FALLVERSTÄNDNIS, FALLKONZEPTION UND THERAPIEPLANUNG Workshop SGZ Jahrestagung 3./4.12.2011 Zwangsstörungen in der Forschung und Praxis Lic.phil. Barbara Heiniger Haldimann Klaus-Grawe-Institut für Psychologische Therapie Grossmünsterplatz 1, CH-8001 Zürich Tel. +41 44 251 24 40, Fax. +41 44 251 24 60 E-mail: [email protected] Inhalt des Workshops Fallverständnis • Hypothesen zum Fallverständnis = Fallkonzeption: Ziel: Ableiten, Begründen eines Behandlungsplans • Theoretische Konzepte zu – Psychisches Funktionieren von Menschen im Allgemeinen: Grundbedürfnisse / Konsistenztheorie – Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen – Psychotherapeutische Prozesse: Wirkfaktoren Illustration anhand eines Fallbeispiels Ziel: Verständnis über die Symptomatik hinaus 2 Wichtige Perspektiven für die Therapieplanung • • • • • Störungsperspektive Motivationale Perspektive: – Für was ist der Patient selbst motiviert) (Leidensdruck, Therapieziele, Einstellung zu möglichen Vorgehensweisen). – Motivationale Konstellationen als Bestandteil der Problemdefinition (Vermeidungsziele, intrapsychische Konflikte) Interpersonale Perspektive: – Therapiebeziehung – Interpersonale Beziehungen des Patienten als Bestandteil der Problemdefinition und als Ressource für mögliche Lösungen Ressourcenperspektive Entwicklungsperspektive: – Wo steht der Patient bezüglich bestimmter Entwicklungsaufgaben (Lebenszyklus) – In welchem Bewusstseinsstadium steht der Patient bezüglich seiner Problematik (precontemplation, contemplation, action oriented)? Fallkonzeption und... 1. 2. 3. Anamnese Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation Diagnosestellung 4. Inkongruenzanalyse: Welche Inkongruenzquellen? Wie behandeln? 5. Ressourcenanalyse: Welche Ressourcen? Wie aktivieren 6. Zusammenfassendes Problemverständnis ...Therapieplanung 7. Therapieziele und Therapiemotivation 8. Therapiesetting unter der Ressourcen- und der Problemperspektive 9. Beziehungsgestaltung 10. Zusammenfassung des konkreten Therapieplans Fallkonzeption 1. 2. 3. Anamnese Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation Diagnosestellung 4. Inkongruenzanalyse: Welche Inkongruenzquellen? Wie behandeln? 5. Ressourcenanalyse: Welche Ressourcen? Wie aktivieren 6. Zusammenfassendes Problemverständnis Exkurs: Konsistenztheorie (Grawe, 1998) Neben biologischen Grundbedürfnissen auch psychologische Grundbedürfnisse: • Bei allen Menschen vorhanden • Der Mensch strebt nach Befriedigung und Schutz seiner Grundbedürfnisse: Streben nach Konsistenz, resp. Verringerung der Inkonsistenz • Konsistenz bedeutet Übereinstimmung bzw. Vereinbarkeit gleichzeitig ablaufender psychischer Prozesse. • Verletzung oder Nicht-Befriedigung führt zu Schädigung der psychischen Gesundheit und Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Psychologische Grundbedürfnisse (nach Epstein, 1990 und Grawe, 1998) • Bindung • Orientierung und Kontrolle • Lustgewinn / Unlustvermeidung • Selbstwerterhöhung / Selbstwertschutz Menschliche Grundbedürfnisse Bindung • Das Angewiesen-Sein des Menschen auf Mitmenschen; das Bedürfnis nach Nähe zu einer Bezugsperson. Je nach Erfahrungen mit sog. Primären Bezugspersonen (z.B. Verfügbarkeit, Einfühlungsvermögen) entwickelt ein Mensch ein bestimmtes Bindungsmuster. • In einer „guten“ Bindung sind die Bezugspersonen ein immer erreichbarer Zufluchtsort, bieten Schutz, Sicherheit, Trost, es entwickelt sich ein „Urvertrauen“. Menschliche Grundbedürfnisse Orientierung und Kontrolle • Je nach individueller Erfahrung (v.a.in der frühen Kindheit) entwickelt der Mensch Grundüberzeugungen darüber, inwieweit das Leben Sinn macht, ob Voraussehbarkeit und Kontrollmöglichkeiten bestehen, ob es sich lohnt, sich einzusetzen und zu engagieren u.ä. • Das Kontrollbedürfnis wird befriedigt durch möglichst viele Handlungsalternativen (grosserHandlungsspielraum). Menschliche Grundbedürfnisse Lustgewinn / Unlustvermeidung • Das Bestreben, erfreuliche, lustvolle Erfahrungen herbeizuführen und schmerzhafte, unangenehme Erfahrungen zu vermeiden (positive Lust/Unlustbilanz). • Je nach Erfahrungen in der Kindheit wird ein Mensch die Umgebung eher als Quelle von positiven oder von negativen Erfahrungen sehen, es entwickelt sich eher eine optimistische oder eher eine pessimistische Lebenseinstellung Menschliche Grundbedürfnisse Selbstwerterhöhung • Das Bedürfnis, sich selber als gut, kompetent, wertvoll und von anderen geliebt zu fühlen. Zur Bildung eines guten Selbstwertgefühls braucht es eine entsprechende Umgebung, die wertschätzend ist und dem anderen etwas zutraut, ihn unterstützt. Inkongruenz = Motor der psychischen Aktivität 15 Motivationale Schemata • Ordnungsmuster der psychischen Aktivität (Ziele, Verhalten, Emotionen, Kognitionen) • Individuelle „Strategien“ zur Befriedigung der Grundbedürfnisse • Ziele – Herbeiführung von bedürfnisbefriedigenden Erfahrungen – Vermeidung von weiteren Verletzungen der Grundbedürfnisse „Annäherungssystem“ (Annäherungsschemata) Positives Umfeld: Grundbedürfnisse werden gut befriedigt -> -> -> -> -> Entwicklung von annähernden motivationalen Zielen positive Erwartungshaltung (Kompetenzerwartung) und positive Emotionen Ausprobieren von Verhaltensweisen zur Bedürfnisbefriedigung Ausweitung des ‚annähernden‘ Verhaltensrepertoires Bahnung der Muster durch häufige Aktivierung: Je häufiger aktiviert, desto besser gebahnt, desto einfacher aktivierbar, desto wahrscheinlicher die Aktivierung. 19 „Vermeidungssystem“ Vermeidungs-/Konfliktschemata Negatives Umfeld: Grundbedürfnisse werden oft verletzt -> Entwicklung von vermeidenden motivationalen Zielen -> negative Erwartungshaltung -> keine Bildung eines Verhaltensrepertoires zur Bedürfnisbefriedigung, d.h. chronisches Nicht-Befriedigen-Können von Bedürfnissen = chronisch hohes Inkongruenzniveau -> chronisch negative Emotionen: „chronische Bahnung“ von neuronalen Strukturen, die der Vermeidung von Verletzung und nicht der Bedürfnisbefriedigung dienen. -> Bahnung der Muster durch häufige Aktivierung: Je häufiger aktiviert, desto besser gebahnt, desto einfacher aktivierbar, desto wahrscheinlicher die Aktivierung. Aktivierung von wichtigen Zielen im Zusammenhang mit Grundbedürfnissen ist immer verbunden mit starken Emotionen 20 „Aktivierung“ Jede/r soll sich für sich folgende Situation vorstellen: Die Kursleiterin bittet jemanden, vor der Gruppe kurz und kompetent zusammenzufassen, was sie/er bisher in der theoretischen Einführung und dem ersten Teil des Kurses gelernt hat. Die Kursleiterin schaut sich in der Gruppe herum und wählt Sie aus: Wie fühlen Sie sich? Wie reagiert Ihr Körper? Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf? Wie verhalten Sie Sich in dieser Situation? Was machen Sie konkret? An welche ähnlichen Situationen fühlen Sie Sich erinnert? Versuchen Sie nach der Beschreibung Ihres Erlebens mithilfe der bisher dargestellten und diskutierten theoretischen Konzepte zu beschreiben, was bei Dir in dieser Situation passiert und diskutieren Sie das Ganze in Ihrer Gruppe. Expliziter und impliziter Funktionsmodus Explizit: Implizit: • Beteiligung des Bewusstseins • Ausserhalb des Bewusstseins • Willentliche Kontrolle • Entzieht sich Kontrolle, Wille • Wenige Wiederholungen notwendig • Nicht automatisiert • Leichter veränderbar • Top-down-Aktivierung • Meist viele Wiederholungen notwendig • Automatisierte Prozesse • Schwer veränderbar • Bottom-up-Aktivierung 22 Eingefahrene Verhaltensmuster Neue Verhaltensmuster Vulnerabilitäts-Stress-Modell Vulnerabilität x Stress Störung Lebensgeschichtliche Entstehung psychischer Störungen Genetische Voraussetzungen Bedürfnisverletzende Lebenserfahrungen Unkontrollierbare Inkongruenz Ungünstige, belastende Lebenserfahrungen Vulnerabilitäten Aktuelle Inkonsistenz Psychische Störung Konsistenztheoretische Ausformulierung des Vulnerabilitäts-Stress-Modells Belastungen und Anforderungen der gegenwärtigen Lebenssituation Vulnerabilität Stress / Inkonsisten z z.B. - Starke Bereitschaft zu negativen Emotionen - Schlechte Emotionsregulation - Geringe Kontrollerwartungen - Starke Vermeidungstendenzen - Unsicheres Bindungsmuster Psychische Störung mit Eigendynamik Drei unterschiedliche Ansatzstellen für therapeutische Interventionen Lebenssituation Vulnerabilitä t Behandlung der individuellen Verletzlichkeiten wie schlechter Emotionsregulation Inkonsisten z Behandlung der aktuellen Inkongruenzquellen Störung Behandlung der Eigendynamik der Störung mit störungsspezifischen Interventionen Grundbedürfnisse und Inkongruenz: Beispiele • Kausaler Zusammenhang zwischen Verletzung des Bindungsbedürfnisses und psychischen Störungen. • Unsicherer Bindungsstil bei 80% der Psychotherapiepatienten (Normalbevölkerung: ca. 60% mit sicherem Bindungsstil) • Bessere psychische Gesundheit bei besserer Befriedigung des Bedürfnisses nach Selbstwerterhöhung („Selbstwertillusionen“). Fallkonzeption 1. 2. 3. Anamnese Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation Diagnosestellung 4. Inkongruenzanalyse: Welche Inkongruenzquellen? Wie behandeln? 5. Ressourcenanalyse: Welche Ressourcen? Wie aktivieren 6. Zusammenfassendes Problemverständnis Andere ungünstige Konsistenzsicherungs„Massnahmen“? Fehlendes Bewusstsein für Determinanten des eigenen Verhaltens Interviews (Pat., Fremd), Therapeuteneinschätzung Fehlende Ressourcen Interviews (Pat., Fremd), RES, REF Ungünstige Lebensbedingungen, Krankheiten, körperliche Beeinträchtigungen Interviews (Pat., Fremd), Krankenakten Ungünstige Beziehungen IIP, IMI, PB, FB, Genogramm, Verhaltensbeobachtung, Interviews (Pat., und