Judentum als geistige Heimat – Der wandernde Jude zwischen Exil

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Judentum als geistige Heimat – Der wandernde Jude zwischen Exil und Erlösong
Oder: "Es geht darum, das Unmögliche zu begehren" (Martin buber)
Zürich – 22.11.2009
1. Die Geschichte
In einem Pamphlet, das im Jahr 1602 veröffentlicht wurde und seit dem große
Verbreitung gefunden hat, lesen wir die Geschichte vom wandernden Juden.
Der Erzähler trifft in der Kirche einen sonderbaren Menschen, der ihm seine
Geschichte erzählt:
"...Als nun der Herr Christus unter seinem Kreuz herzu geführet worden, hat er sich
an sein Haus etwas angelehnet...Dann sagte ihm der Man mit scheltworten, er soll
sich von dannen wegzupacken und himaus da er hingehört zu verfügen...da hab ihn
Christus stark angesehen: ...Ich will stehen und ruhen Du aber solt gehen".
So wurde der wandernde Jude, genannt Ahasver, zum Paradigma des Verfluchten, des
Fremden, des Verstoßenen, des Unruhigen, des Ketzers.Auf deutsch hieß er auch 'Der
ewige Jude'.
200 Jahre später finden wir ihn bei Goethe, der die folgenden Worten hinzufügt, und
wir wissen nicht mehr wer spricht, Christus oder Gott:
"'Du wandelst auf Erden, bis du mich in dieser Gestalt wieder erblickst'. Der
Betroffene kommt erst einige Zeit nachher zu sich selbst zurück, findet... die Straßen
Jerusalems öde, Unruhe und Sehnsucht treiben ihn fort und er beginnt seine
Wanderung."
In der westlichen Kultur wird der Jude zum prototip des ewigen Wanderer. Sein Fluch
ist die Heimatlosigkeit, das Exil, die Galut.
Die Juden haben diese christliche Geschichte verinnerlicht: Die Spannung zwischen
Heimat und Heimatlosigkeit, zwischen Galut (Exil) und Ge'ula (Erlösung) wird, und
ist bis heute, ein zentrales Thema im jüdischen Diskurs.
2. Gedanken über Heimatlosigkeit: die Galut
Heimat ist zunächst ein Ort (auf Hebräish 'Makom', welches auch einer der Namen
Gottes ist). Heimat verkörpert Geborgenheit: das Heim symbolisiert Verwurzelung,
die Erde verspricht sattheit, das Territorium verleiht Sicherheit, das Land bietet
Identität. Die Galut verkörpert kein 'Makom', es ist ein ortloser Ort, ein nirgendwo,
voll Mangel, Unsicherheit, Hunger, ständige Sehnsucht. Die Begriffe bilden ein
Gegensatzpaar und sie gewinnen ihre Schärfe durch die Gegenüberstellung mit dem,
was sie nicht sind - die Galut ist der genaue Gegensatz zur Heimat.
In der Beziehung der juden zu 'Eretz Israel' stießen zwei Ideen aufeinander: die
national-historische Perspektive, die im Land (in Zion) die physische Heimat sah, und
die religiöse Perspektive, die in Zion den Ort der Heiligkeit, der Erhabenheit, der
religiösen Sehensucht betonnte. Als im folge des Exils die souveräne nationale
Existenz der Juden zu Ende war, wurde die religiöse Praxis zum Mittelpunkt des
jüdischen Lebens: Die Synagoge ersetzte den Tempel, das Gebet ersetze die
Opferarbeit, die Gemeinde ersetzte den Staat. Die alten Weisen (Chasal)
Konstituierten das Judentum um den Text: Neben der geschriebenen Torah erschien
die mündliche Torah: die Mischnah, der Talmud, der Midrash. Diese Schriften, die
die Bible interpretiren sollten, wurden auch zum Kanon. Es begann ein Prozess der
Interpretation, der die Relevanz der Tora, des kanonisierten Textes, bewahren sollte.
