Daniela Hüffer Thematisierung von "Schwerhörigkeit" und "Absehen" in einer Integrationsklasse Erste Staatsexamensarbeit ––– 2001 ––– föpädn.et www.foepaed.net Hinweise zum Urheber- und Nutzungsrecht Das Urheberrecht am vorliegenden Texten liegt allein beim Autor bzw. bei der Autorin. Der Nutzer bzw. die Nutzerin dürfen die vorliegende Veröffentlichung für den privaten Gebrauch nutzen. Dies schließt eine wissenschaftliche Recherche ein. Für das Zitieren sind die entsprechenden Regelungen zu beachten (sieh unten). Der Nutzer bzw. die Nutzerin des vorliegenden Textes erkennen das Urheberrecht des Autoren bzw. der Autorin an. Vervielfältigung und Verbreitung der vorliegenden Veröffentlichungen bedarf der Genehmigung des Autors bzw. der Autorin. Hinweise zum Zitieren von Online-Dokumenten Die Veröffentlichungen auf den Seiten von föpäd.net sind ebenso wie Texte in Druckmedien zitierfähig. 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Grundlegende Bemerkungen zum Thema Schwerhörigkeit ............................. 11 2.1 Erläuterungen zur Begrifflichkeit................................................................... 11 2.2 Veranschaulichung des Hörschadens (Hörmessungen) ................................. 12 2.3 Arten und Grade von Schwerhörigkeit........................................................... 16 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 Ursachen von Schwerhörigkeit ...................................................................... 22 2.5 Auswirkungen von Schwerhörigkeit.............................................................. 23 2.5.1 2.5.2 2.6 4. Übergeordnete Auswirkungen auf die Entwicklung eines schwerhörigen Kindes .......................................................................................................... 23 Individuelle Auswirkungen der jeweiligen Schwerhörigkeit auf das betroffene Kind ............................................................................................ 25 Informationen zu Hörgeräten, Höranlagen und Cochlea Implantat ............... 27 2.6.1 2.6.2 2.6.3 3. Schallleitungsschwerhörigkeit (Mittelohrschwerhörigkeit) ......................... 16 Sensorineurale Schwerhörigkeit (Schallempfindungsschwerhörigkeit, Innenohrschwerhörigkeit) ............................................................................ 17 Kombinierte Schallleitungs-Schallempfindungsschwerhörigkeit ................ 19 Gehörlosigkeit .............................................................................................. 19 Das Hörgerät ................................................................................................ 27 Die Höranlage .............................................................................................. 31 Das Cochlea Implantat ................................................................................. 32 Die Kommunikation der Hörgeschädigten.......................................................... 37 3.1 Das Absehen als wichtiger Teil der Kommunikation für Hörgeschädigte..... 37 3.2 Die wichtigsten Kommunikationsformen von Schwerhörigen und Gehörlosen ........................................................................................................................ 40 3.3 Der Stellenwert des Absehens für ein hörgeschädigtes Kind in einer Regelklasse..................................................................................................... 45 Das Absehen ........................................................................................................... 47 4.1 Die Sprechbewegungen.................................................................................. 47 4.2 Die Viseme ..................................................................................................... 48 4.3 Die Kineme .................................................................................................... 49 4.3.1 4.3.2 www.foepaed.net Die konsonantischen Kineme....................................................................... 50 Die vokalischen Kineme .............................................................................. 54 3 4.4 Sprechelemente .............................................................................................. 56 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 Ursachen für Absehprobleme......................................................................... 57 4.5.1 4.5.2 4.6 Wichtige Kommunikationsstrategien für den Absehenden.......................... 62 Trainingsmöglichkeiten für den Absehenden............................................... 66 Hinweise für eine erfolgreiche Kommunikation im Unterricht ................... 69 Zur Integration von hörgeschädigten Schülern in der Regelschule ................. 72 5.1 Unterrichtliche Integration Hörgeschädigter im historischen Rückblick....... 73 5.2 Derzeitige unterrichtliche Integrationsmodelle für Hörgeschädigte in der BRD ........................................................................................................................ 77 5.2.1 5.2.2 5.2.3 6. Äußere Faktoren........................................................................................... 58 Innere Faktoren ............................................................................................ 59 Absehhilfen .................................................................................................... 62 4.6.1 4.6.2 4.6.3 5. Steuerung...................................................................................................... 56 Koartikulation .............................................................................................. 57 Synkinese ..................................................................................................... 57 Die Einzelfallintegration (oder individuelle Integration) ............................. 77 Die Gruppenintegration................................................................................ 78 Die Präventive Integration (oder umgekehrte Integration) .......................... 78 5.3 Vor- und Nachteile einer unterrichtlichen Integration hörgeschädigter Kinder in die allgemeine Schule ................................................................................ 79 5.4 Rechtliche Grundlagen für eine schulische Integration in Bayern................. 87 Durchführung der Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in zwei Regelklassen................................................................................................... 91 6.1 Vorüberlegungen und Bemerkungen zu den zwei Regelklassen ................... 91 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.2 Gespräch mit der Klassleiterin der Klasse 1 ................................................ 92 Paul............................................................................................................... 94 Unterrichtsmitschau in der Klasse 1............................................................. 97 Gespräch mit der Klassleiterin der Klasse 2 .............................................. 100 Lisa............................................................................................................. 101 Unterrichtsmitschau in der Klasse 2........................................................... 103 Darstellung der beiden Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ ...................................................................................................................... 107 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 www.foepaed.net Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1 .. 107 Bemerkungen zu den einzelnen Artikulationsstufen der Doppelstunde „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1 ................................................................... 109 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ in der Klasse 2 und ergänzende Bemerkungen ................................................................... 113 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Absehen“ in Klasse 1............... 116 4 6.2.5 6.2.6 6.3 Reflexionen zu den Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in den beiden Regelklassen .............................................................................. 122 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.4 Bemerkungen zu den einzelnen Artikulationsstufen der Doppelstunde „Absehen“ in Klasse 1................................................................................ 117 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Absehen“ in Klasse 2 und ergänzende Bemerkungen .......................................................................... 119 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1....... 123 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Absehen“ in Klasse 1 ................... 127 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Schwerhörigkeit“ in Klasse 2....... 132 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Absehen“ in Klasse 2 ................... 137 Einige Bemerkungen zur Integration von Paul und Lisa in die Regelschule140 6.4.1 6.4.2 Paul in der Regelschule .............................................................................. 141 Lisa in der Regelschule .............................................................................. 142 7. Abschließende Gedanken.................................................................................... 145 8. Merkblatt.............................................................................................................. 147 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 154 Broschüren und Zeitschriften ................................................................................ 157 Verwendete CD-Roms........................................................................................... 157 Verwendete Filme.................................................................................................. 157 Verwendete Internetseiten ..................................................................................... 158 Abbildungsverzeichnis: .............................................................................................. 159 Anhang......................................................................................................................... 162 www.foepaed.net 5 Vorwort Zu Beginn meiner Arbeit möchte ich zunächst kurz auf meine persönliche Motivation bezüglich des gewählten Themas eingehen. Ich hatte mich bereits seit längerer Zeit für das Thema „Absehen“ interessiert und einige Literatur dazu gelesen, als meine Mutter, die als Regelschullehrerin an einer Grundschule tätig ist, mich um Unterstützung bat. Sie sollte im darauffolgenden Schuljahr wieder eine erste Klasse bekommen, diesmal aber mit einem schwerhörigen Kind in der Klasse. Ich empfahl meiner Mutter passende Literatur, hatte allerdings aufgrund ihrer Rückfragen den Eindruck, dass trotzdem noch Erklärungsbedarf bestand. Auch ihre Kolleginnen, die das Kind in Stunden wie Textilarbeit/Werken oder Musik unterrichten würden, wünschten sich eine Anleitung in Bezug auf den Umgang mit dem schwerhörigen Schüler. Ich hatte nun die Idee, meine Zulassungsarbeit dem Anliegen dieser Regelschullehrerinnen zu widmen, da offensichtlich ein hoher Informationsbedarf hinsichtlich der Integration eines schwerhörigen Kindes bestand. Zunächst wollte ich die ersten Wochen des Schuljahres die Betreuung einer oder mehrerer Lehrkräfte einer Regelschule, die ein schwerhöriges Kind in ihre Klasse bekommen würden, übernehmen. Dieses Vorhaben erwies sich allerdings als zu aufwändig im Rahmen meiner Arbeit, ferner wurde ich vom Leiter des Mobilen Pädagogischen Dienstes darauf hingewiesen, dass diese Aufgaben bereits von den Betreuungskräften erfüllt werden und sich somit Überschneidungen ergeben hätten. Ich griff daher wieder auf mein zu Anfang gewähltes Thema, das Absehen, zurück, um es den Schülerinnen und Schülern sowie dem Lehrer/der Lehrerin1 einer Regelschulklasse in einer Stundeneinheit nahe zu bringen. Denn gerade das Absehen ist ein sehr wichtiger Aspekt der Kommunikation mit einem schwerhörigen Schüler in einer Regelschule, der aber oft weder den Mitschülerinnen und Mitschülern noch den Lehrkräften bewusst ist. Ich stellte allerdings gleich in den ersten Gesprächen mit den Lehrkräften der Regelklassen fest, dass das Thema Schwerhörigkeit einer dringenden Bewusstmachung innerhalb der Klassen bedurfte. Daraufhin entschloss ich mich, meine Arbeit dieser Aufgabe, der Thematisierung von „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in einer Integrationsklasse zu widmen. Aufgrund meiner Ergebnisse und Erfahrungen in den beiden Regelklassen habe ich als Hilfestellung für Regelschullehrer ein Merkblatt 1 Im folgenden Text wird meist die männliche Form (der Lehrer/der Schüler …) stellvertretend für beide Geschlechter verwendet. www.foepaed.net 6 verfasst, das als „Starthilfe“ dienen soll, sobald dem Lehrer bekannt gemacht worden ist, dass erstmals ein hörgeschädigtes Kind in seine/ihre Klasse kommen wird. An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei den beiden Regelschullehrerinnen bedanken, die es mir ermöglichten, in ihren Klassen die Stundeneinheiten zum Thema „Absehen“ zu gestalten, und bei denen ich sehr viel Neues erfahren und lernen durfte, was mir sicher in meiner späteren Arbeit als Lehrerin von großem Nutzen sein wird. www.foepaed.net 7 1. Einleitung Eine Hörschädigung ist äußerlich oft nicht zu erkennen. Dem Außenstehenden können höchstens Symptome auffallen, wie Schwierigkeiten bei der Sprachwahrnehmung, Auffälligkeiten in der Sprechweise oder der Gebrauch gebärdensprachlicher Kommunikationsmittel. Viele hörgeschädigte Menschen haben sich im Laufe der Zeit effektive Strategien angeeignet, um im Alltag zurechtzukommen und nicht als „hörbehindert“ aufzufallen. So bemerkt ein oberflächlicher Beobachter diese äußeren Symptome kaum oder gar nicht. Die Kommunikationsprobleme und die sich daraus ergebende psychische Belastung für den Hörbehinderten bleiben auch einem geschulten Pädagogen häufig verborgen. Deshalb ist es umso wichtiger, in einer Regelklasse, in die ein hörgeschädigtes Kind aufgenommen ist, das Thema Schwerhörigkeit zu behandeln und alle Beteiligten auf die Problematik, aber auch die Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. So kann die „Besonderheit“ des betroffenen Kindes im Schulalltag zu etwas Selbstverständlichem und Gewohntem werden, was darüber hinaus die Möglichkeit gibt, neue Perspektiven und Horizonte für Schüler und Lehrer zu eröffnen. Im Rahmen der Thematisierung von Schwerhörigkeit in einer Integrationsklasse soll auf die Gruppe der Schwerhörigen, die Ätiologie und die im Unterricht verwendeten Hilfsmittel wie Hörgeräte und FM-Anlage eingegangen werden. Die Schüler sollen so die Gelegenheit bekommen, die Probleme ihres schwerhörigen Mitschülers/ihrer schwerhörigen Mitschülerin besser zu begreifen, ferner sollen sie erfahren wie sie dazu beitragen können, diese Einschränkungen zu minimieren, um auch dem Hörgeschädigten/der Hörgeschädigten gleiche Chancen im Regelschulalltag zu ermöglichen. Eine wichtige Hilfe ist dabei das Absehen, welches in einer eigenen Stundeneinheit mit der Klasse besprochen werden soll. Das Absehen der gesprochenen Sprache vom Mund eines Sprechers ist für Schwerhörige, vor allem aber für Gehörlose ein unverzichtbares Element der Kommunikation. Ältere Literatur spricht häufig von „Ablesen“ oder „Mundablesen“, heute ist erwiesen, dass das Absehen ein wichtiger Teil der Verständigung für Schwerhörige und Gehörlose ist. Es kann aber keinesfalls der Anspruch erhoben werden, dass das Absehen das Hören ersetzen könnte, bzw. Sprache vollständig vom Mund „abgelesen“ werden kann. Deshalb soll auch in der vorliegenden Arbeit nur vom „Absehen“ gesprochen werden, www.foepaed.net 8 lediglich bei Originalzitaten kann es vorkommen, dass sich der Ausdruck „Ablesen“ nicht vermeiden lässt. Allerdings muss angemerkt werden, dass der Begriff „Ablesen“ bei den meisten Schwer-hörigen und Gehörlosen, aber auch bei Pädagogen und teilweise sogar noch in neuerer Fachliteratur weitaus geläufiger ist als der Begriff „Absehen“, was sich auch bei einer Recherche im Internet zeigte. Bei Eingabe des Begriffs „Ablesen“ wurden mehr als dreifach so viele Treffer erzielt als bei der Eingabe des Begriffs „Absehen“. Dieser Tatsache sollte man sich immer bewusst sein und gegebenenfalls bei Behandlung der Thematik des Absehens zuvor eine Klärung der beiden Begriffe vornehmen. Für Gehörlose stellt das Absehen meist die Grundlage der Verständigung mit Hörenden dar. Bei Gebärdensprachkommunikation, meist mit den Systemen DGS (Deutsche Gebärdensprache) oder LBG (Lautsprachbegleitende Gebärden) kann das Absehen dazu beitragen, einzelne Gebärden durch das Mundbild zu differenzieren. Für Schwerhörige dient das Absehen der visuellen Unterstützung des auditiv Wahrgenommenen. Je nach Art und Grad der Hörschädigung und der individuellen Kommunikationsstrategie sind auch Schwerhörige auf das Absehen angewiesen. Wie wichtig das Absehen für Hörgeschädigte sein kann, ist den hörenden Mitmenschen oft nicht bewusst. Dieses Wissen kann aber gerade im gemeinsamen Unterricht normalhörender Regelschulkinder zusammen mit einem oder mehreren schwerhörigen oder gehörlosen Kindern von großer Bedeutung sein. Denn eben in solchen sogenannten Integrationsklassen ist es von großer Wichtigkeit, dass sowohl die Lehrkräfte als auch die hörenden Mitschüler genügend Aufklärung im Hinblick auf die Kommunikation mit ihrem hörgeschädigten Klassenkameraden bzw. ihrer Klassenkameradin erfahren. Im ersten Teil dieser Arbeit soll zunächst eine theoretische Grundlage geschaffen werden, die notwendig ist, bevor die Planung einer Unterrichtsstunde in einer Regelklasse, in der sich auch ein hörgeschädigtes Kind befindet, möglich wird. Die Themenbereiche „Schwerhörigkeit“, „Absehen“ und auch „Integration“ sollen mit ihren wichtigsten Aspekten erwähnt werden und im bezug auf diese Bereiche soll dann im zweiten Teil dieser Arbeit jeweils eine Stundeneinheit zu „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ entworfen werden, die exemplarisch in zwei integrativen Regelklassen gehalten wird. Abschließend wird über den Verlauf dieser Unterrichtsstunden reflektiert und kritisch diskutiert, um als Ergebnis der theoretischen und praktischen Einheit ein Merkblatt für Regelschullehrer entwickeln zu können, welches eine „Erste Hilfe“ bei www.foepaed.net 9 der Auseinandersetzung und Beschäftigung mit der Tatsache einer Beschulung eines hörgeschädigten Kindes in einer Regelklasse sein kann. Es sollen hier Anlaufstellen, Literatur und die wichtigsten zu beachtenden Aspekte genannt werden, um einem Lehrer, der zusätzlich zu seinen alltäglichen schulischen Aufgaben die Unterrichtung eines schwerhörigen Kindes ohne vorherige Kenntnisse in diesem Bereich aufgetragen bekommt, eine schnelle erste Hilfe und Anregung zu einer möglichen weiteren Vorgehensweise zu bieten. www.foepaed.net 10 2. Grundlegende Bemerkungen zum Thema Schwerhörigkeit Obwohl die meisten Leute in ihrem Alltag immer wieder schwerhörigen Menschen begegnen, z.B. ihrer Oma, bei der man „möglichst laut und überdeutlich spricht, weil sie ja sonst nichts mehr versteht“ oder dem Nachbarn, der seit kurzer Zeit Hörgeräte trägt, ist doch den Wenigsten die eigentliche Problematik und der richtige Umgang mit Schwerhörigkeit bewusst. Die Meinung, Hörgeräte seien „wie eine Brille, man setzt sie auf und dann hört man wieder alles“, ist immer noch weitverbreitet, aber in dieser Form schlichtweg falsch. Im folgenden sollen einige grundlegende Aspekte zu Arten und Graden der Schwerhörigkeit, der Ätiologie und den technischen Hilfsmitteln genannt werden, um eine Basis für die weiteren Überlegungen zu den praktischen Stundeneinheiten zu schaffen. 2.1 Erläuterungen zur Begrifflichkeit In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene Begriffe verwendet, um das Phänomen einer Beeinträchtigung des Hörvermögens zu beschreiben. Diese Begriffe sollen hier kurz erläutert werden, um ein leichteres Verständnis dieser Arbeit, aber auch anderer Literatur oder von Fachdiskussionen zu dieser Thematik zu ermöglichen. Meist wird in der Pädagogik von „Hörschädigung“ oder „hörgeschädigt“ gesprochen. Damit soll nicht nur auf die Funktionsbeeinträchtigung des auditiven Analysators, sondern auch auf die psychosozialen Folgen, die dieses physische Defizit mit sich bringt, eingegangen werden. Noch stärker betont wird die psychosoziale Situation eines Menschen mit einer Funktionsstörung des Hörorgans durch den Begriff „Hörbehinderung„ bzw. „hörbehindert“. Diese Formulierung wird allerdings rückläufig verwendet, da der Begriff „Behinderung“ allgemein immer häufiger als diskriminierend aufgefasst wird. Auch der Terminus „Hörstörung“ und „hörgestört“ ist immer wieder zu finden, allerdings wird damit hauptsächlich die Funktionsstörung des auditiven Analysators eines Menschen beschrieben und weniger die damit verbundenen psychosozialen Auswirkungen. Die Bezeichnungen „taub“ und „taubstumm“ sind heute kaum mehr gebräuchlich, da die Gruppe der Betroffenen sie vehement ablehnt und sie nach den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch nicht mehr zutreffend wären. www.foepaed.net 11 Der Begriff „Schwerhörigkeit“ bzw. „schwerhörig“, der unter Punkt 2.3. noch näher erläutert wird, findet häufig Verwendung, ebenso wie die Begriffe „Gehörlosigkeit“ und „gehörlos“ (vgl. 2.3.4.). „Resthörig“, „ertaubt“ und „spätertaubt“ sind ebenfalls oft benutzte Wendungen im Bereich der Hörgeschädigtenpädagogik. Diese Aufzählung ist nur ein Ausschnitt aus der Vielfalt der Begrifflichkeiten. Eine ausführlichere Besprechung würde hier zu weit führen, allerdings wird wie schon erwähnt auf die wichtigsten Termini noch unter Punkt 2.1. eingegangen. Für die genaue Definition eines Schwerhörigen oder Gehörlosen bzw. Hörgeschädigten gibt es viele Varianten aus Bereichen der Medizin, der Pädagogik und der Psychologie. Eine genaue Begriffsdefinition ist schon aus dem Grund schwierig, da man niemals zwei Menschen mit exakt der gleichen Hörschädigung finden wird und folglich auch die bio-psycho-sozialen Auswirkungen in jedem einzelnen Fall anders sein werden. Für diese Arbeit ist der Begriff Hörschädigung aus pädagogischer Sicht wichtig, den Annette Leonhardt wie folgt definiert: „Eine Hörschädigung im pädagogischen Sinne besteht […] dann, wenn der Ausprägungsgrad des Hörverlustes bzw. die Auswirkungen des Hörschadens derart sind, dass das Kind sich nicht ungehindert entwickeln und entfalten kann.“ (1999, S.23) An dieser Stelle soll noch ein Ausspruch des Anthroposophen Dieter Rudloff zitiert werden, welcher die Bedeutung des Hörens als Sinnesfunktion des Menschen im Vergleich zu der des Auges wie folgt beschreibt: „Das Auge ist ein peripherischer Sinn, weil es nach außen gerichtet ist. Das Ohr dagegen ist ein zentraler Sinn, weil es die Außenwelt durch das Ohr in die menschliche Seele einzieht.“ (Seidler, 1996, S.1) Wie gravierend und weitreichend ein Ausfall des „Ohres“ demnach sein kann zeigt sich hier sehr anschaulich. 2.2 Veranschaulichung des Hörschadens (Hörmessungen) Zur genauen Darstellung des Hörschadens dienen sog. Audiogramme2, die helfen, das Hörvermögen eines Hörgeschädigten bzw. die Hörreste (soweit messbar), beim Gehörlosen zu überwachen und die Hörgeräteanpassung zu ermöglichen. Jeder hörgeschädigte 2 „Das Audiogramm misst zunächst, für jedes Ohr getrennt, die Hörschwelle des Patienten für Luftleitung und Knochenleitung, d.h., jeweils diejenige Lautstärke, bei welcher der Reinton der gewählten Prüf-frequenz gerade eben gehört wird.“ (Seidler, 1996, S.35) www.foepaed.net 12 Schüler sollte immer über ein aktuelles Audiogramm verfügen. Dabei wird man meist auf ein Tonaudiogramm und eventuell ein Sprachaudiogramm treffen. Im Tonaudiogramm wird die Hörschwelle, gemessen in Dezibel (dB), über den gesamten normalerweise hörbaren Frequenzbereich dargestellt. Beim normalhörenden Menschen liegt die Hörschwelle bei etwa 0dB (im Tonaudiogramm ist dies die 0-DezibelGerade). Dieser Wert gilt als durchschnittlicher Mittelwert von jungen Erwachsenen, die in ihrem bisherigen Leben noch keine nennenswerten Ohrerkrankungen hatten oder besonderem Lärm ausgesetzt waren. Beim hörgeschädigten Menschen zeigt seine Hörschwelle bei welcher Mindestlautstärke ein Messton bestimmter Frequenz gerade noch gehört wird. Unterschieden wird dabei zwischen der Luft- und Knochenleitung. Bei Messung der Luftleitung erfolgt die Zuführung des Schalls über den Gehörgang, das Trommelfell und das Mittelohr zum Innenohr, will man die Hörschwelle für die Knochenleitung ermitteln, so wird der Schall direkt über den Schädelknochen zum Innenohr, meist mit Hilfe von Knochenleitungshörern, übermittelt. Die Messung wird als Kurve nach unten in ein entsprechendes Koordinatensystem eingetragen. Da aber meist nur Kopien des Tonaudiogramms vorliegen, ist die Orientierung nach Farben nur selten möglich. „Die Auswirkung des Wahrnehmungsverlusts von Tonfrequenzen und Lautstärkedynamik auf die akustische Sprachauffassung lässt sich graphisch darstellen, wenn man den Frequenz- und Intensitätsbereich der Umgangssprache bei mittlerer Lautstärke in das Formblatt des Tonaudiogramms einträgt. So ergibt sich das Sprachfeld (H.i.O.3).“ (v. Hauff, 1991, S.21) In der nachfolgenden Abbildung ist das Sprachfeld dargestellt. Hieraus geht hervor, dass Sprache allgemein den Frequenzbereich von 100 Hz – 8000 Hz umfasst. Wichtig zu beachten ist aber, das das Hauptsprachverständnis lediglich von einem Bereich zwischen 500 Hz – 4000 Hz bestimmt wird. Die Sprachdynamik ist im normalen Sprachfeld zwischen 35 dB – 70 dB angesiedelt. 3 H.i.O. = Hervorhebung im Original www.foepaed.net 13 Abb. 1: Das Sprachfeld Legt man Tonaudiogramm und Sprachfeld übereinander, so kann man erkennen, welche Sprachmerkmale der Hörgeschädigte akustisch nicht mehr wahrnehmen kann. Trotzdem liefert das Tonaudiogramm keine eindeutige Information zur tatsächlichen Hörsituation des Hörgeschädigten, da es nur Auskunft darüber gibt, was der Betroffene an reinen Tönen hört bzw. nicht mehr wahrnehmen kann. So besteht die Möglichkeit, dass ein Hörgeschädigter, der laut Tondaudiogramm auditiv eigentlich fast keine Informationen im Hauptsprachbereich erfassen kann, trotzdem relativ gut und für Außenstehende kaum auffällig mit Guthörenden kommunizieren kann, andererseits ein Schwerhöriger mit „nur“ mittlerem Hörverlust im Tonaudiogramm große Schwierigkeiten bei einer solchen Kommunikation hat. Denn je nach individuellen Fähigkeiten, Beginn der Hörgeräteversorgung, weiteren Behinderungen, Früherziehung, Art der Sprech- und Spracherziehung und zahlreichen weiteren Kriterien, die hier eine Rolle spielen können, variiert die tatsächliche Hörsituation des einzelnen Betroffenen mehr oder weniger stark von den Angaben, die sich aus der Hörkurve des Tondiagramms erschließen lassen. Das Sprachaudiogramm vermittelt dagegen konkreter, was an Sprache gehört werden kann. „Die Sprachaudiometrie (H.i.O.) ermittelt, inwieweit das eingeschränkte Hörvermögen Verstehen von Sprache zulässt. Dem Hörgeschädigten werden auf einem Tonträger eine Reihe von Wörtern in unterschiedlicher Lautstärke vorgespielt. Gemessen wird bei jeder Lautsstärke der Prozentsatz der richtig verstandenen Wörter.“ (v. Hauff, 1991, S.22) Vom Ergebnis des Sprachaudiogramms kann somit, im Gegensatz zum Tonaudiogramm, genauer auf das tatsächliche Sprachverständnis des Hörgeschädigten geschlossen werden. Es bietet Informationen über das Lautunterscheidungsvermögen www.foepaed.net 14 und damit die Nutzbarkeit des verbliebenen Hörvermögens für die Perzeption von Sprache. Abb. 2: Das Sprachaudiogramm Die zwei Kurven des Sprachaudiogramms (siehe Abb. 2) sind auf zwei unterschiedliche Testreihen zurückzuführen. Die Kurve „Zahlen normal“ beschreibt den Test mit mehrsilbigen Zahlwörtern beim Normalhörenden, die Kurve „Wörter normal“ zeigt das Ergebnis des Tests mit einsilbigen Wörtern ebenfalls bei normalem Gehör. Die beiden unteren Kurven sind, jeweils versetzt zu den beiden bereits beschriebenen Kurven, die Darstellung der Testergebnisse bei Vorliegen einer Hörschädigung. Die einsilbigen Wörter sind für die Getesteten meist schwieriger zu verstehen und richtig zu kombinieren als die Mehrsilbigen. Der Einsilbertest ermittelt den Diskriminationsverlust in Prozent. Ein Hörender versteht bei einem Sprachschallpegel von 50dB 100% der Einsilber (vgl. Kurve „Wörter normal“). Von einem Diskriminationsverlust wird erst dann gesprochen, wenn selbst bei erhöhtem Sprachschallpegel nicht mehr 100% der Einsilber verstanden werden, d.h. dem Hörgeschädigten werden ca. 40dB über seiner zuvor ermittelten Hörschwelle die Wörter akustisch dargeboten, versteht er annähernd 100% davon liegt kein Diskriminationsverlust vor. Beim Zahlentest wird der Hörverlust ermittelt. Hier wird gemessen, bei welcher Lautstärke 50% der Zahlen verstanden werden. Der Normalhörende versteht 50% der gesprochenen Zahlen bei ca. 18,5 dB. Dem Prüfling werden deshalb die Zahlen 18,5 dB über seiner individuellen Hörschwelle angeboten. Häufig entspricht der beim Hörge- www.foepaed.net 15 schädigten ermittelte Hörverlust der beim Tonaudiogramm festgestellten mittleren Hörschwelle. Bei Schallleitungsschwerhörigkeit kann man davon ausgehen, dass bei optimaler Lautstärke volles Sprachverständnis erreicht wird. Bei sensorineuraler oder kombinierter Schwerhörigkeit können Diskriminationsverluste verschiedener Ausprägung auftreten. Auf weitere Ausführungen über Hörmessungen wird hier verzichtet, da sie für die nachfolgenden Ausführungen keine Relevanz haben und nur unnötig vom eigentlichen Thema wegführen würden. 2.3 Arten und Grade von Schwerhörigkeit Um die Krankheitsgeschichte eines hörgeschädigten Schülers und die Auswirkungen seiner Hörstörung auf seine Hörsituation besser zu verstehen ist es notwendig über ein bestimmtes Grundwissen in Bezug auf Art und Grad von Hörschäden zu verfügen. Man unterscheidet vorrangig zwischen vier Arten der Hörschädigung, die im folgenden kurz erläutert werden sollen. 2.3.1 Schallleitungsschwerhörigkeit (Mittelohrschwerhörigkeit) Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit ist die Schallzuleitung zum Innenohr im Bereich des Gehörgangs, des Trommelfells oder des Mittelohres gestört. Die Funktion des Innenohres ist bei einer reinen Schallleitungsschwerhörigkeit intakt. Somit zeigen hier die Knochen-leitungswerte im Tonaudiogramm einen normalen Verlauf. Die Kurve der Luftleitung zeigt einen weitgehend linearen Verlauf, da der Verlust in allen Frequenzen etwa gleich groß ist. Die audiometrisch ermittelte Differenz von Luft- und Knochenleitung ist im Tonaudiogramm deutlich zu sehen und ein Indiz für eine reine Schallleitungsschwerhörigkeit. www.foepaed.net 16 Abb. 3: Tonaudiogramm Schallleitungsschwerhörigkeit Die Folge dieser Art von Schwerhörigkeit ist ein leiseres Hören, welches durch einen chirurgischen Eingriff oder das Tragen optimal angepasster Hörgeräte gut ausgeglichen werden kann. Die Schallleitungsschwerhörigkeit beeinträchtigt normalerweise die Kommunikation des Betroffenen mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt kaum oder gar nicht. Deshalb hat diese Form der Schwerhörigkeit kaum noch sonderpädagogische Relevanz. Bei Auftreten oder Vorhandensein einer weiteren Behinderung (z.B. einer Lernbehinderung), die sich negativ auf die Gesamtentwicklung eines Kindes auswirken kann, muss die Schallleitungsschwerhörigkeit bei der pädagogischen Betreuung und Förderung allerdings mitberücksichtigt werden. 2.3.2 Sensorineurale Schwerhörigkeit (Schallempfindungsschwerhörigkeit, Innenohrschwerhörigkeit) Die sensorineurale Schwerhörigkeit zeigt sich im Tonaudiogramm durch eine Verschlechterung der Hörschwelle über der Knochenleitung bei fehlender Schallleitungskomponente, d.h. Luft- und Knochenleitung zeigen den gleichen Hörverlust an (vgl. Abb. 3). www.foepaed.net 17 Abb. 4: Tonaudiogramm Innenohrschwerhörigkeit Der Ort der Schädigung kann sich hier im Innenohr, aber auch im Bereich des Hörnervs befinden, man unterscheidet deshalb zwischen cochleärer und retrocochleärer Schwerhörigkeit. Bei der sensorineuralen Schwerhörigkeit verläuft die Hörschwelle nicht linear sondern der Hörverlust nimmt in Richtung der höheren Frequenzen meist zu. Schallereignisse, vor allem lautsprachliche Äußerungen, werden hier mehr oder weniger verzerrt wahrgenommen, weil Teile des Sprachfeldes, die für das unmittelbare Sprachverstehen unverzichtbar sind, unterhalb der subjektiven Hörschwelle liegen. Lauteres Sprechen oder gar Schreien, was lediglich die Intensität des Gesprochenen linear verstärken würde, bietet dem Betroffenen hier keine Hilfe, sondern wirkt im Gegenteil für diesen häufig unangenehm. Um eine Verbesserung des beeinträchtigten Hörens zu ermöglichen ist eine gründliche audiologische4 Diagnostik, eine optimale Anpassung von Hörgeräten sowie eine für das Kind individuell bestmögliche Hörerziehung bzw. Hörtraining nötig. Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit können noch zwei Formen überschwelliger Störung auftreten, das Recruitment5 und die Pathologische Verdeckung6. Eine ausführliche Darstellung dieser Phänomene würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, bei 4 5 6 Audiologie: ist ein Teilgebiet der Akustik, das sich mit dem normalen und dem pathologischen Gehör beschäftigt. „Audiologie“ (lat.-griech. Mischwort) bedeutet: Lehre vom Hören (Renzelberg, 1997, S.3) Recruitment: Lautheitsausgleich; Leises wird wegen der Schwerhörigkeit nicht oder schlecht gehört; etwas Lauteres wird angenehm laut gehört, wenn es dann aber noch lauter wird, empfindet es der Schwerhörige trotz seines Hörverlustes ebenso laut wie ein Normalhörender. Mitunter besteht sogar Überempfindlichkeit gegen laute Töne und Geräusche. (Leonhardt, 1999, S.224) pathologische Verdeckung: abnorme auditive Ermüdung, d.h. unter Geräuschbelastung verschlechtert sich die Hörschwelle des Betroffenen (Leonhardt, 1999, S.223) www.foepaed.net 18 Bedarf kann man diese Erscheinungsformen jedoch in den meisten Standardwerken der gängigen Fachliteratur nachlesen. 2.3.3 Kombinierte Schallleitungs-Schallempfindungsschwerhörigkeit Bei gleichzeitigem Auftreten einer Schalleitungsschwerhörigkeit und einer sensorineuralen Schwerhörigkeit spricht man von einer kombinierten Schwerhörigkeit oder einer kombinierten Mittelohr- und Innenohrschwerhörigkeit. Bei dieser Form der Schwerhörigkeit liegt neben dem typischen Verlauf der Knochenleitungskurve für eine sensorineurale Hörschädigung eine Schallleitungskomponente vor, wobei die Luftleitungs – Knochenleitungsdifferenz mehr als 10 dB7 betragen sollte. Die Schallempfindungsschwerhörigkeit dominiert jedoch und bestimmt somit das Wahrnehmungsgeschehen. Abb. 5: 2.3.4 Tonaudiogramm einer kombinierten Schallleitungs-Schallempfindungsschwerhörigkeit Gehörlosigkeit Gehörlosigkeit als solche ist eigentlich keine eigene Hörstörung, sondern beruht auf einem extrem hochgradigen sensorineuralen Hörschaden, d.h. es liegt eine praktische Taubheit vor. Die absolute Taubheit, bei der überhaupt keine Hörreste zur Aufnahme von Reizen aus der Umwelt mehr vorliegen, tritt sehr selten auf und meist nur dann, wenn der Hörnerv oder das primäre Hörzentrum zerstört sind. K.-H. Wisotzki schreibt 7 Dezibel (dB): ist ein logarithmisches Verhältnismaß. Um praktisch verwertbare Zahlen zu erhalten wurde diese Skala in Anlehnung an das WEBER-FECHNERsche Gesetz gewählt, welches die logarithmische Empfindlichkeit der Sinnesorgane beweist. In der Tonaudiometrie entsprechen 0dB der Hörschwelle eines Normalhörenden (mit der Angabe HV=Hörverlust bzw. HL=hearing level) [vgl. Renzelberg, 1997, S.4] www.foepaed.net 19 dazu: „Pädagogisch gesehen wird dann von Gehörlosigkeit gesprochen oder ein Mensch dann als gehörlos bezeichnet, wenn eine so schwere Schädigung des Gehörs vorliegt, dass selbst bei bestmöglicher Schallverstärkung durch eine Hörhilfe keine oder nur eine ganz begrenzte auditive Wahrnehmung möglich ist, wobei besonders darauf abgehoben wird, dass Sprache überhaupt nicht über den akustischen Kanal perzipiert und diskriminiert werden kann. Dieser Sachverhalt bedingt auch, dass eine Eigenkontrolle des Sprechens über den akustischen Kanal nicht möglich ist, wenn auch bisweilen noch geringe Hörreste in einzelnen Frequenzen zur Verfügung stehen.“ (1994, S.51) Gehörlosigkeit bedingt also, dass Lautsprache nicht auf natürlichem Weg, sondern im besten Fall nur bei Verwendung optimal angepasster Hörhilfen und bei spezifischer Förderung und Erziehung erlernt werden kann. Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle noch der Begriff Ertaubung im Gegensatz zu Gehörlosigkeit abgegrenzt werden, es sei aber darauf hingewiesen, dass durch neuartige Behandlungsmethoden wie das Cochlear Implantat (vgl. 2.6.3.) heute vielen Ertaubten zu einem gewissen Hörvermögen bzw. Hörresten zurückverholfen wird, wobei man diese Personengruppe dann wieder zum Kreis der Schwerhörigen zählen kann. „Ertaubte sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene, bei denen eine totale oder praktische Taubheit nach Abschluss des natürlichen Spracherwerbs eingetreten ist. Sie können Sprache und andere Schallereignisse nicht mehr auditiv wahrnehmen. Im Unterschied zum Gehörlosen haben sie aber die Lautsprache auf natürlichem Wege imitativauditiv erlernt.“ (Pöhle, 1994, S. 25) Als untere Altersgrenze wird dabei das 4. Lebensjahr angesehen, da die Lautsprachentwicklung zu diesem Zeitpunkt einen relativen Abschluss gefunden hat. Um den bis zur Ertaubung erreichten Sprachstatus zu erhalten und die Sprachkompetenzen weiter auszubauen müssen sonderpädagogische Maßnahmen möglichst sofort einsetzen, d.h. sobald es der gesundheitliche Zustand des Betroffenen zulässt. Da Ertaubungen meist schlagartig infolge von Krankheiten oder Unfällen auftreten, erleben die betroffenen Menschen häufig zusätzlich zu dem Verlust ihres Hörvermögens eine große psychische Belastung. Um erfolgreiche spracherhaltende und kommunikationsfördernde Schritte durchführen zu können ist demnach eine individuelle und weitreichende psychologische Betreuung notwendig. Je später die Ertaubung eintritt umso größer sind das Spracherinnerungsvermögen und die aktualisierbaren akustischen Vorstellungen, ferner ist die Sprechmotorik schon weiter ausgebildet. So www.foepaed.net 20 fällt das Umstellen auf die visuelle Perzeption unter Umständen leichter, die psychische Anspannung und das „Sich-Abfinden-Müssen“ mit der neuen Situation können hingegen weit schwerwiegender ausfallen. Um abschließend noch eine ungefähre Vorstellung von den Graden der Schwerhörigkeit zu schaffen, soll hier eine grobe Einteilung des Hörverlust in dB vorgestellt werden. Ist der Hörverlust zwischen 20 – 40 dB festgestellt worden, spricht man von einer leichten bzw. leichtgradigen Schwerhörigkeit. Ein Verlust zwischen 40 – 60 dB wird als mittlere bzw. mittelgradige Schwerhörigkeit bezeichnet und zwischen 70 - 90 dB spricht man von extremer oder hochgradiger Schwerhörigkeit. Liegt der Hörverlust im Hauptsprachbereich über 90 dB, so wird der Ausdruck Resthörigkeit oder Gehörlosigkeit bzw. vereinzelt noch Taubheit verwendet. Zu beachten ist bei dieser Einteilung, dass eine z.B. als mittelgradig diagnostizierte Schwerhörigkeit je nach individuellen Voraussetzungen und den angewandten Therapien und Fördermaßnahmen unterschiedliche Auswirkungen sowohl auf die psychische Situation als auch auf das Sprachverständnis bzw. Hörvermögen des Betroffenen haben kann. So ist es möglich, dass einerseits ein mittelgradig Schwerhöriger einer Konversation gut folgen kann und sein Hörschaden nur eine geringe Rolle spielt, andererseits ein Betroffener mit dem gleichen Hörschaden an der Konversation trotz gut angepasster Hörhilfen nur sehr bedingt und unter Einsatz weiterer Kommunikationshilfen teilnehmen kann. Zur Veranschaulichung und dem besseren Verständnis von dB-Lautstärke sollen noch einige Beispiele aufgeführt werden: Abb. 6: www.foepaed.net Beispiele für dB-Lautstärke (aus: Leonhardt, 1999, S. 51) 21 2.4 Ursachen von Schwerhörigkeit Die Ätiologie des Hörschadens ist bei Kindern nicht immer hundertprozentig festzustellen. Grundsätzlich kann eine Hörschädigung durch Vererbung oder Krankheit, auch schon vor der Geburt, verursacht werden. Aber auch die Auswirkungen eines Unfalls oder von Lärmeinwirkungen können Ursache für eine Minderung des Hörvermögens sein. Um diese grobe Einteilung etwas mehr zu differenzieren soll zunächst eine Disposition der Ursachen nach dem Zeitpunkt des Eintretens der Hörschädigung vorgenommen werden. Diese kann pränatal (vor der Geburt), perinatal (während der Geburt) oder postnatal (nach der Geburt) auftreten. Die pränatale oder vorgeburtliche Hörschädigung ist entweder genetisch bedingt oder kann durch eine Krankheit der Mutter während der Schwangerschaft auftreten. Ferner können Alkohol-, Nikotin- und Drogenmissbrauch, falsche bzw. missbräuchliche Einnahme von bestimmten Medikamenten wie Antibiotika und Diabetes oder schwere Blutungen der Mutter während der Schwangerschaft zu einer Schädigung des Hörorgans beim ungeborenen Kind führen. Ein perinataler Hörschaden ist kurz vor, während oder gleich nach der Entbindung eingetreten. Er kann bedingt sein durch Schädelverletzungen, Atemstillstand mit längeren Wiederbelebungsmaßnahmen, Sauerstoffmangel während der Geburt oder durch eine im Zusammenhang mit der Geburt eingetretene Neugeborenengelbsucht. Die postnatale Hörschädigung beginnt nach der Geburt und ist meist durch eine Infektionskrankheit bedingt (z.B. Meningitis, Diphtherie, Mumps, Masern usw.), kann aber auch Folge eines Unfalls z.B. von Schädelverletzungen sein. Bei Erwachsenen wird eine Hörschädigung weniger durch Krankheit, sondern eher durch Hörsturz, durch ständigen, anhaltenden und sehr starken Lärm oder als Folge des Alterns (Altersschwerhörigkeit bzw. Presbyakusis) verursacht. Hingewiesen werden sollte noch auf mögliche Missbildungen des äußeren bzw. Mittelohres, welche eine Schalleitungsschwerhörigkeit auslösen können. Auch verschiedene Syndrome8 (z.B. das Waardenburg-Syndrom, das Franceschetti-Syndrom, das UsherSyndrom) können unter anderem einen Hörschaden bewirken. 