Fremd) Ungünstiges Beziehungsverhalten / Beziehungsmuster INKONGRUENZANALYSE Inkongruenzniveau bezüglich 1. Orientierung und Kontrolle 2. Bindung 3. Selbstwerterhöhung/-schutz 4. Lustgewinn/Unlustvermeidung Brachliegende Ressourcen Interviews (Pat., Fremd) RES, REF Allgemeinbefinden, Leidensdruck EMI, BFW, SCL/BSI, Interviews (Pat., Fremd), Psychopathologische Symptomatik, Störungsmuster SCL/BSI, Störungsspez. Messmittel, SKID, Interviews (Pat., Fremd), Problemanalyse, IIP, IMI, MAQ, FEE, Schemaanalyse, Genogramm, Verhaltensbeobachtung, Interviews (Pat., und Fremd) Problematische Kognitionen und Überzeugungen Zu schwache Annäherungsschemata Schemaanalyse, Interviews (Pat., Fremd), ABC-Analyse, Therapeuteneinschätzung FAMOS / INK, Schemaanalyse Motivationale Konflikte Zu starke Vermeidungsschemata Schemaanalyse FAMOS / INK, Schemaanalyse Genogramm Frau F. Italien Italien Alkoholikerin Vor 6 J. gestorben Gest. vor 1 Jahr Hirntumor 51 J. 78 J. SelbstSicher, ‚herrschelig‘ Unternehmer Alzheimer Ruhe + Sicherheit Viel Geld Putzzwang Seit 30 Jahren in CH Schlechte Ehe Mauerer Lebenslustig Immer andere Frauen Putzorgien bis Magenkrebs Wieder in Italien Koch Geschäftsleitung Viel Geld, ‚herablassend‘ ‚Familienmensch‘ Gest. vor 12 Jahren Brustkrebs, Bulimie, Richtige Mamma Immer geputzt 38 Jahre alt Koch Taxi, litt unterTod v. Mutter Schulden Redet nie über Persönliches hilfsbereit 39 Jahre alt Floristin Hausfrau Putzzwang seit Jugendl. Erwachsene (1. Putzanfall mit ca. 11 J. ) Mit 7 Jahren in CH gekommen 9 J. ‚Träumerin‘ 7 J. ‚vergöttert‘ Vater Fallbeispiel Frau F. Situation bei Therapiebeginn: Zunehmende Eskalation zwischen Ehemann und Patientin -> Patientin und Kinder ziehen aus. -> Patientin „muss“ Therapie machen, um Ehe zu retten. Soziale Isolation der Familie Diagnose: Zwangsstörung Fallbeispiel Frau F.: Symptomatik und Therapieziele (GAS) 1. Putzen Ist-Zustand: 6-7 Std. putzen nach Putzplan. Kinder müssen Schuhe, manchmal auch Kleider vor Wohnungstür ausziehen und sofort Hände waschen. Vermeiden, dass jemand von aussen in Wohnung kommt: Besuche sind unmöglich. Essen nur am Küchentisch möglich, Panik, wenn z.B. ein Glas ausleert: ganze Wohnung putzen und Kinder neu ankleiden. Ziel: Putzen ist Nebensache, Putzen, wenn‘s dreckig ist. Kinder sind nicht mehr strengen Regeln unterworfen. Spontanere Gestaltung des Tagesablaufs. Einladungen von Bekannten ist möglich. Fallbeispiel Frau F.: Symptomatik und Therapieziele 2. Kochen Ist-Zustand: Zuhause kochen nicht möglich, weil sonst alles schmutzig wird. „Warm“ essen immer auswärts. Folge: finanzielle Belastung, da es unmöglich ist, jemanden einzuladen auch Gefühl, allein und isoliert zu sein. Ziel: Kochen für sich und Kinder, Auswärts essen ist Ausnahme. Fernziel: Bekannte zum Essen einladen. Fallbeispiel Frau F.: Symptomatik und Therapieziele 3. Selbständigkeit Ist-Zustand: Zeit wird durch Zwänge, v.a. Putzen ausgefüllt. Wenn das wegfallen würde kommt Frage: „was will ich eigentlich?