Philosophie und Literatur im Cono Sur Referatsausarbeitung für die Lehrveranstaltung VO 180108 VO-L Philosophie in Lateinamerika (Argentinien, Chile, Paraguay) - Identität, Vergleich, Wechselwirkung zwischen lateinamerikanischem und europäische Denken. Veranstaltungsleiter: Prof. Dr. Heinz Krumpel Institut für Philosophie WS 2011 vorgelegt von Maria Varga Matrikelnummer 8206777, Studienkennzahl: 033541 [email protected] 1230 Wien, Khekgasse 19/18 Wien, am 19.02.2012 Philosophie und Literatur im Cono Sur Zum Verhältnis von Philosophie und Literatur Betrachtet man den Unterschied von Literatur und Philosophie, so geht es hier nicht um die begriffliche Unterscheidung, denn auch philosophische Texte fallen unter den Begriff Literatur, sondern um die Relation und die Wechselwirkung von Literatur und Philosophie. Wie die Überlieferungen zeigen, ist die altamerikanische Zeit unübersehbar von großer Schöpferkraft geprägt, poetischem und philosophischen Denken sind untrennbar miteinander verbunden. Vergleichsweise dazu wurde in der europäischen Antike die Poesie aus den philosophischen Schriften verbannt. Für Platon konnten die „lügenden Dichter“ nicht zur Erkenntnisfindung beitragen. Aristoteles sah dagegen wohl einen Weg zur Erkenntnis menschlicher Sinndeutung durch die Künste, alle Künste (poiesis). Aristoteles betrachtet den Mythos (wobei er den Begriff Mythos auf alle Kunstgattungen anwendet) als Beschreibung des Lebens in seiner Ganzheit. Auch in der europäischen Romantik wurde die Dichtung als der beste Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit gehalten. Auch in der Nàhuatl-Poesie finden wir die Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens, wie auch die Grundprinzipien weiblich – männlich, die Grundelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde, oder die Korrelation von Vergänglichkeit – Ewigkeit, Ruhe – Bewegung, EinheitVielheit, etc.. Dichtung und Kunst sind hier eine entscheidender Faktor zur Erkenntnis und zur Erfassung philosophischer Ideen (I, S 26) Hier sind durchaus Parallelen zum aristotelischen Denke zu erkennen. Friedrich Schlegel: Die Philosophie erreicht zwar da Höchste, aber sie bringt bis zu diesem Punkt nur gleichsam ein Bruchstück des Menschen. Die Kunst bringt den ganzen Menschen, wie er ist, dahin, nämlich zur Erkenntnis des Höchsten…(I, S 27) Die heutige literarische und philosophische Denken in Lateinamerika ist geprägt von den spanischen Romanen des Siglo de Oro (das goldene Zeitalter), der Literatur des Barock, und der französischen Literatur der Aufklärung und dem Surrealismus des 20. Jh. Aber bereits im 19. Jh. begann sich Luz y Caballero gegen die Trennung von Intelligenz und Gefühl und den alles dominierenden Rationalismus zu stellen. Aber später auch das Schaffen von Juan Carlos Onetti, Adolfo Bioy Casares u.v.m. bringen philosophische Reflexionen zum Ausdruck wie z.B. über Sinn und Verwirklichung, existenzieller Bedrohung, Ideal und Wirklichkeit, Individuum und Gesellschaft u.v.m.. Hier tut sich die Frage auf, wie weit das aufklärerische Gedankengut in der heutigen Zeit noch Gültigkeit hat. Gleichzeitig ist hier deutlich erkennbar, dass es in LA nicht zu der strikten Trennung zwischen philosophischem Rationalismus und dem poetisch-literarischen Schaffen gekommen ist, wie in Europa. Das rein philosophische Denken ist jedoch in Europa wie auch in LA mit methodologischen und ontologischen Kategorien beschäftigt, während in der dichterischen Literatur ästhetische und ethische Sicht auf die Dinge bevorzugt wird. Mariano Zambrano drückt das so aus, dass der Poet in der Erscheinung aufgeht, der Philosoph aber versucht, hinter den Erscheinungen das Wesen aufzudecken. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Literatur kann folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Im Unterschied zur Literatur beschäftigt sich die Philosophie mit einem Kategoriendenken, das die Fragen nach der Stellung des Menschen in und zu der Welt beinhaltet. 2. Die Vermittlung zwischen philosophischem und dichterischem Schaffen bleibt in LA, nicht so in Europa, bestehen. 3. Der la Philosoph bezieht sich auf die Literatur, wenn es um bildhafte und anschauliche Untermauerung deiner Begriffe und Kategorien geht.