8 Syndrom: „Die Gesamtheit der für ein Krankheitsbild typischen Symptome bezeichnet man als Syndrom; ein Syndrom, d.h. eine bestimmte Zusammensetzung von Symptomen, kann aber auch für mehrere Krankheiten typisch sein, z.B. Fieber, Kopfschmerzen und Mattigkeit sind ein Syndrom, das bei vielen Infektionen und Infektionskrankheiten auftritt.“ (Plath, 1995, S.222) Das Waardenburg – oder auch das Usher - Syndrom beinhalten neben anderen Symptomen auch eine Form von Schwerhörigkeit. www.foepaed.net 22 Abb. 7: Zusammenstellung mögl. Ursachen für Hörschäden (aus: Leonhardt 1999, S. 57) Weitere Darstellungen von Ursachen der Schwerhörigkeit würden den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Wird man als Pädagoge mit einem hörgeschädigten Schüler konfrontiert, sollte man allerdings zu der in diesem Fall die Hörstörung bedingenden Ursache weitere Informationen bei den entsprechenden Fachleuten bzw. in der einschlägigen Literatur einholen. 2.5 Auswirkungen von Schwerhörigkeit Da in die Regelschule zumeist schwerhörige, weniger gehörlose oder ertaubte Kinder eingeschult werden, sollen hier kurz die wichtigsten Faktoren der Auswirkungen von Schwerhörigkeit näher geschildert werden, die der unterrichtenden Lehrkraft bekannt sein sollten. Ferner liegt der Schwerpunkt dieser Ausführungen auf den Folgen für hörgeschädigte Kinder, jene für Erwachsene oder altersschwerhörige Menschen werden vernachlässigt, da dies zu weit vom eigentlichen Themenbereich dieser Arbeit wegführen würde. 2.5.1 Übergeordnete Auswirkungen auf die Entwicklung eines schwerhörigen Kindes Zum einen ist natürlich die Kenntnis über Arten und Grade eines Hörschadens (siehe 2.3.) sehr wichtig. Darüber hinaus sollte aber auch der Zeitpunkt des Eintretens Beach- www.foepaed.net 23 tung finden. Je früher ein Hörschaden eintritt, desto gravierender sind in der Regel die Folgen für die individuelle Entwicklung des betroffenen Kindes. Hochgradige Hörschäden, die prä-, peri- oder postnatal im frühen Kindesalter auftreten und somit vor oder während des Spracherwerbs einsetzen „…belasten die Entwicklung des Kindes erheblich, zumal Kleinkinder noch nicht über die erforderlichen Regulationsmechanismen verfügen, um aktiv auf die Gestaltung der Wechselbeziehungen mit ihrer sozialen Umwelt Einfluss nehmen und der Hörbehinderung entgegenwirken zu können.“ (Leonhardt, 1999, S.69) Bei hörgeschädigten Kindern gehörloser Eltern können diese Auswirkungen auf die Entwicklung weniger gravierend sein, da zumindest innerhalb der Familie eine unproblematische Kommunikation, meist mit Hilfe von manuellen Systemen, ablaufen kann und das Kind dort mit seiner Behinderung auch nicht als „etwas Besonderes“ auffällt. Tritt der Hörschaden nach Abschluss des Spracherwerbs, der sich etwa nach dem 3.-4. Lebensjahr vollzogen hat, ein, so besteht die Problematik vor allem in der kurzfristigen Veränderung der psychosozialen Lage des Betroffenen, was weitreichende psychische Folgen nach sich ziehen kann. Die bereits erworbene Lautsprache und die schon ausgeprägten kognitiven Funktionen können hingegen durch sofort einsetzende Therapien und Fördermaßnahmen weiter entwickelt und erhalten werden. Eine bzw. mehrere weitere Behinderungen können die Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung eines hörgeschädigten Kindes weiter verstärken. Dabei ist zu beachten, dass die einzelnen Behinderungen nicht additiv oder nebeneinander wirken, sondern einen potenzierenden Charakter haben. Ein weiterer wesentlicher Faktor, der die Folgen einer Schwerhörigkeit beeinflusst, ist das soziale Umfeld des betroffenen Kindes. Entscheidend ist hier inwieweit die engsten Bezugspersonen, also die Familie, aber auch Menschen, die mit der Förderung, Erziehung und Therapie des Kindes beauftragt sind, sich für dessen bestmögliche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten bemühen und einsetzen. Auch ins Gewicht fällt dabei die Qualität der Hörgeräte und die Anschaffung weiterer Kommunikationshilfen, die sich manche Familien aufgrund sinkender Unterstützung der Krankenkassen oder eines geringen Einkommens nur noch schwer leisten können. Neben diesen äußeren oder auch vorgegebenen Faktoren, auf die das Kind keinen direkten Einfluss hat, gibt es konkrete Auswirkungen der jeweiligen Schwerhörigkeit auf die Perzeption und Sprache. www.foepaed.net 24 2.5.2 Individuelle Auswirkungen der jeweiligen Schwerhörigkeit auf das betroffene Kind Wie schon erwähnt ist es schwierig, verallgemeinernde Aussagen zu Schwerhörigkeit und ihren Auswirkungen aufzustellen, da sie bei jedem Betroffenen anders ausfällt. Selbst bei einer exakt gleichen Hörkurve im Tonaudiogramm zweier Menschen würden die Effekte je nach Persönlichkeit und sozialen Entwicklungsbedingungen des Einzelnen sehr unter-schiedlich ausfallen. Da diese Arbeit sich hauptsächlich an Regelschullehrer wendet, die ein schwerhöriges Kind in ihrer Klasse haben, soll vorrangig die (Sprach-) Entwicklungsproblematik von Kindern, bei denen eine sensorineurale Hörschädigung im frühen Alter eingetreten ist oder bei denen eine kombinierte Schwerhörigkeit festgestellt wurde, angesprochen werden. Eine Gemeinsamkeit, die alle Schwerhörigen betrifft, ist die Einschränkung der auditiven Perzeption. Da die Wahrnehmung der akustischen Reize beeinträchtigt ist, muss die Lautsprache, wenn auch nur eingeschränkt möglich, mit Hörhilfen aufgenommen werden. Das eigene Sprechen kann gut bis nur bedingt über die auditive Rückkopplung kontrolliert werden. Wie schon unter Punkt 2.3.1. angemerkt, kann eine Schalleitungsschwerhörigkeit durch optimale Anpassung entsprechender Hörgeräte oder operative Maßnahmen soweit ausgeglichen werden, dass kaum mehr negative Auswirkungen für den Betroffenen spürbar sind. Bei dieser Art von Schwerhörigkeit kommt es aufgrund der geringeren Intensität der Höreindrücke bzw. der schlechteren Diskriminationsmöglichkeit in Hörschwellennähe zu leiserem und quantitativ beeinträchtigtem Hören. Bei von Geburt an schallleitungsschwerhörigen Kindern kann sich die Hörschädigung auch auf die Sprache auswirken. Endsilben, Endkonsonanten, Präpositionen, Konjunktionen, Flexionsendungen der Substantive, Verben und Adjektive usw. werden weniger gut rezipiert und so kann es in diesen Bereichen zu Auffälligkeiten bei der Sprachproduktion kommen. Wird der Hörschaden rechtzeitig erkannt und eine sofortige Hörgeräteanpassung, unter Umständen chirurgische Schritte und entsprechende Fördermaßnahmen eingeleitet, kann man diese Entwicklung aufhalten bzw. die bereits aufgetretenen Fehler in der Sprachproduktion wieder abbauen. Anders als bei der Schallleitungsschwerhörigkeit kann eine sensorineurale Schwerhörigkeit nicht durch Anpassung von Hörgeräten behoben bzw. ausgeglichen werden, die Auswirkungen auf die Sprachperzeption und -produktion sind hier weitaus www.foepaed.net 25 gravierender. Neben einer quantitativen Einschränkung des Hörens kommt es bei der Innenohrschwerhörigkeit hauptsächlich zu einer qualitativen Veränderung der auditiven Wahrnehmung. Das Hören erfolgt für den Betroffenen trotz Verwendung von elektronischen Hörhilfen nur „verzerrt“ und das Verstehen von Sprache ist je nach Grad des Hörverlusts mehr oder weniger stark erschwert, da die perzipierten Laute nur stark deformiert aufgenommen werden können. Je höher die Frequenz, desto größer werden in der Regel die Höreinbußen, weshalb die Differenzierbarkeit der Sprachlaute herabgesetzt wird. Das Problem für den Betroffenen ist, dass er die Sprachlaute akustisch zwar wahrnehmen, nicht aber differenzieren kann. Er kann Sprache also hören, aber nur sehr eingeschränkt verstehen. Gerade in geräuschvoller Umgebung ist eine vollständige Sprachperzeption für den senso-rineural Hörgeschädigten kaum mehr möglich. Inwieweit Sprache noch aufgenommen und verstanden werden kann ist abhängig vom subjektiven Kompensationsmöglichkeiten Verlauf und der -strategien. Hörschwelle, Eine genaue den individuellen Darstellung der Auffälligkeiten in der sprachlichen Entwicklung eines Kindes als Folge einer sensorineuralen Schwerhörigkeit würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen. Es lässt sich aber sagen, dass häufig Auffälligkeiten in der Sprechweise des Betroffenen zu bemerken sind. So werden einzelne Laute falsch gebildet, fehlen ganz oder klingen für Außen-stehende verwaschen. Auch die rhythmisch und dynamisch-melodische Akzentuierung kann falsch oder fehlend sein, ferner neigt die Sprechweise häufig zu Monotonie und einem verlangsamten oder erhöhten Sprechtempo. An für die sozialkommunikativen Äußerungen wichtigen prosodischen Merkmalen kann es in der lautsprachlichen Konversation eines schwerhörigen Kindes ebenfalls mangeln. Diese wirken deshalb oft wenig strukturiert und ihre pragmatische Wirkung kann gegebenenfalls verloren gehen. „Der individuelle Wortschatz schwerhöriger Kinder kann gegenüber dem gleichaltriger Nicht-behinderter in stärkerem oder geringerem Maße retardiert sein.“ (Pöhle, 1994, S.24) Schwierigkeiten bereitet hier hauptsächlich das Erlernen von Wörtern, deren Inhalt sich auf Abstraktes bezieht, Wörtern mit bildhafter und übertragener Bedeutung sowie Adverbien, Präpositionen und Konjunktionen. Als letzter Aspekt soll hier noch auf die Auffälligkeiten bei der Entwicklung des individuellen Sprachformenschatzes hingewiesen werden. Während ein hörendes Kind die verschiedenen Flexionsformen und die syntaktische Strukturierung unterschiedlicher Satzmuster mit typischen Wortstellungen und grammatikalischen Fügungen vorrangig www.foepaed.net 26 imitativ und beiläufig in der täglichen Kommunikation und Interaktion mit seinen Mitmenschen erlernt, nehmen schwerhörige Kinder lautsprachliche Strukturen nur bruchstückhaft, unvollständig und qualitativ gemindert wahr. Auch ist der „Sprachumsatz“ schwerhöriger Kinder im Vergleich zu dem gleichaltriger Hörender häufig zu gering. Die in der Schule und den Förderprogrammen erlernten Sprachformen werden im Alltag nur wenig eingesetzt und geübt und das schwerhörige Kind gelangt unter Umständen nicht zu einer „automatisierten Sprechweise“ wie das normalhörende Kinder tun, sondern fühlt sich, ähnlich wie man das vom Erlernen einer Fremdsprache her kennt, unsicher und gehemmt in seinem kommunikativen Ausdruck. Diese knappen Hinweise auf die Auswirkungen einer Schwerhörigkeit zeigen, wie wichtig eine frühzeitige Erkennung des Hörschadens und eine sofortige und kontinuierlich durchgeführte Förderung, welche individuell auf die Schwierigkeiten des Kindes ausgerichtet ist, sein muss, um einer Retardation der Sprachentwicklung wirksam zu entgegnen und sprachliche Auffälligkeiten in Grenzen zu halten bzw. ganz zu vermeiden. 2.6 Informationen zu Hörgeräten, Höranlagen und Cochlea Implantat Eine grundsätzliche Kenntnis über die derzeitigen elektronischen Hörhilfen und Zusatzgeräte, sowie einiges Wissen über den Einsatz und die Möglichkeiten der „Hörprothese“ Cochlea Implantat sind für jeden Pädagogen notwendig, sobald er in seinem (schulischen) Umfeld mit einem hörgeschädigten Kind zusammentrifft. Deshalb sollen in diesem Abschnitt grundlegende Informationen zu den oben erwähnten Themenbereichen gegeben werden. 2.6.1 Das Hörgerät Bei der Entwicklung und Innovation moderner Hörgeräte stehen mehrere Faktoren im Vordergrund. So soll eine bestmögliche Verbesserung der akustischen Wahrnehmungsfähigkeit erreicht, der Bedienungskomfort erleichtert und der Anwendungsbereich vergrößert werden. Außerdem wird bei den neuesten Hörhilfen auf immer mehr Unauffälligkeit und kosmetische Vervollkommnung geachtet. Allgemein ausgedrückt ist der Zweck eines jeden Hörgerätes, „… das akustische Signal mit allen wesentlichen Merkmalen über die Hörschwelle (H.i.O.) des Hörgeschädigten www.foepaed.net 27 zu heben, ohne dass dabei die Schmerzschwelle erreicht wird.“ (Lindner, 1992, S.247) Im einfachsten Fall besteht ein Hörgerät aus einem Mikrofon zur Schallaufnahme und -umwandlung in elektrische Signale, einem regelbaren Verstärker zur Intensivierung der Impulse in mehreren Stufen und einem Hörer für die „Schallabgabe“ oder zur Umwandlung der Impulse in Schall. Von hier erfolgt die Weiterleitung des Schalls in die Otoplastik. Zuletzt benötigt ein Hörgerät immer auch eine Batterie zur ständigen Stromversorgung. Zu den Bedienungselementen, die der Hörgeschädigte selbst beeinflussen kann, gehören der Lautstärkeregler, im häufigsten Fall mit einer Skala von 0 bis 4 und der M-T-0Regler, wobei M für Mikrofon oder „normales Hören“, T für Telefon bzw. Hörspule für Hören über Zusatzgeräte oder Induktion und 0 für die Aus-Stellung steht. Ferner kann das Batteriefach selbst geöffnet werden, um bei Bedarf den Stromspender auszutauschen. Bei den neuesten elektronischen Hörhilfen existiert kein Lautstärkeregler mehr, sondern das Gerät reguliert die Einstellungen je nach Bedarf automatisch. Das ausgereifte „Innenleben“ eines Hörgerätes kann heute so individuell und optimal an den Hörschaden eines Betroffenen angepasst werden, dass mit ihnen zwischenzeitlich auch solche hörgeschädigten Kinder versorgt werden, die man früher als gehörlos oder gar „taub“ eingestuft und deshalb unversorgt gelassen hätte. Die Schallaufnahme beim Hörgerät erfolgt von vorne. Werden also zwei Geräte getragen, so ist eine Schalllokalisation möglich. Die individuelle Anpassung von Hörgeräten erfolgt stets für jedes Ohr getrennt, weshalb man auch die Hörgeräte links und rechts nicht einfach vertauschen darf, selbst wenn diese äußerlich gleich erscheinen. Bei den individuellen Hörgeräten unterscheidet man verschiedene Bauweisen. Im Rahmen dieser Arbeit soll auf die beiden am häufigsten vorkommenden Arten kurz näher eingegangen werden, nämlich das HdO = Hinter dem Ohr Hörgerät (vgl. Abb. 8) und das IdO = In dem Ohr Hörgerät (vgl. Abb. 9). Die Darstellung weiterer Formen wie dem Taschengerät, der Hörbrille oder der Knochenhörbrille etc. kann hier vernachlässigt werden, da der Marktanteil dieser Arten von Hörhilfen zusammen nur bei etwa 2% liegt und die Wahrscheinlichkeit, ein hörgeschädigtes Kind in einer Regelschule mit anderen als HdO- oder IdO-Geräten anzutreffen verschwindend gering ist. Ferner kann man sich bei Bedarf bei jedem Hörgeräteakustiker über die individuellen Hörhilfen eines hörgeschädigten Kindes näher aufklären lassen. www.foepaed.net 28 Abb. 8: HdO-Gerät Das HdO-Gerät ist über einen kurzen Plastikschlauch mit einem spezifisch angefertigten Ohrpassstück, der sogenannten Otoplastik, verbunden. Die Otoplastik wird individuell nach Abdruck hergestellt. Sie muss das Ohr abdichten und leitet den verstärkten Schall zum Trommelfell. HdO-Geräte ermöglichen eine ohrnahe Schallaufnahme. Sie erzeugen kaum unangenehme Reibe- und Tragegeräusche und der M-T-0-Regler wie auch der Lautstärkeregler sind meist gut bedienbar. Durch den Hörgeräteakustiker sind präzise Einstellungen möglich und bei Bedarf können verschiedene Sondereinrichtungen eingebaut werden, um die akustischen Signale auch bei ungünstigen individuellen Bedingungen auffangen zu können. Die beiden wichtigsten und in den meisten HdO-Geräten vorhande-nen Zusatzfunktionen sind das sogenannte Peak-Clipping (PC) und die Automatic Gain Control (AGC). Beim Peak-Clipping (PC) wird der maximale Ausgangsschalldruckpegel begrenzt, d.h. es werden die Amplitudenspitzen „abgeschnitten“, so dass die Unbehaglichkeitsschwelle nicht überschritten wird (z.B. bei Schreien, Türenschlagen etc.). Die Automatic Gain Control ist eine automatische Verstärkungsregelung, die den Eingangs- oder Ausgangsschalldruckpegel durch Absenken der Schalldruckspitzen begrenzt. Trägt ein Schüler Hörgeräte, die PC oder AGC unterstützen, so kann dies unter anderem ein Grund sein, warum das betroffene Kind sich durch lautes Schreien oft weniger gestört fühlt, als seine guthörenden Mitschüler und es unter Umständen das eigene „Herumbrüllen“ als nicht so auffällig empfindet wie die anderen Kinder oder die Lehrkraft. Auf weitere technische Einzelheiten soll aber an dieser Stelle verzichten werden, um den Umfang dieser Arbeit nicht zu überschreiten. Durch die fortschreitende technische Entwicklung sind die Bauteile der Hörgeräte immer kleiner geworden. Das Aufkommen von IdO-Geräte, deren Marktanteil heute bei www.foepaed.net 29 etwa 20% liegt, schreitet deshalb immer weiter fort und wird mittlerweile hauptsächlich aus kosmetischen Gründen bevorzugt, da die Hörhilfe für die Umwelt so weitgehend unsichtbar bleibt. Aber auch bei Missbildungen der Ohrmuschel, welche ein Tragen von HdO-Geräten unmöglich machen können, sind IdO-Geräte in jedem Fall am vorteilhaftesten. Abb. 9: IdO-Geräte IdO-Geräte sind ähnlich aufgebaut wie ein HdO-Gerät, der Hauptunterschied liegt in der sehr viel geringeren Größe. Sie bestehen fast nur aus einem individuellen Ohrpassstück in oder an das die gesamte Elektronik angebaut ist. Die IdO-Geräte müssen schalldicht im Gehörgang sitzen, da sonst wegen der unmittelbaren Nachbarschaft von Mikrofon und Hörer eine akustische Rückkopplung entstehen kann. Man unterscheidet zwischen den Geräten, welche Ohrmuschel ausfüllen und in den Gehörgang reichen (Concha-Geräte) und solchen, die nur im Gehörgang sitzen (Kanalgeräte). Problematisch beim IdO-Gerät im Vergleich zum HdO-Gerät ist das fast schon winzige Format, welches gerade bei Kindern die Gefahr birgt, leicht verloren zu gehen. Außerdem sind Einstellungen schwieriger vorzunehmen, da die Bedienelemente, die der Träger selbst modifizieren kann, wenn sie am Gerät selbst angebracht sind, erheblich kleiner und somit schwerer erreichbar und verstellbar sind. Sind sie per Fernbedienung einzustellen, so bedeutet das ein Element mehr, auf das man aufpassen muss und welches man möglichst nicht verlieren sollte. Die meisten Schulkinder, v.a. im jüngeren Alter, sind mit HdO-Geräten ausgestattet. Dies geschieht nicht nur wegen der kindgerechteren Bedienungsweise, sondern auch weil viele Eltern heute mit sichtbaren Hörgeräten in knalligen Farben die Umwelt bewusst auf die Hörschädigung ihres Kindes aufmerksam machen wollen, um diesem missverständliche Situationen oder negative Bemerkungen zu ersparen. www.foepaed.net 30 2.6.2 Die Höranlage Ein hörgeschädigtes Kind, welches eine Regelschulklasse besucht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit als zusätzliche Hilfe neben seinen Hörgeräten über eine frequenzmodulierte Anlage (FM-Anlage) verfügen. Diese Anlage ist mobil einsetzbar und besitzt eine Spracherkennung, die das Mikrofon des Empfängers bei entsprechenden Signalen abschaltet, so dass der Lehrer direkten Einfluss auf die Kommunikation im Unterricht nehmen kann. In Sprechpausen schaltet sie sich jedoch wieder zu, um die Erkennung umgebender Schallreize zu ermöglichen. Der Lehrer hat hierbei einen Sendekasten umhängen, während der Schüler einen Empfängerkasten trägt (vgl. Abb. 9), welcher mittels zweier Kabel, an dessen Enden jeweils ein Audio-Schuh sitzt, mit dem Audio-Eingang des jeweiligen Hörgeräts verbunden ist. Von der Firma Phonak gibt es seit neuestem eine FM-Anlage (vgl. Abb. 10), welche den Empfänger in den Audio-Schuh eingebaut hat. Das hörgeschädigte Kind muss hier keinen Empfängerkasten und lästige Kabelverbindungen mehr tragen, was z.B. im Sport- oder Kunstunterricht von großem Vorteil ist. Funkmikrofon „Handy Mic“ HdO-Gerät mit AudioSchuh und integriertem Empfänger Abb. 10: Mikroportanlage der Firma Sennheiser Abb. 11: MikroLink Anlage der Firma Phonak (drahtlos) In Schwerhörigen- und auch Gehörlosenschulen sind häufig sogenannte Klassenhöranlagen in Verwendung, welche sich durch ein gutes Stör-Nutzschall-Verhältnis auszeichnen, aber eine Vernetzung aller Schüler mittels ihrer Hörgeräte an diese Anlage bedingen. Deshalb haben diese Anlagen für Regelschulen keine Relevanz, weshalb auf dieses technische Hilfsmittel hier nicht näher eingegangen werden soll. www.foepaed.net 31 Die eindeutig wichtigsten technischen Hilfsmittel für ein hörgeschädigtes Kind stellen die Hörgeräte sowie die FM-Anlage dar. Daneben gibt es aber noch zahlreiche weitere Hilfen, die dem betroffenen Kind den Schulalltag erleichtern können. Eine wichtige Stütze ist dabei, wie bereits erwähnt, das Absehen, auf welches unter Punkt 4 genauer eingegangen wird. Zunächst soll aber noch kurz auf das Cochlea Implantat eingegangen werden, welches bei ertaubten, gehörlosen und vereinzelt hochgradig schwerhörigen Kinder immer häufiger eingesetzt wird und teilweise sehr gute Ergebnisse für die Entwicklung der Implantierten brachte. 2.6.3 Das Cochlea9 Implantat Das Cochlea Implantat dient dazu, gehörlosen, ertaubten und in speziellen Fällen auch hochgradig schwerhörigen Menschen mit einer peripheren Hörschädigung akustische Signale auf elektronischem Weg direkt an die Hörnerven zu übertragen. Die dort erzeugten Impulse werden dann auf natürliche Weise an das Gehirn weitergeleitet und verarbeitet. Eine Implantation kann nur erfolgen, wenn der Hörnerv und das zentrale Hörsystem funktionsfähig sind. Seit den 70er Jahren wird diese „Innenohrprothese“ ertaubten und gehörlosen Menschen eingesetzt. Zunächst wurden überwiegend betroffene Jugendliche und Erwachsene implantiert, seit Ende der 80er Jahre begann der Mediziner Lenhardt in Hannover, auch Kleinkinder mit Cochlea Implantaten zu versorgen. „Der Erfolg wurde maßgebend dadurch bestimmt, dass er nicht nur die operationstechnische Seite vom Standpunkt des Mediziners bzw. Operateurs betrachtete, sondern die Bedeutung der Nachsorge und die damit verbundene Rolle und Aufgabe der Hörgeschädigtenpädagogik (H.i.O.) von Anfang an erkannte.“ (Leonhardt, 1999, S.128) Die Systemkomponenten des Cochlea Implantats kann man in externe und interne Bestandteile aufgliedern. Extern getragen vom Implant-Träger wird der Sprachprozessor, das Mikrofon, welches hinter der Ohrmuschel getragen wird und somit die gleiche Platzierung findet wie ein HdO-Gerät und die Sendespule, welche magnetisch hinter der Ohrmuschel fixiert wird. Während einer Operation wird in das leicht ausgefräste Knochenbett hinter dem Ohr das eigentliche Implantat mit Empfängerschaltkreis, Gegen- 9 Cochlea: [kcx-; griechisch] = Schnecke des Gehörorgans der Säugetiere und des Menschen (vgl. Bertelsmann Lexikon 2000) www.foepaed.net 32 magneten, Mikrochip und einer oder mehrerer Reizelektroden eingesetzt. (vgl. Abb. 12, 13, 14) Abb. 12: interne Komponenten eines CI: Nucleus 24 Double Array Abb. 13: externe Komponenten eines CI: Nucleus 24 SPrint Speech Processor Im wesentlichen unterscheiden sich die Implantate der einzelnen Firmen durch die Lage und Anzahl der Elektroden. Die ersten CIs wurden einkanalig und extracochleär implantiert, mittlerweile sind die Operationsmethoden und technischen Möglichkeiten soweit fortgeschritten, dass moderne Cochlea Implantate fast ausschließlich transkutan, intracochleär und mehrkanalig gesetzt werden, da diese Art weit bessere und differenzierte Höreindrücke für den Implantierten ermöglicht. An dieser Stelle erscheint es wichtig anzumerken, dass mit einem Cochlea Implantat bisher ein Höreindruck für den Träger erzeugt wird, der von einem normalen Höreindruck noch weit entfernt ist. Die FH-Hannover führte unter der Leitung von Prof. Dr.Ing. Hartmut Kopp eine Simulation des Höreindrucks bei Cochlea-Implant-Trägern durch. Um diesen möglichst real nachstellen zu können wurden sechs Träger nach ihrem jetzigen Höreindruck erfragt. Dabei wurden am häufigsten folgende Kriterien genannt, die sehr anschaulich beschreiben, welchen Eindruck das Hören für die betroffenen Menschen hinterlässt. Stimmen und Laute werden so als „metallische Roboterstimme“ aufgefasst, allgemein werden Töne und Schall als verzerrt, ähnlich wie www.foepaed.net 33 bei einem schlecht eingestellten Radiosender wahrgenommen. Bestimmte Schalleindrücke erscheinen den Implant-Trägern aber auch als klar und deutlich. Die simulierten Schalleindrücke können im Internet unter der Adresse www.fhhannover.de/agreha/softsim.htm angehört werden und vermitteln so ein sehr eindrucksvolles Bild vom Höreindruck eines Cochlea-Implant-Trägers. Im folgenden die detailliertere Darstellung der Funktionsweise eines Cochlea Implantats anhand des COMBI 40+ der Firma MED-EL Medical Electronics. Bei dem hier beschriebenen Implantat handelt es sich um 24 Elektroden die in 12 Kanälen innerhalb der Cochlea eingesetzt werden. (1) Schallwellen werden von einem Mikrofon aufgenommen und in elektrische Signale umgewandelt. (2) Die elektrischen Signale werden über das Kabel zum Sprachprozessor geleitet. (3) Der Sprachprozessor verarbeitet die elektrischen Signale nach einer bestimmten Kodierungsstrategie in ein Muster von elektrischen Pulsen. (4) Dieses Pulsmuster wird über das Kabel zum Sender geleitet. (5) Der Sender verschlüsselt die Signale für die drahtlose Übertragung durch die Haut und sendet sie zum Empfänger. (6) Der Empfänger (Implantat) entschlüsselt das Signal und leitet das Pulsmuster zur aktiven Elektrode im Innenohr. (7) Über die 24 Elektrodenkontakte der 12 Kanäle stimulieren die abgegebenen elektrischen Pulse den Hörnerv an unterschiedlichen Orten innerhalb der Cochlea. Der Hörnerv generiert als Folge sogenannter Aktions-Potentiale und leitet diese zum Gehirn weiter. (8) Das Gehirn empfängt die Aktions-Potentiale des Hörnervs und interpretiert diese als akustisches Ereignis. www.foepaed.net 34 Abb. 14: „So funktioniert ein Cochlea-Implantat“ Die Versorgung mit einem Cochlea Implantat wird bisher meist an einem Ohr durchgeführt, die Erfahrung mit binauraler Versorgung ist noch vergleichsweise gering, wird aber zunehmend forciert, da sie ein verbessertes Hörvermögen und auch Richtungshören für die Betroffenen ermöglicht. Die Implantation bei einem Kind ist grundsätzlich eine Einzelfallentscheidung, die nur unter Abwägung der möglichen Vor- und Nachteile erfolgen kann. Eine CI-Versorgung wird nur in Erwägung gezogen, wenn die Aussichten, auch bei optimalster Hörgeräteversorgung und pädagogischer Förderung, auf eine, im Rahmen der Möglichkeiten des betroffenen Kindes gelungene Sprachentwicklung als zu gering betrachtet werden. Ziel einer Versorgung mit dem CI ist es dann, dem betroffenen Kind eine im Idealfall altersgemäße Entwicklung der Lautsprache zu ermöglichen, zumindest aber verbesserte Chancen im Gegensatz zu einer Versorgung und Förderung mit Hörgeräten. Lehnhardt nennt mehrere Faktoren, die in seinen Augen ausschlaggebend sind für den Erfolg einer CI-Versorgung. So ist das frühe Erkennen der Gehörlosigkeit, bzw. Taubheit sehr wichtig, um auch eine eventuelle Cochlea Implantation so früh wie möglich, schon im 3. oder gar 2. Lebensjahr durchführen zu können. Ferner ist eine intensive Frühförderung, ein kontinuierliches auditiorisch-verbales Training, eine gewisse Sprachbegabung sowie eine hörgerichtete Gesamtpersönlichkeit des Kindes entscheidend um ein positives Ergebnis der Implantation zu ermöglichen. (vgl. Lehnhardt, Ernst in: Leonhardt, 1997, S.28) Die Beschulung eines implantierten Kindes hängt ab von der jeweiligen Sprach- und Gesamtentwicklung des Kindes und muss somit stets eine Einzelfallentscheidung sein, da es eine schulische Einrichtung eigens für CI-Kinder bisher nicht gibt und sich dies aufgrund der unterschiedlichen Erfolge des CIs bei jedem einzelnen Kind und der breiten Verteilung aller implantierten Kinder auf die ganze BRD als schwierig gestalten würde. Für Regelschullehrer ist es an dieser Stelle wichtig zu erfahren, dass die Einbzw. Umschulung eines implantierten Kindes in die Regelschule, welches gute Erfolge in seiner sprachlichen und kognitiven Entwicklung erzielen konnte, immer häufiger in Erwägung gezogen und auch schon durchgeführt wird. Nach Lehnhardt sind etwa 25% der implantierten Kinder für einen Besuch der Regelschule geeignet, da sie zu spontaner sprachlicher Kommunikation und zu einem Sprachwww.foepaed.net 35 verstehen kommen, welches es ihnen ermöglicht, auch unbekannte Wörter zu verstehen. Circa 70% der Kinder, denen ein Cochlea Implantat eingesetzt wurde, können aller Voraussicht nach die Schwerhörigenschule besuchen, da sie dank ihres Implantats Sprache teilweise wieder rezipieren und identifizieren können. Etwa 5% der mit einem CI versorgten Kinder ziehen nur sehr wenig Nutzen aus ihrer Hörprothese, d.h. sie können es zum Rezipieren und zur Produktion von Sprache kaum nutzen. Diesen Kindern muss also trotz Implantation der Besuch einer Gehörlosenschule angeraten werden, da sie in jedem Fall auf zusätzliche, eventuell auch gebärdensprachliche Kommunikationssysteme angewiesen sind. (vgl. Lehnhardt in: Leonhardt, 1997, S.28) Abschließend lässt sich sagen, dass auf dem Gebiet der elektronischen und implantierbaren Hörhilfen eine ständige und rasante Entwicklung im Gange ist, die darauf abzielt, eine weitere Verbesserung mit optimierter individueller Anpassung zu erreichen, um eine Hörleistung und eine optimierte Ausnutzung des Restgehörs zu erzielen, die dem eines Normalhörenden möglichst nahe kommt. So wird derzeit an der Entwicklung implantierbarer Hörgeräte gearbeitet. Die Cochlea Implantate werden zunehmend kleiner und dennoch leistungsfähiger gebaut. Es gibt auch schon Versuche für eine total implantierbare Prothese, bzw. die Verbindung von Mikrofon und Sprachprozessor in einem Gerät, welches hinter dem Ohr getragen wird um den Tragekomfort zu erhöhen. Um sich ein Bild von diesen Neuerungen machen zu können und da Fachliteratur zu diesem Themenbereich sehr schnell überholt ist, bietet das Internet eine gute Möglichkeit sich schnell und umfassend einen Einblick zu verschaffen. Nachfolgend einige Internetseiten (aktuell im Februar 2001), die Informationen zu Hörgeräten und Cochlea Implantaten liefern: • http://www.hoergeraete-jensen.de/HGJ/Hoergeraet.html • http://www.hca.dk/tysk/horgerat.htm • www.ci-centrum.de • http://www.hno-rdi.de/cochl_op.asp • www.ukl.uni-freiburg.de/hno/icf/cochlear.html www.foepaed.net 36 3. Die Kommunikation der Hörgeschädigten 3.1 Das Absehen als wichtiger Teil der Kommunikation für Hörgeschädigte Schon von frühester Kindheit an spielt Kommunikation in unserem Leben eine entscheidende Rolle. Ein Neugeborenes kann zunächst nur über Körperreaktionen und elementare Laute mit seiner Umwelt kommunizieren, aber schon in seinen ersten Lebensjahren gelangt es über einfache Laute und Satzgebilde hin zu einem System, welches es dem Menschen schließlich ermöglicht, seine Gedanken, Erfahrungen und Erkenntnisse in Worte zu fassen und sie an seine Mitmenschen weiterzugeben. Lindner (1999, S.16) beschreibt Kommunikation als eine „Übermittlung von gedanklichen Inhalten von einem Menschen zu seinem Partner mit Hilfe von Sprache“. Im Alltag erfolgt die Übermittlung von Sprache meist über die Lautsprache. Weitere Formen sind Mimik, Gestik, Gebärden, Körperreaktionen und auch die Schrift. Es erscheint aber einsichtig, dass hörgeschädigte Menschen trotz dieser weiteren Möglichkeiten, Sprache aufzunehmen und auch zu verstehen, durch ihr begrenztes oder für Lautsprache nicht mehr verwendbares Hörvermögen in der täglich stattfindenden Kommunikation mit ihren Mitmenschen stark eingeschränkt sind. Müller (1986, S.11) beschreibt sehr anschaulich an zwei Modellen die Übermittlung von Sprache zwischen zwei Guthörenden (siehe Abb. 1) und als Gegensatz zwischen einer guthörenden und einer schwerhörigen Person (siehe Abb. 2). Abb. 15: Kommunikation zwischen zwei Guthörenden Abb. 16: Kommunikation eines guthörenden Sprechers mit einem Schwerhörigen www.foepaed.net 37 So wird im ersten Fall die Sprache vom Kommunikator (Sender) ohne Umwege direkt zum Kommunikanden (Empfänger) geleitet. Dies wird durch eine durchgezogene Linie deutlich gemacht. Im zweiten Beispiel gelangt die gesprochene Sprache vom guthörenden Kommunikator (Sender) nur bruchstückhaft (dargestellt durch eine gestrichelte Linie) an den Empfänger. So genannte „Lückenfüller“ sind „Mundablesen“, „Mimik“, Gestik“, und „Körpersprache“(vgl. Abb. 16). Auf Grund ihrer Mehrdeutigkeit gewährleisten sie aller-dings keinen ausreichenden Ersatz für das mangelnde Hörvermögen. Dieses Modell verdeutlicht die Wichtigkeit des Absehens für einen schwerhörigen oder gehörlosen Men-schen, der Sprache nur bruchstückhaft oder nicht über das Gehör aufnehmen kann. „Die Kommunikationsfähigkeit … erfordert vom Schwerhörigen vom Ansatz die Anpassung an und die Einstellung auf das Kommunikationssystem der Guthörenden, um zu einer besseren Verständigung zu gelangen.“ (Müller, 1986, S.11) Welch hohe Anforderungen das Absehen an einen hörgeschädigten Menschen stellt ist für einen hörenden Menschen meist nicht nachzuvollziehen. Eine gute Möglichkeit bietet hier das Sprechen eines Satzes vor einer Videokamera. Selbst bei Kenntnis des Satzes fällt es dem ungeübten guthörenden Sprecher oft schwer, die gesprochenen Worte zu verfolgen, wenn er sie sich ohne Ton ansieht. Dies kann noch gesteigert werden durch das Sprechen mehrerer Sätze vor der Kamera, die dann von einer anderen guthörenden Person, die keine Hinweise zum Inhalt bekommen hat, ohne Ton angesehen werden. Meist gelingt nur das Absehen weniger Wörter, ein Sinn wird selten erkannt. Solche Übungen sind wichtig, um sich in die Situation von Hörgeschädigten besser einfühlen zu können, außerdem kann über die oben genannten Beispiele überprüft werden, ob das eigene Mundbild leicht oder nur schwer „abzusehen“ ist. Zum Absehen gehört nicht nur das richtige Erkennen einzelner Wörter und Sätze, auch die Mimik und Gestik des Sprechers muss dem Gesprächsinhalt zugeordnet werden können. Da Ausdrucks- und Verhaltensweisen häufig mehrdeutig sind, lassen sich Missverständnisse nie vermeiden. Es soll an dieser Stelle ein Beispiel gegeben werden, das helfen kann, den Stellenwert und die Problematik des Absehens, die sich für einen hörbehinderten Menschen während einer Kommunikation mit einem guthörenden Gesprächspartner ergibt, besser zu verstehen: www.foepaed.net 38 Der Guthörende beginnt zu sprechen. Die schwerhörige Person sammelt die gehörten und abgesehenen Sprachsignale. Unvollständig gehörte oder abgesehene Sprachlaute müssen hinzugedeutet werden. Mit Hilfe von Mienenspiel und Körpersprache werden die einzelnen Informationen kombiniert und zu einem sinnvollen Spracheindruck verarbeitet. Während des geistigen Verarbeitungsprozesses muss die hörgeschädigte Person das in der Zwischenzeit wahrgenommene audio-visuelle Material speichern, derweil die guthörende Person weiterspricht, bis der Denkprozess für die vorangegangenen Informationen abgeschlossen ist. Hören, absehen, beobachten, interpretieren, speichern, kombinieren und verarbeiten muss zugleich stattfinden. Zusätzlich muss noch die passende Reaktion auf das Gesagte vorbereitet werden. Dies kann eine sprachgebundene Antwort oder auch eine Geste, Handlung etc. sein (vgl. Müller, 1986, S.9). Welch enorme Konzentrations-, Verarbeitungs-, und Kombinationsleistungen das Absehen für einen hörgeschädigten während einer ganz alltäglichen Gesprächssituation bedeutet, kann an diesem Beispiel sehr anschaulich nachvollzogen werden. Als letzten Aspekt in diesem Abschnitt sollen noch einige Gedanken von Georg Alich zur Problematik des Absehens erwähnt werden, die dieser bereits Anfang der sechziger Jahre festgehalten hat. Nach Alich erhält ein Hörgeschädigter einen „im Ablesebild … lückenhaft codifizierten Text zugesprochen, den er nach einem ihm mehr oder weniger gut geläufigen Schlüssel in kürzester Frist zu entschlüsseln und zu verstehen hat.“ (Alich, 1968, S.6) Diese komplexe Aufgabe hat nach Alich nur eine Chance auf Lösbarkeit, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. die Kenntnis des Codes; der Zeichenwert der Sprechbewegungsbilder muss geläufig sein 2. die Sprechbewegungsbilder müssen rein sinnlich aufgefasst, also wahrgenommen werden 3. der mangelhafte Code erfordert sinngemäße Ergänzungen; der Hörgeschädigte muss eine gute Kombinationsgabe besitzen, um die jeweils richtigen, aufgabegemäßen Ergänzungen zu finden 4. die Sprache, in der die Mitteilung erfolgt, muss in ihrem Wort- und Formenschatz hinreichend bekannt sein (vgl. Alich, 1968, S. 6-7) www.foepaed.net 39 Es erscheint verständlich, dass nur in sehr seltenen Fällen alle vier Voraussetzungen von einem Hörgeschädigten in gleichem Maße erfüllt werden können, besonders für gehörlose und ertaubte Menschen, die keinerlei Sprachlaute als Ergänzungshilfen akustisch wahrnehmen können, muss die Aufgabe des Absehens auf den ersten Blick oft wie ein unlösbares Problem bei der täglichen Kommunikation erscheinen. Im nächsten Abschnitt soll darauf eingegangen werden, welche Arten der Kommunikation und Verständigung sich den Hörgeschädigten neben der Lautsprache und dem Absehen eigentlich bieten und welchen Stellenwert das Absehen unter diesen verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten meist einnimmt. 3.2 Die wichtigsten Kommunikationsformen von Schwerhörigen und Gehörlosen Wie schon erwähnt haben hörgeschädigte Menschen andere Möglichkeiten, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren als nur die Lautsprache. Je nach Fähigkeiten und insbesondere abhängig von Beginn und Qualität der Frühförderung und audiotechnischer Versorgung beherrschen Hörgeschädigte die gesprochene Sprache zwar mehr oder weniger gut, das Rezipieren und Identifizieren derselben fällt aber einem großen Teil, trotz optimaler Hörgeräteversorgung und guter Förderung, schon ab dem frühesten Kindesalter, nicht leicht. Deshalb sind zusätzliche Kommunikationsformen und -hilfen für diese Menschen eine wichtige und notwendige Unterstützung. Es ist bereits hingewiesen worden auf die, jede lautsprachliche Kommunikation begleitenden Erscheinungen: Mimik, Gestik und Körpersprache. Diese Phänomene können bei einer Konversation dem Hörgeschädigten zwar hilfreich sein, da sie Auskunft geben über Absicht und Gestimmtheit des Sprechers. Sie haben aber nur eine unterstützende Wirkung und nützen sehr wenig, wenn von den gesprochenen Worten kaum etwas verstanden wird und der Hörgeschädigte sonst über keinerlei weitere Kommunikationsformen bzw. -hilfen verfügt. Besonders für Gehörlose, aber nicht selten auch für Schwerhörige spielen die verschiedenen Zeichensysteme und gebärdeten Sprachen eine wichtige Rolle. „Sie ermöglichen es, dass das gehörlose (…) Kind schon sehr früh kommunikativ (H.i.O.) tätig wird.“ (Lindner, 1999, S.108) Die am häufigsten zum Einsatz kommenden Systeme sind die www.foepaed.net 40 Deutsche Gebärdensprache (DGS), die lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) und die beiden Manualsysteme. Bei letzteren unterscheidet man meist zwischen dem Graphembestimmten Manualsystem (GMS) und dem Phonembestimmten Manualsystem (PMS), welche in Deutschland vorrangig verwendet werden. Die GMS-Zeichen weisen meist Ähnlichkeiten mit der Form des Buchstaben auf, den sie darstellen sollen und sind an der „Regelhaftigkeit der Schriftsprache“ orientiert (Jussen, 1975, S.15). Sie stimmen also nicht mit den Lauten der gesprochenen Sprache überein. Das GMS wird meist von Gehörlosen, aber teilweise auch von Schwerhörigen benutzt, um schwer verständliche, unbekannte Wörter, Eigennamen oder Fremdwörter begreiflich zu machen. Wird das GMS gut beherrscht, können einzelne Wörter schnell und flüssig buchstabiert werden. Abb. 17: Das deutsche Fingeralphabet Das GMS spielt in der Kommunikation der Hörgeschädigten eine nicht unwesentliche Rolle, kann aber nur für einzelne Wörter verwendet werden, da es viel zu mühsam wäre, www.foepaed.net 41 einen oder gar mehrere Sätze im Sprechtempo zu „fingern“. In den Schwerhörigen- und Gehörlosenschulen kommt dieses Fingeralphabet relativ häufig zum Einsatz, meist auch wenn auf Gebärden im Unterricht verzichtet wird. Das Phonembestimmte Manualsystem versucht, charakteristische Phänomene der Lautbildung zu verdeutlichen. Deshalb wird es immer wieder auch als lautsprachbezogenes Manualsystem bezeichnet. Das PMS dient vor allem dazu, die Aussprache einzelner Sprachlaute durch Handbewegungen, oft auch in Verbindung mit Verweis auf die Sprechorgane des Gesichts zu verdeutlichen und falsche Artikulation zu verbessern. Es wird fast ausschließlich in der Sprecherziehung von Hörgeschädigten eingesetzt und spielt in deren Alltagskonversation kaum eine Rolle. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fingeralphabete „eine weltweit verbreitete Kommunikationshilfe Hörgeschädigter …“ (Leonhardt, 1999, S.113) sind, die aber in der Alltagskommunikation mit Hörenden nur eine geringe Rolle spielen. Die Gebärdensysteme DGS und LBG werden hauptsächlich bei der Kommunikation Hörgeschädigter untereinander verwendet. DGS benutzen dabei mehrheitlich Gehörlose, LBG wird immer stärker als Unterstützung der Kommunikation für Schwerhörige propagiert, kommt allerdings in den Schwerhörigenschulen noch wenig zum Einsatz. Die Deutsche Gebärdensprache differenziert sich von LBG und den Fingeralphabeten insofern, da sie eine von der Lautsprache abweichende Grammatik beinhaltet und nur unter Einsatz von Hand- und Körperbewegungen mit Unterstützung einer deutlichen Gesichtsmimik, des Mundbildes und der Mundgestik ihre Inhalte übermittelt. Die DGS wird somit ausschließlich über die visuelle Wahrnehmung vermittelt. Die Gebärdensprachforschung der letzten 30 Jahre ergab, dass Gebärden keineswegs nur eine minderwertige Ersatzkommunikation ausmachen, wie vormals oft behauptet. „Die bisher vorgelegten Ergebnisse der internationalen Gebärdensprachforschung lassen keinen Zweifel mehr an der Vollwertigkeit der Gebärdensprachen zu.