Kapitel 1 - Evangelische Kirche in Mitteldeutschland

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1. Warum die Evangelische Kirche sich gegen Rechtsextremismus
engagieren muss!
Eine theologische Begründung
Akademiedirektor PD Dr. Michael Haspel
Wir beobachten das Zunehmen rechtsextremer Einstellungen in der Gesellschaft. Diese
machen auch vor den Kirchentüren nicht halt, obwohl sie eindeutig Jesu Gebot der Gottesund Nächstenliebe widersprechen: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich
selbst.“ (Lukas 10,27 par.). Wesentliche Elemente rechtsextremer Weltbilder sind
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, Orientierung an autoritären Strukturen,
Demokratie- und Pluralitätsabwertung, Bestreiten von Gleichheit etc. Im folgenden soll an
einigen Beispielen gezeigt werden, dass diese rechtsextremen Orientierungen mit der
Grundorientierung des christlichen Glaubens nicht vereinbar sind.
1.1. Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde (Schöpfungstheologischanthropologische Perspektive)
In der Erzählung der Schöpfung am Beginn des biblischen Zeugnisses wird überliefert, dass
Gott die Menschen, alle Menschen, als Bild seiner selbst erschafft: „Und Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und
Weib“ (1. Mose 1,27). Alle Menschen sind also nicht nur Gottes Geschöpfe, sondern seine
Ebenbilder. Dadurch ist die besondere Beziehung Gottes zu den Menschen zum Ausdruck
gebracht. Er setzt sich zu den Menschen in Beziehung. In dieser in der
Schöpfungsgeschichte begründeten besonderen Gottesbeziehung kommt nach christlichem
Verständnis das Besondere der Menschen zum Ausdruck. Sie sind von Gott gewollt. Sie sind
nicht einfach zufällig da, sondern stehen von Anfang an in einer kommunikativen
Beziehung, die Geschichte und Lebensgeschichte eröffnet und begleitet. Deshalb ist in dieser
Gottebenbildlichkeit nach christlichem Verständnis die Würde aller Menschen angelegt. Die
Menschenwürde gilt allen Menschen in gleicher Weise. Das Alte Testament unterscheidet in
dem literarischen Zusammenhang, in dem die Schöpfungsgeschichte steht, die
unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die sich aus den Ureltern entwickeln. An keiner
Stelle wird die Gottebenbildlichkeit und die Menschenwürde auf ein Volk eingeschränkt
bzw. jemand daraus ausgeschlossen. Sie geht auch, als Entsprechung zum
Beziehungsangebot Gottes, nicht – wie in älteren dogmatischen Entwürfen manchmal noch
angenommen wird – durch den Sündenfall verloren. Das Ja Gottes zu den Menschen gilt
ihnen gerade in ihrer Sündhaftigkeit, aus der sich zu befreien Gott ermöglichen will.
Bei rechtsextremen Einstellungen und Ideologien spielt die Ungleichheit von Menschen auf
Grund ihrer Abstammung und Kultur eine große Rolle. Dies ist mit der Lehre von der
Gottebenbildlichkeit aller Menschen nicht vereinbar.
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Nächstenliebe verlangt Klarheit
Kapitel 1 – Theologische Grundlegung
1.2. Die Kirche Jesu Christi ist multikulturell (Ekklesiologisch-christologische
Perspektive)
Schon Paulus hat theologisch geklärt, dass die gute Nachricht von der Gerechtsprechung der
Sünderinnen und Sünder durch den Glauben an Jesus, den Christus, allen Menschen gilt:
„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch
Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christus Jesus“ (Galater 3,28). Die christliche Kirche
ist deshalb offen für alle Menschen, egal welcher Abstammung sie sind, unabhängig von
ihrem Geschlecht, ihrer sozialen Stellung usw. Die christliche Kirche war von Anfang an
multikulturell. Das Evangelium hat eine universale Tendenz: Der Zuspruch der frohen
Botschaft der Befreiung gilt allen Menschen; der im biblischen Zeugnis festgehaltene
Anspruch an Lebensführung und Zusammenleben der Menschen soll alle Menschen in
gleicher Weise schützen.
