NDR 1 NDS Neurofeedback: Gesundheit heute Alles ein Frage der Nerven? 04.08.2004 Biofeedback! Viele Ärzte stehen dem Verfahren eher skeptisch gegenüber, manche haben sogar den Verdacht, es handele sich um Esoterik. Bei der Behandlung werden „biologische Funktionen“ wie Atemfrequenz, Herzschlag oder Hautreflexe hör- oder sichtbar gemacht, damit sie vom Patienten – im Sinne von „Feedback“ – zu deutsch „Rückkopplung“ - direkt beeinflusst werden können. In Tübingen, aber auch in Göttingen werden die medizinischen Möglichkeiten von Biofeedback systematisch erforscht. Eine besondere Form des Biofeedback ist das „Neurofeedback“. Hier werden Hirnströme mittels Elektroden abgeleitet, und auch diese können vom Patienten gesteuert werden. Bei Erwachsenen lassen sich neurologische Störungen erfolgreich behandeln und – speziell bei Kindern – Aufmerksamkeitsstörungen. Michael Engel mit Einzelheiten. Gleich geht’s los. Michael K. wird für die Behandlung erst noch vorbereitet. Dazu müssen Elektroden ans Ohrläppchen und auf die Kopfhaut geklebt werden. Kathleen Klose Wenn’s zu doll wird, musst Du es sagen, ein bisschen rubbeln muss ich ja ... Michael Engel .... sagt Kathleen Klose, zwei Elektroden noch, dann hat die Therapeutin aus Hameln den zwölfjährigen Schüler richtig verkabelt. Kathleen Klose .... so, und das sollte man auch möglichst gründlich machen, damit wir einen guten Kontakt haben, eine gute Messung haben, eine gute Ableitung hinterher haben, denn je genauer wir das machen, desto besser ist auch das Training dann Michael Engel Hirnwellen, die jetzt abgeleitet werden, landen über Kabelverbindungen letztlich in einem Computer. Ein spezielles Programm analysiert die Ströme aus dem Gehirn und steuert ein kleines Spiel: (Musik-Feedback) Michael sieht auf dem Monitor „Zahnräder“. Wenn er sich konzentrieren kann, dreht sich das Räderwerk. Lässt seine Aufmerksamkeit nach, gerät die Maschinerie ins Stocken – und auch die Musik will nicht mehr so richtig ..... Michael K. Also ich versuche ganz einfach ruhig zu bleiben und gucke halt auf die Zahnräder drauf und versuche mich dabei zu konzentrieren Michael Engel Genau das ist Michaels Problem. Der Junge ist sehr impulsiv, zu Hause, aber auch in der Schule. Diagnose des Arztes: Aufmerksamkeitsstörungen. Ritalin, ein beruhigend wirkendes Medikament, sollte Michael schlucken. Doch das wollte die Mutter auf keinen Fall. Mittlerweile kommt Michael seit einem Jahr in die Praxis. Einmal in der Woche fahren Mutter und Sohn vom Wohnort Goslar ins zwei Autostunden entfernte Hameln, ohne es zu bereuen. 40 Sitzungen, wurden absolviert – mit großem Erfolg – so Urteil von Dr. Eva K. Dr. Eva K. Also, bei Michael ist das große Problem seine mangelnde Impulskontrolle. Das heißt, es kommt irgend etwas quer und er flippt richtig aus. Und wir haben also festgestellt, dass das nach dieser Therapie – also wir sind ja immer Freitag nachmittags hier – das also das ganze Wochenende doch relativ harmonisch abläuft, weil er sich einfach mehr unter Kontrolle hat, dass er eher mal das Gehirn einschaltet und sagt: Jetzt mache ich eine Pause, jetzt reagiere ich da nicht sofort körperlich drauf, dass dadurch das Familienleben wesentlich entspannter geworden ist. Er kann sich auch besser konzentrieren, und er ist dann auch entspannter, also wenn wir von hier nach Hause fahren, kam es mir am Anfang immer so vor, als ob er eine „Gehirnwäsche“ bekommen hätte, weil er einfach so gut drauf ist, und das genieße ich, weil ich es eben auch anders kenne. Michael Engel ..... positive Veränderungen stellt auch Kathleen Klose bei ihren jungen Patienten fest. 20 Schülerinnen und Schüler sind zur Zeit bei ihr in Behandlung. NDR 1 NDS Gesundheit heute Neurofeedback 04.08.2004 