“ (Prillwitz/ Vollhaber, 1991, S.27) Seit diesen Erkenntnissen versucht die Gebärdensprachbewegung immer nachdrücklicher, in Europa und somit auch in Deutschland DGS als eigenständige Sprache in der Erziehung und den Schulen für Gehörlose als vorrangiges Kommunikationsmittel zu etablieren. DGS ist bisher noch keine standardisierte Spra- www.foepaed.net 42 che, sondern existiert in vielen Dialekten und Varianten, auch innerhalb einer sprachhomogenen Region. „Obwohl die gehörlosen Gebärdenden […] unterschiedliche Gebärden für mehrere Begriffe verwenden, haben sie wenig oder keine Schwierigkeiten, sich miteinander zu verständigen. Diese Verständigung ist teilweise möglich, weil alle Gebärdenden in allen Regionen die gleichen Regeln der Grammatik der Gebärdensprache benutzen, obwohl individuelle Gebärden von Dialekt zu Dialekt verschieden sind.“ (Boes Braem, 1995, S. 128) Was ist dein Beruf? DEIN BERUF WAS Abb. 18: Satz in Deutscher Gebärdensprache In manchen Fällen dienen die Mundbilder der Lautsprache zur Differenzierung der Gebärden. Das Absehen kann also auch beim Gebrauch von Gebärden eine wichtige Rolle spielen. „Beim LBG - Verfahren sollen Gebärden nicht als eigenständiges Zeichensystem in Erscheinung treten wie bei der Gebärdensprache, sondern an die gesprochene Sprache gebunden sein. Das LBG – Verfahren lässt sich demnach definieren als intensives Zusammenspiel von Sprechen, Gebärden, gebärdenergänzenden Fingeralphabetzeichen und Körpersignalen, bevorzugt der Mimik, wobei die Strukturen der deutschen Sprache den Ablauf bestimmen.„ (Projektgruppe München 1989, S.9) LBG ist somit eine Methode zur Visualisierung der Lautsprache, die jedes gesprochene Wort gleichzeitig durch eine Gebärde unterstützt. Hauptsächlich wird dieses System zur Unterstützung des Absehens im Schwerhörigen- und Gehörlosenunterricht eingesetzt und kommt ferner beim Dolmetschen für Schwerhörige und Ertaubte zum Einsatz. Allerdings ist LBG www.foepaed.net 43 im Gegensatz zu DGS keine eigenständige Sprache, sondern orientiert sich ausschließlich an der Lautsprache. Bei Verwendung von LBG wird hörbar mitgesprochen. Auch bei dieser Kommunikationsform kann der richtige Inhalt vom Hörgeschädigten nur durch eine Kombination von Absehen und den zugehörigen Gebärden erfasst werden. Das Absehen ist also sowohl bei der DGS als vor allem auch bei LBG eine zusätzliche Kommunikationsstütze, da keines der beiden Systeme so differenziert ist, dass die Bedeutung jeder Gebärde in allen Fällen zweifelsfrei ohne Mundbild oder Kenntnis des Gesprächsinhalts geklärt ist. DAS GEHÖRT DIR Abb. 19: Satz unterstützt mit lautsprachbegleitenden Gebärden Es existieren natürlich noch weitere Fingersysteme und auch Gebärden, die aber entweder nur theoretisch Verwendung finden oder sich als System nicht etabliert haben und somit kaum benutzt werden. Die Vorstellung der wichtigsten und derzeit gebräuchlichsten Kommunikationssysteme von Hörgeschädigten, die als wissenswerte Grundlage für die weiteren Ausführungen in dieser Arbeit von Bedeutung sind, soll hiermit abgeschlossen werden. Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch, dass Hörgeschädigte im Alltag auf zahlreiche technische Hilfsmittel zurückgreifen können. Die für das Absehen relevanten Übungs- und Hilfsmittel werden unter Punkt 4.6.2. näher erläutert. Andere Hilfen, wie Schreibtelefon, Bildtelefon, Faxgerät, Lichtwecker, Tür- und Telefonklingellichtsignal sind im häuslichen und teilweise auch sonderschulischen Alltag oft nötig, sollen hier aber nur erwähnt bleiben, da sich eine ausführliche Aufzählung und Beschreibung als zu umfangreich für diese Arbeit erweisen würde und diese Hilfen in der Regelschule meist nicht zu finden sind. www.foepaed.net 44 3.3 Der Stellenwert des Absehens für ein hörgeschädigtes Kind in einer Regelklasse Durch die vorangegangenen Ausführungen wurde bereits deutlich, wie wichtig das Absehen für einen Hörgeschädigten in der täglichen Kommunikation ist. In der Regelschule ist ein schwerhöriges oder gehörloses Kind noch viel stärker auf das Absehen angewiesen, als die Kinder in einer Schwerhörigen- bzw. Gehörlosenschule. Einerseits ist dies zurückzuführen auf die Tatsache, dass in der Regelschule oft bis zu 30 Kinder pro Klasse zu finden sind, während die Anzahl der Schüler pro Klasse in einer Schwerhörigen- oder Gehörloseneinrichtung auf maximal 15 begrenzt ist. Dies hat teilweise große räumliche Entfernungen zwischen dem sprechenden und dem zuhörenden Kind innerhalb der Klasse zur Folge, gleichzeitig ist der Geräuschpegel und somit störende Nebengeräusche in einer Klasse mit doppelt so großer Schülerzahl wie in einer vergleichbaren Sonderschulklasse meist erheblich höher. Ein integrierter schwerhöriger Schüler bzw. eine integrierte schwerhörige Schülerin kann also oftmals die für die Verständlichkeit relevanten Sprachanteile trotz optimaler Hörgeräteversorgung aufgrund der Entfernung zum Sprecher und den Nebengeräuschen in der Klasse schlechter wahrnehmen als dies in einer Schwerhörigen- bzw. Gehörlosenklasse mit optimaler Sitzordnung der Fall wäre. Das Absehen ist hier eine wichtige Hilfe für das Kind, um die nur schlecht wahrgenommenen Äußerungen der Mitschüler oder der Lehrkraft zu ergänzen. Andererseits kann ein schwerhöriges oder gehörloses Kind in einer Regelklasse nicht auf die unter 3.2. beschriebenen Kommunikationssysteme wie Fingeralphabete und LBG bzw. DGS zurückgreifen, da diese meist weder die Mitschüler noch die Lehrkräfte der Klasse beherrschen. Einzige zusätzliche Hilfe zum Sprachverstehen bei einer rein mündlichen Konversation ohne zusätzliche Hilfen wie Bilder, Folien, Anschauungsmaterial etc. ist auch hier wieder das Absehen. Es wird an diesen beiden Argumenten sehr schnell deutlich, wie wichtig das Absehen für ein integriertes hörgeschädigtes Kind in einer Regelklasse ist. Trotzdem sind die Lehrkräfte und teilweise auch die betroffenen Schüler häufig noch zu wenig aufgeklärt über Bedeutung und richtigen Einsatz des Absehens im normalen Schulalltag. Aufgrund dieser Erkenntnis erscheint es wichtig, zumindest eine kurze Zusammenfassung zum Thema „Absehen“ und dessen Bedingungen zu entwerfen, um es den Lehrkräften an www.foepaed.net 45 Regelschulen, die ein schwerhöriges oder gehörloses Kind zusammen mit normalhörenden Schülern in ihrer Klasse unterrichten zu ermöglichen, erste Informationen und Hilfen zu dieser Thematik zu erhalten und Hinweise zu weiterführender Literatur und Hilfsmaterialien zu bekommen. Ziel dieser Arbeit soll deshalb ein Merkblatt für Regelschullehrer sein, die ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse unterrichten und erste Informationen zum Umgang mit dieser neuen Situation erhalten wollen. Im nachfolgenden Abschnitt soll zunächst auf die Absehbarkeit von Lauten eingegangen werden, um den Vorgang und die Möglichkeiten des Absehens als Kommunikationsform für Hörgeschädigte zu verdeutlichen. Anschließend sollen die Probleme, Hilfsmöglichkeiten und zuletzt Absehbedingungen in einer integrativen Regelschulklasse behandelt werden. Untermauert werden sollen die Erkenntnisse aus diesen Überlegungen durch den praktischen Teil der Arbeit, in dem das „Absehen“ in zwei Regelklassen in einer Unterrichtseinheit den Schülern dieser Klassen nahegebracht werden soll. www.foepaed.net 46 4. Das Absehen 4.1 Die Sprechbewegungen Ziel einer jeden sprachlichen Kommunikation ist es, den gedanklich-rationalen Inhalt des Gesprochenen zu verstehen. „Sprachverstehen hat unausweichlich Sprachhören zur Voraussetzung (H.i.O.)“ (Lindner, 1999, S. 21). Ist die akustische Aufnahmefähigkeit eingeschränkt, so ist man sehr stark auf die sichtbaren Bewegungen beim Sprechen angewiesen, um den Sinn des Gesagten mitverfolgen zu können. Zu den sichtbaren Sprechbewegungen zählen die Bewegungen der Lippen, des Unterkiefers mit den Zähnen und der Zungenspitze. Allerdings verändern sich beim Sprechen auch die Stellungen des Zungenrückens, des Gaumensegels und der Stimmlippen, die zu den unsichtbaren Bewegungen beim Sprechen zählen. Nicht nur schwerhörige und gehörlose Menschen, auch ein Normalhörender nutzt immer wieder, meist unbewusst, die Sprechbewegungen des Gesprächspartners, um z.B. in einer Umgebung mit sehr hohem Störlärm, das Gesagte besser zu verstehen. „Das Sprachverstehen ist im Alltag vor allem dann erheblich eingeschränkt, wenn das Hören zeitweise oder dauernd leistungsgemindert (H.i.O.) ist. Dann kann das Absehen mit Vorteil als zweiter Weg genutzt werden“ (Lindner 1999, S.107). Die Frage ist nun, ob und wie das Absehen als eigene Kommunikationsform erlernbar ist. Eine Beschreibung der o.g. sichtbaren Sprechbewegungen und deren differenzierte und systematische Einteilung in bestimmte Absehbilder ist sicher sinnvoll, um einen ersten Ansatzpunkt zur gezielten Übung und Unterstützung des Absehens als effektive Kommunikationshilfe zu erhalten. Bevor die Lippenbewegungen näher beschrieben werden, sollen noch einige Faktoren erwähnt werden, die die Lippenstellung beeinflussen können. So spielt zum einen die Individualität der Lippen eine Rolle. Je nachdem, ob man schmale oder volle Lippen, einen kleinen oder großen Mund hat, kann dies die Sprechbewegung beeinflussen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die jeweilige persönliche Emotionslage beim Sprechen. So wird das ganze Mundbild verändert, wenn der Sprecher gerade fröhlich gestimmt ist und dessen Mundwinkel während des gesamten Sprechvorgangs leicht angehoben sind. Das Gleiche gilt für jemanden, den gerade eine traurige Stimmung erfasst hat und der www.foepaed.net 47 somit seine Mundwinkel etwas herabgezogen hat. Auch die Lautfolge hat großen Einfluss auf die Lippenstellung. Beim Sprechen werden schon im voraus Laute angedeutet und unmittelbar Vorangegangenes ist häufig noch nicht völlig abgeklungen, wenn bereits der nächste Laut geformt wird. Ein letzter Aspekt, der hier erwähnt werden soll, ist die individuelle Akzentuierung. Wichtiges wird mit stärkerer Innervation gesprochen, die Lippenbilder verändern sich entsprechend, ebenso der jeweilige Kieferwinkel. Im folgenden werden die Sprechbewegungen zunächst als „Viseme“ einer ersten groben Einteilung unterzogen. Anschließend erfolgt die genauere Einteilung in Kineme. Hier werden die einzelnen Sprachlaute nach gleichem Absehbild zusammengefasst und ihr Erscheinungsbild wird unter den Aspekten der Erkennbarkeit und Unterscheidung beschrieben. 4.2 Die Viseme Definition (vgl. Lindner 1999, S.195): Ein Visem ist der sichtbare Ausschnitt der Artikulationsbewegungen beim Sprechen, vor allem der Lippe und der Zungenspitze. Der Absehende hat zunächst nur die sichtbaren Sprechbewegungen zur Verfügung, an denen er sich orientieren kann und die ihm Anhaltspunkte zu den gesprochenen Lauten geben. Analysiert man die sichtbaren Sprechbewegungen, so kann man fünf Bewegungen unterscheiden, die die unterschiedlichen Stellungen der Lippen beschreiben. Diese Bewegungen werden Viseme genannt und geben erste Hinweise zum Verständnis des sprachlichen Inhalts: • Öffnungsbewegungen • Schließbewegungen • Rundungsbewegungen • Spreizungsbewegungen • Kombinierte Bewegungen (z.B. Schließung mit Rundung) • Zungenbewegungen, die sich dadurch manifestieren, dass die Zungenspitze an den Zähnen oder im Zahnspalt sichtbar wird. (vgl. Lindner 1999, S.118/119) www.foepaed.net 48 In Anlehnung an den englischen Sprachgebrauch werden diese Bewegungen Viseme genannt. Jemand, der noch keine Übung hat und den Sprecher beobachtet, um den Sinn des Gesprochenen zu erfassen, ist zunächst auf die Viseme angewiesen. Man erhält damit ein grobes Gerüst, dass einem aber nur wenig weiterhelfen kann, um das Gesprochene auch wirklich zu verstehen. Mehr Hilfen zum Absehen bietet hier das System der Kineme, welches erstmals als solches von Georg Alich 1961 in seiner Dissertation erwähnt und beschrieben wird. „Ein im Absehen Geübter (H.i.O.) erkennt in den Bewegungen die typischen Kinempositionen, die durchlaufen (H.i.O.) werden.“ (Lindner; 1999, S. 118) 4.3 Die Kineme Definition (nach Lindner 1999, S.194): Ein Kinem ist die kleinste sichtbare Einheit eines Bewegungsablaufs, vor allem der Sprechorgane. Alich hatte die optischen Merkmale an den Absehgestalten erstmals Kineme genannt. Gleiche Absehgestalten, also auch gleiche Kineme, fasste er zusammen und entwickelte daraus das kineologische System. Unterschiedliche Laute, die aber die gleiche Absehgestalt aufweisen, werden so ein und demselben Kinem zugeordnet. Im kineologischen System werden die Anfangs- und Endpositionen eines Sprechgefüges nicht erfasst, die Kineme beziehen sich ausschließlich auf die Absehgestalten in Medialposition. In Initial- und Finalposition sind die einzelnen Sprachlaute besonderen Einflüssen ausgesetzt und können nicht mehr eindeutig dem jeweiligen Kinem zugeordnet werden, welchem sie im kineologischen System entsprechen. Im Anschluss an die Beschreibung der einzelnen Kineme soll noch kurz auf diese Besonderheit eingegangen werden. Die Kineme wurden von Alich in zwei Gruppen unterteilt, nämlich die der konsonantischen und die der vokalischen Kineme. Die einzelnen Kineme werden in Großbuchstaben, der jeweils in Klammern steht, transkribiert. In der folgenden Darstellung wird das Kinem als Abbildung aufgezeigt und die Absehgestalt wird kurz beschrieben. Die einzelnen Kineme werden durchgehend nummeriert, um eine einfache Zuordnung zu ermöglichen. Unter der Abbildung werden die einzelnen Phoneme erwähnt, auf die diese Absehgestalt und somit dieses Kinem zutrifft. Wie schwierig es ist, trotz der www.foepaed.net 49 Kenntnis des einzelnen Kinems das sinngemäß richtige Phonem bzw. die richtige Lautverbindung abzusehen, wird für einige Kineme anhand eines jeweils passenden kleinen Absehrätsel10 veranschaulicht. Ein Satz wird dabei einmal in der phonetisch „falsch“ abgesehenen, von den Absehgestalten her aber auch durchaus richtigen Weise dargestellt, darunter findet sich der sinngemäß richtige Satz, der allerdings die gleichen Kineme aufweist, wie der „falsche“ Satz. 4.3.1 Die konsonantischen Kineme K1: das bilabiale Kinem (B) Beide Lippen sind geschlossen und berühren sich. Wörter wie „Mama“ und „Papa“ sind allein von der Absehgestalt her nicht zu unterscheiden! Auch die Lautverbindungen mp, bm, bmp etc. haben bei normaler Sprechgeschwindigkeit diese Absehgestalt. Abb. 20: b, p, m Absehrätsel 1: BEINEBUTTERHATBEINEPAMMEWEGGENOPPEN. Meine Mutter hat meine Mappe weggenommen. K2: das labiodentale Kinem (F) 10 Die Idee zu den Absehrätseln entstammt dem Seminar „Theorie und Praxis des Absehens“ von Roland Hanik, der diese Übungen dort immer wieder mit einbaut. www.foepaed.net 50 Unterlippe und obere Schneidezähne bilden eine Enge. Bei der Bildung wird ein lauttypisches Geräusch erzeugt, welches bei f und w zwischen der Unterlippe und den oberen Schneidezähnen erzeugt wird. Die Unterlippe wird dabei etwas zurückgeführt und berührt die Schneidezähne. Durch bloßes Absehen kann keine Unterscheidung zwischen f und w erfolgen, Wörter wie „Wein“ und „fein“ sind absehgleich. Auch die Grapheme v, ph und qu entsprechen phonetisch diesem Kinem Abb. 21: f,v,w Absehrätsel 2: BITDERFELLEKABDIEFALLE. Mit der Welle kam die Qualle. K3: das dentale Kinem (D) Dieses Kinem ist gekennzeichnet durch die geöffneten Lippen und die Kieferenge. Dadurch bleiben die Lippen fast geschlossen und nur im günstigsten Fall ist die Zunge, die an den oberen Zähnen oder kurz dahinter liegt, zu erkennen. Auch die vielen möglichen Lautverbindungen, wie nt, ns, nst, ts (= z) sind diesem Kinem zuzuordnen Abb. 22: s, t, d, n Absehrätsel 3: HONEINABSAG. Heute ist Samstag. www.foepaed.net 51 K4: das ligual-koronale Kinem (L) Bei geöffneten Lippen und größerem Kieferwinkel wird sichtbar, dass die Vorderzunge gehoben ist und mit dem oberen Zahnfleischrand Kontakt hat Abb. 23: Zungespitzen R, l, t, d, n Absehrätsel 4: LASNATISTLECHLIF Das Tal ist recht tief. In der Praxis ist es nur selten möglich, die Kineme 3 und 4 auseinander zuhalten. Dies kann nur gelingen, wenn die Laute einzeln gebildet werden, nicht, wenn sie in schnelles Sprechen einbezogen sind. Deshalb könnte man Kinem 3 und 4 auch mit den Lauten t, d, s, n, R und l zusammenfassen, da sie sich alle in ihrem Absehbild kaum voneinander unterscheiden lassen. Außerdem unterliegt die Bildung von t, d und n individuellen und auch regionalen Unterschieden. Nur bei längerer Gewöhnung an die individuelle Sprechweise ist im Idealfall eine Unterscheidung zwischen dem Kinem 3 und 4 möglich. K5: das lingual-dorsale Kinem (C) Die Lippen sind geöffnet und aufgrund des größeren Kieferwinkels wird die Wölbung des vorderen Zungenrückens sichtbar. Die Sichtbarkeit ist nur gegeben, wenn die Lippen deutlich geöffnet sind und der Sprecher so steht, dass Licht auf den Mund fällt. Abb. 24: Vorderes ch [c], j K6: das gutturale Kinem (G) www.foepaed.net 52 Bei der Bildung des Kinems entsteht ein großer Kieferwinkel, die Lippen sind geöffnet. Die wesentlichen Mundbewegungen vollziehen sich hier im hinteren Ansatzrohr und sind somit nicht sichtbar, deshalb wird es auch als „Leerstellenkinem“ (Alich, 1960, S.128) bezeichnet. Trotzdem ist die Kenntnis diese Kinems sehr wichtig, um dem Absehenden das Nichtvorhandensein gewisser Phoneme und Lautverbindung als erkennbare Absehgestalt zu verdeutlichen. Abb. 25: k, g, Nasallaut ng, hinteres ch, Zäpfchen-R, h (wenn a folgt) Absehrätsel 4: IMAEINENAFFE (Kinem 6 wurde hier nicht als Absehgestalt erkannt!) Ich mag einen Kaffee! (Die Schwierigkeit des Absehen wird an diesem Beispiel besonders deutlich, da hier mehrere sinnvolle Lösungen denkbar sind, z.B. „Ich mag keinen Kaffee“, „Ich mach einen Kaffee“, „Ich mach keinen Kaffee“) K7: das gerundete Dentalkinem (S) Kennzeichnendes Merkmal sind hier die gerundeten und vorgestülpten Lippen. Der Kieferwinkel ist sehr klein und die Vorderzunge wird deshalb nicht sichtbar. Insgesamt zeigt sich dennoch ein gut identifizierbares Absehbild! Abb. 26: sch www.foepaed.net 53 4.3.2 Die vokalischen Kineme Nun erfolgt die kurze Darstellung der vokalischen Kineme. Ein Vorteil der Vokale ergibt sich durch die Tatsache, dass sie alle stimmhaft sind und durch ihre Intensität hervorgehoben werden. Dieser Vorteil kann natürlich nur bei noch ausreichend vorhandenem Hörvermögen ausgenutzt werden. V1: das weite Palatalkinem (A) Bezeichnend ist hier die große Mundöffnung, die meist auch ausreicht, um den Vokal richtig abzusehen. Auch die Lautverbindungen ei, ai, ay, ey und -r oder -er in Finalposition haben die gleiche Absehgestalt (-r und -er in Finalposition werden fast ausschließlich wie „a“ ausgesprochen!). Abb. 27: a, a:, e, e:, ä, ae Absehrätsel 5: BANBEINHEITZWAMANE Mein Mann hat zwei Beine. V2: Das enge Palatalkinem (I) Kennzeichen ist eine enge und ungerundete Mundöffnung. Die Hebung des vorderen Zungenrückens ist nicht immer sichtbar, da sie von den Lippen verdeckt sein kann. Allgemein gelingt jedoch eine gute Differenzierung von den anderen Vokalen. Abb. 28: i, i:, e, e:, schwachtoniges e (Murmelvokal) www.foepaed.net 54 Absehrätsel 6: ECHSIHISENECHT Ich sehe sie nicht. V3: das weite Velarkinem (O) Dieses Kinem zeigt eine mittlere Mundöffnung und gerundete, vorgestülpte Lippen. Die Artikulation des hinteren Zungenrückens bleibt unsichtbar. Die Lippenrundung gilt als deutliches Kennzeichen und ermöglicht eine gute Differenzierbarkeit. Die Laut-verbindungen eu, äu, oy und oi entsprechen artikulatorisch diesem Kinem! Abb. 29: o, o:, oe, ö, ö:, eu-Diphthong Absehrätsel 7: HOTEIOFFNITEUBI Heute eröffnet OBI. V4: das enge Velarkinem (U) Hier sind ein enger Kieferwinkel und vorgestülpte Lippen zu erkennen. Die Vorstülpung der Lippen lässt sich auch im zusammenhängenden Sprechen gut erkennen. Die Artikulation des hinteren Zungenrückens wird auch bei diesem Kinem nicht sichtbar. Eine Verwechslungsmöglichkeit bietet allerdings der Laut „sch“ (K7) und auch das Kinem V3, da die vorgestülpten Lippen bei V4 im schnellen Redfluss oft nicht deutlich genug zu erkennen sind! Abb. 30: u, u:, ü, ü www.foepaed.net 55 Bei noch vorhandenem Hörvermögen gelingt die Unterscheidung dennoch häufig. Artikulatorisch wird auch y diesem Kinem zugeordnet. Absehrätsel 8: ULEÜDE Gute Hüte. Das System der Kineme ist im Gegensatz zu dem der Laute mit 42 unterscheidbaren Möglichkeiten weitaus unspezifischer und ist selbst bei Einzellautbedingungen zum Sprachverständnis nicht ausreichend. Grundsätzlich ist eine direkte Umsetzung von Lauten in Kineme unmöglich. Die Kineme bieten trotzdem eine wertvolle Hilfe bei der Kommunikation schwerhöriger und gehörloser Menschen. Es muss aber auch bewusst sein, dass eine vollständige Sinnerfassung nur mit Hilfe des Absehbildes, welches als ein mehrdeutiges Lückenbild erscheint, nicht möglich sein kann. Nur etwa 30% des Gesprochenen kann über das Absehen erkannt werden. Die Kineme als separate Erscheinungen sind zudem in der Form wie oben beschrieben während des Absehens meist nicht zu identifizieren. In der Praxis verschmelzen beim Sehen die Bilder zu einer bewegten Ganzheit. Die Kineme gehen ineinander über und es ist oft nicht mehr zu unterscheiden, ob das eben Gesehene ein Kinem war oder vielleicht doch nur eine Übergangsbewegung von einem Kinem zum nächsten. 4.4 Sprechelemente Wie sehr die Kineme während eines Sprechvorgangs verzerrt oder verändert werden können, sollen die nachfolgenden Sprechelemente aufzeigen. Hat der Absehende Kenntnis davon, können sie ihm als zusätzliche Hilfe dienen, allerdings zeigen sie auch sehr deutlich auf, wie unmöglich es ist, nur durch bloßes Absehen einem Gespräch zu folgen. Wichtige Elemente beim Sprechvorgang sind Steuerung, Koartikulation und Synkinese. 4.4.1 Steuerung Steuerung bedeutet, dass der folgende Laut vom vorhergehenden abhängig ist und sich die Artikulationsorgane teilweise noch in der Stellung des ersten Lautes befinden, wenn schon der nächste gebildet wird. Sehr deutlich wird dies z.B. bei den Ausrufen „uch“ www.foepaed.net 56 oder „ach“. Bei „uch“ sind die Lippen noch gerundet, wenn das „ch“ bereits gesprochen wird, spricht man „ach“ ist die Mundstellung beim Aussprechen des „ch“s anders als im ersten Fall, da hier die Mundstellung vom vorhergehenden „a“ noch beibehalten wird. 4.4.2 Koartikulation Bei der Koartikulation wird ein Lautgefüge in der Mundresonanzform des tragenden Vokals gesprochen. So wird zum Beispiel bei dem Wort „Glück“ die Lippenrundung des „ü“ schon eingenommen, wenn man das Wort zu sprechen beginnt und wird beibehalten, bis das Wort endet. Bei dem Wort „Glied“ wird schon zu Anfang des Sprechvorgangs eine lineare Mundform eingenommen, die dann bis zum Wortende durchgehalten wird. 4.4.3 Synkinese Bei der Synkinese werden einander nahe liegende Artikulationsbewegungen nur einmal ausgeführt. So wird bei den Wörtern „mit dem“ das „t“ und das „d“ am gleichen Artikulationsort als Verschluss (Zungensaum – obere Alveolen) gebildet. Dieser Verschluss wird nur einmal ausgeführt, man spricht also nicht „mit dem“ sondern „midem“. Sind diese drei Sprachprinzipien dem hörgeschädigten Menschen bewusst, so können sie ihm das Absehen erleichtern. Häufig werden sie aber gerade von dem hörenden Gesprächspartner verfälscht, wenn er versucht, möglichst deutlich und langsam mit der schwerhörigen oder gehörlosen Person zu sprechen. „Wer die Gesetze der Koartikulation und der Synkinese nicht beachtet und die Laute als Einzellaute sozusagen im Rohzustand produziert, der verändert das Mundbild, erzeugt ungewohnte, unübliche Absehgestalten und erschwert dem Schwerhörigen das Absehen.“ (Tigges, S.29) Das Absehen wird für den Hörgeschädigten erheblich erschwert und was als „Hilfe“ gedacht war kann so eher Schaden anrichten. 4.5 Ursachen für Absehprobleme Es gibt zahlreiche Faktoren, die dem Hörgeschädigten das Absehen erschweren. Dies können äußere Faktoren sein, die, sind sie den Gesprächspartnern bekannt, schnell behoben sind und so das Absehen nicht weiter beeinträchtigen. Häufig ergeben sich Ab- www.foepaed.net 57 sehprobleme aber auch aus der Sprechweise des guthörenden Kommunikationspartners, wenn er unaufgeklärt und unsicher mit einem schwerhörigen oder gehörlosen Menschen ein Gespräch führt. Die unter 4.4. erwähnten Sprechelemente können so unnötig verfälscht werden und dem Absehenden wird es praktisch unmöglich verwertbare Informationen zu erhalten. Auch solche sog. „inneren Faktoren“ können vermieden werden, wenn man über sie aufgeklärt ist. Zu bedenken ist jedenfalls immer, dass der Absehende, anders als der Leser der Schriftsprache, kein vollständiges Abbild der gesprochenen Sprache erhält. Die Kineme und Viseme können sich an der Leistungsfähigkeit der Phoneme oder der Buchstaben nicht messen. Diese Tatsache erschwert das Absehen für einen Hörgeschädigten von Anfang an. Im folgenden sollen die wichtigsten Störfaktoren genannt werden, die das Absehen noch weiter beeinträchtigen können, im darauffolgenden Abschnitt werden dann Absehhilfen genannt und anschließend wird auf Abseherleichterungen im Unterricht hingewiesen. 4.5.1 Äußere Faktoren Die Lichtverhältnisse spielen beim Absehen eine wichtige Rolle. Dunkle, schlecht beleuchtete Räume, sowie Schattenbildungen auf dem Gesicht des Gesprächspartners können sich als sehr ungünstig erweisen. Reicht das Licht nicht aus, ist es für den Absehenden kaum mehr möglich, Mimik, Kineme, Viseme und Körpersprache richtig wahrzunehmen. Emotionen werden schlechter erkannt und Verwechslungen der Lippenbewegungen passieren noch häufiger als dies sonst schon der Fall ist. „Je geringer die Beleuchtung wird, desto schwieriger werden das Absehen und die Verfolgung von Mimik und Gestik.“ (Lindner, 1999, S. 167) Dasselbe gilt für eine zu grelle Beleuchtung, bei der das Gesicht des Sprechers an Plastizität und Konturen verliert. Hier spielt die Tageszeit eine wichtige Rolle. Das natürliche Licht erzeugt ein Schattenspiel zwischen Hell und Dunkel. In geschlossenen Räumen kann man die elektrische Beleuchtung einschalten, um solche Unregelmäßigkeiten auszugleichen, nicht aber auf dem freien Gelände. Eine wichtige Grundregel ist hier, dass der Absehende das Licht möglichst im Rücken haben soll und das Gesicht des Gesprächspartners von vorne beschienen wird. Generell ist auf eine ausreichende und gleichmäßige Beleuchtung, welche die Gesichtszüge am besten ausleuchtet, zu achten. www.foepaed.net 58 Auch die Sitzordnung bzw. die Entfernung zum Gegenüber können sich negativ auswirken. Nicht in allen Fällen wird es dem Absehenden möglich sein, einen passenden Blickwinkel oder die optimale Distanz zu finden. Nach Lindner (1999, S.165) sollte wenn möglich folgendes beachtet werden: „Die Entfernung zwischen Sprecher und Hörer sollte so sein, dass der Absehende das Gesicht des Partners in allen Einzelheiten gut beobachten kann. Der Körperausdruck ist auch wichtig, aber im Gesicht sind die wesentlichen Informationen sichtbar, vor allem die Lippenbewegungen und die Mimik, durch die der emotionale Ausdruck offenbart wird. … Die obere Grenze der Entfernung sollte bei etwa drei bis vier Meter (H.i.O.) liegen. … Die Gestalt der Lippen, vor allem auch die verschiedenen Arten des Lippenverschlusses, lassen sich auf diese Entfernung gut ausmachen.“ Aber auch ein zu kleiner Abstand, ca. unter einem halben Meter, können das Absehen behindern, da hier das Gesicht und der Körper nicht als Gesamtbild aufgenommen werden. Aber oftmals lassen schon die Einrichtungen, z.B. in einer Gaststätte oder einem Veranstaltungs- bzw. Schulungsraum, die Einhaltung solcher Regeln nicht zu. Die Zimmer sind häufig zu klein oder zu groß, haben eine falsche Anordnung der Sitzplätze und die Beleuchtung reicht nicht immer aus, um die optischen Signale der Sprache genau differenzieren zu können. Erwähnenswert sind noch die Faktoren Hintergrund und Augenhöhe. Gespräche werden nicht selten in einer lauten, mit optischen Reizen überfluteten Umgebung geführt. Ein unruhiger Hintergrund kann auf den Absehenden störend wirken. Ohne es zu wollen wird er abgelenkt und achtet nicht mehr auf das Gesicht seines Gesprächspartners. Der Absehende sollte deshalb möglichst darauf bedacht sein, eine ruhige, reizarme Umgebung für eine Unterhaltung aufzusuchen. Das Merkmal der Augenhöhe ist gerade in Kommunikationssituationen mit hörgeschädigten Kinder wichtig. Am besten gelingt das Absehen bei gleicher Augenhöhe und wenn das Gesicht des Gesprächspartners von vorne gesehen wird. Im Gespräch mit betroffenen Kinder sollte deshalb möglichst eine sitzende Haltung eingenommen werden, um die Kommunikation auf gleicher Augenhöhe führen zu können. Dem Absehenden wird so auch geholfen, sich besser auf die Unterhaltung konzentrieren zu können. 4.5.2 Innere Faktoren Für eine erfolgreiche Kommunikation ist es von Bedeutung, dass der Informationsfluss ohne allzu große Schwierigkeiten vonstatten geht. „Kommunikation ist ein zweiseitiger www.foepaed.net 59 Vorgang, und er kann von beiden Seiten aus optimiert werden (H.i.O.).“ (Lindner, 1999, S.174) Für den Hörenden ist es selbstverständlich, Sprache über sein Gehör zu perzipieren. Wenn er keine Erfahrungen im Hinblick auf Kommunikation mit Hörgeschädigten hat, so kann es vorkommen, dass eine Informationsaufnahme sowohl über den akustischen als zusätzlich auch über den visuellen Kanal erfolgen kann. Zunächst sollen einige allgemeine sprachliche Aspekte genannt werden, die sich ein guthörender Sprecher bei der Kommunikation mit einem oder mehreren Hörgeschädigten immer wieder bewusst machen sollte, dann folgen ausgewählte konkrete Beispiele, die die Komplexität des Absehens weiter verdeutlichen sollen. Wichtig ist vor allem die Sprechweise. Ohne sich darüber bewusst zu sein, spricht der guthörende Sprecher teilweise mit überhöhtem Sprechtempo, rhythmisiert falsch oder sein Mundbild wird durch übertrieben deutliches Sprechen verzerrt und unnatürlich. Sprachliche Formulierungen sind nicht selten kompliziert in der Wortwahl und im Satzbau, je nachdem auf welchem Niveau, Umfeld und zu welchem Thema die Unterhaltung geführt wird. Normalerweise kommt es im Erzählfluss zu keinen Wiederholungen des Gesagten, außer der Zuhörende fragt nach, wenn ihm etwas unverständlich erscheint. Wobei dies aber nicht nur einem Guthörenden vorbehalten bleiben sollte. Auch der Absehende hat das Recht bei Unklarheiten nachzufragen. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Verwendung von Dialekten. Jemand, der mit der deutschen Hochsprache aufgewachsen ist und sein Absehen darauf eingestellt hat, wird erhebliche Probleme bekommen, sich im Absehbild eines Dialektes zurechtzufinden. Hierbei muss aber erwähnt werden, dass auch der Normalhörende Schwierigkeiten haben kann, einen ihm unbekannten Dialekt zu verstehen. Für einen Ostfriesen wird der bayerische Dialekt so immer ein Kommunikationsproblem bergen, unabhängig ob er guthörend oder hörgeschädigt ist. Auch wird jemand, der in einem Sprachraum aufgewachsen ist, in dem Hochdeutsch weniger geläufig ist, die Lippenbewegungen des gewohnten Dialekts besser erkennen und differenzieren können, als die der „Amtssprache“. Personen, die Sprache über das Gehör aufnehmen, haben meistens eine ärmere Mimik und Gestik, natürliche Gebärden werden weniger verwendet als das bei einer Kommunikation zwischen zwei Hörgeschädigten häufig zu beobachten ist. Natürlich kann man diese Aussage nicht verallgemeinern, mehrheitlich ist diese Sichtweise jedoch richtig. Oft tragen eben diese o.g. Elemente, wie Körpersprache, Gestik etc. zum Verständnis www.foepaed.net 60 des Gesagten bei und ein vermehrter Einsatz derselben seitens eines guthörenden Sprechers würde das Kommunikationsverständnis nur positiv beeinflussen. Eine gelungene Unterhaltung hängt zusätzlich noch von der jeweiligen Tagesverfassung der Gesprächspartner ab. Nicht immer sind beide hier auf der gleichen Ebene. An einem schlechten Tag hat man weniger Geduld oder nicht das Gespür für seinen Gegenüber, im Gegensatz dazu fühlt sich der andere ausgeruht und hat Zeit für ein Gespräch. Eine gemeinsame Basis für eine zufriedenstellende Kommunikation kann so nicht gewährleistet werden. Neben diesen allgemeinen Aspekten folgen nun, wie bereits angekündigt, einige konkrete Beispiele, welche das Gespräch mit einem Hörgeschädigten negativ beeinflussen können. Besondere Schwierigkeiten bereiten den schwerhörigen und gehörlosen Menschen oft die Situationen zu Beginn eines Gesprächs und beim Themawechsel. Falsch ist es hier, das Thema durch ein einzelnes Wort oder einen vorangestellten Namen anzukündigen. „[Denn] Einzelwörter werden … nur schwer aufgefasst, weil sie sowohl in der Klanggestalt als auch im Absehbild zu wenig Diakritika aufweisen.“(Tigges, 1996, S. 30) Sinnvoller ist es stattdessen, zum Gesprächseinstieg einen kurzen Satz mit den wichtigsten Informationen zum Thema anzubringen. Einer der wichtigsten Grundsätze bei der Kommunikation mit Hörgeschädigten ist auf jeden Fall, möglichst kurze Sätze zu formulieren, Schachtelsätze zu vermeiden und nicht verstandene Sätze oder Satzteile nochmals neu formuliert zu wiederholen. Dies führt oft schneller zu einer Verständigung als mehrmaliges Wiederholen des gleichen Satzes, der auf Grund mehrere Kriterien (schlechtes Absehbild, Fremdwörter etc.) nie ganz verstanden werden kann. Zeit- und Ortsangaben sollten grundsätzlich immer vorangestellt und wiederholt werden, da sie meist schwer identifizierbar sind. So könnte man in dem Satz „Gestern Nachmittag (Pause) habe ich ihn getroffen“ den Teil „gestern Nachmittag“ ruhig einmal wiederholen, um sicherzugehen, dass der Satzteil auch verstanden wurde. Ein besseres Absehbild bieten stets zusammengesetzte Formen. So ist die Wortkombination „ist gegangen“ weitaus besser abzusehen als „ging“, das Gleiche gilt für „ist gekommen“ und „kam“. Allerdings wird in der Alltagssprache ohnehin meist das Perfekt anstelle des Imperfekts verwendet. www.foepaed.net 61 Auch ist die prädikative Verwendung des Adjektivs vom Absehbild günstiger als der attributive Einsatz. So ist die Formulierung „Die Ware ist gut“ vom Mundbild her weit besser zu erkennen als der Satzteil „die gute Ware“. Dies waren nur einige Hinweise auf bestimmte Elemente, die die Kommunikation mit einem hörgeschädigten Gesprächspartner beeinflussen können. In jeder konkreten Gesprächssituation können aber weitere Merkmale auftreten, die sowohl der Hörgeschädigte als auch der Guthörende beachten müssen. Für einen hörgeschädigten Menschen, der auf das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe angewiesen ist, gilt, dass er seine Gesprächspartner über die Notwendigkeit des Absehens informieren und sie bezüglich der günstigsten Bedingungen aufklären muss, sofern sie nicht darüber Bescheid wissen. Der Betroffene, für den solch ein offener und lockerer Umgang mit den eigenen Schwierigkeiten nicht immer leicht sein wird, wird nur fähig sein, seine Hörschädigung vor fremden Menschen einzugestehen, wenn er zu seiner Behinderung steht und sie akzeptiert. Diese Haltung ist eine sehr wichtige Grundvoraussetzung für den Hörgeschädigten, um eine erfolgreiche Kommunikation mit einem guthörenden Gesprächspartner führen zu können. 4.6 Absehhilfen Zunächst sollen einige Strategien genannt werden, die es dem Betroffenen bei ausreichender Kenntnis ermöglichen können, das Absehen als wichtige Kommunikationshilfe zu begreifen und zu nutzen. Hingewiesen werden soll dann noch auf Möglichkeiten, das Absehen einzuüben und zu optimieren, was gerade für ein hörgeschädigtes Kind in einer Regelklasse wichtig sein kann, da es dies meist neben seinem eingeschränkten Hörvermögen als einzige zusätzliche Perzeptionsmöglichkeit zur Verfügung hat. Abschließend sollen noch einige Hinweise für eine erfolgreiche Kommunikation im Unterricht gegeben werden. 4.6.1 Wichtige Kommunikationsstrategien für den Absehenden Wie schon zu Anfang ausgeführt ist das Absehen ein wichtiges Element der Kommunikation von hörgeschädigten Menschen. Allerdings kann das Absehbild als „Lückenbild“ nur einen Teil zum Verstehen des Sinns des Gesagten beitragen. Die noch offenen Lücken müssen durch andere Kommunikationselemente geschlossen werden. „Die www.foepaed.net 62 Fähigkeit zur Ergänzung muss beim Absehen ständig sensibilisiert sein, denn das Absehen liefert niemals ein so vollständiges Bild, wie es der Mensch beim Hören, vor allem beim Lesen erfährt.“ (Lindner, 1999, S.199/120) Im folgenden soll auf solche Elemente in jeweils kurzer Beschreibung eingegangen werden. A) Mitsprechen Reicht das Hören zum Sprachverstehen nicht aus, so ist das Mitsprechen eine gute Hilfe, denn bei der Nachahmung der Lippenbewegungen werden die übrigen Bewegungen der Artikulationsorgane geweckt und ins Bewusstsein gehoben. Es kann so im günstigsten Fall zu einer Ausfüllung der Lücken zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Sprechbewegungen kommen, da das Unsichtbare durch die Erinnerung aktiviert und richtig ergänzt wird. Allerdings können nur Wörter oder Wortfolgen mitgesprochen werden, die zum häufig verwendeten aktiven Wortschatz gehören. Die Ergänzung kann nur dann richtig erfolgen, wenn die motorischen Muster als Ganzheiten aus dem Gedächtnis abrufbar sind. Ein Wort oder eine Wortfolge kann also nur dann mitgesprochen werden, wenn man sie selbst schon häufig in unterschiedlichem Sprechtempo, unterschiedlichen Situationen und unterschiedlicher emotionaler Beteiligung benutzt hat und ihre Bedeutung bekannt ist. Außerdem ist Mitsprechen nur möglich, wenn das Absehen und die eigene Sprechmotorik zu einer integrierten Einheit geworden sind. Dies ist gerade bei Gehörlosen nicht unbedingt vorauszusetzen und erst nach intensiver Übung möglich. Somit ist das Mitsprechen als Schließung einer der vielen Lücken beim Absehen nur bedingt geeignet. Sind aber die Voraussetzungen gegeben, kann es von großem Nutzen sein. B) Situativer Kontext Will man einem hörgeschädigten Menschen sprachlich Dinge übermitteln, die nicht unmittelbar mit seinem Alltag zu tun haben, so bietet sich hier an, Anschauungsmittel einzusetzen, die es ermöglichen, die sprachlich übermittelten Informationen in die Wirklichkeit einzuordnen. So kann man zum Beispiel bei der Erzählung einer Urlaubsreise Fotos, Landkarten und Prospekte einsetzen, um das Gesagte zu veranschaulichen. Sollen Dinge übermittelt werden, die sich konkret auf die Situation der beiden Gesprächspartner beziehen, oder hat das Gesagte mit dem Alltag zu tun, so kann man oft die Umgebung mit ihren Hintergrundinformationen nutzen, um die abgesehenen Inhalte www.foepaed.net 63 sinngerecht zu vervollständigen. Auch ist es von großem Nutzen, wenn sich die Kommunizierenden vertraut sind und so die Sprechgewohnheiten, eventuell den Dialekt, den emotionalen Einschlag oder die Gestik des jeweils Sprechenden kennen und richtig einordnen können. Dies erleichtert die Kommunikation erheblich, oft ist der hörgeschädigte Partner dann gar nicht unbedingt auf jedes Absehbild angewiesen, sondern es genügen auch Gesten und Mimik. Je nach Situation und Gesprächspartner muss man also entscheiden, inwieweit das Absehbild durch Gesten, Mimik, Gebärden oder gar Anschauungsmittel ergänzt werden kann, um zu gewährleisten, dass der Sinn des Gesagten auch richtig aufgenommen wird. C) Kombination der Fernsinne Sehen und Hören „Wie wichtig die Zusammenarbeit der beiden Fernsinne (H.i.O.) Sehen und Hören für die Existenz des Individuums sind, kann daraus geschlossen werden, dass sich in der Individualentwicklung des Säuglings schon relativ früh sich die Verbindung zwischen ihnen herausbildet.