Auch in dieser Perspektive wird deutlich, dass das biblische Zeugnis im Gegensatz zu
rassistischen und sexistischen Inhalten der rechtsextremen Überzeugungen steht.
1.3. Die bleibende Erwählung der Jüdinnen und Juden (Offenbarungstheologische
Perspektive)
Der ursprüngliche Bund Gottes galt seinem erwählten Volk Israel, dem er sich offenbart hat.
Nach christlichem Verständnis hat Gott diesen Bund durch die Offenbarung in Jesus
Christus für alle Menschen geöffnet, die an ihn glauben. Der ursprüngliche Bund bleibt aber
in seiner Besonderheit erhalten: „Wenn aber nun etliche von den Zweigen ausgebrochen sind
und du, der du ein wilder Ölbaum warst, bist unter sie gepfropft und teilhaftig geworden der
Wurzel und des Saftes im Ölbaum, so rühme dich nicht wider die Zweige. Rühmst du dich
aber wider sie, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt
dich“ (Römer 11, 17f.). Deshalb sind Christinnen und Christen dem Volk Israel in
besonderer Weise verbunden. Jesus und die Glieder der Urgemeinde waren Jüdinnen und
Juden. Die heilige Schrift der Jüdinnen und Juden ist Christinnen und Christen Grundlage
und Voraussetzung des Neuen Testaments.
Deshalb ist jede Form des Antisemitismus vom biblischen Zeugnis und christlichen Glauben
her abzulehnen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es auch im
Christentum verhängnisvolle Formen des Antijudaismus gab und gibt. Gerade deshalb wird
sich die Evangelische Kirche gegen den Antisemitismus in der Gesellschaft wenden.
1.4. Demokratische Kultur gehört zur neuzeitlichen Gestalt des Protestantismus
(Ekklesiologisch-kybernetische Perspektive)
In Entsprechung zu diesem Verständnis der Gleichheit aller hat sich mit der Zeit in den
evangelischen Kirchen die Überzeugung herausgebildet, dass die angemessene Form der
Kirchenleitung nur geschwisterlich sein kann. In einer Kirche, in der alle von gleichem Wert
und gleicher Würde sind, auch wenn sie unterschiedliche Funktionen ausüben, geschieht die
Nächstenliebe verlangt Klarheit
Kapitel 1 – Theologische Grundlegung
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Kirchenleitung in presbyterial-synodaler Weise. Auch wenn unterschiedliche Traditionen
und verschiedene Konzeptionen vom Amt der Bischöfinnen und Bischöfe historisch zu
unterschiedlichen Kirchenordnungen geführt haben, gehören demokratische Elemente
konstitutiv zur neuzeitlichen Gestalt des Protestantismus.
Immer wieder sind von den demokratischen Strukturen und der demokratischen Kultur
evangelischer Kirchen – wie unvollkommen sie auch gewesen sein mögen – Anstöße zur
Demokratisierung von Gesellschaften ausgegangen. Dies gilt wohl für die Entstehung der
Demokratie in den USA, mit Sicherheit für die Bürgerbewegung in der DDR und für den
Anti-Apartheidkampf und die Entstehung einer Demokratie in Südafrika. Die innerkirchliche
Demokratie drängt also auf eine Gestaltung des Gemeinwesens, die diesem entspricht.
Deshalb bejaht die Evangelische Kirche den demokratischen Rechtsstaat.
Dies widerspricht den demokratiefeindlichen Positionen rechtsextremer Ideologie und deren
Bejahung einer autoritären oder diktatorischen Regierung durch einen „starken Mann“.
