NEWSLETTER AUGUST 2016 vernetzt Sie mit Experten Foto: Gunther Willinger HIV und Hepatitis C – viel zu oft unentdeckt! Wer muss wann getestet werden? Prof. Dr. Johannes Bogner in Kooperation mit dem InXFo-Team (Patrick Braun, Leonie Meemken, Eva Wolf) Sowohl bei der HIV-Infektion wie auch bei der Hepatitis C ist über erhebliche therapeutische Fortschritte der letzten Jahre zu berichten. Für beide Erkrankungen gibt es allerdings leider eine Dunkelziffer von Personen, bei denen die Infektion noch nicht bekannt ist. Bei der HIV-Infektion ist es wichtig, die Diagnose rechtzeitig zu stellen, um die Zerstörung des Immunsystems zu verhindern bzw. aufzuhalten, um Folgekrankheiten zu vermeiden, um eine normale Lebenserwartung zu ermöglichen und natürlich um eine Weitergabe des Virus zu verhindern. Bei der chronischen Hepatitis C geht es darum, das Fortschreiten bis zu Fibrose, Zirrhose, Leberkarzinom und anderen schwerwiegenden Folgeerkrankungen der Hepatitis C-Infektion zu verhindern und die Hepatitis zur Ausheilung zu bringen. Hierdurch wird auch die Infektionskette abgebrochen. Um die Test- bzw. Diagnoserate für beide Erkrankungen zu erhöhen, ist es notwendig, dass möglichst viele Hausärzte, Gynäkologen, Zahnärzte und andere Fachärzte die Warnzeichen unschwer erkennen können, indirekte Hinweise ernst nehmen und die Motivation von Patienten und Angehörigen für ihr Verantwortungsbewusstsein fördern. HIV-Infektion Die Wahrscheinlichkeit, dass man in Deutschland auf einen HIV-infizierten Patienten trifft beträgt im statistischen Mittel etwa 1 zu 1000. Bei einer geschätzten Prävalenz von etwa 85.000 Menschen, die in Deutschland mit einer HIV-Infektion leben (Zahlen des Robert Koch Instituts, Stand Ende 2014) errechnet sich diese Zahl bezogen auf die Einwohnerzahl. Pro Jahr werden aktuell etwa 3500 neue HIV Diagnosen gestellt. Hauptbetroffenen-Gruppe Bei neu diagnostizierten Patienten mit Angaben zum Übertragungsmodus und Infektionsort handelt es sich zu etwa 70% um Männer, die Sex mit Männern haben, und zu etwa 18,5% um heterosexuelle Männer und Frauen; der Infektionsort ist mit über 85% in Deutschland (Stand Ende 2014, Robert Koch-Institut, Epidemilogisches Bulletin Nr. 45). Es sei nochmals daran erinnert, dass jeder Schwangeren ein HIV-Test aktiv zu empfehlen ist. Auch bei Patienten mit klar erkennbarer Risikoanamnese wie z.B. Drogenabusus sollte ein Test durchgeführt werden. Bei Patienten, die aus Hochprävalenzländern (z.B. Subsahara-Afrika) eingereist sind (Flüchtlinge, Migranten) sollte ein Test angeregt werden. Klinische Warnlampen (klinische Symptome und Befunde) Bei den „Warnlampen“ sei daran erinnert, dass ein Mononukleose-artiges Krankheitsbild bei Zustand nach einem ungeschützten Risiko-Kontakt immer auch eine akute HIV-Infektion sein kann. Dies trifft auch für die B-Symptomatik (Trias aus Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Fieber), die Thrombozytopenie, eine Lympho-Monozytose im Differentialblutbild und eine Erhöhung des Gesamt-Eiweißes mit Hypergammaglobulinämie zu. Insbesondere bei nachfolgenden Befunden ist ein HIV-Antikörpertest indiziert: Die orale Haar– Leukoplakie (Abbildung 1), der Mundsoor (Abbildung 2), der Herpes Zoster und das Kaposi–Sarkom der Haut (Abbildung 3). Darüber hinaus gibt es einige „Warndiagnosen“, die auf das Bestehen einer HIV-Infektion hinweisen können: Zum Beispiel bei der neu aufgetretenen Psoriasis oder seborrhoischen Dermatitis. Ein Drittel aller HIV-Diagnosen findet bei so genannten „Late-Presentern" statt. Es handelt sich um Patienten mit einem schweren Immundefekt. Entsprechend sollte bei Patienten mit nachfolgenden opportunistischen Infektionen auch an InXFo – Interdisziplinäres Expertenforum HIV/Hepatitis Registrieren Sie sich kostenfrei unter www.inxfo.de