reformvorschläge vorgelegt. Am 26. Juni 2003 hat sich der Agrarrat auf eine grundlegende Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik geeinigt. Frage 3: Erklären Sie die allokations- und distributionspolitischen Auswirkungen der flächennutzungsungebundenen Direktzahlungen, der Degression von Direktzahlungen, der ökologischen Flächenstilllegungen und der Modulation, wie sie in der Agrarreform 2003 beschlossen wurden. Im Juni 2003 beschloss der Agrarrat (bestehend aus den Fachministern der EU-Mitgliedsstaaten) die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Als wesentliche Neuausrichtung kann die Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion identifiziert werden. Bei der im Jahr 1992 eingeführten und 2000 modifizierten Ausgestaltung der Direktzahlungen waren diese entweder an die Bodennutzung oder den Tierbestand gebunden. Somit war die bis zur aktuellen Reform praktizierte Form der Direktzahlungen nicht produktionsneutral. Mit den flächennutzungsungebundenen Direktzahlungen (als Berechnungsbasis ist der Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2002 gewählt worden) wurden zwei negative Allokationseffekte, die sich aus der alten Regelung ergeben, weitestgehend ausgeschlossen: • Tierhaltung und Bodennutzung wurden nur in einer bestimmten Weise genutzt, weil es eine Direktzahlung gab. Die Marktpreise als Indikator für Knappheit dienten nicht als entscheidende Signale für die Wahl der Ausbringungsmenge und die Ausrichtung der Produktion. 5 Thema 11: Agrarpolitik, 26.01.-30.01.2004 • Produktionsstimulierende Direktzahlungen führen zu einem Einsatz von ertragssteigernden Vorleistungen (z.B. Dünge- und Pflanzenschutzmittel), welche negative Effekte auf die Umweltqualität haben. Darüber hinaus erhöht sich die Transfereffizienz: Nur der Bewirtschafter erhält die Zahlungen, da er einen Prämienanspruch hat. Dieser Anspruch ist aber handelbar, kann also an andere Wirtschaftssubjekte veräußert werden. So kann beispielsweise der Verpächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks nicht den Pachtpreis beim Auslaufen der Pacht erhöhen, da er keinen Anspruch auf die Zahlungen hat. Im Ergebnis führt die neue Regelung dazu, dass die Prämie weitgehend beim gegenwärtigen Bewirtschafter des Bodens verbleibt. Das bisherige Beihilfesystem, welches aus flächennutzungsgebundenen Zahlungen und Zahlungen pro Tier bestand, erhöhte lediglich die Pachtpreise, so dass die Transfers letztendlich bei den Verpächtern und nicht bei den als Landwirten aktiven Pächtern landeten. Weigerte sich ein Pächter bei Erhöhung von Transfers eine Erhöhung der Pacht zu bezahlen, so konnte der Verpächter selbst den Betrieb übernehmen und die Transfers kassieren. Beim neuen System müsste er für den Erhalt von Transfers zunächst Prämienansprüche von den bisherigen Bewirtschaftern kaufen. Aus distributionspolitischer Sicht gewährleistet diese Regelung den aktiven Landwirten die Einkommensstabilität, gleichzeitig werden sich aus allokationspolitischer Sicht ihre Entscheidungen stärker an den Marktgegebenheiten orientieren. Über den Paradigmenwechsel in Form der Entkoppelung der Direktzahlungen hinaus wird es eine Degression der Zahlungen geben: Bei Zahlungen von 5001 bis 50000 Euro gibt es bis 2012 leicht ansteigende Kürzungen bis zu 12,5 %, bei Zahlungsempfängern über 50000 Euro Kürzungen bis 19% im Endjahr. Bei Zahlungsempfängern bis 5000 Euro gibt es keine Kürzung. Da Empfänger hoher Transferleistungen wahrscheinlich auch höhere Markteinkommen erzielen, kann diese Maßnahme distributionspolitisch begründet werden. Flächenstilllegung: Seit 1995 wird das Instrument der Flächenstilllegung verwendet, um die inländische Menge an Getreide zu verringern. Für die stillgelegten Flächen werden Prämien bezahlt, die sich an den durch die Stilllegung orientierten Einkommensverlusten orientieren. Die EUKommission hat vorgeschlagen, dass sich die Empfänger der Prämien für eine zehnjährige Flächenstilllegung entscheiden sollen. Diese zehnjährige ökologische Flächenstilllegung wird mit positiven ökologischen Effekten begründet. Dieses ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kritisch zu bewerten, da man jeden einzelnen Betrieb unabhängig von der Bodenqualität zu einer Stilllegung verpflichtet. Ferner wirkt die Flächenstilllegungsprämie wie ein Mindestpreis für Pachtzahlungen, da ein Verpächter stets die Alternative der Stilllegung hat. Ein weiteres Element der Agrarreform ist die Stärkung der Förderung des ländlichen Raums durch die Mittelumschichtung im Rahmen der so genannten Modulation: Die durch die angesprochene Degression eingesparten Mittel sollen den Ländern zur Förderung des ländlichen Raums zur Verfügung gestellt werden. Unter anderem sollen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen Regionen und die Erzeugung qualitativ hochwertiger Lebensmittel verstärkt gefördert werden. Durch das so genannte „Cross-Compliance“ gibt es eine zusätzliche Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsvorschriften – die Betriebe verpflichten sich, ihr Land in einem guten ökologischen Zustand zu halten, da sie ansonsten einen Teil oder sogar den ganzen Direktzahlungsanspruch verlieren. 6