TEIL 2. BURNOUT SYNDROM – DIAGNOSTIK UND BEHANDLUNG S. Stock Gissendanner, C. Stock, K. Tigges-Limmer und G. Schmid-Ott INHALT 1 Einführung zum Teil 2 1.1 Verlaufsmodelle 1.2 Auswirkungen auf die Gesundheit 2 Diagnostik 2.1 Selbstdiagnostik und Fragebögen 2.2 Klinische Diagnostik 2.3 Differentialdiagnostik 3 Behandlung 1 Einführung zum Teil 21 Mit der wachsenden Prävalenz und Bekanntheit wächst auch der Bedarf an fundiertem Wissen über das Burnout-Syndrom bei Behandlern in der klinischen Psychologie bzw. Psychosomatik und Psychiatrie. Die Fortbildung wird in zwei Teilen angeboten. Im ersten Teil werden Aspekte des wissenschaftlichen Diskurses um die Definition * Burnout-Syndroms sowie die Versuche, seine Pathogenese Die im folgenden Text verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen beziehen sich auf Personen beiderlei Geschlechts. zu beschreiben, dargestellt. Dieser zweite Teil widmet sich den vorhandenen Verlaufsmodellen, den bekannten weiterführenden gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Burnout-Syndroms, der Diagnostik sowie der Behandlung. Teil zwei orientiert sich an folgenden Lernzielen: • Burnout-Syndrom als langfristiger Verlauf mit weiteren negativen gesundheitlichen Auswirkungen nachvollziehen; 1.1 • Praktische Regeln für die klinische Diagnostik resümieren; • Das Burnout-Syndrom von Syndromen mit ähnlicher Symptomatik abgrenzen; • Bewährte Strategien der Behandlung kennen. Verlaufsmodelle Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, "dass Burnout, zumindest in den meisten Fällen und von außen beobachtet, ein schleichend einsetzender und langwieriger Prozess ist".1 Aber der Konsens darüber fehlt noch, wie der Verlauf – und die damit zusammenhängende Ätiologie – des Burnout-Syndroms zu verstehen ist. Einige Autoren argumentieren, dass Regelmäßigkeiten im Auftreten von Symptomen zu beobachten sind. Auf deren – fast ausschließlich klinischen – Erfahrungen basierend, schlagen sie unterschiedliche Verlaufsmodelle vor. Diese Modelle beruhen nicht auf größeren randomisierten Stichproben. Darüber hinaus gibt es bisher kaum Burnout-Syndrom-Studien mit Zeitreihen, die zur Bildung eines Phasenmodells zwingend notwendig wären.2 Dementsprechend gehen die Beschreibungen typischer Verläufe auseinander. Aber auch wenn die vorhandenen Phasenmodelle auf Intuition rühren, sind sie heuristisch von Bedeutung. Einige der bekanntesten sollen hier kurz umrissen werden. Ein frühes Phasenmodell wurde von Edelwich und Brodsky3 entwickelt (Abb. 1). In diesem sowie in fast allen Modellen wird davon ausgegangen, dass die Betroffenen sich anfangs mit großen Hoffnungen und Energien voran bewegen. Im Gegensatz zu diesen Einstellungen und Verhaltensweisen stehen aber unrealistische Erwartungen an sich selbst bzw. an die Umwelt. In einer daraufhin folgenden Phase des Stillstands werden die anfänglichen Ideale relativiert. "Noch immer erledigt der Betroffene seine Arbeit, diese ist aber schon lange nicht mehr so spannend für ihn wie am Anfang. In der Frustrationsphase erkennt er wie wenige Handlungsspielräume er wirklich hat. Er hat erfahren wie machtlos er eigentlich ist und stellt den Wert seiner Arbeit und seine Arbeitseffektivität in Frage. Die Endphase der Apathie oder innere Kündigung folgt als Abwehr; es wird nur noch das Nötigste gemacht".4 Abbild 1: Phasenmodell von Edelwich und Brodsky3, Zusammenfassung nach Burisch1 Stillstand Idealistische Begeisterung – – – – – – Selbstüberschätzung