die weisse rose

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Planet wissen 9-4-06
Sophie Scholl und Christoph Probst
DIE WEISSE ROSE
Die Weiße Rose ist heute wohl die bekannteste Widerstandsgruppe des
Dritten Reiches. Kern der Gruppe waren die Geschwister Sophie und
Hans Scholl, Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell und
Professor Kurt Huber. Zwischen 1942 und 1943 verbreitete die
Gruppe sechs Flugblätter, in denen sie zum Widerstand gegen das NSRegime aufrief. Ihren Mut und ihre Entschlossenheit, sich gegen die
Nazi-Diktatur zur Wehr zu setzen, bezahlten die sechs mit dem
Leben.
>> Die Entstehung der Weißen Rose
>> Beginn des Widerstands
>> "Es wird Zeit, dass jemand dagegen fällt"
>> Das Erbe der Weißen Rose
Die Entstehung der Weißen Rose
Die Weiße Rose war eher ein Freundeskreis als eine Organisation.
Christoph Probst und Alexander Schmorell waren seit ihrer Schulzeit
befreundet. Sie lernten Willi Graf und Hans Scholl während ihres
Medizinstudiums 1941/42 an der Münchner Universität kennen. 1942
begann auch Sophie Scholl ihr Philosophie- und Biologiestudium und
kam mit den Freunden ihres Bruders in Kontakt. Sie trafen sich zu
Lese- und Diskussionsabenden. Gemeinsam besuchten sie auch die
Vorlesungen des Philosophie-Professors Kurt Huber, der schon mit den
Nazis in Konflikt geraten war und der später ebenfalls ein aktives
Mitglied der Gruppe werden sollte.
Anfänglich
waren
zumindest
die
Geschwister
Scholl
vom
Nationalsozialismus durchaus noch angetan gewesen. Es waren die
gemeinsamen Fahrten der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher
Mädels, das Gemeinschaftserlebnis und die Vorstellungen von
Vaterland, die die jungen Leute ansprachen. Doch ihre frühe
Begeisterung wich schnell grundsätzlicher Kritik. Grundlage ihrer
Aktionen waren christliche und humanistische Wertvorstellungen. Sie
beschäftigten sich mit den Kirchenlehrern Augustinus und Thomas von
Aquin sowie der Existenzphilosophie des dänischen Denkers
Kierkegaard. Hans Scholl ging es darum, ein "sichtbares Zeichen des
Widerstandes von Christen zu setzen". Er wollte am Ende des Krieges
nicht "mit leeren Händen vor der Frage stehen, was habt ihr getan".
Beginn des Widerstands
Im Juni 1942 nach dem großen Luftangriff auf Köln schreiben und
verteilen Hans Scholl und Alexander Schmorell die ersten Flugblätter.
In schöngeistiger, literarischer Sprache rufen sie darin zu passivem
Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft auf und
beklagen die Mitschuld der Deutschen an den Verbrechen der Nazis.
Die Mitglieder der Weißen Rose wollen ihre Landsleute über den
wahren Charakter des Regimes aufklären. Abgesehen von den geistigen
Werten sind es die zunehmende Radikalisierung des Hitler-Regimes
und die Brutalität des Krieges, die ihre Ablehnung des braunen
Terrorregimes begründen. An der Ostfront beobachten die jungen
Männer der Weißen Rose im Sommer 1942, wie ausgezehrte jüdische
Frauen zur Zwangsarbeit getrieben werden. Oder sie hören von
Massenhinrichtungen vieler unschuldiger Menschen. Das bestärkt sie
darin, nach ihrer Rückkehr im November weiter Widerstand zu leisten,
indem sie die Bevölkerung, vor allem andere Jugendliche, aufklären.
Zu Hause in München erfährt Sophie Scholl von einer Freundin, dass
geistig behinderte Kinder einer Heilanstalt von SS-Männern abgeholt
wurden und auf immer verschwunden seien.
In den weiteren Flugblättern der Weißen Rose werden die scheußlichen
und menschenunwürdigen Verbrechen des Regimes angeprangert, so die
Ermordung von 300.000 polnischen Juden. Die Weiße Rose knüpft
Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen. Ihr fünftes Flugblatt
erscheint in einer Auflage von 6000 bis 9000 Exemplaren und wird in
mehreren süddeutschen und österreichischen Städten verteilt. "Mit
mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den
Abgrund", schreiben Hans Scholl und Alexander Schmorell mit Blick
auf die Kriegslage im Januar 1943. Erstmals rufen sie ihre Landsleute
dazu auf, den NS-Staat aktiv zu bekämpfen und fragen sie:
"Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das
den Juden widerfahren ist? … Sollen wir auf ewig das von aller Welt
gehasste und ausgestoßene Volk sein?"
"Es wird Zeit, dass jemand dagegen fällt"
Ab Februar 1943 tritt die Gruppe auch durch nächtliche Aktionen an
die Öffentlichkeit. Sie malen auf Münchner Hausfassaden Anti-NaziParolen wie "Nieder mit Hitler", "Hitler Massenmörder" oder
"Freiheit". Das sechste Flugblatt wird der Gruppe zum Verhängnis.
