H 64122 ISSN 1439-1139 2/2010 April 12. Jahrgang Delir Neurologie @ D E L I R I M A LT E R Pathophysiologie, Ursachen, Therapieansätze @ I N F E K T I O LO G I E Infektionen des zentralen Nervensystems @ N E U R O LO G I E Therapie der Multiplen Sklerose @ N E U R O LO G I E Störungen des Ganges Lesen Sie mehr dazu ab Seite 33 EDITORIAL Erkrankungen des ZNS, Gangstörungen und Delir G eriatrie: Quo vadis?“ lautete der Titel eines Artikels im GERIATRIE JOURNAL 1/2010. Er befasste sich mit der aktuellen Situation der Geriatrie und verdeutlichte das Spannungsfeld, in dem sie sich derzeit befindet. Ein Blick zurück kann Anregungen geben – für die Betrachtung der Gegenwart und für den Blick nach vorn. Vor diesem Hintergrund hat die Redaktion ein Interview mit Prof. Meier-Baumgartner geführt und mit ihm darüber gesprochen, wie er während seiner Berufstätigkeit Ziele, Ideen und Visionen erarbeitet und umgesetzt hat. Seine Antworten und seine Geriatrie-Visionen finden Sie in diesem Heft ab Seite 11. Einen Schwerpunkt dieser Ausgabe bilden Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS). Die Inzidenz von Infektionen des ZNS liegt bei alten Menschen höher als bei jüngeren Erwachsenen. Das Erregerspektrum erstreckt sich neben den üblichen Mikroorganismen auch für Immunsupprimierte typische Pathogene. In dem Artikel ab Seite 14 beschreiben Prof. Roland Nau, Dr. Sandra Ebert und Prof. Helmut Eiffert, alle Göttingen, exemplarisch drei Krankheitsbilder: die bakterielle Meningitis, der spinale epidurale Abszess sowie durch Varizella-zoster-Virus (VZV) verursachte ZNSErkrankungen. Mit der Therapie der Multiplen Sklerose beim älteren Patienten befasst sich der Beitrag von Prof. Jörn Sieb, Stralsund. Der Autor weist darauf hin, dass die Erkrankung, die eher selten nach dem 50. Lebensjahr beginnt, im höheren Lebensalter meist ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium erreicht hat. Vor diesem Hintergrund kommt es bei der Behandlung häufig weniger auf eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch eine Immunmodulation an, sondern auf eine individuell ausgerichtete symptomatische Therapie. Hinweise dazu finden Sie ab Seite 19. Weitere Schwerpunkte bilden Gangstörungen und das Delir. Die Häufigkeit von Störungen des Ganges nimmt mit dem Alter kontinuierlich zu und zählt zu den häufigsten Ursachen für Stürze. Gangstörungen stellen im Alter oft keine homogene Krankheitsentität dar, sondern sind in der Regel multifaktoriell determinierte Syndrome unterschiedlichster Herkunft. PD Dr. Herbert F. Durwen, Düsseldorf, zeigt ab Seite 27 die im Alter relevanten Krankheitsbilder auf, stellt Strategien zur Diagnostik vor und erläutert allgemeine Ansätze zur Behandlung. Das Delir zählt zu den häufigsten zerebralen Funktionsstörungen bei älteren Menschen. Es gehört zu den häufigsten Komplikationen hospitierter geriatrischer Patienten und ist oft mit schwerwiegenden Komplikationen, einem daraus reFoto: fuxart – Fotolia.com sultierenden verlängerten Krankenhausaufenthalt und einer erhöhten Mortalität verbunden. Unter der Federführung von Dr. Hans-Jürgen Heppner, Nürnberg, beleuchteten mehrere Autoren die Erkrankung aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Artikel beginnen ab Seite 33 und befassen sich mit Pathophysiologie, Symptomen, Ursachen, Therapieansätzen sowie den Besonderheiten, die in der Pflege deliranter Patienten zu berücksichtigen sind. Eine informative Lektüre wünscht Ihnen Jola Horschig Redakteurin GERIATRIE JOURNAL I N H A LT EDITORIAL Erkrankungen des ZNS, Gangstörungen und Delir 3 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Wichtige Informationen in Kürze 6 Foto: Andrew Gentry – Fotolia.com Die Inzidenz von Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) liegt beim alten Menschen höher als beim jungen Erwachsenen. Der Artikel befasst sich mit drei Krankheitsbildern: der bakteriellen Meningitis, dem spinalen epiduralen Abszess sowie durch Varizella-zoster-Virus (VZV) verursachten ZNS-Erkrankungen. Seite 14 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Protein- und Energie-Supplementierung: Neue Metaanalyse zur Trinknahrung bei älteren Menschen Chronisch-Lymphatische Leukämie: Vorstufen und Risiken der CLL 8 9 A K T U E L L : G E R I AT R I E F O R U M (Selbst-)Vernachlässigung im Alter ADK 10 AKTUELL: INTERVIEW „Aus den Bedürfnissen der Patienten Ziele entwickeln“ Interview mit Professor H.-P. Meier-Baumgartner 11 Foto: BMBF Die Therapie der Multiplen Sklerose im Senium weist Besonderheiten auf. In höherem Lebensalter ist meist ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium erreicht, so dass es weniger auf eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch eine Immunmodulation ankommt, sondern auf eine individuell ausgerichtete symptomatische Therapie. Seite 4 19 I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N Infektionen des zentralen Nervensystems Roland Nau, Sandra Ebert und Helmut Eiffert, Göttingen N E U R O LO G I E : C H R O N I S C H E E R K R A N K U N G Therapie der Multiplen Sklerose in der Geriatrie Jörn Peter Sieb, Stralsund 14 DES ZNS 19 GERIATRIE JOURNAL 2/10 I N H A LT Foto: AOK-Mediendienst Die Häufigkeit von Gangstörungen nimmt mit dem Alter kontinuierlich zu und zählt zu den meisten Ursachen für Stürze. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um eine homogene Krankheitsentität, sondern um multifaktoriell determinierte Syndrome unterschiedlichster Herkunft. N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N Störungen des Ganges Herbert F. Durwen, Düsseldorf 27 Seite 27 SCHWERPUNKT: DELIR Delir – Epidemiologie und Pathophysiologie Katrin Singler, Martina Hafner und Cornel Sieber, Nürnberg/Basel 33 Therapieansätze und medikamentöse Intervention Thomas Frühwald, Wien, und Hans Jürgen Heppner, Nürnberg 34 Delir in der Intensivmedizin Hans Jürgen Heppner, Michael Christ und Cornel Sieber, Nürnberg 37 Das Postoperative Delir Boris Singler, Erlangen 41 Pflegeplanung und Pflegeintervention Frank Basedow-Klier, Nürnberg 43 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Depression: Neuer Therapie-Ansatz: Zirkadiane Rhythmik als therapeutisches Target Therapie des alten Tumorpatienten: Geriatrische Patienten profitieren in hohem Maße von Krebstherapie 43 GERIATRIE JOURNAL 2/10 Das Delir ist die häufigste zerebrale Funktionsstörung bei älteren Menschen und oftmals mit schwerwiegenden Komplikationen, einem daraus resultierenden verlängerten Krankenhausaufenthalt und einer erhöhten Mortalität verbunden: Pathophysiologie, Symptome, Ursachen, Therapieansätze sowie die Besonderheiten in der Pflege ab Seite 33 44 DIVERSES Termine/Impressum Foto: fuxart – Fotolia.com Titelbild 47 Wally Stemberger – Fotolia.com 5 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN Demenz: Stiftung fördert Weiterbildungen im Ausland Die Robert Bosch Stiftung Stuttgart unterstützt Hospitationen, Fort- und Weiterbildungen sowie Studiengänge im Ausland zum Thema Demenz. Die Unterstützung ist finanzieller, aber auch fachlicher Art bei der Planung und Umsetzung der Vorha- ben. Das „Internationale Studien- und Fortbildungsprogramm Demenz“ der Stiftung richtet sich an Pflegefachkräfte, Ärzte, Sozialarbeiter, Pädagogen, Architekten oder Ingenieure, die Menschen mit Demenz begleiten. Mithilfe des Programms Förderpreis „Geriatrische Onkologie“ Die Arbeitsgruppe Geriatrische Onkologie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) e. V. haben für das Jahr 2010 den Förderpreis „Geriatrische Onkologie“ ausgeschrieben. Er wird für eine herausragende wissenschaftliche Publikation oder ein Forschungsprojekt aus dem Bereich der geriatrischen Onkologie (Diagnostik, Therapie, Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation) vergeben. Mit dem Preis sollen insbesondere jüngere forschende Kollegen in der Geriatrie und Onkologie angesprochen werden. Bewerber/Innen sollten daher das 45. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Eine Jury, bestehend aus Vertretern aus Geriatrie und Onkologie, entscheidet über die Prämierung. Die Preisverleihung wird im Rahmen Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Österreichischen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (ÖGGG) vom 16.-18. September 2010 in Potsdam stattfinden. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird von der Firma medac gestiftet. Bewerbungsschluss ist am 30. Juni 2010. Antragsunterlagen können unter dem Stichwort „Förderpreis Geriatrische Onkologie DGG/DGHO 2010“ angefordert werden bei: Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, St. Bonifatius Hospital, Wilhelmstr. 13, 49808 Lingen, eMail: [email protected] sollen die Kompetenz der Helfer demenzkranker Menschen verbessert, das Wissen durch Bildungsangebote im Ausland erweitert und die Versorgung an wissenschaftlich fundierten Grundlagen verbessert werden. Jeder Bewerber wählt das Gastland und die Gasteinrichtung selbst aus und begründet seine Wahl. Der Aufenthalt muss selbstständig organisiert werden, bei Fragen steht die Stiftung beratend zur Seite. Studien- und Seminargebühren werden bis zu 100%, Reise- und Aufenthaltskosten bis zu 75% übernommen. Die Teilnahme an Vor- und Nachbereitungsseminaren ist verbindlich. Die Stiftung erwartet von den Bewerbern berufliche Erfahrung mit demenzkranken Menschen, Sprachkenntnisse in Englisch oder des Gastlandes und die Befürwortung durch den Arbeitgeber. Neue Bewerbungen können bis zum Ende eines Quartals (31.12., 31.3., 30.6., 30.9) eingereicht werden. Alle nötigen Informationen sind unter www.g-plus.org zu finden. Quelle: Robert Bosch Stiftung Stuttgart Mehr Tumorerkrankungen und sinkende Mortalitätsraten In diesem Jahr werden Urologen bei mehr als 116.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Krebs stellen. Diese Prognose geht aus Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin hervor. In seiner neuen „Krebs in Deutschland“-Broschüre hat das Institut Krebsregisterdaten von 1980 bis 2006 ausgewertet und hochgerechnet. Danach wird in diesem Jahr zwar bei gut 6% mehr Menschen als noch 2006 ein bösartiger urologischer Tumor entdeckt werden. Gleichzeitig sinken die Mortalitätsraten von Prostata-, Hoden-, Nieren-, Harnleiter- und Blasenkrebs weiterhin leicht. Mindestens jede vierte aller Krebsneuerkrankungen wird als urologischer Tumor lokalisiert. 2006 waren es nach Berechnung des RKI rund 109.000 der insgesamt 426.000 Neuerkrankungen. „Die Entwicklung beim Prostatakrebs ist, bei 6 rückläufigen Sterberaten, durch einen erheblichen Anstieg der alterstandardisierten Erkrankungsraten gekennzeichnet“, so das RKI zur häufigsten Krebsart beim Mann. Trotz steigender Erkrankungsraten sank die Mortalitätsrate bei Tumoren der Prostata auf 10% aller Krebssterbefälle. Die altersstandardisierte Sterberate ist laut RKI gegenüber 1980 um 20% gefallen. Häufigere Früherkennung und die Fortentwicklung der therapeutischen Möglichkeiten haben dazu beigetragen, dass sich die Quote der Patienten, die nach der Krebsdiagnose noch mindestens fünf Jahre leben, insgesamt erheblich verbessert hat. Bei Prostatakrebs liegt die relative 5Jahres-Überlebensrate laut RKI inzwischen bei rund 90%. Die jährliche Zahl der Neubefunde für Prostatakrebs stieg laut RKI für 2006 auf 60.100 Fälle. Dies ist außer auf Früher- kennung und neue Methoden der Diagnostik besonders auch auf die demografische Entwicklung zurückzuführen. Der Anteil älterer Männer an der Gesamtbevölkerung ist deutlich gestiegen. Zu den häufigsten weiteren urologischen Tumoren zählt der Blasenkrebs mit 27.450 Neuerkrankungen im Jahr 2006. Mehrheitlich Männer erkranken an dieser Krebsart, für die das durchschnittliche Erkrankungsalter mit deutlich über 70 Jahren relativ hoch liegt. Solange ein Blasenkarzinom noch nicht auf Lymphknoten abgesiedelt ist, hat das RKI bei Männern eine 5-Jahres-Überlebensrate von 75% ermittelt. Die Sterbehäufigkeit bei Männern ist seit etwa zehn Jahren rückläufig, bei Frauen stagnierend. In die 16.490 Nierenkrebs-Neuerkrankungen des Jahres 2006 haben die RKI-Statistiker Nierenbecken- und Harnleiterkrebs GERIATRIE JOURNAL 2/10 NACHRICHTEN: TRENDS & THEMEN mit einbezogen, die etwa 10% der Fälle ausmachten. Die Häufigkeit der Erkrankung hat sich gegenüber 2004 nicht wesentlich verändert, gleiches gilt jedoch auch für die Häufigkeit, mit der Nierenkrebs zur Todesursache wird. Bei Männern geht weiterhin jeder sechste Krebstodesfall auf Nierentumoren zurück, bei Frauen 2006 jeder neunte. Deutlich besser sieht es für Männer mit Hodenkrebs (2006: 4960 Neuerkrankungen) aus. Die meisten Fälle treten in einem Patientenalter zwischen 25 und 45 Jahren auf. Die ohnehin geringe Mortalitätsquote ist weiter abnehmend, und die relative 5-Jahres-Überlebensrate liegt höher als 95%. Die Broschüre „Krebs in Deutschland“, die das Robert Koch-Institut alle zwei Jahre gemeinsam mit der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (Lübeck) herausgibt, ist jetzt in der 7. Ausgabe veröffentlicht. Darin werden auf 120 Seiten für 21 Krebsarten, differenziert nach Geschlecht und Alter der Patienten, neben Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit auch die wichtigsten Risikofaktoren sowie erstmals eine Projektion der Schätzungen auf das Veröffentlichungsjahr dargestellt. Die Broschüre ist im Internet unter http://www.rki.de/nn_22 7180/DE/Content/GBE/gbe__node.html zu finden. Quelle: DGU NRW-Fortbildungskongress Am 12. Juni 2010 veranstaltet die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) in der Universitätsklinik Köln den diesjährigen NRW-Fortbildungskongress Geriatrie. Themenschwerpunkte sind: @ Demenz S 3 Leitlinien @ Nachwuchsförderung und Geriatrieausbildung in NRW @ Entwicklung der Geriatrie in NRW Die Veranstaltung beginnt um 9.00 Uhr in Gebäude LFI, Säle LFI 1 und LFI 2. Der Eintritt ist kostenlos, die Zertifizierung durch die Ärztekammer ist beantragt. Nähere Informationen: gerikomm Media GmbH, Reiner Münster, Winzerstr. 9, 65207 Wiesbaden, Tel. 0 61 22/705-236, eMail: [email protected] 2008: 263 Mrd. Euro für Gesundheit ausgegeben Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, betrugen die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland im Jahr 2008 insgesamt 263,2 Mrd. Euro. Sie stiegen gegenüber dem Vorjahr um 9,9 Mrd. Euro (3,9%). Auf jeden Einwohner entfielen damit Ausgaben in Höhe von rund 3.210 Euro (2007: 3.080 Euro). Die Gesundheitsausgaben entsprachen 10,5% des Bruttoinlandsproduktes. Dieser Anteil wird für das Jahr 2009 vermutlich auf über 11% ansteigen. Größter Ausgabenträger im Gesundheitswesen war im Jahr 2008 die gesetzliche Krankenversicherung. Sie trug mit das für die Augenheilkunde nicht zugelassene Medikament Bevacizumab (Handelsname: Avastin) eingesetzt. Diesen „off-label-use“ von Avastin außerhalb der Zulassung bezeichnen die Forscher als „problematisch“. Wirksamkeit und Sicherheit des Medikamentes bei der AMD seien wissenschaftlich unzureichend belegt. Der Bericht liegt seit Ende September 2009 vor. Er kann im Internet unter www.hta.uni-bremen.de/ abgerufen werden. 151,5 Mrd. Euro rund 57,5% der gesamten Gesundheitsausgaben (im Vergleich zum Vorjahr +4,2%). Den stärksten Zuwachs verzeichnete mit +6,2% die private Krankenversicherung. Ihre Ausgaben erhöhten sich um 1,4 rd. auf 24,9 Mrd. Euro. Damit entfielen im Jahr 2008 gut 9,5% der Gesundheitsausgaben auf dieses Versicherungssystem. Fast die Hälfte der Ausgaben für Güter und Dienstleistungen im Gesundheitswesen wurde in ambulanten Einrichtungen erbracht (130,9 Mrd. Euro bzw. 49,7%). Die Ausgaben in diesen Einrichtungen sind mit +4,5% überdurchschnittlich stark gestiegen. Die vom Ausgabenvolumen her bedeutsamsten ambulanten Einrichtungen waren die Arztpraxen mit 40,2 Mrd. Euro und die Apotheken mit 38,5 Mrd. Euro. Den stärksten prozentualen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2007 verzeichneten die ambulanten Pflegeeinrichtungen mit +8,0%, deren Leistungen um 600 Mio. auf 8,6 Mrd. angewachsen sind. Im (teil-) stationären Sektor wurden im Jahr 2008 mit 94,6 Mrd. Euro 3,3% mehr aufgewendet als im Vorjahr. Zu den (teil-)stationären Einrichtungen gehören Krankenhäuser (66,7 Mrd. Euro; +3,5%), die Einrichtungen der (teil-)stationären Pflege (19,9 Mrd. Euro; +2,5%) sowie die Vorsorgeund Rehabilitationseinrichtungen, auf die 8,0 Mrd. Euro (+3,6%) entfielen. Quelle: PRO RETINA Deutschland e.V. Quelle: Statistisches Bundesamt Therapie der Altersabhängigen Makula-Degeneration Das Deutsche Cochrane Zentrum in Freiburg, das HTA-Zentrum in der Universität Bremen und die Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg haben geprüft, wie gut Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlungsverfahren belegt sind, die zur Therapie der feuchten Form der Altersabhängigen Makula-Degeneration eingesetzt werden. Für die Behandlung dieser Erkrankung zugelassen sind die Photodynamische Therapie mit Verteporfin (Handelsname: Visudyne), Ranibizumab (Handelsname: Lucentis) und Pegaptanib (Handelsname: Macugen). Aus Kostengründen wird aber auch GERIATRIE JOURNAL 2/10 @ Osteoporose – Prävention und Therapie @ Geriatrie und Pflege @ Mangelernährung 7 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Protein- und Energie-Supplementierung Neue Metaanalyse zur Trinknahrung bei älteren Menschen Protein- und Energie-Supplementierung führt bei mangelernährten älteren Menschen zu positiven Therapieeffekten. Ein neues Cochrane-Review ermittelt außerdem eine Reduktion der Mortaliät um 21% Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme Appetitlosigkeit Einseitige Ernährung Ursachen von Mangelernährung bei Senioren (ab 65 Jahre) Kau- und Schluckstörungen Erkrankungen der Zähne und des Mundes nach Pfrimmer Nutricia Mangelernährung: Viele Gründe – ein Krankheitsbild I m Jahre 2009 wurde von Milne et al. [1] ein neues Cochrane-Review zum Effekt von Nahrungssupplementen bei älteren Personen publiziert. In dieser Metaanalyse kommen die Autoren zu folgenden – nicht nur für Geriater und Ernährungsmediziner – interessanten Ergebnissen: In den 62 berücksichtigten randomisierten Studien mit insgesamt 10.187 Probanden findet sich zwar ein signifikanter Gewichtszuwachs von im Mittel 2,2% des Körpergewichts in der Interventionsgruppe und eine signifikante Reduktion der Komplikationsrate um 14% (RR 0.86, 95% CI 0.75 0.99), die in 24 Studien erfasst wurde, jedoch keine signifikante Reduktion der Mortalität (RR = 0,92; 95% CI 0,811,04). Allerdings fand sich in der Subgruppenanalyse bei den als mangelernährt klassifizierten Probanden (n = 2.461) eine signifikante Reduktion der Mortalität um 21% (RR = 0,79; 95% CI 0,64-0,97) und in den Studien, in denen mindestens 400 kcal/d angeboten wurden (n = 7.307), eine grenzwertig signifikante Reduktion der Mortalität um 11% (RR = 0,89; 95% CI 0,78-1,00). Auf Grund der unzurei- 8 chenden Datenlage ist eine evidenzbasierte Aussage zur funktionellen Verbesserung der Patienten nicht möglich. Gleichzeitig fand sich ein nicht signifikanter Trend zu Senkung der Krankenhausverweildauer, der auf Grund der Heterogenität der Daten jedoch ebenfalls nicht valide analysiert werden konnte. Wie in den ersten beiden Versionen dieses Reviews aus den Jahren 2002 und 2005 mahnen die Autoren weiterhin die geringe methodische Qualität der vorliegenden Studien an. Neben einer oft nicht transparenten Randomisierungstechnik werden die meist kurze Studiendauer, die mangelhafte Darstellung des Probandenkollektivs, der Therapie-Compliance und der Energieaufnahme kritisiert. Zudem räumen die Autoren ein, dass die vorliegende Metaanalyse ganz wesentlich von den Ergebnissen der FOOD-Studie dominiert wird, die 4.023 der 10.187 (39,5%) analysierten Probanden beisteuert. Diese Studie [2] untersuchte den Effekt von Trinknahrung bei unselektierten Schlaganfallpatienten. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Patienten in dieser Stu- die kein besonderes Ernährungsrisiko aufwiesen und nur 7,8% der Probanden als mangelernährt klassifiziert wurden. 