Diagnose & Therapie Erkrankungen der Schilddrüse Hormondrüse außer Kontrolle Von Problemen mit der Schilddrüse sind überdurchschnittlich oft Frauen betroffen. Warum das so ist, ist unklar. Fest steht jedoch: Weil die Symptome lange Zeit zunächst eher unspezifisch sind, bleibt eine Fehlfunktion der Schilddrüse häufig unbemerkt. Frühzeitig erkannt und behandelt, sind die Aussichten jedoch gut, die unangenehmen Begleiterscheinungen einer gutartigen Schilddrüsenerkrankung zu mildern oder sogar ganz zu beseitigen. Von Dr. Nicole Schaenzler N icht immer lässt sich Übergewicht mit einem ungünstigen Essverhalten erklären. Bei etwa fünf von 100 Menschen mit Gewichtsproblemen liegt eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) vor. Frauen – vor allem in den Wechseljahren – sind besonders oft betroffen: Sie haben trotz normaler Ernährung Übergewicht, und auch mit Hilfe einer Diät wollen die Pfunde nicht weichen. Meist gesellen sich weitere Beschwerden hinzu: Haarausfall und Kälteempfindlichkeit, aber auch Müdigkeit, Abgeschlagenheit, verminderte Leistungsfähigkeit, Sexualprobleme, chronische Verstopfung, Muskelschwäche und Wasseransammlungen in den Beinen. Bei einem Mangel an Schilddrüsenhormonen laufen die Stoffwechselvorgänge verlangsamt ab. Die Folge: Der Energieumsatz verringert sich um bis zu 20 Prozent, und dem Organismus fehlt die Stoffwechselenergie, um optimal zu funktionieren. Topfit 2 / 2016 Der häufigste Grund für eine erworbene Schilddrüsenunterfunktion ist eine Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis), eine chronische Schilddrüsenentzündung, bei der sich das Immunsystem gegen das körpereigene Schilddrüsengewebe wendet und es schädigt. Dadurch ist die Schilddrüse mit der Zeit immer weniger in der Lage, genügend Schilddrüsenhormone zu produzieren – bis schließlich eine manifeste Schilddrüsenunterfunktion entstanden ist, die dann mit Schilddrüsenhormonen (Thyroxin) behandelt werden muss. Rastlosigkeit — Symptom ­einer Überfunktion Umgekehrt ist die Situation bei einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose): Hier kommt es zu einem Überangebot an Schilddrüsenhormonen – und damit zu einer Steigerung des Energieumsatzes. Dass der Organismus bei ei- ner Überfunktion auf Hochtouren arbeitet, bedeutet jedoch nicht, dass die Betroffenen besonders fit oder leistungsfähig wären. Weil alle Organe ohne Unterbrechung powern müssen, fühlen sie sich rastlos und gestresst; sie leiden unter Schlafstörungen und schwitzen stark. Außerdem ist der Ruhepuls erhöht, und es kann sich Herzjagen einstellen. Typisch ist auch, dass viel und ausgiebig gegessen wird, ohne dass es zu einer Gewichtszunahme kommt. Eine erworbene Schilddrüsenüberfunktion wird meist entweder durch die Basedow-Krankheit (Basedowsche Krankheit) oder durch eine Schilddrüsenautonomie verursacht. Wie die Autoimmunthyreoiditis, so ist auch die Basedow-Krankheit eine Autoimmunerkrankung. Sie ruft allerdings den gegenteiligen Effekt hervor: Aufgrund einer Fehlreaktion des Immunsystems entstehen Autoantikörper gegen bestimmte Oberflächenstrukturen von Schilddrüsenzellen (TSH-Rezeptoren), die diese zu einer vermehrten Produktion von Hormonen veranlassen. Deshalb ist das Leitsymptom der Basedow-Krankheit eine Schilddrüsenüberfunktion. Mitunter richten sich die Autoantikörper auch gegen andere Körperstrukturen, etwa gegen die kleinen Augenmuskeln und deren Bindegewebe (die Augäpfel können vorgedrängt werden) oder gegen die Haut der Schienbeine (Schwellungen der Haut). Da eine ursächliche Therapie noch nicht ­möglich ist, bleibt die Behandlung auf die Regu­lierung der Schilddrüsenüberfunktion beschränkt. Infrage kommen z. B. Medikamente, die die Bildung bzw. Freisetzung von Schilddrüsenhormonen hemmen (Thyreostatika). Doch