Hochgesteckte Ziele Omnipotenzphantasien Optimismus Hohe Energie Überidentifikation mit der Arbeit – – – – – – Erste Enttäuschungen Bedürfnisse nach Komfort, Freizeit, Freunden, Karriereaussichten werden wichtiger Beschränkung der Kontakte auf Kollegen Reduzierung des Lebens auf die Arbeit Familienleben leidet Rückzug von Klienten Frustration – – – – – – – – Erfahrung der Erfolglosigkeit und der Machtlosigkeit Probleme mit Bürokratie Fühlbarer Mangel an Anerkennung von Klienten und Vorgesetzten Zu viel Papierkrieg Gefühl der Inkompetenz Psychosomatische Störungen Drogengebrauch Überernährung Apathie – – – – Völlige Desillusionierung Verzweiflung wegen schwindender beruflicher Alternativen Resignation Gleichgültigkeit Das Modell von Matthias Burisch, zusammengefasst in Tabelle 1, gewinnt an Anerkennung im deutschen Sprachraum. Nach Burisch fängt das Burnout-Syndrom nicht mit dem Gefühl der Begeisterung für die Berufstätigkeit, sondern überhaupt erst nach einer Zäsur oder einer Überlastungssituation im Berufsleben an. Danach erlebt der Betroffene vier Entwicklungsstufen, die noch in weiteren Phasen differenziert werden können. In Phase 1 wird zum ersten Mal ein ernsthafter und chronischer Stress erlebt. Es erfolgen in Phase 2 Symptome, die Edelwich und Brodskys Phasen der Frustration und Abwehr – manche benennen es „manische Abwehr“ – entsprechen. Die Phase 3 des Modells trägt den Befunden der neueren Forschung Rechnung, dass sich die Depressive Symptomatik im späteren Verlauf bis hin zur klinischen Depressiven Störung in der letzten Phase 4 verstärkt. Es lässt sich darüber spekulieren, ob sich die Burnout-Symptomatik als Vorstadium einer klinischen Depressiven Störung entwickeln kann, wobei die Frage nach der Kausalität noch ungeklärt ist (siehe auch 2.2). Tabelle 1: Phasenmodell nach Burisch, Zusammenfassung von R. von Känel (2008)5 Entwicklungsstufe Phase Symptome Chronischer Stress 1. Erste Warnzeichen Burnout 2. Reduziertes Engagement Depressive Symptomatik 3. Emotionale Reaktion Gesteigerter Einsatz für Ziele, Zunahme der Überstunden, Erschöpfung, vegetative Überreaktion Reduzierte soziale Interaktion, negative Einstellung zur Berufstätigkeit, Konzentration auf eigenen Nutzen Insuffizienzgefühle, Pessimismus, Leere, Hoffnungslosigkeit, Energiemangel, Gefühl von Hilflosigkeit, Schuldzuschreibung an andere bzw. <<das System>> 4. Abnahme von… 5. Abflachen… 6. Psychosomatische Reaktionen Klinische Depressive Verstimmung 1.2 7. Depressive Verstimmung und Verzweiflung … kognitiven Fähigkeiten, Motivation, Kreativität und Differenzierungsfähigkeit … des emotionalen und sozialen Lebens und kognitiver Interessen Spannung, Schmerzen, Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, keine Erholung in der Freizeit mehr möglich, veränderte Essgewohnheiten, Substanzgebrauch Gefühl von Sinnlosigkeit, negative Lebenseinstellung, existenzielle Verzweiflung, Suizidgedanken oder -absichten Auswirkungen auf die Gesundheit In den letzten Jahren konnten statistische Verbindungen zwischen dem BurnoutSyndrom und der Prävalenz körperlicher Krankheiten nachgewiesen werden.6,7 Korrelationen mit folgenden spezifischen Störungen sind sowohl epidemiologisch als auch klinisch belegt worden. Schlafstörungen: Das Burnout-Syndrom wird von Schlafstörungen begleitet, die teufelskreisartig den Erholungseffekt des Schlafes vermindern; polysomnographische Untersuchungen zeigen bei Patienten mit hohen Burnout-Syndrom-Werten eine Verminderung der