92,2% der Patienten wiesen also einen normalen Ernährungsstatus auf. Gleichzeitig wurde der Ernährungsstatus in dieser Studie mit keinem etablierten Messinstrument erfasst, sondern lediglich subjektiv von nicht speziell geschulten Ärzten beurteilt. Die Problematik dieses Vorgehens ist wohl jedem Ernährungsmediziner bewusst. So wundert es also nicht, dass in der FOODStudie kaum ein Effekt der Gabe von Trinknahrung nachweisbar war, was natürlich auf Grund der zahlenmäßigen Dominanz des FOOD-Studienkollektivs in der hier vorliegenden Metaanalyse erhebliche Auswirkungen auf deren Ergebnisse hat. Trotzdem ließ sich hier ein eindeutiger Effekt der Protein- und Energiesupplementierung bei Patienten mit Mangelernährung nachweisen. Eine 21%-ige Reduktion der Mortalität ist bemerkenswert und übertrifft die Ergebnisse vieler positiver pharmakologischer Therapiestudien. Es bleibt also zu fragen, warum trotz dieser guten Evidenz die Beurteilung des Ernährungsstatus und entsprechende Therapieinterventionen nicht längst Einzug in die allgemeine medizinische Routine der Behandlung älterer Menschen gehalten haben. Fazit: In der vorliegenden Metaanalyse konnte dargestellt werden, dass die Protein- und Energie-Supplementierung mangelernährter älterer Menschen zu positiven Therapieeffekten führt, die sich zum Teil auch bereits beim Risikokollektiv nachweisen lassen, insbesondere dann, wenn mindestens 400 kcal pro Tag zusätzlich angeboten werden. Literatur: 1. Milne AC, Potter J, Vivanti A, Avenell A. Protein and energy supplementation in elderly people at risk from malnutrition. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD003288. DOI: 10.1002/14651858.CD003288.pub3. 2. Dennis M, Lewis S, Cranswick G, Forbes J. FOOD: a multicentre randomised trial evaluating feeding policies in patients admitted to hospital with a recent stroke. Health Technol Assess 2006; 10 (2). Kommentar der Arbeitsgruppe Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) GERIATRIE JOURNAL 2/10 L I T E R AT U R : R E F E R I E R T & K O M M E N T I E R T Chronisch-Lymphatische Leukämie Vorstufen und Risiken der CLL Vorstufen von Tumorerkrankungen sind interessante Phänomene zum Studium der inneren und äußeren Bedingungen, die zur Entstehung von Tumorerkrankungen beitragen, ebenso aber auch der Schutzmechanismen, die die Ausbildung eines Tumors hindern. B-Cell-Lymphome scheinen dabei eine besondere Rolle zu spielen, so kennen wir die monoklonale Gammophathie unklarer Signifikanz (M-Gus) als Risikofaktor und Prä-Tumor des multiplen Myeloms, das ebenso wie die ChronischLymphatische Leukämie (CLL) ein typischer hämatologischer Alterstumor ist. Die B-CLL als häufigstes niedrig-malignes Non-Hodgkin-Lymphom ist Gegenstand der nachfolgend beschriebenen Untersuchung über die Rolle von monoklonalen B-Zell-Klonen als frühe Marker für die Entstehung einer CLL. S eit längerem gibt es die Vorstellung, dass gesunde Personen mit zirkulierenden monoklonalen B-Zell-Lymphozyten (monoklonalen B-Cell-lymphocytosis – MBL) ein erhöhtes Risiko haben, im Verlauf ihres weiteren Lebens eine manifeste CLL zu entwickeln. Diese Hypothese wurde nun im Rahmen der laufenden Populationsstudien zum Screening von Prostata-, Bronchial-, kolorektalem und Ovarialkarzinomen-Screening (PLCO) überprüft. Die Studie und ihre Ergebnisse: Zum Zeitpunkt der Auswertung waren 77.469 gesunde Erwachsene in die PLCO-Screening-Studie aufgenommen. Unter diesen Teilnehmern befanden sich 45 Personen, die im Verlauf (6,4 Jahre) der Beobachtung eine CLL entwickelt hatten. Dies ent- sprach auch der statistischen Erwartung. Interessant war der Zusammenhang mit dem Vorkommen einer vorauslaufenden MBL. Dazu wurde mittels Flow-Zytometrie mit den Antikörpern CD45, CD19, CD5, CD10 sowie Antikörpern gegen Immunglobulin-Leichtketten Kappa und Lambda sowie mittels Immunglobulin-Schwerketten Gen-Re-arrangement (IGHV) durch die Reverse-Transkiptase-Polimerase-Kettenraktion, das Vorkommen von MBL untersucht. Dabei zeigte sich, dass 44 der 45 Patienten mit CLL (98%, 95% Confidence-Intervall [CI]) die Kriterien des MBL aufwiesen. Bei 41 Patienten (91%/95% CI) wurden monoklonale B-Zell-Klone mit beiden Methoden Flow-Zytometrie und ReverseTranskiptase-Polimerase-Ketten-Reaktion 800 700 600 500 400 300 200 100 0 1519 2024 2529 3034 3539 4044 4550- 556049 54 59 64 Altersgruppen in Jahren 6569 7074 7579 8084 85+ Quelle: Hellenbrecht A., Messerer D., Gökbuget N.: Leukämien in Deutschland – Häufigkeit von Leukämien bei Erwachsenen in Deutschland; www.kompetenznetz-leukaemie.de Geschätzte CLL-Fälle pro Jahr in Deutschland GERIATRIE JOURNAL 2/10 nachgewiesen. In 35 der 45 Erkrankten wurden spezielle Immunglobulin-Schwerketten-Genvariablen festgestellt, wobei 27 (77%) Mutationen entwickelten und zwar in der Phase zwischen der prä-diagnostischen Zeit (bezogen auf die Manifestation der CLL) und Sicherung der Diagnose CLL. Diskussion: Wichtig für die Kinetik der CLL-Entstehung: Nahezu die Hälfte der Blutproben war drei oder mehr Jahre vor der Ausbildung einer CLL gesammelt worden und alle 25 Patienten, in deren präpostdiagnostischen Proben die B-Lymphozyten eine Leichtkettenrestriktion zeigten, wiesen in der prädiagnostischen Blutprobe die identische Restriktion auf. Somit gilt als bewiesen, dass bereits Jahre vor dem klinischen Manifestwerden der CLL eine MBL die Erkrankung ankündigt. Da jedoch gemessen an der Gesamtzahl aller MBL-Träger (3-5% aller gesunden Menschen über 50 Jahre) nur in einer kleinen Minderheit eine CLL entsteht, kann ein Screening auf MBL außerhalb von Studien natürlich nicht empfohlen werden. Schlussfolgerung: Monoklonale B-Zellen-Klone sind durch eine prospektive Studie nunmehr eindeutig als Vorstufen der Chronisch-Lyphatischen-Leukämie (CLL) identifiziert. Sie reihen sich damit ein in Phänomene wie die monoklonale Gammophatie unklarer Signifikanz (M-Gus). Die Frage, inwieweit Alterungsprozesse der Zelle selbst Ursache oder Risiken dieser Phänomene sind, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur statistisch beantwortet werden, da ein Zusammenhang mit ihrem Auftreten und dem Alter besteht. Die Frage wird in Zukunft bei steigender Lebenserwartung zur Abschätzung von häufigen Tumorrisiken jedoch von zunehmender Wichtigkeit sein. Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb, Lingen (Ems) Ola Landgren, M.D., Ph. Maher Albitar, M. D., Wanlong Ma, M. S., Fatima Abbasi, M. S., M. P. H., Richard B. Hayes, Ph. D., Paolo Ghia, M. D., Ph. D., Gerald E. marti, M. D., Ph. D., and Neil E. Caporaso, M. D. "B-Cell Clones as Early Markers for Chronic Lymphocytic Leukemia". N Engl J Med 2009; 360: 659-667 9 A K T U E L L : G E R I AT R I E F O R U M (Selbst-)Vernachlässigung im Alter Am Mittwoch, den 10. März 2010, fand im Agaplesion Diakonissen Krankenhaus das achte Geriatrieforum unter der Leitung von Chefarzt PD Dr. Rupert Püllen statt. Das Thema lautete in diesem Jahr „(Selbst-)Vernachlässigung im Alter“ und wurde von namhaften Referenten unter verschiedenen Aspekten beleuchtet. D er Fokus der Veranstaltung „(Selbst-)Vernachlässigung im Alter“ zielte auf Menschen ab, die sich nicht nur selbst vernachlässigen, sondern auch von ihrer Umwelt vernachlässigt werden. Da oft beides ineinander greift und sich sogar verstärken kann, wurde beiden Aspekten beim diesjährigen Geriatrieforum der Medizinisch Geriatrischen Klinik des Agaplesion Diakonissen Krankenhauses Raum gegeben. Viele Krankheiten Grund von Selbstvernachlässigung Prof. Dr. Dr. DP Rolf D. Hirsch, Chefarzt der Fachabteilung Gerontopsychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik, Bonn, referierte zum Thema „Psychiatrische Aspekte von (Selbst-)Vernachlässigung älterer Menschen“ und legte dar, in welcher Form sich Vernachlässigungen bei älteren Menschen zeigen. Angefangen von der Vermüllung der eigenen vier Wände oder der Verwahrlosung von sich selbst, würden viele ältere Menschen Dinge bei sich Zuhause horten, bis die Wohnräume nicht mehr adäquat benutzbar seien. „Bei diesen Menschen sind soziale Kontakte sind stark eingeschränkt und bei Veränderungen reagieren diese Menschen mit Panikattacken und Widerstand“, erklärte Prof. Hirsch. Viele leiden an Abhängigkeit (z.B. Alkohol), Demenz oder Schizophrenie. Um diese Selbstvernachlässigung behandeln zu können, muss laut Hirsch erst einmal die Grunderkrankung mit Medikamenten, Psychotherapie etc. therapiert werden. Weitere Schritte sind dann u.a. die Organisation von Entrümpelung und Hilfediensten und Teilnahme an Selbsthilfegruppen. In seinem Vortrag „(Selbst-)Vernachlässigung in Alteneinrichtungen“ ging Volker Gussmann, Leiter des Fachbereiches 10 Pflege der Hessischen Heimaufsicht Gießen, auf die sog. „Selbstpflegevernachlässigung“ ein. Bei dieser Form der Vernachlässigung werden Handlungen, die zur Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens erforderlich sind, von den Betroffenen gezielt und bewusst nicht ausgeübt bzw. abgelehnt. Mögliche Ursachen sind hierbei Schmerzen, körperliche Schwäche, Depressionen, Unsicherheit oder Resignation. Mögliche Präventionsmaßnahmen in der Pflege seien beispielsweise ausreichendes Fachpersonal und Kooperation der verschiedenen Fachbereiche wie Ärzte- und Pflegepersonal. Rechtliche Bestimmungen müssen beachtet werden Ein weiteres wichtiges Thema waren die juristischen Aspekte, die Christian Braun, LL.M. (Dublin), Betreuungsrichter am Amtsgericht Frankfurt, vorstellte. Hierbei spielten rechtliche Handlungsmöglichkeiten, die Betreuerbestellung, freiheitsentziehende Unterbringung sowie sonstige Einschränkungen der Selbstbestimmungsfreiheit eine Rolle. „Bevor über eine Handlungsmöglichkeit für eine von Selbstvernachlässigung betroffenen Person entschieden wird, sollten die rechtlichen Vorschriften und Konsequenzen ganz genau abgewogen werden und die betroffene Person in die Entscheidung einbezogen werden, sofern das möglich ist“, plädierte Braun. Mit neuester Technik weiterhin selbstbestimmt zu Hause leben Einen innovativen Ansatz zur Eingreifung bei drohender Selbstvernachlässigung stellte Rolf H. van Lengen, Fraunhofer Institut Experimentelles Software Engineering, Kaiserslautern, vor. „Ambient assisted li- ving Technologien“ sollen älteren Menschen in ihrer häuslichen Umgebung den Alltag erleichtern. Mit dieser Technologie können beispielsweise alle Funktionen der Haustechnik gesteuert werden. Hierzu zählen die Steuerung von Licht, Fenster, Rollläden, Türen, Fernseher etc. mittels Sprachsteuerung, die älteren Menschen die komplizierte Bedienung oder kräftezehrende Tätigkeiten im Haushalt erspart. Mit dem Ambient assisted living-Ansatz können zudem akute Ereignisse, wie Stürze oder akut kritische Vitalparameter, gemeldet oder manuell als Alarm ausgelöst werden und den Menschen die Angst nehmen, alleine zu wohnen. „30% der über 65-Jährigen und 50% der über 80-Jährigen stürzen jährlich zu Hause, 40.000 Seniorinnen und Senioren sterben an Sturzfolgen. Mit unseren Ambient assisted living Technologien sorgen wir dafür, dass die älteren Menschen länger selbstbestimmt zu Hause leben und ihre Lebensqualität erhalten und steigern können“, so van Lengen. Die Vorträge und Ansätze des Geriatrieforums 2010 machten die Risiken einer Selbstvernachlässigung deutlich, zeigten aber auch Wege auf, damit umzugehen. „Viele Bereiche müssen sich auf diese Art der Erkrankung einstellen – in medizinischer oder rechtlicher Sicht. Da sich Selbstvernachlässigung schleichend zeigt und es verschiedene Krankheiten als Auslöser gibt, ist es für alle Disziplinen schwierig, damit umzugehen. Beim diesjährigen Geriatrieforum wurde uns dies erneut vor Augen geführt und es ist spannend zu sehen, dass auch moderne Technologie auf das Problem der Selbstvernachlässigung reagiert“, sagte der Chefarzt der Medizinisch-Geriatrischen Klinik des Agaplesion Diakonissen Krankenhauses, PD Dr. Rupert Püllen, zum Ende der Veranstaltung. ADK GERIATRIE JOURNAL 2/10 AKTUELL: INTERVIEW „Aus den Bedürfnissen der Patienten Ziele entwickeln“ Interview mit Professor H.-P. Meier-Baumgartner „Geriatrie – Visionen“ lautete der Titel eines Vortrags von Prof. Hans-Peter Meier-Baumgartner. Das GERIATRIE JOURNAL sprach mit ihm darüber, wie er Visionen entwickelt und welchen Stellenwert sie für ihn besitzen. Professor Meier-Baumgartner, Sie können auf eine erfolgreiche geriatrische Tätigkeit zurückblicken. Sie waren Gründer und ärztlicher Leiter des Schulungszentrums für Bobath-Therapie. Sie waren ebenso lange Jahre Chefarzt und zum Schluss Direktor des Albertinen-Hauses in Hamburg, das sich unter Ihrer Leitung zu einem der führenden Zentren für Geriatrie und Gerontologie entwickelt hat. Was war Ihre treibende Kraft? Meier-Baumgartner: Das ist schwierig zu sagen. Ich denke, dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Da ist zunächst einmal die Trias von Praxis, Forschung und Lehre. Es war mir immer wichtig, klinisch zu forschen, die Erkenntnisse zu evaluieren und die Ergebnisse zu kommunizieren, sei es in der Lehre oder in Form von Vorträgen und Fachartikeln. Dann war es von Anfang mein Anliegen, mit einem interdisziplinären Team zusammen zu arbeiten, denn Teams sind erfolgreicher als Einzelgänger. Außerdem war die umfassende Versorgung mein Ziel. Dazu gehören Angebote für akut Kranke, für chronisch Kranke und für die Kranken in Pflegeheimen sowie die ambulante Behandlung. Also die Kombination von kurativer und rehabilitativer Behandlung. Ich wollte eine integrierte Geriatrie bzw. habe versucht, ein Integrationsmodell anzubieten und nicht nur Krankheiten, sondern auch Behinderungen zu behandeln. Es ist ja die Mischung aus Krankheiten und Behinderungen, die sich im Alter hochschaukelt. ? Sie hatten während Ihres Berufslebens Ziele, die Sie erreichen wollten. Wie haben Sie Ihre Vorstellungen entwickelt? ? GERIATRIE JOURNAL 2/10 Meier-Baumgartner: Eigentlich aus den Bedürfnissen der Patienten. Ihr Ziel ist es, wieder möglichst selbstständig zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte man Instrumente haben. Es gibt Patienten, die möchten so unabhängig wie möglich sein, und es gibt Angehörige, die für eine gewisse Zeit Entlastung suchen. Also muss man ein Angebot kreieren, das möglichst kostengünstig die Bedürfnisse mit den möglichst besten Mitteln und in möglichst kurzer Zeit befriedigt. Deshalb muss man sich überlegen, ob man vielleicht noch eine Tagesklinik braucht, weil das stationäre AnHans Peter MeierBaumgartner wurde am 5. August 1945 in Zürich geboren. Nach dem Studium der Medizin folgten Weiterbildungsjahre in Basel, Bern, Zürich, den USA und Großbritannien. 1980 wurde er zum Chefarzt des Albertinenhauses – Medizinisch-Geriatrische Klinik und Tagesklinik, Hamburg, berufen. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Albertinenhaus durch Gründung einer Akademie für gerontologische Weiterund Fortbildung, eines Schulungszentrums für Bobath-Therapie, einer eigenen Forschungsabteilung und einer speziellen Einrichtung für Demenzkranke zu einem der führenden Zentren für Gerontologie und Geriatrie in Deutschland. 1990 erfolgte die Habilitation im Fachbereich Innere Medizin an der Universität Hamburg. Seit 2005 ist er im Ruhestand. gebot nicht reicht. Dann braucht man einen Fahrdienst, damit der Patient nachts zu Hause ist. So etwas habe ich in England gesehen und dann versucht, in Deutschland einzuführen. Wobei wir nicht die ersten waren, denn es gab bereits die geriatrische Tagesklinik in Frankfurt. Die Idee für die Spezialklinik für Demente habe ich aus Zürich mitgebracht. In Hamburg haben wir zuerst versucht, das Konzept in einer Krankenstation des Albertinen-Hauses umzusetzen und festgestellt, dass das nicht geht. So entstand die Idee für das Max Herz-Haus mit Pflegeheim und Tagesheim. Wichtig ist, die Bedürfnisse der Patienten zu sehen, ein Angebot dafür zu entwickeln und dann versuchen, dafür Gelder zu bekommen. Sie sagten, Sie hätten die Idee für die Tagesklinik aus England mitgenommen. Sie haben also auch geschaut, wie andere arbeiten? Meier-Baumgartner: Ja. Sicher spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass ich in einem Altenheim aufgewachsen bin. Kurz nach meiner Ausbildung haben meine Frau und ich eine geriatrische Entdeckungsreise gemacht. Wir sind sechs Monate durch Amerika, Schottland und England gereist und haben alle damals bekannten Namen aufgesucht. Ich glaube, es waren 80 Häuser. In dieser Zeit habe ich sehr viel gesehen und gelernt. Eine hoch professionelle gerontologisch-geriatrische Versorgung mit sehr viel Technik in den USA und eine sehr liebevolle, zugewandte Versorgung in Großbritannien. Da gab es ein einfaches Pflegeheim mit zehn Betten in einem Zimmer. Das ist für uns unvorstellbar, doch ich sehe diese Frauen heute noch vor mir. Sie saßen in einem Tagesraum an einem künstlichen Kamin, hatten einen Hund und eine Katze und waren wirklich glücklich und zufrieden. Glück und Zufriedenheit ? 11 AKTUELL: INTERVIEW waren auch das Ziel, das Cicely Saunders mit dem St. Christopher’s Hospice verfolgte. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie sie zu mir sagte: „Wissen Sie, was der Patient braucht? Wir müssen ihn soweit bringen, dass er wieder in seinem Pub sitzen kann“. Es war eine sehr interessante Reise und es war faszinierend, dass all diese Koryphäen bereit waren, mit diesem jungen, etwas verrückten Geriater zu reden. Ich war damals noch keine 30. Das brauchte natürlich auch ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und Selbstverständnis. Und sicher ein gewisses Maß an Mut und Unbekümmertheit? Meier-Baumgartner: Das ist richtig. Ich habe immer gerne gespielt und im Sinne des Spielens kann ich den Ernst der Lage genau analysieren. „Der Mensch ist da ganz Mensch, wo er spielt“, meinte schon Schil- ? Geriatrie – Visionen Grundlage und Identifikation geriatrischen Handelns ist der Begriff der Menschenwürde. Er besagt, dass alle Menschen, unabhängig von ihren persönlichen Eigenschaften und ihrer Stellung in der Gesellschaft die gleiche Würde zukommt. Die Würde gilt bis zum Tod und kann nicht durch Krankheit verloren gehen. Geriatrie nimmt die Vergänglichkeit als normalen Prozess hin und sieht im Alter etwas Normales. Das ambulant tätige Team, die Angehörigen, die Pflegekräfte und die Ärzte, die geriatrische Patienten betreuen, verfügen über modernes geriatrisches Know-how. Dazu errichten Hausärzte und Geriater gemeinsame Aus-, Weiterund Fortbildungskonzepte. Es entsteht ein Schwerpunkt Geriatrie beim niedergelassenen Arzt. Wir finden Schwerpunkt-GeriatriePraxen für niedergelassene Ärzte, die mit Pflegeheimen und geriatrischen Kliniken zusammen arbeiten. In der Leitung der Pflegeheime ist ärztlichgeriatrischer Sachverstand vorhanden. Die unselige Zerstückelung des Gesundheitssystems ist überbrückt. Das Pflegeheim ist auch ein Ort der Langzeitrehabilitation und in ihm wird vor allem im Bereich Demenz, besonders wenn sie zusammen mit körperlichen Erkrankungen auftritt, rehabilitativ gearbeitet. In Pflegeheimen wird im Sinne des Teaching Nursing Home Aus-, Weiter- und Fortbildung für Pflegeberufe, Ärzte und Studenten angeboten. Jeder Medizinstudenten, jeder Arzt und jeder klinisch tätige Geriater kennt die Bedingungen, unter denen die Patienten, die Pflege und die Medizin trotz oder wegen der Pflegeversicherung existieren. In jedem großen Krankenhaus ist eine Geriatrie etabliert und ist in sinnvoller Weise mit der Abteilung für Frührehabilitation verknüpft. Die Zusammenarbeit mit der Aufnahmestation ist die Regel. Hier erfolgt die Triage auf Grund der Bedürfnisse der Patienten und nicht der Bettenlage des Krankenhauses. 12 Die Abteilung für Geriatrie ist involviert @ in die Mitarbeit auf der Notaufnahme des Krankenhauses @ in die Mitentscheidung über die Übernahme des Patienten @ in die Mitentscheidung bei der Weiterbehandlung in einer geriatarischen Rehabilitation. Sie hat Mitspracherecht bei der so genannten Pflegefall-Entscheidung oder Übersiedlung in ein Pflegeheim. Die Abteilung für Geriatrie hat genügend Zeit für ein Assessment des Patienten und einen Therapie- und Frührehabilitationsversuch. Die Abteilung ist geprägt durch @ ein rehabilitatives Milieu, @ ein interdisziplinär arbeitendes qualifiziertes Team der unterschiedlichsten Fachberufe, @ eine behindertengerechte Architektur, @ eine dauernd präsente fachärztliche Leitung und @ einen leistungsgerechten standardisierten Personalschlüssel. Die Professionalisierung des Mediziners und der Fach-Pflegekraft sind Grundlage der Arbeit auf der geriatrischen Station. Der Geriater ist mit dem biomedizinischen Krankheitsmodell vertraut und kann kausal orientierte Therapien durchführen. Er beherrscht auch das ganzheitlich orientierte Krankheitsmodell, das biopsychosoziale Krankheitsmodell. Dadurch können auch Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen diagnostiziert und therapiert werden. Es gibt keine Abteilungen mehr, die wegen mangelnder zeitlicher und personeller Ressourcen die Pflege und Therapie nicht leisten können, die wir in der Geriatrie für angemessen halten. Es gibt somit keinen Leidensdruck mehr bei den Mitarbeitern und den kaum lösbaren Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der früher dazu führte, dass viele ihren Beruf verlassen. Wo Geriatrie drauf steht, ist auch Geriatrie drin. Die Kostenträger werden nicht mehr unter finanziellen Gesichtspunkten eine Aufnahme in einer Rehabilitationsabteilung der Geriatrie ablehnen. Die Diskus- sionen um das Thema ‚Was ist ein geriatrischer Patient’ sind beendet. Über Aufnahme oder Nichtaufnahme entscheiden die durch Geriater festgestellten Bedürfnisse der Patienten – analog der akzeptierten Entscheidung eines Kardiochirurgen zur Operation. Die Geriatrie-Abteilung hat einen Assessment-Schwerpunkt, in der geriatrische Syndrome abgeklärt werden. Zu ihr gehören eine Tagesklinik und eine ambulant geriatrische Rehabilitationsabteilung. Es gibt Verbindungen zwischen der Abteilung für Geriatrie, den geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen und den Pflegeheimen der Umgebung im Sinne des Teaching Nursing Homes. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gerontopsychiatrie. Für dementiell Erkrankte bietet die klassische Geriatrie spezielle Unterkunfts- und Behandlungsmöglichkeiten, z.B. in Zusammenarbeit mit dem Pflegeheim, an. Als Kristallisationspunkt und Quelle für die Praxis in der Geriatrie gibt es Geriatriezentren mit Lehrstühlen und Universitätskliniken mit geriatrischen Abteilungen, an denen Geriatrie gelehrt wird, von denen Impulse für die Forschung ausgehen. Hier finden wir auch den Spezialisten für typische Krankheiten und Syndrome im Alter. Jeder Medizinstudent bekommt geriatrische Inhalte vermittelt. Gemeinsames Auftreten der Ordinarien erleichtert es, die Anliegen der Geriatrie gegenüber den Fachgesellschaften der Politik und den Kostenträgern zu vertreten. Die Geriatrie besitzt durch verbindliche Weiterbildung und Standards ein geschärftes Profil. Ihr Einsatzgebiet ist die ambulante Versorgung durch den weitergebildeten Hausarzt, das Pflegeheim, die geriatrische Fachabteilung im Krankenhaus, die Rehabilitationsklinik und das Center of Excellence. Quelle: Prof. H.-P. Meier Baumgartner, Verleihung des Ignatius-Nascher-Preises 2009, Auszüge GERIATRIE JOURNAL 2/10 AKTUELL: INTERVIEW ler in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen. Ich denke, sonst hätte ich vieles nicht gemacht. Ich spiele kein Spiel, meine Arbeit ist mein Spiel. Wo bleiben der Ernst und die Verantwortung? Meier-Baumgartner: Das bleibt natürlich, aber es läuft leichter. Man kann besser mit den Anforderungen des Berufslebens umgehen, wenn man es als Spiel betrachtet. Man kann auch mehr wagen, wenn man nicht an den Vorschriften klebt und an allem, was gegen etwas Neues spricht. Ein Haus für Demente zu bauen, ohne zu wissen, ob die Kassen die Leistungen auch bezahlen und wir kostendeckend arbeiten können, war schon wagemutig. Auf der anderen Seite braucht es einen Träger, der Geld und ebenfalls den Wagemut hat, eine entsprechende Summe einzusetzen. Natürlich haben Bund und Land einen Teil übernommen, doch auch die Restsumme war noch erheblich für die spinnerte Idee eines Geriaters. Dann braucht man noch Vorbilder. Meine Lehrer waren Paul Jucker und Bernhard Steinmann, die damals die aktivierende Pflege die spezielle Altenpflege geschaffen haben. ? Ich schließe daraus, dass Sie erst das Ziel vor Augen hatten und dann versucht haben, es umzusetzen, bevor Sie sich um die Regularien gekümmert haben. Meier-Baumgartner: Hilfreich war natürlich, dass es zum einen ein Bundesmodellprogramm gab und zum anderen Menschen in Bonn und Berlin, die Geld gaben, soweit sie es konnten. Dann haben wir natürlich immer geforscht und konnten über Drittmittel und Stiftungen, wie die Langbein-Stiftung, Buch-Stiftung, Herz-Stiftung und Robert-Bosch-Stiftung, Projekte realisieren. ? Welche Rolle spielt Networking dabei? Meier-Baumgartner: Eine große. Beziehungen sind ungemein wichtig. In der Stadt, zu den Kassen und natürlich zur Politik. Networking ist wichtig, sowohl auf lokaler Ebene als auch auf der Ebene BonnBerlin. Dafür muss man auch viel reden und Vorträge halten, nicht nur hoch me- ? GERIATRIE JOURNAL 2/10 dizinisch-fachlich, sondern auch gerontologisch-fachlich. Man muss auch bereit sein, für die Organisationen von Parteien zu reden. Man muss auch mal nach Bonn oder Berlin fahren und für die Grünen Damen einen Vortrag halten. Ich fasse einmal zusammen: Sie waren Chefarzt, haben aktiv Networking betrieben und Vorträge gehalten. Wie haben Sie das alles in einen 24-Stunden-Tag gekriegt? Meier-Baumgartner: Ich glaube, es hat etwas mit Struktur, Delegation und einem guten Team zu tun. Ich hatte immer sehr gute Oberärzte und immer einen Mitarbeiter für die Verwaltung. Trotzdem braucht es eine gute disziplinierte Tagesstruktur, halb acht auf der Station, Privatvisite, acht Uhr Klinikbesprechung, um halb neun die Besprechung mit der Sekretärin, die den ganzen Tag organisiert hat. Dann habe ich alles diktiert und nie selber geschrieben. Wichtig sind natürlich meine Frau und meine Familie, die immer mitgezogen haben. ? Welche Bedeutung haben Visionen für Sie? Meier-Baumgartner: Visionen kann man gar nicht genug hoch einschätzen. Wenn man keine Visionen hat, dann bleibt man im Alltag. Man muss sich etwas vorstellen, was es noch nicht gibt. Ein Zitat von Erich Fromm drückt meine ganz persönliche Geisteshaltung als Geriater aus: „Wenn das Leben keine Vision hat, nach der man strebt, nach der man sich sehnt, die man verwirklichen möchte, dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen.“ ? Wie findet man so etwas? Meier-Baumgartner: Vielleicht muss man spielerisch sein, Phantasie haben und sich das Unmögliche denken. In der Medizin haben wir ja das Schubladenprinzip – ambulant, stationär, chronisch Kranke und was es da alles gibt. Diese Schubladen interessieren mich nicht, ich befasse mich mit anderen Gedanken. Wie wäre es beispielsweise, wenn jeder Medizinstudent in einem Pflegeheim ein Praktikum machen müsste oder Pflegeheime analog der USA zu Academic Nursing Homes, zu Teaching Nur- ? sing Homes der Geriatarie würden? Oder wie wäre es, wenn Pflegeheime auch Aufgaben der Langzeit-Rehabilitation übernähmen und dabei geriatrisch weitergebildete Ärzte Verantwortung tragen würden? Wie ich bereits sagte: Mich interessieren die Bedürfnisse der Patienten und wie wir die lösen können. Ist die Struktur dagegen, dann muss ich meine Pläne adaptieren, dass es eben doch geht. Visionen brauchen Kreativität und Kreativität braucht Mut und Freiraum zum Denken. Wie haben Sie sich Freiraum geschaffen? Meier-Baumgartner: Solange man arbeitet, hat man in der Regel keinen Freiraum. Das ist das Problem. Dennoch muss man sich Freiraum schaffen. Beispielsweise durch Assistenten, die über Stiftungsgelder finanziert werden. Dann braucht man Stunden, in denen man nicht gestört werden darf. Man muss lernen, dass man Zeit zum Denken braucht, also Zeit, in der man eigentlich nichts tut. Und man muss lernen, seinen Mitarbeitern zu vertrauen und zu delegieren. ? Das bedingt ein gegenseitiges Vertrauen. Meier-Baumgartner: Ja, das bedingt auch, dass man im Fall der Fälle bedingunglos hinter seinen Mitarbeitern steht. ? Herr Professor Meier-Baumgartner, was würden Sie heute anders machen? Meier-Baumgartner: Die Geriatrie noch weiter in die Abläufe integrieren, damit nicht ein nicht geriatrisch weitergebildeter Internist entscheidet. Die Geriatrie gehört an die Aufnahmestation, so dass die alten, multimorbiden, schwer Kranken direkt zum Geriater kommen, damit nicht der Internist entscheidet, wer zum Geriater geht und wer nicht. Ich habe ja mal von Überflussmedizin gesprochen. Damit meine ich, wenn die internen Betten voll sind, dann fließen die Patienten in die Geriatrie herüber. Also bei der Akut-Medizin stärker mitmachen, auf der Notaufnahme präsent sein und auf der anderen Seite im Pflegeheim aktiver sein. ? Herzlichen Dank für dieses Gespräch. 13 I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N Infektionen des zentralen Nervensystems Roland Nau1,2, Sandra Ebert2 und Helmut Eiffert3, Göttingen Zu den wichtigsten Ursachen der Zunahme der Häufigkeit von ZNS-Infektionen im Alter zählt eine Schwächung sowohl der innaten als auch der erworbenen humoralen und zellulären Immunität [3]. Das Erregerspektrum von ZNS-Infektionen beim alten Menschen erstreckt sich neben den üblichen Mikroorganismen auch auf für Immunsupprimierte typische Pathogene. Im Rahmen dieses Artikels werden exemplarisch drei Krankheitsbilder besprochen: die bakterielle Meningitis, der spinale epidurale Abszess sowie durch Varizella-zoster-Virus (VZV) verursachte ZNS-Erkrankungen. D Geriatrisches Zentrum, Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende, Abteilungen Neurologie und 3 Medizinische Mikrobiologie, Universitätsklinik Göttingen 1 2 14 Die bakterielle Meningitis ist in entwickelten Ländern vorwiegend eine Erkrankung des Erwachsenenalters Foto: Andrew Gentry – Fotolia.com ie Epidemiologie bakterieller ZNS-Infektionen, insbesondere der bakteriellen Meningitis, hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Das ist insbesondere die Folge der Impfung von Kindern gegen Haemophilus influenzae Typ b sowie der Einführung von Konjugatvakzinen gegen Streptococcus pneumoniae und Neisseria meningitidis, die bei Kindern unter zwei Jahren bereits wirksam sind. Nachdem früher etwa zwei Drittel der bakteriellen Meningitiden im Kindesalter als Folge der noch nicht ausgereiften Immunantwort auftraten, ist seit Einführung der neuen Impfstoffe für Kinder in den entwickelten Ländern die bakterielle Meningitis eine Erkrankung vorwiegend des Erwachsenenalters. Streptococcus pneumoniae ist der häufigste Erreger von bakteriellen Meningitiden bei alten Menschen [4]. Die Inzidenz der Streptococcus pneumoniae-Meningitis ist bei Personen ≥ 60 Jahre etwa viermal höher als bei Personen im Alter von 2-29 Jahren [22]. Auf Grund der fehlenden Meldepflicht sind die epidemiologischen Daten in Deutschland unzulänglich. In Barcelona waren im Zeitraum von 1997-2006 55% der bakteriellen Meningitiden bei ≥ 65-Jährigen durch Streptococcus pneumoniae verursacht, 17% davon verliefen tödlich [4]. Die Inzidenz von Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) liegt beim alten Menschen höher als beim jungen Erwachsenen. Die Listeriose ist eine typische Infektion des sehr jungen und des alten Menschen sowie von Schwangeren (Abb. 1). Die Inzidenz der Listeria monocytogenesMeningitis ist bei Personen ≥ 60 Jahre im Vergleich zu Personen im Alter von 2-29 Jahren um den Faktor 15 erhöht [22]. Besonders betroffen sind über 80Jährige [21]. Die Erreger werden in der Regel mit der Nahrung aufgenommen, insbesondere durch kontaminierte Rohmilchkäse. Die Daten der ListerioseSurveillance, die seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes erhoben wurden, zeigen eine kontinuierliche Zunahme der Erkrankungen in Deutschland. Personen außerhalb der Schwangerschaft entwickeln in 32% eine ZNS-Infektion, in 26% steht eine Sepsis im Vordergrund [21]. Die ZNS-Infektion verläuft in ca. 90% unter dem Bild der Meningitis oder Meningoenzephalitis, in ca. 10% als Hirnstammenzephalitis oder Hirnabszess [15]. Die Letalität liegt bei über 70-Jährigen mit 26,5% etwa doppelt so hoch wie im GERIATRIE JOURNAL 2/10 I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N Gesamtkollektiv der außerhalb von Schwangerschaft und Geburt Erkrankten [7]. Demgegenüber ist die Meningokokken-Erkrankung (Meningitis, Sepsis) trotz Impfung weiter eine Erkrankung vorwiegend des Kindesalters. Die Vakzine bietet keinen Schutz gegenüber Meningokokken der Gruppe B, die in Deutschland für etwa zwei Drittel der Infektionen verantwortlich sind. Die Inzidenz liegt bei Kindern unter einem Jahr mit 5,38/100.000 am höchsten, während sie bei über 65-Jährigen mit 0,69/100.000 nur geringfügig über der Inzidenz in der Altersgruppe 25-64 Jahre (0,28/100.000) liegt [5]. bei Immunschwäche reaktiviert werden. Das Virus affiziert an erster Stelle die peripheren sensiblen Neurone in den Spinalganglien bzw. im Ganglion Bei der bakteriellen Meningitis geniculi des N. trigeminus (Herpes Zoster). Darüber hinaus kann kommt es im Alter früher zu das VZV diverse ZNS-ManifeVerwirrtheit und Bewusstseinsstationen verursachen (Enzephatrübung als bei jungen Menschen litis, Myelitis, Vaskulitis), die nicht immer mit dem für Herpes raum. Das geschätzte Risiko eines spi- Zoster typischen Exanthem einhergehen nalen epiduralen Abszesses nach spina- [11, 14, 20]. Die Inzidenz von Kranler Anästhesie inkl. Therapie mit Peri- kenhausbehandlungen wegen eines Herduralkatheter liegt zwischen 1:1.000 pes Zoster und seiner Komplikationen und 1:100.000. Neben der epiduralen liegt in entwickelten Ländern zwischen Injektion von Kortikoiden stellen hier 16,1 und 4,4 pro 100.000 Einwohner [6]. Die altersabhängige relative Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen wegen Herpes Zoster steigt stark mit Männer Frauen dem Alter an, insbesondere jenseits des Alters von 50 Jahren. Bei 80-Jährigen und Älteren liegt sie bei über 50 Krankenhausaufnahmen pro 100.000 Personen. Die Letalität aller Patienten ≥ 30 Jahre lag bei 4,6%, die der ≥ 80-Jährigen bei 7,2% [6]. 5 Erkrankung pro 100.000 Einwohner tienten wiesen Risikofaktoren auf [18], insbesondere begleitende Infektionen, Diabetes mellitus, Immunsuppression oder eine Injektion in den Epidural- 4 3 2 Klinik und Therapie 1 0 <1 1-19 20-29 30-39 40-49 Altersgruppen in Jahren 50-59 60-69 ab 70 Quelle: Robert-Koch-Institut: Listeriose. Epidemiologisches Bulletin Nr. 49, 8.12.2006 Abb. 1: Inzidenz der Listeriose in Abhängigkeit vom Alter Infektionen im Bereich der Mundhöhle werden als Ursache systemischer Infektionen einschließlich ZNS-Infektionen unterschätzt. Auch auf Grund ihres häufig sanierungsbedürftigen Zahnstatus sind ältere Menschen diesbezüglich besonders gefährdet [16]. Die Inzidenz epiduraler spinaler Abszesse liegt bei etwa 1 pro 100.000 Personen-Jahre. In einer Populations-basierten Studie traten spinale Abszesse bei Personen im Alter von 40-80 Jahren auf (mittleres Lebensalter 56 Jahre). Obwohl valide epidemiolgische Daten fehlen, scheint auch bei dieser bakteriellen ZNS-Infektion die Inzidenz im Alter anzusteigen [18]. Fast alle PaGERIATRIE JOURNAL 2/10 eine traumatische Katheterplatzierung, mangelnde Sterilität bei der Platzierung sowie eine lange Liegedauer des Periduralkatheters (> 5 Tage 4,3% Infektionen!) zusätzliche Risikofaktoren dar [19]. In ca. 70% wird der epidurale spinale Abszess durch Staphylococcus aureus verursacht. Der häufigste virale Erreger bei Infektionen des Nervensystems im Alter ist das Varizella-zoster-Virus (VZV). Bei 60-Jährigen besteht ein Durchseuchungsgrad von nahezu 100%. Nach durchgemachten Windpocken oder inapparenter Infektion persistiert das Virus im Körper des Wirts und kann Bakterielle Meningitis. Bei typischer klinischer Symptomatik (Fieber, Kopfschmerz, Nackensteifigkeit, Bewusstseinstrübung) ist die Diagnose einer bakteriellen Meningitis nicht schwierig. Ältere oder/und immunsupprimierte Patienten werden dem Arzt hingegen wie Neugeborene und Säuglinge mit einer unspezifischen Symptomatik vorgestellt [10], die eine korrekte Diagnose erschwert (Fieber und Nackensteife bei Aufnahme 70% bzw. 85%) [4]. Wenn ein Meningitis-Verdacht besteht, müssen in jedem Fall sofort in einem Arbeitsgang mit der Anlage der venösen Verweilkanüle Blutkulturen abgenommen werden. Der Liquor soll möglichst ohne Verzögerung gewonnen, mikroskopisch untersucht und kultiviert werden. Die antibiotische Behandlung muss bei typischer Klinik unmittelbar nach Entnahme der Blut- und Liquorkultur begonnen werden. Wird bei V.a. schweres Hirnödem, Mittellinienverlagerung oder erheblicher Ge- 15 rinnungsstörung die Liquorpunktion unterlassen oder erst später durchgeführt, ist eine Verschieben der Antibiose nicht indiziert. Eine verzögerte antibiotische Therapie verschlechtert die Prognose [2]. Bei etwa drei Viertel der Patienten, die später einen positiven kulturellen Befund aufweisen, lässt sich auf Grund des mikroskopischen Befundes in der Gram-Färbung die bakterielle Genese sichern. Bleiben die Kulturen ohne Erregernachweis, kann über zusätzliche mikrobiologische Spezialverfahren wie den Antigennachweis oder die Polymerase-Kettenreaktion der Versuch einer Erreger-Identifikation unternommen werden. Bleibt auch dies ohne Erfolg, stützt sich der klinische Verdacht einer bakteriellen Ätiologie außer auf die klinische Symptomatik auf folgende Parameter: @ Leukozytose im Liquor (> 1.000/µl), @ erhöhte Liquor-Laktatkonzentration (> 3,5 mmol/l), @ ausgeprägte Blut-Liquor-Schrankenstörung mit einem Liquor-Gesamteiweiß von > 1.000 mg/l, @ verminderter Liquor/Serum GlukoseQuotient von < 30%, @ Leukozytose im peripheren Blut > 12.000/µl bzw. Leukopenie < 4.000/ µl oder Linksverschiebung im Differential-Blutbild, @ erhöhtes C-reaktives Protein. Wenn eines dieser Kriterien erfüllt ist, behandeln wir sicherheitshalber antibiotisch, auch wenn hierdurch eine Reihe von Patienten mit einer viralen Meningitis eine antibiotische Behandlung erhält. Die zytologische Beurteilung des Liquors dient u.a. dem Ausschluss bzw. Nachweis einer Meningeosis carcinomatosa, die auch als meningitisches Krankheitsbild imponieren kann. Der Nachweis neoplastischer Zellen grenzt die Meningeosis von der tuberkulösen Meningitis ab. Mit einer Reaktivierung einer latenten Tuberkulose muss im höheren Alter gerechnet werden. Obligate Zusatzuntersuchungen (CCT bzw. C-MRT, NNH-CT, Röntgen-Thoraxaufnahme) dienen dem Nachweis von ursächlichen Begleiterkrankungen bzw. Komplikationen 16 Quelle: Autoren I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N Abb. 2: Vaskulitis bei bakterieller Meningitis (Streptococcus pneumoniae). Hirninfarkte im Stromgebiet der A. cerebri anterior bds.. Links: kraniale Computertomografie. Rechts: MRT des Schädels, T2-Wichtung (Abb. 2). Je nach klinischer Präsentation und Erreger sind zusätzlich ein HNOoder zahnärztliches oder internistisches Konsil oder ein Echokardiogramm indiziert. Infektionsherde in der Nachbarschaft des ZNS sollen rasch saniert werden. Eine Splenektomie (z.B. bei Milzruptur nach Bauchtrauma) ist mit einem lebenslang erhöhten Risiko einer Sepsis oder purulenten Meningitis (in 80% der Fälle Pneumokokken) vergesellschaftet. Daher müssen die Patienten über ihr erhöhtes Infektionsrisiko aufgeklärt und prä- bzw. postoperativ bei Milzentfernung gegen S. pneumoniae, H. influenzae und N. meningitidis geimpft werden. Insbesondere bei älteren Menschen, die vor Jahrzehnten splenektomiert wurden, sind die Kenntnisse über das erhöhte Infektionsrisiko und der Impfstatus nicht selten mangelhaft. Die Behandlung der bakteriellen Meningitis wird bei unbekanntem Erreger und bei außerhalb des Krankenhauses erworbener Meningitis mit Ampicillin 3 x 5 g/d i.v. + Cefotaxim 3 x 2-4 g/d i.v. oder Ceftriaxon 1 x 4 g/d i.v. eingeleitet [9]. Nach Erregeranzucht wird gezielt weiterbehandelt. Die Therapiedauer beträgt bei unkompliziertem Verlauf bei Pneumokokken 14 Tage und bei Listerien 21 Tage. Bei außerhalb des Krankenhauses erworbenen bakteriellen Meningitiden wird unter den Bedingungen der industrialisierten Länder der routinemäßige Einsatz von Kortikosteroiden auch beim alten Menschen grundsätzlich empfohlen: Bei klinisch eindeutiger Symptomatik sollen bei Erwachsenen 10 mg Dexamethason i.v. 15 min vor oder zeitgleich mit der ersten Antibiotikadosis gegeben werden, dann über vier Tage eine Tagesdosis von 4 x 10 mg [9]. Bei Kindern verbessert eine begleitende Behandlung mit Glyzerin p.o. die Prognose. Weitere im Tierexperment wirksame adjuvante Verfahren [13] haben noch keinen Eingang in die klinische Praxis gefunden. Spinaler Abszess. Die klinische Symptomatik lässt sich typischerweise in vier Phasen einteilen: @ Rückenschmerzen, @ radikuläre Schmerzen, @ Parese und @ Plegie. In der Regel bestehen gleichzeitig Fieber, Abgeschlagenheit und eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit bzw. ein erhöhtes C-reaktives Protein. Eine Leukozytose im peripheren Blut kann insbesondere bei älteren Patienten fehlen. Fast immer ist der betroffene Abschnitt der Wirbelsäule klopfschmerzGERIATRIE JOURNAL 2/10 I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N haft. Bei der häufigeren akuten Verlaufsform treten binnen 2-4 Tagen radikuläre Schmerzen und nach weiteren 4-5 Tagen Paresen, Sensibilitäts- und Blasen-Mastdarm-Störungen auf. Wird zu diesem Zeitpunkt nicht interveniert, schreiten die Lähmungen rasch zur Plegie fort. Beim seltenen chronischen Abszess kann sich der oben beschriebene charakteristische Ablauf der Symptome auf Wochen bis Monate erstrecken. Apparative Methode der Wahl zur Diagnose eines spinalen epiduralen Abszesses ist das MRT. Hiermit lässt sich der Abszess in seiner gesamten Ausdehnung darstellen. Die lumbale Myelografie, ggf. mit post-Myelografie-CT, ist nur indiziert, wenn kein MRT durchgeführt werden kann (z.B. bei Patienten mit Herzschrittmacher). Die Punktion des lumbalen Subarachnoidalraums muss vorsichtig erfolgen: die Nadel wird in kleinen