Prof. Dr. Th. Klatetzki, Universität Siegen; PD Dr. V. Tacke, Universität Bielefeld Organisation und Profession in der Gesellschaft des Wissens Tagung der AG Organisationssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 8./9.10.2003 an der Universität Siegen Tagungskonzept Die Tagung rückt das Verhältnis von Organisation(en) und Profession(en) ins Zentrum. Sie behandelt dieses Verhältnis unter dem spezifischen Gesichtspunkt gesellschaftlicher Veränderungen im Bereich der Formen und Strukturen des Wissens, wie sie gegenwärtig auch unter dem Stichwort der „Wissensgesellschaft“ zusammengefaßt werden. Seit ungefähr der Mitte des letzten Jahrhunderts wird beobachtet, dass Wissen zu einer entscheidenden Komponente der gesellschaftlichen Entwicklung wird. In den Blick ist dabei zunächst die Wirtschaft geraten: „Knowledge, not labor or raw material or capital, is the key ressource“ (Drucker 1968, 1994). Die Ökonomie sei, so die Diagnose, zunehmend weniger an industrieller Fertigung und zunehmend mehr an 'postindustriellen' wissensintensiven Dienstleistungen Berufen Strukturveränderungen sind erbracht in orientiert werden. der (Bell 1973), Die sich damit Soziologie auf den die von einstellenden Begriff der Dienstleistungsgesellschaft (Fourastié 1954, Häußermann/Siebel 1995) gebracht worden. Verschiebt sich einerseits das Verhältnis zwischen wissensintensiven Dienstleistungen und industrieller Fertigung, sind die produktiven Tätigkeiten andererseits selbst kaum noch von traditionellem Erfahrungswissen, sondern zunehmend von theoretischem bzw. wissenschaftlichem Wissen abhängig. Unter diesem Gesichtspunkt wurde die Gesellschaft dann auch als Wissenschaftsgesellschaft bezeichnet (Kreibich 1986). Soweit in der Wissenschaft eine dominante Produktivkraft gesehen wird, scheinen andere Wissensformen eine Abwertung zu erfahren. In sozialer Hinsicht erlangt die Verfügung über wissenschaftliches Wissen dann eine wachsende Bedeutung auch für die Zuweisung von sozialem Status. Die gesellschaftlich prägende Symbolfigur wird nicht mehr im sachgüterproduzierenden Arbeiter mit Erfahrungswissen gesehen, sondern im dienstleistungsorientierten „Symbolanalytiker“ (Reich 1992). Eine 1 Prof. Dr. Th. Klatetzki, Universität Siegen; PD Dr. V. Tacke, Universität Bielefeld akademisch gebildete, neue Klasse (Kellner/Berger 1992) etabliert sich und gewinnt in allen Lebensbereichen an Bedeutung in einer Gesellschaft, die unter diesem Gesichtspunkt schließlich auch als Expertengesellschaft charakterisiert werden könnte. War das Bild einer sich entfaltenden Dienstleistungs-, Wissenschafts- und Expertengesellschaft Verständnis zunächst sozialen Wandels durch ein geprägt, optimistisches so zeigte fortschrittsorientiertes sich schnell, dass der 'wissenschaftliche Fortschritt' Folgeprobleme in sich birgt und sich in sein Gegenteil verkehren kann. Vor allem mit dem Konzept der Risikogesellschaft wurde versucht, diesem Sachverhalt soziologisch Rechnung zu tragen (Beck 1986, Bonß 1994, 2002). Sofern gesellschaftliche wissenschaftsabhängig Risikoprobleme entstehen, wissenschaftsinduziert falsifizieren sie die seit der sind und Aufklärung eingeschliffene Annahme eines linearen wissenschaftlichen Fortschritts. Denn zum einen führen Verwissenschaftlichungsprozesse trotz aller Informationsvermehrung keineswegs zu einem kumulativen Wissenszuwachs und einer wachsenden Berechenbarkeit der Welt. Auf der Rückseite des Wissens wächst vielmehr das Nichtwissen gleichermaßen mit. Und zum anderen wurde die Wissenschaft – als das zentrales Medium der Entzauberung der Welt – im Zuge ihrer Durchsetzung selbst entzaubert. Gerade weil die Wissenschaft kein eindeutiges und definitiv sicheres Wissen produziert, verliert sie ihren exklusiven, Überlegenheit beanspruchenden Status. Weil „absolute Rationalität“ (Perrow 1984) sich als Fiktion erwies, steht die alte Formel „mehr Wissen = mehr Vernunft = mehr Beherrschbarkeit der inneren und äußeren Natur“ selbst in Frage und es kehren Ambiguität, Unsicherheit und Nichtwissen in die Gesellschaft zurück. Zeitgleich mit dem „deepening sense of crisis in the modern system of knowledge“ (Kothari 1987) treten andere Wissenskonzeptionen auf den Plan, wie z. B. das unsichere Wissen (Kahnemann et al. 1986), das normative