© Foto: corbis WISSEN MARKENFÜHRUNG Die Kreise der Communities Starke Beziehungen: Gemeinsame Konsumerlebnisse in Brand Communities erzeugen Loyalität. Brand Communities sind wie konzentrische Kreise: Innen im Kern eine Gemeinschaft mit extrem hoher Markenbindung, die nach außen hin von Kreis zu Kreis abnimmt. Mit dieser Differenzierung lässt sich ein großes Absatzpotenzial erschließen. von Kai-Uwe Hellmann und Peter Kenning E gal, ob online oder offline, überall wird über die wachsende Verbreitung und Bedeutung von Brand Communities berichtet. Dabei richten sich die Betrachtungen vorwiegend auf die Mitglieder von Clubs im Zentrum dieser Gemeinschaften. Solche Clubs wie die „Harley Owners Group“ (H.O.G.) oder der „Porsche Club Deutschland“ (PCD) sind formal organisiert und werden von den jeweiligen Unternehmen geführt oder unterstützt. Wer will, kann dort regulär Mitglied werden, erhält eine Kundennummer und Zugang zum Netzwerk, wird regelmäßig mit Informationen 40 versorgt und fortlaufend zum Mitmachen aufgefordert. Die Datenbasis solcher Clubs ist ausgezeichnet und die Wahrscheinlichkeit, dass man auf aktive und mitteilsame Mitglieder trifft, sehr hoch. Was hierbei jedoch ein wenig aus dem Blick gerät, ist die Vielfalt dessen, was eine solche Gemeinschaft sonst noch ausmacht, bis hin zur Peripherie der Communities und darüber hinaus. Diese Bereiche sind nämlich nicht minder interessant und relevant. So funktioniert kein Zentrum ohne Peripherie und keine Gemeinschaft ohne Einbettung in die Gesellschaft. Erst wenn die Wechselwir- kung zwischen Zentrum und Peripherie und – darüber hinaus – zwischen Innenund Außenleben einer solchen Gemeinschaftsform untersucht werden, besteht eine reelle Chance, die ökonomische Relevanz dieses Phänomens insgesamt zu ermessen und nutzbar zu machen. DAS INNENLEBEN DER COMMUNITIES Wendet man sich nur dem Innenleben solcher Communities zu, kann man von konzentrischen Kreisen ausgehen, die sich vom Zentrum aus in Richtung Peripherie erstrecken. Theoretisch lässt sich absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 5/2007 zwar nicht vorhersagen, ob es tatsächlich solche Kreise gibt, wie viele es sind und welche Schwellenwerte sie jeweils aufweisen. Dies ist empirischer Forschung überlassen. Aufgrund vergleichbarer Vorstudien ist es jedoch plausibel, davon auszugehen, dass sich die Bindungswahrscheinlichkeit von der Peripherie bis zum Zentrum von minimaler auf maximale Größe erhöht. Ausgehend von Studien aus der Bewegungsforschung können Brand Communities idealtypisch in fünf Kreise aufgeteilt werden (siehe Abbildung). COMMUNITY-GRÖSSE MESSBAR GEMACHT Dieses aus fünf konzentrischen Kreisen bestehende Modell einer Brand Community lässt sich in eine Reihe von Fragen zur Ermittlung der jeweiligen Position einzelner Personen innerhalb solcher Communities übersetzen. Durch die negative Selektion der „drop-outs“, also jener Personen, deren Einstellungen und Verhalten nicht den Anforderungen eines bestimmten Kreises entsprechen, kann man messen, wie viele Personen jeder dieser Kreise innerhalb einer bestimmten Community statistisch umfasst. In der Tabelle sind die den jeweiligen Stufen zugehörigen Identifizierungsfragen aufgeführt. In einer explorativen Studie bei 80 Community-Mitgliedern konnte die Validität der einzelnen Konstrukte und Indikatoren belegt werden. Darüber hinaus wurden die Antworten genutzt, um die zwischen den Stufen bestehenden Drop-Out-Quoten erstmalig abschätzen zu können. Hierzu wurde der Fragebogen für zwei Markengruppen und deren Communities konkretisiert, und zwar für Auto- und Medienmarken. Die Grafik (in nebenstehendem Kasten links unten) zeigt die für diese Markenarten erhobenen Drop-Outs zwischen den einzelnen Stufen. Es ist deutlich erkennbar, dass die zur erfolgreichen Bildung einer Brand Community kritische Phase im Übergang zwischen der ersten und der zweiten Stufe liegt. In der Studie lag der Drop-Out an dieser Schwelle bei 67,5 Prozent. Daran zeigt sich, dass die in diesen Branchen vertretenen Marken noch ein erhebliches Potenzial zur