“ (Lindner, 1999, S. 129) Die beiden Sinne ergänzen und kontrollieren sich und der völlige oder teilweise Ausfall eines der beiden Sinne beeinträchtigt den Menschen erheblich. Beim Verstehen von Sprache ist ebenfalls eine Kombination der beiden Sinne möglich, meist aber nicht notwendig, da das Hören für die Sprachperzeption alleine ausreicht. Bei hörgeschädigten Menschen kann der Einsatz ihres Hörrestes in Kombination mit dem Absehen des Mundbildes zu einem besseren Verständnis des Gesprochenen führen. Um aber die akustisch wahrgenommenen Eindrücke richtig zu verarbeiten, muss die Kombination der beiden Sinne Sehen und Hören eingeübt, automatisiert und optimiert werden. - Ausschluss von Unsicherheiten bei Konsonanten Selbst wenn das Hörvermögen so gering vorhanden ist, dass eine eindeutige Erkennung und Unterscheidung der Laute nicht möglich ist, kann die Kombination mit dem Absehen, das nur als mehrdeutiges Lückenbild zur Verfügung steht, die vorhandenen Unsicherheiten eingrenzen oder ganz ausschließen. Man kann bei den Konsonanten sieben Lautgruppen unterscheiden, die Hinweise auf den jeweiligen Laut geben Nach Lindner (1999, S.141) sind dies folgende Gruppen: www.foepaed.net 64 – stimmlose Verschlusslaute (p, t, k), erkennbar an dem scharfen Explosionsgeräusch der nachströmenden Luft nach Öffnung des Verschlusses – stimmhafte Veschlusslaute (b, d, g), erkennbar an der Stimmtonunterbrechung und dem plötzlichen Wiedereinsetzen der Stimme bei sanfter Explosion – stimmlose Engelaute (f, s, vorderes ch, sch, h), erkennbar an dem Geräusch (eventuell auch an der Lücke, die im Sprechkontinuum entsteht) – stimmhafte Engelaute (w, stimmhaftes s, j, stimmhafte Variante des sch), erkennbar an dem stimmbegleiteten Geräusch – Nasale und Liquide (Halbvokale), (m, n, ng, l), erkennbar an der tiefformantigen Klangstruktur – Vokalähnliche Klänge mit typischem, tiefem Geräusch (geriebenes R, hinteres ch), erkennbar an dem jeweils eigenen Geräusch bei stimmhaftem Klanganteil – Schwinglaute (Zungenspitzen- oder gerolltes Zäpfchen-R), erkennbar an den schnellen Stärkeschwankungen des Stimmtones Diese Lautgruppen können je nach Grad der Hörschädigung mehr oder weniger gut von der hörgeschädigten Person wahrgenommen werden. Durch intensive und lange Übung kann es gelingen, die wahrgenommenen Laute dem Absehbild richtig zuzuordnen und so die Lücken des rein visuellen Eindrucks zu schließen. Aber nicht nur bei den Konsonanten kann man Lautgruppen definieren, auch bei den Vokalen können Unsicherheiten des Absehbildes durch wahrgenommene Sinneseindrücke ausgeglichen werden. - Ausschluss von Unsicherheiten bei Vokalen Vor allem die Dauer der Vokale kann rein visuell schlecht eingeschätzt werden, aber auch die Differenzierung der Vokale nur über das Absehbild erweist sich oft als schwierig. Deshalb wurden nach Ding Lautgruppen gebildet, die ein hörgeschädigter Mensch ganz oder noch teilweise wahrnehmen und für die sprachliche Perzeption nutzen kann. Diese Lautgruppen werden Aureme genannt. Definition (nach Lindner, 1999, S. 193): Das Aurem umfasst bei eingeschränktem Hören eine Gruppe von Lauten, die als nicht weiter differenzierbare Qualität wahrgenommen werden. Bei normalem Gehör ist das Aurem mit dem Laut identisch. www.foepaed.net 65 Die Aureme sollen nun kurz genannt werden (vgl. Lindner 1999, S. 146/147): • das lange a-Aurem, erkennbar an dem bis in den mittleren Frequenzbereich reichenden Klanganteil, der den 1. und 2. Formanten umfasst • das kurze a-Aurem, erkennbar an den gleichen Klangeigenschaften und kurzer Dauer • das lange o-Aurem, die langen Vokale o, e, ä und ö enthaltend, erkennbar an der Dauer und dem mittelhohen ersten Formanten • das kurze o-Aurem, die kurzen Vokale o, e, ö, das schwachtonige e und das vokalisierte r enthaltend, erkennbar an der kurzen Dauer und dem mittelhohen ersten Formanten • das lange u-Aurem, die langen Vokale u, i und ü enthaltend, erkennbar an dem tief liegenden ersten Formanten und der langen Dauer • das kurze u-Aurem, die kurzen Vokale u, i und ü enthaltend, erkennbar an der kurzen Dauer und dem tief liegenden ersten Formanten • das Diphthong-Aurem au, die Diphthonge au und ei enthaltend, erkennbar an dem Abwärtsgleiten der ersten Formanten aus der Mittellage • das eu-Aurem, den Diphthong eu enthaltend, erkennbar an dem leichten Aufwärtsgleiten des ersten Formanten Wie schon bei den Lautgruppen der Konsonanten erwähnt gilt auch für die Aureme, dass sie je nach Grad der Hörschädigung gut bis gar nicht mehr von der jeweiligen hörgeschädigten Person differenziert werden können. Auch hier ist ein intensives Training nötig, um die wahrgenommenen Aureme mit den Absehbildern in Verbindung bringen zu können und so einen Weg zu finden, um das Verstehen gesprochener Sprache für einen hochgradig hörgeschädigten Menschen möglich zu machen. 4.6.2 Trainingsmöglichkeiten für den Absehenden Menschen, die erst nach dem Spracherwerb schwerhörig oder gar ertaubt sind, müssen sich nach dem Auftreten des Hörschadens erst neu auf die veränderte Situation einstellen. Sie haben sich noch keine Strategien angeeignet, um das eingeschränkte Hörvermögen auszugleichen. Gerade für diese Gruppe sind Übungsmöglichkeiten für das Absehen bzw. zusätzliche Kommunikationshilfen sehr wichtig, um ihnen eine schnellere Reintegration in die hörende Umwelt zu ermöglichen. Aber auch www.foepaed.net 66 Hörgeschädigte, die von Geburt an oder während des Spracherwerbs einen mehr oder weniger großen Ausfall ihres Gehörs erfahren haben und sich so vielleicht von Anfang an entsprechende Strategien angeeignet haben, um die eingeschränkte auditive Perzeption auszugleichen, können Hilfe gebrauchen, wenn sie z.B. in einer Regelschule erstmals ohne weitere Kommunikationshilfen wie Manualsysteme, Gebärden usw. auskommen müssen. Eine sehr konkrete Hilfe für das Absehen bietet die Praxis von Roland Hanik in München (siehe auch Merkblatt Punkt 8.). Ausgebildete Hörgeschädigtensprachtherapeuten üben in Einzelstunden das Absehen mit Hörgeschädigten aller Altersgruppen. In einer Übungsstunde werden Begriffe zu einem bestimmten Thema (z.B. Büro, Kino, Weihnachten …) je nach Alter und konkreter Lebenssituation des einzelnen Betroffenen behandelt und eingeübt. Auch computergestützes Artikulations- und Absehtrainig wird hierbei nach Bedarf in die Übungseinheiten eingebaut. Leider gibt es zur Zeit kaum eine vergleichbare Einrichtung, die solche „Absehstunden“ anbietet. Ausgehend von der Praxis Roland Hanik werden in München auch mehrere VHS-Kurse pro Semester angeboten, in denen das Absehen in einer ganzen Gruppe von – meist erwachsenen - Hörgeschädigten eingeübt wird. Neben dieser konkreten Hilfe in einer eigenen Einrichtung gibt es einige computergestützte Lernprogramme, die hauptsächlich die Artikulation, teilweise aber auch das Absehen üben. Einige Schwerhörigen- und Gehörlosenschulen verfügen über solche Programme. Ein Einsatz in der Regelschule wird aus Kostengründen meist unmöglich sein, da die Anschaffungskosten je Programm bei über 10 000 DM liegen können und dies für einen einzelnen integrierten Schüler in der Regel nicht aufgebracht wird. Da diese Programme für die Regelschule kaum eine Relevanz haben soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Lediglich das Computerprogramm „MUSKAT“ (= Medial unterstütztes Kommunikations- und Absehtraining) soll eine Erwähnung finden, da es von den Anschaffungskosten (unter 50 DM) her erschwinglich ist (siehe auch Merkblatt Punkt 8). Es gibt mehrere Übungssituationen, in denen das Absehen, aber auch wichtige Hilfen dazu eingeübt werden. Das Programm startet mit der Ansicht einer Stadt. Man kann die Häuser einzeln anklicken und es werden jedes Mal verschiedene Übungsmöglichkeiten zur Wahl gestellt. In der „VHS“ kann man zwischen einem Vortrags- oder www.foepaed.net 67 Seminarraum wählen und dann dort einen Sitzplatz wählen. Es wird jeweils angezeigt, ob die Wahl richtig war und die Entscheidung wird zusätzlich begründet. Unter der Option „Tipps“ kann man wichtige Hinweise bezüglich der besten äußeren Bedingungen für das Absehen nachlesen. Auch im „Restaurant“, der „Pizzeria“ und beim „Nachbarn“ geht es um die richtige Sitzplatzwahl, in der „Post“, beim „Frühstück“ und beim „Zahnarzt“ kann man zwischen Wortübungen, Satzübungen, Textübungen und Dialogübungen wählen. Hierbei ist immer das Gesicht eines Sprechers von vorne zu sehen und man hat die Möglichkeit, die Lautstärke zu regulieren um so „mit“ oder „ohne“ Stimme das Gesprochene anzuhören. Je nach Übungsart muss man nun einzelne Wörter, Sätze oder ganze Texte absehen und den richtigen Wörtern, Sätzen oder Bildern zuordnen können, die anschließend auf dem Bildschirm erscheinen. Das Programm kann in einer integrativen Regelklasse, sofern hier ein Computer vorhanden ist, als zusätzliche Übungsmöglichkeit für alle Schüler dienen. Das hörgeschädigte Kind kann dabei konkrete Hinweise bezüglich des Absehens erhalten und ferner Aufgaben dazu lösen, aber auch die hörenden Schüler können, wenn man den Ton ganz abstellt, ihre Absehfertigkeiten testen und so für diese Kommunikationsform mit ihren Schwierigkeiten sensibilisiert werden. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass dieses Absehtraining nur kurzzeitig eine wirkliche Übung sein kann, da die Aufgaben, hat man sie einmal richtig gelöst, immer wieder gleich ablaufen und so für den Übenden keinen Lerneffekt mehr bieten. Leider besteht hier nicht die Möglichkeit, die Aufgaben selbst zu variieren oder umzustellen. Da das Programm hauptsächlich für erwachsene Hörgeschädigte konzipiert wurde, sind Szenen wie „in der VHS“ weniger ansprechend und nicht unbedingt der Lebenswirklichkeit von Schülern entnommen. Andere Situationen, z.B. „in der Post“ können aber auch für hörgeschädigte Kinder durchaus real sein und im Unterricht als differenzierende Einzelübung eventuell eingesetzt werden. Leider gibt es keine weiteren konkreten Hilfen zum Absehen, deren Einsatz in einer Regelklasse sinnvoll erscheinen würde und auf die an dieser Stelle hingewiesen werden könnte. Im folgenden sollen noch einige konkrete Hinweise gegeben werden, wie die Kommunikationssituation für ein hörgeschädigtes Kind in einer Allgemeinen Schulklasse verbessert werden kann. www.foepaed.net 68 4.6.3 Hinweise für eine erfolgreiche Kommunikation im Unterricht „Mit zunehmendem Hörverlust sind Hörgeschädigte genötigt, zum sprechenden Lehrer oder Mitschüler zu sehen. Das fordert ihnen eine hohe Konzentrationsleistung ab. Durch die entsprechenden Maßnahmen soll und kann eine physische und psychische Überforderung verhindert werden.“ (Leonhardt, 1996a, S.24) Ein erster Schritt, die Bedingungen für einen auf das Absehen angewiesenen Schüler auch innerhalb einer Regelklasse so optimal wie möglich zu gestalten, ist die Kenntnis der auditiven Perzeptionsleistungen durch den betreffenden Lehrer. Er sollte sowohl Ton- als auch Sprachaudiogramm kennen und daraus erste Vermutungen aufstellen können, was der betroffene Schüler wie hört. Ebenso gehört es zu seinen Aufgaben, den hörgeschädigten Schüler darauf hinzuweisen, seine Hörgeräte immer zu tragen, sie regelmäßig zu überprüfen und durch den Hörgeräteakustiker optimal einstellen und ständig warten zu lassen. Der Lehrer sollte sich immer im voraus entsprechend zu den Unterrichtsphasen Gedanken über die Wahl der Hörhilfen machen. In der Regelschule betrifft dies meist die Entscheidung, ob die FM-Anlage eingesetzt werden soll, nur die individuelle Hörgeräte ausreichen oder in einer Hörpause diese vielleicht sogar abgelegt werden können. Denn Hörpausen müssen für den hörgeschädigten Schüler im Verlauf eines Unterrichtstages immer wieder eingeplant werden, um sein Konzentrationsvermögen nicht übermäßig auszureizen, was hier schneller eintreten kann als bei den hörenden Schülern, die nicht ständig sowohl die visuelle als auch die akustische Perzeption zum Sprachverstehen einsetzen müssen. Ein weiterer Aspekt ist die Raumakustik. Der Störschall sollte so gering wie möglich gehalten werden. Echoeffekte können durch das Aufhängen von Vorhängen oder Auslegen von Teppichen auf ein Minimum reduziert werden. Ideal wäre es, wenn der Raum einer natürlichen Akustik entsprechen würde. Da unnötiger Störschall die Konzentration des betroffenen Schülers nur unnötig strapazieren würde, sollte auf eine ruhige Lernatmosphäre und möglichst wenig Nebengeräusche (z.B. Stühlerücken, Türenschlagen, laute Zwischenrufe etc.) geachtet werden. Die Lehrersprache ist ein entscheidendes Kriterium für die Perzeptionsleistung (siehe auch 4.5.2.). Sie sollte dem betroffenen Schüler von der Intensität und vom Sprechtempo her angepasst sein und eine gute rhythmisch-dynamisch-melodische Akzentuie- www.foepaed.net 69 rung aufweisen. Ferner ist die Gliederung nach Sinneinheiten oder Sinnschwerpunkten notwendig, Schachtelsätze aber auch sehr kurze, primitive Sätze sollten soweit möglich vermieden werden. Die Lehrersprache sollte Vorbild für alle Schüler sein und deshalb nicht zu sehr vom natürlichen Sprachgebrauch abweichen. (vgl. Leonhardt, 1996a, S. 27) Neben den Bedingungen für die akustische Perzeption sind auch jene für die visuelle Aufnahme gerade für einen auf das Absehen angewiesenen Schüler von großer Bedeutung. Grundvoraussetzung dafür ist ein voll funktionsfähiges Sehvermögen. Günstig für einen Hörgeschädigten ist eine Sitzordnung im Halbkreis, da hier das Absehbild aller Mitschüler und des Lehrers möglichst optimal wahrgenommen werden kann. In der Regelschule ist solch eine Sitzordnung meist nicht möglich, trotzdem sollte man diese so optimal gestalten, wie es in dem jeweiligen Klassenzimmer durchführbar ist. Zu beachten ist, dass der hörgeschädigte Schüler einen Sitzplatz bekommen sollte, welcher es ihm erlaubt, möglichst viele Mundbilder seiner Mitschüler einzusehen. Von Vorteil kann hier ein Drehstuhl sein, der es dem Kind möglich macht, jeden anderen Schüler anzusehen ohne sich dabei ständig den Kopf zu verdrehen. Außerdem sollte das betroffene Kind nicht weiter als 3m von der Stelle entfernt sitzen, an der sich die Lehrkraft meistens aufhält bzw. sollte diese versuchen, sich nicht mehr als 3m zu entfernen. Löwe (1996, S. 97) stellt vier verschiedene Sitzordnungen vor, die zeigen, welche Sitzpositionen für ein hörgeschädigtes Kind in einer Regelklasse geeignet bzw. welche ungünstig erscheinen: Bild 1: optimale Lösung Bild 2: nur empfehlenswert, wenn keine andere Sitzordnung möglich Bild 3: Nicht zu empfehlen, da das hörgeschädigte Kind die Mundbilder der Mitschüler in der Fensterreihe nicht oder nur sehr schlecht einsehen kann. Bild 4: Sehr ungünstig – das hörgeschädigte Kind hat hier keinerlei Absehmöglichkeiten! www.foepaed.net 70 Abb. 31: Sitzordnungen in einer Regelklasse Der Blickwinkel zum hörgeschädigten Schüler sollte so gewählt werden, dass sich Sprecher und Absehender auf gleicher Augenhöhe und nicht seitlich oder hintereinander befinden. Die Entfernung zwischen beiden sollte nicht kleiner als 0,5 m und nicht größer als 3,5 m sein. Bei der Kommunikation ist ferner auf eine ständige Antlitzgerichtetheit zu achten, d.h. der Blickkontakt beim Sprechen sollte immer gewahrt werden. Die Körpersprache des Lehrers sollte lebendig, aber nicht übertrieben sein, er sollte außerdem auf eine ruhige Kopfhaltung achten. Die Beleuchtung im Klassenzimmer sollte so eingestellt sein, dass der Absehende den Sprechbewegungen gut folgen kann und die Plastizität der Gesichtszüge erhalten bleibt. Grundsätzlich gilt für den Unterricht, dass neue Themen immer schriftlich festgehalten werden müssen und der Einsatz von Schriftsprache und visuellem Material (wie Overheadprojektor, Tafelanschrift, Wortkarten, Bilder etc.) das Verständnis erleichtern. Das Absehen ist für einen hörgeschädigten Schüler in der Regelschule eine äußerst wichtige Perzeptionsform. Diese Tatsache sollte sowohl der unterrichtenden Lehrkraft als auch den Mitschülern bewusst gemacht werden, damit sie den betroffenen Schüler so gut wie möglich im täglichen Unterricht unterstützen können und seinen Aufenthalt in einer Allgemeinen Schulklasse nicht zu einer Erschwernis sondern einer Bereicherung für sich und alle Beteiligten werden lassen. www.foepaed.net 71 5. Zur Integration von hörgeschädigten Schülern in der Regelschule Der Titel dieser Arbeit lautet „Thematisierung von Schwerhörigkeit und Absehen in einer Integrationsklasse.“ In den vorangegangenen Abschnitten wurde geklärt, was dabei unter Schwerhörigkeit und Absehen gemeint ist und wo hier die Schwerpunkte gelegt sind. Ein letzter Aspekt, der noch der Klärung bedarf, ist der Begriff „Integrationsklasse“ bzw. „Integration“. Die Verwendung dieses Ausdrucks für das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern in einer Regelschule ist umstritten, scheint aber doch am gebräuchlichsten und auch verständlichsten im Umgang mit dieser Thematik zu sein. Claußen (1991, S.186) schreibt zu „Integration“ in diesem Zusammenhang: „‚Integration’ ist ein gefährliches Wort, weil es Verschiedenartiges meinen kann. Zu unterscheiden sind mindestens (1) die soziale oder gesellschaftliche Integration – also die Eingliederung des Einzelnen in verschiedene Gruppen der Gesellschaft und damit in die Gesellschaft insgesamt – von (2) der schulorganisatorischen oder unterrichtlichen Integration – also in unserem Falle den gemeinsamen Unterricht für schwerhörige oder ertaubte und guthörende Schüler. Die Mehrdeutigkeit des Wortes ‚Integration’ ist gefährlich, weil sie die Vorstellung wecken könnte, diese beiden Inhalte hingen unmittelbar zusammen oder wären gleichzusetzen, so dass die unterrichtliche Integration zwangsläufig auch die soziale herbeiführe. Das wäre jedoch erst zu beweisen!“ Diese Erklärung macht einerseits deutlich, wie kritisch der Einsatz des Wortes „Integration“11 abzuwägen ist, andererseits weist sie auf die vielen Elemente und Aufgaben hin, von denen eine „wirkliche“ Eingliederung eines (hör-)behinderten Schülers in eine Regelklasse abhängig ist. Bevor auf die einzelnen Integrationsmodelle und die daraus resultierenden kontrovers diskutierten Vor- und Nachteile näher eingegangen wird, soll zunächst ein kurzer Blick zurück auf die Anfänge und Gründe von Integration bzw. gemeinsamem Lernen hörgeschädigter und normal hörender Kinder in Deutschland geworfen werden. 11 Im nachfolgenden Text ist unter Integration immer die unterrichtliche oder schulische Integration eines hörbehinderten Kindes in die Regelschule gemeint. www.foepaed.net 72 5.1 Unterrichtliche Integration Hörgeschädigter im historischen Rückblick Bis zum Mittelalter und teilweise noch in der Neuzeit herrschte die gängige Meinung, dass „taube“ Menschen bildungs- und rechtsunfähig seien. Gehörlose Menschen wurden als „stumm“ und gleichzeitig „dumm“ angesehen, der Zusammenhang von Hör- und Sprechvermögen war damals nicht bekannt, und die einzige Kommunikationsmöglichkeit dieser Menschen mit ihrer Umwelt bestand deshalb hauptsächlich in dem Gebrauch einfacher Gesten und Zeichen. „Öffentlich wurde gehörlosen Menschen erstmals durch den italienischen Philosophen Hieronymus CARDANUS (1501 – 1576) Intelligenz und Bildungsfähigkeit zugestanden.“ (Hollweg, 1999, S.62) Erste, zu dieser Zeit unternommene Bildungsversuche, wie etwa von dem spanischen Benediktinermönch Pedro Ponce de Leon (1510 – 1584) waren auf nur wenige hörgeschädigte Schüler beschränkt und wurden vorwiegend von Mitgliedern der oberen Stände gefördert. Erst im 18. Jahrhundert wurden die ersten Einrichtungen bzw. Schulen für Taubstumme gegründet, so z.B. 1771 in Paris von dem französischen Priester Michel de L’ Epée (1712 – 1789) und 1778 in Leipzig durch Samuel Heinicke (1727 – 1790) und dies zu einer Zeit, in der es noch keine allgemeine Schulpflicht gab. Als im Laufe des 19. Jahrhunderts die allgemeine Schulpflicht, häufig gegen den Willen der Eltern, eingeführt wurde, beschloss man diese etwas später auch für die Taubstummen. Dies bedeutete, dass „…nicht nur die Kinder gezwungen [wurden], eine Schule zu besuchen, sondern der Staat ging zugleich die Verpflichtung ein, ihnen die notwendigen Schulplätze zur Verfügung zu stellen.“ (Leonhardt, 1996b, S.12) Aus dieser Situation heraus entstand die sogenannte „Verallgemeinerungsbewegung“, welche sowohl aus pädagogischen als auch ökonomischen Gründen die Eingliederung der gehörlosen Schüler in die allgemeine Volksschulen des jeweiligen Ortes bzw. der nächsten Umgebung forderte. Vertreter der Verallgemeinerungsbewegung, deren Gedankengut sich hauptsächlich an den progressiven bürgerlich-pädagogischen Ideen des 19. Jahrhunderts orientierten, waren u.a. Elementarschullehrer wie Johann Baptist Graser, Wilhelm Harnisch und Heinrich Stephanie und Geistliche wie Friedrich Wilhelm Daniel. „Als erster hat GRASER 1821 eine Klasse für hörgeschädigte Kinder an einer Bayreuther Volksschule organisiert. Er gilt weltweit als Vater der integrierten Beschulung hörgeschädigter Kinder.“ (Hollweg, 1999, S.64) www.foepaed.net 73 Unter die ökonomischen Argumente fiel die Tatsache einer zu geringen Aufnahmekapazität der bereits existierenden Gehörlosenschulen, außerdem sollten die taubstummen Kinder schnell und ohne großen finanziellen Aufwand in einer Schule untergebracht werden. „Man glaubte, das Problem schneller, finanziell günstiger und pädagogisch sinnvoller zu lösen, wenn man Pastoren und Lehrer, insbesondere die der Volksschule, für diese Bildungsaufgabe gewinnen könnte.“ (Kröhnert, 1966, S.62) Hauptsächlich war die Notsituation, zu wenig geeignete Schulen und gleichzeitig nicht genügend Zeit und Geld zu haben, um das Taubstummenbildungswesen ausreichend ausbauen zu können Grund für diese ersten Integrationsversuche in Deutschland. Aus pädagogischer Sicht wollte man dem taubstummen Kind eine Beschulung möglichst nahe an seinem Wohnort und im Kreise seiner Familie ermöglichen, außerdem sollte es „… auf natürlichem Weg über das Absehen die Lautsprache erwerben können.“ (Leonhardt, 2000, S.14) Um eine genügende Ausbildung der Lehrer in Bezug auf ihre „neuen“ hörgeschädigten Schüler zu schaffen wurden „ … erstens informatorische Lehrgänge eingerichtet, durch die Volksschullehrer und Geistliche befähigt werden sollten, taub-stumme Kinder einzeln oder im Rahmen des Normalschulunterrichts zu fördern. Zweitens gingen einzelne Seminare dazu über, mit ihren Lehramtskandidaten in benachbarten Taubstummenschulen zu hospitieren … . Die dritte Neuerung … war die organisatorische Verschmelzung von Seminar (bzw. Präparandenanstalt) und Taubstummenschule.“ (Kröhnert, 1966, S.62) Die Vorbereitung der Lehrer sollte also nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erfolgen, um eine erfolgreiche Integration der taubstummen Schüler zu ermöglichen. Die Meinung Grasers, die hörgeschädigten Kinder könnten allein aufgrund ihrer Absehfähigkeiten dem Unterricht folgen, erwies sich bald als eine Überschätzung. Der Geistliche Daniel forderte nun Nachhilfeunterricht für die gehörlosen Kinder: „Der Taubstumme muss zugleich eine Nachhilfe durch Privatunterricht (mindestens eine Stunde täglich) erhalten, die ihn mit der Schule gleichen Schritt halten hilft.“ (Claußen, 1991/92, S.193 nach Schumann 1929, S.68) Doch auch solche Maßnahmen halfen nicht, das Scheitern der Verallgemeinerungsbewegung zu verhindern. Die Integration der hörgeschädigten Schüler war nur in Einzelfällen erfolgreich verlaufen, wenn sich der betreffende Volksschullehrer durch besonderes Interesse und persönlichen Einsatz dem betroffenen Kind gewidmet und es so zusätzlich gefördert hatte. Dieses Engagement konnte man aber nicht von allen Lehrern, www.foepaed.net 74 die ein schwerhöriges oder gehörloses Kind in ihrer Klasse hatten, erwarten. Vor allem da die Schülerzahl pro Klasse bei durchschnittlich 130-150 lag und außerdem dem Lehrer keinerlei technische Hilfsmittel zur Verfügung standen. Diese äußeren Umstände, aber auch eine nicht weit genug entwickelte Unterrichtsmethodik waren wohl die Hauptgründe für ein Ende der Bewegung, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Schulentscheidung der hörgeschädigten Kinder kaum noch eine Bedeutung hatte. Mit der Rückkehr zum Sonderschulwesen kam es zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Taubstummenanstalten. Um die Jahrhundertwende wurden erste Einrichtungen für Schwerhörige und Ertaubte geschaffen. So entstand 1894 die erste private Schule für Schwerhörige und Ertaubte in Jena und 1902 die erste Klasse für Schwerhörige in Berlin. Aus dieser ging dann 1907 die erste staatliche Schwerhörigenschule hervor. Ausgelöst worden war dieser Prozess hauptsächlich durch neuere Erkenntnisse der Mediziner, die erkannt hatten, dass viele vorher als „gehörlos“ oder „taubstumm“ klassifizierten Menschen über Hörreste verfügten. Die Sonderschule war nun über mehrere Jahrzehnte hinweg wieder der Ort, welcher hörgeschädigten Kindern die besten Lernmöglichkeiten zu bieten schien. Erst seit den 60er Jahren ist die aktuelle Integrationsdiskussion wieder neu aufgelebt. Auslöser dafür war der Beginn des „Mainstreaming“ in den USA, was dort soviel bedeutet wie unterrichtliche Integration. 1954 führten Eltern geistig behinderter Kinder einen Prozess gegen die Schulbehörde. „Das Gericht stellte fest, dass alle – also auch geistig behinderte Kinder – einen Anspruch auf schulische Bildung haben.“ (Leonhardt, 1996, S.15) Der Besuch einer Schule wurde somit in den USA auch für behinderte Kinder ein Bürgerrecht und die „ … in Deutschland früher gängige Verfahrensweise, vor allem geistigbehinderte Kinder für nicht schulfähig zu bezeichnen und so von jeder staatlichen Bildungsbemühung auszuschließen, wurde damit als Unrecht verurteilt.“ (Claußen, 1989, S.198) Nach diesem ersten Erfolg seitens der Eltern der betroffenen Kinder folgten in den USA weitere Schritte zugunsten der Schulbildung behinderter Kinder. Zu nennen sind hier das Recht auf gebührenfreie Bildung, das Recht auf angemessene Bildung, das Recht auf eine am wenigsten behindernde Umwelt, das Recht auf ein überprüfbares Ein- bzw. Umschulungsverfahren, das Recht auf Vertraulichkeit der einer Schule zugänglich gewordenen Informationen (Datenschutz) und das Recht auf die Durchführung von nicht aufgrund der Behinderung von vornherein diskriminierenden Prüfungen (vgl. Claußen, 1989, S. 198/199). www.foepaed.net 75 Aber nicht nur in den USA, auch in Ländern wie Italien, Israel und den skandinavischen Gebieten wurde in den 60er Jahren mit der Integration hörgeschädigter Kinder begonnen. Auch in Deutschland wurden in dieser Zeit erste Weichen gestellt, die für die Möglichkeit einer zukünftigen Integration hörgeschädigter Kinder in Regelschulen Voraussetzung waren. So gründete Armin Löwe 1958 in Heidelberg die erste Pädaudiologische12 Beratungsstelle für Eltern, hörgeschädigter Kleinkinder. Die Bedeutung und Notwendigkeit einer angemessenen Frühförderung und -erziehung gelangte erstmals ins Bewusstsein der Eltern der betroffenen Kinder und bildete somit eine Voraussetzung für darauffolgende Integrationsgedanken. „Gut geförderte hörgeschädigte Vorschulkinder liefen schon zu Beginn der 60er Jahre den anderen, weniger gut oder überhaupt nicht geförderten Kindern, davon. Sie übertrafen sie in ihrer emotionalen, kognitiven, psychomotorischen, sozialen und sprachlichen Entwicklung so sehr, dass sie für die traditionelle Sonderbeschulung kaum mehr in Frage kommen konnten.“ (Löwe. 1996, S.31) Neben der Frühförderung, die heutzutage sofort nach Diagnose eines für die Sprachentwicklung hinderlichen Hörschadens jedem betroffenen Kind zuteil wird, waren die technisch immer besser gewordenen Hörhilfen und ein Rückgang der durchschnittlichen Klassenstärke ab Mitte der 60er Jahre weitere Gründe, warum Eltern ihren hörgeschädigten Kindern einen Besuch der Regelschule mehr und mehr zutrauten und diesen Wunsch vermehrt durchzusetzen begannen. Heute ist die Diskussion, ob und wann ein hörgeschädigtes Kind in die allgemeinen Bildungseinrichtungen integriert werden soll, voll im Gange. Die meisten Eltern betroffener Kinder hegen die Hoffnung, dass eine intensive vorschulische Förderung und die Versorgung ihres Kindes mit optimalsten Hörhilfen dieses dazu befähigen könnte, zusammen mit den gleichaltrigen guthörenden Kindern aus der Nachbarschaft die wohnortnahe allgemeine Grundschule zu besuchen. Bevor einige Argument für und gegen die Integration eines hörgeschädigten in die Regelschule genannt werden, sollen kurz die Konzepte aufgezeigt werden, welche alle mit dem Wort unterrichtliche Integration in Zusammenhang gebracht werden. 12 Pädaudiologie: Wissenschaft vom Hören des Kindes und der Hörwahrnehmung von Kindern (vgl. Leonhardt, 1999, S.223) www.foepaed.net 76 5.2 Derzeitige unterrichtliche Integrationsmodelle für Hörgeschädigte in der BRD Das gemeinsame Lernen von hörgeschädigten und hörenden Schülern ist in der BRD nicht einheitlich geregelt, sondern abhängig von der jeweiligen Bildungspolitik und den gesetzlichen Verankerungen in den einzelnen Bundesländern. Nach Annette Leonhardt (1999, S.106) können je nach landesspezifischen und regionalen Bedingungen folgende Möglichkeiten für betroffene Kinder zur Auswahl stehen: – der Besuch einer Schule für Gehörlose oder Schule für Schwerhörige – der Besuch einer Schule für Gehörlose oder einer Schule für Schwerhörige mit engen Kooperationsbeziehungen zu einer allgemeinen Schule – die Unterrichtung in einer ausgelagerten Klasse von hörgeschädigten Schülern im Gebäude der Allgemeinen Schule – der Besuch einer wohnbezirksübergreifenden Integrationsschule, die Schüler mit unterschiedlichsten Behinderungen aufnehmen – der Schulbesuch in der wohnortnahen Schule, zumeist in Form von Einzelintegration Im Rahmen dieser Arbeit soll unter Punkt 5.4. noch näher auf die Möglichkeiten für hörgeschädigte Schüler in Bayern eingegangen werden. Im folgenden nun eine kurze Übersicht der einzelnen, in der BRD vorkommenden Integrationsformen. 5.2.1 Die Einzelfallintegration (oder individuelle Integration) Diese Form der Integration ist für Hörgeschädigte derzeit in Deutschland am häufigsten anzutreffen. Vorrangig wird hier ein einzelnes schwerhöriges, teilweise auch mit Cochlea Implantat versorgtes Kind oder ein Jugendlicher gemeinsam mit hörenden Schülern einer Regelklasse der Allgemeinen Schule unterrichtet. Gehörlose Kinder erfahren zur Zeit nur in speziellen Fällen die Möglichkeit der Einzelfallintegration. Viele dieser Kinder erhalten dabei keine spezielle Förderung, die sonderpädagogisch oder hörgeschädigtenspezifisch ausgerichtet wäre. Die Errichtung und Erweiterung einer solchen Förderung (z.B. Ambulanzlehrersystem, Ambulante Förderung, Mobile Sonderpädagogische Dienste) in den einzelnen Bundesländern wird zwar nach und nach in Angriff genommen, jedoch im Vergleich zum vorherrschenden Bedarf zu langsam und insbesondere durch äußere Rahmenbedingungen (Finanzierungsmöglichkeit, Lehrerwww.foepaed.net 77 stellen für derartige Begleitdiens-te, Stundenzuweisungen usw.) zu eingeschränkt. (vgl. Leonhardt, 1999, S. 107) 5.2.2 Die Gruppenintegration Diese Integrationsform ist in der BRD nur selten anzutreffen. Hier wird, im Gegensatz zur Einzelfallintegration, eine Gruppe von hörgeschädigten Schülern gemeinsam mit Normalhörenden unterrichtet. Man unterscheidet dabei sogenannte integrative Klassen, in denen alle Fächer zusammen unterrichtet werden und sogenannte kooperative Klassen, in denen nur bestimmte Fächer gemeinsam belegt werden. Diese beiden Klassentypen werden hauptsächlich in Regelschulen eingerichtet und zeichnen sich durch sogenanntes „Teamteaching“ aus. Ein Sonderschullehrer mit der Fachrichtung Schwerhörigen- oder Gehörlosenpädagogik und ein Lehrer für die Grund-, Haupt- oder Realschule oder für das Gymnasium arbeiten dabei eng zusammen und wechseln sich im Unterricht bei Bedarf ab. (vgl. Leonhardt, 1999, S. 107) 5.2.3 Die Präventive Integration (oder umgekehrte Integration) Diese dritte Form des gemeinsamen Lernens ist zugleich die meist unbekannteste und für Laien oft auch ungewöhnlichste Art der Integration. In diesem Fall werden hörende Schüler in die Einrichtungen für Hörgeschädigte aufgenommen und gemeinsam mit diesen unterrichtet. Praktiziert wird die Präventive Integration z.B. am Pfalzinstitut für Hörsprachbehinderte Frankenthal, den Samuel-Heinicke-Schulen für Schwerhörige in München und in einigen vorschulischen Einrichtungen für Schwerhörige bzw. Gehörlose. Zudem entsteht gerade in Berlin-Friedrichshain eine neue Schwerhörigenschule, die Margerethe-von-Witzleben-Schule, die voraussichtlich im Schuljahr 2001/2002 öffnet und in der die Präventive Integration praktiziert werden soll. Die Planer des dortigen Schulkonzeptes äußern sich sehr zuversichtlich im Hinblick auf das „gemeinsame Lernen“, welches sowohl Vorteile für die hörgeschädigten wie auch die hörenden Schüler mit sich bringen soll. „Für die schwerhörigen Schüler gibt es vielfältigere Entwicklungsbedingungen, hörende Kommunikationspartner, sprachliche Vorbilder. Die größere Schülerzahl bietet eine umfangreiche Palette an Kursen. Für die hörenden Schüler bietet das Projekt neben dem Erwerb sozialer Kompetenz im Umgang mit Behinderten die Möglichkeit, in kleineren Lerngruppen individuelle Fähigkeiten und www.foepaed.net 78 Fertigkeiten optimal auszubilden und ein Maximum an Wissen und Können zu erzielen.“ (aus: Spektrum Hören, Nr.3/August 2000, S.25 – ohne Angabe des Autors) Diese neue schulische Einrichtung mit Ganztagscharakter wird die Grundschule und die Oberschule mit den Zweigen der Haupt- und Realschule sowie des Gymnasiums umfassen. Unabhängig von den eben beschriebenen Modellen wird derzeit ein weiteres Projekt in einigen Bundesländern gefördert und weiterentwickelt. Der Aufbau von Sonderpädagogischen Förderzentren als zentrale Einrichtungen ohne eigene Schülerschaft soll Grundlage werden für verbesserte Integrationsmöglichkeiten der hörgeschädigten Schüler, die in Regelschulen eingegliedert sind. Von den Förderzentren aus sollen Sonderschullehrer der verschiedenen Fachrichtungen behinderte Kinder an Allgemeinen Schulen während ihrer schulischen Laufbahn so lange wie nötig betreuen und zusätzlich fördern. Zudem sollen diese Lehrer mehrere Schulstunden pro Woche zusammen mit den Lehrkräften der Regelschule Unterricht in den betreffenden Klassen halten. Jedes der angesprochenen Integrationsmodelle bringt Vor- und Nachteile gegenüber den jeweiligen anderen Formen mit sich. Grundsätzlich kann eine Integration aber nur dann erfolgreich verlaufen, wenn sowohl möglichst ideale äußere Rahmenbedingungen geschaffen als auch methodische und didaktische Maßnahmen für das betroffene Kind angewandt werden. „Letztendlich geht es darum, die Möglichkeiten bestmöglicher Förderung des Kindes einzuschätzen. Dies sollte geschehen auf dem Hintergrund vielfältiger, qualitativ sehr unterschiedlicher Informationen über den Entwicklungsstand des Kindes, über den Anregungsgehalt seiner unmittelbaren Umwelt, über die das Kind stützende emotionale Zuwendung und über die in allgemeiner Schule und Sonderschule gebotenen Lernbedingungen.“ (Leonhardt, 2000, S.21) 5.3 Vor- und Nachteile einer unterrichtlichen Integration hörgeschädigter Kinder in die allgemeine Schule Es ist sehr schwierig, pauschale Vor- und Nachteile für bzw. gegen die Integration eines hörgeschädigten Kindes in die Regelschule zu nennen, da jeder Schüler, wie bereits mehrmals erwähnt, einen anderen Grad, eine andere Art und je nach Persönlichkeit völlig unterschiedliche Auswirkungen seiner Hörschädigung aufweist. Trotzdem www.foepaed.net 79 werden immer wieder einige allgemeine Punkte genannt, die im wesentlichen auch vielen der betroffenen Schülern entsprechen. Einige dieser Argumente sollen hier aufgeführt werden, sie können aber lediglich eine Orientierung sein bei der Überlegung, ob eine schulische Integration zu unterstützen oder abzulehnen ist, da die konkrete Aufnahme eines hörgeschädigten Schülers in eine Klasse der Allgemeinen Schule immer eine Einzelfallentscheidung sein wird und sein muss! Meist beziehen sich die nachfolgenden Vor- und Nachteile auf die Einzelfallintegration, da diese am häufigsten anzutreffen ist und auch Grundlage des praktischen Teils dieser Arbeit bildet. Nachteile: Zunächst sollen einige äußere Bedingungen genannt werden, auf die weder das hörgeschädigte Kind noch Lehrer oder Mitschüler einen Einfluss haben, welche sich aber im Unterricht nachteilig auswirken können. In Regelschulen ist die durchschnittliche Klassenstärke weitaus höher, manchmal doppelt so hoch wie an den Schwerhörigen- oder Gehörlosenschulen. Gerade in den letzten Jahren ist wieder ein Anstieg der Schüler pro Klasse zu bemerken, bis April 2001 liegt die maximale Zahl von Schülern einer Klasse in der Regelschule bei 32. Es erscheint einleuchtend, dass 30 Schüler in einer Klasse einen höheren Lärmpegel verursachen und damit eine größere Konzentrationsfähigkeit von den einzelnen Kinder gefordert wird, um dem Unterricht so gut folgen zu können, wie es in einer Klasse mit 15 oder weniger Schülern der Fall wäre. Gerade für ein hörgeschädigtes Kind kann ein hoher und permanenter Störlärm auf Dauer gravierende Auswirkungen auf Konzentration und auch Verhalten haben, da dieses viel stärker beansprucht wird als ein normalhörendes Kind in derselben Situation. Ferner sind die akustischen Bedingungen in einem Klassenzimmer der allgemeinen Schule bei weitem nicht so angepasst wie das in einer Schwerhörigen- oder Gehörlosenschule der Fall sein sollte. Ob und inwieweit der Klassenraum in einer allgemeinen Schule zugunsten eines hörgeschädigten Kindes verändert werden kann ist meist eine Sache des Engagements der Klassenlehrkraft, der Schulleitung und der Eltern. In der Regelschule muss aus finanziellen Gründen auf technische Hilfsmittel wie eine Klassenhöranlage oder computergestützte Lernprogramme speziell für hörgeschädigte www.foepaed.net 80 Kinder verzichtet werden, mit welchen die Schwerhörigen- und Gehörlosenschulen in den meisten Fällen ausgestattet sind. Neben diesen äußeren Bedingungen, die sich ungünstig auf die Perzeptionsleistungen und -möglichkeiten des betroffenen Schülers auswirken können, gibt es einige weitere Argumente, welche gegen die schulische Integration eines hörgeschädigten Kindes in die Allgemeine Schule sprechen. Kommt ein hörgeschädigtes Kind in eine Regelklasse, deren Lehrkraft erstmals mit Hörschädigung und vielleicht sogar Integration konfrontiert wird, so fehlt es dieser meist an genügend Vorbildung, Wissen und auch Erfahrung in Bezug auf den betreffenden neuen Bereich. Dies darf kein Vorwurf sein, da die heute tätigen Regelschullehrer meist kaum Wissen und Erkenntnisse in dem Gebiet der Integration oder gar der Schwerhörigen- bzw. Gehörlosenpädagogik während ihres Studiums erworben haben. Auch zusätzliche Schulungen und Ausbildungen werden nicht häufig angeboten und wenn, dann oft nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem Integration für den Lehrer in seiner Klasse wirklich aktuell wird. Dieser verfügt demnach nicht immer über das nötige Wissen und Einfühlungsvermögen in Bezug auf die Problematik der Hörschädigung und deren Konsequenzen und das hörgeschädigte Kind kann so unter Umständen in seinen sonderpädagogischen Bedürfnissen vernachlässigt werden. Der betreffende Lehrer kann sich zwar das fehlende Wissen selbst aneignen oder bei den entsprechenden Stellen nachfragen, dieser Lernprozess braucht aber Zeit und geschieht nicht „über Nacht“ wie das bei einer plötzlichen Einschulung eines betroffenen Kindes manchmal vonnöten sein kann. Bei der Einzelfallintegration ist das Kind allein mit seinen auf den Hörschaden zurückzuführenden Problemen und Schwierigkeiten. Manchmal ist es sogar das einzige hörgeschädigte Kind an der ganzen Schule und hat somit keinerlei Vergleichsmöglichkeiten mit Kindern, denen es ähnlich ergeht. Es kann sich isoliert und sogar als „behindert“ stigmatisiert fühlen, selbst wenn niemand aus seinem Umfeld negative Bemerkungen über die Hörschädigung macht. Für ein hörgeschädigtes Kind ist es in jedem Fall wichtig, die Erfahrung zu machen, dass es nicht „allein“ ist mit seiner Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit, sondern es andere Kinder mit ähnlichen Problemen und Auffälligkeiten im Gegensatz zu den normalhörenden Schülern gibt. Es wäre hier somit Aufgabe der www.foepaed.net 81 Eltern, ihrem Kind solche Begegnungen zu ermöglichen, da es in der Schule diese Erfahrungen kaum oder gar nicht machen kann. In einer Klasse mit 25 oder mehr Schülern ist es sehr unwahrscheinlich, dass kein weiteres außer dem hörgeschädigten Kind bestimmte Probleme und Schwierigkeiten hat, auf die der betreffende Lehrer näher eingehen muss. Er kann also nicht immer Rücksicht auf das hörgeschädigte Kind nehmen und es kann durchaus vorkommen, dass der Lehrer in einer stressigen Situation die akuten Bedürfnisse und Nöte des betroffenen Kindes schlichtweg übersieht, weil er schon von anderen Schülern in Anspruch genommen wird. Auch kann es der betreffenden Lehrkraft immer wieder schwer fallen, gerade wenn sie erstmals ein schwerhöriges oder gehörloses Kind in der Klasse hat, sich die Problematik der Hörschädigung und die daraus folgende geforderte Handlungsweise während des gesamten Unterrichts gegenwärtig zu machen, da die anderen Schüler genauso individueller Hilfen bedürfen wie das betroffene Kind. Eine weitere schwerwiegende Tatsache ist der Umstand, dass das hörgeschädigte Kind oftmals Strategien entwickelt, die ihm dazu verhelfen, dass Kommunikationsprobleme dem Lehrer und auch den Mitschülern nicht bewusst werden. Es kann so über längere Zeit hinweg dem Unterricht scheinbar gut folgen und sich auch aktiv beteiligen, allerdings besteht die große Gefahr, dass irgendwann ein Zeitpunkt erreicht wird, an dem das Kind trotz seiner Strategien und Kompensationsmöglichkeiten dem Unterricht nicht mehr genügend folgen kann, um gute bis ausreichende Leistungen zu erzielen. In einer Studie zur Regelbeschulung hörgeschädigter Grundschüler im Vereinigten Königreich wurden diese Strategien deutlich. Die Autorinnen Susan Gregory und Juliet Bishop gelangten zu folgendem Fazit: „Auf diese Weise basiert viel von dem, was tatsächlich für guten Dialog mit hörgeschädigten Kindern angesehen wird, nicht auf einem beidseitigen Verständnis, sondern auf der vom Kind entwickelten Fähigkeit, den sozialen Anforderungen der Situation zu entsprechen.