“ Durch Krankheit grosse Verunsicherung: was ist „gut-schlecht“, „normal-krank“. Zweifel, dass alles „daneben“ ist, was sie denkt und macht. Ziel: Unabhängiger und selbständiger werden. Wieder arbeiten ausser Haus. Kinder, Haushalt und Arbeit ist wieder etwas „Normales“. Andere ungünstige Konsistenzsicherungs‘Massnahmen‘? ‚Verharren‘ oder Ortswechsel als Problemlösung Fehlendes Bewusstsein Wenig ‚psychologically minded‘. Kaum Vorstellungen davon, welchen Einfluss ihr Verhalten auf Gegenüber und auf Beziehungen haben kann Fehlende Ressourcen, Defizite Wenig Zugang zu eigenen Bedürfnissen Kann sich nicht durchsetzen Zwang Brachliegende Ressourcen Kreativität, Fürsorglichkeit, Humor; Soziale Kompetenzen; Interpersonal: Bekannte / Herkunftsfamilie Ungünstige Lebensbedingungen, Krankheiten, körperliche Beeinträchtigungen Auszug mit Kindern Zwang Ungünstige Beziehungen Langandauernde Paarproblematik, heftige Konflikte. Rolle als Mutter zunehmend schwierig, v.a. Sohn beginnt sich zu wehren Zwang Ungünstiges Beziehungsverhalten / Beziehungsmuster Keine Meinungen und Bedürfnisse äussern-> Vermeiden jeglicher Konflikte INKONGRUENZANALYSE Beispiel Frau F. Inkongruenzniveau bezüglich 1. Orientierung und Kontrolle 2. Bindung 3. Selbstwerterhöhung/-schutz 4. Lustgewinn/Unlustvermeidung Allgemeinbefinden, Leidensdruck Grosse Verunsicherung, wenig Selbstvertrauen, Niedergeschlagenheit Zwang Psychopathologie, Störungsmuster Zwangsstörung: Putzzwang Zwang Zwang Problematische Überzeugungen Andere (v.a. mein Mann) haben das Sagen, ich habe keinen Einfluss. Zu schwache Annäherungsschemata Mach etwas aus Deinem Leben, Suche nahe, vertrauensvolle Beziehungen, gute Mutter sein Motivationale Konflikte Vermeide Konflikte, Abwertung - Wunsch nach Eigenständigkeit (als Mutter, Beruf) Vermeide Nähe- Wunsch nach Aufgehobensein, Dazugehören Zu starke Vermeidungsschemata 1.Vermeide Nähe ->Kontrollverlust ->vermeide Hilflosigkeit 2.Vermeide Konflikte ->vermeide Abwertung, Wertlosigkeit Fallkonzeption 1. 2. 3. Anamnese Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation Diagnosestellung 4. Inkongruenzanalyse: Welche Inkongruenzquellen? Wie behandeln? 5. Ressourcenanalyse: Welche Ressourcen? Wie aktivieren 6. Zusammenfassendes Problemverständnis Andere gelungene Konsistenzsicherungs“Massnahmen“ Eher keine Selbstreflexion und Bewusstsein für Determinanten des eigenen Verhaltens Vermutet Zusammenhang zwischen Zwängen und schlechter Ehe Vorhandene Ressourcen Kreativität, Intelligenz, Interessen Aussehen, abgeschlossene Ausbildung Herausragende Stärken Soziale Kompetenz: „sich sympathisch machen“ Vorteilhafte Lebensbedingungen Günstige finanzielle Verhältnisse Bereiche mit Wohlbefinden RESSOURCENANALYSE Wenn ganz allein zuhause Hilfreiche Beziehungen Schwiegervater und dessen Frau, Bruder erlebte Kongruenz bezüglich 1. Orientierung und Kontrolle 2. Bindung 3. Selbstwerterhöhung/-schutz 4. Lustgewinn/Unlustvermeidung Förderliches Beziehungsverhalten Differentialdiagnostik Zwänge sind vorwiegend ich-dyston, keine Zwangsgedanken Freundliches Auftreten, Interesse am Gegenüber Gesunde und hilfreiche Kognitionen und Überzeugungen „Mit viel Anstrengung kann man etwas erreichen“ Gut entwickelte Annäherungsschemata Kaum Annäherungsziele! Motivationale Bereitschaften V.a. Wunsch, eine gute Mutter zu sein Schwach ausgeprägte Vermeidungsschemata Trotz Angst vor Ablehnung einige familiäre Kontakte Fallkonzeption 1. 