Community-Bildung aufweisen. Insbesondere 5/2007 absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing BRAND COMMUNITY-MODELL r und Intere Neugie d Infor sse mation che un nssu wechselseitige sausta o i t usc d Hi l f e ma e un h fo r r ä c h a t i o n u n d Z u g e h ö r i g k n I p tif ik e d W n s i u e rtbi n nt dun t G e den a g em e I g g En Quelle: Hellmann, Kai-Uwe/Kenning, Peter 1. Kreis: Neugier und Interesse. An der Peripherie von Brand Communities trifft man auf Personen, die über eine bestimmte Brand Community Bescheid wissen, neugierig sind und mehr darüber erfahren wollen. Sie bekunden sogar Interesse, möglicherweise Mitglied zu werden, haben bislang aber noch keinerlei Eigeninitiative gezeigt. 2. Kreis: Informationssuche und Informationsaustausch. Der nächste Kreis von Personen unternimmt schon erste Anstrengungen, um über eine bestimmte Brand Community mehr zu erfahren. Dabei recherchieren die Personen nicht nur nach geeigneten Informationen, sondern suchen auch Kontakt zu anderen, die möglicherweise Bescheid wissen und ähnliche Interessen verfolgen. Dadurch weist schon diese Phase eine rudimentäre Community-Qualität auf. 3. Kreis: Gespräche und wechselseitige Hilfe. Die Personen im dritten Kreis suchen offen das Gespräch mit gleich Gesinnten, ohne formales Mitglied eines CommunityClubs zu sein. Sie tauschen erste Erfahrungen aus, erzählen Geschichten und diskutieren Gemeinsamkeiten. Im Falle technischer Probleme bieten sie sich wechselseitig Hilfe an, sofern eine entsprechende Expertise verfügbar ist. 4. Kreis: Identifikation und Zugehörigkeit. Kurz vorm Zentrum einer Brand Community kommen Personen zusammen, die eine proaktive Identifikation mit der jeweiligen Community zum Ausdruck bringen. Dabei bedienen sie sich immer stärker der „Wir“Form und äußern sowie erleben auch deutliche Zusammengehörigkeitsgefühle. Von diesem Punkt an tritt das Individuum immer stärker hinter die Gemeinschaft zurück. 5. Kreis: Engagement und Wertbindung. Für die Personen im Zentrum besitzt die Mitgliedschaft in dieser Community einen sehr hohen Stellenwert für ihre gesamte Lebensführung. Sie verbringen sehr viel Zeit in und mit ihrer Community, fühlen sich für sie und andere Mitglieder persönlich verantwortlich, setzen sich für sie ein, engagieren sich überdurchProzent der Befragten, die diesem Kreis angehören schnittlich stark und investieren dafür viel 120 soziales Kapital, Geld -67,5% und andere Ressourcen. 100 Dadurch werden sie zu 100 vorbildlichen Repräsentanten, Meinungsführern 80 und Multiplikatoren ihrer Community. 60 -8,75% 40 32,5 20 0 -2,50% 23,75 21,75 -7,50% 13,75 1 2 3 4 Befragte = 80, diverse Automobil- und Medienmarken 5 Lesebeispiel: Von den 80 befragten Personen, die dem peripheren Kreis „Neugier und Interesse“ zuzurechnen sind, lassen sich 32,5 Prozent dem zweiten Kreis der Informationssuchenden und -austauschenden zuordnen (Drop-out 67,5 Prozent). 41 WISSEN MARKENFÜHRUNG mangelt es offensichtlich an erfolgreichen Methoden, die grundsätzlich im Markenpublikum vorhandene Motivation zur Community-Bildung in entsprechende Handlungen zu überführen. „HERZ“ UND „RESERVEARMEE“ Wie die Auswertung weiter zeigt, nimmt die Zahl der Personen jeweils deutlich ab, je mehr man sich dem Zentrum einer Brand Community annähert. Das Zentrum jeder Gemeinschaft stellt dabei zweifelsohne eine unverzichtbare Bezugsgröße für das Gesamtphänomen dar. Es ist gewissermaßen das „Herz“ der Gemeinschaft, indem es die ständige Zirkulation von Informationen über die Marke, das Unternehmen, die Community, alle Arten von Neuerungen, Veranstaltungen und anderen Events am Laufen hält. Dennoch spielen auch die äußeren Kreise eine wichtige Rolle für das Innenleben einer Community. So weisen gerade Brand Communities eine hohe Fluktuation und Dynamik auf, selbst im Zentrum. Deshalb kommt der Peripherie oftmals die Funktion zu, gleichsam eine „Reservearmee“ von Nachrückern bereitzuhalten, die freiwerdende Plätze im Inneren der Community unverzüglich einnehmen können. Darüber hinaus stellt jeder Kreis einer Community eine