Das Judentum begann das Leben einer interpretative Kultur. Das Lernen des
kanoniseirten Textes, der Bible und ihrer immer neuen Interpretationen, ersetzte die
Rituale im Tempel. Der Text wurde, wie Heinrich Heine später sagte, zum tragbaren
Vaterland der Juden.
die Halacha und die Kehila (Gemeinde) haben den Platz und die Funktionen des
souveränen Staates übernommen; sie wurden zu zwei Säulen der jüdischen Existenz
im Exil.
Da die Galut die zentrale Erfahrung der jüdischen Existenz wurde, musste man ihr
Bedeutung verleihen. Schon in Talmud finden wir einige Stellen, die der Galut einen
höheren Wert zuschreiben als dem staatlichen Leben. Dort heißt es z.B. "Galut tilgt
alles". Das Gebet und das Lernen erhielten einen höheren Stellenwert als der
Opferdienst im Tempel, der das staatlische Leben repräsentierte: "Es wird gesagt:
Von Opferdienst und Lesung - Lesung hat Vorrang."
Aus dem dialog mit dem Christentum entwickelte sich bald das Leiden als religiöser
Wert neben der Galut. Im Talmud finden wir mehrere Stellen wie diese: "Leiden
tilgen alle Verschuldungen eines Menschen".
Diese Verbindung von Galut und Leiden kennzeichnete die Galut als höchsten
religiösen Wert, als den eigentlichen Sinn der jüdischen Existenz.
Mystische Lehren haben die Galut auf die höheren Welten projeziert. So hatte die
Galut im realen Leben der Juden die kosmische Galut symbolisiert, wurde zur metahistorischen Realität. In der Kabbalah hat diese Idee ein neues Gesicht erhalten: etwas
vom Gott, die Shechina, seine Anwesenheit (Einwohnung) in der Welt, verließ ihn
und ging mit dem Volk Israel in die Galut. "Es wird gesagt: sie waren verbannt und
die Einwohnng war mit ihnen, und auch wenn sie zukünftig erlöst werden, ist die
Einwohnung mit ihnen".
In der jüdischen Literatur, vom Talmud des 4tn Jh. über die Kabbalah des Mittelalters
und bis zu Rabi Nachman von Braslav im 19tn Jh. finden wir die Geschichte vom
König, der sich über seine geliebte Frau oder geliebte Tochter zürnte, und sie vertrieb.
Dann aber sehnte er sich nach ihr und bereute seine Tat, und er schickte seinen
Gesandten, um sie zu finden und zurück, nach Hause, zu holen.
Von hier war es nur ein kurzer Weg um in der kosmischen Galut auch die Galut der
menschlichen Seele zu sehen. Erst sprach man von der Entfernung der Seele vom
göttlichen Welt, dann aber von ihrer Entfremdung vom Menschen selbst. Dieser schrit
führt uns in den Bereich des modernen Denkens, und es wird uns klar warum diese
jüdische mystische Interpretation später so populär geworden ist.
Mit der Zeit wurden die Juden sesshaft in den verschiedenen Länder, ja viele haben
ihre Heimat in diesen Ländern gefunden. Einige Historiker behaupten, daß gerade
dieses Stadium, in der Galut das Zuhause zu finden, das Ende Israels und den Anfang
des Judentums darstellt.
So z.B. schrieb Isaak Markus Jost, einer der ersten jüdischen Historiker im 19tb Jh.:
Israel zerbrach endgültig, aber an seiner Stelle erschein das Judentum. Das Sterben
des Staates schien den Propheten unvermeindbar, aber die Botschaft Israel's blieb
unerschütert.
Die Galut wurde zur Botschaft und die Aufgabe Israels wurde neu formuliert: die
Verbreitung der prophetischen Vision der Erlösung in die ganze Welt.
Und wie bei den Propheten war die Idee der Galut eng verbunden mit der Idee der
Erlösung.
