Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen Wahlkurs im Fachbereich Rechtspflege Studium II/2012: Recht und Sozialpsychologie Recht als kulturelles Phänomen einer Gesellschaft (Fotos: Justizministerium NRW, Düsseldorf) Moderation: Dipl. Rpfl. Ralf Pannen M.A. Dozent an der FH für Rechtspflege NRW Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Themen und Ablauf: • Der Mensch Erich Fromm • Einführung in das sozialpsychologische Modell Erich Fromms o Normatives Konzept von seelischer Gesundheit und Entfremdung (Gesellschaftskritik) o Gesellschafts-Charakter als Kernbegriff (Menschenbild) • Entfremdung und Demokratie (Öffentliches Recht) • Privateigentum und handelsrechtliche Gesellschaftsformen: gesellschaftliche Orientierung am Haben? (Privatrecht) 2 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Der Mensch Erich Fromm • 23.03.1900 als einziges Kind jüdischer Eltern in Frankfurt/M. geboren • aufgewachsen in einem „vormodernen“, jüdisch-orthodox geprägten Umfeld • 1918 Abitur, Studium Jura + Soziologie, ergänzende Talmudstudien • Kontakt mit Psychoanalyse Freuds, Abkehr v. Judentum, Tätigkeit als Analytiker • 1930 Mitglied des Instituts für Sozialforschung Erich Fromm (1900 – 1980) (Foto: Erich Fromm-Archiv, Tübingen) 3 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen („Frankfurter Schule“) Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Der Mensch Erich Fromm • 1934 Emigration aus Nazi-Deutschland über die Schweiz in die USA • 1937 – 39 Abkehr von Freudscher Triebtheorie (hin zur Bezogenheitstheorie), Bruch mit dem Institut für Sozialforschung • 1940 US-amerikanische Staatsbürgerschaft, Psychoanalytiker in eigener Praxis, Veröffentlichungen, Institutsgründung, Gastprofessor • 1950 Übersiedlung nach Mexiko, Aufbau der dortigen Psychoanalytikerausbildung, soziolog. Feldstudien, intensive Beschäftigung mit Zen-Buddhismus • Ab 1960 starkes politisches Engagement, insbes. gegen den Vietnamkrieg • 1974 Übersiedlung aus gesundheitlichen Gründen ins Tessin, Veröffentlichungen • 18.03.1980 Tod durch 4. Herzinfarkt 4 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Der Mensch Erich Fromm Wichtige Veröffentlichungen: • Die Furcht vor der Freiheit (1941) • Wege aus einer kranken Gesellschaft (1955) • Die Kunst des Liebens (1956) • Haben oder Sein (1976) „Haben oder Sein“ gehört zu den populärsten Werken von Erich Fromm. Nicht nur in seiner Gesellschaftskritik, sondern auch in den aufgezeigten Lösungsansätzen ist diese Schrift gerade heute wieder hoch aktuell. Wichtige Bezugspersonen und Einsichtsquellen: • Sigmund Freud und die Welt des Unbewussten – von der Triebtheorie zur Bezogenheit • Karl Marx und die Vision eines humanistischen Sozialismus – die „Entfremdung“ des Menschen von seiner eigenen Lebendigkeit, seinen Eigenkräften • Jüdische Denker und Traditionen – Glaube an das Gute im Menschen, Hoffnung 5 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Normatives Konzept von seelischer Gesundheit ( soziologischer Relativismus) Eigene produktive Aktivität einer entfalteten Persönlichkeit Existentielle Bedürfnisse Geistige Gesundheit Seelische Gesundheit Bezogenheit, Objekt der Hingabe, Identitätserleben, Transzendenz, Rahmen der Orientierung, Grundbedürfnisse Körperliche Gesundheit Physiologische Antriebe Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität Vgl. E. Fromm: Wege aus einer kranken Gesellschaft, GA IV, S. 20 ff, insbes. S. 24 6 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Angeborenes Streben nach Wachstum Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Entfremdung Karl Marx meinte: • Arbeit = tätige Bezogenheit des Menschen zur Natur, Ausdruck menschlicher Kräfte • Mit zunehmender Arbeitsteilung und Entwicklung des Privateigentums geht dieser Charakter der Arbeit verloren • Arbeit und ihre Produkte sind von den Menschen, seinem Wollen und Planen getrennt, Arbeit gehört nicht mehr zur Natur des Menschen, Folge: • Entfremdung von der Arbeit, damit auch von sich selbst und den eigenen menschlichen Kräften • Zerstörung der Individualität des Menschen, er wird zum Sklaven der (selbst geschaffenen) Dinge, die Dinge sind wichtiger geworden als der Mensch. 