Tiefschlafphasen, eine Fragmentierung des Schlafes und Tagesschläfrigkeit.8,9 10 Im Umkehrschluss kann ein Fokus auf Schlafstörungen als Indikator der Genesung sinnvoll sein.11,12 Depressive Störungen: Das Burnout-Syndrom und Depressive Störungen korrelieren stark.10,13,14 Es häufen sich Belege für einen prozesshafteren Zusammenhang zwischen dem Burnout-Syndrom und Depressiven Störungen. Das Burnout-Syndrom scheint eine vermittelnde Rolle zwischen Job, Stress und klinischer Depressiver Störung zu spielen (siehe Abschnitt 2.3, Differentialdiagnostik).15 Muskuloskelettale Schmerzen, kardiovaskuläre Krankheiten und Hauterkrankungen: In neueren Studien wurden Burnout-Symptome als möglicher Risikofaktor für erhöhte muskuloskelettale Schmerzen und kardiovaskuläre Krankheiten identifiziert. Betroffene Frauen neigen offenbar eher zu muskuloskelettalen Schmerzen, Männer zu kardiovaskulären Krankheiten.6,6,16-18 Melamed und Kollegen beweisen eine signifikante Korrelation zwischen dem Burnout-Syndrom und einer Reihe von physiologischen Mediatoren und Markern, die wiederum mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten assoziiert sind.18-20 Eine Verbindung mit kutanen und allergischen Erkrankungen konnte ebenfalls beobachtet werden.9 Diabetes mellitus Typ 2: Eine Assoziation zwischen dem Burnout-Syndrom und Diabetes mellitus Typ 2 konnte in zwei neueren Studien dokumentiert werden.21,22Es wurde beobachtet, dass das Burnout-Syndrom mit einem veränderten Serumspiegel von HbA1C (glykiertem bzw. glykosyliertem Hämoglobin) zusammenhängt. HbA1C gibt den mittleren Blutzuckerwert der letzten acht Wochen wieder und das Burnout-Syndrom geht offenbar mit einem erhöhten HbA1C -Wert einher.21,23,24 2 Diagnostik 2.1 Selbstdiagnostik mit Fragebögen Vom Burnout-Syndrom Betroffene wenden sich in der Regel als erstes an ihren Haus- oder Betriebsarzt, jedoch oft ohne zu wissen, worunter sie genau leiden. Es gibt Patienten, die sich wegen Arbeitsstress beklagen und denen klar ist, dass ihr Problem arbeitsbezogen sein muss. Es gibt aber auch Patienten, die eine ausgeprägte körperliche oder psychische Reaktion auf Stress erleben, ohne dass sie eine Verbindung zu Arbeitsstress bewusst wahrnehmen. Oft erkennt erst der Arzt, dass sie unter schwierigen Stressbedingungen bei der Arbeit leiden. Die im ersten Teil, Abschnitt 2.2 genannten Burnout-Syndrom-Fragebögen sind in diesem Zusammenhang nützlich. Durch den Betriebs- oder Hausarzt eingesetzt, können sie Patienten auf die Problematik des Arbeitsstresses aufmerksam machen und damit auch die Differentialdiagnostik erleichtern. Die Fragebögen sind aber lediglich Screening-Instrumente. Mit dem steigenden Bekanntheitsgrad des Themas „Burnout-Syndrom“ machen sich immer mehr Arbeitnehmer die Mühe, im Internet eines der vielen vorhandenen Burnout-Syndrom-Screening-Instrumente auszufüllen. Es steigt also die Zahl der Patienten, welche eine Arztpraxis mit einer Selbstdiagnose „Burnout-Syndrom“ betreten. 