3. Gedanken über Erlösung – Ge'ula
Schon in der Bible finden wir die Idee, daß die Menschen die Welt verderbt haben
und dafür mit Vertreibung, mit Galut und mit Wandern bestraft wurden. Diese
literarische Figur kommt in der Bibel sehr oft vor. So z.B. wurde die Vertreibung aus
dem Paradies als Strafe für die Taten des ersten Menschen dargestellt; als Strafe für
seine Tat wurde Kain zum wanderen verturteilt; die Menschen die den Turm von
Babel bauen wollten wurden in alle Himmelrichtungen zerstreut; das Volk wurde als
Strafe für seine Sünden in die Galut geschickt usw.
Die Propheten haben von der Wiederherstellung der Welt gesprochen ('Tikun Olam').
Diese wurde jedoch in die Zukunft verlegt. Manche Denker sehen in der Vision des
'Tikun', in der Idee, daß in der Zukunft eine bessere Welt verborgen ist, das Wesen
des judentums. Sie behaupten, daß die Bewahrung der Vision der Erlösung und das
permanente Streben, die Erlösung herbeizuführen, die eigentliche und wahre
Botschaft des judentums sei, sein höchster Beitrag zur westlichen Kultur. Zwei
Vorstellungen vom Wesen der Erlösung exiestierten nebeneinander: die restaurative,
die in der Erlösung einen historischen Akt sah: es wird ein König aus dem Haus
David kommen, der den Tempel wieder aufbauen und das Volk ins Land zurück
führen wird. Und die utopische, die in der Erlösung ein meta-historisches Ereigniss
sah, etwas ganz Neues, das vorher nicht da war.
Der Prophet der Erlösung, der Zweite Jesaia, sagte: "Ich will einen neuen Himmel und
eine neue Erde schaffen, daß man der Vorige nicht mehr gedenken wird". (Jes. 65,17)
Diese Idee von der neuen Welt, der Welt des ewigen Friedens, ist eine universale
Idee. Schon bei dem ersten Jesaia finden wir den Satz: "Kein Volk greift mehr das
andere an, / und niemand lernt mehr für den Krieg" (Jes. 2,4).
Aber dieses Konzept der Erlösung macht sie zu einem Wunder, den Gott allein
realisieren kann, in der Zeit und der Weise, die Er aussuchen wird; und der Mensch
darf nicht versuchen, die göttliche Intentionen zu erforschen. In der utopischen
Vorstellung von der Erlösung hatte der Mensch keine Aufgabe, er sollte warten bis
der Messias käme, irgendwann in der unklarer Zukunft. Deshalb haben einige der
religiösen Führer im Aufstand gegen fremde Herrschaft eine Ketzerei gesehen. So
haben z.B. einige der Weisen (Chasal) Bar Kochba den "Sohn des Sterns", Bar
Kusiba, den "Sohn der Lüge", genannt.
Die idee der Wiederkehr nach Zion wurde zur Methapher der Erlösung. Entfernt vom
Politischen wurde sie in das Medium des Gebet und der religiösen Praxis verlegt.
Das Trauma der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) machte erneut die
Heimatlosigkeit zur zentralen Erfahrung der Juden. Und wieder suchte das Judentum
nach neuen Antworten. Es waren die Kabbalah, und ihr Nachfolger der Chassidismus,
die dieser Herausforderung entgegen kamen, in dem sie den Bruch in der Geschichte
als eine Wiederspiegelung des Bruches in der göttlischen Welt darstellten: Als die
göttliche Welt zerbrach, fielen die Scherben (die Funken der göttlichen Welt) auf die
Erde, in die materielle Welt, in das Reich des Bösen. Diese Scherben oder Funken
symbolisieren das Volk Israel, das in Galut unter den (bösen) Völkern lebt. Mit dem
Volk ging auch die Schechina, die Einwohnung Gottes, in die Galut. Jetzt sind Gott
und der Mensch angeruffen, die Scherben aufzusammeln und die alte Harmonie in
den höheren Welten, und dadurch auch auf Erden, wiederherzustellen. Die Arbeit der
Wiederherstellung des alten paradiesischen Zustands, die Arbeit des Tikkuns, kann
also nur in der Galut stattfinden, mittels des Gebets und der Erfüllung der Gebote. Die
physische Erlösung der Juden wurde mit der Erlösung der Gottheit verbunden so das
die Erlösung des einzelnen Menschen als ein Aspekt der kosmischen Erlösung, jener
der göttlichen Welt, erschienen ist. So wurde Zion zum Symbol der Erlösung und
damit zum Gegenstand der ständigen Sehensucht, eine Sehensucht die nie befriedigt
werden sollte.