“ (1989, S.83) Dieses Ergebnis kann durchaus auch auf deutsche integrierte hörgeschädigte Schüler angewandt werden, da die Entwicklung von solchen Strategien unabhängig von der Muttersprache bei vielen schwerhörigen oder gehörlosen Menschen beobachtet werden kann, die sie einsetzen um erfolgreich in einer hörenden Umwelt zurechtzukommen und dort möglichst nicht als hörgeschädigt aufzufallen. Ein weiterer Aspekt, der die Regelbeschulung eines hörgeschädigten Schülers im Gegensatz zu einem Besuch der entsprechenden Förderschule negativer erscheinen lässt, www.foepaed.net 82 ist die Tatsache, dass der Lehrplan der allgemeinen Schule für normalhörende Kinder ausgelegt ist und somit gewisse Lernziele, die speziell auf die Bedürfnisse eines schwerhörigen bzw. gehörlosen Kindes im Lehrplan der jeweiligen Förderschule eingehen, entfallen. Hilfen, wie eine zusätzliche Sprech- und Spracherziehung, die für ein schwerhöriges und vor allem gehörloses Kind meist von entscheidender Bedeutung sind, da hier aufgrund der eingeschränkten auditiven Perzeption erhöhter Förderbedarf besteht, kann der Regelschullehrer nicht geben, da er den Schüler hierzu einzeln fördern müsste, wozu er weder zeitliche noch fachliche Voraussetzungen hat. Das hörgeschädigte Kind ist in diesem Bereich also auf zusätzliche Fördermaßnahmen neben dem täglichen Regelschulbetrieb angewiesen, was eine zusätzliche Belastung für das Kind sein kann. Die meisten Schüler in einer Regelklasse sind unaufgeklärt gegenüber der Thematik Schwerhörigkeit und den daraus resultierenden Handlungsweisen, die dem hörgeschädigten Mitschüler in den zahlreichen für ihn schwierigen Sprachwahrnehmungs- und Kommunikationssituationen helfen könnten. Es mag bei einer unzureichenden oder gar fehlenden Thematisierung der Schwerhörigkeit innerhalb der Klasse zu negativen Bemerkungen der Mitschüler über die Hörschädigung des betroffenen Kindes kommen. Auch hier ist es Sache der Lehrkraft, diese Aufklärung möglichst bald zu Anfang des Schuljahres bzw. nach Beginn der integrativen Beschulung äußerst sensibel und einfühlsam durchzuführen. Dieser Anspruch kann einen Regelschullehrer unter Umständen überfordern, wenn er sich selbst z.B. nicht kompetent genug im Umgang mit Hörgeschädigten und der Thematik Schwerhörigkeit fühlt. Unaufgeklärte Mitschüler, die dem betroffenen Kind keine Hilfen und kein Verständnis entgegenbringen, können dessen psychische Situation und seine Lernfähigkeit in der Klasse in solch einem Fall belasten und erschweren. Ein letzter Punkt, der hier genannt werden soll, ist die meist umfangreiche häusliche Mitarbeit der Eltern oder zumindest eines Elternteils, um die durch den Hörschaden des Kindes verursachten schulischen Defizite abzubauen und dadurch versäumten Unterrichtsstoff zu Hause nachzuholen. Ein hörgeschädigtes Kind, welches in Form der Einzelintegration die Regelschule besucht, kann einem höheren schulischen und sozialen Stress ausgesetzt sein, als es dies in einer Gruppe von schwerhörigen bzw. gehörlosen Schülern wäre. Dies lässt sich durch die zuvor erwähnten Aspekte begründen, Folge davon ist dann, dass die Familie des Kindes zu Hause sehr viel von diesem Stress „aufwww.foepaed.net 83 fangen“ muss. Was im Unterricht unklar war, muss eventuell nachgearbeitet und erklärt werden, bei erlittenen Hänseleien müssen die Eltern das Kind beruhigen und positiv bestärken, ferner können zusätzliche hörgeschädigtenspezifische Therapien anfallen, zu denen der betroffene Schüler nachmittags gefahren werden muss. Natürlich ist der Umfang dieser häuslichen Betreuung abhängig von den individuellen Fähigkeiten des Kindes, dem Engagement der Eltern und des Lehrers und der Akzeptanz seitens der Mitschüler. Unter Umständen kommt es so zu keiner großen „Mehrarbeit“ der Eltern im Gegensatz zu einer Beschulung in der Förderschule. Trotzdem darf man die Tatsache nicht verdrängen, dass viele Familie, die eine integrative Beschulung ihres hörgeschädigten Kindes miterleben, über eine große zusätzliche Belastung klagen. Wie schon erwähnt können manche dieser Nachteile zutreffen, sie müssen aber nicht. Es können auch, je nach individuellem Fall, weitere hinzukommen oder sich aus der integrativen Beschulung nur Vorteile für das betroffene Kind und die Eltern ergeben. Zu bedenken ist, dass die Situation eines hörgeschädigten Kindes in einer Allgemeinen Schule von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen wird und differenziert gesehen werden muss! Vorteile: Unter diesen Voraussetzungen sollen nun einige Vorteile genannt werden, welche die schulische Integration eines hörgeschädigten Kindes in die Allgemeine Schule häufig mit sich bringt. In den meisten Fällen ist die Allgemeine Schule für das hörgeschädigte Kind näher gelegen und schneller zu erreichen, als die entsprechende Förderschule. Außerdem trifft das Kind hier seine Freunde aus der Nachbarschaft wieder, sie haben vielleicht sogar den gleichen Schulweg und können nachmittags zusammen Hausaufgaben machen. Würde das betroffene Kind die Schwerhörigen- bzw. Gehörlosenschule besuchen, müsste es jeden Tag weit fahren oder sogar im Internat wohnen, die dortigen Mitschüler würden weiter entfernt wohnen und soziale Kontakte mit guthörenden Kindern würden sich nur außerhalb der Schulwelt ergeben. Somit birgt ein Besuch der Regelschule den Vorteil einer stärkeren Integration in die wohnortnahe Umgebung und einen Verbleib in der Familie und dem gewohnten Freundeskreis. Das Kind wird bei der Einschulung www.foepaed.net 84 nicht „ausgesondert“, es hat nicht das Gefühl „anders als die anderen“ zu sein, sondern es erfährt die gleiche Behandlung wie die gleichaltrigen Kinder der Nachbarschaft. Da das Kind hauptsächlich hörende Freunde in der Regelschule finden wird, findet meist eine Identifikation mit dieser Gruppe statt. Das Kind wird dadurch noch stärker das Gefühl haben „normal“ zu sein und sich seiner Behinderung weniger bewusst werden als dies vielleicht in einer Förderschule der Fall wäre. Von Vorteil in der Regelschule ist auch, dass das hörgeschädigte Kind hier lernt, sich unter Hörenden durchzusetzen und zurechtzufinden. Da es das einzige betroffene Kind in der Klasse kann sein wird, kann nicht ständig auf mögliche Nachteile und Einschränkungen, die sich bezüglich des Hörschadens ergeben, eingegangen werden. Das Kind wird so zu einer größeren Selbstständigkeit erzogen, weil es lernen muss sich den Anforderungen in einer hörenden Umwelt zu stellen, d.h. immer wieder nachzufragen und auf seine eingeschränkte auditive Perzeption aufmerksam zu machen. Ein wichtiger Aspekt ist zudem das große lautsprachliche Angebot und das vermutlich höhere Sprachniveau in der allgemeinen Schule. Die Sprechfertigkeit und Sprechverständlichkeit des hörgeschädigten Kindes wird jeden Tag, ob bewusst oder unbewusst, im Vergleich mit den Fähigkeiten der hörenden Schüler gesehen, auch an sich selbst wird das betroffene Kind aufgrund dieser Vorbilder einen höheren Maßstab legen. Es erlebt in der Regelklasse eine weitgehend „normale“ Sprache der Mitschüler, die meist altersgemäß ist und auf natürlichem Weg erlernt wurde. Es wird diesen Vorbildern nacheifern bzw. ebenso sprechen wollen und ist somit stärker motiviert, auf seine Aussprache, Artikulation und Wortwahl zu achten, als dies vielleicht in der Schwerhörigenoder Gehörlosenschule der Fall wäre, in der Schüler mit Sprech- und Artikulationsproblemen zu kämpfen haben und hier innerhalb der Klasse meist nur der Lehrer als sprachliches Vorbild gelten kann. Der Erwerb einer Hörtaktik13, welches Voraussetzung für einen Hörgeschädigten für die Kommunikation in der hörenden Umwelt ist, wird in der Regelschule erleichtert bzw. ergibt sich hier von selbst. 13 Hörtaktik: Fähigkeit des Hörgeschädigten, soziale Situationen so zu gestalten oder zu beeinflussen, dass im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die eigene Teilhabe möglich bzw. erleichtert wird (Leonhardt, 1999, S.220) www.foepaed.net 85 Wie schon bei den Nachteilen erwähnt ließe sich die Liste der Vorteile, je nach Voraussetzungen und Fähigkeiten des einzelnen betroffenen Kindes, beliebig erweitern oder würde sich eher verkürzen. Es muss bei der Entscheidung, ob ein hörgeschädigtes Kind die Regelschule oder die entsprechende Förderschule besuchen soll, in jedem einzelnen Fall neu nach den Vorund Nachteilen gesucht und eine individuelle Lösung gefunden werden, die dem betroffenen Kind je nach seinen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten möglichst gerecht wird. Auswirkungen auf die Lehrkraft und Mitschüler: Nicht nur für das einzelne hörgeschädigte Kind, auch für die Klasse und die unterrichtende Lehrkraft können sich Vor- und Nachteile eines gemeinsamen Lernens ergeben. So kann es sein, dass der Lehrer mit der Situation nicht zurecht kommt. Er fühlt sich möglicherweise überfordert und hat Angst, den Anforderungen des betroffenen Kindes nicht gerecht zu werden. Es kann auch passieren, dass einige Schüler der Klasse sich übergangen und vernachlässigt fühlen, weil der Lehrer sich sehr intensiv um die Bedürfnisse und Belange des hörgeschädigten Kindes kümmert und so unter Umständen anderen Kinder, für die es dringend notwendig wäre, zu wenig Hilfe und Aufmerksamkeit zukommen lässt. Je nach Persönlichkeit und auch Belastbarkeit der einzelnen Lehrkraft und Zusammensetzung der Klasse kann sich das gemeinsame Lernen aber auch überwiegend vorteilhaft und positiv für alle Beteiligten entwickeln. So lernen die Schüler im Umgang mit ihren hörgeschädigten Mitschülern Berührungsängste gegenüber „Behinderten“ bzw. schwerhörigen- und gehörlosen Menschen abzubauen. Hörende und hörgeschädigte Kinder lernen den lockeren Umgang miteinander. Rücksichtnahme, sich gegenseitig helfen, sowie die Auseinandersetzung mit Problemen Hörgeschädigter gehören zum Alltag in der Klasse und prägen das Sozialverhalten aller Schüler, was ihnen auch im späteren Leben von großem Nutzen sein wird. Im Bereich der Kommunikation gewöhnen sich die hörenden Schüler an Regeln, welche nicht nur im Gespräch mit hörgeschädigten Menschen von Nutzen sind, sondern auch im Umgang mit Hörenden zu konstruktiven Gesprächen und Diskussionen verhelfen können. www.foepaed.net 86 Sowohl das hörgeschädigte Kind als auch die hörenden Mitschüler lernen gemeinsam miteinander und voneinander, was eigentlich nur eine Bereicherung für beide Seiten bedeuten kann. Damit ein hörgeschädigtes Kind eine Regelschule besuchen kann, müssen natürlich auch zahlreiche Voraussetzungen erfüllt sein. Diese reichen von den vorschulischen Fördermaßnahmen, dem Spracherwerb (hörgerichtet oder gebärdensprachlich orientiert), den geistigen Fähigkeiten und den Sprachwahrnehmungsleistungen bis hin zum Engagement der Eltern und beteiligten Pädagogen. Eine genaue Darstellung und Begründung dieser Voraussetzungen würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, trotzdem sei auf dieser Stelle darauf hingewiesen, da die Voraussetzungen bei der Entscheidung für oder wider eine schulische Integration ebenfalls eine große Rolle spielen. 5.4 Rechtliche Grundlagen für eine schulische Integration in Bayern Wie schon unter 5.2. erwähnt sind die schulrechtlichen Bestimmungen zur Integration in Deutschland nicht einheitlich. Die Aufnahme behinderter Schüler in die allgemeine Schule ist jedoch immer auch von der personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung der jeweiligen Schule abhängig. Eine Grundlage der schulische Integration in Bayern sind die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz vom 10.5.1996. Bei den „Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören“ ist unter dem Abschnitt „Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht“ zu finden, dass hörgeschädigte Kinder und Jugendliche mit Sonderpädagogischem Förderbedarf bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. sächliche und räumliche Rahmenbedingungen, zusätzliche sonderpädagogische Förderung durch Lehrkräfte mit entsprechender sonderpädagogischer Befähigung usw.) die allgemeine Schule besuchen können. Im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) von 1994 beschreibt Artikel 19 die Aufgaben der Förderschulen wie folgt: (1) Die Förderschulen erziehen, unterrichten, beraten und fördern Kinder und Jugendliche, die behindert oder von Behinderung bedroht, krank oder vorübergehend in ähnlicher Weise in ihrem Leistungsvermögen beeinträchtigt sind und deshalb sonderpädagogischer Förderung bedürfen. www.foepaed.net 87 (2) Die Förderschulen erfüllen diese Aufgaben 1. in eigenen Schulen für Behinderte 2. in Schulen für Kranke 3. in Schulvorbereitenden Einrichtungen der entsprechenden Schulen für Behinderte nach Maßgabe des Art. 22 ferner im Rahmen der verfügbaren Stellen und Mittel 4. durch Mobile Sonderpädagogische Dienste zur Unterstützung der förderbedürftigen Schüler in den Schulen anderer Schularten (allgemeine Schulen), 5. durch mobile sonderpädagogische Hilfe im Kindergarten 6. durch Zusammenarbeit im Rahmen der interdisziplinären Frühförderung. Für hörgeschädigte Schüler, die in Bayern eine Regelschule besuchen und meist die Einzelintegration erfahren, bedeutet dieses Gesetz, dass sie den Anspruch auf eine Mobile Sonderpädagogische Hilfe haben. Ferner werden noch räumliche und sächliche Anpassungen für das Kind in der Regelklasse vorgenommen, welches mit dem Besuch der allgemeinen Schule auch die dort vorgegebenen Lernziele erreichen muss. Im BayEUG wird auf die Mobilen Sonderpädagogische Dienste als Hilfe in den Regelschulen hingewiesen. Dieser Dienst soll hier kurz näher erläutert werden. Grundlage für folgende Darstellung soll dabei eine Veröffentlichung des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung im Internet unter der Adresse: www.stmukwk.bayern.de/schule/foerders.html sein. Als Aufgabe des Dienstes wird eine Förderung für die allgemeine Schule und eine Förderung durch die allgemeine Schule genannt. Ein Sonderschullehrer oder eine Sonderschullehrerin, die „spezialisierte Diagnostiker und Berater, aber auch Lehrbefähigte sein [müssen], d.h. Spezialisten für sonderpädagogische Förderung“ (siehe Fachkompetenz unter www.stmukwk.bayern.de/schule/foerders.html) und sich fachlich für den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst interessieren, werden ausgewählt, um Regelschullehrer, welche ein behindertes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten, zu beraten und zu unterstützen. Auch die Eltern und der betroffene Schüler selbst sollen in die Betreuung durch den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst einbezogen werden. Speziell für den Förderschwerpunkt Hören ergeben sich mehrere Hauptaufgaben für den Mobilen Dienst: www.foepaed.net 88 – Hörerziehung – Sprachaufbau – Lautsprachentwicklung und Sprechen – Absehen – Taktile Wahrnehmung Dabei sollen die Sonderschullehrkräfte konkret folgenden Aufgaben nachkommen: – Förderdiagnostik – Förderung der betroffenen Schüler – Zusammenarbeit mit den Klassenlehrern (vor allem dem Klassenleiter) und allen Personen der Schule, die Unterricht und Erziehung verantwortlich mittragen – Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten – Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen und Fachdiensten Über den genauen zeitlichen Rahmen, der den Sonderschullehrkräften dabei pro Klasse zur Verfügung steht, gibt es keine genauen Angaben, allerdings wird erwähnt, dass der Mobile Dienst bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs für jedes betroffene Kind und den Lehrer einen Förderplan erstellt, der zunächst durch häufigere Besuche in der Schule gekennzeichnet sein sollte, letztendlich aber auf einen „Weg des Ablösens“, d.h. eine zunehmende Rücknahme der Förderung hinauslaufen sollte. Aufgrund eigener Nachfragen und Erkundigungen haben die Sonderschullehrkräfte aber meist nur die Möglichkeit, alle 2 Monate einmal jeder zu beratenden Lehrkraft und den Eltern, die bei diesen Gesprächen meist anwesend sind, einen Besuch abzustatten. Abschließend wird in dem Artikel hingewiesen, dass bei aller bewährter Praxis der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste noch weitgehend eine Theorie der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste, aus der gültig abgeleitet werden kann, welche Bildungsaufgaben die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste und die allgemeine Schule im Verbund übernehmen, fehle (vgl.:. www.stmukwk.bayern.de/schule/foerders.html). Im Schuljahr 1999/2000 wurden an Bayerns allgemeinen Schulen weit über 9000 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet und gleichzeitig durch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste gefördert. Dafür waren rund 300 Sonderschullehrer eingesetzt. Der Anteil der hörgeschädigten betreuten Kinder lag dabei bei etwa 600. In den 10 Jahren seit bestehen des Mobilen Sonderpädagogischen www.foepaed.net 89 Dienstes ist die Zahl der betreuten schwerhörigen oder gehörlosen Schüler an allgemeinen Schulen stetig angewachsen. (Quelle: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung) Nachfolgende Grafik soll dies näher verdeutlichen: Abb. 32: Anzahl der betreuten Schüler durch den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst der letzten 10 Jahre im Vergleich Eine Art Leitziel der Integration an allgemeinen Schule beschreibt Artikel 21 des BayEUG: Mobile Sonderpädagogische Dienste Die allgemeinen Schulen können Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten, wenn zu erwarten ist, dass die Schüler die Lernziele dieser Schule erreichen und wenn der sonderpädagogische Förderbedarf in Zusammenarbeit mit den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten erfüllt werden kann. Im neuen Lehrplan der Grundschulen, der im Schuljahr 2001/2002 in Kraft treten soll findet sich im ersten Kapitel der Punkt „Leben und Lernen mit Behinderten“. Hier wird das Ziel der Zusammenarbeit zwischen Förderschulen und allgemeinen Schulen in Unterricht und Schulleben betont. Die Schüler sollen „ … Einfühlsamkeit und Toleranz www.foepaed.net 90 für das bisweilen andersartig wirkende Handeln von Menschen mit einer Behinderung … entwickeln sowie Handlungsstrategien kennen … lernen, die auch im zukünftigen Leben eine angemessene Begegnung von Behinderten und Nichtbehinderten anbahnen.“ (Amtsblatt B 1234 A, Teil I, Sondernummer 1 vom 25.9.2000, S.15) Die Integration eines behinderten, z.B. hörgeschädigten Kindes in eine Regelklasse kann zur Erreichung dieser Zielsetzung beitragen und Voraussetzung dafür sein. Zwei praktische Beispiele von Einzelintegration ergeben sich im praktischen Teil dieser Arbeit (siehe Punkt 6.), da hier zwei Regelklassen mit jeweils einem integrierten hörgeschädigten Kind beschrieben werden. Beide Klassen werden vom Mobilen Sonderpädagogischen Dienst betreut. Weitere Praxisbeispiele zur Integration hörgeschädigter Kinder in allgemeinen Schulen in der BRD sind in den folgenden Ausgaben der Zeitschrift „Spektrum Hören“, herausgegeben von der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde Hörgeschädigter Kinder e.V. zu finden: Nr. 2 – Mai 2000: Themenschwerpunkt des Heftes: In der Regelschule Nr. 3 – August 2000 : Themenschwerpunkt des Heftes: Integration… Der theoretische Teil der Arbeit soll hiermit beendet werden und im folgenden werden Vorbereitung, Durchführung und abschließende Bemerkungen zu den Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in zwei integrativen Regelklassen dargestellt. 6. Durchführung der Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in zwei Regelklassen 6.1 Vorüberlegungen und Bemerkungen zu den zwei Regelklassen Die im ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse und Überlegungen sollten in einer praktischen Einheit den Schülern und auch der Lehrkraft einer Regelklasse mit einem integrierten schwerhörigen Kind nahegebracht werden, um das Verständnis von Mitschülern und Lehrern hinsichtlich der Schwierigkeiten, aber auch der Bedeutung des Absehens im Schulalltag zu fördern. Die Ergebnisse der Stundeneinheit sollten schließlich bei der Erstellung des Merkblattes über das Thema „Absehen“ für Regelschullehrer, die einen oder mehrere schwerhörige Schüler in ihrer Klasse integriert haben, von Nutzen sein. www.foepaed.net 91 Ich entschloss mich, die Stundeneinheit in zwei Regelklassen abzuhalten, um differenziertere Resultate aus dieser praktischen Einheit zu erhalten. Außerdem wurde mir schnell klar, dass gerade in einer ersten Jahrgangsstufe zu Beginn des Schuljahres eine Aufklärung über das Absehen sinnvoll und notwendig ist, da für die Schüler, wenn sie ihren hörgeschädigten Mitschüler bzw. ihre Mitschülerin nicht schon aus dem Kindergarten kennen, der Umgang mit Schwerhörigkeit meist neu erlernt und erfahren werden muss. Hier muss man aber sehr viel mehr Bild- und Anschauungsmaterial verwenden, als dies in einer zweiten, dritten oder vierten Klasse nötig ist, da die Schüler der ersten Klasse zu Beginn des Schuljahres noch kaum Lese- und Schreibkenntnisse haben. Glücklicherweise gelang es mir, eine erste und eine zweite Klasse für mein Vorhaben zu gewinnen. So wollte ich die Stundeneinheit einmal mit nur dem nötigsten Wortmaterial für die erste Jahrgangsstufe gestalten, im zweiten Fall sollte die Unterrichtsplanung hinsichtlich der ausreichenden Schreib- und Lesekenntnisse einer zweiten Klasse abgeändert werden. In der ersten Klasse befindet sich ein integrierter schwerhöriger Schüler. Im folgenden soll diese Klasse der Einfachheit halber immer mit „Klasse 1“ bezeichnet werden, der Schüler soll das Pseudonym „Paul“ erhalten. Die andere Klasse ist eine zweite Jahrgangsstufe mit einer schwerhörigen integrierten Schülerin. Diese Klasse wird im weiteren Text immer mit „Klasse 2“ benannt, die Schülerin mit dem Namen „Lisa“. Um geeignete Klassen zu finden hatte ich bei den Schulleitern mehrerer Schulen angefragt. Ich hatte schnell Erfolg, da die meisten Schulleiter sehr angetan, interessiert und erfreut über mein Projekt waren. Ich nahm mit zwei Lehrkräften an zwei verschiedenen Schulen Kontakt auf und wir vereinbarten einen ersten Gesprächstermin, bei dem ich mein Projekt kurz vorstellen sollte. Dabei handelte es sich, wie schon erwähnt, einmal um eine erste und um eine zweite Jahrgangsstufe. 6.1.1 Gespräch mit der Klassleiterin der Klasse 1 Ende September 2000 traf ich mich mit der Lehrerin der Klasse 1, um meine geplante Unterrichtseinheit zu besprechen. Die Lehrerin erzählte mir zunächst, dass noch am ersten Schultag eine kurzfristige Umstrukturierung der beiden ersten Klassen stattgefunden habe, und sie eigentlich gar nicht damit gerechnet hatte, den schwerhörigen Schüler in ihre Klasse zu bekommen. Folglich war sie völlig unvorbereitet auf diese Situation gewesen und hatte sich erst in der ersten Schulwoche einige Informationen zum Thema www.foepaed.net 92 Schwerhörigkeit und Integration besorgen können um sich erstmals mit dieser Thematik zu befassen. Eilige Anfragen beim Mobilen Dienst, der schon bei der Anmeldung von Paul an die Regelschule informiert worden war, konnten der Lehrerin auch nicht weiterhelfen, da die ihr zugeteilte Betreuungslehrerin aus Termingründen der Klasse und der Lehrerin erst sechs Wochen nach Beginn des Schuljahres einen ersten Besuch abstatten konnte. Auf meine Nachfrage hin erläuterte mir die Lehrerin, dass es auch im Vorfeld, also noch vor den Sommerferien, als Pauls Einschulung in diese Grundschule schon klar war, keine Informationen oder Vorbesprechungen für die betroffenen Lehrkräfte gegeben hatte. Da zum Zeitpunkt meines Gesprächs mit der Lehrerin der erste Besuch des mobilen Dienstes noch nicht stattgefunden hatte, beantwortete ich ihr einige aktuelle Fragen und wies sie auf Literatur zum Thema Schwerhörigkeit hin. Der schwerhörige Schüler Paul hatte sich in den ersten Schultagen recht auffällig benommen. Er wirkte auf die Lehrerin sehr zappelig und unruhig. Auf die Frage der Lehrerin hin, ob hier die Schwerhörigkeit Ursache sein könnte, wollte ich mich nicht auf eine Antwort festlegen, da ich den Schüler bis dahin ja noch nicht kannte. Ich erwähnte jedoch, dass man diese Möglichkeit nicht ausschließen könne. Da die Betreuungskraft des Mobilen Dienstes vermutlich jedoch viel mehr praktische Erfahrung in diesem Bereich hatte empfahl ich der Lehrerin, mit dieser Rücksprache über das Problem zu halten. Ich erkundigte mich, inwieweit die Problematik des schwerhörigen Schülers in der Klasse bereits angesprochen worden war. Da erst zwei Schulwochen stattgefunden hatten und sich die Schüler zunächst an den Schulalltag und den Tagesablauf gewöhnen mussten, war Pauls Schwerhörigkeit nur kurz angesprochen worden. Außerdem wollte sich die Lehrerin noch besser über das Thema informieren, bevor sie dazu eine Unterrichtsstunde abhalten wollte. Ferner vermutete sie, dass vielleicht die Betreuungslehrerin vom Mobilen Dienst diese Aufgabe übernehmen könnte. Ich bot an, meine Unterrichtseinheit auf das Thema Schwerhörigkeit auszuweiten, da eine Kenntnis darüber Voraussetzung für die Schüler ist, um ihnen das Absehen sinnvoll nahe bringen zu können. Die Lehrerin zeigte sich sehr erfreut über meinen Vorschlag. Sie wollte lediglich mit dem Mobilen Dienst Rücksprache nehmen, um zu erfahren, ob die Betreuungslehrerin nicht schon Ähnliches geplant hatte. Ich wollte die Klasse und auch Paul auf jeden Fall kennen lernen, bevor ich meine Unterrichtseinheit in der Klasse halten www.foepaed.net 93 wollte. Wir vereinbarten deshalb einen Termin, bei dem ich dem Unterricht einige Schulstunden lang zuschauen durfte. Wenige Tage nach unserem Gespräch berichtete mir die Lehrerin, dass sich die ihr zugeteilte Betreuungslehrkraft des Mobilen Dienstes sehr erfreut über meine geplante Unterrichtseinheit sowohl zum Thema „Absehen“ als auch zum Thema „Schwerhörigkeit“ geäußert hatte. Aus Zeitmangel hatte sie keine Unterrichtsstunde in der Klasse 1 dazu eingeplant gehabt. 6.1.2 Paul Vor meiner Unterrichtsmitschau in der Klasse telefonierte ich noch mit Pauls Mutter, um ihr von meinem Projekt zu erzählen. Auch sie zeigte sich angetan von dem geplanten Vorhaben. Sie erhoffte sich ein ausgeprägteres Verständnis der Mitschüler gegenüber Pauls Schwerhörigkeit. Von ihr erhielt ich einige Informationen zu Pauls Hörverlust, dessen Erkennung im Alter von dreieinhalb Jahren und der darauf einsetzenden vorschulischen medizinischen und therapeutischen Behandlungen und Untersuchungen. Ich möchte diese Auskünfte mit Einverständnis von Pauls Eltern hier kurz wiedergeben, um eine klareres Bild der Situation von Paul als hörgeschädigtem Schüler in einer Regelklasse zu schaffen. Pauls Geburt und seine ersten Monate verliefen ohne irgendwelche besonderen Probleme, seine Mutter, die Pauls Entwicklung immer mit der seiner zwei Jahre alten Schwester verglich, konnte bis dahin keine gravierenden Unterschiede bemerken. Als Paul im Alter von zwei Jahren immer noch mühsam Zweiwortsätze formulierte und seine Sprachentwicklung kaum voranschritt konsultierte Pauls Mutter den Kinderarzt, wo zahlreiche Tests, u.a. auch ein Hörtest vorgenommen wurden. Der Kinderarzt kam zu dem Schluss, dass Pauls Entwicklung leicht verzögert sei, tat dies aber als eine Alltäglichkeit ab und riet der Mutter einfach abzuwarten, bis der nächste Entwicklungsschub einsetzen würde. Paul wurde nun zunehmend verhaltensauffällig, schnell wurde er aggressiv oder reagierte für seine Eltern unverständlich auf gewisse Situationen. Bei Pauls Mutter erhärtete sich der Verdacht, dass Paul an einer Hörstörung leiden könnte. Als Paul drei Jahre alt wurde wandte sie sich an die Frühförderstelle ihres Wohnortes, die wiederum einen Hörtest (Spielaudiometrie) durchführte. Auch hier waren die Ergebnisse durchschnittlich und eine Entwicklungsverzögerung wurde erneut als Erklärung für Pauls Verhalten in Betracht gezogen. Diesmal aber ließ sich Pauls Mutter nicht www.foepaed.net 94 überzeugen, sie wandte sich an die Kinder-HNO Abteilung der Uniklinik München und bestand auf einem objektiven Hörtest. Die Leiterin der Abteilung weigerte sich zunächst, einen solchen Test durchzuführen, da Paul ja laut Hörtest der Frühförderstelle über ein normales Hörvermögen verfügte. Der Einwand der Mutter, Paul habe in seinen ersten Lebensjahren eine Strategie entwickelt, um seine Hörschädigung zu kompensieren und nur ein objektiver Hörtest könne ein unverfälschtes Ergebnis bringen, stieß zunächst auf Unglauben. Im Alter von dreieinhalb Jahren schließlich und nach wiederholten Forderungen der Eltern nach einer ERA14-Untersuchung führte man diese im Klinikum Großhadern München durch. Es wurde dabei eine leicht- bis mittelgradige Hörstörung an beiden Ohren festgestellt. Paul wurden sofort Hörgeräte angepasst, außerdem setzte das Frühförderprogramm ein, in dessen Rahmen ein Mitarbeiter der Frühförderstelle die Familie einmal pro Woche besuchte. Im Alter von vier Jahren besuchte Paul für ein Jahr die Heilpädagogische Tagesstätte in seinem Wohnort, gleichzeitig begann eine Therapie bei einer Logopädin, die über drei Jahre andauern sollte. Nach dem einjährigen Besuch der Tagesstätte kam Paul für zwei Jahre in einen normalen Kindergarten, die Therapie bei der Logopädin wurde über diesen Zeitraum noch weiter fortgesetzt. Weitere medizinische Untersuchungen ergaben bei Paul als Ursache für seine Hörschädigung eine Verwachsung im Mittelohr sowie eine reduzierte Weiterleitung des Schalls im Innenohr. Mittels Operation sollte diese Störung noch vor Schuleintritt behoben werden, die Ärzte rechneten dann mit einem fast wieder normalen Hörvermögen für Paul. Die Eltern hatte sich schon früh mit Pauls Einschulung befasst und mehrere Schulen besucht, eine Sprachheilschule, eine Schwerhörigenschule, eine Montessorischule und auch die örtliche Regelgrundschule. Schließlich entschieden sich die Eltern für eine Einschulung in die Regelschule, einmal weil Pauls Sprachstand durch die Therapie bei der Logopädin und viel elterlichem Einsatz wieder altersgemäß war, zum anderen, da die kommende Operation Pauls Hörvermögen erheblich verbessern sollte und die Regelschule viel näher an Pauls Wohnort lag als die anderen Schulen. Die Operation wurde erst im Juli vor Schuleintritt und zunächst nur an einem Ohr durchgeführt. Entgegen aller Erwartungen verlief der Eingriff negativ, es kam zum 14 ERA = Elektrische Reaktions-Audiometrie (engl. Evoked Response Audiometry) – ist die Messung elektrischer Potentiale im Hörnerv, im Hirnstamm und in der Hirnrinde mit Hilfe eines Mittelwertrechners; gibt Auskunft über die Funktionsfähigkeit der verschiedenen Abschnitte der Hörbahn (Leonhardt, 1999, S. 218) www.foepaed.net 95 Austritt von Flüssigkeit beim Entfernen der Verwachsung und nur mit großem Glück konnten die Ärzte verhindern, dass Paul seine Hörfähigkeit auf diesem Ohr ganz einbüßte. Die Eltern und auch die Ärzte sahen nun von weiteren Operationen ab. Pauls Hörvermögen hatte sich auf dem operierten Ohr erheblich verschlechtert und Paul mussten neue, diesmal digitale, Hörgeräte angepasst werden. Die Endanpassung von Pauls neuen Hörgeräten sollte erst im Januar 2001 erfolgen, also schon einige Monate nach Schuleintritt. Die Eltern des Jungen waren zunächst wieder verunsichert, ob eine Einschulung in die Regelschule noch sinnvoll sei, sie meldeten Paul jedoch beim Mobilen Dienst an und revidierten ihre Entscheidung nicht. Erwähnenswert scheint auch, dass sich Pauls Mutter für die voraussichtlich nächsten vier Jahre von ihrem Beruf hat beurlauben lassen, um ihren Sohn nachmittags zu Hause bei der Bewältigung der schulischen Aufgaben behilflich sein zu können. Im September 2000 trat Paul dann in die erste Klasse einer Regelschule ein. Betrachtet man Pauls Tondiagramm, so zeigt sich eine mittel- bis hochgradige kombinierte Schallleitungs-Schallempfindungsschwerhörigkeit sowohl für das linke wie auch für das rechte Ohr. Auf Pauls konkrete Hörsituation soll bei der Darstellung des Gesprächs mit dem Schüler (siehe 6.1.3.) eingegangen werden. Abb. 33: Tonaudiogram von Paul vom 04. August 2000 (nach der Operation) www.foepaed.net 96 Ich möchte nun kurz von meinem Unterrichtsbesuch in Klasse 1 berichten, bevor ich auf mein Gespräch mit der Lehrerin von Klasse 2, Lisas Schwerhörigkeit und die Unterrichtsmitschau in Klasse 2 eingehen werde. 6.1.3 Unterrichtsmitschau in der Klasse 1 Mit der Lehrerin hatte ich abgesprochen, drei Unterrichtsstunden lang den Unterricht in der ganzen Klasse mitzuverfolgen, um dann mit dem schwerhörigen Schüler Paul allein zu sprechen und ihn über die geplante Unterrichtseinheit zu informieren. Dies sollte einer eventuellen Unsicherheit des Schülers mir und den geplanten Stunden gegenüber vorbeugen, außerdem hatte ich so die Möglichkeit, Paul noch besser kennenzulernen. Gleich zu Anfang auffällig erschien mir in Klasse 1 die hohe Klassenstärke von 30 Schülerinnen und Schülern. Da die große Schülerzahl in einem verhältnismäßig kleinen Klassenzimmer untergebracht war ergab sich laut Auskunft der Lehrerin zu der dreireihigen Sitzordnung (siehe Abb. 34) kaum eine Alternative, da andernfalls auf die im hinteren Teil des Zimmers untergebrachte Leseecke ganz hätte verzichtet werden müssen. Paul saß in der ersten Sitzbank der Fensterreihe (siehe Abb. 34), ein Drehstuhl war bereits von der Klasslehrerin beantragt, aber zum Zeitpunkt meines ersten Unterrichtsbesuches im Oktober 2000 noch nicht bereitgestellt worden. ___ Lehrerpult ___ O Paul O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O Abb. 34: Sitzplan der Klasse 1 www.foepaed.net 97 Aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine erste Klasse im ersten Drittel des Schuljahres handelte, war die mögliche Konzentrationsspanne bei den meisten Schülern noch recht gering. Im Unterrichtsverlauf mussten zahlreiche Bewegungs- und Entspannungsübungen eingebaut werden, um einen effektiven Unterrichtsverlauf zu gewährleisten. Trotz dieser Phasen war der Geräuschpegel bei z.B. Partnerarbeiten relativ hoch. Diese Geräuschkulisse könnte der Grund für Pauls oft unruhiges und hektisches Verhalten in diesen Situationen sein, da hier seine Konzentration vor allem im Bezug auf das (Zu-) Hören sehr stark gefordert wird. Laut Auskunft der Lehrerin hatte sich Pauls Verhalten aber im Vergleich zum Beginn des Schuljahres schon stark gebessert, da es ihm vermutlich zunehmend gelingt, die störenden Nebengeräusche zu kompensieren. Zwei Schüler der Klasse verhielten sich während des gesamten Unterrichtsverlaufs sehr auffällig, sie störten immer wieder durch Zwischenrufe oder lenkten die Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler bewusst auf sich. Paul ließ sich immer wieder von diesem permanenten Störverhalten ablenken und es animierte ihn teilweise dazu, die Verhaltensweisen der beiden Schüler nachzuahmen. Die Lehrerin hatte schon mehrere Gespräche mit den Schülern und auch deren Eltern geführt, was aber kaum eine Besserung bewirkt hatte. Bei einem der beiden Schüler sollte in den nächsten Wochen entschieden werden, ob ein Wechsel an eine Schule für verhaltensgestörte Kinder stattfinden sollte. Als die Schüler selbstständig ein Arbeitsblatt ausfüllen sollten fragte ich Paul, ob er seine Hörgeräte vielleicht ausmachen oder sogar abnehmen wolle, um ihm so eine Hörpause zu ermöglichen. Aber wie mir die Lehrerin schon erzählt hatte, weigerte er sich dagegen mit der Begründung, er wolle alles hören. Auch ein Einzelgespräch von Paul mit der Lehrerin einige Tage zuvor hatte ihn nicht überzeugen können, dass das Abschalten der Hörgeräte in bestimmten Situationen für ihn eine Erleichterung wäre. Nach den drei Unterrichtsstunden ging ich mit Paul in ein separates Klassenzimmer, um ihn auf die Thematik der geplanten Unterrichtseinheit vorzubereiten. Er wirkte zunächst etwas unsicher konnte sich aber schnell an die Situation gewöhnen und ich erklärte ihm kurz, wie die beiden Unterrichtstage über das Thema „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ verlaufen würden. Ich ließ ihn die Hörgeräte abnehmen und musste feststellen, dass Paul, wenn man ihn nicht direkt anschaute auch aus geringer Entfernung fast gar nichts rezipieren konnte. Mit Hörgeräten und zusätzlich der Möglichkeit, vom Mund abzusehen, konnte Paul alle Wörter die ich im vorsprach sofort wiedergeben. www.foepaed.net 98 Ich fragte ihn, ob er damit einverstanden wäre, dass wir diese kleine Übung, einmal Worte ohne und dann mit Hörgeräten zu hören und nachzusprechen, der ganzen Klasse vorführen könnten. Paul erklärte sich ohne zu zögern einverstanden. Auch eine zweite Demonstration, die ich kurz mit Paul übte, wollten wir der Klasse vorführen. Ich ließ Paul wieder einige Worte nachsprechen, beim ersten Durchgang ohne Hörgeräte und ohne die Möglichkeit, von meinem Mund abzusehen. Er konnte diesmal kein einziges Wort rezipieren oder gar nachsprechen. Beim zweiten Durchgang hatte Paul wieder seine Hörgeräte abgelegt, nur durfte er diesmal das Absehbild zum Verstehen der Worte mitbenutzen. Diesmal konnte er viele Wörter nachsprechen, es unterliefen ihm nur einige der typischen „Absehfehler“. Wir besprachen noch, dass Paul seine alten Hörgeräte als Anschauungsmaterial zum Unterricht mitbringen sollte und zum Ende des Gesprächs merkte Paul an, dass er sich schon sehr auf die kommenden Stunden freue. Zu Pauls Hörsituation lässt sich an dieser Stelle, soweit die kurzen Beobachtungen eine wirkliche Beurteilung zulassen, sagen, dass er mit Hilfe des Absehens, welches er, wie in dem kurzen Versuch bestätigt wurde, sehr gut beherrscht, seine Perzeptionslücken recht erfolgreich schließen kann. Für Außenstehende sind kaum Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten bei der Sprachwahrnehmung erkennbar. Trotzdem wurde während des kurzen Gesprächs mit Paul deutlich, wie angestrengt er teilweise zuhören muss, um wirklich alles zu verstehen. Für eine unaufgeforderte Wiederholung von Sätzen, die er offensichtlich nicht ganz verstanden hatte, wirkte er stets dankbar, fragte aber von selbst nie nach. Als ich mich allerdings einmal bewusst von ihm abwandte und weitersprach zupfte er mich kurz am Ärmel um mir zu signalisieren, dass er mein Mundbild zum Absehen nicht mehr ausreichend einsehen konnte. Dieses sind nur Feststellungen, die aufgrund des kurzen Gesprächs gemacht werden können, sie reichen aber nicht aus, um Pauls Hörsituation konkret und fundiert beschreiben zu können. Hierfür wäre eine längere Beobachtung während des Unterrichts und eine genaue Analyse von einer längeren Gesprächssituation vonnöten, was im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist. Die o.g. Hinweise auf Pauls Hörsituation können deshalb nur ein kleiner Anhaltspunkt für die weitern Ausführungen sein. www.foepaed.net 99 6.1.4 Gespräch mit der Klassleiterin der Klasse 2 Ungefähr drei Wochen nach Einsetzen des regulären Schulbetriebs nach den Sommerferien besuchte ich die Lehrerin der Klasse 2 zu einem ersten Gespräch. Ich erläuterte ihr zuerst meine geplante Stundeneinheit und berichtete, dass ich in Klasse 1 auch das Thema Schwerhörigkeit mit den Schülern behandeln würde, da diese es bisher im Unterricht noch nicht thematisiert hatten. Die Lehrerin berichtete nun, dass auch in ihrer Klasse über Schwerhörigkeit nur sehr kurz am Anfang der ersten Jahrgangsstufe im Laufe der ersten Unterrichtstage gesprochen worden war und auch nur in der Form, dass den Schülern nahegelegt worden war, sie sollten Rücksicht und Verständnis für ihre schwerhörige Mitschülerin aufbringen. Ähnlich wie in der Klasse 1 hatte auch diese Lehrerin erst am ersten Schultag im Schuljahr 1999/2000 von der schwerhörigen Schülerin in ihrer Klasse erfahren. Als sie zum ersten mal ihre neue Klasse betrat, wusste sie noch nicht einmal welche der Schülerinnen schwerhörig war, da sie in der Eile keinen Namen mitgeteilt bekommen hatte. Die Lehrerin wurde von Lisas Mutter in den ersten Tagen über deren Schwerhörigkeit aufgeklärt und der Einsatz der Mikroportanlage wurde ihr erläutert. Informationen zur didaktischen Aufbereitung des Unterrichts mit einem integrierten schwerhörigen Kind, zum Thema Integration und auch Schwerhörigkeit eignete sich die Lehrerin dann soweit möglich selbst an. Die ihr zugeteilte Lehrerin des Mobilen Dienstes erschien aus Zeitgründen auch hier erst sechs Wochen nach Beginn des Schuljahres. Diese in größeren Abständen stattfindenden Besuche seien sehr hilfreich, allerdings immer sehr kurz und nur auf die nötigsten Fragen und Informationen beschränkt, was mit dem engen Terminplan der Betreuungslehrkraft zusammenhinge, erklärte mir die Lehrerin der Klasse 2. Eine Literaturliste zum Thema Schwerhörigkeit hatte sie deshalb auch erst gegen Ende des ersten Schuljahres vom Mobilen Dienst erhalten. Ich erklärte mich auf Anfrage der Lehrerin natürlich sofort bereit auch hier das Thema Schwerhörigkeit im Vorfeld der Schulstunden über das „Absehen“ mit den Schülern zu besprechen, da hier ebenfalls diese Wissensgrundlage für die Klasse äußerst notwendig und relevant war. Über Lisa berichtete die Lehrerin mir, dass die Schülerin sich sehr gut in die Klasse eingefügt hatte und äußerst beliebt war. Allerdings hatte sie seit dem zweiten Schuljahr immer öfter Arbeitsaufträge gar nicht ausgeführt oder unterbrochen mit der Bemerkung www.foepaed.net 100 sie sei sehr müde. Lisa bemühe sich sehr, mit dem Lerntempo der Klasse Schritt zu halten, allerdings sei sie immer wieder von Aufgabenstellungen überfordert und zeige teilweise große Lernschwächen. Die Lehrerin deutete an, dass sie sich momentan sehr mit der Möglichkeit auseinandersetze, Lisas Eltern doch zu einer Umschulung an die Schwerhörigenschule zu raten. Auch mit der Lehrerin aus Klasse 2 vereinbarte ich einen Termin zur einer Unterrichtsmitschau, um sowohl Lisa als auch die Klasse näher kennen zu lernen. Zunächst setzte ich mich jedoch mit Lisas Eltern in Verbindung und erzählte ihnen von meinem geplanten Projekt in der Klasse. Auf Wunsch von Lisas Mutter trafen wir uns gemeinsam mit der Lehrerin, um nochmals die geplanten Unterrichtsstunden zu besprechen. Die Lehrerin bemerkte ferner, dass Lisa in letzter Zeit häufiger ihre Hörgeräte zu Hause „vergesse“ oder nicht tragen wolle. In der Klasse seine nie negative Bemerkungen über Lisas Hörgeräte oder ihre Schwerhörigkeit gefallen, allerdings scheine Lisa im Pausenhof oder auch außerhalb der Schule abfällige Aussprüche gehört zu haben und dies habe bei ihr möglicherweise eine Verunsicherung im Umgang mit ihrer Hörschädigung zur Folge. Lisas Mutter bestätigte diese Entwicklung, und sie, wie auch die Lehrerin, äußerten die Hoffnung, dass sich Lisas Einstellung bei einer Thematisierung ihrer Schwerhörigkeit vor der Klasse wieder positiver verändern könnte. Bei dieser Gelegenheit erzählte mir Lisas Mutter kurz vom Beginn der Schwerhörigkeit und den vorschulischen Fördermaßnahmen. Ich möchte diese Informationen nun kurz aus denselben Gründen wie bei Paul schildern. Selbstverständlich haben sich auch Lisas Eltern unter Vorbehalt der Anonymität der beschriebenen Personen mit dieser Darstellung in meiner Arbeit einverstanden erklärt. 