2.2 Klinische Diagnostik Wenn der Arzt die Verdachtsdiagnose eines Burnout-Syndroms hat, gibt es keine anerkannte Richtlinie und kein standardisiertes Vorgehen, welche die Diagnostik unterstützen.2,25 Klinisch wird die Diagnose meist anhand "des Leitsymptoms andauernder Erschöpfung und anderer psychosomatischer Beschwerden mit dem Begleitphänomen Distanzierung von der Arbeit und reduzierter Leistung" festgestellt. Es gibt eine sehr große Zahl an assoziierten Symptomen, die einen Zusammenhang mit dem Burnout-Syndrom zu haben scheinen. Diese umfassen dutzende von Symptomen in insgesamt sieben Clustern, zusammengefasst von Kaschka und Kollegen (Abb. 2). Abbild 2: Symptom Katalog nach Kashka und Kollegen26 Symptom-Cluster bei Burnout (modifiziert nach [4]; Langfassung im Internet) • Warnsymtome der Anfangsphase - vermehrtes Engagement für Ziele - Erschöpfung • reduziertes Engagement - für Patienten und Klienten - für andere allgemein - für die Berufstätigkeit - erhöhte Ansprüche • emotionale Reaktionen; Schuldzuweisungen - Depression - Aggression • Abbau - der kognitiven Leistungsfähigkeit - der Motivation - der Kreativität - Entdifferenzierung • Verflachung - des emotionalen Lebens - des sozialen Lebens - des geistigen Lebens • psychosomatische Reaktion • Verzweiflung R. von Känel schlägt einen Algorithmus vor (Abbild 3). Die Diagnostik fängt mit der Klärung der Ursache der Erschöpfungssymptomatik an. Für die Differentialdiagnostik liefert eine umfassende biopsychosoziale und körperliche Anamnese wichtige Hinweise; die Schlafanamnese sollte an dieser Stelle nicht fehlen. Es muss in diesem ersten Schritt zunächst geprüft werden, ob relevante diagnostische Hinweise auf somatische Ursachen bzw. psychische Störungen (mit Ausnahme depressiver Störungen) vorliegen. Wenn eine psychosomatische Störung mit einer Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit nicht ausgeschlossen werden kann, erfolgt empfiehlt sich eine nähere Analyse der Arbeitsplatzsituation. In diesem Schritt muss ebenfalls untersucht werden, ob ausreichende diagnostische Kriterien für eine Depressive Störung bzw. CFS vorliegen, was aber häufig eine besondere differentialdiagnostische Herausforderung darstellt, weil das Burnout-Syndrom oft mit einer Depressiven Störung einhergeht. Abb. 3: Diagnostikalgorithmus des Burnout-Syndroms von Kardinalsymptom Anhaltende Erschöpfung als Kardinalsymptom Biopsychosoziale und körperliche Anamnese, mit ergänzenden Labordiagnostik. Psychosomatische Krankheit Psychiatrische Störung Arbeitsplatzanamnese Stressoren, Entfremdung & Zynsismus, Begleitsymptome, Dauer der Symptomatik Burnout-Syndrom Verlängerter Fatigue Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) Somatische Krankheit Quelle: In Anlehnung an R. von Känel.5 Da der Kenntnisstand in Bezug auf die immunologischen und endokrinologischen Auswirkungen von Stress weiter zunimmt, stellt sich die Frage, ob man schon die körpereigenen Biomarker zur Diagnostik eines Burnout-Syndroms mit einbeziehen kann. Die Forschung fragt z. B. nach, ob über die Bestimmung der Tätigkeit der HPA-Achse Einblicke in Erschöpfungsprozesse gewonnen werden können.27 Ein Versuch in diese Richtung stellt das Projekt „Neuropattern“ des Trierer Professors Dirk Hellhammer dar. „Neuropattern erfasst Fehlregulationen bei Stress mittels psychologischer, biologischer und symptomatischer Messungen. Auf diese Weise lassen sich charakteristische Muster stressinduzierter Veränderungen identifizieren, aus welchen sich spezifische Behandlungsempfehlungen ableiten lassen.