Heinrich Heine hat dieser Situation einen poetischen Ausdruck gegeben:
"Ein Fichtenbaum steht einsam, Im norden auf kahler Hoe'.
Ihn schläfert; mit weißer Decke, umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme, die fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert, auf brennender Felsenwand".
Die Zeit verging. Manche Juden glaubten, eine neue Heimat in den aufgeklärten
Staaten West- und Zentraleuropa zufinden, andere, vorallem in Osteuropa, fanden
gerade in der Galut selbst ihre emotionale Heimat.
Aber die aufgeklärten Staaten, die zuerst den Juden das Staatsbürgerrecht verleihen
wollten, haben sich Anfang des 19tn Jh. In Nationalstaaten verwandelt und als solche
schlossen sie die Juden aus der Gemeinschaft des Volkes wieder aus. Jetzt wurde der
Jude zum Paradigma des Fremden, des Anderen.
4. Der Fremde
Neben dem Konzept der Galut als eine fürchterliche Strafe für schlimme Taten, war
der Wandernde auch Träger unheimlicher kräfte, die ihn als Heiligen kennzeichneten.
Der wandernde Jude hat mehrere Brüder in der jüdischen und in der nicht-jüdischen
Mytologie und Literatur: Eliah, den Gott zu sich genommen hat, den ewig
Wandernden Propheten, der die Erlösung verkünden wird; Kain, der zum Wandern
verurteilt wurde, verdammt und beschüzt durch das Zeichen auf seinen Stirn, wird
zum Vater der Zivilisation durch seine Kinder und Enkelkinder; Odysseus, der zur
Strafe für seine Vergehen sich selbst blind machte und auf wandern gegangen ist,
erhielt die Kraft der Prophetie; Wanderkorn der fliegende Holänder, der auf dem
Schiff der Toten in der Welt herumirrt. Der ewige Wanderer lebt ewig, sieht und weiß
alles. Er ist unbekannt, mysteriös, ungreiffbar, bedrohlich und anziehend zugleich.
Der deutsch-jüdische Soziologe Georg Simmel definierte den Fremden nach dem
Beispiel des Juden: "Der Fremde ist nicht der Wandernde, der heute kommt und
morgen geht, sondern der, der heute kommt und morgen bleibt, sozusagen, der
potenziell Wanderer... Er stellt den begrifflichen Gegensatz zum Sesshaften...Das
Fremdsein bedeutet nun daß der Ferne nah ist."
Dieser Fremde ist nun der Außenseiter oder eine Minderheit in der Gesellschaft.
Simmel schrieb dem Fremden, - der alle Codes der Gesellschaft kennt, in ihre
Lebenswelt integriert ist und doch nicht zu ihr gehört,- eine Objektivität zu, die ihm
eine kritische Perspektive auf die Gesellschaft verleiht.
Wir sind nun am Ende des 18tn Jahrhundert angelangt. In der frnzösischen
Revoulution plädierte Robespierre für die Verbürgerlichung der Juden: Man könne
nicht Gleichheit und Brüderlichkeit für alle fordern und die Juden dabei außen vor
lassen. Die aufgeklärten Staaten Luden die Juden ein, sie sollen ihre abgesonderte
Existenz als 'Nation innerhalb der Nation' aufgeben und Bürger des Staates werden.