Schritten unter häufiger Aspiration vorgeschoben. Wenn Eiter aspiriert wird, ist damit die Verdachtsdiagnose bestätigt und die Punktion des Subarachnoidalraums in dieser Höhe kontraindiziert, um eine Einschleppung der Erreger in den Subarachnoidalraum zu verhindern. Die Untersuchung des lumbalen Liquors ergibt häufig eine Erhöhung der Leukozytenzahl auf 5 bis 1.000/µl und in der Regel eine starke Erhöhung des Liquor-Gesamteiweißes. Nach Durchbruch des Abszesses in den Subarachnoidalraum werden Liquorveränderungen wie bei der bakteriellen Meningitis gefunden. In einem solchen Fall lässt sich auch der Erreger nicht selten aus dem Liquor anzüchten. Die Behandlung des spinalen epiduralen Abszesses besteht in der sofortigen chirurgischen Dekompression in Verbindung mit einer adäquaten antibiotischen Therapie. Bei Verzögerung können Paresen zu einer irreversiblen Plegie fortschreiten. Bei sich über zahlreiche Segmente erstreckenden Abszessen ist die Platzierung von zwei epiduralen Drainagen an verschiedenen Punkten im Epiduralraum und die Anlage einer Spül-Saug-Drainage Therapie der Wahl. Während der Operation muss Material zur mikroskopischen und kulturellen Untersuchung auf Mykobakterien und GERIATRIE JOURNAL 2/10 Pilze sowie auf aerobe und anaerobe oder Spinalganglien entlang der periBakterien (seltener als beim Hirnab- pheren Nerven zu den Nervenendiszess!) asserviert werden. gungen in den entsprechenden DermaDie ungezielte antibiotische Thera- tomen. Zu Beginn treten brennende pie muss immer ein gegen Staphylo- Schmerzen und Missempfindungen im kokken gut wirksames Antibiotikum Verteilungsgebiet einer spinalen Nereinschließen. Zusätzlich müssen Gram- venwurzel oder eines Hirnnervs auf. 3negative Erreger abgedeckt werden. Ob 4 Tage später erscheint im selben Areal auch Anaerobier durch die ungezielte das typische Exanthem. Wie bei den Behandlung abgedeckt werden müssen, Windpocken ist es zunächst makulös, ist umstritten. Bei noch nicht identifi- dann papulös, später treten Bläschen ziertem Erreger geben wir die Kombi- und Krusten auf. In den nächsten 2-4 nation Rifampicin (600 mg/d i.v.) + Wochen heilen die Krusten aus. Zoster Cefotaxim (6-12 g/d i.v.) + Metronida- sine herpete nennt man eine Zostererzol (1,5 g/d i.v.). Wird Pseudomonas ae- krankung ohne Zoster-Effloreszenzen. ruginosa (z.B. bei Infektionen nach Pe- Das Leitsymptom sind lokalisierte brenriduralanästhesie) als Erreger vermutet, nende Schmerzen und Dysästhesien bei muss Cefotaxim durch Ceftazidim er- gleichzeitig bestehender Hypästhesie setzt werden. Wird und Hypalgesie. WeDer häufigste virale Erreger niger als 5% aller Zosein Oxacillin-resistenter Staphylococterkranken erleiden bei Infektionen des cus aureus vermutet segmentale motoriNervensystems im Alter ist (z.B. bei Patienten sche Paresen. das Varizella-zoster-Virus aus einer EinrichBei stark Immungetung der Altenpfleschwächten kann der ge), wird Rifampicin durch Vancomy- zunächst lokalisierte Zoster über eine cin (2 x 1 g/d i.v.) ersetzt. Das gut li- ausgeprägte Virämie kutan oder viszequorgängige Linezolid (2 x 600 mg/d ral generalisieren (Zoster generalisatus). i.v.) kann im Rahmen eines HeilverNach der Reaktivierung kann es auch suchs angewendet werden, wenn die Be- zu einer Aszension durch die Hinterhandlung mit Vancomycin nicht er- wurzel bzw. im sensiblen Hirnnerven in folgreich ist. das Rückenmark oder Gehirn kommen Häufigkeit und Schwere von Spät- (Zoster-Myelitis, -Meningitis, -Enzeschäden sind vom Ausmaß der präope- phalitis). Eine Liquorpleozytose ist oft rativ bestehenden neurologischen Symp- bereits beim unkomplizierten Zoster tome abhängig. Besteht präoperativ nachweisbar, bei der Myelitis, Meninnoch keine Plegie, kann in der Mehr- gitis und Enzephalitis ist sie die Regel. zahl der Fälle mit einer weitgehenden Die meisten Zoster-Enzephalitiden oder vollständigen Rückbildung der beginnen einige Tage nach Ausbruch Ausfälle gerechnet werden. des Exanthems, selten können zentralnervöse Symptome vor Auftreten des Varizella-zoster-Virus-assoziierte Exanthems und bis zu mehreren WoErkrankungen. Meist erst Jahrzehnte chen danach beginnen. Klinische Zeinach der Primärinfektion kommt es zu chen sind Fieber, Kopfschmerzen, Ereiner klinisch sichtbaren Reaktivierung brechen und Bewusstseinstrübungen, der VZV-Infektion (Ganglionitis) be- ferner Meningismus, epileptische Anfäldingt durch ein geschwächtes Immun- le, Lähmungen und psychische Veränsystem. In etwa 20% manifestiert sich derungen. Relativ häufig prädominieren der Zoster im Kopfbereich. Die häu- Symptome einer zerebellären Ataxie. figste Lokalisation ist hier der N. oph- Höheres Lebensalter, Immunsuppresthalmicus (Zoster ophthalmicus) ge- sion und Zosterbefall mehrerer Derfolgt vom N. facialis (Zoster oticus) matome gehen mit einem erhöhten Ri[12]. siko, eine Enzephalitis zu entwickeln, Nach der Reaktivierung im Ganglion einher. Wie bei der Herpes-simplex-Engelangt das VZV von den Hirnnerven- zephalitis ist auch bei der Zoster-Enze- 17 I N F E K T I O LO G I E : B A K T E R I E L L E Z N S - I N F E K T I O N E N phalitis das kraniale MRT sensitiver als das CCT, um Entzündungsherde darzustellen. Die Zoster-Myelitis entsteht am häufigsten nach einem Zoster der Thorakalsegmente und bei Immunsupprimierten. Die Symptomatik tritt im Mittel zwölf Tage nach dem Exanthem auf und befällt bevorzugt dasselbe Rückenmarkssegment. Das häufigste Initialsymptom ist ein Harnverhalt, häufig kombiniert mit Paresen und Sensibilitätsstörungen. Die Erkrankung kann bis zu einem vollständigen Querschnittsyndrom fortschreiten. In den betroffenen Rückenmarksabschnitten zeigen sich im MRT in der T2- und FLAIR-Wichtung häufig Hyperintensitäten. Die VZV-assoziierte Vaskulitis tritt meistens als Folge eines Zoster ophthalmicus auf und manifestiert sich als kontralaterale Hemiparese. Als Ursache wird eine Virusausbreitung vom Ganglion trigeminale zur A. carotis interna vermutet. Histologisch finden sich nekrotisierende granulomatöse Arteriitiden oder Thrombosen mit Gefäßverdickungen ohne entzündliche Reaktionen. Bei der postherpetischen Neuralgie handelt es sich wahrscheinlich um eine kombinierte Störung der peripheren und zentralen Schmerzverarbeitung. Sie tritt insgesamt bei etwa 10% der Patienten auf und ist damit die häufigste Komplikation des Zoster. Die Inzidenz steigt mit dem Lebensalter. Die frühzeitige Gabe eines Virustatikums verringert Häufigkeit und Schwere dieser Komplikation. Patienten mit postherpetischer Neuralgie leiden unter einer Vielfalt sensorischer Beeinträchtigungen (Parästhesien, Dysästhesien, neuralgiforme Schmerzen, ziehende Dauerschmerzen). Regelmäßig kommt eine Hypo- oder Hyperästhesie vor. Im Extremfall entwickelt sich eine Anaesthesia dolorosa. Die Schmerzen werden oft als sehr quälend beschrieben. Mittel der Wahl für alle durch VZV verursachten Infektionen (außer Windpocken) ist Aciclovir. Die Dosierung richtet sich nach der Indikation: bei unkomplizierten Zosterfällen inkl. Zoster 18 oticus und Zoster ophthalmicus bei immunkompetenten Patienten jeden Alters wird Aciclovir 5 x 800 mg/d p.o. (bzw. Valaciclovir 3 x 1 g/d p.o. oder Ganciclovir 3 x 0,25 g/d p.o.) verabreicht. Bei Enzephalitis, Myelitis, Vaskulitis, komplizierten Zosterfällen und allen VZV-Infektionen bei immunsupprimierten Patienten wird Aciclovir 3 x/d in einer Dosis von 10 mg/kg KG i.v. infundiert [9]. Bei eingetretener postherpetischer Neuralgie wirken Carbamazepin (6001200 mg/d), Gabapentin (900-3000 mg/ d) oder Pregabalin (150-450 mg/d) auf einschießende neuralgiforme Schmerzen. Antidepressiva (z.B. Duloxetin 6090 mg/d) wirken eher gegen länger anhaltende dumpfe Schmerzen. Die lokale Anwendung von Capsaicin-Salbe führt bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Schmerzlinderung. Zur Prophylaxe von Herpes Zoster und dadurch verursachte postherpetische Neuralgien ist in Deutschland seit Oktober 2009 einen Lebend-Impfstoff für Personen ab einem Alter von 50 Jahren zugelassen worden [17]. Danksagung. Dr. Sandra Ebert wird durch ein Forschungsstipendium Geriatrie der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt. Die Arbeiten von Prof. Roland Nau und Prof. Helmut Eiffert werden von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung gefördert. Literatur 1. Angus DC, Linde-Zwirble WT, Lidicker J, et al: Epidemiology of severe sepsis in the United States: analysis of incidence, outcome, and associated costs of care. Crit Care Med 29 (2001) 1303-10 2. Auburtin M, Wolff M, Charpentier J, et al: Detrimental role of delayed antibiotic administration and penicillin-nonsusceptible strains in adult intensive care unit patients with pneumococcal meningitis: the PNEUMOREA prospective multicenter study. Crit Care Med 34 (2006) 2758-65 3. Aw D, Silva AB, Palmer DB: Immunosenescence: emerging challenges for an ageing population. Immunology 120 (2007) 435-46 4. Cabellos C, Verdaguer R, Olmo M, et al: Community-acquired bacterial meningitis in elderly patients: experience over 30 years. Medicine (Baltimore) 88 (2009) 115-9 5. Cohn AC, MacNeil JR, Harrison LH, et al: Changes in Neisseria meningitidis disease epidemiology in the United States, 1998-2007: implications for prevention of meningococcal disease. Clin Infect Dis 50 (2010) 184-91 6. Gil A, Gil R, Alvaro A, San Martín M, et al: Burden of herpes zoster requiring hospitalization in Spain during a seven-year period (1998-2004). BMC Infect Dis 9 (2009) 55 7. Guevara RE, Mascola L, Sorvillo F: Risk factors for mortality among patients with nonperinatal listeriosis in Los Angeles County, 1992-2004. Clin Infect Dis 48 (2009) 1507-15 8. Gutiérrez F, Masiá M, Mirete C, et al: The influence of age and gender on the population-based incidence of community-acquired pneumonia caused by different microbial pathogens. J Infect 53 (2006) 166-74 9. Kommission „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie“: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York 2008 10. Miller LG, Choi C: Meningitis in older patients: how to diagnose and treat a deadly infection. Geriatrics 52 (1997) 43-4, 47-50, 55 11. Nagel MA, Cohrs RJ, Mahalingam R, et al: The varicella zoster virus vasculopathies: clinical, CSF, imaging, and virologic features. Neurology 70 (2008) 853-60 12. Nau R, Bitsch A: Herpesvirenerkrankungen. In: Hopf HC, Deuschl G, Diener HC, Reichmann H (Hrsg) Neurologie in Klinik und Praxis, Band 1, 3. Aufl., Thieme 1999, 746-56 13. Nau R, Brück W: Neuronal injury in bacterial meningitis: mechanisms and implications for therapy. Trends Neurosci 25 (2002) 38-45 14. Nau R, Lantsch M, Stiefel M, et al: Neurology 51 (1998) 914-5 15. Nau R, Schuchardt V, Prange HW: Listeriosis of the central nervous system Fortschr Neurol Psychiatr 58 (1990) 408-22 16. Navazesh M, Mulligan R: Systemic dissemination as a result of oral infection in individuals 50 years of age and older. Spec Care Dentist 15 (1995) 11-9 17. Oxman MN, Levin MJ, Johnson GR, et al. A vaccine to prevent herpes zoster and postherpetic neuralgia in older adults. N Engl. J Med 352 (2005) 2271-84 18. Ptaszynski AE, Hooten WM, Huntoon MA: The incidence of spontaneous epidural abscess in Olmsted County from 1990 through 2000: a rare cause of spinal pain. Pain Med 8 (2007) 338-43 19. Ranasinghe JS, Lee AJ, Birnbach DJ: Infection associated with central venous or epidural catheters: how to reduce it? Curr Opin Anaesthesiol 21 (2008) 386-90 20. Ratzka P, Schlachetzki JC, Bähr M, et al: Varicella zoster virus cerebellitis in a 66-year-old patient without herpes zoster. Lancet 367 (2006) 182 21. Robert-Koch-Institut: Listeriose. Epidemiologisches Bulletin Nr. 49, 8.12.2006 22. Schuchat A, Robinson K, Wenger JD, et al: Bacterial meningitis in the United States in 1995. Active Surveillance Team. N Engl J Med 337 (1997) 970-6 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Roland Nau, Chefarzt des Geriatrischen Zentrums, Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende, An der Lutter 24, 37075 Göttingen GERIATRIE JOURNAL 2/10 N E U R O LO G I E : C H R O N I S C H E E R K R A N K U N G DES ZNS Therapie der Multiplen Sklerose in der Geriatrie Jörn Peter Sieb, Stralsund Foto: BMBF Sturzgefährdete Patienten sollten rechtzeitig an den Gebrauch von Hilfsmitteln herangeführt werden, um Sekundärkomplikationen wie Schenkelhalsfrakturen oder degenerative Gelenkschäden durch Fehlbelastungen zu vermeiden. Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Bei einer geschätzten Zahl von 120.000-140.000 MS-Erkrankten in Deutschland wird auch der Geriater häufiger in die Behandlung von MS-Erkrankten mit einem fortgeschrittenen Lebensalter eingebunden. Die Erkrankung beginnt jedoch nur bei zirka 6% nach dem 50. Lebensjahr. Die Therapie der MS im Senium weist Besonderheiten auf, die in dieser Übersicht dargestellt werden. In höherem Lebensalter ist meist ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium erreicht, so dass es weniger auf eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch eine Immunmodulation ankommt, sondern auf eine individuell ausgerichtete symptomatische Therapie. D urch das unter Federführung der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) im Jahr 2001 eingerichtete MS-Register stehen eingehende Informationen zur Versorgungssituation von MS-Kranken in Deutschland zur Verfügung [3]. Der Beginn einer MS-Erkrankung nach dem 50. Lebensjahr ist die Ausnahme. Das Durchschnittsalter bei Krankheitsbeginn unter den in das deutsche MS-Register aufge- GERIATRIE JOURNAL 2/10 nommenen Kranken beträgt 31,4 ± 10,2 Jahre. Lediglich 4,9% dieser Patienten erkrankten nach dem 50. Lebensjahr. Ein Beginn nach dem 60. Lebensjahr ist mit 0,9% noch seltener. Die diagnostische Sicherung einer sich spät manifestierenden MS in Abgrenzung zu neurodegenerativen oder vaskulären Erkrankungen ist auch für den Neurologen häufig eine Herausforderung. Bei geriatrischen Patienten sollte immer er- wogen, ob eine gegebenenfalls vor Jahrzehnten gestellte MS-Diagnose überhaupt zutrifft. Die Einführung der Kernspintomographie und die Etablierung eindeutiger Diagnosekriterien haben die diagnostische Sicherheit erheblich verbessert. Bislang ist die MS mit einer Spätmanifestation jenseits des 50. Lebensjahrs nur in einer überschaubaren Anzahl von Studien untersucht worden [6, 7, 9, 10, 19 N E U R O LO G I E : C H R O N I S C H E E R K R A N K U N G DES ZNS 14, 17]. Die initiale Symptomatik unter- wurde. Der Rückgang der MS-Sterb- Herzkrankheit, chronisch-obstruktive scheidet sich bei einem späten Erkran- lichkeit begann bereits in den 1950-er Lungenerkrankungen und Diabetes melkungsbeginn von derjenigen bei einer Jahren, also weit vor litus, signifikant selManifestation im jüngeren Erwachse- Einführung der mo- Auf dem Uhthoff-Phänomen tener bei MS-Patiennenalter [7]. Häufiger als in jungen Jah- dernen Immunmoduten als Entlassungsberuhende Pseudoschübe ren finden sich bei einem Krankheitsbe- latoren und ist verdiagnose zu finden als müssen von MS-Schüben ginn nach dem 50. Lebensjahr initial py- mutlich auf die verin der Kontrollgrupabgegrenzt werden ramidal-motorische Defizite mit Para- besserte Prävention pe. In einer aktuellen oder Tetraparese und wesentlich seltener von Komplikationen Untersuchung ebensensible Funktionsstörungen oder eine durch rehabilitative Maßnahmen und die falls aus den USA war das Risiko einer einseitige Sehnervenentzündung. Die Einführung symptomatischer Therapie- Hospitalisierung auf Grund einer ischäKrankheitsprogression ist keineswegs ra- maßnahmen zurückzuführen. mischen Herzerkrankung bei MS-Pascher als bei einem Krankheitsbeginn im Nicht einheitlich sind die Literaturan- tienten vermindert, jedoch erhöht auf jüngeren Erwachsenenalter [14]. gaben zum Risiko von begleitenden Er- Grund eines ischämischen Schlaganfalls Die MS ist allgemein eine fortschrei- krankungen bei MS. Zirka jeder zweite [1]. Gemäß der bereits erwähnten dänitende Erkrankung mit einem im Krank- MS-Erkrankte wird an Komplikationen schen Untersuchung [2] soll sich aber bei heitsverlauf zunehmenden Behinde- der MS versterben [13]. In einer ameri- MS-Kranken eine vermehrte kardiovasrungsgrad. Aus einem Erkrankungsbe- kanischen Studie bei über 5.000 MS-Pa- kuläre Mortalität finden und die Sterbginn in einem jüngeren Lebensalter tienten mit einem Alter von mindestens lichkeit durch eine maligne Erkrankung resultiert daraus 65 Jahren wurde die vermindert sein. häufig eine deutlialterstypische KoWeiterhin zeigen einige, jedoch keiEs zeigt sich, dass die che Behinderung im morbidität unter- neswegs sämtliche Untersuchungen eine Empfehlungen der Alter. Im Alter von sucht [4] (Tab. 1). erhöhte Suizidrate unter MS-Kranken DGN-Leitlinien zur medika50 Jahren konnten Im Vergleich zu ei- [12]. Zu Suiziden soll es eher im jüngeunter den Patienten ner Kontrollgruppe ren Erwachsenenalter und in den ersten mentösen Therapie von des deutschen MSgleichaltriger Kran- fünf Jahren nach der Diagnosestellung MS-Symptomen für junge Registers noch 60% kenhauspatienten kommen [12]. Trotzdem besteht gerade Patienten aufgestellt wurden eine Gehstrecke von fanden sich bei den beim älteren MS-Kranken ein erhebli100 Metern ohne MS-Patienten häu- ches Risiko einer Depression auch mit Hilfe bewältigen – im Alter von 60 Jah- figer Harnwegsinfekte (30,7%), Dekubiti Suizidalität, das durch das Fehlen soziaren waren es noch 40%[3]. Insgesamt (9,2%) sowie Pneumonien und Blasen- ler Unterstützung bei Einsamkeit und zeigt sich jedoch im Vergleich zu älteren entleerungsstörungen. Bemerkenswer- sozialer Isolation noch verstärkt wird [16]. Untersuchungen, dass die Erkrankung terweise waren in dieser Untersuchung Gelegentlich wird von MS-Kranken gar häufig gutartiger verläuft als angenom- ansonsten typischerweise im Alter auf- der Wunsch nach aktiver Euthanasie vormen wurde. tretende Erkrankungen, wie arterielle gebracht. Leider wird allzu häufig eine deIn der Altersgruppe der 55- bis 64-Jäh- Hypertonie, Herzinsuffizienz, koronare pressive Entwicklung bei MS-Kranken rigen waren noch 14,2% voll berufstätig übersehen und eine notwendige antideund bereits 61,3% erhielten eine Erpressive Therapie nicht eingeleitet. Erkrankung Häufigkeit werbsminderungsrente [3]. Auch zeigt Osteopenie 37,0% das deutsche MS-Register, dass eine BeSymptomatische Therapie Harnwegsinfekt 30,7% rentung häufig bereits frühzeitig im Dekubiti 9,2% Mit dem Fortschreiten einer MS und eiKrankheitsverlauf zu einem Zeitpunkt Malignome 6,8% ner damit zunehmenden Behinderung noch uneingeschränkter Gehfähigkeit erwird eine an die individuellen Notwenfolgt. Selbstredend wirkt sich ein frühArterielle Hypertonie 7,4% digkeiten ausgerichtete, symptomatische zeitiger Zeitpunkt der Berentung erhebPneumonie 6,3% Therapie im Rahmen eines umfassenden lich auf die soziale Situation im Alter aus. Herzinsuffizienz 5,4% Behandlungskonzepts immer wichtiger. Gemäß einer dänischen Studie [2] verBlasenfunktionsstörungen 4,9% Wesentliche Ziele sind die Beseitigung sterben MS-Kranke durchschnittlich zirChronisch-obstruktive oder Reduktion von Krankheitssymptoka 10 Jahre früher als nicht an MS erLungenerkrankung 4,6% men, wie Spastik, Ataxie, Blasenstörung krankte. Jedoch zeigte diese UntersuKoronare Herzkrankheit 3,8% oder Schmerzen/Dysästhesien, die die chung, dass sich in den vergangenen funktionellen Fähigkeiten der MS-BeJahrzehnten die Lebenserwartung der Diabetes mellitus 3,1% troffenen und deren Lebensqualität häuMS-Kranken zunehmend verbessert hat (nach Krankenhausdiagnosen) [4] fig maßgeblich beeinträchtigen. Weiterund zunehmend eine Angleichung an hin muss besonders auf das Bestehen von diejenige der Gesamtbevölkerung erreicht Tab. 1: Komorbiditäten bei MS im Alter 20 GERIATRIE JOURNAL 2/10 N E U R O LO G I E : C H R O N I S C H E E R K R A N K U N G DES ZNS kognitiven Defiziten z.B. mit einer Stö- spiel wird gegen chronische Par- und DysDie derzeit verfügbaren Präparate für rung von Konzentration und Aufmerk- aesthesien das trizyklische Antidepressi- eine Immunmodulation zeigen im Allsamkeit, beziehungsweise von Fatigue vum Amitriptylin in einer Tagesdosis von gemeinen nur in frühen Phasen der Prooder einer Depression geachtet werden. 