“ Patienten werden vom Hausarzt angemeldet; sie erhalten dann vom Labor der Trierer Universität ein Testset, damit sie Informationen zu ihren Cortisol- und Noradrenalinspiegeln sowie zu ihrer Herzfrequenz selber sammeln können. Dazu füllt sowohl der Patient als auch der Hausarzt Fragebögen zu einer Reihe von Symptomen aus. Bei einer Studie von 100 Neuropattern-Teilnehmern identifizierten die Forschungsgruppe nicht weniger als sechs verschiedene Formen des BurnoutSyndroms. Die häufigste Variante ist durch einen erhöhten Noradrenalin- bzw. Adrenalinspiegel bei den Menschen charakterisiert, welche über kürzere Zeitspannen Hochleistung bringen mussten. „Wie ein Auto, das ständig Höchstgeschwindigkeit fährt und so sein ganzes Benzin verbrennt, verbraucht ein solcher Mensch all seine Noradrenalin-Vorräte bei der Berufstätigkeit. Außerhalb der Berufstätigkeit, beispielsweise an Wochenenden oder im Urlaub, sind dann die Vorräte erschöpft.“28 Zwei weitere häufige Muster betrafen die Cortisolregulierung und kamen bei Personen vor, die über längere Zeitspannen konzentriert arbeiten oder z. B. ein Familienmitglied pflegen mussten. 2.3 Differentialdiagnostik Keines der Burnout-Syndrom-Messinstrumente enthält differentialdiagnostische Screeninginstrumente. Außerdem ist wegen der sehr hohen Zahl an Symptomen, die mit dem Burnout-Syndrom assoziiert werden, eine deutliche Abgrenzung zu anderen Diagnosen kaum möglich. R. von Känel publizierte eine Liste somatischer Krankheiten und psychosomatischer bzw. psychischer Störungen, die Burnout-Syndrom-ähnliche Symptome hervorrufen und bei der Differentialdiagnostik berücksichtigt werden sollten (Tabelle 2). Nach dem HTA-Bericht (HTA = Health Technology Assessment bzw. systematische Bewertung gesundheitsrelevanter Prozesse und Verfahren:) des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Informationen wird in der Literatur vor allem der Zusammenhang mit Depressiven Störungen, anhaltender Erschöpfung (v.a. „chronic fatigue sydrome“) und Alexithymie (so genannter „Gefühlsblindheit“) unterstrichen.29 Tabelle 2: Differentialdiagnosen zum Burnout-Syndrom5 Ursachen Krankheiten bzw. Störungen Somatisch Anämie, Eisenmangel Hypothyreose, Diabetes, Nebenniereninsuffizienz Herzinsuffizienz, COPD Niereninsuffizienz Borreliose, HIV, Tuberkulose Malignome, Lymphome, Leukämien Entzündliche Systemerkrankungen Degenerative Erkrankungen des ZNS Obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, Restless-Legs-Syndrom Medikamentennebenwirkungen Psychosomatisch / Chronic-Fatigue-Syndrom Psychiatrisch Dysomnien Neurasthenie Somatisierungsstörungen Depressive Störungen Generalisierte Angsterkrankung Posttraumatische Belastungsstörung Essstörungen Substanzmissbrauch (Alkohol, Beruhigungsmittel) 3.3.1 Abgrenzung zu Depressiven Störungen (vor allem ICD-10 F32 und F33) "Die Wahrscheinlichkeit einer Komorbidität nimmt mit dem Schweregrad der BurnoutSymptomatik zu".4 Bei ungefähr der Hälfte aller Patienten mit Symptomen eines Burnout-Syndroms liegt auch eine Depressive Störung vor.13 Aber das BurnoutSyndrom und die Depressive Störung sind vermutlich eher zwei unterschiedliche Syndrome.30 Erschöpfung über einen längeren Zeitraum ist das Kardinalsymptom eines BurnoutSyndroms, aber erst eins von neun Kriterien für die Diagnose einer schweren Depressiven Störung.9,30 "Eine niedergeschlagene, gedrückte Stimmung (depressiver Affekt), Interessenverlust und Freudlosigkeit (Anhedonie) sowie ein verminderter Antrieb über die Dauer von zwei Wochen sind die Kardinalsymptome einer Depressiven Störung gemäss ICD-10".9 Antidepressiva zeigen eine schlechtere Wirkung auf Erschöpfung als auf depressive Störungen.5 Es wird seit einigen Jahren schon hypothetisiert, dass die Depressiven Störungen und das Burnout-Syndrom eine ähnliche Ätiologie haben und sich parallel entwicklen.14 Ahola und Kollegen argumentieren, dass das Burnout-Syndrom eine vermittelnde