Zur Antwort definierten Juden ihre Identität neu, als "Franzosen mosaischen
Glaubens," "Deutsche Mosaischen Glaubens" usw. In den Napoleonischen Kriegen
kämpften Juden auf beiden Seiten. Napoleon zog ihre Lotalität in Zweifel: Wenn auf
der anderen Seite auch Juden kämpfen, werdet ihr sie erschießen? Die Juden
Frankreichs schwuren ihre Treue zum Staat und die deutsche Juden zogen
massenweise in den "Krieg zur Befreiung des Vatelandes". Nach dem Sieg über
Napoleon nahm ihnen das deutsche Vaterland die Rechte ab, die ihnen Napoleon im
Namen der Revolution verliehen hatte.
Die nationalistische Welle, die sich in Europa verbreitete, schloss jede Tore, die nur
kurz zuvor für die Juden geöffnet worden waren. Wieder lehnte die "Heimat" die
Juden ab. Die Erlösung, die so nah gewesen schien, mussten sie nun wo anders
suchen. Viele Juden wandeten sich den demokratischen Bewegungen zu, von den sie
die Erlösung der Welt und ihrer selbst erwarteten.
5. Utopie und Tikun Olam
Als die Sozialisten Deutschlands 1848 auf die Barikaden gingen war unter ihnen auch
Leopold Zunz, ein Wahlman in Berlin, und der Vater der modernen jüdischen
Historiographie. An einen Freund schrieb er: Mit der Verleihung der Bürgerrechte an
die Juden verschwand die Hoffnung auf den Messias, aber der Glube ist geblieben,
jetzt ist es eine Hofnung die die ganze Welt umfasst und den ewigen Frieden
ankündigt. Ohne Revolution, schrieb Zunz, werden auch die Juden ihre Rechte nicht
erhalten.
Moses Hess, einer der Gründer des modernen Sozialismus, schrieb: das jüdische volk
ist ein Geisst ohne Körper, es soll seine Lehre an die Völker Europa vererben, damit
diese den utopischen Sozialismus der Propheten in die Realität umsetzen. Diese
Lehre, schrieb Hess, sei der ewige Beitrag der Juden an die Welt. Später, nach der
Blutbeshuldigung von Damaskus (1842), wandete er sich der nationalen Richtung zu
behauptete aber weiterhin, dass die jüdische nationale Erwachung nur innerhalb der
Renaissance aller Völker stattfinden könne.
Die Vision der Erlösung wurde mit mittels traditionellen jüdischenVorstellungen
formuliert. Der wandernde Jude nahm diese Idee mit auf sein Wandern und pflanzte
sie in die Herzen der Menschen Europas. Diese jüdische Idee wurde zun zentralen
Komponente europäischer politischer Kultur.
Der Poet Heinrich Heine, der wegen seines gesellschaftlichen Engagements aus
Deutschland ausgewiesen wurde, gab der Tragödie die von nun an die Juden Europa
begleiten wird einen poetischen Ausdruck:
"Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Der Eichenbaum wuchs dort so hoch,
die Veilchen nickten sanft, es war ein Traum. Das küste mich auf Deutsch,
und sprach auf Deutsch (Man glaubt es kaum wie gut es klang) das Wort:
Ich liebe dich! Es war ein Traum."
Meine Heimat - schrieb Heine und gab damit der Erfahrung vieler Juden seiner und
der späteren Zeit Ausdruck - ist die deutsche Sprache.
Zunz, Hess, Heine, und viele anderen gelten als Mitbegründer des säkularen
Messianismus, der das Denken und die politischen Aktivitäten vieler ihrer
Nachfolgern charakteriesieren wird.
In der ersten Hälfte des 20tn Jahrhunderts sind es die berühmten jüdischen Utopisten,
die diese Idee tragen und in der Öffentlichkeit darstellen. Sie präsentieren die
Dialektik von Exil und Erlösung. Leute wie Martin Buber, Gustav Landauer, Walter
Beniamin, Gershom Sholem und andere wollten die zwei Pole ihrer Identität aufrecht
erhalten: die Bewahrung des jüdischen messianischen Traum auf der einen Seite, und
die Erfüllung der universellen messianischen Botschaft innerhalb der Geschichte auf
der anderen Seite. Diese Spannung wird sie durch das Leben begleiten und ihre
politische Aktivität bestimmen; sie ist bis heute ein aktueller Widerspruch bei vielen
politisch engagierten Juden.