Geschrieben von ihrem Mentor Kurt Huber, einem Professor für
Philosophie und Musikwissenschaften, geißelt es die Kriegspolitik
Hitlers, welcher in Stalingrad allein auf deutscher Seite 300.000
Soldaten zum Opfer gefallen sind. Ein Hausmeister erwischt die
Geschwister Scholl, als sie die Flugblätter im Lichthof der Universität
verteilen, hält sie fest und übergibt sie der Gestapo. Vier Tage
später, am 22. Februar, werden sie vom Volksgerichtshof zum Tode
verurteilt und noch am selben Tag mit dem Fallbeil hingerichtet. Mit
ihnen stirbt Christoph Probst. Um den jungen Familienvater zu
schützen, hat die Gruppe ihn zuletzt weitgehend aus ihren Aktivitäten
herausgehalten. Das einzige Beweismittel gegen ihn ist ein
handschriftlicher Entwurf zu einem Flugblatt, den Hans Scholl bei sich
trug, als er verhaftet wurde. Im April wird 14 weiteren Mitgliedern
der Weißen Rose der Prozess gemacht. Alexander Schmorell,
Professor Kurt Huber und Willi Graf werden ebenfalls zum Tode
verurteilt, die anderen zu Haftstrafen. In den folgenden Monaten
verhaftet die Gestapo weiterhin Freunde und Unterstützer der Weißen
Rose, und der
Freiheitsstrafen.
Volksgerichtshof
verhängt
Todes-
und
hohe
Noch zwei Tage vor ihrer Verhaftung sagte Sophie Scholl: "Es fallen
so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, dass jemand
dagegen fällt". Während ihres Verhörs wollte der Gestapobeamte ihr
eine "goldene Brücke" bauen, mit der sie die Todesstrafe hätte
umgehen können: Sie sollte sich von ihrem Bruder distanzieren und
erklären, dass seine und ihre Handlungen und Überzeugungen
verurteilenswert seien. Darauf antwortete Sophie Scholl laut
Vernehmungsprotokoll: "Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste
getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich
bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir
aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen."
Das Erbe der Weißen Rose
Nachdem der innerste Kreis der Weißen Rose ermordet worden war,
wurde ihre Arbeit zunächst noch fortgeführt und ihr Gedankengut
weitergetragen. So vervielfältigte der Münchner Chemiestudent Hans
Leipelt gemeinsam mit gleichgesinnten Freunden das letzte Flugblatt
und verteilte es, versehen mit dem Zusatz "Und ihr Geist lebt
trotzdem weiter", in Hamburg. Außerdem organisierte er eine
Spendensammlung für die Witwe Kurt Hubers. Diese Aktivitäten
wurden verraten, Hans Leipelt, seine Freundin Marie-Luise Jahn und
andere Unterstützer im Herbst 1943 verhaftet. Leipelt wurde am 29.
Januar 1945 hingerichtet, Marie-Luise Jahn wurde zu zwölf Jahren
Haft verurteilt.
Die Medizinstudentin Traute Laufrenz hatte bereits im November
1942 Flugblätter von München nach Hamburg mitgebracht. Ihr Freund
Heinz Kucharski, ein Student der Philosophie und Orientalistik,
verteilte sie dort mit Hilfe anderer oppositioneller Studenten. Ende
1944 kam die Gestapo auch Mitgliedern der Hamburger Gruppe auf die
Spur. Am 17. April 1945, kurz vor Kriegsende, wurden auch sie vom
Volksgerichtshof verurteilt. Heinz Kucharski konnte auf dem Weg zur
Hinrichtung fliehen. Die anderen starben während der Haft.
Über den Hamburger Zweig war das letzte Flugblatt der Weißen Rose
ins Ausland gelangt und im Dezember 1943 von britischen Bombern
über Deutschland abgeworfen worden. Thomas Mann sprach in einer
nach Deutschland ausgestrahlten Rede in der BBC über die Mitglieder
der Weißen Rose als Vertreter eines besseren, anderen Deutschlands,
so klein ihre Zahl auch gewesen sei, und versicherte: "Ihr sollt nicht
umsonst gestorben sein, sollt nicht vergessen sein."
(Autorin: Sabine Kaufmann / Meike Meyer)
(Stand vom 10.03.2006)
KINDHEIT UNTER HITLER
"Meine Pädagogik ist hart", so formulierte Hitler seine Erziehungsideale,
"Das Schwache muss weggehämmert werden. Es wird eine Jugend
heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige,
herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich ..." Damit diese
Pädagogik Erfolg haben sollte, wurden die Kindheit und die Jugend unter
Hitler durchorganisiert und die Kinder von klein auf für den Kampf und für
den Krieg erzogen.
>> Von einer Parteijugend zur Staatsjugend
>> Wandern und singen
>> Kriegsvorbereitungen
>> Kriegsende
Von einer Parteijugend zur Staatsjugend
1926 gründete die NSDAP die Hitlerjugend (HJ) als Jugendorganisation
der Nationalsozialisten, vier Jahre später den Bund Deutscher Mädel
(BDM). Doch erst seit 1933, seit die NSDAP die Macht ergriffen und
andere Jugendverbände verboten hatte, wurde die Jugendorganisation
der Nationalsozialisten zu einer Massenorganisation. Leiter der
Hitlerjugend war seit 1932 Baldur von Schirach. Grundlage für die
Organisation wurde das HJ-Gesetz von 1936. Der Beitritt zur HJ und zum
BDM wurde zur Pflicht, aber nicht jeder durfte Mitglied werden. Die
Kranken und Schwachen wurden zurückgewiesen und die Juden waren von
der Zugehörigkeit zur Hitlerjugend ausgeschlossen. Auch wenn einige
Eltern es nicht gerne sahen, wenn ihre Kinder in die HJ gehen wollten, sie
davon abzuhalten war nicht leicht. Wer dies dennoch versuchte, dem
drohten Geld- und Gefängnisstrafen. 1939 hatte die Hitlerjugend deshalb
fast neun Millionen Mitglieder. Die zehn- bis 14-Jährigen dienten im
"Deutschen Jungvolk" oder beim "Jungmädelbund", die 14- bis 18-jährigen
in der HJ oder im BDM.