6.1.5 Lisa Im Januar 1993 wurde Lisa im Alter von nur sechs Monaten wegen einer Pneumokkoken-Meningitis ins Krankenhaus eingeliefert. Noch während des fünfwöchigen Aufenthalts im Kinderkrankenhaus wurde ein gravierender Hörverlust, besonders des linken Ohres, festgestellt. Es erfolgten Untersuchungen im Kinderzentrum München und Lisa wurden erste Hörgeräte angepasst. Gleichzeitig setzte auch die Frühförderung durch die Frühförderstelle München ein. Da Lisa gleichfalls starke motorische Probleme durch ihre Krankheit bekommen hatte begann man im Alter von einem Jahr mit ihr mit der krankengymnastischen Therapie www.foepaed.net 101 nach Vojta. Mit vier Jahren fing zusätzlich noch eine Ergotherapie an, die zwei Jahre später durch spezielle Übungsstunden zur Förderung von Lisas Psychomotorik ergänzt wurde. Im Alter von fünf Jahren begann sie außerdem regelmäßig mit einer Logopädin zu üben, dieses Sprachtraining dauerte zwei Jahre, bis zu Lisas Schulbeginn, an. Mit sechs Jahren besuchte Lisa eine schulvorbereitende Einrichtung ihres Ortes, die aber nicht nur auf schwerhörige Kinder beschränkt war. Seit ihrem Schulbeginn erhält Lisa regelmäßig Absehtraining in einer Praxis in München. Wie Lisas Mutter bemerkte stellen die vielen Therapien, zum jetzigen Zeitpunkt sind es vier verschiedene, eine erhebliche Belastung für die Familie dar, da Lisa vier Mal in der Woche nach der Schule zu den unterschiedlichen Therapeuten gebracht werden muss, die sich leider alle relativ weit entfernt von Lisas Wohnort befinden. Ferner müssen Lisas Eltern die jeweiligen Übungen, die in den Therapiestunden für Lisa ausgearbeitet werden, zu Hause weiterführen. Zusammen mit ihren schulischen Aufgaben erscheint Lisa ihren Eltern deshalb häufig überfordert, sie wollen jedoch keine der Therapien abbrechen, da sie für Lisas Entwicklung, auch laut Meinung ihrer Ärzte, alle notwendig und unerlässlich sind. Das Problem ihrer Einschulung beschäftigte auch Lisas Eltern schon früh. Sie zogen sowohl die Schwerhörigenschule, die Sprachheilschule, die Regelschule als auch die Montessorischule ihres Ortes in Betracht. Nach einem Besuch der vier Schulen gab ein Vortrag in der Pädoaudiologischen Beratungsstelle für Schulanfänger 1998/99 den Ausschlag, dass die Eltern beschlossen, Lisa in der Regelschule anzumelden. Lisas Mutter erwähnte zudem, dass sie Angst gehabt hatte, Lisas Chancen auf einen mittleren Bildungsabschluss, den sich Lisas Eltern erhoffen, wären in einer der beiden Sonderschulen nur sehr gering. Der Vortrag habe sie in dieser Meinung bestätigt und ihnen sei geraten worden, auf jeden Fall eine Integration in einer Regelschule zu versuchen um den Eintritt in eine Sonderschule nach Möglichkeit zu vermeiden. Trotzdem wandte Lisas Mutter ein, dass sie ihre Tochter sofort in die Schwerhörigenschule umschulen lassen würde, sollte sich dies als notwendig und besser für Lisas Entwicklung zeigen. www.foepaed.net 102 Abb. 35: Tonaudiogramm von Lisa vom 10. August 2000 Lisas Tonaudiogramm zeigt eine hochgradige sensorineurale Schwerhörigkeit auf beiden Ohren, die links nur noch als resthörig im Sprachbereich bezeichnet werden kann. Einige Bemerkungen zu Lisas Hörsituation sollen im Anschluss an die Beschreibung des kurzen Gesprächs (siehe 6.1.6.) mit ihr erfolgen. 6.1.6 Unterrichtsmitschau in der Klasse 2 Anfang November 2000 besuchte ich die Klasse 2 um einen ersten Eindruck von den Schülern und auch Lisa zu gewinnen. Die Klassenstärke von 23 Kindern war hier wesentlich reduzierte als in Klasse 1. Deshalb war eine aufgelockertere und für Lisa vorteilhaftere Sitzordnung möglich als in der 1. Klasse. Ich wollte dem Unterrichtsgeschehen zwei Schulstunden lang beiwohnen um dann noch mit Lisa ein Einzelgespräch über die geplante Unterrichtseinheit zu führen. www.foepaed.net 103 Abb. 36: Sitzplan der Klasse 2 Die Lehrerin trug während des gesamten Unterrichts das Empfangsgerät einer FMAnlage. Wie sie mir zuvor schon erklärt hatte, wird dieses fast während des ganzen Unterrichts, teilweise auch während der Sportstunden, eingesetzt. In der ersten Stunde schrieben die Schüler ihre wöchentliche Nachschrift. Ich beobachtete dabei hauptsächlich Lisa und bemerkte, dass sie ganz offensichtlich Schwierigkeiten hatte, dem Diktat zu folgen. Immer wieder blickte sie verstohlen zu ihrer Nachbarin, sie fragte allerdings nie bei ihrer Lehrerin nach. Nachdem alle Schüler ihre Hefte abgegeben hatten, durfte ich Lisas Nachschrift anschauen. Sie hatte, im Gegensatz zu den vorherigen Nachschriften auffällig viele Fehler gemacht und teilweise Satzteile ausgelassen. Gerade als ich deswegen bei der Lehrerin nachfragen wollte bemerkte diese, dass sie ganz vergessen hatte, den Empfänger der FM-Anlage einzuschalten. Sie fragte Lisa, warum diese ihr nicht gleich zu Anfang des Unterrichts bescheid gesagt hatte, aber Lisa zuckte nur mit den Schultern. Später erläuterte mir die Lehrerin, dass Lisa selten von selbst darauf hinweist, wenn die FM-Anlage einmal nicht funktioniert, in diesem Falle konnte Lisas Nachschrift nicht gewertet werden, da sie ja viel eingeschränkter das Gesagte rezipieren konnte als sonst üblich. In der darauffolgenden Mathematikstunde sollten die Schüler selbstständig ein Arbeitsblatt ausfüllen. Lisa erklärte gleich zu Anfang, dass sie die Aufgabe nicht verstehe und das Blatt nicht machen könne. Die Lehrerin schlug vor, sie solle es doch mit Hilfe des Rechenschiebers versuchen. Lisa erklärte sich widerwillig dazu bereit, brach aber nach www.foepaed.net 104 einiger Zeit in Tränen aus und wollte nicht mehr weiterarbeiten. Die Lehrerin bot ihr an, mit mir in ein anderes Klassenzimmer zu gehen, damit ich Lisa auf die kommende Unterrichtseinheit vorbereiten könne, gleichzeitig erklärte sie mir, dass es für Lisa besser sei, von ihrem Problem ein wenig abgelenkt zu werden, anstatt sie dazu zu bringen, die Aufgaben fertig zu lösen. Während der beiden Unterrichtsstunden hatte eine recht ruhige Atmosphäre im Klassenzimmer geherrscht, die aber immer wieder von hauptsächlich drei Schülern gestört wurde. Ein Schüler, er saß in der ersten Reihe auf einem Einzelplatz und war eigentlich ständig im Blickfeld der Lehrerin, erzeugte in den wenigen unbeobachteten Momenten immer wieder Geräusche, schnitt Grimassen zu den anderen Schülern, zupfte und riss an der Kleidung, der in seiner Nähe sitzenden Schüler oder versetzte ihnen gar einen Tritt unter dem Tisch. Dies verursachte teilweise aggressive Reaktionen der von ihm angegriffenen Mitschüler. Die Lehrerin berichtete mir, dass sie schon verschiedenste Bemühungen unternommen hatte, um ihn von seinem Verhalten abzubringen und ihn auf das Unterrichtsgeschehen zu konzentrieren, was aber nur sehr schwer gelang. Selbst als ich mich kurzzeitig neben den Schülern setzte und ihn zur Beteiligung im Unterricht aufforderte, setzte er sein Störverhalten fort und reagierte erst, als ich mich direkt hinter ihn stellte und ihm so den Blick auf die Mitschüler verwehrte. Natürlich war diese Maßnahme nur kurzzeitig möglich, er begann allerdings sofort, nachdem ich mich nur einige Schritte von ihm entfernt hatte, wieder mit seinen störenden Aktivitäten. Die beiden anderen Schüler lenkten ihre Mitschüler immer wieder durch Zwischenrufe, störende Geräusche etc. ab, ungeachtet der Ermahnungen der Lehrerin. Bei allen drei Schülern waren bereits psychologische Tests durchgeführt worden, die eine Umschulung in die Schule für individuelle Lernförderung bzw. die Schule für verhaltensgestörte Kinder nahe legten. Da sich die Eltern der jeweiligen Kinder jedoch nicht einverstanden mit dieser Maßnahme zeigten, würden aller drei Schüler voraussichtlich noch mindestens bis Ende des Schuljahres in der Klasse 2 bleiben. In meinem Gespräch mit Lisa erklärte ich dieser, wie ich die kommenden Unterrichtsstunden geplant hatte. Sie wirkte sehr aufgeschlossen und erzählte mir von sich aus sehr viel von ihren Therapien, der neuen FM-Anlage, die sie bald bekommen sollte und zeigte mir stolz ihre neuen Ohrpasstücke mit Glitzersteinen. Sie war äußerst angetan von der Idee, ihren Mitschülern ihre Hörgeräte zu zeigen und zu erklären, auch über die www.foepaed.net 105 Ursache ihrer Schwerhörigkeit wollte sie etwas vor der Klasse berichten. Wie Paul war auch Lisa einverstanden, der Klasse ihr Hörvermögen einmal mit und einmal ohne Hörgeräte „vorzuführen“. Wir übten dies kurz und Lisa konnte, zunächst ohne ihre Hörgeräte und ohne die Möglichkeit, von meinem Mund abzusehen, kaum ein Wort rezipieren und anschließend nachsprechen. Mit Hörgeräten und der Möglichkeit, das Mundbild mitzubenutzen, gelang dies jedoch fast fehlerfrei. Da Lisa bei dem Versuch, ohne Hörgeräte von meinem Mund abzusehen, sehr unsicher wirkte, obwohl sie fast alle Wörter gut erkennen konnte, beschlossen wir, diese Übung in der Stunde über das Absehen nicht mit einzubauen. Ich hatte aber während des Gesprächs mit der Schülerin deutlich gemerkt, dass das Absehen für Lisa eine sehr wichtige Kommunikationshilfe war, da sie eigentlich ständig auf mein Mundbild achtete. Auch Lisa war schon sehr gespannt auf die kommenden Unterrichtsstunden und sagte, sie fände es sei eine gute Idee in der Klasse über das Thema Schwerhörigkeit und auch das Absehen zu reden. Obwohl Lisa in der Klasse so gewirkt hatte, als habe sie immer alle Arbeitsanweisungen und Bemerkungen ihrer Lehrerin verstanden, hatte ich in dem kurzen Gespräch feststellen können, wie anstrengend es für sie war, das Gehörte mit dem Mundbild zu kombinieren und das Gesagte zu ermitteln. Mehrmals fasste sie einen Satz oder eine Frage von mir falsch auf, sie hatte meist ein Wort richtig verstanden, aber den Rest des Satzes falsch kombiniert. So fragte ich sie z.B. :“Warum hast du denn bei der Matheübung geweint? Hast du die Aufgaben nicht verstanden?“ Lisa antwortete mir daraufhin: „Doch, ich habe alles verstanden, was du mir gesagt hast.“ Als ich die Lehrerin nach dem Gespräch mit Lisa fragte, ob ihr Ähnliches auch schon aufgefallen sei, bestätigte sie mir, dass sie Verständnisschwierigkeiten bei Lisa bereits vermutet hatte, diese allerdings nur schwer feststellen könne, da Lisa sehr selten Nachfragen stelle, wenn sie etwas nicht verstehe, sondern sich bei ihrer Nachbarin erkundige oder ihre Mitschüler beobachte, und den nicht verstandenen Arbeitsauftrag auf diese Weise ermittle. Lisas Hörsituation ist also auch wie die von Paul geprägt von der Notwendigkeit des Absehens, welches sie neben der eingeschränkten auditiven Wahrnehmung nutzt, um das Gesprochene zu verstehen. Aufgrund der Beobachtungen während des Unterrichts ist sie anscheinend sehr stark auf die Hilfe ihrer Banknachbarin angewiesen, die Lisa in unklaren Situationen www.foepaed.net 106 immer wieder weiterhilft und so deren Perzeptionsschwächen und damit verbundene Verständnisschwierigkeiten für die Lehrkraft und auch die Mitschüler fast unbemerkt ausgleicht. Da auch in Lisas Fall aufgrund der kurzen Zeit nur eine ungenügende Beobachtung möglich war, können die hier genannten Fakten nur Vermutungen in Bezug auf Lisas wirkliche Hörsituation sein. 6.2 Darstellung der beiden Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ Ich entschloss mich bei Erarbeitung der Artikulationsschemata die vier Unterrichtsstunden an zwei Tagen in den beiden Klassen durchzuführen. Zum einen erschien mir das sinnvoll, da vier Unterrichtsstunden hintereinander, in denen völlig neue Themen und Begriffe auf die Schüler einströmen würden, diese sicher überfordert hätten. Zum anderen wollte ich die Stunde über das Thema „Schwerhörigkeit“ bewusst von der Unterrichtseinheit über das Thema „Absehen“ separieren, um den Schülern mehr Zeit zur inneren Verarbeitung des bearbeiteten Unterrichtsstoffes zu geben. Im folgenden Abschnitt sollen die beiden Doppelstunden, wie sie zur Durchführung in den beiden Klassen geplant waren, aufgezeigt werden. Darüber hinaus findet eine kurze Erläuterung und Begründung der einzelnen Artikulationsstufen statt. Die Doppelstunden „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ wurden für die zweite Klasse geringfügig abgeändert, was anschließend auch beschrieben werden soll. 6.2.1 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1 Grobziel: Die Schüler sollen erfahren, was der Begriff „Schwerhörigkeit“ bedeutet und diese Zusammenhänge mit ihrem hörgeschädigten Mitschüler in Verbindung bringen Feinziele: Die Schüler sollen: – selbst erleben, was es bedeutet, weniger zu hören – den Personenkreis der Schwerhörigen kennenlernen – Ursachen erfahren, die eine Schwerhörigkeit bedingen können – Die wichtigsten Bestandteile eines HdO-Geräts erkennen und benennen können Behindertenspezifische Maßnahmen: – individuelle Hörgeräte www.foepaed.net 107 – vermehrt Anschauungsmaterial (Tafelbilder, Wortkarten, Folie) Ziele Inhalte Motivation: eigenes S15 bekommen in der VorvierHandeln und telstunde „Ohropax“, arbeiten Erleben bis 8.00 eigenständig weiter Hinführung Stummer Impuls: Tafelbild 2. Feinziel: den Personenkreis der Schwerhörigen kennenlernen Zielangabe: Wir wollen heute über schwerhörige Menschen reden Medien Zeit (Min.) Freies Arbeiten in d. Vorviertelstunde vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn Ohropax 15 15 L signalisiert Unterrichtsbeginn, S tragen weiterhin Ohropax 1.Feinziel: Erleben, L liest Geschichte vor; im Hintergrund Störgeräusche was es bedeutet, weniger zu hören Reflexion: S berichten, wie es ihnen mit eingeschränktem Hörvermögen ergangen ist Methoden Lehrervortrag Buch: “DerTurmbau zu Babel“ Kassettenrecorder (Störgeräusche) S entfernen Ohropax; sie dür- Lehrerfen berichten, wie es ihnen mit /Schülergespräch vertäubten Ohren ergangen ist (wann war es besonders schwierig…) 10 10 Bilder von Menschen aller Altersgruppen – Ohren sind gelb markiert Tafelbild „Schwerhörige Menschen“; S betrachten Bilder und bemerken gelbe Markierungen S überlegen, was alle diese Menschen gemeinsam haben – schwerhörig Wortkarte wird als Überschrift an die Tafel gehängt Wortkarte „schwerhörig“ S erzählen von eigenen Erfahrungen mit Schwerhörigen (L:„Du kennst sicher jemanden, der schwerhörig ist“) Paul wird als schwerhöriger Mensch erkannt; 3.Feinziel:Erfahren, wie man schwerhörig werden kann Paul erzählt, wie er schwerhörig geworden ist; er hängt die Wortkarte „warum“ an die Tafel Schülervortrag Wortkarte „warum“ 15 S stellen weitere Vermutungen Lehrer15 Bei der Darstellung der Artikulationsstufen werden die Wörter Lehrerin und Schüler mit L bzw. S abgekürzt www.foepaed.net 108 /Schülergespräch an, wie man schwerhörig werden kann S hängen entsprechende Bilder zu den genannten Ursachen auf 9 Bilder für mögliche Ursachen von Schwerhörigkeit Demonstration von Schwerhörigkeit an einem konkreten Beispiel Paul demonstriert zusammen mit der L seine Schwerhörigkeit – er soll 10 Wörter einmal ohne und einmal mit Hörgeräte verstehen und wiederholen Reflexion: S bringen ihre Gefühle über das eben Erlebte zum Ausdruck S äußern Meinung über das eben Erlebte S: Hörgeräte sind notwendig für einen Schwerhörigen 4.Feinziel:Kennenlernen und benennen der wichtigsten Bestandteile eines HdO-Gerätes S lernen die Bestandteile eines Hörgerätes anhand von Pauls alten HdO-Geräten kennen alte HdO-Geräte 20 S beschriften gemeinsam mit dem L das Bild eines HdOGerätes mit entsprechenden Wortkarten Schematische Darstellung des HdO-Gerätes; 6 passende Wortkarten Sicherung: Folie und Arbeitsblatt 6.2.2 Lehrer/Schülergespräch 15 S erarbeiten gemeinsam mit der L eine Folie mit Aufgaben zu „Schwerhörig-warum?“ und „Das Hörgerät“ S bearbeiten entsprechendes AB dazu selbstständig 15 Lehrer- /Schülerdemonstration Folie 1 Selbstständige Schülerarbeit Arbeitsblatt 1 Bemerkungen zu den einzelnen Artikulationsstufen der Doppelstunde „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1 Gleich zu Anfang, als ich mit den beiden Lehrkräften den zeitlichen Rahmen für die geplante Unterrichtseinheit festlegte wurde mir klar, dass zwei Schulstunden zur Thematisierung von „Schwerhörigkeit“ mit den wichtigsten Aspekten eigentlich nicht ausreichend sein würden. Allerdings war es im Rahmen meiner Arbeit und auch von der zeitlichen Einteilung der Lehrerinnen her nicht möglich, mehr als insgesamt vier Schulstunden für dieses „außerlehrplanmäßige“ Projekt aufzubringen. www.foepaed.net 109 Die obige Darstellung der Doppelstunde zum Thema „Schwerhörigkeit“ ist für die 1. Jahrgangsstufe konzipiert, es wurden für die 2. Jahrgangsstufe nur geringfügige Änderungen vorgenommen, trotzdem soll diese Darstellung im Anschluss ebenfalls gezeigt und kurz erläutert werden. Grundsätzlich war mir wichtig, bei der erstmaligen Behandlung von „Schwerhörigkeit“, wie es ja in beiden Klassen der Fall war, die Schüler selbst erleben zu lassen, was es eigentlich heißt, seine Umwelt nicht oder nur eingeschränkt auditiv wahrnehmen zu können. Ich selbst hatte einen solchen Versuch im Rahmen eines Seminars an der Universität schon einmal zu Beginn meines Studiums mitgemacht und ihn als sehr wichtige Erfahrung für meine weitere Arbeit mit hörgeschädigten Kindern empfunden. Ich entschloss mich deshalb, den Schülern noch vor Unterrichtsbeginn die Ohren zu vertäuben, um sie auf diese Weise schon während des freien Arbeitens und im lockeren Gespräch mit ihren Freunden erfahren zu lassen, was es heißt in alltäglichen Situationen schlechter zu hören. Gleichzeitig sollten die Schüler aber auch die Erfahrung machen, wie es ist, während des Unterrichts über ein nur eingeschränktes Hörvermögen zu verfügen. Ich beschloss, den Schülern zu Beginn des Unterrichts, wenn sie die Ohren noch vertäubt hatten, eine Geschichte vorzulesen. Hier würden sie ganz aufs Hören und Zuhören angewiesen sein, zusätzlich wollte ich während des Vorlesens noch störende Geräusche einbauen, um den Schülern bewusst zu machen, wie sehr Nebengeräusche, vor allem bei einer erschwerten auditiven Perzeption, die Möglichkeit einer erfolgreichen Teilnahme am aktuellen Unterrichtsgeschehen einschränken können. Wichtig war mir, dass die Schüler im Anschluss an diese neue Erfahrung ihre Gefühle und Empfindungen mitteilen konnten. So sollte ihnen bewusst werden, wie anstrengend und auch hinderlich ein reduziertes Hörvermögen im Unterricht sein kann, gerade wenn durch eine laute Umgebung auf dieses keine Rücksicht genommen wird. Ferner wollte ich sie in diesem kurzen Unterrichtsgespräch dazu anregen darüber nachzudenken wie es wohl wäre, immer so schlecht zu hören. Dies sollte schon einen ersten Anstoß geben, um den Schülern bewusst zu machen, welche Tragweite und Folgen ein dauerhafter Hörschaden mit sich bringt. In einem nächsten Schritt wollte ich den Schülern nahe bringen, dass Schwerhörigkeit alle Menschen, egal welcher Altersgruppe oder welchen Geschlechts, betreffen kann. Mehrere Bilder von alten und jungen Leuten, deren Ohren ich jeweils gelb markierte, plante ich als „stummen Impuls“ für die Schüler an die Tafel zu hängen, damit sie von www.foepaed.net 110 selbst die entsprechenden Schlüsse ziehen konnten. Sobald die Schüler erkannt hatten, dass alle diese Menschen schwerhörig waren, sollte die Wortkarte „schwerhörig“ als Überschrift und gleichzeitig auch Zielangabe für die beiden Unterrichtsstunden an die Tafel gehängt werden. Auch hier wollte ich den Schülern Zeit geben, von eigenen Erfahrungen mit Schwerhörigen zu berichten bzw. zu überlegen, ob sie überhaupt einen schwerhörigen Menschen kennen. Dies sollte auf Paul aufmerksam machen, der ja als Schwerhöriger ständig mit den Schülern zusammen ist, als solcher vielleicht aber gar nicht wahrgenommen wird. Da ich nicht alle Bereiche, die im Zusammenhang mit Schwerhörigkeit von Relevanz sind, innerhalb der kurzen Zeit ansprechen konnte und die Schüler auch nicht zu sehr überfrachten wollte, beschloss ich mich konkret an Paul als schwerhörigem Schüler zu orientieren und seine Erfahrungen direkt in die nächsten Schritte mit einzubauen. Zunächst wollte ich mögliche Ursachen für Schwerhörigkeit ansprechen. Hier sollte Paul zunächst berichten, wie und wann es bei ihm zu seinem Hörverlust gekommen war. Abschließend sollte er als weitere Überschrift die Frage „warum“ an die Tafel hängen. Anschließend war geplant, die Schüler Vermutungen über weitere auslösende Faktoren für Schwerhörigkeit aufstellen zu lassen. Ich hatte mehrere Bilder vorbereitet, die diese Ursachen veranschaulichen sollten und die die Schüler an die Tafel hängen durften. Ich wollte in der ersten Klasse nicht zu viele Wortkarten und neue Wörter verwenden, welche die Schüler noch gar nicht lesen konnten, da sie erst einige Buchstaben gelernt hatten, sondern mich nur auf die notwendigsten Begriffe beschränken, die mir, trotz unbekannter Buchstaben, für die Schüler sehr wichtig erschienen. Zu diesen zählten die Wörter „schwerhörig“ die Frage „warum“ (dieses Wort war den Schülern bereits bekannt) und später einige Begriffe zum Hörgerät. Für die zweite Klasse wollte ich weitere Begriffe verwenden, wie später noch näher erläutert werden soll. Nachdem die Schüler so etwas über mögliche Auslöser für Schwerhörigkeit gelernt hatten, plante ich eine direkte Demonstration der Schwerhörigkeit von Paul bzw. in der zweiten Klasse von Lisa. In den Gesprächen mit den beiden Schülern hatte ich ja bereits abgeklärt, dass diese Vorführung vor der Klasse stattfinden sollte. Beide Kinder waren einverstanden gewesen und wir hatten den Ablauf bereits einmal geübt. So wollte ich dem betroffenen Kind zuerst ohne Hörgeräte 10 Wörter, möglichst von hinten vorsprechen, ohne mein Mundbild zu zeigen. Hier würden die Mitschüler erleben, dass sowohl www.foepaed.net 111 Lisa als auch Paul ohne Hörgeräte und ohne die Möglichkeit abzusehen auch aus geringer Entfernung eigentlich nichts verstehen konnten. Im zweiten Durchlauf sollten Paul bzw. Lisa die Hörgeräte wieder anlegen und dieselben 10 Wörter sollten ihm bzw. ihr vorgesprochen werden. Diesmal sollten sie auch das Absehen mitverwenden dürfen und würden so vermutlich alles verstehen. Ich wollte an dieser Stelle bewusst erreichen, dass die Schüler alles wiederholen konnten, was ich vorsprach, da es mein Ziel war, den Mitschülern möglichst drastisch den Unterschied mit und ohne Hörgeräte zu zeigen. In der geplanten Doppelstunde über das Absehen wollte ich dann darauf hinweisen, dass die Hörgeräte allein für Schwerhörige häufig nicht ausreichen, um Sprache vollständig perzipieren und identifizieren zu können. Die Schüler sollten an dieser Stelle wieder ihre Meinung äußern dürfen und in diesem Unterrichtsgespräch wollte ich gemeinsam mit den Schülern zu der Erkenntnis gelangen, dass Hörgeräte für einen schwerhörigen Menschen unentbehrlich sind. Da sowohl Paul als auch Lisa ihre Hörgeräte jeden Tag in der Schule tragen und sie somit zum Alltag der Klasse gehören, wollte ich wenigstens die wichtigsten Bestandteile den Schülern näher bringen. Paul und Lisa hatten sich einverstanden erklärt, alte Hörgeräte von sich mitzubringen, die die Mitschüler betrachten und auch anfassen durften. Trotzdem wollte ich auf den hohen Preis eines Hörgerätes hinweisen, um den Kindern bewusst zu machen, wie sorgsam man auf diese technischen Geräte achten muss. Gemeinsam mit Paul bzw. Lisa wollte ich die wichtigsten Bestandteile eines HdO-Gerätes, wie es beide betroffenen Kinder tragen, erläutern, ich hatte außerdem ein großes Bild einer solchen Hörhilfe vorbereitet, die wir alle gemeinsam mit den passenden Wortkarten beschriften wollten. Zuletzt hatte ich Arbeitsblatt 1 vorbereitet (siehe Anhang), welches zunächst auf Folie bearbeitet werden sollte und dann die Schüler in Einzelarbeit selbst ausfüllen sollten. Beim Arbeitsblatt für die erste Klasse beschränkte ich mich aus den selben Gründen wie schon zuvor erwähnt nur auf die wichtigsten Begriffe. Im ersten Teil sollten die Ursachen für Schwerhörigkeit wiederholt werden. Aufgabe für die Kinder sollte hier sein, die Bilder auszumalen und in das freie Kästchen sollte jeder Schüler individuell malen dürfen, was seiner Erfahrung nach für seine Ohren einmal besonders gefährlich war. Im zweiten Teil sollten die Bestandteile des Hörgerätes wiederholt werden, hier waren die wichtigsten Begriffe aufgelistet und die Schüler mussten sie richtig mit den entsprechenden Teilen des HdO-Gerätes verbinden. Für diese Aufgabe erschien mir die Vorarwww.foepaed.net 112 beit auf Folie besonders wichtig, da nicht alle Schüler in der Lage sein würden, die einzelnen Begriffe vollständig zu lesen. 6.2.3 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ in der Klasse 2 und ergänzende Bemerkungen Grobziel: Die Schüler sollen erfahren, was der Begriff „Schwerhörigkeit“ bedeutet und diese Zusammenhänge mit ihrer hörgeschädigten Mitschülerin in Verbindung bringen Feinziele: Die Schüler sollen: – selbst erleben, was es bedeutet, weniger zu hören – den Personenkreis der Schwerhörigen kennenlernen – Ursachen erfahren, die eine Schwerhörigkeit bedingen können – Die wichtigsten Bestandteile eines HdO-Geräts erkennen und benennen können Behindertenspezifische Maßnahmen: – individuelle Hörgeräte – vermehrt Anschauungsmaterial (Tafelbilder, Wortkarten, Folie) Ziele Inhalte Methoden Motivation: eigenes S bekommen in der Vorviertel- Freies Arbeiten in d. stunde „Ohropax“, arbeiten bis Vorviertelstunde vor Handeln und 8.00 eigenständig weiter Erleben dem offiziellen Unterrichtsbeginn Hinführung L signalisiert Unterrichtsbeginn, S tragen weiterhin Ohropax => Morgenkreis 1.Feinziel: Erleben, L liest Geschichte vor; im Hintergrund Störgeräusche was es bedeutet, weniger zu hören Zeit (Min.) Ohropax 15 20 Gestaltet von Lehrerin der Klasse 2 Lehrervortrag Reflexion: S berichten, wie es ihnen mit eingeschränktem Hörvermögen ergangen ist S entfernen Ohropax; sie dür- Lehrerfen berichten, wie es ihnen mit /Schülergespräch vertäubten Ohren ergangen ist (wann war es besonders schwierig…) Stummer Impuls: Tafelbild Tafelbild „Schwerhörige Men- www.foepaed.net Medien Buch: “DerTurmbau zu Babel“ Kassettenrecorder (Störgeräusche) 10 Bilder von 10 113 Menschen aller Altersgruppen – Ohren sind gelb markiert schen“; S betrachten Bilder und bemerken gelbe Markierungen 2. Feinziel: den Personenkreis der Schwerhörigen kennenlernen Zielangabe: Wir wollen heute über schwerhörige Menschen reden S überlegen, was alle diese Menschen gemeinsam haben – schwerhörig Wortkarte „schwerhörig“ Wortkarte wird als Überschrift an die Tafel gehängt S erzählen von eigenen Erfahrungen mit Schwerhörigen (L:„Du kennst sicher jemanden, der schwerhörig ist“) Lisa wird als schwerhöriger Mensch erkannt; 3.Feinziel:Erfahren, wie man schwerhörig werden kann Lisa erzählt, wie sie schwerhörig geworden ist; sie hängt die Wortkarte „warum“ an die Tafel Schülervortrag S stellen weitere Vermutungen Lehrer/Schülergespräch an, wie man schwerhörig werden kann S hängen entsprechende Bilder zu den genannten Ursachen auf S ordnen die Bilder den entsprechenden Wortkarten zu Sicherung: Folie und Arbeitsblatt S erarbeiten gemeinsam mit der L Folie „Schwerhörigwarum?“ S bearbeiten Arbeitsblatt „Schwerhörig-warum?“ selbstständig Demonstration von Schwerhörigkeit an einem konkreten Beispiel Lisa demonstriert zusammen mit der L ihre Schwerhörigkeit Lehrer- /Schülerdemonstration – sie soll 10 Wörter einmal ohne und einmal mit Hörgeräte verstehen und wiederholen Reflexion: S bringen ihre Gefühle über das eben Erlebte zum Ausdruck 4.Feinziel:Kennenlernen und benen- www.foepaed.net S äußern Meinung über das eben Erlebte S: Hörgeräte sind notwendig für einen Schwerhörigen S lernen die Bestandteile eines Hörgerätes anhand von Lisas alten HdO-Geräten kennen Wortkarte „warum“ 15 9 Bilder für mögliche Ursachen von Schwerhörigkeit Wortkarten: Krankheit Unfall Lärm Vererbung Folie 2, Arbeitsblatt 2 20 10 Lehrer/Schülergespräch alte HdO-Geräte 20 114 nen der wichtigsten Bestandteile eines HdO-Gerätes S beschriften gemeinsam mit der L das Bild eines HdOGerätes mit entsprechenden Wortkarten L und Lisa erklären gemeinsam den Mitschülern die neue FM-Anlage Sicherung: Folie und Arbeitsblatt Schematische Darstellung des HdO-Gerätes; Wortkarten: ein/aus;Batterie laut/leise;Ohrpassstück;Mikrofon;Schlauch S erarbeiten gemeinsam mit der L eine Folie mit Aufgaben zu „Das Hörgerät“ und „Die FM-Anlage“ Folie 3 Arbeitsblatt 3 15 S bearbeiten entsprechendes AB dazu selbstständig Selbstständige Schülerarbeit Für die zweite Jahrgangsstufe hatte ich geringfügige Änderungen im Ablauf der Stunden eingeplant. So wollte ich die Ursachen für Schwerhörigkeit auch noch durch Wortkarten festhalten, da die Schüler bereits alle Wörter gut würden lesen können. Weiterhin hatte ich eine erste Sicherung durch das Arbeitsblatt 2 (siehe Anhang) nach der Besprechung der Gründe für Schwerhörigkeit eingeplant. Ich hatte so Arbeitsblatt 1, welches in der ersten Klasse verwendet worden war aufgeteilt in Arbeitsblatt 2 und 3. Da Lisa während des Unterrichts immer eine FM-Anlage trug und noch dazu eine neue drahtlose Anlage von Phonak erhalten hatte, die erst in der Klasse vorgestellt werden musste, baute ich neben der Besprechung der Hörgeräte auch die Erklärung dieser Anlage ein. Ich wollte die Schüler auf die neuen Funktionen und erweiterten Einstellungsmöglichkeiten der Anlage aufmerksam machen und ihnen den Audio-Schuh sowie das Funkmikrofon zeigen. Auf der entsprechenden Folie und Arbeitsblatt 3 (siehe Anhang) sollten die Schüler dann den Aufbau eines HdO-Geräts und der FM-Anlage zum Schluss der Stundeneinheit wiederholen. Da die Doppelstunde „Schwerhörigkeit“ nur knapp im Rahmen von 90 Minuten zu halten gewesen war und ich für Klasse 2 einige Erweiterungen eingeplant hatte, fragte ich die Lehrerin von Klasse 2, ob ich gegebenenfalls auch mehr als 90 Minuten einplanen könne. Da dies kein Problem war, plante ich hier von Anfang an mehr Zeit ein. www.foepaed.net 115 6.2.4 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Absehen“ in Klasse 1 Grobziel: Die Schüler sollen das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe kennen-lernen und im Hinblick auf ihren hörgeschädigten Mitschüler die wichtigsten Absehregeln erfahren Feinziele: Die Schüler sollen: – erkennen, dass Hörgeräte ein eingeschränktes Hörvermögen nicht vollständig ausglei-chen können – das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe kennenlernen – selbst ihre Absehfähigkeiten ausprobieren – anhand der eigenen Erfahrungen mit dem Absehen dessen Grenzen bemerken – die wichtigsten Absehregeln kennenlernen Behindertenspezifische Maßnahmen: – individuelle Hörgeräte – vermehrt Anschauungsmaterial (Tafelbilder, Wortkarten, Folie) Ziele Inhalte Methoden Medien Zeit (Min.) Wiederholung: Berichte der Erfahrungen mit vertäubten Ohren zu Hause; Wiederholung der Inhalte von der Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ S berichten von ihren Erfahrungen mit vertäubten Ohren Anhand der Folie 1 von AB 1 werden Ursachen von Schwerhörigkeit und Aufbau eines Hörgerätes wiederholt S lösen Rätsel (Labyrinth) auf dem Arbeitsblatt „Anna sucht“ Lehrer-/Schülergespräch Folie 1 15 Selbstständige Schülerarbeit Folie 4, Arbeitsblatt 4 Motivation: stummer Impuls: Bild Snoopy S betrachten Bild von Snoopy: erkennen gelb markierte Ohren=>assoziieren Hörgeräte, Schwerhörigkeit Lehrervortrag L erklärt Schülern die Problemstellung: Snoopy hört trotz Hörgeräten nicht genug; zur Verdeutlichung wird die Simulation eines beeinträchtigten Hörvermögens von Kassette vorgespielt 1.Feinziel:Erkennen, dass Hörgeräte ein eingeschränktes Hörvermögen nicht vollständig ausgleichen können S beschreiben ihre Eindrücke 2. Feinziel: Das Absehen als zusätz- www.foepaed.net Lehrer-/Schülergespräch Bild Snoopy 10 Kassette mit simulierter Hörstörung 10 116 liche Kommunikationshilfe kennenlernen L fragt nach Möglichkeiten um fehlendes Hören zu kompensieren S machen Vorschläge L spricht Wort ohne Stimme vor => S sehen Wort ab => Erkennen Absehen als Kommunikationsfaktor L hängt Wortkarte „das Absehen“ als Überschrift an die Tafel Demonstration: Paul und L zeigen dessen gute Abseh- Demonstration von L und Paul: Paul versucht ohne Hörgeräte fähigkeiten zuerst 10 Wörter ohne, dann mit der Möglichkeit, das Mundbild der L zu sehen, nachzusprechen 3.Feinziel: die S Schülerreaktionen sollen selbst ihre L zeigt den S Photos von Absehfähigkeiten Mundbildern => versuchen ausprobieren durch eigenes Nachmachen die 4.Feinziel:S sollen zugehörigen Laute zu erraten S sollen sehen: es ist anhand der eigenen schwierig, nur durch Erfahrungen mit das Absehbild den dem Absehen richtigen Laut zu dessen Grenzen erkennen (manche bemerken Mundbilder für mehrere Laute) Übung: S sollen ganze Wörter nur anhand von gezeigten Mundbildern erraten 5. Feinziel: Kennenlernen der wichtigsten Absehregeln Sicherung: Arbeitsblatt „Absehen“ 6.2.5 Wortkarte „das Absehen“ Lehrer-/Schülergespräch S raten 2 Tiernamen, 2 Vornamen und das Wort „toll“ anhand vorgegebener Mundbilder evtl. Hilfen der L L zeigt Folie, macht Situationen darauf vor S sollen erkennen, welche Situation ungünstig für das Absehen ist S bearbeiten selbstständig das Arbeitsblatt „Absehen“ 10 Lehrer-/Schülerdemonstration Abbildungen der Mundbilder der deutschen Sprache 15 Plakat mit 2 Tiernamen Plakat mit 2 Vornamen Plakat mit Wort „toll“ 10 10 Lehrervortrag und Lehrer-/Schülergespräch Selbstständige Schülerarbeit Arbeitsblatt 5 10 Bemerkungen zu den einzelnen Artikulationsstufen der Doppelstunde „Absehen“ in Klasse 1 Zu Anfang der zweiten Unterrichtseinheit wollte ich den Schülern auf jeden Fall genügend Zeit geben, von ihren Erfahrungen zu Hause mit vertäubten Ohren zu berichten. www.foepaed.net 117 Anhand von Folie 1 sollten dann die Inhalte der Stunden zu „Schwerhörigkeit“ wiederholt werden. Als Überleitung zum Thema „Absehen“ wollte ich zunächst auf die erschwerte Hörsituation eines hörgeschädigten Kindes aufmerksam. Dabei sollte Snoopy als schwerhöriger Schüler mit seinen Problemen beim Perzipieren von Sprache in seiner Klasse vorgestellt werden. Ich wollte so zunächst einmal unabhängig von Paul den Schülern klar machen, dass Hörgeräte nie wie eine Brille funktionieren und die Sinneseinschränkung vollständig ausgleichen können. Snoopy sollte erst einmal neutral mit seinen Problemen dargestellt werden, später wollte ich dann eine Verknüpfung zur Situation in Klasse 1 herstellen. Da ich Snoopys Ohren gelb markierte hatte hoffte ich die Kinder würden sehr schnell auf dessen Problematik aufmerksam werden. Ich wollte Snoopys eingeschränkte auditive Perzeption trotz des Tragens von Hörgeräten anhand eines kurzen Abschnitts einer simulierten Darstellung des Höreindrucks eines sensorineural Hörgeschädigten von Kassette vorspielen. Anschließend sollten die Schüler ihre Eindrücke von dem eben Gehörten beschreiben und Vorschläge machen dürfen, wie man das eingeschränkte Hören kompensieren könnte. Ich wollte daraus sehen, ob die Schüler schon jemals etwas vom „Absehen“ oder „Lippenablesen“ gehört hatten. Falls sie diese Kommunikationsmöglichkeit noch nicht kannten, wollte ich sie anhand eines einfachen Beispieles von selbst darauf bringen. Das Wort „das Absehen“ wollte ich hier auf jeden Fall auch schriftlich festhalten und als Wortkarte an die Tafel hängen. Da Paul, wie in dem kurzen Gespräch mit ihm zu sehen gewesen war, stark auf das Absehen angewiesen war und dieses sehr gut beherrschte wollte ich, wie zuvor mit ihm besprochen, der Klasse vorführen, wie viel man eigentlich ohne zu hören, nur über das Mundbild, an zuvor unbekannten Wörtern erkennen kann. Die Schüler sollten auch hier wieder Gelegenheit haben, sich zu dem Gesehenen kurz zu äußern. Nach der kurzen Demonstration sollten die Schüler das Absehen selbst einmal üben. Ich hatte dazu Abbildungen von Mundbildern vorbereitet, welche die Schüler anhand von Nachmachens und Beispielwörtern, die ich ihnen gegebenenfalls als Hilfen nennen wollte, erraten sollten. Ich plante hier, den Schülern nicht alle Mundbilder zu zeigen, sondern nur einige, hauptsächliche jene Laute, die sie auch schriftlich als Buchstaben schon gelernt hatten. Die Lehrerin von Klasse 1 sollte die bereits erratenen Bilder an die Tafel hängen und die entsprechenden Laute darunter schreiben. www.foepaed.net 118 Zur Übung sollten die Schüler dann insgesamt 5 Wörter, die man lediglich durch die Mundbilder erraten konnte, „absehen“. Auch hier wollte ich wenn nötig kleine Hilfen geben, z.B. indem ich die Wörter lautlos vorsprach oder sogar ganz leise flüsterte. Nachdem die Schüler sich so selbst im Absehen geübt hatten, wollte ich auf die wichtigsten Kommunikationsregeln aufmerksam machen. An dieser Stelle sollte hingewiesen werden auf die Notwendigkeit für Paul, neben dem Hören auch absehen zu müssen. Den Schülern sollte klar sein, dass sie vor allem im Umgang mit ihm gewisse Regeln beachten müssen, diese aber auch bei Gesprächen mit normalhörenden Personen beachten sollten. Ich hatte ein Arbeitsblatt entworfen (Arbeitsblatt 5, siehe Anhang), welches ich zunächst auf Folie mit den Schülern bearbeiten wollte. Sie sollten immer zwischen 2 Gesprächssituationen von Snoopy mit seinem Freund entscheiden. In einem Fall ist das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe berücksichtigt, in dem anderen nicht. Um die Situationen zu verdeutlichen, wollte ich das Verhalten des „Freunds“ auf dem Blatt kurz vormachen. Anschließend sollten die Schüler das Arbeitsblatt selbstständig bearbeiten, d.h. die falschen Situationen durchstreichen und die richtigen farbig anmalen. 6.2.6 Artikulationsschema zur Stundeneinheit „Absehen“ in Klasse 2 und ergänzende Bemerkungen Grobziel: Die Schüler sollen das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe kennenlernen und im Hinblick auf ihre hörgeschädigte Mitschülerin die wichtigsten Absehregeln erfahren Feinziele: Die Schüler sollen: – erkennen, dass Hörgeräte ein eingeschränktes Hörvermögen nicht vollständig ausgleichen können – das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe kennenlernen – selbst ihre Absehfähigkeiten ausprobieren – anhand der eigenen Erfahrungen mit dem Absehen dessen Grenzen bemerken – die wichtigsten Absehregeln kennenlernen Behindertenspezifische Maßnahmen: – individuelle Hörgeräte www.foepaed.net 119 – vermehrt Anschauungsmaterial (Tafelbilder, Wortkarten, Folie) Ziele Inhalte Methoden Motivation: eigenes Ereleben eines eingeschränkten Hörvermögens Alle S, die beim letzten mal keine Ohrstöpsel bekommen hatten, dürfen nun auch in der Vorviertelstunde und während des Morgenkreises mit vertäubten Ohren den Unterricht erleben Unterrichtsbeginn: => Morgenkreis Freies Arbeiten vor Unterrichtsbeginn S berichten von ihren Erfahrungen mit vertäubten Ohren Anhand der Folie 2 und 3 werden Ursachen von Schwerhörigkeit und Aufbau eines Hörgerätes wiederholt => S lösen Rätsel (Labyrinth) auf dem Arbeitsblatt „Anna sucht“ Lehrer-/Schülergespräch Wiederholung: Berichte der Erfahrungen mit vertäubten Ohren jetzt und zu Hause; Wiederholung der Inhalte von der Stundeneinheit „Schwerhörigkeit“ Medien 15 Gestaltung von der Lehrerin der Klasse 2 Folie 2, 3 S betrachten Bild von Snoopy: erkennen gelb markierte Ohren=>assoziieren Hörgeräte, Schwerhörigkeit Bild Snoopy 1.Feinziel:Erkennen, dass Hörgeräte ein eingeschränktes Hörvermögen nicht vollständig ausgleichen können Lehrervortrag L erklärt Schülern die Problemstellung: Snoopy hört trotz Hörgeräten nicht genug; zur Verdeutlichung wird die Simulation eines beeinträchtigten Hörvermögens von Kassette vorgespielt => Zusätzliche Folie „Optische Darstellung einer Hörschädigung“ um das Gehörte zu veranschaulichen S beschreiben ihre Eindrücke Kassette mit simulierter Hörstörung www.foepaed.net L fragt nach Möglichkeiten um Lehrer-/Schülergespräch fehlendes Hören zu kompensieren S machen Vorschläge L spricht Wort ohne Stimme vor => S sehen Wort ab => Erkennen Absehen als Kommunikationsfaktor L hängt Wortkarte „das Absehen“ als Überschrift an die Tafel 15 Folie 4, Arbeitsblatt 4 Motivation: stummer Impuls: Bild Snoopy 2. Feinziel: Das Absehen als zusätzliche Kommunikationshilfe kennenlernen Zeit (Min.) 15 Folie 6 10 Wortkarte „das Absehen“ 120 3.Feinziel: die S sollen selbst ihre Absehfähigkeiten ausprobieren L zeigt den S Darstellungen von Mundbildern => versuchen durch eigenes Nachmachen die zugehörigen Laute zu erraten S sollen sehen: es ist schwierig, nur durch das Absehbild den richtigen Laut zu erkennen (manche Mundbilder für mehrere Laute) 4.Feinziel:S sollen Zur Verdeutlichung, anhand der eigenen das manche Wörter Erfahrungen mit ein exakt gleiches dem Absehen Absehbild dessen Grenzen hervorrufen: Einsatz bemerken mehrerer Wörter+Wortkarten Lehrer-/Schülergespräch Übung: S sollen ganze Wörter nur anhand von gezeigten Mundbildern erraten S raten 2 Tiernamen, 2 Vornamen und das Wort „toll“ anhand vorgegebener Mundbilder evtl. Hilfen der L 5. Feinziel: Kennenlernen der wichtigsten Absehregeln L zeigt Folie, macht Situationen darauf vor Lehrervortrag und S sollen erkennen, Lehrer-/Schülerwelche Situation gespräch ungünstig für das Absehen ist Falsche Situation wird durchgestrichen Sicherung: Arbeitsblatt „Absehen“ S bearbeiten selbstständig das Arbeitsblatt „Absehen“ Selbstständige Schülerarbeit Abbildungen der Mundbilder der Laute der deutschen Sprache Wortkarten: Butter, Mutter, Pute Wein, fein drehen, nähen taufen, laufen 20 Plakat mit 2 Tiernamen Plakat mit 2 Vornamen Plakat mit Wort „toll“ 10 10 Folie 5 Arbeitsblatt 5 10 Ich hatte die Stundeneinheit „Absehen“ für Klasse 2 für 90 Minuten konzipiert, die Lehrerin hatte mir aber zugesichert, dass ich gegebenenfalls auch noch in der dritten Schulstunde weitermachen könne, falls ich die Zeit noch brauche. Eine Änderung im Gegensatz zum Ablauf in Klasse 1 war durch den Wunsch der Schüler gegeben, die sich beim ersten Mal die Ohren nicht hatten vertäuben lassen, dies unbedingt doch noch zu wollen. Ich plante also ein, dass diese Kinder in der Vorviertelstunde und während des Morgenkreises diese Erfahrung noch nachholen durften. Bei der anschließenden Reflexion über die Erlebnisse mit vertäubten Ohren zu Hause sollten diese Kinder natürlich auch ihre aktuellen Eindrücke schildern dürfen. www.foepaed.net 121 Da die Schüler der Klasse 2 schon alle Buchstaben beherrschten wollte ich die Simulation einer Hörschädigung noch mit der Folie „Optische Darstellung eines Hörschadens“ (Folie 6, siehe Anhang) verdeutlichen. Da ich mit Lisa vereinbart hatte, dass wir ihre Absehfähigkeiten nicht vor der ganzen Klasse demonstrieren wollten, fiel dieser Schritt im Gegensatz zum Ablauf bei Klasse 1 weg. Dafür plante ich in Klasse 2 von vorneherein ein, alle Mundbilder erraten zu lassen, sofern die Schüler sich lange genug würden konzentrieren können. Die Schwierigkeiten des Absehens wollte ich zusätzlich noch anhand einiger Wortkarten verdeutlichen. Ich plante hier, den Schüler je zwei Wortkarten mit Wörtern, die gesprochen dasselbe Absehbild hervorrufen würden zu zeigen und anschließend würde ich eines der Wörter ohne Stimme sprechen, die Schüler sollten erraten welches ich gesagt hatte. Hier sollte deutlich werden, dass manche Wörter nur durch das Absehen nicht unterschieden werden können, und somit Absehen immer mit Hören verbunden werden muss. Alle weitern Schritte plante ich ebenso wie für Klasse 1. 