Es war eine Generation von Träumern, Außenseitern in den Augen der Gesellschaft
und in ihren eigenen Augen. Revolutionäre, Anarchisten, Sprecher gegen jegliche
Gewalt, vertraten sie eine Option, die von den Faschisten besiegt wurde. Sie selbst
waren Opfer der Gewalt seitens ihrer physischen Heimat und seitens ihrer geistigen
Heimat.
Hat sie der Faschismus wirklich besiegt? In den 60er Jahren fühllten ihre Schriften die
Bücherregale der Studenten Europas.
Gustav Landauer, ein enger Freund Martin Buber, war ein Sozialist, Revolutionär,
Anarchist. Jude sein, sagte er, heißt die welt wiederherstellen. (Tikun olam). Während
Rom die Weltherrschaft repräsentierte, schrieb er, repräsentierte Israel die
Welterlösung. Die juden sind, ihm zufolge, Messias der Welt. Sie sind es weil sie ein
Volk ohne Land sind. Deshalb war Landauer ein entschiedener Gegner des
Zionismus. Im jüdischen Begriff der Galut sah ert die Basis für eine neue
sozialistische Welt, die sich auf Basis der Gemeinde konstituiert. Landauer wurde
1919 durch die Freikorps ermordert, wie eine andere Jüdin, Rosa Luxemburg.
Buber hat das Konzept der Gemeinde übernommen, aber im Gegensatz zu seinem
Freund sah er im Nationalgefühl eine lebendige, intensive und positive Kraft. Auch
für ihn verkörperte die Gemeinschaft der Menschen, die "Menscheit", den Messias.
Nicht der Staat, sagte er, die Menscheit wird die Erlösung herbeiführen. Trotzdem
glaubte er, als religiöser Mensch, daß die Erlösung eine Umwandlung ist. Es geht
darum, sagte er, das Unmögliche zu begehren.
Ein ähnliches Konzept finden wir bei Walter Benjamin:
"Bekanntlich war es den Juden untersagt, der Zukunft nachzuforschen. Die Torah und
das Gebet unterweisen sie dagegen im Eingedenken. Trotzdem wurde die Zukunft
nicht zu leeren Zeit, denn in ihr war jene kleine pforte, durch die der Messias treten
konnte".
Die ständige Anwesenheit des Messias, die permanente Erwartung auf die Erlösung,
sind nach Benjamin, die Antwort des Judentums auf die Galut und ihre vielfältige
Bedeutungen.
Diese Worte hat Benjamin geschrieben als er von einem Ort zu anderen fliehen mußte
bis er an einem Punkt angelangte, an dem es kein Ausweg mehr zu geben schien.
Dann nahm er sich das Leben. Benjamin wusste dann bereits, dass er zu den besiegten
der Geschichte gehörte. Die Geschichte, schrieb er, muß neu geschriben werden, von
der Perspektive der Besiegten. Die wahre Erlösung war für ihn die Befreiung der
unterdrückten Stimmen der Verlierer der Geschichte.
Frauen und andere Minderheiten setzen diese forderung heute um.
Wie Buber und Landauer haben auch Benjamin und seinem Freund Scholem über
den Zionismus gestritten. Für Scholem war der Zionismus der einzige Weg das
Judentum zu bewahren. Gleichzeitig hat er sich vehement dagegen gewehrt, das
Judentum mit nationalen politischen Begriffen zu definieren. Zusammen mit Buber
und anderen gründete er in Palestina den Bund des Frieden (Brit Shalom), der schon
in den 30er Jahren ein bi-nationalen Staat in Palestina gründen wollte.