25-150 mg empfohlen, das jedoch auf gredienz mit persistierender SchubaktiDie vom Arzt wahrgenommenen Symp- Grund seiner anticholinergen Wirkung vität eine klinische befriedigende Wirtome sind dabei nicht immer diejenigen, beim Älteren häufig mit unerwünschten kung, was sich in den jeweiligen die auch den Patienten am meisten be- Wirkungen verbunden ist. Gabapentin Zulassungen dieser Präparate widerspielasten [11]. soll gemäß DGN-Leitlinien gegen gelt. Beim geriatrischen Patienten ist die Fieber, z.B. im Rahmen von Harn- schmerzhafte Paroxysmen in einer Dosis Wahrscheinlichkeit jedoch hoch, dass die wegsinfekten, kann vorübergehend neu- bis zu 2.400 mg täglich eingesetzt wer- Multiple Sklerose nach einem initial rologische Defizite bei MS-Kranken der- den. Gabapentin wird renal eliminiert. schubförmigen Verlauf in einen sekundär artig verschlechtern, dass eine stationäre Entsprechend besteht bei Niereninsuffi- chronisch-progredienten Verlauf übergeBehandlung notwendig wird. Die passa- zienz die Möglichkeit einer Kumulation, gangen ist. Bei einem Erkrankungsbegere Verschlechtewenn Gabapentin in ginn nach dem 50. Lebensjahr nimmt Beim geriatrischen Patienten einer höheren Tages- der Anteil derjenigen mit einer primärrung bei einer Erhöhung der Kör- muss intensiv geprüft werden, dosis eingesetzt wird. progredienten Verlaufsform (PP-MS) pertemperatur ist Auch für das gegen deutlich zu, während unter jungen Paob bei der medikamentösen seit langem bekannt Fatigue empfohlene tienten lediglich 10% der Fälle diesen Therapie nicht Kontraund wird als UhtAmantadin stellt eine Verlaufstyp aufweist. In einer aktuellen indikationen bestehen … hoff-Phänomen bekompensierte Nieren- Untersuchung aus Deutschland wiesen zeichnet. Klinisch insuffizienz eine rela- sogar 80% derjenigen mit einer Erkranmüssen auf dem Uhthoff-Phänomen be- tive Kontraindikation dar auf Grund der kung nach dem 50. Lebensjahr eine PPruhende Pseudoschübe von MS-Schü- dann bestehenden Kumulationsgefahr MS auf [7]. Für die PP-MS sind die derben abgegrenzt werden. mit konsekutivem Delir, zumal es unter zeit verfügbaren Immunmodulatoren Auf Grund der meist vorhandenen Amantadin kardial zu einem gegebenen- nicht zugelassen. Weiterhin erfolgten die Beinspastik und Ataxie sind viele der äl- falls gefährlichen Anstieg der QTc-Zeit Zulassungsstudien für diese Präparate tyteren Patienten sturzgefährdet und soll- kommen kann. Es zeigt sich, dass die pischerweise mit 18- bis 55-jährigen Paten rechtzeitig an den Gebrach von Hilfs- Empfehlungen der DGN-Leitlinien zur tienten, worauf in den Fachinformatiomitteln (dynamische Peronaeusschiene, medikamentösen Therapie von MS- nen hingewiesen wird. Gehwagen oder Rollstuhl) herangeführt Symptomen für junge Beim jüngeren Pa… und die Möglichkeit werden, um Sekundärkomplikationen Patienten aufgestellt wurtienten mit einer bewie Schenkelhalsfrakturen oder degene- den. Beim geriatrischen sonders raschen Krankindividuell besser verrative Gelenkschäden durch Fehlbelas- Patienten muss beträglicher Alternativen heitsprogression erfolgt tungen zu vermeiden. eine Therapieeskalation, sonders intensiv geprüft erwogen werden Es gibt Evidenz-basierte Empfehlungen werden, ob nicht Kontrawobei derzeit immunzur Behandlung wichtiger und häufiger indikationen bestehen, suppressiv-zytostatisch Symptome im Rahmen einer MS, die und die Möglichkeit individuell besser oder mit Natalizumab (Tysabri®) beauch von der Website der Deutschen Ge- verträglicher Alternativen erwogen wer- handelt wird. Das Zytostatikum Mitsellschaft für Neurologie (DGN) abruf- den, auch wenn für diese die Studienla- oxantron (Ralenova®) ist zugelassen für die Behandlung von nicht-rollstuhlbar sind (www.dgn.org) [5]. Darunter ist ge schlechter ist. pflichtigen Patienten mit sekundär-proder Wert einer gezielten Physiotherapie gredienter oder progressiv-schubförmizur Vermeidung von Sekundärfolgen und Immunmodulatorische Therapie ger Multipler Sklerose, wobei die Karzur Verbesserung funktioneller Einschränkungen bei MS-Patienten mit Geh- Die Möglichkeit durch immunmodula- diotoxizität den Einsatz von Mitoxantron behinderung, Koordinationsstörungen torische Maßnahmen, also durch den beim Älteren besonders einschränkt. Zu und Spastik auch für den geriatrischen Pa- Einsatz eines Interferon-beta-Präparats Azathioprin gibt es kaum Studien. Natienten sicher unstrittig. Donepezil (Avonex®, Betaferon®, Extavia®, Rebif®) talizumab ist ein monoklonaler Anti(10 mg/Tag) hat sich als wirksam auch oder von Glatiramerazetat (Copaxone®), körper, der gegen Oberflächen-Rezepbei MS-assoziierten Gedächtnisstörun- den Verlauf einer schubförmigen MS gün- toren auf Leukozyten (Integrine) gen erwiesen und der diesbezügliche Ein- stig zu beeinflussen, ist in der Geriatrie gerichtet ist und verhindert, dass Absatz wird in den Leitlinien der DGN kaum gegeben. Die absehbare Zulassung wehrzellen die Bluthirnschranke überweiterer Medikamente für eine Verlaufs- winden. Der Einsatz von Natalizumab ist empfohlen [8, 15]. Andere Empfehlungen der DGN-Leit- beeinflussung der MS wird daran vor- mit dem Risiko einer progressiven mullinien sind dagegen aus geriatrischer Sicht aussichtlich bis auf weiteres nichts än- tifokalen Leukenzephalopathie verbunden, die unbehandelt tödlich verläuft, keineswegs unproblematisch. Zum Bei- dern. GERIATRIE JOURNAL 2/10 21 N E U R O LO G I E : C H R O N I S C H E E R K R A N K U N G DES und er wird mutmaßlich nie eine Option prädiabetischen Stoffwechsellage unter in der Geriatrie sein. Steroiden und auf den SerumkaliumDagegen ist auch für den älteren MS- spiegel zu achten. Auch sollte die psychoPatienten eine Kortikosteroid-Pulsthe- trope Wirkung von Kortikosteroiden in rapie häufig eine wirksame und gut ver- derartig hoher Dosis nicht unterschätzt trägliche Therapiewerden. Jedes Zeioption. Sie wird Die Möglichkeit durch immun- chen einer akuten entweder bei SchüPsychose, wie Demodulatorische Maßnahmen ben oder bei chropression, Halluzinaden Verlauf einer schubnischer Progredienz tionen, formale oder intermittierend z.B. inhaltliche Denkstöförmigen MS günstig zu in dreimonatigen rung, erfordert eine beeinflussen, ist in Abständen durchpsychiatrische Inder Geriatrie kaum gegeben geführt. Nach Austervention. Auch schluss eines akukommt es nicht selten Infektes und Beachtung der Kontra- ten zu einer Ruhe- und Schlaflosigkeit indikationen wird dabei intravenös in unter einer hochdosierten Kortikosteroeiner Dosierung von 500-1000 mg Me- id-Therapie. thylprednisolon an drei bis maximal fünf Vielmehr als beim jüngeren MS-Paaufeinander folgenden Tagen unter Ma- tienten müssen in der Geriatrie Vorbegenschutz und Thromboseprophylaxe reitungen für die letzte Lebensphase morgens gegeben. Teilweise wird emp- getroffen werden. Rechtzeitig ist das fohlen, im Anschluss an die intravenöse Gespräch über die gewünschten bezieTherapie über 14 Tage beginnend Me- hungsweise nicht gewünschten Maßthylprednisolon allmählich abzudosie- nahmen in lebensbedrohlichen Situatioren, wobei mit einer Tagesdosis von 80 nen unter Einbeziehung der Bezugsoder 100 mg begonnen wird. Während personen zu suchen. Gerade bei sich der Pulstherapie müssen Blutdruck, Blut- abzeichnenden kognitiven Einschränzucker und Elektrolyte engmaschig kon- kungen muss rechtzeitig auf die Mögtrolliert werden. Beim älteren Menschen lichkeit von Willensäußerungen in Form ist besonders auf die Entgleisung einer von Patienten- und Betreuungsverfügung Broschüre „MS in Deutschland“ 2001 existierten weder verlässliche Daten über die Häufigkeit der Multiplen Sklerose (MS) in Deutschland noch über ihre Verteilung auf die verschiedenen Verlaufsformen, die Häufigkeit der unterschiedlichen Symptome, die Schweregrade dauerhafter Behinderungen, die Versorgung mit verlaufsmodifizierenden und symptomatischen Therapien oder die Arbeitsfähigkeit. Diese Daten sind allerdings unerlässlich, um die Lebenssituation MS-Erkrankter, auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten, zu verbessern. Aus diesem Grund wurde das deutsche MS-Register ins Leben gerufen, das mittlerweile auch als Vorbild für ein europäisches MS-Register gilt. Nach Abschluss der zweijährigen Pilotphase (2002-2003) wurden der Basisdatensatz modifiziert und neue MS-Zentren für die Dokumentation rekrutiert. Diese 118 Zentren erhoben bis Mitte 2009 insgesamt 34.023 verwertbare Datensätze. Die Auswertung dieser Daten hat interessante und aufschlussreiche Erkenntnisse, vor allem auch zur Versorgungssituation, erbracht. Trotz verbesserter technischer Möglichkeiten dauert es im Schnitt immer noch 3,1 Jahre bis zur Diagnosestellung. Mehr als 70% aller MS-Patienten werden immuntherapeutisch behandelt. Im Gegensatz dazu werden symptomatische Therapien sehr viel seltener verordnet. So erhalten 75% der an Fatigue, 80% der an kognitiven Störungen und ein Drittel der an Spastik leidenden Patienten keine Therapie. Auf 12 Seiten gibt die Broschüre „MS in Deutschland“ einen Überblick über das MS-Register-Projekt, stellt die Verantwortlichen, die Teilnehmer, die Methodik und alle bis Mitte dieses Jahres erfolgten Auswertungen vor. Sie ist gegen eine Schutzgebühr von 1,00 Euro erhältlich und kann bei der Deutschen Multiple Sklerose-Gesellschaft unter www.dmsg.de bestellt werden. 22 ZNS hingewiesen werden [11]. Immer sollte versucht werden, die Angehörigen intensiv in die Kommunikation und Entscheidungen einzubeziehen. Literatur 1. Allen N.B., Lichtman J.H., Cohen H.W. et al: Vascular disease among hospitalized multiple sclerosis patients. Neuroepidemiology (2008) 234-238 2. Brønnum-Hansen H., Koch-Henriksen N., Stenager E.: Trends in survival and cause of death in Danish patients with multiple sclerosis. Brain (2004) 844850 3. Flachenecker P., Stuke K., Elias W. et al: MultipleSklerose-Register in Deutschland. Ausweitung des Projektes 2005/2006. Dtsch Ärztebl (2008) 113119 4. Fleming S.T., Blake R.L., Jr.: Patterns of comorbidity in elderly patients with multiple sclerosis. J Clin Epidemiol (1994) 1127-1132 5. Henze T., Rieckmann P., Toyka K.V.: Symptomatic treatment of multiple sclerosis. Multiple Sclerosis Therapy Consensus Group (MSTCG) of the German Multiple Sclerosis Society. Eur Neurol (2006) 78105 6. Hooge J.P., Redekop W.K.: Multiple sclerosis with very late onset. Neurology (1992) 1907-1910 7. Kis B., Rumberg B., Berlit P.: Clinical characteristics of patients with late-onset multiple sclerosis. J Neurol (2008) 697-702 8. Krupp L.B., Christodoulou C., Melville P. et al: Donepezil improved memory in multiple sclerosis in a randomized clinical trial. Neurology (2004) 1579-1585 9. Martinelli V., Rodegher M., Moiola L. et al: Late onset multiple sclerosis: clinical characteristics, prognostic factors and differential diagnosis. Neurol Sci (2004) S350-S355 10. Polliack M.L., Barak Y., Achiron A.: Late-onset multiple sclerosis. J Am Geriatr Soc (2001) 168-171 11. Rieckmann P. Voltz R., Multiple Sklerose; in Günnewig, T. and Erbguth, F. (Hrsg): Praktische Neurogeriatrie, Kohlhammer (2009) 12. Stenager E.N., Stenager E.: Suicide and patients with neurologic diseases. Methodologic problems. Arch Neurol (1992) 1296-1303 13. Stern M.: Aging with multiple sclerosis. Phys Med Rehabil Clin N Am (2005) 219-234 14. Tremlett H., Devonshire V.: Is late-onset multiple sclerosis associated with a worse outcome? Neurology (2006) 954-959 15. Tsao J.W., Heilman K.M.: Donepezil improved memory in multiple sclerosis in a randomized clinical trial. Neurology (2005) 1823 16. Turner A.P., Williams R.M., Bowen J.D. et al: Suicidal ideation in multiple sclerosis. Arch Phys Med Rehabil (2006) 1073-1078 17. White A.D., Swingler R.J., Compston D.A.: Features of multiple sclerosis in older patients in South Wales. Gerontology (1990) 159-164 Korrespondenzanschrift: Prof. Dr. med. Jörn Peter Sieb, Chefarzt der Klinik für Neurologie, Geriatrie und Palliativmedizin, Hanse-Klinikum, Große Parower Str. 47-53, 18435 Stralsund, eMail: [email protected] GERIATRIE JOURNAL 2/10 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N Störungen des Ganges Herbert F. Durwen, Düsseldorf S törungen des Ganges nehmen in ihrer Häufigkeit mit dem Alter kontinuierlich zu und gehen mit einer nicht unerheblichen Einschränkung der Mobilität einher. Gangstörungen sind neben posturalen Beeinträchtigungen die häufigste Ursache für Stürze im höheren Lebensalter. Außer der häufigen Disposition zu Stürzen und Verletzungen sind Gangstörungen auch mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität assoziiert [17]. Es ist anzunehmen, dass etwa 10-15% aller Menschen jenseits des 60. Lebensjahres unter einer Störung des Ganges leiden [13]. Jenseits des 80. Lebensjahres steigt dieser Anteil sogar auf ca. 25-30% an [12], bei über 85-Jährigen kann er bis zu 50% betragen [25]. Neben der Höhe des Lebensalters ist ein weiterer wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten einer Gangstörung das Vorliegen eines demenziellen Abbaus [23]. Darüber hinaus gibt es auch noch häufige extrinsische Faktoren, die eine Gangstörung induzieren oder verschlimmern können. Hierzu zählen beGERIATRIE JOURNAL 2/10 Foto: AOK-Mediendienst Die Häufigkeit von Gangstörungen nimmt mit dem Alter kontinuierlich zu und zählt zu den häufigsten Ursachen für Stürze. Doch Gangstörung ist nicht gleich Gangstörung. Der Artikel zeigt die im Alter relevanten Krankheitsbilder von Gangstörungen auf, stellt Strategien zur Diagnostik vor und erläutert allgemeine Ansätz zur Behandlung. stimmte Pharmaka (Tab. 1) ebenso wie ein Alkoholabusus [25]. Eine Gangstörung ist definiert als eine Pathologie des natürlichen Ganges, die über eine normale Reduktion der Gehgeschwindigkeit im höheren Lebensalter hinausgeht. Im Alter stellen Gangstörungen oft keine homogene Krankheitsentität dar, sondern sind in der Regel multifaktoriell determinierte Syndrome unterschiedlichster Herkunft. Krankheitsbilder im Alter, die häufig mit Gangstörungen einhergehen, sind Morbus Parkinson und Parkinson Syndrome, subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, Normaldruckhydrozephalus, Zustand nach Schlaganfall, zerebelläre und sensible Ataxien sowie Schmerz- @ Neuroleptika @ Antiepileptika @ Benzodiazepine @ Chemotherapeutika Tab. 1: Gangstörungen induzierende Pharmaka Besonders effektiv scheinen auch multimodale Programme zu sein, so genannte „walking and talking-Programme“, in denen der Patient neben der Gehübung simultan eine kognitive Aufgabe bewältigen muss. syndrome, vor allem im Zusammenhang mit orthopädisch bedingten Gangstörungen. Aber auch Störungen des Sehens (visuelle Ataxie) und des Gleichgewichtsorgans (vestibuläre Ataxie) sowie Erkrankungen der Muskulatur (myopathischer Gang) oder auch psychische Alterationen (psychogene Gangstörung) können mit Beeinträchtigungen des Gehens verbunden sein. Die Komplexität des physiologischen Ganges mit allen beteiligten Strukturen des Nervensystems und anderen Organsystemen illustriert die Vielzahl an Möglichkeiten, die zu einer Beeinträchtigung des Gangbildes im Alter führen können (Abb. 1) [30]. Darüber hinaus werden typische Merkmale des gestörten Gangbildes, insbesondere nach einem bereits erfolgten Sturz, durch Ängste vor erneutem Stür- 27 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N Diagnostik von Gangstörungen im Alter Abb. 1: Beteiligte anatomische Strukturen des Gehens [nach 30, Abb. 1] zen im Sinne einer sekundären ängstlichen Reaktionsbildung zusätzlich überlagert (fear of falling). Diese Störung führt wiederum zu einer Gangstörung, die als ängstlich-aufmerksame Störung des Ganges („protektiver Gang“) bezeichnet wird. So muss die klinisch-phänomenologisch ganzheitlich beobachtete Gangstörung als Ergebnis einer neurologischen oder anderweitigen Beeinträchtigung und einer funktionellen Anpassung verstanden werden [7]. Vor dem Hintergrund der multifaktoriellen Determination von Gangstörungen im höheren Lebensalter ist es daher von großer Bedeutung, eine möglichst genaue klinische Untersuchung und pathoätiologisch orientierte diagnostische Zuordnung vorzunehmen, um daraus im Interesse des Patienten möglichst gezielte therapeutische Ansätze entwickeln zu können. Nachfolgend werden in Grundzügen die wesentlichen Strategien für eine pragmatische Diagnostik, die im Alter relevanten Krankheitsbilder mit Gangstörung und spezifische wie allgemeine Ansätze zur Behandlung von Gangstörungen aufgezeigt. 28 Bei der anamnestischen Erhebung schildern alte Menschen eher selten, dass sie unter einer Störung des Gehens leiden. Vielmehr wird eher unspezifisch angegeben, dass eine Schwäche, ein Benommenheitsgefühl, Unsicherheit, Gleichgewichtsstörung, Schmerz oder Schwindel bestehe. Oft wird dem Patienten auch erst nach einem Sturz bewusst, dass eine Gangstörung vorliegen könnte. Vor diesem Hintergrund muss der Patient gezielt nach Begleitsymptomen, Beginn und Verlauf des Beschwerdebildes befragt werden. So lässt eine plötzliche Verschlechterung der Symptomatik eher an eine vaskuläre Genese denken. Ein begleitender Bewusstseinsverlust macht eine alleinige Gehstörung als Ursache eher unwahrscheinlich. Ein Begleitsymptom wie Harndrang oder -inkontinenz verweist eher auf eine spinale Erkrankung oder einen Normaldruckhydrozephalus. Ferner können Schmerzen beim Gehen Ausdruck von sowohl spinalen als auch vaskulären Auslösefaktoren sein [30]. Die klinische Untersuchung umfasst neben der allgemeinen körperlichen und neurologischen Befunderhebung, in der bei dieser Fragestellung der Seiltänzergang, Zehen- und Hackengang sowie der Romberg-Test stets enthalten sein sollten, eine einfache Ganganalyse ohne jedwede technische Hilfsmittel. Es handelt sich hierbei um die rein inspektorische Ganganalyse, in der die Gehgeschwindigkeit, die Symmetrie des Ganges und die Schrittlänge beurteilt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, das Mitschwingen der oberen Extremitäten zu Spezifisches Basisprogramm @ Anamnese (Eigen- und Fremdanamnese) @ Allgemeine körperliche Untersuchung @ Neurologische Untersuchung @ Inspektorische Ganganalyse @ Semiquantitatives Assessment @ Erfassung basaler Schrittparameter Erweitertes spezifisches Programm @ Videoanalyse @ Laufband @ Kraftmessplattform @ Dreidimensionales Bewegungsanalysesystem Zusatzdiagnostik @ Elektroneurographie @ Elektromyographie @ Evozierte Potenziale @ Elektronystagmographie @ Bildgebung (CCT, MRT) @ Schellong Test @ Langzeit Blutdruckmessung @ Langzeit EKG Tab. 2: Diagnostisches Abklärungsprogramm bei Gangstörungen im Alter beurteilen, die Bewegungsabläufe auf Hüft-, Knie- und Sprunggelenksebene zu analysieren und sich einen Eindruck vom Gangmuster als Ganzes zu verschaffen. Für die semiquantitative Erfassung von Balance und Lokomotion werden ubiquitär übliche Assessments wie Timedup-and-Go-Test [15] oder Tinetti-Score [27] zum Einsatz gebracht. Für die Erfassung quantitativer Daten werden in der Regel die basalen Schrittparameter (Abb. 2) wie Gehgeschwindigkeit, Schrittlänge und Schrittfrequenz (Kadenz) registriert [24], was recht einfach mit Hilfe einer Stoppuhr und eines Mess- Abb. 2: Basale räumliche Parameter des menschlichen Ganges [nach 24, S.20, Abb. 2.1] GERIATRIE JOURNAL 2/10 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N bandes möglich ist und auch zu verlässlichen Ergebnissen führt [20]. Weitere Stufen der verfeinerten Diagnostik sind dann Videoanalysen des Gangbildes mit entsprechend standardisierten Videoprotokollen, Laufbandanalysen, Kraftmessplattformen und nicht zuletzt die quantitative Ganganalyse unter Verwendung eines dreidimensionalen Systems zur Analyse von Bewegungsabläufen, welches in der Umsetzung insgesamt schon etwas aufwändiger ist. An differentieller Zusatzdiagnostik kommen im Rahmen einer pragmatischen Abklärung innerhalb eines Klinikkontextes routinemäßig Elektromyographie, Elektroneurographie, Evozierte Potenziale, CCT, MRT sowie Elektronystagmographie, Schellong Test, Langzeit Blutdruckmessung und Langzeit EKG in Frage (Tab. 2). Idiopathische Gangstörung im Alter („protektiver Gang“) Natürlicherweise ändert sich mit den zunehmenden Lebensjahren auch beim gesunden alten Menschen das Gangbild, was mit vielerlei neuronalen und nichtneuronalen Anpassungen von Einflussfaktoren zu tun hat. Im Wesentlichen sind es eine Geschwindigkeits- und eine Schrittlängenreduktion, die mit zunehmendem Alter normalerweise auftreten [6]. Davon abzugrenzen ist jedoch die idiopathische Gangstörung des Alters, die auch als „klassischer“ seniler Gang oder „protektiver Gang“ bezeichnet wird [14]. Dieses Gangbild ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ein breitbasiger Gang mit verminderter Doppelschrittlänge und Schrittfrequenz (Kadenz) einstellt. Außerdem ist der Rumpf etwas vorgebeugt, die Haltung versteift, das Mitschwingen der Arme reduziert und insgesamt die Rhythmizität von oberen und unteren Extremitäten beeinträchtigt. Schrittinitiierung und Wendebewegungen sind hingegen ungestört. Es handelt sich um den häufigsten Typus einer Gangstörung beim älteren Menschen. Auch wenn die letztendlichen Pathomechanismen noch nicht endgültig verstanden werden, so ist es doch wahrGERIATRIE JOURNAL 2/10 scheinlich, dass die Hauptursache dieser Störung in einer Veränderung der zentraler Anteile der für die Haltungsregulation