Wandern und singen
"Pimpfe", so nannte man die Kinder im Deutschen Jungvolk. Jeder Junge
und jedes Mädchen sollte von zu Hause eine Uniform bekommen und wurde
feierlich in den neuen Verband eingeführt. Manche Kinder hatten schon
lange darauf gewartet, endlich mit dabei sein zu können. Man traf sich an
Wochenenden und an Heimabenden, um gemeinsam Sport zu treiben,
Mutproben zu bestehen und im nationalsozialistischen Denken geschult zu
werden. "Hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde und zäh wie Leder", so
sollten die Kinder werden und viele wollten es auch. Das Erlernen
kriegstauglicher Übungen ging spielerisch vor sich, aber unter strenger,
militärischer Disziplin. Die meisten Kinder merkten nicht, wie ihnen ihr
Wille und Charakter gebrochen und im Sinne der Nationalsozialisten
geformt werden sollte. "Deutschland, sieh uns, wir weihen dir den Tod als
kleinste Tat. Grüßt er einst unsre Reihen, werden wir die große Saat. Drum
lasst die Fahnen fliegen in das große Morgenrot, das uns zu neuen Siegen
leuchtet oder brennt zum Tod." Solche Lieder sangen sie, und als der
Krieg ausbrach sangen sie mit noch mehr Inbrunst, denn sie fühlten sich
wichtig. Sie wurden gebraucht um Deutschland zu retten.
Kriegsvorbereitungen
Heldenhaft zu werden, ein Teil des kämpfenden Volkes, das wurde das Ziel
vieler Kinder in der Hitlerjugend. Für sie war es ein gutes Ziel: gemeinsam
für das Volk kämpfen oder als Mädchen jederzeit hilfreich
bereitzustehen um den Soldaten unter die Arme zu greifen. Krieg war
etwas, wo man seinen Mut beweisen und "ein ganzer Mann" sein konnte.
Schließlich hatte man ja auch gelernt, dass der Feind böse war und den
guten Deutschen Schaden zufügen wollte. Schon in Kinderbüchern wurde
diese Ideologie weitergegeben - genauso wie die von dem bösen Juden, der
auf den Kinderzeichnungen immer grimmig, bösartig und finster aussah.
Gefahren, denen sie trotzen wollten. Viele Kinder freuten sich deshalb
sehr, als sie mit zunehmendem Alter immer mehr von dem lernten, was sie
als Erwachsene auszeichnete - sie lernten das Kriegshandwerk kennen.
Zunächst wurden sie bei Ernteeinsätzen, bei Sammelaktionen für das
Winterhilfswerk oder als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Der spielerische
Umgang mit Geländeübungen wurde allmählich ernst, der Umgang mit der
Waffe gehörte zum Lernprogramm dazu. Schon Zwölfjährige lernten
damals das Schießen mit Karabinern und später auch den Umgang mit der
Panzerfaust. 1943 waren die meisten Flakgeschütze mit Hitlerjungen
besetzt. Mit der Ausrufung des "Totalen Krieges" Anfang 1943 führten
die Nationalsozialisten das Notabitur ein, das es ermöglichte, dass nun
auch Halbwüchsige in den Krieg ziehen konnten.
Kriegsende
Als der Krieg sich schließlich dem Ende zuneigte, waren die Jungen und
jungen Männer erneut verloren. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Sie
waren groß geworden in dem festen Glauben, dass alle bis zum letzten
Mann kämpfen würden um Deutschland zum Sieg zu verhelfen. Und auch
der Sieg stand für sie nicht in Frage. Doch nun mussten sie erleben, dass
Erwachsene kniffen, dass die Soldaten sich ergaben, anstatt bis zum
letzten Mann zu kämpfen - "hart wie Kruppstahl". Und sie griffen selbst
zur Waffe um endlich ihrer Bestimmung nachzugehen. In einer
Verordnung aus dem Jahre 1934 hieß es: "Diese charakteristische
Schulung des jungen Deutschen findet in der HJ ihren äußeren Ausdruck
in seiner freiwilligen Unterordnung, seinem Gehorsam gegenüber seinen
Führern, in seinem Pflichtbewusstsein, seiner Kameradschaftlichkeit,
seiner Liebe zu seinem Führer, seinen Volksgenossen und seinem
Vaterland, in dem jederzeit freiwilligen Einsatz des eigenen Lebens für
die Idee des Nationalsozialismus." Im September 1944 wurde der
Volkssturm gebildet, der zumeist an der "Heimatfront" "bis zum Endsieg"
kämpfen sollte. Vor allem Jugendliche und alte Männer wurden nun in
Schnellkursen ausgebildet um über die anstehende Niederlage
hinwegzutäuschen. Zehntausende von Soldaten starben in diesen letzten
Gefechten, viele von ihnen waren 17 oder 16 Jahre alt oder gar jünger.