einen HIV-Test gedacht werden. Hier sind am häufigsten die Pneumozystis jiroveci-Pneumonie, die Soor-Ösophagitis und die zerebrale Toxoplasmose. Es kommen aber auch typische und atypische Mykobakteriosen vor. Es versteht sich von selbst, dass bei einem Nachweis von anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) ein HIV-Test indiziert ist. Bei Verdacht auf eine HIV-Infektion wird in Deutschland ein serologischer Suchtest durchgeführt. Hierfür sollten nur kombinierte Assays der 4. Generation verwendet werden, die sowohl HIV-Antikörper als auch das HIV-1 spezifische p24-Antigen detektieren. Ausführliche Informationen zur HIV-Such- und Bestätigungsdiagnostik sind im „Bundesgesundheitsblatt 2015; 58:877-886“ beschrieben. Die Motivation zum HIV-Test ergibt sich aus der hervorragenden Behandlungsmöglichkeit der HIV-Infektion mit hochwirksamen und meist gut verträglichen antiretroviralen Substanzen. Damit wird in den Schwerpunkt-Behandlungszentren bei mehr als 90–95% der Behandelten das Therapieziel einer nicht nachweisbaren Viruslast bzw. Viruslast <50 Kopien/ml erreicht. Rechtlicher Hinweis: Eine Testung auf HIV bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Patienten. Informationen zum Thema HIVInfektion • www.dagnae.de • www.daignet.de • www.rki.de • www.aidshilfe.de Primärprävention • Die allgemein gültigen Hygieneregeln sind vollkommen ausreichend •Anlegen von Schutzhandschuhen •Kein Zurückstecken von Schutzkappen auf benutzte Kanülen •Verwendung bruch- und durchstich sicherer Entsorgungsbehälter für gebrauchte Kanülen •Verwendung eines geeigneten Augenschutzes Sekundärpävention: •Spülen/Desinfizieren der betroffenen Wunde •Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach HIV-Exposition Medikamentöse PEP so schnell wie möglich. Hierzu ist am wichtigsten, herauszufinden, ob es sich tatsächlich um eine HIV-Exposition gehandelt hat. Nur wenn anamnestisch oder durch Vorberichte klar ist, dass eine nachgewiesene oder wahrscheinliche virämische HIV Infektion bei der Indexperson vorliegt, ist die Gabe von HIV-Medikamenten als PEP erforderlich. In der Praxis stellt sich leider oft heraus, dass der Indexpatient nach Hause geschickt wurde (dann kann man ihn nicht mehr ohne weiteres fragen) oder gerade in Narkose gelegt ist (auch dann kann man ihn nicht fragen). Die Vorgehensweise für die PEP ist bündig und übersichtlich in der Leitlinie dargestellt (http://www.daignet.de/ site-content/hiv-therapie/leitlinien-1/ Deutsch_Osterreichische%20Leitlinien%20zur%20Postexpositionellen%20 Prophylaxe%20der%20HIV_Infektion. pdf) Wer macht PEP: • Kliniken bundesweit: www.hivandmore.de/hiv-pep/2013_7_ PEP_Liste_der_Kliniken.pdf • Niedergelassene Ärzte bundesweit: www.dagnae.de PrEP Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), d.h. die präventive Anwendung antiretroviraler Substanzen zur Verhinderung einer HIV-Infektion, scheint insbesondere in Hochrisikopopulationen andere Präventionsmaßnahmen erfolgreich ergänzen zu können. Informationen zur PrEP finden Sie im INXFO-Newsletter, Ausgabe März 2016, „Kontroverse oder Paradigmenwechsel – Wissenswertes zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (Prep)“. Eine in dem Zusammenhang verfasste Patientenbroschüre können Sie ebenfalls kostenlos für Ihre Patienten bei InXFo anfordern. Hepatitis-C Beim Hepatitis-C-Virus handelt es sich um ein so genanntes „RNA-Virus“. Das Virus weist eine hohe genetische Variabilität auf und wird aufgrund therapeutischer Relevanz in 6 unterschiedliche Genotypen eingeteilt. Es ist streng hepatotrop und infiziert lediglich die Hepatozyten. Da der Mensch der einzige natürliche Wirt ist, war es lange Zeit nicht möglich, Therapien anhand von Tiermodellen zu entwickeln. Seit der Entwicklung des Replicon-Cell-Culture-Systems ist es möglich, die Replikation des Virus in ihren Grundlagen zu verstehen und sehr gezielt Pharmaka zu entwickeln, die an Enzymen angreifen, die für die Replikation essenziell sind. Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland auf einen HCV-Infizierten zu treffen, ist viel höher als bei der HIV-Infektion: Die Seroprävalenz in der Allgemeinbevölkerung beträgt laut Gesundheits- Berichtserstattung des Bundes etwa 0,5 – 0,7 % der Bevölkerung. Man schätzt, dass in Deutschland etwa 400.000 Menschen eine chronische Hepatitis-C-Infektion haben. Aber nur etwa 100.000 sind bereits diagnostiziert. Umso wichtiger ist es, dass Risiko-Konstellationen anamnestisch erfragt werden und nachfolgend zum Test führen. Hauptbetroffenen-Gruppe Betrachtet man alle Patienten mit bereits diagnostizierter Hepatitis C, so überwiegen die aktiven oder ehemals intravenös aktiven Drogenabhängigen mit etwa 45%. In einer epidemiologischen Erhebung in Deutschland kamen Hüppe und Kollegen zu dem Ergebnis, dass bei immerhin 23% der Menschen mit chronischer HCV-Infektion ist die Infektionsquelle unbekannt bleibt, auch wenn eine genaue Anamnese gemacht wird. Weitere Transmissionswege sind: Bluttransfusion, medizinische Maßnahmen in der Vergangenheit, Sexualkontakte, Tätowierungen und Piercing, Unfall sowie Verletzung. Warndiagnosen Die Warnlampen der Hepatitis C betreffen interessanterweise nicht nur eine Erhöhung der Lebertransaminasen. Etwa 40 – 70 % der chronisch Hepatitis C infizierten entwickeln mindestens eine Symptomatik oder Komorbidität, die außerhalb der Leber liegt, sogenannte extrahepatische Manifestationen. Dazu gehören: Autoimmunerkrankungen (z.B. Sjörgren-Syndrom, Vaskulitiden aufgrund von Cryoglobulinen), lymphoproliferative Erkrankungen, Erkrankungen von Haut und Schleimhäuten sowie neurologische Störungen (z.B. chronische Müdigkeit, chronische Schmerz-Syndrome, reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit, Depression). Durch eine rechtzeitige Diagnose und Behandlung der Hepatitis C kann ein Übergang der chronischen Hepatitis C in eine Leber-Fibrose und -Zirrhose verhindert werden. Hierzu bedarf es zunächst eines Hepatitis-C-HCV-Antikörper-Suchtests (ELISA-Test). Ist dieser positiv, so wird anschließend nach dem Virus-Genom (HCV-RNA) – meist mittels PCR – gesucht. Ist dieser Test wiederum positiv (bei Nachweis von Virusgenom), so handelt es sich um eine aktive Infektion, die weitere Untersuchungen nach sich ziehen muss. Ist der HCV-RNA-Nachweis negativ, so kann man von einer ausgeheilten Infektion und einer Serumnarbe ausgehen. Die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Ausheilung liegt jedoch nur bei 20 – 25%. Getestet werden sollten entsprechend der Übertragungswege auf alle Fälle alle intravenös drogenkonsumierenden Personen, ferner Personen mit erhöhten Leberwerten sowie Personen mit einer der genannten extrahepatischen Manifestationen. Darüber hinaus sollten Angehörige und Sexualpartner von Hepatitis C-Infizierten getestet werden. Dasselbe trifft zu für Kinder von Hepatitis-C-positiven Müttern, medizinisches Personal, Blutspender, Organspender und Gewebespender. Die Therapie der Hepatitis C ist eine der schönsten Erfolgsgeschichten der modernen Medizin und der neuesten pharmakologischen Entwicklungen. Seit etwa 2 Jahren sind mehrere spezifische direkt aktive antivirale Substanzen auf dem Markt, so genannte Direct Acting Antivirals (DAAs), die die viralen Enzyme spezifisch und direkt blockieren. Eine Therapie besteht in der Regel aus einer Kombination aus 2 bis 3 DAAs. Man unterscheidet drei Wirkstoffgruppen: Protease-Inhibitoren (Simeprevir, Paritaprevir), NS5B Polymerase-Inhibitoren (Sofosbuvir, Dasabuvir) und NS5A Replikationskomplex -Inhibitoren (Daclatasvir, Ledipasvir und