verantwortlichen Long-loop-Reflexe begründet liegt [31]. Begriff der „frontalen Gangstörung“ verwandt. Gangstörung bei Normaldruckhydrozephalus (NPH) Wie bereits dargelegt, zeigt die Gangstörung beim NPH im Sinne des „frontalen Ganges“ viele Gemeinsamkeiten Das Gangmuster bei SAE ist im We- mit der Gangalteration bei SAE. Auch sentlichen durch einen „frontalen Gang“ hier stehen die reduzierte Schrittlänge, charakterisiert. Dieser zeichnet sich vor die stark variable Schrittbreite und die allem dadurch aus, dass die Füße über massiv reduzierte Schritthöhe im Vorderden Boden streifen, die Schritte breitbasig grund. Allerdings kann der Oberkörper gesetzt werden und in ihrer Länge ver- in der Regel gut aufrecht gehalten werkürzt sind [1]. Beim Wenden halten die den und auch das Mitschwingen der ArPatienten oftmals an, bei fortgeschritte- me zeigt keine Beeinträchtigungen [26]. ner Erkrankung kommt es zu einer wei- Andererseits besteht eine ausgeprägte teren Schrittverkürzung und zum Trip- Haltungsinstabilität. Nach Punktion von peln auf der Stelle. Darüber hinaus zei- ca. 30-40 ml Liquor kommt es zu einer gen diese Patienten auch Probleme mit deutlichen Verbesserung der Gehgeder Initiierung des Ganges. Ein weiteres schwindigkeit [21]. Auch wenn die häufiges Charakteristikum ist die Asym- Gangstörung meistens als erstes und am metrie der Schrittlängen und das einsei- markantesten auftritt, so ist der Nortig verminderte Mitschwingen der Arme maldruckhydrozephalus dennoch in der beim Gehen. Regel durch die klassiEine plötzliche Die therapeutischen sche Trias von GangstöAnsätze fokussieren prirung, reversibler DeVerschlechterung der mär auf die konsequenmenz und HarninkonSymptomatik lässt te Durchführung von tinenz gekennzeichnet. eher an eine vaskuläre krankengymnastischen Die Behandlung des Genese denken Beübungen und auf die NPH zielt im WesentVerhinderung weiterer lichen auf die regelmäischämischer Ereignisse. Allerdings gibt ßige krankengymnastische Beübung und es auch Hinweise dafür, dass sich phar- auf die Druckentlastung ab. Letztere wird makologische Ansätze zur Beeinflussung entweder durch wiederholt durchgediese Form von Gangstörung ergeben. So führte Lumbalpunktionen oder durch wirkt die Gabe von Amantadin positiv die Anlage eines ventrikuloperitonealen sowohl auf die Schrittfrequenz als auch Shunts erreicht, die nach entsprechenden auf die Variabilität der Gangzykluspha- zusatzdiagnostischen Maßnahmen neusen [2]. Nach eigenen klinischen Beob- rochirurgisch erfolgt. Eine pharmakoloachtungen ist nicht selten eine mäßige, gische Beeinflussbarkeit ist nicht gegeben. jedoch funktionell relevante Harmoni- Auch lässt sich, anders als beim idiopasierung des Gangbildes bei vielen dieser thischen Morbus Parkinson, durch die Patienten unter einer niedrigen Dosis Applikation externer Stimuli (z.B. Mevon L-Dopa festzustellen. tronom, Stock etc.) keine relevante VerDie besonderen Merkmale des „fron- besserung erreichen [22]. talen Ganges“ sind nosologisch unspezifisch und daher neben der SAE auch Gangstörung bei Morbus Parkinson beim Normaldruckhydrozephalus und deutlich seltener auch bei frontalen Hirn- Bei etwa 1% der über 55-Jährigen besteht tumoren zu beobachten. Bezeichnungen ein idiopathisches Parkinson-Syndrom wie „frontale Ataxie“, „lower-body-par- (IPS). Es ist damit eine der häufigsten Urkinsonism“ oder „Parkinsonoide Ataxie“ sachen für eine Gangstörung im höhewerden nicht selten synonym für den ren Lebensalter. Die Parkinson-ErkranGangstörung bei SAE (subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie) 29 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N kung wird durch die Kernsymptomatik, bestehend aus Hypokinesie, Rigor und Tremor, charakterisiert. Dementsprechend zeigt sich ein verlangsamtes Gangbild mit vorgeneigter Haltung und „schlurfendem“ Schritt. Das Mitschwingen der Arme ist in der Regel typischerweise reduziert, jedoch asymmetrisch verteilt, indem initial meistens die subdominante Seite stärker betroffen ist. Darüber hinaus sind die Arme leicht flektiert, was im übrigen in geringerer Ausprägung auch für die Beine gilt (Abb. 3). Abb. 3: Das Gangmuster bei Morbus Parkinson [aus 24, nach Murray et al. 1978, S.25, Abb. 2.3] Die Haltungsstabilität im Stoßtest ist deutlich gemindert. Beim Wenden oder beim Umgehen von Hindernissen werden mehrere Schritte benötigt. Mit Fortschreiten der Erkrankung kann es sowohl zu Festinationen (recht plötzlich einsetzende, trippelnde Beschleunigungen des Ganges mit konsekutivem Sturz) als auch zu „Freezing-Phänomenen“, insbesondere beim Durchqueren von Engstellen oder Hindernissen, kommen [11]. Im Gegensatz zu den „frontalen Gangstörungen“ bessert sich das Gangbild beim IPS durch externe Stimuli, die quasi die krankheitsbedingt fehlenden internen Schrittmacher ersetzen (Metronom, Muster, Stock etc.). Zur weiteren Sicherung der Diagnose eines idiopathischen Parkinson-Syndroms kann der so genannte L-Dopa-Test in Verbindung mit der Unified Parkinson`s Disease Rating Scale (UPDRS) eingesetzt werden. Kommt es ca. 30-40 Minuten nach Ap- 30 plikation von L-Dopa zu einer Verbesserung in dieser Skala um ca. 30%, so wird die Diagnose eines IPS weiter erhärtet [30]. Die Therapie der Parkinson-Erkrankung fußt im Wesentlichen auf den beiden Säulen der pharmakologischen und krankengymnastischen Behandlung. Der zugrunde liegende Mangel an Dopamin wird in der Regel mit L-Dopa, Dopaminagonisten, Amantadin, MAO-Hemmern, COMT-Hemmern oder Anticholinergika behandelt. Unter der Gabe von L-Dopa kommt es vor allem zu einer relevanten Verbesserung des Gangmusters, jedoch nicht der posturalen Stabilität. Bei besonderer Relevanz der Haltungsinstabilität kann ggf. eine Verbesserung durch Verfahren der beidseitigen tiefen Hirnstimulation (Globus pallidus internus oder Nucleus subthalamicus) erreicht werden [4, 16]. Die physiotherapeutischen Beübungen sollten in jedem Falle die Pharmakotherapie begleiten und regelmäßig durchgeführt werden. Erwünscht ist eine leichte bis mittelschwere körperliche Inanspruchnahme im Sinne von Ausdaueraktivitäten (Gehen, Laufen, Radfahren, Schwimmen). Die Sportart oder körperliche Aktivität, die dem Patienten Freude bereitet und zu einer Verbesserung der Beweglichkeit führt, ist nach Ausschluss von vor allem kardiopulmonalen Kontraindikationen erlaubt [24]. Gangstörung bei Demenz Bei dementen Patienten sind in der Regel die Gehgeschwindigkeit und die Schrittlänge bei vermehrter Variabilität gemindert [10]. Die Abnahme der Gehgeschwindigkeit korreliert dabei mit dem kognitiven Abbau der Patienten. Dieser Effekt ist jedoch deutlich ausgeprägter bei Patienten mit einer vaskulären Demenz als bei Alzheimer-Patienten. Ferner zeigen Studien, dass Patienten mit einem pathologischen Gangmuster ein relevant erhöhtes Risiko haben, eine Demenz, insbesondere eine Nicht-Alzheimer-Demenz zu erleiden [29]. Zur Therapie von Gangstörungen bei Demenz liegen bisher keine wissenschaftlichen Arbeiten vor. Insofern exis- tieren auch keine Angaben darüber, ob möglicherweise Antidementiva einen positiven Einfluss auf die Gangstörungen bei Demenz ausüben. Vor diesem Hintergrund verbleiben Krankengymnastik und Ergotherapie als einzige therapeutische Ansatzpunkte [24]. Gangstörung nach Schlaganfall Gangstörungen nach Schlaganfall unterscheiden sich typischerweise von parkinsonoiden Störungen des Ganges. In der Regel sind die Beeinträchtigungen einseitig und spastisch. Beim klassischen hemiplegischen Gangbild ist das betroffene Bein auf Grund der Spastik gestreckt und der Fuß entweder in flacher oder in Spitzfußstellung, sodass es zu einer funktionellen Verlängerung kommt, die in der Schwungphase eine Zirkumduktionsbewegung erzwingt. Der Arm der betroffenen Seite ist gebeugt und ebenfalls spastisch und schwingt beim Gehen in der Regel nicht mit. Bei tetraspastischen Bildern ist die Gehgeschwindigkeit erheblich vermindert und die Gelenkexkursionen sind deutlich eingeschränkt. Auf Grund der Spastik, insbesondere der Adduktorenmuskulatur, sind die Füße oftmals innenrotiert und die Beine adduziert, bis hin zur Überkreuzung, sodass beim Gehen ein „Scherengang“ resultiert [24, 5]. Die Behandlungsansätze umfassen sowohl übend-therapeutische als auch medikamentöse Maßnahmen. Eine intensive Krankengymnastik stellt die unverzichtbare Basistherapie dar. Darüber hinaus hat sich das Laufbandtraining als sehr effiziente Maßnahme zur Verbesserung des Gangbildes nach Schlaganfall erwiesen [8]. Ferner werden regelhaft Antispastika zur Tonusreduktion und damit funktionellen Optimierung eingesetzt. Die bekannteste Substanz ist das Baclofen. Schließlich werden bei umschriebener Symptomatik auch noch Botulinumtoxin-Injektionen gezielt in die Muskulatur appliziert, um damit ausgeprägte Tonuserhöhungen zu reduzieren und das Gangbild funktionell zu optimieren. Allerdings ist bei jeder Form der antispastischen Therapie zu beachten, dass bei zu starker Dosierung der Tonus GERIATRIE JOURNAL 2/10 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N so sehr reduziert werden kann, dass die Haltefunktion nicht mehr gewährleistet wird und daraus eher eine Verschlechterung von Steh- und Gehleistung resultiert [24]. Sensible Gangstörungen Die sensible Ataxie ist im Wesentlichen durch eine verbreiterte Schrittbreite mit deutlich ausscherender Gangspur, vermehrte Variabilität in den Schrittparametern sowie durch eine Unsicherheit beim Aufsetzen des Fußes charakterisiert. Ursachen für ein solches Gangbild sind in der Regel Läsionen der propriozeptiven Afferenzen, die auf den verschiedenen Ebenen des peripheren und zentralen Nervensystems (peripherer Nerv, Hinterwurzel, Hinterstrang, Hirnstamm, Großhirn) angesiedelt sein können. Häufige Krankheitsbilder im Alter, die zu einer sensiblen Ataxie führen, sind: Polyneuropathie (insbesondere bei Diabetes mellitus), Vitamin B12-Mangel, Paraproteinämie, Paraneoplasie, Zytostatika-Exposition [24]. Die Behandlung einer sensiblen Gangstörung basiert im Wesentlichen auf einer adäquaten Krankengymnastik mit Gangschulung sowie auf der kausalen Therapie der Grunderkrankung. Sonstige Gangstörungen (neuromuskulär, orthopädisch, psychogen) Neben den bisher beschriebenen häufigen neurologischen Ursachen von Gangstörungen finden sich selten auch noch neuromuskuläre Erkrankungen, die je nach Akzentuierung der Schädigung unterschiedliche pathologische Gangmuster induzieren können. Für das höhere Lebensalter spielen in diesem Formenkreis noch am ehesten die Kortisoninduzierten Myopathien, die Polymyositiden und die Myasthenie eine Rolle [24]. Auch orthopädische Ursachen können die Harmonie des Gangablaufs nicht unerheblich beeinträchtigen. Sowohl Gonarthrosen als auch Koxarthrosen sind im höheren Lebensalter nicht selten (ca. 25% der über 65-Jährigen) und können schmerzbedingt aber auch durch AchGERIATRIE JOURNAL 2/10 eignet sind Übungen zur Förderung der sensomotorischen Haltungskontrolle und zur Harmonisierung des Gangbildes. In Verbindung mit diesen Maßnahmen ist dann auch ein isometrisches Muskeltraining durchaus sinnvoll, während es für sich alleine genommen keinesfalls ausreichend ist. Besonders effektiv scheinen auch multimodale Programme zu sein, die zur Verbesserung der Fortbewegung Studien zeigen, dass Patienten mit gleichzeitig die attentionalen einem pathologischen Gangmuster ein Ressourcen trainieren. Es hanrelevant erhöhtes Risiko haben, delt sich hierbei um dual ansetzende so genannte „walking and eine Demenz, insbesondere eine talking-Programme“, in denen Nicht-Alzheimer-Demenz zu erleiden der Patient neben der Gehübung simultan eine kognitive Aufga[31]. Depressive Patienten, von einer agi- be bewältigen muss [19]. tierten Depression einmal abgesehen, geBei entsprechendem Bedarf werden hen wegen ihrer psychomotorischen Ver- die physiotherapeutischen Maßnahmen langsamung in der Regel eher behäbig durch die gezielte und individuelle Verund schreiten nicht energetisch aus. ordnung von Hilfsmitteln ergänzt. HierSchließlich kommt es, wie bereits oben zu gehören Gehstöcke, Gehstützen, Peerwähnt, nach stattgehabten Stürzen zu roneusschienen und Hüftprotektoren einer sekundären ängstlichen Reak- ebenso wie ein Rollator oder Rollstuhl. tionsbildung vor einem erneuten Sturz Ferner gehört es zur adäquaten Ver(fear of falling), welche das Gangbild ge- sorgung eines Patienten mit Gangstöbunden und vorsichtig erscheinen lässt, rung und potenzieller Sturzgefährdung, aber auch zu vollständigen Blockaden ggf. das Schuhwerk oder sogar auch sein führen kann. Zur Auflösung derartiger Wohn- und Lebensumfeld auf die beKontaminationen bei diesen sekundär sondere Situation der Gangstörung hin verängstigten Patienten empfiehlt sich anzupassen. Außerdem ist es stets sinneine regelmäßige und intensive Kran- voll, die bestehende Medikation auf zukengymnastik. Bei ausgeprägten und sätzliche Beeinträchtigungen des Ganhartnäckigen Befunden kann in Aus- ges hin zu überprüfen und den Patiennahmefällen durchaus auch der tempo- ten ebenso wie seine Angehörigen über räre Einsatz von anxiolytisch wirkenden das Krankheitsbild zu informieren bzw. Pharmaka hilfreich sein. Schulungen für ein optimiertes Gesundheitsverhalten anzubieten. In Tab. 3 senfehlstellungen oder Beinverkürzungen eine Gangstörung induzieren [24]. Rein psychogen bedingte Gangstörungen, die häufig durch ein bizarres, energetisch und unökonomisch anmutendes Gangbild imponieren, sind im höheren Lebensalter eher selten und lassen sich auch klinisch von den bisher beschriebenen Gangmustern gut abgrenzen Allgemeine Therapieempfehlungen bei Gangstörungen Auf die spezifischen Therapieempfehlungen wurde bereits bei den einzelnen Krankheitsentitäten eingegangen. Darüber hinaus haben Untersuchungen der vergangenen Jahre jedoch auch gezeigt, dass unabhängig von der jeweiligen Ursache der Gangstörung kontrollierte, interventionelle Trainingsprogramme bei alten Menschen zu einer Verbesserung der Gangqualität [3, 18] und damit auch zu einer Reduktion der Sturzhäufigkeit [28] führen. Besonders ge- Verminderung physischer Risikofaktoren @ ärztliche Behandlung @ Überprüfung der Medikation @ Physiotherapie Verbesserung des Gesundheitsverhaltens Umgebungsevaluation @ Hilfsmittelverordnung @ Evaluation der häuslichen Umgebung Tab. 3: Aspekte zur Sekundärprävention bei Gangstörungen und Stürzen 31 N E U R O LO G I E : G A N G STÖ R U N G E N sind die einzelnen Aspekte zur Sekun- scher Leistungsfähigkeit bis hin zur umdärprävention noch einmal in der Über- fänglichen Hilfsbedürftigkeit. Gangstösicht zusammengetragen. rungen gehen sehr häufig mit primär Schließlich ist es von Bedeutung, in neurologischen Erkrankungen des Aleiner stetig älter werdenden Gesellschaft ters einher, finden sich aber auch bei nicht nur sekundär Einschränkungen im Das Laufbandtraining hat sondern auch primär Bereich des muskulopräventive Programskeletalen Systems. sich als sehr effiziente me anzubieten, die Neben der BehandMaßnahme zur Verbessesowohl den alters- als lung der zugrunde lierung des Gangbildes nach genden Erkrankung auch krankheitsbeSchlaganfall erwiesen dingten Gangstörunstehen therapeutisch gen vorbeugen. Gevor allem krankenrade die Kombination von gezieltem gymnastische Übungsbehandlungen und Balancetraining und Fitnessprogramm die Versorgung mit Hilfsmitteln im scheint geeignet, mögliche physische Ri- Vordergrund. Darüber hinaus sollten jesikofaktoren zu vermindern [9]. Im prä- doch auch im präventiven Sinne Risiventiven Sinne ist es in jedem Falle für kofaktoren für Gangstörungen und darden klinischen Alltag von Bedeutung, aus resultierende Stürze identifiziert und den älteren Menschen zur wie auch im- vermieden bzw. abgestellt werden. mer gearteten Aktivität zu ermuntern. Denn es ist davon auszugehen, dass auch Literaturverzeichnis 1. Baezner H, Oster M, Daffertshofer M, Hennerici M. unspezifische Formen von körperlicher, Assessment of gait in subcortical vascular encegeistiger und sozialer Entfaltung im Alphalopathy by computerized analysis: a crosssectional and longitudinal study. J Neurol 2000; ter der Beweglichkeit und der Gangsi247: 841-849 cherheit dienen und damit die Sturzge2. Baezner H, Oster M, Henning O, Cohen S, Hennerifährdung reduzieren. Von großer Wichci MG. Amantadin increases gait steadiness in frontal gait disorder due to subcoertical vascular tigkeit ist dabei die Nachhaltigkeit und encephalopathy: a double-blind randomized Kontinuität der Aktivitäten. Die regelplacebo-controlled trial based on quantitative gait analysis. Cerebrovasc Dis 2001; 11: 235-244. mäßige Durchführung von leichten Aus3. Baezner H, Blahak C, Poggesi A. LADIS Study dauersportarten wie Spazierengehen, Group. Association of gait and balance disorders Wandern, Schwimmen oder Radfahren with age-related white matter changes: the LADIS study. Neurology 2008; 70 (12): 935-942. spielt in diesem Zusammenhang eine 4. Blin O, Ferrandez AM, Pailhous J, Serratrice G. große Rolle. Dabei ist ärztlicherseits mit Dopa-sensitive and dopa-resistant gait paramedarauf zu achten, dass für den Patienten ters in Parkinson`s disease. J Neurol Sci 1991; 103: 51-54. unter Berücksichtigung aller gesund5. Dietz V. Gait disorder in spasticity and Parkinson`s heitlicher Aspekte ein individuelles Prodisease. Adv Neurol 2001; 87: 143-154. gramm zugeschnitten wird, mit dem er 6. Elble RJ, Thomas SS, Higgins C, Colliver J. Stridedependent changes in gait of older people. J Neusich wohl fühlt, sodass auch seine Umrol 1991; 238: 1-5. setzung dauerhaft gelingt. 7. Ganz DA, Bao Y, Shekelle PG, Rubenstein LZ. Will Zusammenfassung Die Häufigkeit von Gangstörungen nimmt mit dem Alter kontinuierlich zu. Neben posturalen Defiziten sind Gangstörungen die wesentlichen Ursachen für Stürze im höheren Alter mit ihren deprivierenden Konsequenzen des sozialen Rückzugs, der Immobilität und schließlich des Verlustes an Eigenständigkeit. Vor diesem Hintergrund kommt es oftmals sehr rasch zur Induktion eines Circulus vitiosus mit zunehmend schnellerem Abbau von physischer und psychi- 32 my patient fall? JAMA 2007; 297: 77. 8. Hesse S, Werner C. Partial body weight supported treadmill training for gait recovery following stroke. Adv Neurol 2003; 92: 423-428. 9. Hornbrook MC, Stevens VJ, Wingfield DJ, Hollis JF, Greenlick MR, Ory MG. Preventing falls among community-dwelling older persons: results from a randomized trial. Gerontologist 1994; 34: 16-23. 10. Iersel van MB, Hoefsloot W, Munneke M, Bloem BR, Olde Rikkert MG. Systematic review of quantitative clinical gait analysis in patients with dementia. Z Gerontol Geriatr 2004; 37: 27-32. 11. Jost WH. Diagnostik des Parkinsonsyndrom. Uni Med Verlag A, 2008. 12. Lundgren-Lindquist B, Aniansson A, Rundgren A. Functional studies in 79 year olds (part III). Scand J Rehabil Med 1983; 15: 125-131. 13. Newman C, Dovenmuehle RH, Busse EW. Alterations in neurologic status with age. J Am Geriatr Soc 1960; 8: 915-917. 14. Nutt JG, Marsden CD, Thompson PD. Human walking and higher-level gait disorders, particularly in the elderly. Neurology 1993; 43: 268279. 15. Podsiadlo D, Richardson S. The Timed „Up-andGo“: a test of basic functional mobility for frail elderly persons. J Am Geriatr Soc 1991; 39: 509513. 16. Robertson LT, Horak FB, Anderson VC, Burchiel KJ, Hammerstad JP. Assessment of axial motor control during deep brain stimulation in parkinsonian patients. Neurosurgery 2001; 48: 544-551. 17. Snijders AH, van de Warrenburg BP, Giladi N, Bloem BR. Neurological gait disorders in elderly people: Clinical approach and classification. Lancet Neurol 2007; 6: 63-74. 18. Sauvage LR Jr, Myklebust BM, Crow-Pan J. A clinical trial of strengthening and aerobic exercise to improve gait and balance in elderly male nursing home residents. Am J Phys Med Rehabil 1992; 71: 333-342. 19. Springer S, Giladi N, Peretz C, Yogev G. Dualtasking effects on gait variability: The role of aging, falls, and executive function. Mov Disord 2006; 21: 950-957. 20. Stolze H, Kuhtz-Buschbeck JP, Mondwurf C, Johnk K, Friege L. Retest reliability of spatiotemporal gait parameters in children and adults. Gait and Posture 1998: 125-130. 21. Stolze H, Kuhtz-Buschbeck JP, Drucke H. Gait analysis in idiopathic normal pressure hydrocephalus – which parameters respond to the CSF tap test? Clin Neurophysiol 2000; 111: 16781686. 22. Stolze H, Kuhtz-Buschbeck JP, Drucke H, Johnk K, Illert M, Deuschl G. Comparative analysis of the gait disorder of normal pressure hydrocephalus and Parkinson`s disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2001b; 70: 289-297. 23. Stolze H, Baecker C. The prevalence of gait disorders in hospitalized neurological patients. Movement Disorders 2004a; 144-146. 