6.3 Reflexionen zu den Stundeneinheiten „Schwerhörigkeit“ und „Absehen“ in den beiden Regelklassen16 Nach der vorangegangen Darstellung der Stundenbilder sollen nun die Abläufe in den beiden Klassen beschrieben werden. Hierbei sind vereinzelt Abweichungen zum jeweiligen vorher geplanten Artikulationsschema feststellbar. Diese Änderungen mussten spontan vorgenommen werden, um auf die aktuelle Situation in der entsprechenden Klasse besser eingehen zu können. Allgemein möchte ich bemerken, dass die geplante Doppelstunde nur in der ersten Klasse zum Thema „Schwerhörigkeit“ zeitlich eingehalten werden konnte, beim Thema „Absehen“ und bei beiden Themen in der Klasse 2 musste noch eine dritte Schulstunde hinzugenommen werden, da die zahlreichen Schülerfragen und Bemerkungen die eingeplanten Zeiteinheiten weit überschritten. Im nachhinein lässt sich daraus folgern, dass vom Interesse und Bedürfnis der Schüler ausgehend eigentlich viel mehr Unterrichtszeit in die gewählten Thematiken investiert werden könnte und müsste, um Nachfrage und Forderung nach mehr Wissen sowohl der betroffenen als auch der hörenden Schüler befriedigen zu können. 16 Alle verwendeten Arbeitsblätter (= Vorlagen für Folien) sind im Anhang zu finden www.foepaed.net 122 6.3.1 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Schwerhörigkeit“ in Klasse 1 Ich hielt die ersten beiden Unterrichtsstunde am 13.12.00 in der Klasse 1 zu Beginn des Unterrichtstages. Vor dem Eintreffen der ersten Schüler hängte ich die Bilder von schwerhörigen Menschen an die Innenseite der Tafel. Beim Eintreffen der ersten Schüler erklärte ich ihnen, dass sie heute etwas besonderes ausprobieren dürften. Die Kinder bekamen je zwei Ohrstöpsel, allerdings stellte sich heraus, dass ich allen beim Befestigen des Ohropax in der Ohrmuschel helfen musste. Einige Schüler weigerten sich vehement dagegen, sich die Ohren vertäuben zu lassen, sie wurden dazu auch nicht gezwungen, ich machte sie allerdings darauf aufmerksam, dass für sie das nachfolgende „Experiment“ nicht so anschaulich sein würde wie für die übrigen Kinder. Paul fragte, ob er seine Hörgeräte herausnehmen und ebenfalls Ohrstöpsel benutzen sollte, ich erklärte ihm aber, dass die anderen Kinder alle so schlecht hören sollten wie er ohne Hörgeräte und machte ihm den Vorschlag, dass er seine Hörgeräte einfach ausschalten könne, um ungefähr so gut zu hören wie die anderen Kinder, die ihre Ohren vertäubt hatten. Insgesamt 16 Schüler der Klasse, also gut die Hälfte, hatten schließlich Ohropax in ihre Ohren bekommen, allerdings hatte die Vorviertelstunde für diese Maßnahme nur knapp ausgereicht. Die ersten Reaktionen waren sehr bezeichnend, fast alle machten ein erstauntes Gesicht und es fielen Bemerkungen wie „Ich hör nix mehr“, „Ich hör ja gar nix“, „Kann ich’s wieder wegmachen, ich versteh sonst nix“. Einige Schüler fingen an, sich gegenseitig zuzubrüllen, um das Verstehen zu erleichtern. Ich erklärte den Schülern, dass sie die Ohrstöpsel noch einige Zeit tragen und sich überlegen sollten, was momentan anders für sie war als sonst. Die Schüler setzten sich zu Beginn der ersten Schulstunde an ihre Plätze, ich erklärte ihnen, dass ich eine Geschichte vorlesen würde. Bewusst versuchte ich dabei in normaler Lautstärke zu lesen, zunächst ohne störende Nebengeräusche. Es gab bereits hier erste Proteste in Form von verhaltenem Murmeln, aber keiner der Schüler beschwerte sich zunächst offen. Nachdem ich den Beginn der Geschichte vorgelesen hatte schaltete ich den Kassettenrecorder ein und ließ ihn im Hintergrund leise weiterlaufen. Als ich die Geschichte nun weiterlas riefen einige der Schüler „Was?“, „I hör nix mehr“ etc. und brachten deutlich zum Ausdruck, dass die Musik im Hintergrund sie hinderte beim weiteren Vortrag der Geschichte aufzupassen. Ich schaltete die Musik wieder ab und bedeutete den Schülern, die Ohropaxstöpsel wieder zu entfernen. Im darauffolgenden Unterrichtsgespräch durften die Schüler berichten, www.foepaed.net 123 wie es ihnen mit ihrem eingeschränkten Hörvermögen ergangen war. Es fielen Bemerkungen wie : „Das war ziemlich schwierig“, „Mich hat es angestrengt“, „Ich hab nix gehört“, „ohne Musik war es besser“ etc. Ich fasste kurz noch einmal die Schülerkommentare zusammen und betonte dabei, dass es mit Ohropax für die meisten Schüler anstrengender war, zuzuhören und mit zusätzlichen Geräuschen im Hintergrund kaum mehr jemand etwas verstanden hatte. Anschließend überlegten wir gemeinsam, wie es wohl wäre, immer so schlecht zu hören. Viele Schüler bezweifelten, dass sie in solch einem Fall dem Unterricht überhaupt folgen könnten. Im nächsten Schritt klappte ich die Tafel auf und die Bilder der schwerhörigen Menschen wurden sichtbar. Abb. 37: Tafelbild „Schwerhörige Menschen“ Da die Hörgeräte auf den Bildern farblich markiert waren, meldeten sich sofort einige Schüler und wiesen auf diese hin: „Die ham’ was an den Ohren“, „Da sind Hörgeräte“. Gemeinsam erarbeiteten wir, dass alle Leute auf den Bildern Hörgeräte tragen mussten, da sie alle schwerhörig waren. Außerdem überlegten wir, dass Schwerhörigkeit in jedem Alter auftreten kann. Die Karte „schwerhörig“ wurde von einem Schüler als Überschrift an die Tafel gehängt. Ich fragte die Schüler, ob sie einige Leute kannten, die schwerhörig sind. Sofort erwähnten einige der Kinder Paul, auf meine Nachfrage hin („Du kennst sicher noch je- www.foepaed.net 124 manden, der ein Hörgerät trägt!“) wurden aber auch Großeltern und Verwandte genannt. Als nächstes stellte ich die Frage: „Vielleicht weißt du schon, wie man schwerhörig werden kann?“ Zwei Schüler bemerkten: „Wenn’s zu laut ist“ und „Wenn man krank ist“. Ich schlug vor, Paul zu fragen wie er denn schwerhörig geworden war. Er durfte sich ans Lehrerpult setzen und erzählte kurz von der Erkennung seiner Schwerhörigkeit im Alter von drei Jahren und den ersten Maßnahmen danach (Besuch beim Arzt, im Krankenhaus, erste Hörgeräteanpassung). Paul hängte die Wortkarte „warum?“ als Überschrift an die Tafel. Dann überlegten alle Schüler gemeinsam weitere Ursachen für die Entstehung von Schwerhörigkeit und hängten entsprechende Bilder an die Tafel. Abb. 38: Tafelbild „Warum wird man schwerhörig?“ Den Grund „Vererbung“ musste ich den Schülern vorgeben und erklärte den Begriff kurz an einigen Beispielen (Haarfarbe, Augenfarbe). Paul durfte wieder nach vorne kommen und ich bedeutete der Klasse, dass es für die nun folgende Übung völlig ruhig sein müsse, da ich ihnen nun gemeinsam mit Paul etwas Wichtiges zeigen wollte. Paul legte sein Hörgeräte ab und ich las ihm zehn Worte vor, die er nachsprechen sollte. Ich stellte mich dabei hinter ihn, damit er keine Gelegenheit hatte, mein Mundbild zur Perzeption mitzuverwenden. Erstaunlich war die nun eingetretene absolute Stille im Klassenzimmer. Paul verstand kein einziges Wort. Die Schüler der ersten Bank versuchten ihm einzusagen. Ich erklärte ihnen, dass Paul www.foepaed.net 125 nicht getestet würde und es nicht schlimm wäre, wenn er nichts verstehen könne. Anschließend legte Paul seine Hörgeräte wieder an und ich las ihm die zehn Wörter nochmals vor. Diesmal durfte er mein Mundbild sehen und er konnte nun alle Wörter ohne zu zögern nachsprechen. Diese kleine Demonstration beeindruckte die meisten Kinder sichtbar und veranlasste einige zu spontanen Äußerungen („Der hört ja jetzt wieder alles“, „Ohne seine Hörgeräte hat Paul nix verstanden“). Wir sammelten einige Eindrücke des eben Gesehenen (und Gehörten) und stellten fest, dass Hörgeräte für einen schwerhörigen Menschen eigentlich unentbehrlich sind. Nach einer kurzen Zusammenfassung des bisher Gelernten durften die Kinder in einen Sitzkreis kommen. Paul hatte zwei alte Hörgeräte von sich mitgebracht. Er zeigte diese herum und benannte die wichtigsten Teile mit meiner Hilfe. Ich legte ein großes Bild von einem Hörgerät in die Mitte und gemeinsam mit den Schülern beschrifteten wir hier die einzelnen Teile mit Hilfe von Wortkarten. Dann hängten wir alles an die Tafel und die Kinder durften sich wieder setzen. Abb. 39: Tafelbild „Das Hörgerät“ Ich bedankte mich vor der Klasse bei Paul für seine große Hilfe bei den beiden Unterrichtsstunden. Als seine Mitschüler spontan zu klatschen anfingen war Paul sichtlich erfreut und die Schüler der Klasse brachten zum Ausdruck, wie sehr sie das eben Gelernte beeindruckt und auch emotional berührt hatte. www.foepaed.net 126 Zur Sicherung des eben Gelernten teilte ich den Schülern ein Arbeitsblatt aus und wir bearbeiteten es zunächst gemeinsam auf einer Folie, dann durften es die Schüler selbst ausfüllen. Viele Kinder zeigten mir ihr Bild, welches sie in das freie Kästchen gemalt hatten, und das eine Situation zeigte, in der ihr Gehör einmal in Gefahr gewesen war. Als Hausaufgabe sollten die Schüler, die zwei Ohropax bekommen hatten, diese mit nach Hause nehmen und einmal einige Stunden lang zu Hause benutzen, z.B. bei den Hausaufgaben, beim Fernsehen, beim Computerspielen etc. Wie mir die Lehrerin aus Klasse 1 später berichtete fragten viele Schüler, wann wieder „so eine Stunde“ stattfinden würde, außerdem gab es noch viele Erzählungen und Nachfragen der Schüler, was deutlich zeigt, dass ein großer Informationsbedarf und auch reges Interesse bei den Kindern zu dieser Thematik vorliegt. 6.3.2 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Absehen“ in Klasse 1 Am 21.12. 2000 hielt ich in den ersten drei Unterrichtsstunden die Einheit zum Thema „Absehen“. Zu Beginn der Stunde durften die Schüler von ihren Erlebnissen zu Hause mit vertäubten Ohren berichten. Viele der Schüler wollten hierzu etwas sagen, ich ließ einige gleich ihre Ereignisse berichten, die anderen bat ich bis zur Pause zu warten, damit sie mir anschließend ihre Erfahrungen mitteilen durften. Ein Schüler erzählte, dass er den Ton beim Fernseher so laut hatte drehen müssen, dass seine Mutter sich beschwert hatte, ein anderer erzählte, er habe seinen kleinen Bruder gar nicht brüllen hören, als der hingefallen war. Es gab noch zahlreiche weitere interessante Berichte, die alle zeigten, dass die Schüler sich ernsthaft über Schwerhörigkeit Gedanken gemacht hatten und die Erfahrung, einmal weniger zu hören, die meisten sehr beeindruckt hatte. Anschließend wiederholte ich gemeinsam mit den Schülern anhand der Folie vom letzten Mal warum man schwerhörig werden kann. Es kamen viele Beispiele aber auch alle vier Begriffe (Krankheit, Unfall, Vererbung, Lärm), die wir ja nicht schriftlich festgehalten hatten, konnten die Schüler nennen. Ebenso hatten sie die den Aufbau eines Hörgerätes noch gut im Gedächtnis, auch die schwierigen Begriffe wie z.B. Ohrpassstück oder Batterie. Zum Abschluss dieser Wiederholung durften die Schüler selbstständig das Arbeitsblatt „Anna sucht“ ausfüllen, welches ich ihnen zuvor anhand einer Folie erklärt hatte. www.foepaed.net 127 Zum Einstieg in die neue Thematik hängte ich ein Bild von Snoopy an die Tafel, die Ohren waren gelb gekennzeichnet. Die Schüler erkannten Snoopy sofort und deuteten auch die gelbe Kennzeichnung der Ohren auf Anhieb richtig: „Das ist der Snoopy und der ist auch schwerhörig!“. Ich erklärte nun den Kindern, dass Snoopy in seiner Klasse ein großes Problem habe, weil er seine Freunde trotz Versorgung mit Hörgeräten nur sehr schlecht verstehen könne. Um diese Tatsache zu veranschaulichen spielte ich den Schülern von einer Kassette (siehe Anhang) vor, wie Snoopy seinen Lehrer im täglichen Unterricht verstehen kann. Die Klasse wurde sehr leise und angestrengt versuchten die Schüler, etwas zu verstehen. Sofort fiel die Bemerkung: „Der Lehrer redet zu undeutlich, da versteht man nix!“ Ich erklärte den Kindern nun, dass der Lehrer sehr deutlich sprechen würde, aber Snoopy wegen seiner Schwerhörigkeit trotz der Hörgeräte ihn nur so schlecht verstehen könne. Die meisten Schüler machten ein erstauntes Gesicht und ich erwähnte, dass Hörgeräte eben nicht wie eine Brille funktionieren, sondern nur teilweise helfen können. Ich regte die Schüler an, nachzudenken, was Snoopy machen könnte, um trotzdem mehr zu verstehen. Eine Schülerin erwähnte „Fingerzeichen“. Ich fragte nun, ob das wohl in einer Klasse wie der ihren helfen würde und die Schüler verneinten sofort, da sie alle keine Gebärden beherrschen würden. Ich bat die Klasse, einmal ganz ruhig zu sein, dann sprach ich ihnen das Wort „Schule“ sehr deutlich aber ohne Stimme vor und fragte, ob jemand trotzdem etwas verstanden habe. Sofort meldeten sich etwa die Hälfte der Schüler und die meisten hatten auch wirklich das Wort „Schule“ abgesehen. Ich ließ sie noch einige Wörter erraten, dann wollte ich von den Schülern wissen, wie sie das eigentlich machten, „ohne Ton“ trotzdem etwas zu verstehen. Es fielen gleich Bemerkungen wie: „Ich hab auf deinen Mund geschaut“ oder „Man sieht doch wie sich die Lippen bewegen“. Ich erklärte nun, dass dieser Vorgang „Absehen“ genannt wird und jeder, auch guthörende Leute, diese Hilfe manchmal bräuchten, z.B. wenn es sehr laut ist und man nichts mehr verstehen kann. Ein Schüler durfte die Wortkarte „Absehen“ als Überschrift an die Tafel hängen. Den Schülern erklärte ich, dass Snoopy das Hören und das Absehen gemeinsam benutzte, um in der Klasse seinen Lehrer gut zu verstehen. Jetzt stellte ich die Verbindung zu ihrer eigenen Klasse her und machte auf Paul aufmerksam, der ja auch Hörgeräte habe aber zusätzlich das Absehen benütze, um alles gut zu Verstehen. Paul kam nach vorne und die Schüler wurden sofort wieder alle ganz still, weil sie bemerkt hatte, dass wieder etwas wie in der letzten Stunde demonstriert werden sollte. Paul nahm die Hörwww.foepaed.net 128 geräte ab und drehte sich mit dem Rücken zu mir. Ich sagte 10 Wörter und wie schon beim letzten Mal konnte Paul wieder nichts verstehen. Dann drehte er sich zu mir um und ich wiederholte die Wörter nur flüsternd, diesmal konnte er mein Mundbild als Hilfe benutzen. Paul erkannte fast alle Wörter richtig, nur bei drei Wörtern unterliefen ihm typische Absehfehler, die aber niemandem wirklich auffielen. Die Schüler zeigten sich auch von dieser kurzen Demonstration sehr beeindruckt und brachten ihre Bewunderung zum Ausdruck, dass Paul ja ohne Hörgeräte trotzdem fast alles verstanden hätte. Ich wies auch noch einmal ausdrücklich daraufhin, das Paul diesmal nur „abgesehen“ hatte, da er keine Hörgeräte getragen hatte und ich beim zweiten Mal auch nur geflüstert hatte, damit die anderen Schüler verstehen konnten, welche Wörter ich gesagt hatte. Ich klärte die Schülern nun auf, dass wir das „Absehen“ heute einmal üben wollten. Sie durften alle in einen Sitzkreis nach vorne kommen und ich zeigten ihnen die Photos von einigen Absehbildern. Die Vokale a,e,i,o,u wurden fast sofort erkannt und bereiteten den Schülern überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass die Kinder länger brauchen würden, um die einzelnen Kineme abzusehen, da sie ja noch nicht alle Buchstaben gelernt hatten, aber sie machten selbst das gezeigte Mundbild nach und kamen so erstaunlich schnell zu der richtigen Lösung. Ich zeigte ihnen nun die Bilder von „f,v,w“, „m“ und „sch“, auch diese konnten sie fast sofort richtig benennen. Eigentlich hatte ich den Schülern der Klasse 1 nicht alle Kinembilder zeigen wollen, da ich gedacht hatte, das Erraten würde ihnen mehr Mühe bereiten. Nachdem die Kinder offensichtlich aber großen Spaß hatten, die gezeigten Mundbilder nachzuahmen und zu erraten, zeigte ich ihnen auch die restlichen Bilder. Hinzufügen muss man an dieser Stelle noch, dass Paul sehr viele der Laute schnell richtig absehen konnte, und ich ihn aufforderte, dass er vielleicht erst einmal warten solle, bis die anderen Kinder geraten hätten, um ihnen dann zu helfen, wenn sie nicht mehr weiterwüssten. Er versuchte sich an diese Abmachung zu halten, wollte aber doch bei dem allgemeinen Raten mitmachen und so wurden die richtigen Lösungen durch Paul teilweise schneller gefunden. Ich erläuterte den Schülern jetzt, dass das Absehen nicht immer ausreichen würde, da einige Laute genau das gleiche Bild haben. Ich zeigte ihnen das Mundbild von „l“, „n“, „d“, „t“ und auch diesmal errieten die Schüler sehr schnell drei der vier möglichen Laute, die dem Bild zugeordnet werden konnten. Ich bedeutete ihnen, einmal ganz leise zu sein und flüsterte fast kaum hörbar den Laut „d“, den sie bis dahin noch nicht erraten www.foepaed.net 129 hatten. Ich wollte den Schülern so bewusst machen, dass das Absehen durch das Hören ergänzt werden muss, um die Absehbilder auch wirklich richtig interpretieren zu können. Da die Schüler unbedingt auch die restlichen Photos sehen und die passenden Laute zuordnen wollten, zeigte ich ihnen noch die Mundbilder „s“, „r“ und „k,g,x“. Auch hier half ich durch leises Flüstern nach, wenn die Schüler einen Laut trotz eifrigen Nachmachens nicht eindeutig erraten konnten Abb. 40: „das Absehen“ Die Lehrerin der Klasse 1 hatte in der Zwischenzeit Bilder mit bereits im Unterricht behandelten Lauten, an die Tafel gehängt und die entsprechenden Laute darunter geschrieben. Mittlerweile war es im Sitzkreis recht unruhig geworden, denn trotz des großen Interesses der Kinder hatte sich diese Phase sehr lange hingezogen, da ich die Schüler alle Mundbilder hatte erraten lassen und nicht wie geplant nur eine kleine Auswahl. Ich hatte schon zu Anfang der Doppelstunde mit der Lehrerin vereinbart, dass ich bei eventuellen Anzeichen von Unruhe und auch Überanstrengung durch die lange Zeit des Zuhörens und der geforderten Konzentration ein kurzes Bewegungsspiel einbauen wollte. Da die Kinder erst vor kurzem ein Tanzlied eingeübt hatten, welches sie immer wieder während des Unterrichts zur Auflockerung machten, bat ich die Lehrerin an dieser Stelle, mit den Schüler das Tanzlied zu spielen, bevor wir mit dem nächsten Teil weitermachen würden. Nach dem Lied wirkten sie auch wirklich wieder viel ruhiger, www.foepaed.net 130 und ich holte sie noch einmal in den Sitzkreis, wo ich ihnen ein großes Plakat17 zeigte auf welchem mehrere Mundbilder nebeneinander aufgeklebt waren. Ich erklärte ihnen, dass dies mehrere Wörter seien, die man hier „absehen“ könnte. Die Schüler machten sofort eifrig die Mundbilder nach und versuchten, die Wörter zu entziffern. Gemeinsam überlegten wir, welche Wörter es wohl sein könnten, ich gab den Schüler auch die Hilfe, dass es alles Tiernamen seien, und so hatten sie bald die Wörter richtig erraten. Beim nächsten Plakat handelte es sich um Namen, hier durften immer zwei Schüler „laut“ raten und die anderen „leise“, da sonst der Lärmpegel zu groß geworden wäre. Ich zeigte ihnen noch ein letztes Wort, welches den Schülern verdeutlichen sollte, dass die einzelnen Mundbilder nicht mit den geschriebenen Worten gleichzusetzen sind. Da das Wort sehr schwierig zu erraten war, half ich den Kinder und schrieb dann „toll“ an die Tafel, da sie diese Buchstaben schon alle gelernt hatten. Ich zeigte ihnen, das man zwar zwei „ll“ schreibt aber beim Sprechen nur eines sieht. Die Schüler durften sich nun wieder an ihre Plätze setzen und ich ging nun zum letzten Teil der Stundeneinheit, nämlich den „Absehregeln“ über. Ich deutete nochmals auf Snoopy und wies darauf hin, dass er Hören und Absehen in seiner Klasse immer kombinieren muss, um alles zu verstehen. Ich erwähnte nun, dass es aber leider trotzdem nicht alles verstehen könne, und zwar gerade wenn seine Freunde mit ihm sprechen, da sie manche Sachen falsch machen würden. Ich legte nun die Folie zu den Absehregeln auf und gemeinsam überlegten wir welches der beiden Bilder wohl jeweils das richtige sei. Zur besseren Veranschaulichung machte ich die einzelnen Situationen vor und flüsterte dabei jeweils einen Satz, damit die Schüler auch wirklich zusätzlich noch auf das Absehen angewiesen waren. So sprach ich einmal den Satz mit dem Rücken zu den Schülern und dann ihnen zugewandt oder mit einem Blatt vor dem Mund und ohne usw. Die Schüler konnten so auf Anhieb richtig entscheiden, welche Situation auf der Folie richtig und welche falsch war. Um den Gegensatz hell/dunkel zu zeigen machte ich kurz das Licht aus, worauf gleich ein Schüler einwarf: „Was machst du jetzt, ich seh da nix“. Auch das letzte Beispiel, nämlich, dass man bei einem weit aufgerissenen Mund und lautem Schreien eher schlechter versteht und nicht Absehen kann, beeindruckte die Schüler, da ihnen diese Tatsache anscheinend nicht so bewusst gewesen war. Es fielen hier Bemerkungen wie: „Genau, der X schreit immer so, und da versteht man nie was“. 17 Die Plakate sind im Anhang abgebildet. www.foepaed.net 131 Die Schüler bekamen nun das Arbeitsblatt (wie Folie) und sollten hier die falschen Situationen durchstreichen, die Bilder durften sie anschließend ausmalen. Die Lehrerin aus Klasse 1 fragte mich im Anschluss an den Unterricht, ob ich ihr die Kinembilder kopieren könne, damit sie bei der weiteren Einführung der einzelnen Buchstaben immer gleich das passende Mundbild zeigen könne um dies dann auch neben die jeweiligen Buchstaben zu hängen. Auch sie fand die Tatsache, dass die Schüler so interessiert beim Absehen mitgearbeitet hatten und alle Mundbilder so gut erraten konnten recht erstaunlich, da viele Schüler der Klasse schnell recht unruhig und ablenkbar wären und normalerweise selten so lange konzentriert und intensiv mitarbeiten. Diese Beobachtung verdeutlichte erneut, dass sowohl das Thema „Schwerhörigkeit“ als auch das „Absehen“ die Schüler interessiert und beschäftigt hatte. Mir war natürlich klar, dass der Inhalt der Doppelstunde „Absehen“, die sich ja, wie schon erwähnt, über drei Stunden hingezogen hatte, was dank der flexiblen Stundenplanung der Lehrerin möglich gewesen war, sehr leicht über vier bis fünf Schulstunden hätte verteilt werden können. So hätte man einige Aspekte noch besser herausstellen und den Schülern erklären können, andererseits war die vorangegangene Doppelstunde enorm wichtig als Basiswissen für das „Absehen“ gewesen, und auch diese Stundeneinheit hätte ausführlicher und genauer ausfallen und so über vier bis fünf Schulstunden auf mehrere Tage verteilt werden können. Leider war aber aus zeitlichen Gründen, sowohl im Rahmen meiner Arbeit als auch innerhalb der Wochenplanung der Lehrerin kaum eine längere Beschäftigung mit den beiden Themen möglich. 6.3.3 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Schwerhörigkeit“ in Klasse 2 Am 11.01.2001 hielt ich die Doppelstunde zum Thema „Schwerhörigkeit“ in der Klasse 2. Ich hatte zunächst die Bilder der schwerhörigen Menschen an die Innenseite der dann zugeklappten Tafel gehängt und beim Eintreffen der ersten Schüler in der Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn begann ich, ihnen Ohrenstöpsel zum Vertäuben der Ohren auszuteilen. Die Schüler zeigten sich gleich beim Hereinkommen ins Klassenzimmer sehr neugierig, sie gingen nicht, wie gewohnt, zuerst in die Garderobe sondern gleich ins Klassenzimmer, um nachzuschauen, was da wohl heute passierte. Ich erklärte, wer wolle, dürfe bei einem Experiment mitmachen und würde dann von mir Ohropax be- www.foepaed.net 132 kommen. Die Schüler stellten sich sofort in einer Reihe an und zwei Drittel der Klasse wollten das Experiment auch unbedingt mitmachen, die restlichen Schüler zeigten sich skeptisch und wollten „lieber erst mal nur zuschauen“. Auch Lisa wollte gerne Ohrenstöpsel bekommen, ich erklärte ihr aber, dass es heute vielleicht besser sei, sie würde etwas hören, weil ja sonst fast keiner etwas verstehen würde, wenn sie aber wolle, könne sie ihre Hörgeräte ausmachen. Lisa sagte daraufhin, sie wolle ihre Hörgeräte anlassen, damit sie ihrer Nachbarin, die auch ihre Ohren vertäubt hatte, notfalls einsagen könne. Sie wirkte dabei sehr begeistert von der Idee und ich hatte den Eindruck es freue sie, dass nun einmal ihre Banknachbarin auf ihre Hilfe angewiesen war und nicht umgekehrt wie sonst immer. Zum Unterrichtsbeginn um 8.00 stellten sich die Schüler automatisch in einem Kreis auf, da sie normalerweise immer morgens einen „Morgenkreis“ abhielten. Ich bat die Lehrerin von Klasse 2 diesen ganz normal zu gestalten, da die Schüler in dieser für sie alltäglichen Situation möglicherweise besonders gut merken würden, wie es war hier weniger zu hören. Während des Morgenkreises gab es laufend Beschwerden von den Schülern mit den vertäubten Ohren. Sie meldeten sich und fragten die Lehrerin „Kannst du lauter reden“, „Alles ist so leise heute“, „Der X ist so laut, ich hör nichts“ usw. Die Lehrerin sprach weiter in normaler Lautstärke und machte die Schüler darauf aufmerksam, dass sie eventuell besser hören würden, wenn sie ganz leise wären. Nach dem Morgenkreis setzten sich die Schüler auf ihre Plätze und ich las ihnen den Anfang der Geschichte aus dem Buch „Der Turmbau zu Babel“ vor. Ein Schüler aus der letzten Reihe erhob sich und trat bis zur Mitte des Klassenzimmers vor. Ich fragte ihn, warum er aufgestanden sei und er erklärte mir, er würde auf seinem Platz nichts hören und ob er „die Dinger“ wieder aus den Ohren nehmen könne. Ich wies die Schüler darauf hin, dass sie heute extra weniger hören sollten und sie sich einmal überlegen könnten, was für Unterschiede sie bemerkten im Gegensatz zu einem normalen „Hören“. Ich las die Geschichte weiter, währenddessen fing die Lehrerin an, auf dem CD-Player ein Lied abzuspielen. Sofort meldeten sich einige Schüler, vor allem aus den hinteren Reihen, und beschwerten sich, dass sie jetzt überhaupt nichts mehr hören könnten. Die Lehrerin schaltete den CD-Player wieder aus und ich las die Geschichte noch etwas weiter. Dann bedeutete ich den Schülern, dass sie jetzt die Ohrstöpsel wieder entfernen dürften. Einige Schüler zeigten sich sichtlich erleichtert andere fanden es schade, dass das Experiment so schnell zu Ende war. Nun durften die Schüler berichten, wie es ihnen mit dem www.foepaed.net 133 eingeschränkten Gehör ergangen war. Es fielen Bemerkungen wie: „Ich hab heut wenig verstanden“; „Das war blöde“; „Der Morgenkreis ist sonst schöner“; „Mich hat es stark angestrengt“; „Als der CD-Player an war, hab ich überhaupt nichts mehr verstanden“. Insgesamt hatten sich die meisten nicht wohl gefühlt so wenig zu verstehen und vor allem das Zuhören bei der Geschichte war der Mehrzahl zu anstrengend gewesen. Als ich die Schüler aufforderte „Stell dir vor, es ist immer so!“ waren viele erschrocken und zeigten sich betroffen. Sie bezweifelten, ob sie dann überhaupt noch gerne in die Schule gehen würden. Im nächsten Schritt klappte ich die Tafel auf und die Bilder der schwerhörigen Menschen wurden sichtbar. Auch in der Klasse 2 bemerkten die meisten Schüler sofort die gelben Markierungen an den Ohren der Personen. Schnell fielen die Begriffe „Hörgeräte“, „die hören nicht gut“, „kranke Leute“, aber auch „schwerhörig“. Ich erklärte der Klasse, dass wir heute über schwerhörige Leute sprechen wollten und hängte die Wortkarte „schwerhörig“ als Überschrift an die Tafel (vgl. Abbildung 37). Ich zeigte auf diese und bemerkte „Also nur alte Leute werden schwerhörig“. Sofort gab es Proteste seitens der Schüler, die mir erklärten auf den Bildern wäre ja auch ein Baby zu sehen. Ich fragte die Schüler, ob sie meinten, dass alle Menschen, egal wie alt, schwerhörig werden könnten. Aufgrund der Bilder bejahten das die meisten, allerdings merkte ich deutlich, dass viele zuvor wohl wirklich gedacht hatten, nur alte Leute würden Hörgeräte tragen müssen und wären somit schwerhörig. Ich fragte die Schüler, ob sie denn schwerhörige Leute kennen würden, und sie nannten sofort Lisa, dann aber auch andere Menschen aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis. Nun wies ich darauf hin, dass wir gemeinsam überlegen wollten, wie man denn eigentlich schwerhörig wird. Lisa durfte nach vorne kommen und erzählen, wie es bei ihr zu dem Hörverlust gekommen war. Durch Zwischenrufe brachten die Schüler zum Ausdruck, dass sie teilweise sehr erstaunt und auch erschrocken waren: „So lange schon?“; „Du warst im Krankenhaus?“; „Geht des nimmer weg?“ Lisa, deren Schwerhörigkeit durch eine Krankheit verursacht wurde, durfte das entsprechende Bild an die Tafel hängen. Die Schüler nannten noch weitere mögliche Ursachen, die passenden Bilder hängten sie dann an die Tafel bzw. ich zeigte ihnen einige der Bilder und sie nannten die darauf abgebildete Ursache. Dann betrachteten wir die Bilder, ich zeigte ihnen die Wortkarten „Krankheit“, „Unfall“ und „Lärm“ und ordnete ihnen gemeinsam mit den www.foepaed.net 134 Schülern die passenden Bilder zu. Die letzte Ursache, Vererbung, erklärte ich auch in dieser Klasse kurz anhand einiger Beispiele, dann hängten wir auch zu dieser Wortkarte die entsprechenden Bilder auf. Abb. 41: Tafelbild „Warum wird man schwerhörig?“(Klasse 2) Zum Abschluss dieses ersten Teils bearbeitete ich gemeinsam mit den Schülern das Arbeitsblatt 2 zunächst auf Folie, dann durften es die Kinder selbstständig ausfüllen. Viele Schüler zeigten mir, was sie in das Kästchen „Das war für meine Ohren gefährlich!“ gemalt hatten. Bemerkenswert ist hier, dass mindestens die Hälfte von ihnen Feuerwerkskörper oder ein Feuerwerk gemalt hatten, da Silvester erst einige Tage zurücklag. Aber auch Flugzeuge, die weinende Schwester oder auch eine Krankheit „bei der ich dann fast nichts mehr gehört hab“ wurden dargestellt. Nachdem die Schüler ihre Blätter eingeklebt und weggepackt hatten, bedeutete ich ihnen, jetzt mal ganz ruhig zu sein, damit ich allen, gemeinsam mit Lisa, etwas zeigen könne. Lisa legte ihre Hörgeräte ab und ich stellte mich hinter sie und sagte einige Wörter. Lisa verstand nichts. Beim zweiten Mal durfte Lisa ihre Hörgeräte wieder tragen und mich anschauen, jetzt konnte sie alle Wörter ohne Probleme wiederholen, nachdem ich sie ihr noch einmal vorgesprochen hatte. Die Schüler zeigten sich erstaunt und ich fragte sie, was sie denn jetzt bemerkt hätten. „Die hört erst nix und dann alles“; „Die Lisa hat total gute Hörgeräte, weil vorher hat sie nichts gehört“ usw. Den Schülern war die Bedeutung der Hörgeräte für Lisa www.foepaed.net 135 aufgefallen und ich erklärte, dass wir uns diese wichtigen Geräte jetzt einmal anschauen wollten. Wir setzten uns in einen Sitzkreis und Lisa zeigte alte Hörgeräte von sich, die sie mitgenommen hatte, herum. Ich machte darauf aufmerksam, dass ein Hörgerät sehr teuer sei und man gut darauf aufpassen müsse. Lisa erklärte und zeigte kurz die wichtigsten Bestandteile des Hörgerätes und anhand des großen Bildes beschrifteten wir diese mit entsprechenden Wortkarten (vgl. Abbildung 39). Die Schüler waren interessiert und zeigten es mit Bemerkungen wie: „Das ist aber klein und da ist so viel drin“; „Die Ohrpasstücke sind total schön“; „Wie macht man die?“ Lisa durfte erklären, wie Ohrpasstücke hergestellt werden und ein Hörgerät angepasst wird. Die Schüler konnten feststellen, dass ein Ohrpassstück wohl so ähnlich hergestellt wird wie eine Zahnspange. Da es aufgrund einiger schwieriger Schüler, die sich für ihre Verhältnisse sowieso schon sehr lange ruhig verhalten hatten, zunehmend unruhiger und lauter im Sitzkreis wurde, musste ich Lisas Erklärungen abbrechen und schlug vor, sie solle es vielleicht den anderen in der Pause weitererzählen. Die Schüler setzten sich und ich zeigte ihnen noch Lisas neue FM-Anlage, die im Gegensatz zur alten Mikroportanlage schnurlos war und mehr Funktionen hatte. Die Abbildung dazu auf Folie (Arbeitsblatt 3) veranschaulichte ich den Schülern, indem ich das Funkmikrofon und Lisas Hörgerät, mit dem Audioschuh vergleichend, neben die jeweilige Abbildung legte. Ich erklärte den Schülern die Aufgaben des Arbeitsblattes 3 (siehe Anhang) zunächst auf Folie, dann durften es die Kinder selbstständig bearbeiten und ausmalen. Auch in dieser Klasse gab ich die Hausaufgabe, dass alle Schüler, die zwei Ohropax bekommen hatten, diese zu Hause für 1 – 2 Stunden tragen sollten um beim nächsten Mal ihre Erlebnisse mit dem eingeschränkten Hörvermögen zu schildern. Auch diese, eigentlich als Doppelstunde geplante Themeneinheit, hatte sich über drei Schulstunden hingezogen. Aufgrund der Erfahrungen in Klasse 1 hatte ich die Lehrerin von Klasse 2 aber schon vorher darauf aufmerksam gemacht, dass zwei Unterrichtsstunden eventuell nicht ausreichen würden. Obwohl es aufgrund der schwierigen Schüler in der Klasse manchmal unruhig geworden war, hatte sich auch hier reges Interesse und eine große Aufgeschlossenheit gegenüber der neuen Thematik bemerkbar gemacht. Alle Schüler, die sich zu Beginn des Unterrichts geweigert hatten, die Ohren vertäubt zu bekommen, wollten dies nun unbedingt auch ausprobieren und ich vereinbarte mit ihnen, dass sie am Anfang der zweiten Stundeneinheit ebenfalls die Gelegenheit dazu www.foepaed.net 136 erhalten sollten. In der Pause wurde ich mit Fragen regelrecht bestürmt, was zeigte, wie viel Neues und vielleicht auch Unerwartetes die Schüler an diesem Tag gelernt hatten. Zwei Schülerbemerkungen möchte ich an dieser Stelle wiedergeben, da sie meiner Meinung nach die Stimmung der Klasse und auch den nachhaltigen Eindruck, den das neue Thema für sie hinterlassen hatte, sehr gut widerspiegeln. Ein Schüler, der laut Auskunft der Lehrerin eigentlich recht unruhig und verhaltensauffällig war, hatte sich in den drei Unterrichtsstunden sehr ruhig verhalten und viel Interesse gezeigt. In der Pause fragte er mich: „Warum reden wir heute nur über so was Trauriges?“ Ein anderer Schüler erzählte mir, seine Mutter sei gerade schwanger. Er zögerte, dann stellte er sehr leise die Frage: „Das Baby ist aber nicht schwerhörig, oder?“ Ich denke, diese Bemerkungen sprechen für sich und müssen nicht noch kommentiert oder erläutert werden. 6.3.4 Ablauf der Schulstunden zum Thema „Absehen“ in Klasse 2 Am 17.1 2001 hielt ich in den ersten Unterrichtsstunden die Einheit zum Thema „Absehen“ in Klasse 2. In der Vorviertelstunde bekamen alle Schüler, die dies beim letzten Mal noch nicht mitgemacht hatten, die Ohren mit Ohrstöpseln vertäubt. Im anschließenden Morgenkreis erging es diesen Kinder ähnlich wie ihren Mitschülern eine Woche zuvor. Sie fragten häufig nach, beklagten sich, warum alles so leise sei und redeten untereinander mit erhöhter Lautstärke. Auch während der anschließenden Reflexion, bei der die Ohrstöpsel wieder entfernt werden durften, bemerkten diese Schüler, das Zuhören hätte sie heute sehr angestrengt, alles sei so leise gewesen, sie hätte ihre Freunde und auch die Lehrerin nur ungenügend verstanden und mussten teilweise näher an den Sprecher treten, um ihn besser zu hören. Dann durften die Kinder, welche Ohropax zu Hause benutzt hatten, von ihren Erfahrungen berichten. Einige hatten versucht mit den Ohrstöpseln Fernsehen zu schauen und den Ton dabei sehr laut drehen müssen. Ein Schüler berichtete, seine Mutter hätte ihn mehrmals gerufen, aber er hätte sie nie gehört, erst als sie direkt neben ihm stand. Ein Mädchen erzählte, sie hätte die Ohrstöpsel bewusst am Abend benutzt, als ihre Schwester Flöte übte, weil ihr das immer zu laut sei und ihr so erträglicher geworden war. Eine andere Schülerin berichtete, sie hätten zu Hause gerade eine Baustelle vor der Wohnung, und die Zeit mit den Ohropax wäre so viel angenehmer gewesen, sie hätte diese dann den ganzen Nachmittag in den Ohren gelassen. Viele der Schüler hatten die Ohrstöpsel nicht nur einen Nachmittag sondern mehrmals und während unterschiedlicher Situationen ausprobiert und wollten ihre www.foepaed.net 137 unterschiedlichen Erfahrungen berichten. Ich musste die Erzählungen aus Zeitgründen unterbrechen, allerdings bot ich den Schülern an, dass sie mir alles in der Pause weitererzählen dürften. Nun folgte die kurze Wiederholung des Gelernten vom letzten Mal. Die Unterrichtsbeteiligung war hierbei sehr groß und sowohl alle Ursachen für Schwerhörigkeit, zahlreiche Beispiele dazu als auch alle Bestandteile eines Hörgerätes wurden schnell und richtig genannt. Abschließend zu dieser Thematik durften die Schüler das Arbeitsblatt 4 bearbeiten. Zum Einstieg in das neue Thema zeigte ich das Bild von Snoopy mit den gelb markierten Ohren herum. Sofort riefen einige Schüler „Der hat Hörgeräte!“; „Dem seine Ohren sind gelb!“ dazwischen. Ich bestätigte die Vermutung der meisten Mitschüler, dass Snoopy schwerhörig sei. Dann erläuterte ich, dass Snoopy ein großes Problem im Unterricht habe, weil er trotz Hörgeräten nicht alles verstehen könne. Eine Schülerin meinte daraufhin, er könne ja auch einen „Mike“18 benutzen, wie Lisa einen habe. Ich erklärte, dass Snoopy auch einen Mike besitze, dieser ihm aber nicht immer helfen könne. Ich spielte zur Verdeutlichung seines eingeschränkten Hörvermögens die Kassette mit dem simulierten Höreindruck eines hochgradig schwerhörigen Schülers vor. Die Schüler versuchten zunächst angestrengt, etwas zu verstehen, dann baten sie mich die Kassette lauter zu stellen, was natürlich keine Besserung brachte. Auch in dieser Klasse wurde nun vermutet, der Lehrer würde undeutlich sprechen oder nuscheln. Ich betonte nochmals, dass der Lehrer sehr deutlich sprechen würde, aber Snoopy ihn so schlecht verstehen könne. Um diese eingeschränkte auditive Perzeption noch anschaulicher zu machen legte ich die Folie „Optische Darstellung einer Hörschädigung“ auf, die durch die verzerrte Schrift eingeschränktes Hören zu verdeutlichen versucht. Die Schüler schienen erstaunt, als ich ihnen erklärte, dass man Hörgeräte nicht mit einer Brille vergleichen könne, sondern dass diese nur bedingt helfen könnten. Als ich nun nach Ideen fragte, die Snoopy das Verstehen seines Lehrers vielleicht erleichtern könnten, wurden Fingerzeichen oder „Zusatzcomputer“ genannt, als ich aber fragte, ob sie sich so etwas für ihre Klasse vorstellen könnten mussten die Schüler verneinen. 18 Bezeichnung der Klasse für Lisas FM-Anlage www.foepaed.net 138 Ich bedeutete der Klasse, ganz leise zu sein und zu schauen, ob sie etwas verstehen könnten, dann sprach ich sehr deutlich aber ohne Stimme „Schule“. Sofort riefen einige Schüler das richtige Wort und als ich fragte, wie sie etwas verstehen konnten rief Lisa gleich „Ich hab von deinen Lippen abgelesen!“ Ich erklärte den Schülern, dass man „Absehen“ zu dem Vorgang sagte und Lisa diesen schon sehr gut beherrsche, weil sie auch richtigen Absehunterricht bekomme. Die Wortkarte „Absehen“ wurde an die Tafel gehängt, dann setzten sich die Schüler im Halbkreis vor die Tafel und ich zeigten ihnen die einzelnen Darstellungen der Mundbilder. Ähnlich wie in Klasse 1 machte den Schülern das Absehen viel Spaß und sie errieten die „einfachen“ Absehbilder durch eigenes Nachmachen sehr schnell. Die schon erratenen Bilder hängte ich an die Tafel und schrieb die entsprechenden Laute darunter. Bei den schwierigeren Kinemen sagte ich lautlos ein Wort vor und die Schüler versuchten dieses zu erraten. Dann hängte ich die entsprechenden Wortkarten neben das Kinem an die Tafel, um den Schülern auch schriftlich zu verdeutlichen, dass manche Laute vom Absehbild her völlig gleich sind und deshalb manchmal ganze Wörter vom Mundbild her ganz gleich sind (drehen – nähen; Wein – fein; Butter – Mutter – Pute; taufen – laufen). Um die Laute leichter zu erraten, sollten die Schüler sich gegenseitig die einzelnen Mundbilder „vormachen“. Während die Schüler einzelne Mundbilder zu erraten versuchten, hängte ich die bereits behandelten Bilder und Wortkarten an die Tafel. Abb. 42: Tafelbild „Das Absehen“ (Klasse 2) Nach dem Erraten der einzelnen Mundbilder durften sich die Schüler in Partnerarbeit je fünf Worte „lautlos“ vorsagen, der Partner musste diese dann erraten. Als letztes zeigte ich den Schülern noch die Plakate (siehe Anhang) mit den Vornamen bzw. Tiernamen, durch gegenseitiges Vormachen waren diese schnell erraten. www.foepaed.net 139 Da die Schüler eine lange Zeit sehr konzentriert mitgearbeitet hatten, bat ich die Lehrerin der Klasse 2, ein kurzes Bewegungsspiel mit den Kindern zu machen, welches sie bereits gut kannten. Nach dem Spiel setzten sich die Schüler wieder an ihre Plätze und ich legte die Folie des Arbeitsblatts 5 auf. Ich spielte den Schülern die einzelnen Situationen vor und schnell konnten sie die Falschen auf der Folie durchstreichen. Ich machte die Schüler darauf aufmerksam, dass diese Regeln für alle Kinder sehr wichtig seien, nicht nur für Lisa, die auf das Absehen neben dem Hören angewiesen war. Die Schüler füllten das Arbeitsblatt aus und klebten es in ihre Hefte ein. Ein letztes Absehspiel, welches ich den Kindern zuvor versprochen hatte und das sie unbedingt noch machen wollten, diente als Abschluss dieser Stundeneinheit. Dabei durfte ein Schüler vorkommen, sich zwei Wörter ausdenken, diese laut der Klasse sagen und dann eines nochmals „lautlos“ wiederholen. Die Mitschüler mussten erraten, welches der beiden Wörter gesagt worden war, der betreffende Schüler durfte einen Schüler aufrufen, welcher dann sagte, welches Wort er abgesehen hatte. Dann durfte ein anderer Schüler nach vorne kommen und seine Mitschüler raten lassen. Im anschließenden Gespräch mit der Lehrerin von Klasse 2 teilte mir diese mit, dass die soeben gelernten Absehregeln sehr wichtig für die Klasse seien, gerade für die schwierigen Schüler, die ständig für einen erhöhten Lärmpegel sorgten. Sie wollte die Regeln vergrößern und gut sichtbar im Klassenzimmer aufhängen, damit die Schüler immer wieder darauf hingewiesen werden. 