(Leopoldo Zea: „Kategorie der Entfremdung“) (I, S 33) Positivismus, sozialkritisches und theologisches Denken Romantik, religiöse Orientierung und Positivismus ergeben auch heute noch eine allgegenwärtige Mischung, vor allem in Brasilien. Dieser religiöse Positivismus fand seinen Ausdruck in der Betonung von Liebe und Herz. Dieses Denken in der Volkskultur zu verankern diente in erster Linie der Elite, die Grund und Boden unter ihr Kontrolle bringen wollte, während die ärmeren Schichte mit Herz und Liebe auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen hofften. In Mexiko orientierte man sich an der Metaphysik und den Bildungsidealen eine Alexander von Humboldt. Das führte 1919 zur Gründung der Nationaluniversität. dieses Konzept wurde 1920 auch in Brasilien in Angriff genommen. Der Positivismus manifestierte sich 1930 in einem staatlichen Apparat, der militärtechnokratisch ausgerichtet war. Aus heutiger Sicht ist klar, dass diese technokratische Diktatur die sozialen Probleme nicht lösen konnte. Es wurde nach nordamerikanischem Vorbild eine liberale Marktwirtschaft forciert, was zu massenhafter Arbeitslosigkeit und steigender Armut führte. Sowohl in Brasilien als auch in Argentinien wurde marxistisches Gedankengut positivistisch interpretiert. Dazu gibt es unzählige wissenschaftliche Arbeiten. Im Zentrum des literarischen und philosophischen Schaffens stand die Frage, wie ein Land ohne Diskriminierung und Ausgrenzung der ärmsten Schichten beschaffen sein sollte. Aufgegriffen vom befreiungstheologischen Denken bestand diese Thematik von Anbeginn im Zentrum dieser philosophischen Reflexionen. Dieser ideengeschichtliche Prozess führte in den 60igern zur Rezeption der Frankfurter Schule, vor allem durch Walter Benjamin, der in Brasilien sehr populär wurde. Sein Allegorie-Konzept stellt einen Schlüssel zum Verständnis seines Denkens dar. Benjamin verknüpft die Zeitlichkeit und die Geschichte menschlichen Leids (Engel der Geschichte)…(I, S 83) Die energiegeladene Vergangenheit wird in die Gegenwart übernommen, um die Wirklichkeit zu verwandeln. Benjamin wendet sich gegen den Fortschrittsglauben. Identität und Geschichte In Hispanoamerika wurde bereits im 19. Jh. Von Juan Bautisto Alberdi die Frage nach der Identität in der la Literatur gestellt. Die Identitätsfrage führte zur Aufarbeitung der historischen und ideengeschichtlichen Zusammenhänge. Dazu gehörten natürlich auch die importierten Kulturen, das Erbe unzähligen in Lateinamerika beheimateten Ethnien, und die daraus entstandenen Mischformen. Die Mischung dieser Kulturen hat besonders Octavio Paz und Carlos Fuentes in ihrem Schaffen beeinflusst. Hugo C.F. Mansilla wirft die Frage auf, wie die Identität im Zeitalter der Globalisierung aussehen kann. Er meint, dass die kulturelle Vielfalt durch die Globalisierung ihre Bedeutung verliert. Die Identifikation der Elite mit globalen ökonomischen und politischen Werten sei der Grund dafür. Das Auseinanderdriften von Arm und Reich erzeugt allerdings starke sozial Gegensätze, die in Widerspruch zu der Globalisierung stehen. Die lateinamerikanische Identität besteht nach wie vor durch die Vielfalt der Kulturen, der Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen und der unzähligen sprachlichen Ausdrucksweisen. Gemeinsame Erfahrungen aus der Unabhängigkeitsbewegung haben dennoch zu einem übergreifenden la Identitätsbewusstsein geführt. Philosophie und Literatur in Argentinien In Argentinien wurde neben Mexiko die europäische Philosophie am meisten rezipiert. Die Universitätsreform 1918 in Argentinien hatte Einfluss auf ganz Lateinamerika. Es wurde die Liberalisierung des Lehrbetriebes sowie gegen die sozialen Unterschiede von Kreolen und Indios richtete. Der Krausismo hielt Einzug und wurde in der argentinischen Verfassung verankert und übte Einfluss auf die rechtsphilosophische und pädagogische Verfassung aus. Alejandro Korn gründete 1929 die Kantgesellschaft, rezipierte bei Vortragen Hegel und Marx. In der 2. Hälfte des 19. Jh. Gewann der Positivismus von Comtes und Spencer und der Sozialdarwinismus an Einfluss. Das Schaffen von Ernesto Sábato wurde von diesem positivistischen Denken beeinflusst. Nach Korn war die Denkweise von Comte von romantischen Suggestionen, altruistischen Moralauffassungen und sozialistischen Utopien gekennzeichnet; Spencer dagegen stützte sich auf Logik und die Tradition der englischen Philosophen. Für ihn war das Konzept der Evolution ausschlaggebend. Anfang des 20. Jh. Begann in Argentinien und in der Folge in allen hispanoamerikanischen Ländern eine Gegenbewegung zum Positivismus. Sie richtete sich vor allem gegen die mechanische Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf den Menschen. Alberini motivierte die junge Generation 1916 dazu, neue Wege des