Scholem hat immer wieder dazu aufgefordert, zionistisches und Messianisches Ideal
auseinander zu halten. Als er später sah, welch hoher Wert dem Staat zugesprochen
wurde, wählte er, wie er schrieb, die "innere Emigration". Benjamin dagegen hat die
Galut überall mit sich genommen.
Die wahre Tragödie dieser Träumer war die Tatsache, daß gerade der jüdische Staat,
den sie so entschieden ablehnten, dennen das Leben gerettet hat, die ihn als Heimat
gewählt haben. Aber gerade in diesem Staat ist, so dachten sie, die jüdische
messianische Vision verloren gegangen.
6. Die jüdische Erfahrung
Im 20tn Jahrhundert wurde der wandernde Jude in Literaur und Kunst zum Archetyp
der Menscheit insgesamt: entfremdet, umher irrend, fremd - heimatlos wo immer er
war.
Juden sind zum integralen Teil ihrer Umgebung geworden: Sie sprechen und
schreiben in der Sprache der Völker und sind im kulturellen Leben aktiv. Durch die
Sekularisierung haben sich viele von jeglicher jüdischen Praxis entfernt. Wir finden
dies oft in der Gattung 'Brief an den Vater' beschrieben, in welcher der Verfasser eine
Situation der totalen Verwässerung des Judentum im Haus schildert, So z.B. Franz
Kafka in 'Brief an den Vater', ebenso bei G. Sholem und anderen.
Franz Kafka hat an seinen Freund Max Brod geschrieben: Diejenigen, die Deutsch
geschrieben haben, wollten vom Judentum fliehen, aber ihre Hinterbeine hingen noch
am Judentum ihrer Väter, ihre Vorderbeine fanden kein Halt. Die Verzweifelung an
dieser Situation wurde zur Quelle ihrer Inspiration.
Kafka's Romane und Geschichten sind unterschiedlich interpretiert worden. Viele
Literaturexperten sprechen von der Entfremdung in der modernen Welt, andere von
seiner jüdischen Erfahrung. Es kann sein, dass wir in seinem Schreiben jüdische
Motive finden weil wir solche suchen; denn das Lesen ist doch immer ein Dialog
zwischen Autor und Leser. Aber manche, wie z.B. G. Scholem, meinen, dass es
gerade das Spezifische des jüdischen Textes sei, dass er endlos interpretiert werden
kann. Ein alter Midrash (eine Auslegung) erzählt, dass am Berg Sinai 60.000
Menschen standen und jeder von ihnen seine eigene Tora erhalten hat.
Zwei Zentrale Ereignisse änderten auf einmal die jüdische Lage: Der Holocaust –
Shoa, und die Gründung des Staates Israel.
Dem Anschein nach konnte der wandernde Jude, der in der Shoa den höchsten Punkt
der tragischen Existenz in der Galut erfahren hatte, zwischen zwei alternativen
wählen: Er konnte entweder die Galut aufgeben und im Staat Israel eine neue Heimat
finden, oder er konnte im Land bleiben, in dem er geboren war, desen Sprache er
sprach und in dem er sich vielleicht zuhause fühlte.
Doch beide Optionen sind trügerisch. Die Shoa machte den Begriff der Heimat
problematisch. Dieser Bruch in der Geschichte der Assimilation blieb im Horizont des
jüdischen Lebens als ständige Bedrohung bestehen.
Auch in Israel war der Begrff der Heimat nicht unproblematish. Ich erinnere mich an
meine Eltern, die, wenn sie unter sich waren, jjdisch miteinander sprachen. Mein
Vater war ein Chaluz (Pionier) der sich nie an die israelische Sonne gewöhnen
konnte. Hass und Zorn waren bei ihm eng verbunden mit der Sehensucht nach den
alten Landschaften. Im Alter pflegte er Pan Tadeusz auf Polnisch zitieren.