6.4 Einige Bemerkungen zur Integration von Paul und Lisa in die Regelschule Durch meine Gespräche mit den Eltern, Lehrern und den betroffenen Kindern selbst, aber auch durch die gehaltenen Unterrichtsstunden in den beiden Regelklassen hatte ich die Gründe für eine Einschulung von Paul und Lisa in die allgemeine Schule erfahren und deren Umsetzung miterlebt. In den Vorüberlegungen (siehe 6.1.) und den Reflexionen zu den Stundeneinheiten (siehe 6.3.) sind schon einige Aspekte erwähnt worden, die sich im bezug sowohl auf Pauls als auch auf Lisas Situation in der Regelschule beziehen. Im folgenden soll kurz die derzeitige integrative Lage der beiden Schüler dargestellt werden und ein Ausblick für deren weiteren Schulweg gegeben werden. www.foepaed.net 140 6.4.1 Paul in der Regelschule Paul, der zusammen mit einigen seiner Kindergartenfreunde in die erste Klasse der Regelschule integriert wurde, hat mittlerweile einen großen Freundeskreis unter seinen Mitschüler gefunden und fühlt sich in der Klasse sehr wohl. Negative Bemerkungen oder Hänseleien aufgrund seiner Hörschädigung hat es bisher nie gegeben. Pauls schulische Leistungen sind recht gut, auch wenn seine Lehrerin des öfteren feststellt, dass er nichts alles versteht und mehrmalige Wiederholung von Arbeitsanweisungen meist angebracht sind. Pauls Mutter, eine Fachlehrerin für Textilarbeit/Werken, hat sich wegen Paul beurlauben lassen und möchte solange wie nötig auf die Arbeit verzichten, um nachmittags genügend Zeit für ihren Sohn zu haben. Paul hat eine ältere Schwester die zur Zeit die vierte Klasse besucht und die wegen des baldigen Übertritts an eine weiterführende Schule auch die Unterstützung der Mutter benötigt. Pauls Verhalten in der Klasse war zu Beginn des Schuljahres auffällig, nachdem aber ein Drehstuhl in der Klasse angeschafft worden war und die Sitzordnung mehrmals abgeändert wurde schienen sich seine Perzeptionsbedingungen verbessert zu haben, was sich auch auf sein Verhalten auswirkte. In letzter Zeit reagiert er aber wieder öfter unruhig und seine Konzentrationsspannen werden zunehmend kürzer. Ein Grund kann hier ein sehr verhaltensauffälliger Schüler sein, der immer wieder während des Unterrichts Tobsuchtsanfälle bekommt, dann mehrere Minuten lang schreit, lärmt und um sich schlägt. In diesen Phasen wird auch Paul sehr unruhig, springt von seinem Platz auf, kann nicht mehr still sitzen und verhält sich teilweise aggressiv gegenüber seinen Mitschülern. Da Pauls Schmerzschwelle bei lauten Geräuschen schneller erreicht wird als bei einem Normalhörenden, kann es sein, dass die lauten Geräusche und das Schreien seines Mitschülers Pauls auffälliges Verhalten auslösen. Ferner erreicht der Lärmpegel in einer Klasse mit 30 Schülern immer einen gewissen Grad und Paul, der sich bei der auditiven Perzeption mehr anstrengen muss und gleichzeitig noch auf das Absehen angewiesen ist, kann hier immer wieder an seine Leistungsgrenzen gebracht werden. Die Betreuungslehrkraft des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes erscheint alle 2 Monate für je ca. 30-45 Minuten. In dieser Zeit versucht sie nach Kräften, sowohl der Klassleiterin als auch Pauls Mutter Hilfen und Ratschläge aufzuzeigen, allerdings ist aus ihrer eigenen Sicht die Zeit viel zu knapp bemessen, um hier wirklich helfen zu können. www.foepaed.net 141 Vor wenigen Tagen machte die Konrektorin der Schule, die zusätzlich als Beratungslehrerin tätig ist und sich ebenfalls sehr für Paul einsetzt den Vorschlag, diesen auf die ortsnahe Sprachheilschule zu überweisen, da die Schwerhörigenschule sehr weit entfernt ist und Paul hier lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen müsste. Die Konrektorin erhofft sich durch diese Maßnahme eine ruhigere Lernatmosphäre in einer Klasse mit geringerer Schülerzahl für Paul und eine intensivere Betreuung. Somit sollen seine Verhaltensauffälligkeiten abgebaut werden und seine Konzentrationsfähigkeit bestenfalls weniger belastet sein. Pauls Eltern sehen einer solchen Umschulung eher skeptisch entgegen, sie wollen lieber noch abwarten und ihn wenn möglich in der allgemeinen Schule belassen. 6.4.2 Lisa in der Regelschule Lisa ist bereits das zweite Schuljahr in der gleichen Klasse einer allgemeinen Schule integriert. Ihre Mitschüler akzeptieren sie als ein vollwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft, sie hat hier viele Freunde und ist sehr beliebt. Auch in Lisas Klasse wurden noch nie negative Bemerkungen bezüglich ihrer Hörschädigung gemacht, allerdings kommt es ab und zu vor, dass Schüler auf dem Pausenhof eine kränkende Bemerkung fallen lassen. Lisa reagiert darauf meist sehr empfindlich, sowohl Lehrerin als auch Eltern versuchen dies dann wieder auszugleichen. Lisa „vergisst“ ihre Hörgeräte immer wieder zu Hause oder weigert sich manchmal sogar, diese zu tragen, was eventuell auf die Hänseleien zurückzuführen, aber auch Teil ihrer Entwicklung und der langsam beginnenden Pubertät sein kann. Lisas Lehrerin erhält auch ca. alle 2 Monate Beratung und Unterstützung durch eine Lehrkraft des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes. Der äußerst begrenzte zeitliche Rahmen erscheint sowohl der Klassleiterin als auch der Betreuungslehrkraft zu wenig, leider sind hier aber aufgrund der begrenzten Stundenzahl des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes keine Erweiterungen möglich. Sprachlich scheint Lisa auf dem Stand ihrer Mitschüler zu sein, dass sie Schwierigkeiten bei der Perzeption und beim Verstehen von Sprache hat tritt gerade in letzter Zeit häufiger zu Tage. Lisa hat gelernt, Perzeptionslücken durch Nachfragen bei ihrer Banknachbarin aber auch durch gewisse Strategien zu vertuschen, welche im Einzelgespräch mit ihr sichtbar werden. So greift sie häufig ein einzelnes Wort einer Frage auf und beantwortet diese dann nicht sinngemäß. Lisas schulische Leistungen www.foepaed.net 142 sinken in letzter Zeit ab. Sie hat zunehmend „Schulunlust“, fühlt sich während des Unterrichts häufig müde und fängt bei schwierigen Aufgabenstellungen schnell zu weinen an, wobei sie eine Weiterarbeit dann meist verweigert. Inwiefern dieses Verhalten und Lisas Leistungseinbruch mit ihrer Schwerhörigkeit und den damit verbundenen Problemen zusammenhängen, kann Lisas Lehrerin, die zum ersten Mal ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse unterrichtet, aufgrund von Erfahrungsmangel und wenig fundiertem Wissen in diesem Gebiet kaum beurteilen, sicherlich kann man das auch nicht von ihr verlangen. Die Betreuungslehrerin des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes kann im Rahmen ihres Aufgabenfeldes die Lehrerin hier zwar beraten, allerdings fällt es ihr selbst schwer, die Situation einzuschätzen, da sie nur alle 2 Monate für kurze Zeit mit Lisas Lehrerin und deren Mutter spricht. Da zwei besonders verhaltensauffällige Schüler der Klasse einen ständigen Lärmpegel verursachen, welcher auch durch zahlreiche Maßnahmen und Gespräche mit den betreffenden Schülern nicht eingedämmt werden kann, vermutet die Lehrerin hier eine zusätzliche Belastung für Lisa. Durch die Gespräche mit Lisas Lehrerin wurde deutlich, dass sich diese zunehmend überfordert mit der Situation fühlt. Sie hat Angst, den Anforderungen, die durch Lisas Schwerhörigkeit an sie gestellt werden, nicht gerecht zu werden, gleichzeitig verlangen aber drei weitere Schüler der Klasse, die aufgrund massiver Verhaltensauffälligkeiten bereits für eine Umschulung in eine Förderschule getestet wurden, ihre ständige Hilfe und Unterstützung, so dass sie sich verständlicherweise nicht in der Lage sieht, ständig auf Lisas momentane Bedürfnisse achten zu können. Lisa hat immer weniger Lust auf die Schule. Laut Auskunft der Mutter „bockt“ sie immer öfter bei den Hausaufgaben, benötigt sehr viel Zeit dafür und ist häufig gereizt und schlecht gelaunt. In der Schule gibt Lisa bei schwierigen Aufgabenstellungen immer häufiger ein leeres Blatt ab oder löst nur sehr wenige Aufgaben. Hört Lisa einmal etwas nicht richtig und kann so eine Arbeitsanweisung nicht verstehen, meldet sie sich nicht, sondern fragt ihre Nachbarin oder versucht, die Situation zu überspielen. Zahlreiche Gespräche seitens der Lehrkraft, die Lisa immer wieder versucht klarzumachen, dass es besser für sie wäre, sich zu melden, wenn sie etwas nicht versteht zeigen kaum Erfolg. Zur Zeit wird überlegt, ob Lisa nicht doch in die Schwerhörigenschule umgeschult werden soll. Die Eltern sind zwar skeptisch, da Lisa einen langen Schulweg in Kauf nehmen und in eine neue Klassengemeinschaft eingegliedert werden müsste, www.foepaed.net 143 grundsätzlich wollen sie aber Lisas sinkende Leistungen und ihre zunehmende Schulunlust bekämpfen, sie wären deshalb zu einer Umschulung bereit. Lisas Lehrerin fühlt sich teilweise, als hätte sie sich nicht genügend für Lisa eingesetzt und ihrer Hörschädigung während des Unterrichts nicht ausreichend Rechnung getragen. Andererseits weiß sie auch, dass es für einen jeden Lehrer in solch einer unruhigen Klasse mit teilweise massiv verhaltensauffälligen Schülern unmöglich ist, immer auf Lisas Hörschaden bedacht zu sein und optimale Bedingungen für sie zu schaffen. Die Betreuungslehrkraft des Mobilen Pädagogischen Dienstes gibt aus Sicht von Lisas Lehrerin hier zahlreiche wertvolle Tipps und Ratschläge, aber auch sie ist unschlüssig, ob eine Umschulung für Lisa gut wäre, einmal weil sie Lisa nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen will und sie weiterhin hofft, Lisa könne sich leistungsmäßig auch in der Regelschule wieder steigern. Aber auch für die Betreuungslehrkraft stellt ein Scheitern von Lisas Integration in die Regelschule teilweise ein eigenes Versagen dar, was natürlich außer Frage steht, da die wenigen Beratungsstunden im Schuljahr nicht den Ausschlag für eine erfolgreiche Integration oder das Gegenteil geben können. Letztlich liegt die Entscheidung nun bei Lisas Lehrerin, die sich hierbei ganz offensichtlich überfordert und alleine gelassen fühlt, da sie auch um die Nachteile einer Umschulung weiß und nicht sicher beurteilen kann, ob Lisas Lage sich in der Schwerhörigenschule wirklich verbessern wird. www.foepaed.net 144 7. Abschließende Gedanken Die Arbeit an der Aufgabe „Thematisierung von ‚Absehen’ und ‚Schwerhörigkeit’“ in den zwei Regelklassen hat mir persönlich sehr viele neue Inhalte und Sichtweisen eingebracht. Sollte zunächst nur das „Absehen“ in den beiden Integrationsklassen behandelt werden, so merkte ich bereits bei meinem ersten Zusammentreffen mit den beiden Lehrkräften, dass auch das Thema „Schwerhörigkeit“ dringend aufgegriffen und den Schülern näher gebracht werden musste. Für mich war diese Tatsache eine neue Herausforderung und ich erweiterte das Thema meiner Arbeit. Im nachhinein berichteten mir die beiden Regelschullehrerinnen, dass sowohl die Schüler der Klasse als auch sie selbst neue Einblicke und wertvolle Hinweise in Bezug auf Hörschädigung erhalten hatten. Trotzdem denke ich, es könnten noch weit mehr Unterrichtseinheiten in den Klassen zum Thema Schwerhörigkeit gehalten werden bzw. hätte man die beiden Doppelstunden ausweiten und ausführlicher gestalten können. Dies war leider durch den begrenzten Rahmen meiner Arbeit nicht möglich, die beiden Lehrerinnen wollten aber selbst weitere Stunden gestalten. Ich hatte bei beiden bemerkt, dass sie sich vorher nicht an eine Thematisierung der Hörschädigung von Lisa bzw. Paul innerhalb der Klasse gewagt hatten, da sie fürchteten, auf diesem Gebiet nicht über genügend Fachwissen zu verfügen. Durch die Gespräche und auch meine Stundeneinheiten hatten sie aber Anregungen erhalten, wie sie selbst solche Unterrichtseinheiten gestalten könnten. Während meiner Arbeit hatte ich an zwei konkreten Beispielen die Durchführung von Einzelintegration hörgeschädigter Kinder erlebt. Sowohl die beiden Regelschullehrerinnen als auch die Betreuungslehrkräfte des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes waren sehr engagiert und bemüht, den betroffenen Schülern möglichst optimale Bedingungen innerhalb der Regelklasse zu schaffen gleichzeitig aber auch den anderen Schülern gerecht zu werden. Da die Betreuungslehrkräfte aufgrund ihres knappen Zeitkontingents pro bereuter Klasse nur ca. alle 2 Monate für je eine halbe bis dreiviertel Stunde den Regelschullehrerinnen mit Rat und Tat zur Seite stehen können, sind diese die meiste Zeit auf sich gestellt. Dies fordert von beiden aufgrund der hohen Schülerzahlen pro Klasse bzw. der teils sehr schwierigen Schüler ein hohes Maß an Motivationsbereitschaft, Einfühlungsvermögen und Kreativität in manchen Unterrichtssituationen. Die „Integrationsbewegung“ der letzten Jahre ist aktuell und notwendig, da sowohl die neueren medizinischen, technischen als auch pädagogisch-psychologischen Erkenntnisse www.foepaed.net 145 hier einen Weg für hörgeschädigte Kinder eröffnet haben, der nicht mehr umgangen werden kann. Deshalb werden Integrationsklassen, wie ich es in Klasse 1 und Klasse 2 erlebt habe, immer häufiger zur Realität der Regelschulen gehören. Aus diesem Grund sollten die betreffenden Regelschullehrer bestmögliche Unterstützung und Hilfe erhalten, um die Beschulung eines hörgeschädigten Kindes in ihrer Klasse zu einer Bereicherung für alle Beteiligten werden zu lassen. Der Einsatz des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes ist hier ein sehr wichtiger Schritt, allerdings könnte man die Aufgabenbereiche und auch den zeitlichen Rahmen hier noch erweitern damit die Betreuungslehrkraft Aufgaben wie die z.B. die Thematisierung von Schwerhörigkeit in der Klasse zusammen mit dem Regelschullehrer bewältigen kann. Für letzteren wäre es sicher sehr hilfreich, wenn ihm die anfängliche Unsicherheit gegenüber der neuen Situation und dem neuen Fachgebiet durch gemeinsames „Teamteaching“ genommen werden würde, da er hier am praktischen Beispiel den Umgang mit einem hörgeschädigten Kind erleben könnte. Zu begrüßen wäre auch, wenn die Regelschullehrkraft noch vor der Einschulung des hörgeschädigten Kindes die Möglichkeit zur Teilnahme an entsprechenden Seminaren, Fortbildungen oder Vorträgen erhalten würde, um mit einem fundierteren und gesicherteren Wissen der neuen Situation mit einem hörgeschädigten Kind selbstbewusster begegnen zu können. Vielleicht wäre es hier sinnvoll, das Konzept des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes zeitlich und inhaltlich zu erweitern, um so auf jeden Fall bestmögliche Chancen für eine erfolgreiche Integration eines hörgeschädigten Kindes in die Regelschule zu gewährleisten. Selbstverständnis und die einzelnen Lehrerrollen müssen neu bestimmt werden, ferner sollten kooperative Fähigkeiten sowie die Bereitschaft zum interdisziplinären Zusammenarbeiten weiter gefördert werden. Allgemeine Schule und Förderschule sollten gemeinsam Lösungsansätze für die Förderung von Schülern mit indiviuellem sonderpädagogischen Förderbedarf suchen. Hierbei können sich völlig neue Aufgabenfelder für Förderschullehrer ergeben, z.B. indem Seminare und Fortbildungen für die Regelschullehrer abgehalten werden müssen, aber auch in einer noch intensiveren Zusammenarbeit des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes mit den allgemeinen Schulen. Der Weg der Integration für hörgeschädigte Kinder ist neu entdeckt worden, jetzt sollte er bestmöglich gerüstet beschritten werden, damit sein Ziel sicher erreicht werden kann. www.foepaed.net 146 8. Merkblatt Im folgenden soll das Merkblatt für Regelschullehrer vorgestellt werden, welches als erste Hilfe gedacht ist, erfährt ein Lehrer, dass er demnächst erstmals ein hörgeschädigtes Kind in seiner Klasse unterrichten wird. Merkblatt für Regelschullehrer, die ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse unterrichten werden Sie sind Lehrer oder Lehrerin an einer allgemeinen Schule und erwarten demnächst ein hörgeschädigtes Kind in ihrer Klasse? Dieses Merkblatt will Ihnen eine erste Hilfe im Umgang mit dieser für sie momentan neuen und anspruchsvollen Aufgabe sein. 1) Was ist ein Hörschaden? Haben Sie sich schon einmal näher mit der Problematik einer Hörschädigung, den Ursachen und weitreichenden Folgen befasst? Wenn nicht sollten Sie sich zunächst mit diesem Thema vertraut machen. Grundsätzlich kann man Hörschäden in die Schallleitungsschwerhörigkeit und die www.foepaed.net 147 Schallempfindungsschwerhörigkeit einteilen. Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit liegt ein Defekt im Mittelohr vor, der Betroffene hört Sprache und Töne leiser, die Qualität bleibt jedoch erhalten. Durch gut angepasste Hörgeräte ist diese Art der Hörschädigung meist behebbar und ein Kind mit Schallleitungsschwerhörigkeit bedarf meist keiner zusätzlichen sonderpädagogischen Betreuung. Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit sind das Innenohr, der Hörnerv oder entsprechende Regionen im Gehirn geschädigt. Der Betroffene hört leiser aber auch qualitativ schlechter, d.h. Töne und Sprache nimmt er nur verzerrt und unvollständig wahr. Oft sind diese Menschen auch besonders lärmempfindlich, d.h. laute Geräusche (Türen schla-gen, Schreien) können ihnen schmerzhafter erscheinen als normalhörenden Personen. In einem Ton- oder Sprachaudiogramm wird der individuelle Hörschaden für jedes Ohr getrennt (links und rechts) aufgezeichnet bzw. seine Auswirkungen auf das Sprachverstehen dargestellt. 2) Was bedeutet eine eingeschränkte auditive Wahrnehmung für das hörgeschädigte Kind? Um diese Frage besser beantworten zu können, sollten Sie sich selbst einmal bewusst machen, was es heißt, weniger zu hören. Schränken Sie ihr eigenes Hörvermögen durch Verwendung von Ohrstöpseln (Ohropax) ein, eventuell können Sie sich zusätzlich noch große Kopfhörer aufhören aufsetzen, um wirklich möglichst wenig zu hören. Versuchen Sie mit diesem eingeschränkten Gehör einige Stunden lang in ihrem Alltag zurechtzukommen. Wie verstehen Sie jetzt ihre Familienmitglieder? Hören Sie das Telefon klingeln? Müssen Sie den Fernseher lauter drehen? Wenn Sie es sich zutrauen, könnten sie mit diesem eingeschränkten Gehör auch in die Öffentlichkeit, z.B. zum Einkaufen, gehen. www.foepaed.net 148 Wie reagieren die Leute auf das Sie, wenn Sie öfter nachfragen müssen, weil Sie etwas nicht verstanden haben? Überwiegen hier Hilfsbereitschaft oder Skepsis? Sie haben nun selbst erlebt wie es ist, weniger zu hören. Allerdings haben Sie „nur“ leiser gehört, was mit einer Schallleitungsschwerhörigkeit vergleichbar wäre, während das hörgeschädigte Kind in ihrer Klasse meistens unter einer Schallempfindungsschwerhörigkeit leiden wird. Um sich einen Eindruck darüber zu verschaffen wie es ist auch noch verzerrt und lückenhaft zu hören, können Sie sich folgende Filme ansehen, die eine solche Schwerhörigkeit simulieren, außerdem aber auch wichtige Informationen im Umgang mit hörgeschädigten Schülern liefern: Schau mich an, wenn du sprichst! Gemeinsamer Unterricht für hörgeschädigte und normalhörende Schüler. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik. Unterrichtsmitschau der Universität München 1990 Wer schlecht hört muss mehr sehen. Integration Hörbehinderter in Regelschulen. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Universität München. Im Auftrag von Heiner Graf, Sonderschullehrer für Hörbehinderte, mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, Fürstentum Liechtenstein, 1991. Sie haben nun gesehen und gehört mit welchen Einschränkungen in der Perzeption ein schwerhöriges Kind zu kämpfen hat. Entsprechend der Art und dem Grad der Hörschädigung variiert dabei die individuelle Hörsituation. Das hörgeschädigte Kind hat Sprache, welche normalerweise über das Gehör aufgenommen und so „natürlich“ erlernt wird, viel mühsamer und bewusster erworben als die anderen Schüler der Klasse. Vielleicht klingt die Aussprache des betroffenen Kindes leicht „verwaschen“, es lässt gerne Endungen weg oder manche Begriffe sind ihm unbekannt. Dies können alles Folgen der eingeschränkten auditiven Perzeption sein. Nehmen Sie Rücksicht darauf und versuchen Sie dem Kind so gut wie möglich zu helfen! 3) Versorgung mit einem Cochlea Implantat Manche hörgeschädigten Kinder tragen ein Cochlea Implantat (CI). Sollten Sie ein Kind mit CI in ihrer Klasse erwarten, informieren Sie sich in jedem Fall genauer über diese „Innenohrprothese“. Da Kinder mit CI nur sehr selten die allgemeine Schule besuchen, www.foepaed.net 149 sei an dieser Stelle lediglich auf entsprechende Literatur verwiesen, die Ihnen weiterhelfen kann: • Diller, Gottfried: Hören mit einem Cochlear-Implant. Eine Einführung. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg, 1997. ISBN 3-8253-8241-9 • Leonhardt, Annette (Hrsg.): Das Cochlear Implant bei Kindern und Jugendlichen. Ernst Reinhardt GmbH & Co. Verlag, München, 1997. ISBN 3-49701425-7 Der Fall eines schwerhörigen Jungen, welcher schließlich mit einem Cochlear Implant versorgt wurde, wird sehr anschaulich vom Vater des Kindes in dem Buch: • Kessler, Achim: Lukas oder: Unser Weg zum CI. SchulzKirchner Verlag, Idstein, 2000. ISBN 3-8248-0397-6 geschildert. 4) Umgang mit Hörgeräten Eine unentbehrliche Hilfe für das hörgeschädigten Kinder sind seine Hörgeräte, welche meist an beiden Ohren getragen werden, damit Richtung, aus der Schall kommt, bestimmt werden kann. Wichtig zu wissen ist hierbei, dass Hörgeräte bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit den Hörschaden nicht beseitigen sondern nur abschwächen können. Die meisten Kinder tragen ein HdO-Gerät (Hinter dem Ohr), aber auch fast unsichtbare IdO-Geräte (In dem Ohr) sind hin und wieder anzutreffen. Informieren Sie sich über Aufbau und Funktionsweise eines Hörgeräts! Setzen sie sich mit den Eltern des hörgeschädigten Kindes noch vor dem ersten Schultag zusammen und klären sie wichtige Dinge zum Umgang und dem Einsatz der Hörhilfen des Kindes! Hierzu kann auch eine drahtlose Mikrofonanlage (FM-Anlage) gehören, welche die Verständigung zwischen Lehrer und Schüler weiter verbessert. Diese Anlagen vermitteln dem Hörgeschädigten den Eindruck, dass der Lehrer aus nächster Nähe zu ihm spricht, auch wenn dieser sich zur Tafel wendet oder in der Klasse herumgeht. www.foepaed.net 150 In der folgenden Broschüre können Sie die wichtigsten Informationen hierzu knapp zusammengefasst nachlesen: Technischer Ratgeber für Eltern hörgeschädigter Kinder. Herausgeber: Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V., Hamburg 1997 An dieser Stelle soll noch einige Literatur genannt werden, die möglichst knapp und verständlich weitere Informationen zu obigen Punkten liefern kann: Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen. (Löwe, Armin) Universitätsverlag C. Winter GmbH – Programm Edition Schindele, Heidelberg. 1996 Hören – Hörschädigung. Informationen und Unterrichtshilfen für allgemeine Schulen. Hrsg.: Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Hessen. Redaktion: Hartmut Jacobs, Michael Schneider, Jürgen Weishaupt; Frankfurt, 1998. Oder die gleichnamige CD-Rom: Hören – Hörschädigung. Basierend auf der gleichnamigen Broschüre von Hartmut Jacobs, Michael Schneider und Jürgen Weishaupt. Hrsg.: Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen e.V., 1999. Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. (von Hauff, Roswitha / Kern, Walter) Ehrenwirth Verlag, München. 1991 (diese Broschüre ist für Gymnasiallehrer konzipiert worden, beinhaltet aber auch allgemeine Informationen, die für Lehrer aller allgemeinen Schulen nützlich sein können) Natürlich gibt es zu allen Bereichen noch weiterführende Literatur, die sie sich bei Bedarf beschaffen sollten, damit Sie sich in dem für Sie neuen Gebiet fachlich nicht überfordert oder zu unerfahren zu fühlen! 5) Wichtige Hinweise für den Unterricht mit einem hörgeschädigten Kind in einer Regelklasse Einige wichtige Punkte, die Sie sich immer wieder vergegenwärtigen und in Ihrem Unterricht beachten sollten, werden hier kurz genannt: • Wählen Sie eine für den hörgeschädigten Schüler möglichst optimale Sitzordnung! Beachten Sie, dass der Schüler absehen muss und möglichst alle Gesichter seiner Mitschüler im Blick haben sollte. Eine hufeisenförmige oder kreisförmige Sitzordnung wäre hier am idealsten, ferner ist ein Fensterplatz für das hörgeschädigte Kind besonders günstig, da hier alle Gesichter der Mitschüler beleuchtet sind. www.foepaed.net 151 • Verringern Sie soweit möglich Störlärm! Vermeiden Sie zu lauten Lärm von der Straße, unnötiges Stühle rücken, Zwischenrufe aber auch „quietschende“ Kreiden bei der Tafelanschrift. • Achten Sie auf ihre Lehrersprache! – natürliche Sprechweise verwenden – das Sprechtempo dem Sprachverständnis und der Perzeptionsleistung anpassen – sinnentsprechende Akzente setzen – keine Schachtelsätze machen – auch nonverbale Kommunikation einsetzen (Mimik, Gestik, Blickkontakt…) – gut moduliert, rhythmisiert und klar gegliedert sprechen • Wechseln Sie immer wieder die Unterrichts- und Sozialformen! Ein hörgeschädigtes Kind muss sich beim Zuhören besonders stark konzentrieren, deshalb sollten Sie immer wieder Hörpausen in ihren Unterricht einbauen und auch Formen wie Offenen Unterricht, Partnerarbeit etc. nicht scheuen. • Halten Sie Arbeitsaufträge auch schriftlich fest! Um Sicherzugehen, dass das hörgeschädigte Kind Arbeitsaufträge, Hausaufgaben und andere, meist mündlich formulierte Aufgaben verstanden hat, sollten Sie diese an der Tafel oder einer Folie festhalten. • Verwenden Sie viel visuelles Material! Um dem hörgeschädigten Kind die Perzeption zu erleichtern sollten Sie Anschauungsmaterial, Wortkarten, Bilder, Dias usw. einsetzen. Auch der Gebrauch des Tageslichtprojektors ist sehr nützlich, da sie hier mit dem Gesicht zur Klasse gewandt stehen, während Sie bei einer Tafelanschrift nicht gleichzeitig reden sollten, da Ihr Mundbild hier nicht sichtbar ist. • Thematisieren Sie die Schwerhörigkeit in der Klasse Es ist wichtig, die Mitschüler über Probleme und Situation eines Hörgeschädigten zu informieren, um hier Vorurteile abbauen zu können, Verständnis zu fördern und Rücksichtnahme einzuüben. www.foepaed.net 152 Man könnte diese Liste noch weiterführen, sie soll Ihnen aber für den Anfang eine erste Hilfe sein und Anstoß geben zur weiteren Beschäftigung mit bestimmten Schwerpunkten. Abschließend soll eine kurze „Kontrolle für den täglichen Unterricht“ vorgestellt werden, die Sie sich z.B. auf das Pult legen können und die ihnen während des Unterrichts im Umgang mit dem hörgeschädigten Kind immer wieder eine Hilfe sein kann. Kontrolle für den täglichen Unterricht • Funktionieren beide Hörgeräte? • Wenn möglich im Sitzen unterrichten (Absehen) • Nie mit dem Rücken zum Schüler stehen • Kerngedanken der Stunde schriftlich festhalten (Overheadprojektor) • Mundbild muss beim Sprechen sichtbar sein • Nicht überlaut oder überdeutlich sprechen • Auf ausreichende Beleuchtung achten • Hörpausen einlegen • Themenwechsel deutlich angeben • Beim Ausfragen dem Schüler die Fragen schriftlich vorlegen • Wiederholungen und Teilzusammenfassungen einbauen • Schwierige Begriffe und Fremdwörter erklären • Hausaufgaben schriftlich festhalten www.foepaed.net 153 Literaturverzeichnis Alich, Georg: Zur Erkennbarkeit von Sprachgestalten beim Ablesen vom Munde. Inauguraldissertation. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. 1960 Alich, Georg: Der Absehunterricht. In: Sprachanbildung bei Gehörlosen. Hrsg.: Jussen, H. Berlin-Charlottenburg. 1968 (S. 44-55) Blickle, Tanja: Schwerhörig und trotzdem in der Regelschule. verlag modernes lernen, Dortmund. 1998 Boenninghaus, Hans-Georg: Hals-Nasen-Ohrenheilkunde für Studierende der Medizin. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg/NewYork. 1996 Boes Braem, Penny: Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. Signum Verlag, Hamburg. 1995 Claußen, Hartwig W.: Reizwort „Integration“. Zur gegenwärtigen Krise der Schwerhörigenschule. In: Hörgeschädigtenpädagogik 4/1989 (S.195-207) und 5/1989 (S.280290) Julius Groos Verlag, Heidelberg. 1989 Claußen, Hartwig W.: „Integration! (…oder lieber nicht?) In: hörgeschädigte Kinder Heft 4/91 (S.186-194) ; 1/92 (S.44-49) und 2/92 (S.103-107). Verlag hörgeschädigte kinder GmbH, Hamburg. 1991/92 Diller, Gottfried: Hören mit einem Cochlea-Implant. Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH - Programm Edition Schindele, Heidelberg. 1997 Ding, H.: Aurale Rehabilitation Hörgeschädigter. Aller Anfang ist Hören. SpringerVerlag, Berlin, Heidelberg, New York. 1995 Eisenwort, Brigitte, Viehhauser Gundula, Bigenzahn, Wolfgang: Ablesetraining und Arbeitsblätter. Ein Programm zur Förderung des Ablesevermögens für taube und hochgradig schwerhörige Jugendliche und Erwachsene. Julius Groos Verlag, Heidelberg. 1992 Flöther, Manfred: Vertrauensarbeit mit Lehrkräften in Regelschulen und mit Eltern hörgeschädigter Kinder im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes integrativer Betreuung hörgeschädigter Regelschulkinder. In: Hörgeschädigtenpädagogik 2/99 (S.76-85) Median Verlag GmbH. 1999 Hillenmeyer, Margit: Deutsche Gebärdensprache I, Grundkurs für Anfänger – Bayern. München. 8. Auflage 1996 Hollweg, Uta: Integration hochgradig hörbeeinträchtigter Kinder in Grundschulklassen. Hermann Luchterhand Verlag GmbH, Neuwied/Kriftel/Berlin. 1999 Jacobs, Hartmut/Schneider, Michael/Weishaupt, Jürgen: Hören – Hörschädigung. Informationen und Unterrichtshilfen für allgemeine Schulen. DER PARITÄTISCHE, Landesverband Hessen e.V., Frankfurt. 1998 www.foepaed.net 154 Jussen, Heribert Prof. Dr. und Krüger, Michael Dipl.-Psych. Dr.: Manuelle Kommunikationshilfen bei Gehörlosen – Das Fingeralphabet. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Berlin-Charlottenburg. 1975 Kessler, Achim: Lukas oder: Unser Weg zum CI. Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein. 2000 Krepper, Hubert: Didaktische Hilfen im Rahmen des Regelunterrichts – für hörbehinderte Schülerinnen und Schüler. Ludwig Maximilians Universität, München. 1994 Krepper, Hubert: Schwerhörig – na und?! Ein Tag mit Peter in der Grundschule. Ludwig Maximilians Universität München. 1996 Krepper, Hubert: SEG und Primarstufe. Herbert Utz Verlag, München. 1998 Kröhnert, Otto: Die sprachliche Bildung des Gehörlosen. Verlag Julius Beltz, Weinheim. 1966 Lenarz, T.: Cochlea-Implantat. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg. 1998 Leonhardt, Annette: Didaktik des Unterrichts für Gehörlose und Schwerhörige. Luchterhand-Verlag, Neuwied, Kriftel, Berlin. 1996a Leonhardt, Annette: Schulische Integration Hörgeschädigter. Luchterhand Verlag GmbH Neuwied/Kriftel/Berlin. 1996b Leonhardt, Annette (Hrsg.): Das Cochlear Implant bei Kindern und Jugendlichen. Ernst Reinhardt GmbH & Co. Verlag, München. 1997 Leonhardt, Annette: Einführung in die Hörgeschädigtenpädagogik. Ernst Reinhardt Verlag, München. 1999 Leonhardt, Annette (Hrsg.): Gemeinsames Lernen von hörenden und hörgeschädigten Schülern. Verlag hörgeschädigte kinder gGmbH, Hamburg. 2000 Löwe, Armin: Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen. Universitätsverlag C. Winter GmbH – Programm Edition Schindele, Heidelberg. 1996 Lindner, Gerhart: Pädagogische Audiologie. Ullstein Mosby GmbH, Berlin. 1992 Lindner, Gerhart: Absehen – Der andere Weg zum Sprachverstehen. LuchterhandVerlag, Neuwied, Kriftel, Berlin. 1999 Maeße, Hermann: Das Verhältnis von Laut- und Gebärdensprache in der Entwicklung des gehörlosen Kindes. Neckar-Verlag GmbH, Villingen-Schwenningen. 1977 Müller, J.: Kommunikation mit Guthörenden. Über die psychosozialen Auswirkungen einer hochgradigen Hörschädigung aus der Sicht eines Betroffenen. In: Kommunikation mit Schwerhörigen. Tagungsbericht der Arbeitstagung der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder vom 2. Bis 4. Mai 1986 in Berlin. Hrsg.: www.foepaed.net 155 Bundesgemeinschaft d. Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder e.V. Hamburg. 1986 (S. 7-17) Müller, René (Hrsg.): Wege der Integration. Zusammenarbeit von Schule, Elternhaus und Fachleuten bei hörgeschädigten Kindern. Edition SZH/SPC der Schweizerischen Zentralstelle für Heilpädagogik (SZH), Luzern. 1994a Müller, René: „…ich höre – nicht alles!“ Hörgeschädigte Mädchen und Jungen in Regel-klassen. Universitätsverlag C. Winter GmbH – Edition Schindele, Heidelberg. 1994b Müller, René und Hans, Amren (Hrsg.): Hörgeschädigte in der Schule. Luchterhand Verlag GmbH Neuwied/Kriftel/Berlin. 1996 Plath, Peter: Lexikon der Hörschäden. Gustav Fischer Verlag, Suttgart, Jena, New York. 1995 Pöhle, Karl-Heinz: Grundriss der Hörgeschädigtenpädagogik. Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin. 1994 Prillwitz, Siegmund / Vollhaber, Thomas (Hrsg.): Gebärdensprache in Forschung und Praxis. Vorträge vom Internationalen Kongreß Gebärdensprache in Forschung und Praxis Hamburg, 23.-25. März 1990, Signum Verlag. 1991 Renzelberg, Gerlinde: Pädagogische Audiologie – Einführung. Skript zur Vorlesung. Hamburg/München 1997 Seidler, H.: Schwerhörigkeit. Ursachen, Diagnostik, Therapie, Hörgeräteversorgung. Kaden Verlag, Heidelberg. 1996 Tigges, J.: Kommunikation mit Schwerhörigen. In: Kommunikation mit Schwerhörigen. Tagungsbericht der Arbeitstagung der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder vom 2. Bis 4. Mai 1986 in Berlin. Hrsg.: Bundesgemeinschaft d. Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder e.V. Hamburg. 1986 (S. 24-32) von Hauff, Roswitha / Kern, Walter: Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. Ehrenwirth Verlag, München. 1991 Wagenbach, W.: Wer nicht hören kann, muss (ab-)sehen. Verlag SchwerhörigenVerein Koblenz e.V., Koblenz. 1980 Wisotzki, Karl-Heinz: Grundriss der Hörgeschädigtenpädagogik. Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin. 1994 Woods, J. Ch.: Lipreading – A Guide For Beginners. The Royal National Institute For Deaf People, London. Second Edition 1994 www.foepaed.net 156 Broschüren und Zeitschriften Spektrum Hören – Die Zeitschrift für lautsprachliche Erziehung hörgeschädigter Kinder. Hrsg.: Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V. Ausgaben: - Juni 1998 / Nr. 3: Was sollen sie lernen? - Oktober 1998 / Nr. 5: Hörgerichtete Erziehung braucht Technik I - Dezember 1998 / Nr. 6: Hilfe und Selbsthilfe - Februar 1999 / Nr. 1: Hörgerichtete Erziehung braucht Technik II - Mai 1999 / Nr. 2: Erfahrungen mit dem CI - Mai 2000 / Nr. 2: In der Regelschule - August 2000 / Nr. 3: Integration … Hören – Hörschädigung. Informationen und Unterrichtshilfen für allgemeine Schulen. Hrsg.: Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Hessen. Redaktion: Hartmut Jacobs, Michael Schneider, Jürgen Weishaupt; Frankfurt, 1998. Projektgruppe München: Das lautsprachbegleitende Gebärdenverfahren. Druckerei Wagner, München. 1989 Technischer Ratgeber für Eltern hörgeschädigter Kinder. Herausgeber: Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V., Hamburg 1997 Bertelsmann Lexikon 2000 – Ausgabe auf CD-Rom. Verwendete CD-Roms Hören – Hörschädigung. Basierend auf der gleichnamigen Broschüre von Hartmut Jacobs, Michael Schneider und Jürgen Weishaupt. Hrsg.: Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen e.V., 1999. Muskat. Medial unterstütztes Kommunikations- und Absehtraining für Schwerhörige und Ertaubte. Multimediaverlag der IN FORMA – Zentrum für Hörgeschädigte Neuwied gGmbH, 1999. Verwendete Filme Schau mich an, wenn du sprichst! Gemeinsamer Unterricht für hörgeschädigte und normalhörende Schüler. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik. Unterrichtsmitschau der Universität München 1990 Wer schlecht hört muss mehr sehen. Integration Hörbehinderter in Regelschulen. Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Universität München. Im Auftrag von Heiner Graf, Sonderschullehrer für Hörbehinderte, mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, Fürstentum Liechtenstein, 1991. www.foepaed.net 157 FM-Systeme für Kinder. Vorgehensweise, Auswahl und Prüfstrategien. Phonak Video Focus. Phonak AG, 1998. Hörgeräteanpassung im Kindesalter. Phonak Video Focus. Phonak AG, 1997. Verwendete Internetseiten - www.taubenschlag.de (27.11.2000) - www.schwerhoerigen-netz.de (27.11.2000) - www.fh-hannover.de/agreha/hardsim.htm (05.02.2001) - www.ci-centrum.de (05.02.2001) - www.hno-rdi.de/cochl_op.asp (05.02.2001) - www.ukl.uni-freiburg.de/hno/icf/cochlear.html (27.11.2001) - http://sat.eskatoo.de/d/home.html (12.02.2001) - http://www.oticon.de/Index.html (12.02.2001) - http://www.phonak.de/phonak_neu/kapitel/kap2/kap2_5.htm (12.02.2001) - www.isb.bayern.de (12.02.2001) - www.stmukwk.bayern.de/schule/foerders.html (12.02.2001) - http://www.cochlear.com/rcs/cochlear/publisher/web/home_static/index.jsp (12.02.2001) - www.hno-rdi.de/cochlearImplant/cochlea_impl_2.asp (12.02.2001) www.foepaed.net 158 Abbildungsverzeichnis: Abbildung 1: aus: von Hauff, Roswitha / Kern, Walter: Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. Ehrenwirth Verlag, München. 1991; S. 21 Abbildung 2: Renzelberg, Gerlinde: Pädagogische Audiologie – Einführung. Skript zur Vorlesung. Hamburg/München 1997; S. 37 Abbildung 3: aus: von Hauff, Roswitha / Kern, Walter: Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. Ehrenwirth Verlag, München. 1991; S. 19 Abbildung 4: aus: von Hauff, Roswitha / Kern, Walter: Unterricht in Klassen mit hörgeschädigten und hörenden Schülerinnen und Schülern. Hinweise für Lehrer, Schüler und Eltern. Ehrenwirth Verlag, München. 1991; S. 20 Abbildung 5: aus: Renzelberg, Gerlinde: Pädagogische Audiologie – Einführung. Skript zur Vorlesung. Hamburg/München 1997; S. 35 Abbildung 6: Leonhardt, Annette: Einführung in die Hörgeschädigtenpädagogik. Ernst Reinhardt Verlag, München. 1999; S. 51 Abbildung 7: siehe Abb. 11; S. 57 Abbildung 8: Jacobs, Hartmut/Schneider, Michael/Weishaupt, Jürgen: Hören – Hörschädigung. Informationen und Unterrichtshilfen für allgemeine Schulen. DER PARITÄTISCHE, Landesverband Hessen e.V., Frankfurt. 1998; S. 61 Abbildung 9: unter: http://sat.eskatoo.de/d/d21-prod.html Abbildung 10: Werbung der Fima Sennheiser (Sennheiser electronic/Am Labor 1/30900 Wedemark) Abbildung 11: unter: http://www.phonak.de/phonak_neu/kapitel/kap2/kap2_5.htm Abbildung 12: http://www.cochlear.com/rcs/cochlear/publisher/web/home_static/index.jsp Abbildung 13: http://www.cochlear.com/rcs/cochlear/publisher/web/home_static/index.jsp Abbildung 14: www.hno-rdi.de/cochlearImplant/cochlea_impl_2.asp Abbildung 15: Müller, J.: Kommunikation mit Guthörenden. Hrsg.: Bundesgemeinschaft d. Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder e.V. Hamburg. 1986; S. 11 Abbildung 16: siehe Abbildung 15; S. 11 www.foepaed.net 159 Abbildung 17: aus: Hillenmeyer, Margit: Deutsche Gebärdensprache I, Grundkurs für Anfänger – Bayern. München. 8. Auflage 1996; S. 3 Abbildung 18: aus: Hillenmeyer, Margit: Deutsche Gebärdensprache I, Grundkurs für Anfänger – Bayern. München. 8. Auflage 1996; S.25 und S. 31 Abbildung 19: aus: Projektgruppe München: Das lautsprachbegleitende Gebärdenverfahren. Druckerei Wagner, München. 1989; S. 14 Abbildung 20: Eisenwort, Brigitte, Viehhauser Gundula, Bigenzahn, Wolfgang: Ablesetraining Arbeitsblätter. Julius Groos Verlag, Heidelberg. 1992; Liste 46 Abbildung 21: siehe Abbildung 20; Liste 50 Abbildung 22: siehe Abbildung 20; Liste 58 Abbildung 23: siehe Abbildung 20; Liste 54 Abbildung 24: Wagenbach, W.: Wer nicht hören kann, muss (ab-)sehen. Verlag Schwerhörigen-Verein Koblenz e.V., Koblenz. 1980; S. 110 Abbildung 25: siehe Abbildung 20; Liste 67 Abbildung 26: siehe Abbildung 20; Liste 59 Abbildung 27: siehe Abbildung 20; Liste 12 Abbildung 28: siehe Abbildung 20; Liste 19 Abbildung 29: siehe Abbildung 20; Liste 25 Abbildung 30: siehe Abbildung 20; Liste 26 Abbildung 31: Löwe, Armin: Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen. Universitätsverlag C. Winter GmbH – Programm Edition Schindele, Heidelberg. 1996; S. 97 Abbildung 32: www.stmukwk.bayern.de/schule/foerders.html Abbildung 33: Tonaudiogramm Paul: eigenes Material Abbildung 34: Sitzplan Klasse 1 : eigenes Material Abbildung 35: Tonaudiogramm Lisa : eigenes Material Abbildung 36: Sitzplan Klasse 2 : eigenes Material Abbildung 37: Tafelbild „Schwerhörige Menschen“ : eigenes Material Abbildung 38: Tafelbild „Warum wird man schwerhörig?“ (Klasse 1) : eigenes Material www.foepaed.net 160 Abbildung 39: Tafelbild „Das Hörgerät“ : eigenes Material Abbildung 40: Tafelbild „das Absehen“ (Klasse 1) : eigenes Material Abbildung 41: Tafelbild „Warum wird man schwerhörig?“ (Klasse 2) : eigenes Material Abbildung 42: Tafelbild „das Absehen“ (Klasse 2) : eigenes Material www.foepaed.net 161