Ombitasvir). Weitere Substanzen befinden sich in klinischen Studien und stehen vor der europäischen Markteinführung. In bestimmten Situationen wird eine Kombination aus DAAs plus Ribavirin empfohlen. Die nebenwirkungsreichere Kombination Chronische Müdigkeit (Fatigue) Chronische Schmerzen Sjörgren-Syndrom Vaskulitis/ Gefäßentzündung Cryoglobulinämie Stoffwechselerkrankungen Reduzierte kognitive Leistungen, depressive Symptome aus (pegyliertem) Alpha-Interferon plus Ribavirin, die in den letzten zwei Jahrzehnten zur Therapie der Hepatitis C eingesetzt wurden und niedrige Heilungsraten erzielten, sind – mit Ausnahme von Ribavirin – in ihrer Anwendung heute nicht mehr gerechtfertigt. Ein Wermutstropfen in der Therapie der Hepatitis C ist die Preisgestaltung der neuen Medikamente, bei denen hohe Entwicklungskosten sich in einem Preis der dreimonatigen Therapie zwischen derzeit 50.000 Euro und 60.000 Euro niederschlagen. Informationen: www.leberstiftung.de www.hepatitisandmore.de Abbildung 1: nicht abstreifbare, nicht schmerzhafte, verrukös imponierende Veränderung am seitlichen Zungenrand (cave: wird nur sichtbar, wenn man die Zunge seitlich herausstrecken lässt) Schilddrüsenerkrankung Nephritis Neuropathie Abbildung 2: Mundsoor: abstreifbare Membranen auf gerötetem Untergrund Lymphoproliferative Erkrankungen Haut-Ulcus durch Vaskulitis Abbildung 4: extrahepatische Symptome und Befunde bei chronischer Hepatitis-CInfektion (modifiziert nach: Sarrazin C et al. Update der S 3-Leitlinie. Z Gastroenterol 2010; 48: 289–351) Abbildung 3: kutanes Kaposi-Sarkom Literatur 1 Bogner, J., [Early treatment makes it possible: an almost normal life with HIV]. MMW Fortschr Med, 2011. 153(18): p. 22. 2 Bogner, J., [AIDS: no longer a fatal epidemic]. 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Epidemiologische Kurzinformation des Robert Koch-Instituts Stand: Ende 2014. 2015; Available from: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Epidemiologie/Daten_und_Berichte/EckdatenDeutschland.pdf; jsessionid=7B718B93483BE5471008C05F0A67E9C3.2_cid381?__blob=publicationFile. 9 Jacobi, C.A., et al., HIV/AIDS-related stigma felt by people living with HIV from Buea, Cameroon. AIDS Care, 2013. 25(2): p. 173-80. 10 Kim, J.H., et al., All-cause mortality in hospitalized HIV-infected patients at an acute tertiary care hospital with a comprehensive outpatient HIV care program in New York City in the era of highly active antiretroviral therapy (HAART). Infection, 2013. 41(2): p. 545-51. 11 Manns, M., et al., Ledipasvir and sofosbuvir plus ribavirin in patients with genotype 1 or 4 hepatitis C virus infection and advanced liver disease: a multicentre, open-label, randomised, phase 2 trial. 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Christoph Spinner Kardiologie: Dr. med. Jost Stalke Klinische Forschung: Dr. phil. Eva Wolf, MPH Lipidologie: Prof. Dr. med. Werner O. Richter Nephrologie: Dr. med. Ansgar Rieke Neurologie: Prof. Dr. med. Gabriele Arendt, Dr. med. Thorsten Rosenkranz Onkologie: PD Dr. med. Christian Hoffmann, Dr. med Jan Siehl Pädiatrie: Dr. med. Cornelia Feiterna-Sperling Pharmazie: Pharmazeutin Nikola Hanhoff, Dipl. Pharm. Nico Kraft, Pharmazeutin Leonie Meemken Pneumologie: Dr. med. Meike Probst Psychiatrie: Dr. med. Christian Perro Substitution: Dr. med. Markus Müller Virologie: Dipl. Biol. Patrick Braun, PD Dr. med. Jens Verheyen Arzt- und Medizinrecht: Rechtsanwalt Christoph Klein Mit freundlicher Unterstützung von InXFo hat die Informationen nach bestem Wissen recherchiert. Durch die fortschreitende Forschung auf dem Gebiet HIV/Hepatitis kann keine Verantwortung und Haftung für die Vollständigkeit oder Richtigkeit der Newsletter-Inhalte übernommen werden. 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