die Symptome bilden sich in der Hälfte der Fälle von selbst zurück, oft bereits im ersten Jahr. Heiße Knoten — Hormonproduktion ohne Steuerung Bei der Schilddrüsenautonomie ist – im Gegensatz zur Basedow-Krankheit – keine Selbstheilung zu erwarten. Charakteristisch für diese Erkrankung ist, dass Teile der Schilddrüse selbstständig (autonom) Hormone bilden. Normalerweise wird die Hormonproduktion in der Schilddrüse von übergeordneten Zentren kontrolliert, insbesondere der Hirnanhangdrüse. Misst die Hirnanhangdrüse nur wenig Schilddrüsenhormone im Blut, regt sie über das Hormon TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) deren Produktion in der Schilddrüse an. Umgekehrt drosselt die Schilddrüse ihre Hormonproduktion, wenn die Hirnanhangdrüse bei ausreichend hohen Schilddrüsenhormonspiegeln im Blut wenig TSH ausschüttet. Auch in der gesunden Schilddrüse gibt es autonome Zellen, die unabhängig vom TSH-Spiegel im Blut Schilddrüsenhormone freisetzen. Besteht eine Schilddrüsenautonomie, ist ihr Anteil jedoch deutlich größer. Dabei kann es sich Foto: Fotolia (comodigit), Letter Content Media 6 Diagnose & Therapie 7 Links: Normal große, schmetterlingsförmige Schilddrüse mit homogenem Speichermuster von Technetium. Mitte: Deutlich vergrößerte, rechtsbetonte Schilddrüse (»Schwarzwälder Kropf«). Rechts: Ausschließliche Speicherung eines Knotens im linken Schilddrüsenlappen. Das übrige Schilddrüsengewebe nimmt kein Technetium auf. Jodmangelland Deutschland Deutschland – und insbesondere Süddeutsch­ land – ist ein Jodmangelgebiet. Deshalb sind die Menschen hierzulande besonders ge­ fährdet, an der Schilddrüse zu erkranken. Die Schilddrüse ist für die Produktion der Schild­ drüsenhormone nämlich auf Jod angewiesen: Fehlt Jod über einen längeren Zeitraum, hat dies über kurz oder lang eine Vergrößerung der Schilddrüse und sehr oft auch die Bildung von (heißen) Knoten zur Folge. Schuld am Jodmangel in Deutschland ist die Eiszeit. Mit dem Schmelzwasser der Eisblöcke wurden große Mengen von Jod aus den Böden ausgewaschen und ins Meer getragen. Deshalb enthält alles, was heute bei uns auf den Böden wächst, nur noch Bruchteile des einstmals vor­ handenen Jods. Dagegen kommt Jod in grö­ ßeren Mengen vor allem im Meer und konzen­ triert in Algen vor; Regionen am Meer sind also deutlich besser mit Jod versorgt. Die Symptome eines Jodmangels entwickeln sich langsam. Denn zunächst gelingt es der Schilddrüse meist noch, genügend Hormone herzustellen. Das schafft sie jedoch nur, wenn sie sich ihre Produktionsstätten ausweitet und alle vorhandenen Möglichkeiten nutzt, um trotz des geringen Angebots an Jod in der Nahrung ihre Hormonproduktion auf einem maximalen Level zu halten. Die Folge: Die Schilddrüse wird allmählich größer. Dann lässt sich eines Tages der oberste Knopf von Bluse oder Hemd nur noch mit Mühe schließen, die Perlenkette liegt zu eng am Hals an, oder die große Schilddrüse drückt sogar auf Stimmbänder und Luftröhre. Damit es gar nicht erst soweit kommt, empfeh­ len die Ärzte, bei der Essenszubereitung jodier­ tes Speisesalz zu verwenden. Die Bioverfüg­ barkeit von industriell hergestelltem Jod, das inzwischen auch in vielen täglichen Lebensmit­ teln wie Brot, Wurst oder Käse zugesetzt ist, ist allerdings umstritten. Alternativ bietet sich eine Jodversorgung durch eine natürliche Quelle an. Eine solche natürliche Jodquelle ist z. B. ein Mi­ neralwasser artesischen Ursprungs, das natürli­ che flüssige Jodsole im Verhältnis 54 :1 enthält (JodNatur® von St. Leonhards). um abgegrenzte Gewebeareale handeln, die sich im Szintigramm z. B. als viele kleine, mitunter auch nur als ein einzelner oder zwei bis drei große warme bzw. heiße Knoten darstellen. Oder es haben sich größere, diffuse autonome Regionen