Einige überlebten. Das größte alliierte Gefangenenlager für minderjährige
Soldaten beherbergte zehntausend Jungen im Alter zwischen 14 und 16
Jahren.
WEITERFÜHRENDE LINKS
HJ-Dienst: Leibesübungen, Schießen, Geländesport
Die Verordnung aus dem Jahre 1934 beschreibt die Ziele der
nationalsozialistischen Jugendarbeit und gibt Anleitungen zu deren
Durchsetzung.
>> http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/hjverordnung/index.html
(Autorin: Sine Maier-Bode)
(Redaktion: Birgit Keller-Reddemann)
(Stand vom 26.05.2004)
VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
"Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen waren Juden lange Zeit das
schlechthin Andere, das beispielhafte Gegenbild des eigenen Selbst, des
eigenen Kollektivs. Diese Grundhaltung hat die deutsch-jüdische
Geschichte über Jahrhunderte bestimmt - bis heute", so urteilt Dr.
Salomon Korn, Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland. Und:
Mit der Vertreibung und Vernichtung der Juden sei dem kollektiven
Gedächtnis der Deutschen "nicht wirklich etwas verloren" gegangen.
Er spricht von einer "geteilten Erinnerung", die sich bis in die zweite und
dritte Generation von Tätern wie Opfern fortgesetzt hat.
>> Verdrängung ist Ost- und Westdeutschland
>> Persönliche Verdrängung
Verdrängung ist Ost- und Westdeutschland
1945, als die Verbrechen der Deutschen für alle Welt sichtbar wurden
und die Deutschen selbst die Augen nicht mehr verschließen konnten,
schien eine Rückkehr in den Alltag kaum denkbar. Und doch setzte bald
ein
Prozess
der
"Normalisierung",
ein
Weitermachen,
Nachvorwärtsschauen, die Vergangenheit ruhen lassen, ein. Und nicht allzu
lange hat es gedauert, bis die ersten Stimmen laut wurden, "endlich einen
Schlussstrich zu ziehen". Eine Forderung, die bis heute periodisch
wiederkehrt, so vor einigen Jahren aufgestellt vom Schriftsteller Martin
Walser, der die "Auschwitz-Keule" beklagte.
Beschwiegen und verdrängt wurde im öffentlichen wie im privaten Leben.
In Ost wie West. In beiden deutschen Staaten wurden Mitläufer und das
riesige Heer der ehemaligen NSDAP-Mitglieder rasch in die neuen
Gesellschaftsordnungen integriert Und vielfach konnten gar diejenigen,
die schon unter Hitler Karriere gemacht hatten und überzeugte
Nationalsozialisten gewesen waren, erneut in Amt und Würden kommen. In
der jungen Bundesrepublik glaubte man, ohne das Wissen der alten,
belasteten Fachleute sei kein neuer Staat zu machen, sei die Wirtschaft
nicht wiederaufzubauen und hätte man kein Personal für die neue
Bundeswehr, die im Kalten Krieg so dringend gegen die "kommunistische
Gefahr" gebraucht wurde.
Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen verlief schleppend, oft gleich im
Sande. Erst mit den spektakulären Frankfurter Auschwitzprozessen der
Sechziger Jahre, in denen Mitglieder des Lagerpersonals vor dem Richter
standen, begann zögerlich eine Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit.
Persönliche Verdrängung
Auch in den Familien wurde geschwiegen. Die weitergegebenen und
erzählten Erinnerungen an den Nationalsozialismus und den Krieg kreisten
um Themen wie Erfahrungen in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher
Mädel, den Bombenkrieg und die Flucht bei Kriegsende. Erinnerungen an
die Judenverfolgung wurden hingegen eher verdrängt ("wir haben das alles
nicht gewusst"). Manch ein ehemaliger Volksgenosse verschwieg lieber
ganz sein aktives Mittun oder die Tatsache, dass er sich an den
enteigneten Besitztümern der Juden bereichert hatte.
Und so genau wollten es auch die Töchter und Söhne der
Nachkriegsgeneration nicht wissen. Wenngleich seit den Siebziger Jahren
Schulen und andere Bildungseinrichtungen, die Medien und die Forschung
die Kenntnisse über den Holocaust vertieft haben und heute mehr Wissen
über die Zeit des Nationalsozialismus vorhanden ist, so scheuen sich doch
auch heute noch viele, genau nach dem Verhalten der Eltern und
Großeltern zu fragen. Was sich aber heute durchgesetzt hat, ist eine
öffentliche Erinnerungskultur, sind Institutionen, die sich um die deutschjüdische Geschichte kümmern, die über 50 Jahre nach Kriegsende
Zeitzeugen befragen, Zeugnisse und Quellen suchen und die Geschichte
dokumentieren.
(Gabriele Trost)
(Stand vom 30.09.2002)
AUSCHWITZ
Der Name "Auschwitz" steht für die Unmenschlichkeit, die fabrikmäßige
Ermordung von Menschen. Ab 1940 bauen die Nationalsozialisten vor den
Toren der polnischen Stadt Oswiecim ein riesiges Konzentrationslager.
Dieses KZ soll der Schauplatz des organisierten Massenmordes an den
europäischen
Juden
werden.
Nur
die
wenigsten,
die
ins
Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurden, haben überlebt.