1.5. Der rechtsstaatliche Schutz der „Fremdlinge“ (Ethische Perspektive)
Wohl auf Grund der eigenen Erfahrungen in Exilsituationen (Ägypten, Babylon) haben sich
in der Rechtsordnung Israels besondere Formen des Schutzes von Ausländern entwickelt:
„Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in
Ägyptenland gewesen“ (2. Mose 22,20). Die so genannten „Fremdlinge“ wurden den
Einheimischen gleich gestellt. Beachtenswert ist dabei, dass diese Regelungen in den
Rechtssammlungen des Alten Testaments aufgenommen wurden, ihnen also eine besondere
Form der Verbindlichkeit und Bedeutung gegeben wurde: „Es soll ein und dasselbe Recht
unter euch sein, für den Fremdling wie für den Einheimischen; ich bin der Herr, euer Gott“
(3. Mose 24,22). Der rechtliche Schutz der Fremdlinge basiert also einerseits auf dem
ethischen Prinzip des Schutzes des Schwächeren mit dem Ziel der Bewahrung der Freiheit
aller, wie er der Thora und in besonderer Weise den Zehn Geboten zu Grunde liegt. Zum
Anderen kommt darin zum Ausdruck, dass es sich dabei um ein grundlegendes Element der
Rechtsstaatlichkeit handelt.
Für die christliche Ethik ergeben sich daraus drei Perspektiven. Zum einen ist ein Schutz der
Schwachen und Bedrängten unabhängig von ihrer Abstammung eine Handlungsmaxime
christlicher Lebensführung, man denke etwa an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Zum anderen wird der Schutz der Schwächeren und Fremden und die Wahrung ihrer Rechte
zu einer Forderung christlicher Ethik, die den Bereich des individuellen Handelns übersteigt.
Die christlichen Kirchen engagieren sich in der Gesellschaft deshalb dafür, dass dies Teil der
staatlichen Rechtsordnung wird und bleibt. Zum Dritten wird deutlich, dass die
Rechtsordnung, die auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit beruht, Grundlage für das
gesellschaftliche Zusammenleben und damit ein zu förderndes und bewahrendes Gut unserer
Gesellschaft ist.
Alle drei Aspekte stehen im Gegensatz zu rechtsextremen Weltbildern.
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Nächstenliebe verlangt Klarheit
Kapitel 1 – Theologische Grundlegung
1.6. Orientierung auf Gerechtigkeit und Frieden
Der Prophet Jesaja entwirft eine große Friedensvision, die er an die Erwartung eines
kommenden Messias anbindet: „Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die
Treue der Gurt seiner Hüften. Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die
Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und
Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen
beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie Rinder. Und ein Säugling wird
spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle
der Natter“ (Jesaja 11,5-8). Darin kommt zum Ausdruck, dass Konflikte nicht gewaltförmig
gelöst werden sollen, dass nicht die Feinde überwunden werden sollen, sondern die
Feindschaft. Mit gewaltlosen Mitteln, Frieden und Gerechtigkeit in einem Gemeinwesen und
weltweit zu schaffen, ist eine Grundorientierung des biblischen Zeugnisses, das durch die
verschiedenen Formen der Überlieferung hindurch zunehmend zu deutlich wird.
Dies widerspricht einer Propagierung des Rechts des vermeintlich Stärkeren, wie es in
rechtsextremen Weltbildern zu finden ist.
1.7. Der Schutz von Demokratie, Rechtsstaat und Pluralismus gehören zur
Weltverantwortung der Kirche (Diakonisch-missionarische Perspektive)
Dass der christliche Glaube mit rechtsextremen Ideologien nicht vereinbar ist, werden die
meisten bejahen. Aber warum soll sich die Kirche auch in der Gesellschaft, gemeinsam mit
anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen und dem Staat aktiv gegen den Rechtsextremismus
engagieren? Manchmal wird die Frage gestellt, ob das nicht der Bereich der Politik sei, aus
dem sich die Kirche heraushalten solle. Manchmal wird auch die Position vertreten, dass die
Kirche sich zunächst um die Verkündigung kümmern und ihre Energie nicht mit anderen
Aufgaben verbrauchen solle. Dagegen möchte ich die These setzen, dass die
Weltverantwortung der Kirche konstitutiv zum Kirchesein gehört.