Wissen und das ästhetische Wissen (Habermas 1982), das lokale Wissen (Geertz 1983), das prozedurale Wissen (Anderson 1983), das stillschweigende Wissen (Polanyi 1967), das verkörperte Wissen (Zubof 1988), das 2 Prof. Dr. Th. Klatetzki, Universität Siegen; PD Dr. V. Tacke, Universität Bielefeld weibliche Wissen (Belenky et al. 1986), das narrative Wissen (Bruner 1990), oder auch das Nichtwissen (Smithson 1989). Wissenschaft wird so zu einem Wissensmuster neben anderen. Da Wissen Realität repräsentiert, implizieren unterschiedliche Wissensformen unterschiedliche Wirklichkeitsvorstellungen und damit auch differierende Handlungspräferenzen und optionen. Weil sich der Stellenwert von Wissen für das Handlungsvermögen gesellschaftlicher Akteure gewandelt hat, läßt das Auftreten neuer Wissenskonzeptionen sozialstrukturelle Auswirkungen erwarten. Bescheinigt wird der Wissensgesellschaft nicht zuletzt eine Zerbrechlichkeit sozialer Beziehungen durch veränderte Machtkonstellationen (Stehr 2000). Der so skizzierte Strukturwandel des Wissens und die damit verbundenen Folgen und Probleme sollen auf der Tagung in Bezug auf Organisationen und Professionen betrachtet werden. Denn zum einen blieb der Professionsbegriff von den Wandlungen des Wissens nicht unberührt. Wurden bisher vielfach diejenigen Berufe als professionell bezeichnet, deren Handeln auf wissenschaftlichem Wissen basierte und die eine Gemeinwohlorientierung aufwiesen (üblicherweise waren dies vor allem Ärzte und Juristen), und galten entsprechend als semi-professionell die Berufsgruppen, die sich im Prozess der Professionalisierung befanden (hier richtete sich der Blick vor allem auf Sozialarbeiter und Lehrer), so wird der Begriff heute tendenziell auf alle beruflichen Tätigkeiten ausgedehnt, die sich um eine kognitive Stilisierung ihre Handelns bemühen. Diese semantische Veränderung lässt sich als Ausdruck sozialstruktureller Veränderungen des beruflichen Macht- und Statusgefüges verstehen. Mit der Relativierung wissenschaftlichen Wissens verlieren die Professionellen zunehmend ihre, wie Zygmunt Bauman (1987) sagt, „gesetzgebende“ Rolle in der Gesellschaft. Sie werden zu bloßen Lieferanten brauchbaren, d.h. konsumierbaren Wissens neben anderen Lieferanten. Zum anderen rückt in Bezug auf Organisationen nun die Organisation bzw. das Management des Wissens in den Blickpunkt. Die überbordende Literatur über lernende Organisationen und Wissensmanagement unterstellt, dass nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen etwas wissen und mehr wissen können, 3 Prof. Dr. Th. Klatetzki, Universität Siegen; PD Dr. V. Tacke, Universität Bielefeld d.h. lernfähig sind. Das Interesse gilt vornehmlich nicht mehr der Organisation der Arbeit, sondern der Wissensarbeit, die sich dadurch auszeichne, dass relevantes Wissen permanent als revidierbar und verbesserungsfähig gilt, prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und zugleich untrennbar mit Nichtwissen, also mit Risiken verbunden sei (Willke 1998). Mit solchen Konzepten drängt sich dann allerdings die Frage auf, inwieweit sich hier eine Verschiebung oder gar eine Verabschiedung der Differenz von Profession und Organisation andeutet. Im Rahmen der Tagung sollen die Unübersichtlichkeiten im Verhältnis von Profession, Organisation und Wissen beschrieben und analysiert sowie die sich abzeichnenden neuen Konstellationen und Folgeprobleme diskutiert werden. Dies soll vor allem im Hinblick auf die so genannten professionellen bzw. semi-professionellen Organisationen geschehen, d.h. im Hinblick auf Universitäten, Krankenhäuser, Anwaltskanzleien, Kirchen, Schulen und soziale Dienste. Dass die Organisationen der Professionellen von einer Änderung der Wissensordnung besonders betroffen sind, ergibt sich unmittelbar aus dem Umstand, dass hier wissensbasierte Berufe wissensintensive Dienstleistungsarbeit verrichten. Die gesellschaftlichen Diskussionen über die Reform der Universitäten, über die Entwicklung von Schulen 'nach Pisa', über die Neuorganisation des Gesundheitswesen und die Systeme sozialer Sicherung ebenso wie die nicht verstummen wollende Debatte über den Stellenwert geistesund sozialwissenschaftlichen Wissens sind Ausdruck dieses Sachverhalts und unterstreichen die Relevanz des Tagungsthemas. 4