2 Kathleen Klose .... und wir sehen es an den Zeugnisnoten, wenn die ihre Halbjahreszeugnisse mitbringen, da dann mit einem Mal ein ganz anderer Satz drinsteht, „das Kind entspricht dem Sozialverhalten im vollen Umfang“, dann ist das eigentlich auch eine Aussage, die man darauf sicherlich auch zurückführen kann. Michael Engel Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität lassen sich mit der Methode häufig besser behandeln als mit Medikamenten, urteilt Diplom Psychologe Reiner Kroymann, der sich als Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback wissenschaftlich mit dem Thema befasst hat. Reiner Kroymann Wir wissen, dass wenn ein Mensch konzentriert an einer Aufgabe arbeitet, eine ganz bestimmte Wellenform dominant ist, und ich kann jetzt, indem ich diese Wellen ableite als Bild, kann ich das Gehirn trainieren, diese Grundfunktion zu verändern. (Musik aus der Neurofeedbacksitzung) Michael Engel Besonders Aufmerksamkeitsdefizite lassen sich erfolgreich mit Hilfe von Neurofeedback behandeln – Zielgruppe hier sind die Kinder. Bei den Erwachsenen sind es psychische Erkrankungen wie Epilepsie und Depressionen, aber auch Hirnfunktionsstörungen - zum Beispiel nach einem Schlaganfall - die durch die Ableitung von Hirnstromkurven teilweise therapierbar gemacht werden. Erster Schritt ist – so Reiner Kroymann aus Dresden – den Patienten bewusst zu machen, dass sie Körper und Geist selbst steuern können. Reiner Kroymann Das ist etwas, wo ich „A“ dem Patienten erklären kann, welche Zusammenhänge gibt es denn zwischen psychologischen Mechanismen, zwischen Gedanken und Gefühlen und körperlichen Reaktionen, das ist ein Aspekt von dieser Sitzung, der andere Aspekt von dieser Sitzung, der andere Aspekt ist, dass ich einen diagnostischen Eindruck bekomme: in welchem Bereichen reagiert der Patient besonders stark. Und dann ist auch sehr interessant, wie kann er vor einem Stressereignis entspannen, wie gut kann er nach einem Stressereignis entspannen, jeder Mensche ist unterschiedlich. Es gibt Patienten, die haben Schwierigkeiten vor einer Situation, es gibt andere, die haben Schwierigkeiten nach der Situation. Und das ist etwas, wo man in den darauf folgenden Sitzungen darauf abzielen kann, dass man das trainiert. Michael Engel Biofeedback baut auf der Fähigkeit des Menschen auf, durch Lernprozesse körperliche Funktionen zu verändern. Als großen Vorteil des Verfahrens sehen Experten wie Nils Birbaumer, dass Feedback zu den nebenwirkungsärmsten Behandlungsmethoden zählt. Die Therapie – so der Professor aus Tübingen in seinem Buch über die „Biofeedback-Therapie“ (Schattauer, 2000) – wirkt spezifisch auf jene Körpertfunktionen ein, die für die Genesung wichtig sind. Dörte Klein – Psychotherapeutin aus Wennigsen bei Hannover. Dörte Klein Wir sprechen dabei von „operantem Konditionieren“ – das ist ja diese Feedbacktechnik. Der Klient, der Trainierende, lernt am Erfolg. Wir formen sozusagen das Gehirn in eine bestimmte Richtung, wir wissen, welche Arbeitsgeschwindigkeiten optimal sind, und in diese Richtung wird sozusagen der Patient allmählich durch Rückmeldungen, durch Tonrückmeldungen hingebracht. Also wir holen ihn dort ab, wo er ist, haben aber eine Idee davon, wie es optimaler sein kann. Michael Engel Patienten sollten aber immer auch psychotherapeutisch begleitet werden. Ein Schulkind zum Beispiel, das Probleme in der Klasse hat, muss über das Neuro-Training hinaus auch die psychosozialen Umstände der Situation begreifen lernen, um beim nächsten Konflikt nicht wieder mit Aufmerksamkeitsstörungen zu reagieren. Ein Computer allein kann diese Hilfestellung nicht weiterhelfen. Auf der anderen Seite – so die Therapeutin lassen sich psychotherapeutische Erfolge schneller erzielen, wenn zusätzlich zur Verhaltenstherapie ein Training mit Neurofeedback erfolgt. Beide Verfahren – Neurofeedback und Psychotherapie – sind nach Ansicht der Psychologin eine ideale Ergänzung. NDR 1 NDS Gesundheit heute Neurofeedback 04.08.2004 3 Dörte Klein Bei Depressionen zum Beispiel kriegt man innerhalb kürzester Zeit eine Aktivierung zustande, die man – glaube ich – auschließlich durch Gesprächstherapie gar nicht erreichen könnte. 