selbstständige Zielgruppe dar, mit eigener Kaufkraft, Motivund Interessenlage. Zwar dürfte das individuelle Kapital, das die Mitglieder in ihre Marke investieren, von der Peripherie zum Zentrum deutlich zunehmen. Dafür nimmt aber auch die Zahl der Mitglieder drastisch ab. Multipliziert man nun das investierte Kapital pro Person (IK) mit der Mitgliederzahl (MZ), errechnet sich daraus der „Brand Community Equity“ (Markengemeinschaftswert), der für jeden Kreis – sehr vereinfacht ausgedrückt – eine Art von Gleichverteilung ergeben könnte. Die Zielstellung des Markenmanagements wäre demnach nicht bloß darin zu sehen, die engere Brand Community zu vergrößern, sondern den (erweiterten) Markengemeinschaftswert unter Berücksichtigung der entstehenden Kosten zu optimieren. Damit soll verdeutlicht werden, dass es absatzwirtschaftlich nicht sinnvoll sein kann, die Aufmerksamkeit des Brand Managements ausschließlich auf das Zentrum einer Community zu richten. Auch das übrige Innenleben einer solchen Gemeinschaft ist in Rechnung zu stellen, und man sollte sich bewusst machen, was eine solche Community in ihrer Gesamtheit ausmacht. EINBINDUNG IN DAS MARKENCONTROLLING Ein wesentlicher Faktor für den erfolgreichen Aufbau einer Brand Community ist die entsprechende Verankerung des Brand Community Managements in das Markenmanagement. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei die Entwicklung und Etablierung spezifischer Kennzahlen, die integraler Bestandteil des Markencontrollings sein WAS DIE COMMUNITIY-STUFEN UNTERSCHEIDET Construct Item 1. Kreis: Neugier und Interesse Ich habe ein besonderes Interesse am Kontakt mit Personen, die meine „Lieblingsmarke“ fahren. Ich bin sehr neugierig auf Gedankenaustausch, Gespräche, Aktionen mit anderen, die diese Marke fahren. Wenn es einen „Lieblingsmarken“-Club gäbe, würde ich gerne mehr darüber erfahren. Wenn es einen „Lieblingsmarken“-Club gäbe, könnte ich mir eine Mitgliedschaft gut vorstellen. 2. Kreis: Informationssuche und Informationsaustausch Ich informiere mich regelmäßig über das, was meine Lieblingsmarke betrifft, wie Innovationen, Aktionen, Traditionen. Oftmals informiere ich mich bei anderen Fahrern dieser Marke über deren Erfahrungen mit ihrem Fahrzeug. Ich gebe mein technisches und fahrerisches Wissen und Können, das ich hinsichtlich meiner Lieblingsmarke über Jahre hinweg erworben habe, sehr gerne an andere Fahrer weiter. Ich habe mich schon öfters und intensiv darüber informiert, ob und welche Freundes- beziehungsweise Fankreise es von Fahrern meiner Lieblingsmarke gibt. 3. Kreis: Gespräche und wechselseitige Hilfe Ich suche öfter das Gespräch mit andern, die meine Lieblingsmarke fahren, um mich darüber auszutauschen. Wenn es zum Beispiel einen Stau gibt, lasse ich Fahrer dieser Marke besonders gerne in meine Spur wechseln. Ich helfe anderen, die diese Marke fahren, gerne und bereitwillig bei Pannen, Reparaturen, Problemen mit deren Autos. Ich empfinde eine besondere Solidarität gegenüber anderen Fahrern dieser Marke. 4. Kreis: Identifikation und Zugehörigkeit Ich fühle mich sehr verbunden mit anderen Fahrern meiner Lieblingsmarke. Andere Fahrer dieser Marke und ich teilen die gleichen Interessen. Die Freundschaften, die ich mit anderen Fahrern dieser Marke unterhalte, bedeuten mir sehr viel. Wenn andere Fahrer dieser Marke etwas untereinander planen, neige ich eher dazu, von einem „Wir tun das“ als von einem „Die tun das“ zu sprechen. Ich sehe mich als einen Teil der Gruppe jener, die diese Marke fahren. 