2. 3. Anamnese Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation Diagnosestellung 4. Inkongruenzanalyse: Welche Inkongruenzquellen? Wie behandeln? 5. Ressourcenanalyse: Welche Ressourcen? Wie aktivieren 6. Zusammenfassendes Problemverständnis ... Therapieplanung 7. Therapieziele und Therapiemotivation 8. Therapiesetting unter der Ressourcen- und der Problemperspektive 9. Beziehungsgestaltung 10. Zusammenfassung des konkreten Therapieplans Diskussion Fallbeispiel Frau F. Versuchen Sie, aufgrund der Informationen zum Fall und zu theoretischen Konzepten, ein zusammenfassendes Problemverständnis zusammenzutragen: Hypothesen zu Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangssymptomatik: Hypothesen zu wichtigen Ängsten, Befürchtungen (-> Vermeidung) und zu wichtigen Zielen (-> Annäherung) der Patientin. Leiten Sie daraus Ihnen wichtig erscheinende Punkte der Therapieplanung ab: Welche Probleme wie behandeln? Womit beginnen? Welche Ressourcen wie aktivieren? Therapiesetting? Worauf sollte man achten bei der Beziehungsgestaltung? Zwei Arten therapeutischer Veränderung Ressourcenaktivierung Korrektive Erfahrung = = Verbesserte Bedürfnisbefriedigung durch Aktivierung existierender neuronaler Erregungsmuster Problemaktivierung gefolgt von Bewältigungs- und/oder Klärungserfahrungen, welche zu neuen Ressourcen für die Bedürfnisbefriedigung führen Wirkfaktoren und Veränderung Wirkfaktoren: • Ressourcenaktivierung • Prozessuale Aktivierung • Bewältigung • Motivationale Klärung Aufmerksamkeitslenkung Korrektive Erfahrungen Therapeutische Veränderung Konsistenztheoretische Therapieplanung Zwei Leitfragen: Welche Ressourcen des Patienten kann ich am besten nutzen/aktivieren und wie kann ich das bei diesem Patienten am besten tun? Für welche Probleme/Inkongruenzquellen sollte ich vordringlich Bewältigungsund/oder Klärungserfahrungen herbeiführen und wie kann ich das bei diesem Patienten am besten erreichen? Drei unterschiedliche Ansatzstellen für therapeutische Interventionen Lebenssituation Vulnerabilitä t Behandlung der individuellen Verletzlichkeiten wie schlechter Emotionsregulation Inkonsisten z Behandlung der aktuellen Inkongruenzquellen Störung Behandlung der Eigendynamik der Störung mit störungsspezifischen Interventionen Wichtige Perspektiven für die Therapieplanung • • • • • Störungsperspektive Motivationale Perspektive: – Für was ist der Patient selbst motiviert) (Leidensdruck, Therapieziele, Einstellung zu möglichen Vorgehensweisen). – Motivationale Konstellationen als Bestandteil der Problemdefinition (Vermeidungsziele, intrapsychische Konflikte) Interpersonale Perspektive: – Therapiebeziehung – Interpersonale Beziehungen des Patienten als Bestandteil der Problemdefinition und als Ressource für mögliche Lösungen Ressourcenperspektive Entwicklungsperspektive: – Wo steht der Patient bezüglich bestimmter Entwicklungsaufgaben (Lebenszyklus) – In welchem Bewusstseinsstadium steht der Patient bezüglich seiner Problematik (precontemplation, contemplation, action oriented)? Störungsperspektive: Fallbeispiel Frau F. Behandlung der Zwangsstörung („Putzzwang“): -Erklärung des Therapierationals, Protokolle, Hierarchisierung der Expo, wichtige Kognitionen u.