Denkens einzuschlagen, indem er den Neukantianismus vermittelte. Für Korn bedeutete der Niedergang des Positivismus eine Krise in der Philosophie und auch in der gesamten westlichen Kultur. Es folgte die Verbreitung der Ideen von Heidegger, Husserl u.v.a., nach 1945 beeinflusste der Existenzialismus, speziell Sartre, Argentinien. Nach Roig muss der geschichtliche Verlauf unter dem Aspekt des „historischen a priori“ wie auch unter dem „historischen a posteriori“ gesehen werden (in Anlehnung an Foucault). Utopien sind seiner Meinung nach nur dann wirksam, wenn sie von einer realistischen Einschätzung ausgehen. Auch er bezieht sich wie Leopoldo Zea auf Shakespeares Figur Kaliban, der als Symbolfigur im lateinamerikanisch-philosophischen Befreiungsdenken gilt. Jorges Luis Borges betrachtete sein Schaffen als philosophisch, metaphysische Arbeit. Abgesehen von seinen wechselnden Positionen hinsichtlich politischer und sozialer Prozess regte er vor allem eine authentische la Sprachlichkeit an. Seine Mehrsprachlichkeit unterstützte seine philosophischen und literarischen Verknüpfungen, z.B. anhand der realen Lebensprozesse in den Vorstädten von Buenos Aires. Für ihn gibt es zwei Arten von Zeit, eine subjektiv mythische (Streben des Menschen nach Harmonie und Glück) und eine reale Zeit (bricht die erste in ihrem ewigen Kreislauf der Entwicklung ab). Einer der markantesten Vertreter dieser Zeit ist Ernesto Sábato. Das Denken seiner Jugend- und Studentenzeit wurde wesentlich durch die politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten der 30iger Jahre des 20. Jh. geprägt. Die Masseneinwanderung von Europäern nach Argentinien beeinflusste das lateinamerikanische Denken nachhaltig. In diesen Jahren fand Sábato – er war promovierter Physiker - Kontakt zur Philosophie und Literatur, vor allem, weil in dieser Zeit in Argentinien ein starkes Interesse an Philosophie bestand. Wie weit er mit europäischer Philosophie direkt oder in gefilterter Weise in Kontakt trat, ist nicht eindeutig zu belegen. Sicher ist, dass der Surrealismus Einfluss auf ihn hatte. Er kannte Sartre und Camus persönlich, sodass in diesem Zusammenhang in seinem philosophischen Denken ein stark ästhetischer Einfluss erkennbar wurde. Für Sábato hatte das Schreiben immer eine metaphysische Funktion. Er sah einen großen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Kunst. Besonders die exakten Wissenschaften wie Mathematik und Physik, für die Wahrheit und Allgemeingültigkeit wichtiger ist als das Menschliche, waren Ziel seiner Kritik. Er macht der exakten Wissenschaft den Vorwurf, dass sie ethische Werte ignoriere. Diese Meinung hatte er von Sokrates bis Kant: Über ihn sagte sarkastisch: "Genghis Kant, Barbarian conqueror and philosopher from Germany" (II, S 245). Nachdem seiner Meinung nach der Mensch nicht über die Vernunft erfasst werden könne, sah er den Ausweg in der Kunst. Er bewertet die Kunst als Erkenntnisweg höher als die Wissenschaft, die beim Erfassen des Menschen in seiner Subjektivität immer versagt, während die Kunst die Möglichkeit hat, die Wirklichkeit in ihrer Totalität zu erfassen. Dabei spielt die Sprache eine große Rolle. Die Genauigkeit der wissenschaftlichen Sprache steht der ungenauen Sprache des Alltags und der Kunst gegenüber. Die Alternative zur ungenauen Sprache sieht er in Symbolen und Bildern. Die Kunst ist für ihn ein Weg der Kommunikation, die Einsamkeit des Einzelnen zu überwinden. Dieses Thema wird am intensivsten in seinem Roman „El Túnel“ verarbeitet. Seine These ist, im Roman muss Philosophisches und Künstlerisches einfließen, Literatur muss Transzendenz besitzen, damit sie für den Menschen Anhaltspunkt, Leitfaden und Orientierung sein kann. (II, S 252) In der existenzialistischen Literatur sieht Sábato die Synthese von Philosophie und Kunst vollzogen. Der metaphysische Roman bietet dem Mensch die Möglichkeit, zur konkreten Totalität und zur Versöhnung der Gegensätze zu gelangen. Um Sábatos literarisches Schaffen Sábatos richtig zu verstehen, ist es unabdingbar nicht nur seine Biographie sondern auch den historischen und politischen und kulturellen Hintergrund mit ein zu beziehen. 6. Literaturnachweise I. II. Krumpel, Heinz: Philosophie und Literatur in Lateinamerika – 20. Jahrhundert Peter Lang GmbH., Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2006 Kneuer, Marianne: Literatur und Philosophie: Ihr Verhältnis bei Ernesto Sabato Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1991 (Hispanische Studien; Band 22)