>> Die Stadt Auschwitz früher und heute
>> Das Zentrum der Vernichtung
>> Das Leben im Lager
>> Die Befreiung
Die Stadt Auschwitz früher und heute
Auschwitz ist der deutsche Name der polnischen Kleinstadt Oswiecim, die
zwischen Kattowitz und Krakau liegt. Die Stadt hat eine bewegte
Geschichte hinter sich, gehörte mal zu Deutschland, mal zu Österreich,
mal zu Polen. Juden siedelten schon früh in Oswiecim, und die blühende
jüdische Gemeinde prägte über lange Zeit das Leben in der Stadt mit.
Diese Welt ist für immer verloren gegangen. Als Deutschland 1939 Polen
angriff, war die Hälfte der Bevölkerung Oswiecims Juden, heute gibt es in
Oswiecim keine jüdische Gemeinde mehr. Auf dem Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers wurde 1947 auf Initiative überlebender Häftlinge
das "Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau" gegründet. Jährlich kommen
etwa 500.000 Menschen aus über 90 Ländern hierher. Auch wenn die
Deutschen noch kurz vor der Befreiung des Lagers versuchten, alle
Spuren zu verwischen, so sind zahlreiche Beweise und Zeugnisse ihrer
Vernichtungsmaschinerie erhalten geblieben.
Das Zentrum der Vernichtung
Auschwitz war nicht das erste Konzentrationslager, das die Deutschen
errichtet haben. Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg,
Mauthausen und Ravensbrück existieren schon, als 1940 mit dem Bau von
Auschwitz begonnen wird. Jüdische Bewohner aus Oswiecim werden
gezwungen, das Lager aufzubauen. Zunächst ist es als Gefangenenlager
für politische Gegner aus den eroberten Gebieten geplant. Als
Lagerkommandant ernennt Heinrich Himmler den SS-Hauptsturmführer
Rudolf Höß, der vorher schon Blockführer in Dachau und
Schutzhaftlagerführer in Sachsenhausen war. Unter seiner Leitung wird
die Vernichtung der Juden systematisch betrieben. Doch schon lange
bevor
Auschwitz
zum
Massenvernichtungslager
wird,
morden
Einsatzgruppen rücksichtslos Juden, Sinti und Roma sowie Kommunisten.
Millionen von Menschen werden so im Laufe der nächsten Jahre ermordet
oder sterben unter den katastrophalen Bedingungen in den Ghettos und
bei Arbeitseinsätzen.
Seit dem Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 treiben die
Nationalsozialisten die so genannte "Endlösung der Judenfrage" voran.
Auschwitz wird ausgebaut: Ein zweites Lager entsteht im drei Kilometer
entfernten Birkenau. Auschwitz soll das Zentrum der Vernichtung werden.
Insgesamt besteht Auschwitz aus drei Haupt- und über 40 Nebenlagern.
Die ersten Gaskammern werden 1942 gebaut. Etwa 80 Prozent der aus
ganz Europa nach Auschwitz deportierten Menschen wird direkt in die
Gaskammern geschickt. Nur diejenigen, die - so die nationalsozialistische
Sprachregelung - noch "verwertet" werden können, werden aussortiert:
Wer noch arbeiten kann, wird zur Arbeit gezwungen. In den nahe
gelegenen Buna-Werken, beim Bau neuer Strassen, Krematorien oder
Siedlungen sterben die meisten der Arbeiter und Arbeiterinnen innerhalb
weniger Monate unter den katastrophalen Arbeitsbedingungen.
Das Leben im Lager
"Man kann es eigentlich nicht in Worte fassen, denn es dürfte so etwas
nicht geben und niemals gegeben haben," erklärt eine Überlebende zum
Leben im Lager Auschwitz: "Das schlimmste für mich persönlich war die
konstante menschliche Erniedrigung, das, was den Menschen vom Tier
normalerweise unterscheidet – bzw. einem Tier ist es bedeutend besser
gegangen als einem Menschen ... man hat uns einfach wie Dreck und
Ausschuss behandelt." Die Unterkünfte der Häftlinge waren Baracken und
ehemalige Pferdeställe, in die die Menschen gepfercht wurden. Die Enge,
die fehlende Hygiene, Hunger und Kälte führten zu Krankheiten und
Epidemien. Täglich starben Menschen in den Häftlingsunterkünften. Die
Überlebenden waren umgeben von Menschen, die nur noch
dahinvegetierten, von Sterbenden und von Leichen. Wer Schwäche zeigte,
wurde schikaniert und, wenn er nicht von allein starb, zum Sterben
aussortiert.
Viele Häftlinge wurden für Experimente missbraucht: Ärzte, die in
Auschwitz arbeiteten, führten Frauen chemische Mittel ein, um neue
Methoden der Sterilisation zu testen. Die meisten starben daran, die
Überlebenden wurden getötet, um ihre Leichen zu untersuchen.
Zwillingspaare und Menschen mit angeborenen Anomalien wurden
vermessen, Experimenten ausgesetzt und meistens ebenfalls getötet, um
die
toten
Körperteile
weiter
zu
untersuchen
oder
für
Demonstrationszwecke zu konservieren. Ungeachtet dieser Grausamkeiten
führten die Täter in Auschwitz ein geradezu gespenstisch normales
Leben: Das Personal, die Ärzte, die Kommandanten und SS-Bewacher
gingen nach ihrer Arbeit nach Hause zu ihren Familien, um Abendbrot zu
essen und mit den Kindern zu spielen. In der SS-Siedlung gab es ein
Kaffeehaus, ein Schwimmbad, eine Bibliothek, Kindergärten, Schulen und
verschiedene Veranstaltungen zur Unterhaltung der hier lebenden
deutschen SS-Familien. In den Gärten und im Haushalt der Familien
arbeiteten nicht selten KZ-Häftlinge als Gärtner oder Dienstboten.