ä. -> Orientierung und Kontrolle. -Zwänge sind dermassen einschränkend, dass es wichtig ist, früh mit der Behandlung der Symptomatik anzufangen. Durch Umzug in neue Wohnung (Veränderung der Umgebung) gute Chance, Verhaltensmuster zu verändern, bevor eingefahren. -GAS-Ziele 1 (Putzzwang) und 2 (kochen). Wirkfaktor Problemaktivierung und –Bewältigung. Selbstwertproblematik -Neben oder sozusagen hinter der Zwangsstörung ist ein grosses Thema auch eine Selbstwertproblematik, die (siehe auch Ressourcenaktivierung) spezielle Beachtung erfordert: Identifizierung von selbstabwertenden Gedanken und Erarbeitung und „Einübung“ alternativer Gedanken (was mag ich an mir? Was kann ich gut? „Mein hilfreicher Begleiter“ u.ä.) Motivationale Perspektive: Fallbeispiel Frau F. Therapiemotivation: -Patientin zu Beginn eher „fremdmotiviert“: Wird von Ehemann unter Druck gesetzt (auch Drohung wegen Sorgerecht), -aber auch: Wunsch, eine gute Mutter zu sein, Angst, dass Kinder Schaden davon tragen. Motivationale Konstellationen: -Problematisch für die Behandlung: interpersonale und intrapsychische Funktionalität wie z.B. -Zwang gibt der Patientin ein Gefühl von Kontrolle (vermeiden von Hilflosigkeit) und Einfluss in den Beziehungen (Mann, Kinder); Zwang „hilft“ zu vermeiden, eigene Meinungen, Bedürfnisse zu äussern -> vermeiden von Konflikten -> vermeide Abwertung, Wertlosigkeit = Selbstwertschutz); -Zwang „hilft“ Leere vermeiden (was möchte sie mit ihrem Leben anfangen möchte). Daher auch wichtig: Wirkfaktor „Klärung“: mehr Bewusstsein der Patientin zu „Strategie Zwang“, resp. Erarbeitung alternativer Strategien (-> nach Klärung kommt Bewältigung): Eigene Meinungen und Bedürfnisse direkt äussern (Stärkung des Wunsches nach Eigenständigkeit, aber auch gute Mutter, „erwachsene“ gleichwertige Ehefrau, Kollegin etc.). GAS-Ziel 3. Interpersonale Perspektive: Fallbeispiel Frau F. Einbezug des Ehemannes: •Trotz räumlicher Trennung Einbezug des Ehemanns wichtig: Themen wie Klärung der jetzigen Situation: wie sieht Ehemann Problematik und jetzige Situation? Druck auf Patientin, Erwartungen an Therapie? Psychoedukation. Interaktion •Kommunikation des Paares verbessern (v.a. wegen Kinder, finanzielle Situation). Ressourcen des Paares? Unterstützung der Patientin in der Therapie durch Ehemann möglich, Ehemann als Ressource? Therapiebeziehung: •Die Therapie aktiviert viele Ängste der Patientin (siehe Vermeidungsschemata): Angst, Kontrolle zu verlieren, daher wichtig, der Patientin gegenüber sehr transparent zu sein. •Im Zusammenhang mit der Therapiebeziehung aber auch sehr wichtig, dass die Patientin Angst vor Ablehnung hat („komisch“ zu sein, deswegen ausgelacht zu werden, dass man entdeckt, dass sie „anders“ ist), daher (zumindest vordergründig) angepasstes Verhalten zeigen wird (eigene Meinung, Konflikte vermeiden). Daher wichtig: Grosses Interesse und Offenheit der Patientin gegenüber, zeigen, dass man besonders interessiert ist, was sie denkt, „unconditional positive regard“, ihr viel zutrauen u.ä.