Rolle zwischen Beruf, Stress und Depressiver Störung spielt.15 Einige praktische Anhaltspunkte zur Differenzierung werden im folgenden dargestellt (siehe auch Abb. 3): • Das Burnout-Syndrom ist in der Regel spezifisch in Bezug auf Kontexte der Berufstätigkeit, während Depressiven Störungen in der Regel weniger kontextspezifisch sind.31,32 • Beim Burnout-Syndrom treten seltener typische depressive Denkverzerrungen, Suizidgedanken, Lust- und Appetitminderungen auf. • "Das Burnout-Syndrom hat andere Auswirkungen: Die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit nimmt aufgrund der emotionalen Distanzierung von Berufstätigkeit und Kollegen und vom Gefühl der Wirkungslosigkeit bei der Berufstätigkeit ab – nicht nur aufgrund des Erschöpfungszustandes."4 • "Burnout-Syndrom-Betroffene haben im derselben Kontext ihrer Berufstätigkeit vorher adäquate Leistung ohne auffälligen Affekt erbracht."4 • "Wird der Patient beim Erheben der Anamnese gefragt, was er tun würde, wenn er nicht derart erschöpft wäre und er antwortet mit einer Reihe von Aktivitäten, die er bei höherem Energielevel gerne unternehmen würde, so ist dies ein guter klinischer Hinweis darauf, dass der Patient nicht relevant depressiv ist." 5 3.3.2. Abgrenzung zum Chronic Fatigue Syndrom (CFS) (ICD-10 G93.3) Das Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) wird von einigen Forschern als eine Erschöpfungskrankheit unbekannter Ursache im Sinne einer eigenständigen Entität angesehen. Es ist charakterisiert "durch eine mehr als sechs Monate andauernde durchdringende Müdigkeit (nicht Schläfrigkeit),...die sich durch Ruhe nicht bessert"; es setzt oft nach einem Infekt ein und ruft Begleitsymptome hervor wie z. B. "Schluckschmerzen, druckdolente Lymphknoten und einen neuartigen Kopfschmerz".5 Im Vergleich zu vom Burnout-Syndrom Betroffenen sehen Patienten mit einem Erschöpfungssyndrom incl. des CFS häufig in äußeren Ursachen die Erklärung für ihre Problematik. "Sei es eine belastende Auseinandersetzung, nicht selten aber auch eine...medizinische oder paramedizinische Erklärung."33 3 Behandlung „Die meisten psychosomatischen Fachkliniken bieten inzwischen Therapieangebote für Betroffene an, einschließlich Konzepte für spezifische Berufsgruppen. Es hat sich inzwischen ein fast unüberschaubarer Markt für Burnout-Syndrom-Behandlungen gebildet."4 Für ein komplexes Krankheitsbild wie das Burnout-Syndrom ist eine komplexe, interdisziplinäre und multimodale Behandlung angemessen. Die meisten Psychotherapeuten sind sich darin einig, dass Betroffene zwei Hauptbereiche bearbeiten müssen.34 Erstens müssen sie lernen, ihren Umgang mit Stress zu ändern. Das heißt Stressvermeidung, Stressbewältigung und Stressabbau. Konzepte fokussieren auf Entspannungstechniken, Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder auch ggfs. Psychoanalyse. Auch Sporttraining kommt dazu. Aus psychotherapeutischer Sicht ist es jedoch wichtig, dass die Patienten nicht nur lernen, sich zu entspannen, sondern auch, welche tiefere psychologische Motivation sie dazu bewegt, sich bei der Berufstätigkeit zu verausgaben. Im stationären Setting ist das in der Regel leichter, weil der äußere Abstand auch eine innere Distanzierung erleichtert; außerdem können neue Verhaltensweisen mit relativ wenig sozialen Konsequenzen erprobt werden. Bei stärkerem Ausprägungsgrad ist eine psychotherapeutische Intervention, eventuell kombiniert mit Antidepressiva, empfehlenswert.26 In einem stationären Setting