Die Befreiung
Während der ganzen Jahre versuchte die SS ihr grausames Treiben
geheim zu halten. Als im Juli 1944 sowjetische Truppen das weiter im
Osten gelegene Lager Majdanek befreiten, begann die SS das Lager
Auschwitz aufzulösen. Damals lebten dort etwa 155.000 Menschen. Die
Hälfte von ihnen wurde in andere Lager weiter im Westen gebracht. Auf
den "Todesmärschen" nach Mauthausen, Sachsenhausen, Bergen-Belsen
oder in andere Lager starben die meisten von ihnen. In Auschwitz wurden
erst im November die Vernichtungsaktionen endgültig eingestellt, noch im
Oktober 1944 wurden 40.000 Menschen vergast. Die anderen wurden
gezwungen, die Spuren der Vernichtungsmaschinerie zu beseitigen. Nicht
alles wurde zerstört, brauchbares Material der Krematorien wurde zu
anderen Lagern im Westen transportiert. Mitte Januar 1945 begannen die
letzten Todesmärsche von Auschwitz in Richtung Westen, und auch die
Wachmannschaften verließen nun allmählich das Lager, unter ihnen der für
seine brutalen medizinischen Experimente berüchtigte Josef Mengele. Als
sowjetische Truppen am 27. Januar 1945 Auschwitz befreiten, lebten
dort noch etwa 7000 Häftlinge, viele von ihnen so schwach, dass sie selbst
die Befreiung nicht mehr überlebten.
Holocaust
Ausführliche Informationen zum NS-Völkermord finden Sie auf den
Seiten des Deutschen Historischen Museums.
>> http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/index.html
(Autorin: Sine Maier-Bode)
(Redaktion: Christoph Teves)
(Stand vom 27.01.2005)
9. NOVEMBER 1938
Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938: Überall in Deutschland
werden Synagogen in Brand gesetzt, mehr als 7000 jüdische Geschäfte
und unzählige Wohnungen demoliert und geplündert. Menschen werden
verhaftet, gefoltert und getötet. An den Aktionen beteiligten sich SAund NSDAP-Mitglieder, aber auch Angehörige der Hitler-Jugend (HJ) und
anderer NS-Organisationen. Die nichtjüdische deutsche Bevölkerung
verhielt sich zwar distanziert gegenüber den Aktionen, aber nur wenige
halfen den bedrängten Menschen. Die Juden waren dem Terror meist
schutzlos ausgeliefert.
Die Vorgeschichte
Was die nationalsozialistische Propaganda unter Joseph Goebbels als
spontanen Ausbruch des Volkszorns darzustellen versuchte – als Reaktion
auf die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst vom Rath durch den
17-jährigen Juden Herschel Grünspan am 7. November 1938 – war in
Wirklichkeit eine von langer Hand geplante Aktion. Ausgelöst wurde das
Pogrom durch eine Hetzrede Goebbels auf der Versammlung der
Führerschaft der NSDAP in München, der "Hauptstadt der Bewegung".
Das Treffen fand alljährlich statt, um die "Gefallenen der Bewegung", also
die getöteten Teilnehmer des missglückten Hitlerputsches vom
9.November 1923, pompös zu ehren. Unmittelbar nach der Rede gaben die
anwesenden Parteifunktionäre ihren Dienststellen die Anweisungen zu den
Ausschreitungen, wobei nach außen hin die Partei nicht als Urheber der
Demonstrationen in Erscheinung treten sollte.
Höhepunkt und doch nur Vorbote
Die Reichspogromnacht, die damals wegen der vielen Fensterscheiben, die
zu Bruch gehen, Reichskristallnacht genannt wurde, schien der Höhepunkt
des Antisemitismus, der Ausgrenzung und Demütigung der jüdischen
Bevölkerung in Nazi-Deutschland zu sein. Und doch war sie "lediglich" ein
Vorbote dessen, was kommen sollte: des Holocausts, der systematischen,
millionenfachen Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas.
(Gabriele Trost)
(Stand vom 30.09.2002)
20. JULI 1944 - DAS ATTENTAT
Am 20. Juli 1944 versuchte eine Handvoll deutscher Offiziere, Hitler
durch einen Staatsstreich zu beseitigen. Geplant war ein
Sprengstoffanschlag während einer Besprechung in der "Wolfsschanze",
Hitlers Hauptquartier. Doch der Staatsstreich scheiterte. Hitler wurde
nur leicht verletzt. Die Attentäter bezahlten die Tat dagegen mit ihrem
Leben. Der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Mann, der
gegen Hitler aufgestanden war und ihn beinahe beseitigt hätte, ist zur
Symbolfigur des deutschen Widerstands geworden.