in der Schilddrüse gebildet, die außer Kontrolle geraten sind. Dieser Vorgang ist vermutlich die Folge der Anpassung des Körpers an einen über einen längeren Zeitraum bestehenden Jodmangel (siehe Kasten). Durch die unkontrollierte Produktion steht dem Organismus mehr an Hormonen zur Verfügung, als dieser tatsächlich benötigt. Bis sich aus einer latenten eine manifeste Schilddrüsenüberfunktion mit allen typischen körperlichen Begleiterscheinungen entwickelt hat, können jedoch Jahre vergehen. Thyreotoxische Krise Haben sich in der Schilddrüse erst einmal autonome Areale gebildet, stellen sie – selbst wenn sie noch keine Überfunktion hervorrufen – immer eine Gefahr dar. Sobald die autonomen Bezirke von außen große Jodmengen, etwa bei einer Röntgenuntersuchung mit jodhaltigen Kontrastmitteln, zugeführt bekommen, entsteht aus der schlummernden Schilddrüsenkrankheit eine massive Schilddrüsenüberfunktion: Dann produzieren diese Bereiche in der Schilddrüse unkontrolliert große Mengen von Schilddrüsenhormonen, die bis zu einer lebensbedrohlichen Vergiftung mit diesen Hormonen führen kann (thyreotoxische Krise). Von den heißen Knoten sind die kalten Knoten abzugrenzen. Auch sie entstehen im Lauf des Größenwachstums oft in einer an Jodmangel leidenden Schilddrüse. Zwar geht von diesen Gebieten keine unkontrollierte Hormonproduktion aus, doch können sie in seltenen Fällen Ausgangspunkt für einen Schilddrüsenkrebs sein. Laboruntersuchung und Szintigraphie Während bei einer Schilddrüsenunterfunktion und einigen anderen Schilddrüsenerkrankungen eine Laboruntersuchung durchaus wichtige Hinweise geben kann, sagt die Messung des Hormonspiegels im Blut dagegen nur wenig darüber aus, ob eine Schilddrüse heiße Knoten aufweist. Dies gilt vor allem dann, wenn sie (noch) nicht oder nur zeitweise zu einer Erhöhung der Schilddrüsenhormone im Blut führen. Damit scheinbar normale Werte den Betroffenen nicht in falscher Sicherheit wiegen, sind weiterführende Untersuchungen unerlässlich. Gewissheit bringt eine Szintigraphie – nur mit diesem Verfahren kann der Arzt eindeutig überaktive, heiße Knoten nachweisen und von funktionslosen kalten Knoten unterscheiden. Radiojodtherapie — ­Alternative zur Operation Die beste Behandlung eines heißen Knotens bzw. einer Schilddrüsenautonomie ist die Radiojodtherapie; ihre Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent. Weil sie zudem sehr gut verträglich ist, ist die Radiojodtherapie eine ebenso wirksame wie schonende Alternative zur Operation von Knoten. Bei der Radiojodtherapie wird zunächst die Größe der autonomen Bezirke in der Schilddrüse berechnet, die ausgeschaltet werden sollen – danach richtet sich die individuell festgelegte Menge des radioaktiven Jods. Dieses radioaktive Jod 131 reichert sich wie normales Jod in der Schilddrüse an und zerfällt dort innerhalb von wenigen Tagen, wobei es vor allem radioaktive Beta-Strahlen freisetzt, die in einem Umkreis von etwa zwei Millimetern wirksam sind. Auf diese Weise gelingt es, lediglich die autonomen Bezirke zu zerstören, wohingegen das gesunde Schilddrüsengewebe erhalten bleibt. Ein weiterer Behandlungseffekt: Die vergrößerte Schilddrüse verkleinert sich. Auch wenn bei der Radiojodtherapie geringe Mengen radioaktiver Strahlen freigesetzt werden, haben Beobachtungen über Jahrzehnte gezeigt, dass ein erhöhtes Risiko für eine Krebserkrankung oder einer anderen Erkrankung nicht zu erwarten ist. Informieren Sie Ihre Ärzte Bei bestimmten Untersuchungsmethoden, etwa, wenn jodhaltige Kontrastmittel eingesetzt werden, sind Komplikationen möglich. Auch bei der Verordnung von Medikamenten muss eine Schilddrüsenerkrankung gegebenenfalls berücksichtigt werden. Deshalb sollten Betroffene ihre Ärzte über ihr Leiden informieren. Topfit 2 / 2016