gibt es in der Regel allerdings zu wenig Zeit, um eine Psychotherapie zu Ende zu führen. Man kann aber durch einen unterstützenden, entlastenden Ansatz die Betroffenen für eine weiterführende ambulante Therapie motivieren, damit sie diese bei Bedarf zu Hause fortsetzen. Zweitens muss man sich mit den externen Ursachen von bestehendem Stress im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit befassen. Belastende Faktoren am Arbeitsplatz müssen ggfs. verringert werden. Dies ist für den Psychotherapeuten schwer zu beeinflussen, aber zusammen mit dem Patienten können oft Strategien entwickelt werden, wodurch der Patient mehr Einfluss über das Geschehen am Arbeitsplatz gewinnen kann. Die „richtige“ Behandlung vereint daher die medizinische Erfahrung eines Psychotherapeuten mit der Weisheit eines erfahrenen Coaches. Diese Mischung herbeizuführen, stellt eine besondere Herausforderung für die Behandler dar, kann aber im multiprofessionellen Team (insbesondere mit Sozialpädagogen) besser bewältigt werden. Eine zusätzliche arbeits- und sozialmedizinische Beratung ist hilfreich. Sie ist aber nicht unbedingte Voraussetzung für die Behandlung der Betroffenen.4 Nachfolgend soll das Behandlungskonzept der Berolina Klinik (Löhne bei Bad Oeynhausen, NRW) zusammengefasst werden. Es baut auf die 30-jährige Erfahrung der Klinik in der Behandlung von Depressiven Störungen und anderen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen auf und integriert die auf die Berufstätigkeit bezogenen Coping-Strategien von Christina Maslach und Michael Leiter.35 Die Therapie findet in einer Zeitspanne von 3-4 Wochen in sechs Gruppensitzungen à 90 Minuten statt. Die Inhalte der jeweiligen Stunden sind kurz zusammengefasst: In der ersten Stunde werden die Teilnehmer über die Definition und den allgemeinen Hintergrund des Burnout-Syndroms aufklärt, nach der anfänglichen Informations- und Vorstellungsrunde. Ziel der Stunde ist der Erwerb eines angemessenen Verständnisses der eigenen Problematik und die Analyse der eigenen beruflichen Situation. Dafür legen Patienten relevante Stichpunkte auf einer „Stresskarte“ schriftlich fest. Nach Maslach und Leiter folgt die Erläuterung und Bearbeitung von sechs auf die Berufstätigkeit bezogenen Problemgebieten, die ein Burnout-Syndrom fördern können: Arbeitsbelastung, Kontrolle, Belohnung, Gemeinschaft, Fairness und Werte. Als Hausaufgabe haben die Teilnehmer dies umzusetzen in eine Erstanalyse des eigenen Burnout-Geschehens. In der zweiten Stunde werden die Analysen gemeinsam besprochen. Ziel der Besprechung ist die kognitive Umstrukturierung von dysfunktionalen Leitsätzen und irrationalen Überzeugungen, die Reduzierung von irrationalen Schuldgefühlen, die Entwicklung von Problembewältigungsstrategien für das Erleben von Hilflosigkeit sowie Strategien zur Steigerung des Selbstwertgefühls. Als letztes Element ist die Arbeit mit inneren „Antreibern“ (siehe Teil 1, 2.4.1) zu nennen, wobei man lernt, wie diese bei Bedarf durch andere Werte und Antreiber neutralisiert werden können. In der zweiten bis fünften Stunde entwickeln die Patienten konkrete CopingStrategien in den sechs Gebieten (v.a. im Sinne von Berufstätigkeit). Maslach und Leiter bieten hier ein nützliches Rahmenprogramm an, das aber für jede Gruppenzusammensetzung angepasst werden muss. Bei jedem Thema gilt es in vier Phasen eine Strategie der Überwindung von Arbeitsstressoren zu entwickeln: 1. die eigenen spezifischen Probleme identifizieren, 