0.12 Michael Engel „Der Einsatz von Computern verführt manche Therapeuten dazu, Patienten an die Biofeedback-Technik anzuschließen und ihnen lediglich eine kurze Instruktion zu geben, um sie anschließend allein üben zu lassen. Erfolgreiche Biofeedback-Behandlungen setzen kompetente und engagierte Therapeuten voraus, die ihre Patienten mit dem Gerät nicht abspeisen“, so das Urteil von Prof. Niels Birbauer, der an der Universität Tübingen das Verfahren seit Jahren wissenschaftlich auslotet. Genauso wichtig – sagt die Psychotherapeutin Dörte Klein – ist der aktive Patient. Dörte Klein Ich hab’ keinen Nürnberger Trichter, wo ich sozusagen das Wohlbefinden oben reingeben kann und an der Passivität des Patienten vorbei – mehr oder weniger. Von daher würde ich so sagen ist das ohnehin die Grundfeste meiner psychotherapeutischen Tätigkeit. Der Mensch muss aktiv sein, er muss es wollen und er muss sich darauf einlassen und er muss auch vor allem aktiv mitarbeiten. Michael Engel Seit mehr als 30 Jahren wird Neurofeedback wissenschaftlich ausgelotet. Erstmals angewendet wurde das Verfahren bei Epilepsien und deswegen liegen gerade in diesem Bereich die meisten Studien vor. Wichtiges Ergebnis: Neurofeedback ist kein Wundermittel, dass bei allen Patienten hilft. Der Erfolg lässt sich nicht vorausberechnen – man muss es probieren: No-Name-Patient / Depression Also ich hatte Tränenausbrüche, ich habe an ganzen Körper gezittert. Das war eine Situation, wo etwas passieren musste. Und seitdem ich bei Frau Klein bin, wir haben diese Kombination von Neurofeedback und Gespräche, die Ergebnisse bisher haben mich sehr überrascht, also ich würde sagen, mein logisches Denken hat sich verbessert. Ich bin nicht mehr so emotional gesteuert, also diese Tränenausbrüche habe ich im Augenblick nicht mehr. Und ich habe den Eindruck, dass ich im Augenblick irgendwie besser mit dem täglichen Leben zurecht komme. Michael Engel Die Ableitung eines Elektroenzephalogramms – genannt „Neurofeedback - ist ein Sonderfall der Biofeedbackbehandlung. Das Verfahren zielt ganz allgemein auf die Entspannungsfähigkeit der Patienten. Bei Depressionen werden beachtliche Erfolge erzielt, bei der Epilepsie wird mittlerweile sogar an einen RoutineEinsatz gedacht. Und dann gibt es Fälle wie diese ........ Andrea H. Mein Name ist Andrea H., ich bin hier nach einer Hirnoperation. Nach der OP hatte ich Schwierigkeiten mit Sprache, weil ich viele Worte nicht mehr wusste. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen wollte. Ganz einfach Worte konnte ich nicht aussprechen. Ich musste sie um-sprechen. Also wir haben Therapien gemacht am Computer, wo ich lernen musste viele Dinge wieder auf eine normale Ebene zu bekommen. Aber wie genau das so passiert ist, kann ich nicht nachvollziehen, das ist einfach nur gut gewesen. Letztes Jahr im Januar bin ich operiert worden und arbeite jetzt seit November wieder, ich bin Erzieherin. Michael Engel Neurofeedback – ein Verfahren mit immer neuen Einsatzmöglichkeiten. Einziger Wermutstropfen: Die Computertherapie wird von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt – im Gegensatz zu einigen privaten Versicherungen. Vierzig Sitzungen und länger kann eine Behandlung dauern – Kostenpunkt für den Patienten: mehrere hundert Euro.