24. Stolze H, Vieregge P, Deuschl G. Gangstörungen und Stürze. In: Deuschl G, Reichmann H (Hrsg) Gerontoneurologie, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2006, 19-32. 25. Stolze H, Vieregge P, Deuschl G. Gangstörungen in der Neurologie. Nervenarzt 2008; 79 (4): 485499. 26. Sudarsky L, Simon S. Gait disorder in late-life hydrocephalus. Arch Neurol 1987; 44: 263-267. 27. Tinetti ME. A simple procedure for general screening for functional disability in elderly patients. Ann Intern Med 1990; 112: 699-706. 28. Tinetti ME. Clinical Practice: Preventing falls in elderly persons. N Engl J Med 2003; 348: 42-49. 29. Verghese J, Lipton RB, Hall CB, Kuslansky G, Katz MJ, Buschke H. Abnormality of gait as a predictor of non-Alzheimer`s dementia. N Engl J Med 2002; 347: 1761-1768. 30. Von Stuckrad-Barre S. Gangstörungen im Alter. NeuroGeriatrie 2009; 6(2): 49-53. 31. Vieregge P. Idiopathische Gangstörung im Alter – Klinische Phänomenologie und quantitative Erfassung. Huber-Verlag, Bern-Göttingen-Toronto, 1996. Priv.-Doz. Dr. Herbert F. Durwen, Chefarzt Klinik für Akut-Geriatrie, St. Martinus – Krankenhaus, Gladbacher Str. 26, 40219 Düsseldorf GERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR Delir – Epidemiologie und Pathophysiologie @ Alter über 65 Jahre @ männliches Geschlecht @ vorbestehende Demenz, kognitive Dysfunktion, Depression vorangegangenes Delir in der @ Eigenanamnese @ funktionelle Einschränkungen (hören, sehen, motorisch) Sturzneigung @ @ Mangelernährung, Dehydratation @ Polypharmazie, Abhängigkeiten @ Erkrankungsschwere und Komorbidität Katrin Singler, Martina Hafner und Cornel Sieber, Nürnberg/Basel Das Delir ist die häufigste zerebrale Funktionsstörung bei älteren Menschen. Es ist oftmals mit schwerwiegenden Komplikationen, einem daraus resultierenden verlängerten Krankenhausaufenthalt und einer erhöhten Mortalität verbunden. Dieser und die nachfolgenden Artikel erläutern Pathophysiologie, Symptome, Ursachen, Therapieansätze sowie die Besonderheiten, die in der Pflege deliranter Patienten zu berücksichtigen sind. Tab. 1: Faktoren, welche die Entstehung eines Delirs begünstigen [9] GERIATRIE JOURNAL 2/10 Foto: fuxart – Fotolia.com D as Delir gehört zu den häufigsten Komplikationen hospitalisierter älterer Patienten. Oftmals ist das Delir das erste Zeichen einer schweren zugrunde liegenden Erkrankung, wie zum Beispiel einer schweren Infektion oder eines Myokardinfarktes und stellt somit den primären Grund einer stationären Krankenhausaufnahme dar [1]. Bei 1424% der Patienten kann bereits bei Aufnahme ein Delir festgestellt werden. Die Inzidenz des Delirs während eines stationären Aufenthaltes wird in der Literatur mit 6-56% bezogen auf alle hospitalisierten Patienten angegeben [2]. Neben einem verlängerten Krankenhausaufenthaltsdauer und den damit verbundenen erhöhten Kosten, ist das Delir mit einem gehäuften Auftreten von Behandlungskomplikationen assoziiert. So kommt es durch das vermehrte Auftreten von Infektionen, Dekubiti und Stürzen zu Einbußen der Funktionalität bis hin zum Verlust der Selbständigkeit [3, 4]. In verschiedenen Arbeiten konnte sogar eine prognostische Bedeutung für das Auftreten eines Delirs bezüglich der Mortalität gezeigt werden [5]. Obwohl ein Delir generell in jedem Alter auftreten kann, ist die Prävalenz bei älteren Patienten deutlich erhöht. Die meisten Datenerhebungen stammen aus dem akutstationären Bereich. Je nach betrachtetem Patientengut und Schweregrad der zugrunde liegenden Erkrankungen weichen die Angaben stark voneinander ab. Inouye geht in einer Arbeit Beim deliranten Syndrom wird zwischen drei Subtypen unterschieden: dem hyperaktiven und dem hypoaktiven Delir sowie Mischformen. davon aus, dass ca. 30% der älteren Patienten während eines Krankenhausaufenthaltes ein Delir entwickeln [6]. Hierbei handelt es sich keineswegs nur um Patienten aus geriatrischen oder psychiatrischen Fachabteilungen. Besonders ältere Patienten mit einer traumatischen Einweisungsdiagnose z.B. einer Schenkelhalsfraktur entwickeln häufig ein Delir [7]. Bereits im Jahre 100 v. Chr. verwendete der römische Medizinschriftsteller Aulus Cornelius Celsus den Begriff „delirium“ zur Beschreibung bedrohlicher, fieberhafter Krankheitszustände [8]. Über die Jahre kam es zur Verwendung verschiedener, unscharf definierter Begriffe. Erst mit der Vereinheitlichung der Klassifikation mittels DSM-IV und ICD-10 entstand eine genaue Definition des Delirs. Hierbei handelt es sich um eine akute Wesensveränderung mit Störungen des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit, der Orientierung, des Gedächtnisses und des Denkvermögens. Fakultativ können psychomotorische Störungen, Halluzinationen oder Störungen des Schlaf-WachRhythmus hinzukommen. Verschiedene Faktoren prädisponieren zur Entstehung eines Delirs (Tab. 1) [9]. Auch die Auslöser eines Delirs sind mannigfaltig, wie es die in Tab. 2 angeführten Beispiele verdeutlichen. Beim deliranten Syndrom wird zwischen drei Subtypen unterschieden: dem hyperaktiven und dem hypoaktiven Delir sowie Mischformen [10]. Während beim hyperaktiven Delir mit dem Auftreten von Unruhezuständen, vegetativen Entgleisungen sowie ungeduldigen und teilweise aggressiven Reaktionen die psychomotorische Aktivität gesteigert ist, steht beim @ Infekte @ Hypoxämie @ zerebrovaskuläre Ereignisse @ Schmerzen @ Traumata @ Dehydratation @ Metabolische Entgleisungen @ Malignome @ Medikamente (besonders mit anticholinerger Wirkung) @ Alkohol-/Benzodiazepinentzug, paradoxe Wirkung von Sedativa Tab. 2: Auslöser eines Delirs 33 SCHWERPUNKT: DELIR hypoaktiven Delir eher eine generelle Verlangsamung mit ruhigem, apathischem Erscheinungsbild im Vordergrund. Zum pathophysiologischen Hintergrund der Delirentstehung ist derzeit nur wenig bekannt. Sicher ist, dass es sich bei der Delirentstehung um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Die derzeit führenden Hypothesen beziehen sich auf die Rolle von Neurotransmittern, Entzündungsreaktionen und chronischem Stress. Neben einem Mangelzustand des cholinergen Systems, welcher als führende Hypothese in der Delirentstehung gesehen wird, spielen weitere Neuromodulatoren wie Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Glutamat und Gamma-Amino-ButterSäure sowie deren Interaktionen eine Rolle [11]. Vor diesem Hintergrund stehen auch neue Ansätze der medikamentösen Therapie des Delirs, wie sie in den nachfol- genden Abschnitten fachbezogen beschrieben werden. Literatur: 1. Inouye SK. The dilemma of delirium: Clinical and research controversies regarding diagnosis and evaluation of delirium in hospitalized elderly medical patients. Am J Med 1994; 97: 278-88. 2. Agostini JV, Inouye SK. Delirium . Hazzard WR, Blass JP, Halter JB, Ouslander JG, Tinetti ME, eds. Principles of geriatric medicine and gerontology. 5th ed. New York: Mc Graw-Hill, 2003: 1503-15. 3. Kiely DK, Bergamann MA, Murphy KM, et al. Delirium among newly admitted postacute facility patients: prevalence, symptoms, and severity. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2003; 58: M441. 4. McAvay GJ, Van Ness PH, Bogardus ST Jr, et al. Older adults discharged from the hospital with delirium: 1 year outcomes. J Am Geriatr Soc 2006; 54: 1245. 5. Ely EW et al. Jama 2004, Milbrandt EB et al. Delirium as a predictor of mortality in mechanically ventilatd patients in the intensive care unit. Crit Care Med 2004; 32 (4); 955-62. 6. Inouye SK, Rushing JT, Foreman MD,et al. Does delirium contribute to poor hospital outcomes? A three-site epidemiologic study. J Gen Intern Med 1998; 13: 234-42 7. Gustafson Y, Berggren D, Brännström B, et al. Acute confusional states in elderly patients treated for femoral neck fracture. J Am Geriatr Soc 1988; 36: 525-30 8. Lindesay J. The Concept of Delirium. Dement Geriatr Cogn Disord. 1999; 10 (5): 310-4. 9. Inouye SK, Charpentier PA Precipitating risk factors for delirium in hospitalised elderly persons: predictive model and inter-relationship with baseline vulnerability JAMA 1996; 275: 852-7 10. O`Keeffe ST, Lavan JN. Clinical subtypes of delirium in elderly. Age Ageing. 1999 28 (2); 115-9 11. Singler K, Hafner M, Definition and epidemiology of delirium in the elderly. Ther Umsch. 2010; 67 (2): 57-61 Korrespondenzadresse: Dr. Katrin Singler, Medizinische Klinik 2, Schwerpunkt Geriatrie, Klinikum Nürnberg, Prof.-Ernst-Nathan-Str.1, 90419 Nürnberg, eMail: katrin.singler@ klinikum-nuernberg.de Dr. Martina Hafner, Universitätsspital Basel, Akutgeriatrie, Hebelstr. 32, 4031 Basel (Schweiz) Therapieansätze und medikamentöse Intervention Thomas Frühwald, Wien, und Hans Jürgen Heppner, Nürnberg D as Delir ist eine der häufigsten psychischen Störung bei älteren Menschen, vor allem in der Gruppe der sehr alten Menschen. Zerebrale Funktionsstörungen können eine Reihe von Verhaltensstörungen produzieren. Diese gehören zu den häufigsten Manifestationsformen von Krankheit bei älteren Menschen und können Zeichen sowohl einer psychiatrischen, als auch einer neurologischen oder einer anderen rein somatischen Erkrankung sein. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen der Inzidenz des Delirs und dem Alter. Das Delir ist mit einer deutlich höheren Mortalität (ca. 30%) verbunden, wenn man mit gleichaltrigen, nicht deliranten Patienten vergleicht. Die Bedeutung des Delirs besteht darin, dass es oft von zusätzlichen, den Patienten und seinen Betreuer belastenden 34 Problemen wie Inkontinenz, Stürze, unkooperatives Verhalten, Therapie- und Nahrungsablehnung, Weglauftendenz (Poriomanie) usw. begleitet wird. Wichtig zu bedenken ist auch, dass das hypoaktive Delir wahrscheinlich häufiger vorkommt als das hyperaktive, trotzdem wird es sehr oft nicht erkannt und behandelt. Die Patienten wirken zurückgezogen, bewegungsarm, nehmen kaum spontan Kontakt mit der Umgebung auf, Halluzinationen und Desorientierung werden erst durch gezieltes Befragen deutlich. Ätiologie und Pathogenese des Delirs Das Delir ist ätiologisch unspezifisch. Je älter der Patient, desto wahrscheinlicher und desto typischer ist eine multifaktorielle Entstehung. Acetylcholin und Dopamin sind Neurotransmitter mit zentraler Bedeutung für kognitive Funktionen, Vigilanz sowie Schlaf-Wach-Rhythmus. Ein Defizit bzw. ein Überschuss spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung des Delirs. Die Reduktion des Hirnmetabolismus durch z.B. Hypoxie führt zu einer reduzierten Synthese von Acetylcholin bzw. zu einer vermehrten Freisetzung von Dopamin und damit zu einer Störung der genannten Funktionen. Cytokine wie IL1, IL2, IL6, TNFα und Interferon erhöhen die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke. Chronischer Stress bei Krankheit, Trauma oder schwerer Infektion erhöht den Cytokin- und Cortisol-Spiegel, es kommt zu einer Blockade hippocampaler Serotoninrezeptoren und dadurch auch zur Delir-Symptomatik. Medikamente, Drogen und Alkohol sind wichtige kausale FaktoGERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR DSM-IV Diagnostische Kriterien @ Störung des Bewusstseins (Vigilanzstörung) mit verminderter Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, zu erhalten oder zu verlagern @ Kognitive Störung (z.B. Gedächtnisstörung, Desorientiertheit, Sprachstörung) oder Wahrnehmungsstörung (z.B. Halluzinationen), die nicht durch eine schon bestehende Demenz erklärt werden können @ Entwicklung der Symptome innerhalb einer kurzen Zeit (Stunden bis Tage) und Fluktuation im Tagesverlauf @ Hinweise aus Anamnese, klinischer Untersuchung und/oder Labortests, dass die Störung direkte Folge einer somatischen Erkrankung, oder von Medikamenteneinnahme ist CAM – Confusion Assessment Method [Inouye, 1990] @ Akut veränderter geistiger Zustand und fluktuierender Verlauf Störung der Aufmerksam@ keit @ Denkstörung (desorganisiertes Denken) @ Bewusstseinsstörung (Vigilanzstörung) Diagnosestellung eines Delirs bei Erfüllung der Kriterien 1 + 2 (obligatorisch) sowie 3 und/oder 4 Tab. 3: Diagnose des Delirs ren des Delirs. Einerseits kommt deren toxikologischer Effekt, andererseits das Entzugsphänomen zum Tragen. In diesem Zusammenhang darf man die altersabhängigen Veränderungen der Pharmakokinetik nicht vergessen. Diagnose Die Einleitung therapeutischer Maßnahmen setzt eine verlässliche Diagnose des Delirs voraus. Nur so kann individuell und zielgerichtet die richtige Behandlung begonnen werden. Hierfür stehen verschiedene Untersuchungsinstrumente zur Verfügung. Die DSM-IV Kriterien sind genau, aber nicht einfach anzuwenden, die CAM – Confusion Assessment Method – ist deutlich einfacher in der Anwendung und zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität (86%) und Spezifität (97%) und einem kappaKoeffizient von 0,91 aus (Tab. 3) Therapie Es ist wichtig, zunächst einmal an die Primärprävention zu denken, noch bevor dieses komplexe, potentiell lebensgefährliche Problem auftritt. Dazu gehören: @ Erkennen der Risikopatienten @ Schaffung adäquater Rahmenbedingungen für die Betreuung dieser Patienten @ Vermeiden kausaler Faktoren (Polypragmasie, Malnutrition, Exsikkose, Imobilisierung) 36 @ rechtzeitiges Erkennen von Prodromalsymptomen Die Behandlung umfasst drei wesentliche Aspekte: @ auslösende Erkrankung behandeln, d.h. die kausale Therapie ist unumgänglich @ pflegerische und milieutherapeutische Maßnahmen @ symptomatische Therapie Um eine konsequente Diagnostik und Therapie durchführen zu können, ist initial manchmal eine Sedierung nötig (wenn auch primär eine „soziale Fixierung“, d.h. Präsenz v. Angehörigen, „Sitzwachen“, Ablenkung, Beschäftigung, Mobilisierung in Begleitung ideal wäre...). Zur pharmakologischen sedierenden Intervention eignen sich atypische Neuroleptika in niedrigen Dosierungen, welche im Vergleich zu den klassischen Neuroleptika weniger orthostatische Hypotension auslösen und auch weniger anticholinerg wirken sowie ein relativ niedriges extrapyramidales Nebenwirkungspotential besitzen. Zur effizienten Kontrolle psychotischer Symptome – vor allem der Angst machenden, beunruhigenden, verwirrenden Halluzinationen hat noch immer Haloperidol in niedriger Dosierung seinen Stellenwert, es hat aber eine recht hohe Potenz, extrapyramidale Symptome auszulösen. Bei allen Neuroleptika ist auch deren die QT-Zeit verlängernde Wirkung und damit das Risko des Auslösens gefährlicher Rhythmusstörungen (Torsades de Pointe) zu bedenken! Die sedierende Medikation (Tab. 4) soll ausschließlich als eine vorübergehende symptomatische Maßnahme verstanden werden. Sie soll dem Patienten den Leidensdruck nehmen und andere Hilfen im Rahmen einer globalen multidisziplinären Betreuung ermöglichen. Sie darf nicht immobilisierend sein – weshalb man sich unter Beobachtung der Wirkung und Nebenwirkung von ganz niedrigen Dosen ausgehend an die wirksame Dosis herantitrieren soll. Man muss unbedingt zum richtigen Zeitpunkt, also sobald die primär- Initiale Dosis Intervall Applikation Haloperidol (Haldol ) @ Tropfen = 2 mg/ml (10 Tr = 1 mg), 1 Amp. = 5 mg/ml @ max. Wirkung p.o.: ab 4-6 h; Sedierung und EPS ab ca. 3 mg/d leichte Agitiertheit 0,5 mg 2-3x/d p.o. mittelschwere Agitiertheit 1 mg alle 4-6h p.o., s.c., i.m., i.v. schwere Agitiertheit 2 mg alle 4-6h p.o., s.c., i.m., i.v. Risperidon (Risperdal®) @ antipsychotischer, weniger sedierend, mehr EPS als Quetiapin 0,5-1 mg bis 3 x/d p.o. Quetiapin (Seroquel®) @ 1. Wahl bei M. Parkinson, Lewy Body Demenz @ Max. 400 mg/d, grosse therap. Breite, sedierend 25 mg 1 (abends)-3x/d p.o. Lorazepam 1. Wahl bei Benzodiazepinund Alkoholentzug @ (Temesta expidet®) @ Zusätzliche Sedierung bei ungenügendem Ansprechen der Neuroleptika 1-2,5 mg alle 4 h p.o. ® [mod. Geriatr. Klinik St. Gallen 2008] Tab. 4: Medikamentöses Therapieschema beim akuten Delir GERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR Typische Neuroleptika Haloperidol (Haldol®) Melperon (Buronil®) Thioridazin (Melleril®) Levomepromazin (Nozinan®) Chlorprothixen (Truxal®) Flupentixol (Fluanxol®) Blockade von Ach* D2** + +++++ ++ ++++ +++++ +++ + +++ ++++ + ++++ Atypische Neuroleptika Clozapin (Leponex®) Olanzapin (Zyprexa®) Risperidon (Risperdal®) Ziprasidon (Zeldox®) Quetiapin (Seroquel®) Zotepin (Nipolept®) Blockade von Ach* D2** +++ ++ ++++ +++ +/+++++ ++++ ++ + +++ (delirogenes Potential durch *Acetylcholin-Rezeptorblockade, **D2-Rezeptorblockade); mod. nach Bandelow 2000 Tab. 5: Wirkung von Neuroleptika auf Neurotransmitter und Rezeptoren therapeutischen Maßnahmen gegriffen haben, mit der Sedierung aufhören! (dokumentierte Dosisreduktionsversuche...) Benzodiazepine sind in den meisten Fällen (außer ev. beim Alkohol- od. TranquillizerEntzugsdelir) ungeeignet, sie haben lediglich in ihrer kurzwirksamen Form für beschränkte Zeit als Schlafinduktoren einen gewissen Stellenwert. Einen zusätzlichen kausal therapeutischen Ansatz bieten eventuell Medikamente, welche das Acetylcholin-Niveau im ZNS steigern – die Acetylcholinesterasehemmer (Tab. 5). Fixierende Maßnahmen (Gurte etc.) sind die schlechteste Methode, um „verwirrte“, psychomotorisch agitierte Patienten „ruhig zu stellen“ – sie sind inhuman, führen zu noch mehr Unruhe und akuter Verletzungsgefahr. Ihr Gebrauch ist aus dem Interventionsrepertoire der Geriatrie längst verschwunden! Wichtiger als die Medikation ist die sorgfältige globale Betreuung durch das multidisziplinäre Team – hier ist insbesondere die Pflege gefordert. Zusammenfassung @ Das Delir ist ein häufiges Problem in der Geriatrie, es bedeutet für den älteren Menschen eine zusätzliche Belastung und Gefahr, es kann/soll rechtzeitig erkannt werden. @ Genaue Anamnese, Status und gezielte Laboruntersuchungen helfen, die auslösenden Ursachen aufzudecken. @ Das hypoaktive Delir ist häufiger als das hyperaktive, es wird aber sehr oft nicht erkannt. @ Eine Evaluierung der Medikamente ist obligat, wenn möglich, sollen das Delir GERIATRIE JOURNAL 2/10 (mit)verursachende Medikamente abgesetzt werden. @ Delir-Therapie heißt die verursachende Erkrankung behandeln, Vermeiden von Komplikationen, Kontrolle von Verhaltensstörungen, gleichzeitige Rehabilitation. @ Die beste Delir-Intervention ist dessen Prävention. @ Wichtiger als die Medikation ist die globale Betreuung durch das geriatrische Team, inkl. Milieutherapie. Literatur beim Verfasser Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Frühwald, Krankenanstalten der Stadt Wien, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel, Abteilung für Akutgeriatrie, Wolkersbergenstr. 