2. Ziele für deren Überwindung setzen, 3. diese Umsetzung und dabei auch mögliche Störfaktoren berücksichtigen und 4. den eigenen Fortschritt kontrollieren. In der sechsten Stunde werden die Inhalte zusammengefasst und der Übergang zur Reintegration am Arbeitsplatz oder zu Hause vorbereitet. Ein Plan für die Kontrolle von Fortschritten wird erarbeitet. Zusätzlich zu diesen Gruppensitzungen werden weitere Behandlungen durchgeführt, um dem Burnout-Syndrom ganzheitlich zu begegnen. Ein Diplom-Psychologe oder ein Arzt führt mit den Patienten in der Abteilung Psychosomatik der Berolina Klinik, Löhne, wöchentlich ein therapeutisches Einzelgespräch. In diesen regelmäßigen Gesprächen wird die derzeitige Lebenssituation des Patienten analysiert, nach Lösungsmöglichkeiten für Probleme individuell geschaut und Grundhaltungen zum Leben überdacht. Mit Hilfe von Körperwahrnehmungsübungen lernen die Patienten, wieder mehr auf ihren Körper „zu hören.“ Durch Entspannungstechniken (z. B. Autogenes Training, Entspannung nach Jacobson) soll der Patient eine Strategie erlernen, dem Stress und der Unruhe direkt entgegenzuwirken. Hinzu kommt ein Fitnessprogramm, welches den Patienten körperlich trainiert und aufbaut (vgl.4). Auch der Kontakt zu Mitpatienten, die in der gleichen Situation sind, ist ein wichtiger Teil in der Behandlung. Patienten überwinden oft ihre Rückgezogenheit und öffnen sich langsam wieder gegenüber ihrer Umwelt. Sie nehmen Anregungen aus den Erfahrungen der anderen Patienten mit, um in Zukunft problematische Einstellungen zu verändern und schädliche Verhaltensweisen zu vermeiden. Bei sozialmedizinisch schwieriger Ausgangslage werden zusätzlich Einzelgespräche mit den Sozialberatern geführt, um die individuelle berufliche Lage zu analysieren und Perspektiven zu erarbeiten. Des Weiteren wird für diese Patienten eine Gruppenveranstaltung „Info Sozialrecht“ angeboten. Eine alleinige Psychotherapie erscheint, wie in dem obigen Programm geschildert, "in den wenigsten Fällen ausreichend, wenn sie nicht von Veränderungen auf der Arbeitsplatzebene und auf der organisatorischen Ebene begleitet werden".4 Die Stressoren am Arbeitsplatz sind kaum vom Therapeuten zu ändern aber trotzdem zwingend zu besprechen, damit Wege der individuellen Anpassung nicht unentdeckt bleiben. "Individual- und gruppentherapeutische Angebote (z. B. psychoedukative Gruppen, Selbsthilfegruppen) haben beide ihren Stellenwert. Empfehlungen, wie sie für das Management von Patienten mit Psychosomatischen Störungen aus dem Formenkreis der funktionellen somatischen Symptome und Syndrome beschrieben wurden, können prinzipiell auch auf Patienten mit einem Burnout-Syndrom angewandt werden. Eine iatrogene Schädigung durch unnötige Abklärungen oder Eingriffe muss unbedingt vermieden werden. Vielmehr sollen Interventionen zum Zwecke der Wiederherstellung der allgemeinen Funktionen auf die Wahrnehmung, Gedanken, Gefühle und das Verhalten des Patienten ausgerichtet sein".5 References 1 Burisch M. Das Burnout-Syndrom : Theorie der inneren Erschöpfung. 3rd ed. Springer, Berlin, 2006. 2 Korczak D, Huber B, Kister C. Differential diagnostic of the burnout syndrome. GMS Health Technol Assess 2010; 6: Doc09. 3 Edelwich J, Brodsky A. Burn-Out. Stages of Disillusionment in the Helping Professions.Human Sciences Press, New York, 1980. 4 Stock C. Burnout – Erkennen und verhindern. Haufe, Freiburg, 2010. 5 von Känel R. 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