7 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Entfremdung Begriff bei Erich Fromm: „Unter Entfremdung ist eine (…) Erfahrung zu verstehen, bei welcher der Betreffende sich selbst als einen Fremden erlebt. (…) Er erfährt sich nicht mehr (…) als Urheber seiner Taten (…). Der entfremdete Mensch hat den Kontakt mit sich selbst genauso verloren, wie er auch den Kontakt mit allen anderen Menschen verloren hat. Er erlebt sich so, wie man Dinge erlebt (…) – ohne mit ihnen (…) in eine produktive Beziehung zu treten.“ Erich Fromm: Wege aus einer kranken Gesellschaft (1955), GA IV, S. 88 „Ich entfremde mich selbst von meinem eigenen menschlichen Erleben und projiziere dieses Erleben auf etwas oder auf jemanden außerhalb, um dann mit meinem eigenen menschlichen Sein wieder dadurch in Beziehung zu kommen, dass ich mit dem Objekt, auf das ich meine Menschlichkeit projiziert habe, in Kontakt bin.“ Erich Fromm, GA VII, S. 209 8 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Ein prägender Begriff der fromm´schen Sozialpsychologie: Gesellschafts-Charakter (= Sozialcharakter) Was ist damit gemeint, wie entsteht er und welche Funktion hat? Der „Gesellschafts-Charakter“ („social-character“) gibt Auskunft darüber, „in welche Kanäle die menschliche Energie geleitet wird und wie sie sich als Produktivkraft in einer bestimmten Gesellschaftsordnung auswirkt (…).“ E. Fromm: Die Furcht vor der Freiheit (1941), GA I, S. 379 9 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms "Der Gesellschafts-Charakter (...) umfasst nur eine Auswahl von (…) Wesenszügen [Anm.d.V.: die in ihrer Gesamtheit und besonderen Konfiguration die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen als Individuum ausmachen!], und zwar den wesentlichen Kern der Charakterstruktur der meisten Mitglieder einer Gruppe, wie er sich als Ergebnis der grundlegenden Erfahrungen und der Lebensweise dieser Gruppe entwickelt hat.“ Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit (1941), GA I, S. 379 Ökonomische Basis Gesellschafts-Charakter Ideen und Ideale Abbildung nach: R. Funk: Mut zum Menschen, 1978, S. 41 10 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Die Funktion des Gesellschafts-Charakters für den Einzelnen besteht darin, dass sie ihn veranlasst, „eben das zu tun, was unter den spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen seiner Kultur notwendig und wünschenswert ist.“ Zudem gewährt es ihm eine tiefe psychologische Befriedigung, den Erfordernissen der jeweiligen Gesellschaft gemäß zu handeln. Die Funktion des Gesellschafts-Charakters für die Gesellschaft besteht darin, die seelischen Kräfte der Mitglieder der Gesellschaft so zu beeinflussen, dass ihr Verhalten in der Gesellschaft nicht eine bewusste Entscheidung ist, ob sie den gesellschaftlichen Regeln folgen wollen oder nicht, vielmehr eine Haltung, die sie wünschen lässt, so zu handeln, wie sie zu handeln haben. „Kurz, der Gesellschafts-Charakter internalisiert äußere Notwendigkeiten und spannt auf diese Weise die menschliche Energie für die Aufgaben eines bestimmten ökonomischen und gesellschaftlichen Systems ein.