Frankfurter Allgemeine Zeitung Seite N4 / Mittwoch, 4. Oktober 1995_ Nr-220 Forscher zählen Moleküle an Nervenenden Verblüffend detaillierte Einblicke in die elektrochemische Signalübermittlung an Nervenenden (Synapsen) haben jetzt zwei Wissenschaftler der amerikanischen YaleUniversität gewonnen. Ihnen gelang es sogar, die Zahl der beteiligten Moleküle abzuschätzen. Die beiden Forscher, Dieter Bruns und Reinhard Jahn, verwendeten kultivierte Nervenzellen des Blutegels. Mit Kohlefaser-Elektroden ermittelten sie praktisch verzögerungsfrei die elektrochemischen Veränderungen, die an den Synapsen auftreten, wenn die Nervenzelle aktiviert wird. Die verwendeten Nervenzellen geben den Überträgerstoff Serotonin ab. Dieser Neurotransmitter ist in winzigen Bläschen, sogenannten Vesikeln, gespeichert. Wird die Nervenzelle erregt, schütten die Vesikeln den Überträgerstoff aus. In den untersuchten Neuronen des Blutegels kommen zwei unterschiedlich große Arten von Bläschen vor. Wie die Messungen ergaben, entleert sich das kleinere Vesikel innerhalb von rund 260 millionstel Sekunden (Mikrosekunden). Dabei werden ungefähr 4700 Serotonin-Moleküle freigegeben („Nature", Bd. 377, S. 62). Die großen Vesikeln schütten etwa 80 000 Moleküle aus. Dafür benötigen sie rund 1,3 tausendstel Sekunden. Beide Arten von Bl ä sch e n r e a gier en a u ßer or d en t l ich schnell, durchschnittlich innerhalb von 60 Mikrosekunden, auf das Signal zur Freisetzu ng. Nach An sicht der F orscher spricht das dafür, daß sich eine spezielle Pore schlagartig öffnet. F.A.Z.