5. Kreis: Engagement und Wertbindung Ich habe konkrete Vorteile davon, dass ich mich an die Regeln halte, die in dieser Gruppe von Fahrern gelten, die meine Lieblingsmarke fahren. Ich bin sehr motiviert, an den Aktivitäten dieser Gruppe von Fahrern teilzunehmen, die diese Marke fahren, weil ich mich dadurch besser fühle. Ich bin sehr motiviert, an den Aktivitäten dieser Gruppe von Fahrern teilzunehmen, die meine Lieblingsmarke fahren, weil ich dadurch andere Mitglieder dieser Gruppe unterstützen kann. Ich bin sehr motiviert, an den Aktivitäten dieser Gruppe von Fahrern teilzunehmen, die diese Marke fahren, weil ich dadurch persönliche Ziele (besser) erreichen kann. Quelle: Hellmann, Kai-Uwe/Kenning, Peter 42 absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 5/2007 sollten. Mit Blick auf das hier vorgestellte Modell ist es sinnvoll, neben dem bereits erwähnten Brand Community Equity auch die „Verkernung“ der Community regelmäßig zu erheben. Die entsprechende Kennzahl („Markenverkernung“) wird als Quote derjenigen definiert, die den innersten Kern einer bestimmten Brand Community erreicht haben, im Verhältnis zur Gesamtzahl aller, die zur Community gezählt werden können. Entsprechend ergibt sich für die erhobenen Auto- und Mediamarken eine Markenverkernung von 13,75 Prozent. DAS MANAGEMENT VON BRAND COMMUNITY COMMITMENT Hinsichtlich der Konsequenzen für das Markenmanagement ist davon auszugehen, dass die Population jedes einzelnen Kreises gesondert angesprochen werden muss. Beim ersten Kreis gilt es, die vorhandene Neugierde auf das CommunityLeben zu befriedigen, indem über konkrete Events der Community berichtet wird, möglichst breit gestreut. Beim zweiten Kreis ist das Informationsbedürfnisschonrechtausgeprägt.Hierbedarf es vielfältiger Informationsangebote, medial gut erreichbar, die sehr konkret über das Innenleben der Community berichten und schon die Möglichkeit einer Mitgliedschaft kommunizieren. Beim dritten Kreis geht es um Chancen, an der Kultur der Community aktiv teilnehmen zu können, auch wenn man noch kein formales Mitglied ist. Kurzabos von Clubmagazinen und Fanzines oder Repräsentanten des Clubs ansprechen zu können gehören ebenso dazu wie Chatroom-Zugang und mehrmalige Besuche von Community-Treffen. Spätestens beim vierten Kreis geht es dann um die formale Club-Mitgliedschaft, verbunden mit speziellen Initiationsriten („Vereidigung“, „Taufe“), der Übergabe von Mitgliedschaftsemblemen (Urkunde, Abzeichen) und dergleichen mehr. Der fünfte Kreis zeichnet sich durch weitgehende Autonomie aus, hier sollte das Management direkt mit den Club-Organisatoren kooperieren und nichts ohne Abstimmung mit diesen unternehmen. Brand Communities werden derzeit intensiv und zu Recht als innovatives 5/2007 absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing LITERATUR Algesheimer, René/Dholakia, Utpal/Herrmann, Andreas (2005): The Social Influence of Brand Community: Evidence from European Car Clubs. In: Journal of Marketing, Vol. 69, S. 19–34. Fournier, Susan M./Schögel, Marcus/Sele, Kathrin (2005): The Paradox of Brand Community Management. In: Thexis, S. 16–20. Loewenfeld, Fabian von (2006): Brand Communities. Erfolgsfaktoren und ökonomische Relevanz von Markengemeinschaften. Luedicke, Marius K. (2006): Brand Community Under Fire: The Role of Social Environments for the Hummer Brand Community. In: Advances in Consumer Research, Vol. 33, S. 486–493. Muniz, Jr., Albert M./O’Guinn, Thomas C. (2001): Brand Community. In: Journal of Consumer Research, Vol. 27, S. 412–432. Instrument der Markenführung diskutiert. So haben Studien gezeigt, dass Brand-Community-Mitglieder deutlich loyaler sind und die Marke viel häufiger weiter empfehlen als Nicht-Mitglieder. Oftmals wird diese Diskussion jedoch verengt geführt, weil die außerhalb des Community-Kerns bestehenden Potenziale vernachlässigt werden. Aus absatzwirtschaftlicher Perspektive erscheint es sinnvoll, diese „0/1“-Betrachtung zu differenzieren und so den verschiedenen Motivationslagen einer erweiterten Brand Community Rechnung zu tragen. Die explorative Studie zeigt, dass durch diese Differenzierung erhebliche Potenziale erkannt werden können, die durch die Markenführung genutzt werden sollten. Dr. Kai-Uwe Hellmann ist Privatdozent am Institut für Soziologie der TU Berlin und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Konsum- und Markenforschung (IKM) in Berlin. Dr. Peter Kenning ist Privatdozent am Marketing Centrum Münster der Universität Münster sowie Geschäftsführer des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing. Kontakte: [email protected] [email protected] 43