Jüdische Schriftsteller, die nach Palästina gekommen waren, schrieben von den
Schwierigkeiten des Eingewöhnens, von der Wurzellosigkeit. Sie schrieben über die
Fremdheit im gelobten Land, manche aus orientalistischer Bewunderung manche aus
dem Schmerz der Anpassung. Neben der Sehensucht nach der Idee der Heimat,
erscheint in der Literatur dieser Generation die Sehensucht nach dem alten Zuhause
mit seinen Ansichten, Geschmack, Geruch.
Die berühmte israelische Dichterin Lea Goldberg, die selbst in den dreißiger Jahren
nach Palestina imegrierte, schrieb: "Nur die wandervögel kennen den Schmerz zweier
Heimaten".
Denen, die im Land geboren wurden, fehlten die Wurzeln. Man wollte doch einen
neuen Menschen schaffen, so fern wie möglich von dem 'Galut Juden'.
Berühmt wurde der Satz, mit dem der Schriftsteller Moshe Shamir, der im Land
geboren ist, sein Buch über seinen, im Krieg von 1948 gefallenen Bruder, eröffnete:
"Alik ward aus dem meer geboren."
Wieder suchte das Judentum nach neuen Antworten.
In Israel bemühten sich Historiker, die jüdische Geschichte neu zu schreiben. Man
spricht von der Verneinug der Galut. Die Galut wurde als ein Fehler in der Geschichte
dargestellt. Nur in einem souveränen nationalen Staat, so hieß es, kann und wird die
jüdische Tradition weiter bewahrt, gepflegt und tradiert werden. Andere Historiker
argumentierten, daß gerade die Galut die natürliche, whare und authentische Situation
des Judentums sei. So behauptet z.B. Georg Steiner: Eine wahre und volle Existenz
des Judentums ist nur in der Galut möglich, denn die wahre Heimat der Juden ist der
Text, und eine nationale Existenz, mit allem was dazu gehört – ein Staat mit
Institutionen, Militär usw.- wird diese Existenz ruinieren.
Der französiche jüdische Intellektuelle Edmond Shabez sagte in einem Interview:
"Der Schriftsteller in mir führte mich dazu den Juden in mir aufzudecken. Von einem
Tag zum anderen musste ich Ägypten, meinen Geburtsort, verlassen. Ich habe
gesehen, daß wir einer gewissen jüdischen Situation nicht entfliehen können. Das
Judentum verpflichtet dich, die Verantwortung für das verschiedensein zu
übernehemen. Wir sind Andere, und der Wille, das Andersein zu vernichten bedeutet
dich selbst zu vernichten. Ich gehöre zu keinem Ort... es ist keine Galut sondern die
Unfähigkeit und Unwille, Wurzeln zu schlagen. Seit 2000 Jahren hat der Jude seine
Heimat im Buch gefunden. Aus dem Buch, aus dem Text, stellt er ständig Fragen".
.
Holocaust – Shoa
Viele sehen im Staat Israel eine definitive Antwort auf die shoa, etwa in der Form:
Weil wir einen Staat haben, kann und wird so etwas nie wieder geshehen. Aber, und
dies soll immer wieder betonnt werden, dass eine Shoa nicht mehr geshehen kann,
darf nicht eine nationale Bedeutung erhalten, es soll wieder eine universelle Botschaft
werden.
Für Juden ausserhalb Israel wurde die Shoa zum konstitutiven Ereigniss. Eine
Schicksaalgemeinschaft? Es ist mehr als das.
Die Shoa hat aus den einzelnen Juden wieder ein Kollektiv gemacht, eine Gemeinde
des Gedenkens. Jetzt sind die Juden verantwortlich für das Andenken. Aus der
Buchgemeinschaft entstand eine Erinnerungsgemeinschaft. Erinnerung nicht nur an
die Toten, sondern auch an eine Kultur, die zu verschwinden droht, die jüdische
Kultur die nicht an ein Land und eine Sprache gebunden ist.
Dass die jüdische Tradition und Kultur, samt ihren vielfältigen Interpretationen,
weiterhin durch Lernen existiert und tradiert werden, sehen wir heute in diesem Jom
Ijun.
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