>> Attentat auf Hitler
>> Stauffenberg leitet den Staatsstreich
>> Operation Walküre
>> Aufstand der Offiziere
>> Vernichtung des Widerstands
>> Bilanz des Schreckens
Attentat auf Hitler
20. Juli 1944, 12h42: Rastenburg, Ostpreußen. In der Wolfsschanze, dem
streng abgeriegelten Führerhauptquartier beugt sich Adolf Hitler
während einer Lagebesprechung über den schweren Eichentisch. Um ihn
herum stehen mehre Generäle. Gemeinsam beraten sie das weitere
militärische Vorgehen an der Ostfront. Plötzlich erschüttert eine
ohrenbetäubende Explosion die Lagebaracke. Durch die Druckwelle stürzt
die Decke ein, der schwere Tisch wird regelrecht in die Luft gehoben.
Fast alle der ins Freie wankenden Männer sind leicht oder schwer
verwundet. Vier Männer sterben.
Stauffenberg leitet den Staatsstreich
Zwei Männer fahren an der zerstörten Baracke vorbei: Oberst Claus Graf
Schenk von Stauffenberg und sein Adjutant Werner von Haeften. Sie
sehen das Chaos, die Verwundeten. Sie sind die einzigen, die wissen was
vor sich geht. Denn Stauffenberg hat soeben versucht mit einer Bombe
Adolf Hitler zu töten.
Im sicheren Glauben, dass Hitler der Explosion zum Opfer gefallen ist,
gelingt es ihnen die Sperrkreise der Wolfsschanze zu verlassen, obwohl
der Alarm schon ausgelöst ist. Obwohl Stauffenberg während des
Afrikafeldzuges 1943 schwer verwundet wurde - er besitzt nur noch ein
Auge und eine Hand mit drei Fingern - hat er ein Attentat auf Hitler
verübt. Ziel des Anschlags ist es, Deutschland vom Joch des
Nationalsozialismus zu befreien. Stauffenberg, dem Titel nach Chef des
Generalstabs beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, gehört zu den
wenigen
Offizieren,
die
an
den
Lagebesprechungen
im
Führerhauptquartier teilnehmen dürfen. In einer Aktentasche hatte
Stauffenberg eine präparierte Bombe in die Baracke geschmuggelt und
dort unter dem Tisch, möglichst nahe bei Hitler abgestellt. Daraufhin
verließ er unauffällig die Lagebaracke um der drohenden Explosion zu
entgehen.
Stauffenberg wird in Berlin noch gebraucht. Dort soll unter seiner Leitung
die Operation "Walküre" starten, der zweite Teil des Attentats mit dem
Ziel das Deutsche Reich von der Herrschaft der Nazis zu befreien.
Was Stauffenberg nicht weiß: Der "Führer" lebt. Hitler, der sich eben
noch über die Tischplatte gelehnt hat, wird durch die Wucht der
Explosion nur leicht nach oben geschleudert. Der schwere Tisch rettet
ihm das Leben. Seine Trommelfelle sind geplatzt, er trägt Prellungen und
einige wenige Verbrennungen davon.
Operation Walküre
Unmittelbar nach dem Attentat sind Stauffenberg und von Haeften auf
dem Rückflug nach Berlin. Dort befindet sich in der Bendlerstraße, dem
Sitz des Allgemeinen Heeresamtes, das militärische Zentrum der
Verschwörung. Plan der Verschwörer ist es, den Staatsstreich mit der
Operation "Walküre" zu tarnen. Ursprünglich war der "Walküre"-Plan dazu
gedacht, im Falle innerer Unruhen das in der Heimat stehende Heer zu
mobilisieren. Doch die führenden Köpfe des militärischen Widerstands
haben im Bendlerblock die Operation "Walküre" modifiziert. Nun soll das
machtvolle Instrument Operation "Walküre" dazu genutzt werden, den
Nationalsozialisten die Macht zu entreißen.
Zu Beginn des Staatsstreichs steht der Anschlag auf Hitler. Nach Hitlers
Ableben wären die Soldaten der Wehrmacht vom Eid auf den "Führer"
entbunden. Das Attentat wollen die Verschwörer als innerparteilichen
Machtkampf der SS, SD und Gestapo in die Schuhe schieben. Mit
Auslösung der Operation "Walküre" sollen daraufhin in der Heimat
stehende Verbände der Wehrmacht innerhalb von 36 Stunden die
vollziehende Gewalt im Staat übernehmen. Die Wehrmacht soll die
Institutionen der NS-Diktatur, Partei, Regierung, Gestapo und SSVerbände nach und nach ausschalten und Deutschland zu einer politischen
Neuordnung verhelfen.
Aufstand der Offiziere
Noch während Stauffenberg das Flugzeug zurück nach Berlin besteigt,
informiert der in die Verschwörung eingeweihte General Fellgiebel von der
Wolfsschanze aus die in Berlin wartenden Verschwörer, dass Hitler
überlebt habe. Unsicher geworden, unternehmen die in Berlin wartenden
Beteiligten keine weiteren Schritte zur Operation "Walküre".
Stauffenberg landet in Berlin-Rangsdorf gegen 15.45 und übermittelt
General Olbricht telefonisch den Tod Hitlers. Dabei ererfährt er, dass
wertvolle Stunden vergangen sind, ohne dass der Staatsstreich
vorangetrieben wurde.Als er um 16.30 im Bendlerblock eintrifft, sind
schließlich durch das beherzte Vorgehen Albrecht Mertz von Quirnheims
Teile der Operation "Walküre" doch noch in Gang gekommen.
Stauffenberg gelingt es, mit Hilfe der Mitverschwörer Generaloberst
Friedrich Fromm, den Befehlshaber des Ersatzheeres, festzunehmen.