“ E. Fromm: Die Furcht vor der Freiheit (1941), GA I, S. 382, 383 11 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Charakterorientierungen nach der Fromm´schen Charakterologie Im Assimilierungsprozess Nichtproduktive Orientierungen Rezeptiver Charakter = Autoritärer Charakter Ausbeuterischer Charakter Im Sozialisationsprozess Masochismus Symbiotische Bezogenheit Sadismus Hortender Charakter Marketing-Charakter Gleichgültigkeit Bezogenheit durch Distanz und SichZurückziehen Nekrophiler Charakter Produktive Produktiver Charakter Orientierungen Nekrophilie Liebende Bezogenheit Abbildung nach: R. Funk: Erich Fromm, rororo – Bildmonographien, 1990, S. 92,93 12 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Narzissmus Liebe, Vernunft, Orientierung am Sein Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Kann eine Gesellschaft seelisch krank sein? • Existentielle Bedürfnisse jedes Menschen? • Orientiert sich eine Gesellschaft an den existentiellen Bedürfnissen der Menschen? • Ermöglicht sie die optimale Entfaltung der produktiven Kräfte ihrer Mitglieder? 13 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Einführung in die Sozialpsychologie Erich Fromms Was hat Recht mit der seelischen Krankheit der Gesellschaft zu tun? • Recht als Ausdruck der Gesellschaftsstruktur? • Bedeutung des Rechts als Ausdruck des GesellschaftsCharakters? • Universelle Gültigkeit der Menschenrechte? • Wem dient das Recht? • Widerspruch nationales Recht und Menschenrechte? 14 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Demokratie und Entfremdung? • Was bedeutet Demokratie? • Idee der Demokratie? • Demokratie in einer „kranken Gesellschaft“? • Tatsächliche Umsetzung in einer repräsentativen Demokratie mit 80 Millionen Einwohnern? Textstellen in E. Fromm: Wege aus einer kranken Gesellschaft, GA IV, S. 131 ff, insbes. S. 135, 136 15 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Privateigentum: gesellschaftliche Orientierung am Haben? Gesellschafts-Charakter in der Marketing-Gesellschaft: Der Kapitalismus braucht Menschen, die gerne arbeiten, diszipliniert und pünktlich sind, deren Hauptinteresse Geldverdienen ist, die Profit als wesentliches Prinzip im Leben anerkennen. Im neunzehnten Jahrhundert brauchte der Kapitalismus Menschen, die sparen wollten; in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts benötigt er Menschen, die gerne Geld ausgeben und konsumieren. Vgl. Erich Fromm: Haben oder Sein, GA II, S. 269 ff 16 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Privateigentum: gesellschaftliche Orientierung am Haben? Grafiken: Christof Ranziger In »Haben oder Sein« (1976) kritisiert Fromm die »Religion des Industriezeitalters« (GA II, S. 372ff), die sich dem Tanz um das Goldene Kalb von Kapital, Profit und Macht verschrieben hat, und fordert ein Umdenken, das sich auf einen schonenden Umgang mit der Natur und eine Ethik des Teilens stützen soll. 17 Wahlkurs Stud. II/2012 / © R. Pannen Das Konsumdiktat der Wirtschaft: In der Marktgesellschaft geht es stets darum, das Gekaufte möglichst rasch durch neue, angeblich bessere oder günstigere Waren zu ersetzen. Wir sollen Waren verbrauchen, statt gebrauchen! Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen Wahlkurs Recht und Sozialpsychologie Quellen im Internet • www.erich-fromm.de • www.fromm-gesellschaft.de • www.sanelatadic.com Grafiken und Abbildung des Buches aus: H. Johach: „Haben oder Sein“ in Zeiten der Krise, Zur Aktualität Erich Fromms, 2010, BuG Nr. 158, OnlineAusgabe unter: www.lehrerbibliothek.de/BuG Literatur: • Rainer Funk (Hrsg.): Erich Fromm Gesamtausgabe (GA), 12 Bände, 1999, DVA und dtv • Die meisten in der GA enthaltenen Schriften sind auch als Taschenbücher erschienen • R. Funk, H. Johach, G. Meyer (Hrsg.): Erich Fromm heute. Zur Aktualität seines Denkens, 2000, dtv • R. Funk: Erich Fromm. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1990, Reinbek, Rowohlt (rororo) • H. Wehr: Erich Fromm zur Einführung, 1990, Junius • Zum Einstieg: H. Johach: „Haben oder Sein“ in Zeiten der Krise, Zur Aktualität Erich Fromms, 2010, BuG Nr. 158, Online-Ausgabe unter: www.lehrerbibliothek.de/BuG [email protected] Tel.: 02253 318-189