Die Bezeugung des Evangeliums ist konstitutiv öffentlich, (publice docere; siehe
Augsburger Konfession, Artikel 14 „Vom Kirchenregiment“). Dies gilt sowohl für den
Zuspruch des Evangeliums als auch für den Anspruch der sich daraus für die Lebensführung
der Christinnen und Christen und ihre Mitgestaltung des Gemeinwesens, in dem sie leben,
ergibt. Wolfgang Huber spricht hier davon, dass sich der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche
aus dem Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums ergibt. Die Weltverantwortung gehört
zum Evangelium ursprünglich dazu, sie kommt nicht erst hinzu.
Dies hat seine Entsprechung darin, dass ja auch in der reformatorischen Tradition der Glaube
in der ethischen Lebensführung praktisch wird. Die ethische Lebensführung, die Werke, sind
nicht die Voraussetzung für die Rechtfertigung durch Gott. Diese geht ganz von ihm aus.
Diese Gerechtsprechung im Glauben ist Gnade und Geschenk. Sie können wir nicht
verdienen. Aber die Befreiung durch die Rechtfertigung ermöglicht, dass sich das
menschliche Handeln verändert. Der Glaube soll Früchte bringen, so kann Luther sagen. Er
spricht hier auch von der zweifachen Gerechtigkeit: Diejenige, die von Gott kommt und die
Nächstenliebe verlangt Klarheit
Kapitel 1 – Theologische Grundlegung
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Menschen vor Gott gerecht macht und diejenige, die aus dem Glauben entspringt und auf
Gerechtigkeit unter den Menschen zielt.
Dabei ist konstitutiv, dass die christliche Gemeinde der Ort ist, an dem Christinnen und
Christen miteinander darüber beten und beraten, was in einem konkreten Kontext zu tun ist.
In den evangelischen Kirchen der DDR wurde in Anknüpfung an die ökumenische Debatte
über das Konzept der „Missionarischen Gemeinde“ davon gesprochen, dass die versammelte
Gemeinde zugleich die gesendete Gemeinde und die gesendete Gemeinde zugleich die
versammelte Gemeinde ist. Es gibt kein Nacheinander in dem Sinne, dass es erst gilt,
Gemeinde zu bauen und dann irgendwann diakonische und missionarische Aufgaben
zusätzlich zu übernehmen. Denn sie gehören konstitutiv zum Gemeinde- und Kirchesein.
Dietrich Bonhoeffer hat das mit dem Konzept der „Kirche für andere“ prägnant zum
Ausdruck gebracht, indem er sagte, dass Kirche nur dann Kirche ist, wenn sie Kirche für
andere ist.
In diesem Sinne werden sich nicht nur evangelische Christinnen und Christen, sondern die
Gemeinden und Kirchen gegen Rechtsextremismus engagieren. Zum Einen weil sie zu
unmittelbarer Hilfe herausgefordert werden, wenn Menschen von Rechtsextremen in ihrem
Leben beeinträchtigt werden – und das fängt nicht erst bei der Androhung und Anwendung
von Gewalt an. Zum Andern müssen sie sich gegen den gesellschaftlichen und politischen
Rechtsextremismus wehren, weil er fundamental den christlichen Grundüberzeugungen und
Maßstäben widerspricht. Drittens werden die Kirchen im Rahmen ihres
Öffentlichkeitsauftrags die demokratische und plurale Kultur und Institutionenordnung
unseres Landes stärken, die Grundlage unseres Gemeinwesens ist, gemäß dem Motto:
„Suchet der Stadt Bestes... und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s
auch euch wohl.“ (Jeremia 29,7)
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Nächstenliebe verlangt Klarheit
Kapitel 1 – Theologische Grundlegung
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