-> Korrektive Beziehungserfahrung. Ressourcenperspektive: Fallbeispiel Frau F. • V.a. der Wunsch, eine gute Mutter zu sein, und der Wunsch nach sozialen Kontakten (Familie und Bekannte) sind zentral: mit Patientin erarbeiten, was jetzt für ihre Kinder wichtig ist, auch: Information, konkrete Unterstützung bei Erziehungsfragen (z.B. Triple P), aber auch: positive Aktivitäten mit den Kindern (parallel zur Reduktion der Zwänge) • Wunsch nach sozialen Kontakten: Auffrischen von sozialen Kontakten, zu Beginn am einfachsten möglich bei Herkunftsfamilie: Bruder, Vater und v.a. auch Tante und Cousine (Italien), aber auch einige Kolleginnen. • Erleichternd sind die sozialen Kompetenzen bezüglich „sich sympathisch machen“ (freundlich, fröhlich). • Aktivierung ihres (verborgenen) Wunsches nach Eigenständigkeit: Freizeitaktivitäten, entweder Aktivieren von brachliegenden Interessen oder Aufbau von neuen Aktivitäten (parallel zum Abbau von Zwängen). • Ziele: Mehr Kompetenzerwartung (Selbstwert und Orientierung), mehr „Bindung“ und bessere Befriedigung des „Lustbedürfnisses“. Entwicklungsperspektive: Fallbeispiel Frau F. Lebenszyklus •Die Patientin steht an einem Punkt, an dem sie sich wieder mehr auf sich und ihren „Lebensplan“ konzentrieren müsste: Die Mutter ist gestorben, der Vater zurück nach Italien, die Kinder gehen zur Schule und werden selbständiger, ihr Ehemann (ein erfolgreicher Geschäftsmann) möchte ein „sozialeres“ Leben (z.B. Einladungen, Reisen) und neben der Mutter seiner Kinder auch eine („attraktive“) Ehefrau. •Die Patientin fühlt sich überfordert, die Zwänge füllen einerseits ihr Leben aus, so dass sie keine Ideen und Perspektiven entwickeln konnte, sind andererseits aber auch „ungünstige“ Copingstrategien. D.h. es geht auch grundsätzlich um die Frage, wie sie anstelle der Zwänge ihr Leben, ihre sich verändernde Rolle als Mutter gestalten könnte, und wie sie als Ehefrau, resp. wie das Paar diese Entwicklung bewältigen kann durch „neue Strategien“. Bewusstseinsstadium •Contemplation-Phase: „es“ müsste sich etwas ändern, Ehemann macht Druck. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und viel Freude bei weiteren Fallkonzeptionen! Literatur „Theorie“ • Caspar, F. (2007, 3. Aufl.). Beziehungen und Probleme verstehen: eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse. Bern: Huber. • Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen, Bern, Hogrefe. • Grawe, K. (2005). Allgemeine Psychotherapie. Praxis der Psychotherapie. Ein integratives Lehrbuch. W. Senf und M. Broda. Stuttgart, Thieme Verlag: 120-132. • Hahlweg, K., Baucom, D.H. (2008). Partnerschaft und psychische Störung. Fortschritte der Psychotherapie Band 34, Göttingen: Hogrefe. • Stucki, Ch., Grawe, K.(†) (2007). Bedürfnis- und Motivorientierte Beziehungsgestaltung. Hinweise und Handlungsanweisungen für Therapeuten. Psychotherapeut: 52: 16-23. Literatur „Zwänge“ • Emmelkamp, P.M.G, van Oppen P. (2000). Zwangsstörungen. Fortschritte der Psychotherapie Band 11, Göttingen: Hogrefe. • Reinecker, H. (2006). Ratgeber Zwangsstörungen. Informationen für Betroffene und Angehörige. Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie Band 12, Göttingen: Hogrefe. • Hoffmann N., Hofmann B. (2011, 13. Auflage). Wenn Zwänge das Leben einengen. Berlin Heidelberg: Springer.