Von nun an beginnt Stauffenberg mit Hilfe der am Staatsreich beteiligten
Offiziere bis um 22.30 ein aussichtsloses Rennen gegen die Zeit. Mit einer
Lawine von Fernschreiben und Telefonaten versuchen sie die Operation
"Walküre" durchzuführen und Wehrkreise im Deutschen Reich und den
besetzen Gebieten zum Staatstreich zu bewegen. Doch bis um 19.00 Uhr
sind der Rundfunk, die Reichskanzlei, das Reichspropagandaministerium
und das Reichssicherheitshauptamt immer noch nicht besetzt.
Fatalerweise wird im Rundfunk bereits mehrfach vom fehlgeschlagenen
Attentat auf Hitler berichtet. Am Abend entgleitet den Verschwörern die
Operation endgültig aus den Händen. Ihre Befehle werden kaum mehr
befolgt, die ersten Gegenbefehle aus der Wolfsschanze dringen durch.
Major Remer, glühender Nationalsozialist und Kommandeur des Berliner
Wachbataillons, will sich von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels
den angeblichen Tod des "Führers" bestätigen lassen. Goebbels erkennt
sofort die Chance und stellt ein Blitzgespräch zwischen Remer und Hitler
persönlich her. Hitler befördert Remer auf der Stelle durchs Telefon zum
Oberst und befiehlt ihm mit seinen Truppen den Putsch niederzuschlagen.
Gegen 22.40 belagert Remers Wachbataillon den Gebäudekomplex der
Bendlerstraße. Die Verschwörer sind eingeschlossen, der Staatsstreich ist
gescheitert.
Vernichtung des Widerstands
Mit unvorstellbarer Grausamkeit übt das nationalsozialistische Regime
Vergeltung an den Verschwörern. General Ludwig Beck, der nach dem
Putsch das neue Staatsoberhaupt werden sollte, wird am selben Abend in
den Selbstmord getrieben. Um Mitternacht werden im Hof des
Bendlerblocks Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Werner von Haeften,
Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht im
Scheinwerferlicht der Wehrmachtsfahrzeuge standrechtlich erschossen.
An der Ostfront nimmt sich der Mitverschwörer Henning von Tresckow
einen Tag später mit einer Handgranate das Leben. Die übrigen
Verschwörer werden fast ausnahmslos festgenommen, tagelang verhört
und gefoltert. Eine Welle der Verfolgung setzt ein, die den militärischen
und zivilen Widerstand gegen das Regime endgültig bricht.
Ziel der Nationalsozialisten ist es, die Widerständler nicht nur zu
beseitigen, sondern sie bis in den Tod zu demütigen und jedes Andenken
an sie zu vernichten. In einem beispiellosen Schauprozess werden die
Männer des militärischen Widerstands vor dem Volksgerichtshof einzeln
vorgeführt und des Hochverrats bezichtigt. Der berüchtigte vorsitzende
Richter Roland Freisler schreit ihnen die vorher festgelegten
Todesurteile förmlich ins Gesicht. Oft werden die Todesurteile nur
wenige Stunden nach der Verkündung vollstreckt. Hitler will die Männer
"wie Schlachtvieh aufgehängt" sehen. In der Hinrichtungsstätte
Plötzensee werden die Verschwörer und Mitlieder des Widerstands in
Drahtschlingen langsam erhängt.
Ihre Familien fallen der Sippenhaft zum Opfer. Zwei Wochen nach dem
Stauffenberg-Attentat kündigt Himmler auf der Gauleitertagung in Posen
an, er werde "eine absolute Sippenhaftung einführen... Sie brauchen bloß
die germanischen Sagas nachzulesen.Wenn... eine Blutrache in einer
Familie war, dann war man maßlos konsequent. Wenn die Familie vogelfrei
erklärt wird und in Acht und Bann getan wird, sagten sie: Dieser Mann hat
Verrat geübt, das Blut ist schlecht, da ist Verräterblut drin, das wird
ausgerottet. Und bei der Blutrache wurde ausgerottet bis zum letzten
Glied in der ganzen Sippe. Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht
werden bis ins letzte Glied." Doch das nahende Ende des Krieges
verhindert die Pläne der kollektiven Auslöschung durch das NS-Regime.
Die meisten Angehörigen der Verschwörer überleben.
Bilanz des Schreckens
Die Bilanz des gescheiterten Attentats lässt sich in ihrer Tragweite kaum
beziffern. Nach dem 20. Juli 1944 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs
sterben fast ebenso viele Menschen wie in den ganzen Kriegsjahren zuvor.
Die letzte Gelegenheit dem Morden in Konzentrations- und
Vernichtungslagern, dem Sterben an den Fronten, der Zerstörung durch
Bombenangriffe und den großen Fluchtbewegungen Einhalt zu gebieten,
war gescheitert. Himmler gelangte erst durch den 20. Juli 1944 auf den
absoluten Höhepunkt seiner Macht, als er einen Tag nach dem Attentat
zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt wurde. Hitler wurde wie nie
zuvor, als von der Vorhersehung begünstigt, eine fast kultische Verehrung
zuteil. Doch dem Triumph der Nationalsozialisten zum Trotz war durch
das Attentat des 20. Juli sichtbar geworden, dass es im Dritten Reich
noch Vertreter eines anderen, nicht gleichgeschalteten Deutschland gab.
(Gregor Delvaux de Fenffe)
(Stand vom 14.06.2004)
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