1, A-1130 Wien, eMail: thomas.fruehwald @wienkav.at Delir in der Intensivmedizin Hans Jürgen Heppner, Michael Christ und Cornel Sieber, Nürnberg B etagte Patienten gehören immer häufiger zum Klientel der Intensivstationen. Die Zunahme der chronischen Erkrankungen und der Fortschritt der Medizin führen dazu, dass immer mehr geriatrischen Patienten die modernen Behandlungsverfahren einer Intensivstation zuteil werden. Abhängig von der Erkrankungsschwere tritt ein Delir zum Teil bis zu 70% der Behandlungsfälle auf [5] und ist sowohl mit einer höheren Mortalität als auch einer längeren Aufenthaltsdauer und damit verbundenen höheren Ressourcenverbrauch und entstehenden Kosten verbunden. Dies gilt auch für den Teilbereich der lebensbedrohlichen Infektionen und im Krank- heitsbild der Sepsis. Bei Patienten, die ein sog. SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrom) aufweisen, oder bei denen zusätzlich eine akute Organdysfunktion vorliegt, sodass zusammen mit einem bakteriellen Fokus die Kriterien einer Sepsis erfüllt sind, findet man häufig auch ein akutes Delir. Eine akute Organkomplikation ist die Enzephalopathie, die sich in eingeschränkter Vigilanz, Desorientiertheit, Unruhe oder dem Delirium zeigt. Bereits hier stellen sich Schwierigkeiten in der Diagnostik ein, denn im Rahmen der Vorstellung in der Notaufnahme oder der intensivmedizinischen Erstbetreuung der geriatrischen Patienten ist es häufig schwierig, 37 SCHWERPUNKT: DELIR Sepsis und Delir Endotoxine (LPS) und andere mikrobielle Produkte α Arachidonsäure Vasoaktive peptide Komplementkaskaden Zytokine TNF-α Capillary leak: Ödem, Mikrozirkulationsstörungen, gestörte Mitochondrienfunktion, gestörte Blut-Hirn-Schranke, Apoptose Medikamente Multiorganversagen Sepsisassoziiertes Delir Hypoglykämie Katabole Stoffwechsellage Malnutrition Kreislaufversagen Schock Gerinnungsstörung Mikroabszesse Direkte Infektion „falsche“ Neurotransmitter Elektrolytentgleisung Gestörter Aminosäurestoffwechsel, Überangebot aromatischer AS Störung der Leberfunktion Abb. 1: Pathopyhsiologische Aspekte des sepsis-assoziierten Delir den Unterschied zwischen einem akuten Delir, einer septischen Enzephalopathie oder einer vorbestehenden Demenz zu treffen. Eine septische Enzephalopathie liegt bei bis zu 71% aller Intensivpatienten mit schwerer Sepsis vor. Häufig ist die Enzephalopathie das Initialsymptom. Die Behandlung des Delirs im Rahmen der Sepsis setzt ein adäquates Assessment voraus. Eine der wichtigsten therapeutischen Optionen des Delirs beim kritisch Kranken geriatrischen Intensivpatienten ist die adäquate Analgosedierung, die den Wert auf Analgesie und nicht die sedierende Komponente legt. Es zeigt sich, dass es extrem wichtig ist, im Rahmen schwerer lebensbedrohlicher Erkrankungen bei geriatrischen Patienten die septische Enzephalopathie auf jeden Fall mit zu bedenken, denn nur so ist eine adäquate, dem klinischen Bild und dem individuellen Patienten entsprechende Therapie frühzeitig anwendbar. Dies führt zu einer Reduktion der Mortalität, der Aufenthaltsdauer auf Intensivstation und somit der zu erwartenden Behandlungskosten. Der Zusammenhang von Septikämie und Delir wurde bereits 1892 von Sir William Osler in „The Principle and Practice of Medicine“ beschrieben (1892, 1.Auflage, D. Appleton and Company, New York). Ihm fiel auf, dass in vielen Fällen innerhalb von 24 Stunden ein akutes Delir bei schweren Infektionen auftrat und im weiteren Verlauf, wenn dieser Zustand länger als 72 Stunden anhielt, ein Delir der apathischen Form auftrat. Die Sepsis bzw. der septische Schock wird weltweit mit einer Inzidenz von 1,5 Mio. Fällen pro Jahr angegeben [7, 12]. Die Prävalenzstudie des Deutschen Sepnet berichtete bereits 2007 von ca. 154.000 schweren Sepsisfällen pro Jahr. Septische Enzephalopathie. In diesem Zusammenhang tritt eine septische Enzephalopathie bei bis zu 70% der Patienten mit schwerer Sepsis auf und ist häufig ein Initialsymptom. Nebenbefundlich zeigt sich, dass bei vorbestehenden Hirnfunktionsstörungen das Risiko einer septischen Enzephalopathie deutlich erhöht ist und Patienten in höherem Lebensalter zusätzlich gefährdet sind [1, 6]. Das sepsisassoziierte Delir ist als akute, reversible generalisierte Einschränkung der zerebralen Funktionen beschrieben (Abb. 1). Natürlich dürfen differentialdiagnostische Überlegungen, die metabolisch, hypoxisch oder auf Grund der Behandlungsfolgen von Sedativa oder anderen Medikamenten begründet sind, nicht außer Acht gelassen werden (Abb. 2). Patient sediert ja Definition und Häufigkeit nein Sedierungpause Fokale Symptome nein ja Hirnstammreflexe, Reaktion auf Schmerzreize path. Sepsis-assoziiertes Delir wahrscheinlich CAM-ICU: delirium ATICE: < 10/20 ja path. EEG/SEP S-100β, NSE normal Sepsis-assoziiertes Delir unwahrscheinlich MRT: Evaluation des Ausmaßes der Hirnschädigung Abb. 2: Vorgehensweise zur Delirabklärung 38 normal nein Das Delir selbst, definiert als Bewusstseinseinschränkung mit einem Aufmerksamkeitsdefizit sowie einer veränderten kognitiven Funktion mit Wahrnehmungsstörung, welche sich innerhalb kurzer Zeit entwickelt und in der Symptomatik fluktuierend zeigt, stellt einen hohen Komplikationsfaktor für die intensivmedizinische Behandlung dar. Ein weiteres Problem ist, dass ca. zwei Drittel der Organdysfunktionen im Rahmen des Delirs auf Intensivstationen nicht adäquat erkannt werden (Abb. 3). Bei beatmeten GERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR älteren Patienten tritt es umso häufiger auf. Erschreckender Weise sind ca. 10% der Patienten bei Verlegung noch delirant und an interprofessionellen Behandlungskonzepten fehlt es derzeit noch deutlich. Delir als Mortalitätsrisiko ist mit einer höheren Sterblichkeit sechs Monate nach Behandlung verknüpft [2, 9]. Somit resultieren aus einem unerkannten oder einem nicht behandelten Delir schwere Krankheitsverläufe mit vermehrten Komplikationen [11], dies führt zwangsläufig zu einer Verlängerung des Intensivaufenthaltes und einer deutlich erhöhten Sechsmonatsmortalität und, über den Aufenthalt verbunden, mit dem Ressourcenverbrauch zu höheren Kosten der Intensivbehandlung. Weiterhin besteht das Risiko einer dauerhafter kognitiven Störung. Erfassung Neben der Erhebung eines Assessments des Schmerzes bei den Intensivpatienten ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Sedierungstiefe im Rahmen der Analgosedierung entsprechend angepasst wird. Studien haben deutlich gezeigt, dass je tiefer die Patienten sediert sind, desto häufiger die Komplikationen im Nachhinein mit einem Delir auftreten, zumal es in dieser Kombination häufig an einer ausreichenden Analgesie fehlt. Um ein adäquates Analgosedierungs-Regimes bei den Intensivpatienten durchführen zu können, ist ein Scoring von entscheidender Bedeutung und es hat sich hierfür die Richmond-Agitation-Sedation-Scale (RASS) bewährt (Tab. 6). Anzustreben ist ein Punktwert zwischen -2 und 0. In diesem Bereich ist der Patient am besten zu führen und das Risiko eines Delirs eher gering. Um ein entsprechendes Delirassessment durchführen zu können, bieten sich verschiedene Untersuchungsmöglichkeiten an. Für die Intensivmedizin eignet sich der CAM-ICU am besten [4]. Im ersten Schritt wird dort die Sedierungstiefe abgefragt, im Schritt zwei erfolgt eine Delireinstufung und im Schritt drei werden die entsprechenden Therapieoptionen eingeleitet. Dabei gilt aber zu bedenken, dass GERIATRIE JOURNAL 2/10 hyperaktiv < 5% gemischt 65% hypoaktiv > 30% Fehlinterpretationen (2/3) Prävalenzraten des ITS-Deliriums beatmet 60-80% nicht beatmet 50% @ 3-fach erhöhte 6-Monats Mortalität @ längere Beatmungsdauer @ längere ITS-Liegedauer @ längere Krankenhausverweildauer [modifiziert nach 8] Abb. 3: Delir auf Intensivstation eine Prävention des Delirs vor der Therapie stehen sollte. Stressfaktoren in der Intensivmedizin Die Intensivmedizin selbst bietet genügend auslösende Faktoren für ein Delir (Abb. 4), allein durch den bestehenden Umgebungsstress. Die fremde Umgebung mit einer deutlichen Reizüberflutung, d.h. ständiger Lärm auf der Station, kaum abgedunkelte Räume und wenig bis keine Orientierungshilfen führen relativ schnell, vor allem bei älteren Patienten, zur Überforderung, die letztlich in einem Delir enden kann. Zusätzlich fehlen die familiäre Zuwendung und die gewohnte Umgebung während der Patient unter Umständen sich ans Bett „gefesselt“ fühlt. Dies häufig durch Einrichtung von Bettgittern oder notPunkte +4 +3 +2 Sedierung streitlustig sehr agitiert agitiert +1 0 unruhig ruhig und aufmerksam schläfrig -1 -2 -3 -4 -5 wendigen therapeutischen Fixierungen, oder dadurch, dass der Patient an einen Infusionsschlauch angeschlossen ist oder über das nicht-invasive Monitoring am EKGKabel und am Monitor hängt. Selbst dieses „Angebundensein“ wird vom Patienten sehr stresshaft empfunden und kann zu deliranten Situationen führen. So sollte die gerätetechnische Untersuchung oder apparative Überwachung der Patienten auf das Nötigste beschränkt werden. Selbstverständlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass Risikofaktoren erkannt und nach Möglichkeit modifiziert werden. Natürlich sind das Alter und die initiale Krankheitsschwere ein bedeutender Risikofaktor, der jedoch nicht beeinflussbar ist. So hat sich deutlich gezeigt, dass Patienten die einen hohen AppacheII-Score haben, deutlich gefährdeter sind, Beobachtung und Interpretation offene Streitlust, Gefahr für das Personal zieht an Schläuchen und Kathetern aggressiv häufig ungezielte Bewegungen, atmet gegen das Beatmungsgerät ängstlich, Bewegungen weder aggressiv noch lebhaft folgt Aufforderungen aufmeksam nicht ganz aufmerksam, erwacht anhaltend durch Ansprechen (> 10 s) leicht sediert erwacht kurz mit Augenkontakt bei Ansprache (< 10 s) mäßig sediert Bewegung und Augenöffnung durch Ansprechen, kein Augenkontakt tief sediert Bewegung oder Augenöffnung durch körperlichen Reiz nicht erweckbar keine Reaktion auf körperlichen Reiz [mod. nach 13] Tab. 6: Systematische Bewertung der Sedierungstiefe 39 SCHWERPUNKT: DELIR das Delir-Management durchaus ein Qualitätsmerkmal einer Intensivstation sein. internistische Aufnahme 3 verschiedene Infusionen Literatur Endotrachealtubus Isolation (Keime) 0 1 5 Odds-Ratio (mit 95%-Konfidenzintervall) 10 15 [modifiziert nach 14] Abb. 4: Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs auf der Intensivstation ein Delir zu entwickeln. Allerdings lassen sich eine Medikamentenauswahl, die Schmerzbekämpfung und die Analgosedierung sehr wohl als Risikofaktor gut kontrollieren und beeinflussen, um deliranten Symptomen vorzubeugen. Wichtigste Botschaft hierbei in der Intensivmedizin ist, dass ein unbehandelter Schmerz unweigerlich zum Delir führt und eine Sedierung der Patienten im Rahmen der Intensivtherapie erst nach adäquater Analgesie erfolgen sollte (Abb. 5). Schmerz und Sedierung Delir tierung ist es wichtig, den Patienten gezielt und verständlich über seine Situation zu informieren, wenn nötig auch mehrmals am Tag, entsprechende Sicherheit zu vermitteln und Kommunikationshilfsmittel einzusetzen. Eine Berührung sollte nur angekündigt erfolgen. Nach Möglichkeit sollte bei einem längeren Aufenthalt die Möglichkeit zur persönlichen Gestaltung des Umfeldes (Uhr, Kalender, Musik) geschaffen werden und es sollten auch Zimmerwechsel, die zu einer weiteren Des-Orientierung führen, vermieden werden. [modifiziert nach 10] Abb. 5: Schmerz – Delir – Route Allein eine tägliche Sedierungspause mit einem Aufwachversuch, kombiniert mit einem Spontanatemversuch des Patienten reduziert die Entstehung eines posttherapeutischen Delirs um ein Vielfaches. Nicht-pharmakologische Interventionsmöglichkeiten Wichtig für die Begleitung der Patienten auf der Intensivstation ist zum einen, dass der Schlaf-Wach-Rhythmus durch Lichtregelung oder Lärmreduzierung reguliert und optimiert wird. Zum anderen ist die Re-Orientierung des Patienten durch seine Angehörigen bzw. das Pflegepersonal in der Bereichspflege von enormer Bedeutung, so dass eine Bezugsperson gefunden werden kann. Weiterhin sollten visuelle und akustische Beeinträchtigungen vermieden werden. Auch aktuelle Hilfsmittel des Patienten, wie Lesehilfe, Brille oder Hörgeräte sind in der Intensivmedizin selbstverständlich zu verwenden. Im Rahmen der Kommunikation zur Re-Orien- 40 Frühmobilisation Eine weitere Möglichkeit ist, den Patienten unter Einbeziehung der Physiotherapie und des gesamten therapeutischen Teams sehr früh zu mobilisieren, denn die Förderung der Selbstmobilisation, nach einem festen Schema im Tagesablauf führt zu einer besseren Kontrolle des Patienten und damit einer Vermeidung des Delirs. Ähnliches gilt auch für die Lagerungsoptionen, denn auch dort ist es wichtig, dass der Patienten nicht zu weich liegend gelagert wird, sondern auf einer etwas härteren Matratze, nach Möglichkeit in halbsitzender Position, um ihm das Körpergefühl wieder zurückzugeben. Ein Patient, der sich selbst fühlt, hat weniger Angst und läuft weniger Gefahr in delirante Zustände zu verfallen. So lässt sich zusammenfassend beurteilen, dass das Delir häufiger ist, als man denkt und einen komplikativen Behandlungsverlauf verursacht. Assessments sind notwendig und therapeutische Maßnahmen müssen rasch ergriffen werden. Allerdings ist die Prävention des Delirs der wünschenswerteste Ansatz [3]. So kann 1. Eidelmann LA et al. The spectrum of septic encephalopathy. Definitions, etiologies, and mortalities. Jama 1996; 275: 470-473 2. Ely EW et al. Delirium as a predictor of mortality in mechanically ventilated patients in the intensive care unit. Jama 2004, 291: 1753-62 3. Fong JJ, Develin J: Can postoperative Delrium be prevented pharmacologically? Crit Care Med 2009; 37: 1825-6 4. Dittrich B, Gatterer G, Frühwald T, Sommeregger U. Delir-Diagnostik. Z. gerontopsychol psychiatr 2007; 20: 135-9 5. Girard TD, Pandharipande PP, Ely EW: Delirium in the Intensive Care Unit. Crit Care 2008, 12: S3 6. Knaus Wa et al. Prognosis in acute organ-system failure. Ann Surg 1985; 202: 685-693 7. Linde-Zwirbele et al. Medicare intensive care unit cost: analysis of incidence, cost, and payment. Crit Care Med 2004; 8: 222-226 8. Lütz A et al.: Die Nursing Delirium Screening Scale (NU-Desc). Anätheol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 2: 98-102 9. Milbrand A et al. Crit Care 2004 10. Morrison RS et al. Relationship between pain and opioid analgesics on the development of delirium following hip fracture. J Gerontol Biol Med Sci 2003; 58A: M76-81 11. Ouiment S, Riker R, Bergeron N et al: Subsyndromal delirium in the ICU: Evidence for a disease spectrum. Intensive Care Med 2007; 33: 1007-13 12. Rangel-Frausto et al. The natural history of the systemic inflammatory response syndrom. Jama 1995; 273: 117-123 13. Sessler CN et al. The Richmond Agitation Sedation Scale: validity and reliability in adult intensive care unit patients. Am J Respir Crit Care Med 2002; 166: 1338-1344 14. Van Prompaey B, Elseviers MM, Schuurmanns MJ et al: Risk factors for delirium in intensive care patients: a prospective cohort study. Crit Care 2009; 13: R77 Korrespondenzadresse: Dr. Hans Jürgen Heppner, Klinik für Notfallmedizin und Internistische Intensivmedizin, Institut für Biomedizin des Alters an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. med. Michael Christ, Chefarzt, Klinik für Notfallmedizin und Internistische Intensivmedizin Prof. Dr. med. Cornel Sieber, Chefarzt, Medizinische Klinik 2, Schwerpunkt Geriatrie, Institut für Biomedizin des Alters an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Postadresse: Klinikum Nürnberg Nord Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1 90419 Nürnberg GERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR Das Postoperative Delir @ präoperative Blutbildveränderungen – Boris Singler, Erlangen E ine 2008 erstellte Datenerhebung zeigt, dass sich derzeit die Hälfte aller Menschen über 65 Jahren einer Operation unterziehen muss. 40% aller Operationen werden im bundesweiten Durchschnitt bei Patienten durchgeführt, die das 65. Lebensjahr erreicht haben [1]. Dabei stellen die Hauptoperationen von über 80-Jährigen die Versorgung von Schenkelhalsfrakturen, Katarakt-Operationen und die Versorgung eines akuten Abdomens, z.B. bei einem Ileus oder einer Hohlorganperforation, dar. Diese Art der Operationen bzw. Erkrankungen und deren Versorgung stellt nach derzeitiger Erkenntnis das Hauptrisiko für ein Delir im postoperativen Zeitraum dar [2]. Ein postoperatives Delir ist ein potentiell reversibles neuropsychiatrisches Syndrom, welches mit einer komplexen Funktionsstörung des Gehirns einhergeht. Im operativen Bereich gilt es zwischen dem postoperativen Delir und der postoperativen kognitiven Dysfunktion zu unterscheiden. Zum einen spricht man vom postoperativen Delir (POD), welches definitionsgemäß nur eine temporäre und reversible kognitive Störung in der unmittelbaren postoperativen Phase darstellt. Zum anderen spricht man von der postoperativen kognitiven Dysfunktion (POCD), welche für länger als eine Woche nach einer Operation andauern kann und ebenfalls mit Störung der kognitiven Leistung einhergeht. Diese sind meist diskreter als bei dem POD, können dafür aber über Wochen bis Monate fortbestehen (Tab. 7) [3]. Das postoperative Delir tritt am häufigsten 24 bis 78 Stunden nach dem Eingriff auf und ist in dieser Zeitspanne auch am stärksten ausgeprägt. Es kann die erfolgreiche Therapie kritisch Kranker stark beeinträchtigen, Mortalität und Morbidität sind erhöht, was auch zu längerer Krankenhausverweildauer und höheren Behandlungskosten führt. Für die Patienten selbst hat ein Delir zusätzlich groGERIATRIE JOURNAL 2/10 ßen Einfluss auf die subjektiv verbleibende Lebensqualität [4]. Die Inzidenz ein POD zu erleiden, wird abhängig vom Lebensalter und der Art der Operation angegeben und schwankt von 0 bis 74% [5]. Eine neuere Arbeit gibt eine Inzidenz beim älteren Patienten, ein postoperatives Delir zu entwickeln, mit 47% an [6]. Die Probleme des Anästhesisten im Alltag liegen im Bereich des Erkennens eines Delirs. Derzeit verwendete Tests im postoperativen Bereich sind nicht validiert, teilweise sehr zeitaufwendig und die Konsequenzen der Testergebnisse sind für den Anwender oft unklar. Des Weiteren ist eine konstante postoperative Beobachtung meist nicht gewährleistet. Prädisponierend für die Delir-Entstehung gelten neben den bereits oben genannten allgemeinen Faktoren auch im operativen Bereich vor allem hüftgelenksnahe Frakturen, prä- oder intraoperativ auftretende metabolische Entgleisungen sowie Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz oder COPD. Weitere Faktoren können das Risiko, ein Delir zu erleiden, erhöhen. Dazu zählen @ die Einnahme bestimmter Medikamente – vor allem Medikamente mit anticholinerger Wirkung, @ die Schwere der Erkrankung – z.B. Sepsis, Schock, Infektionen, Ateminsuffizienz (Hypoxämie), @ Elektrolytstörungen/eingeschränkte Nierenfunktion, aber auch Postoperatives Delir (POD) @ temporäre und reversible kognitive Störung @ unmittelbare postoperative Phase @ häufig eindrucksvoll @ kurzzeitig bestehend @ reversible kognitive Störung hier sei vor allem ein Hb < 11,1 g/l bei Männer (bei Frauen besteht kein Zusammenhang), @ ein Hämatokrit < 33%, @ eine bestehende Leukozytose oder @ ein erhöhtes CRP. Postoperativ sind Schmerzen, Fixierungsmaßnahmen und z.B. das Einbringen eines Blasenkatheters sowie das Verlegen auf eine Intensivstation mögliche Ursachen [4, 6]. Zum Delir abgrenzend muss man das postoperative kognitive Defizit betrachten (POCD). Monk et al. konnte 2008 in einer großen Studie an über 1.000 erwachsenen Patienten zeigen, dass ein POCD nach einer Woche in 36% der Fälle auftrat, nach drei Monaten in immerhin noch 7,9% der Fälle. Hier gab es eine signifikante Steigerung bei isoliertem Betrachten von Patienten über dem 60. Lebensjahr, von denen nach drei Monaten 12,7% an einem kognitiven Defizit litten [8]. Diese Zahlen decken sich mit Daten, die 1998 in Lancet veröffentlicht wurden und eine POCD-Inzidenz bei Patienten über 60 Jahren eine Woche postoperativ von 25,8% und nach drei Monaten von 9,9% zeigten [9]. Selbst im Langzeitverlauf konnte eine Inzidenz eines POCD von 1% nach zwei Jahren evaluiert werden [10]. Als Hochrisiko-OP gilt in diesem Zusammenhang ein Hüft- oder Kniegelenksersatz, bei welchen es mit Knochenzement zu vermehrten Mirkoembolien und Histaminausschüttung kommen kann („Cement-implantation-syndrom“). Weiterhin sind zerebrale Mikroembolien bei Markraumbohrung nicht selten. Hier konnte ein Anstieg einer POCD bei Patienten über 65 Jahren Postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) @ temporäre und verzögert auftretende, reversible kognitive Störung @ an die postoperative Phase anschließend @ diskrete Symptomatik @ länger als eine Woche andauernd @ Gefahr der Chronifizierung (mod. nach Newman et al. 2007) Tab. 7: Richtungsweisende Unterschiede POD und POCD 41 SCHWERPUNKT: DELIR nach drei Monaten auf 56% ermittelt werden [11]. Risikofaktoren für das Auftreten eines POCD nach bereits einer Woche sind zusammengefasst: hohes Alter, Multimorbidität (hoher ASA-Score), lange Anästhesiedauer, niedriges Bildungsniveau des Patienten, komplexe Eingriffe (bzw. ReEingriffe), postoperative Infektionen, respiratorische Komplikationen und das Auftreten eines postoperativen Delirs. Für das spätere Auftreten nach drei Monaten gelten das fortgeschrittene Lebensalter, ein niedriges Bildungsniveau, ein präoperativ bereits bestehender Apoplex und die präoperative Gabe von Benzodiazepinen als Hauptrisikofaktoren (Tab. 8) [8, 9]. Keinen Einfluss haben nach aktuellen Erkenntnissen das Anästhesieverfahren (Regional- vs. Allgemeinanästhesie; intravenöse vs. volatile Hypnotika), die Anzahl von Bluttransfusionen perioperativ, die Hypoxämie und Hypotension intraoperativ sowie der ASA-Score [9]. Therapeutisch lässt sich das postoperative Delir oft durch Behebung der Ursache behandeln, z.B. Korrektur einer Hypoxämie, des Flüssigkeitshaushaltes, der Elektrolyte, einer metabolischen Entgleisung und vor allem durch eine adäquate Schmerztherapie. Es empfehlen sich eine ruhige, gut beleuchtete Umgebung und wenn möglich keine Fixierungsmaßnamen. Eine Substitution von Vitamin B1 und B6 (50-100 mg/d) wird erwähnt. Die medikamentöse Therapie des postoperativen Delirs erfolgt durch Haloperidol als parenterale Gabe (beginnend mit 0,5 bis 5 mg, fraktioniert bis zu 20 mg/d). Je nach Dosis wirkt Haloperidol stark dämpfend, aber nicht atemdepressiv. Nach Stabilisierung des Patienten erfolgt eine schrittweise Reduktion. Benzodiazepine werden nur beim Alkoholentzugsdelir empfohlen. Clonidin als zentraler α-2-Agonist kann bei vegetativen Begleitsymptomen eingesetzt werden (30-120 µg/h intravenös oder bis zu 8 x 75 µg/d oral). Als weitere Alternative gilt Physostigmin bei Verdacht auf medikamentös induzierte Delire (zentral anticholinerges Syndrom). Propofol in sedierender Dosierung ist besonders für Intensivstationen gut geeignet, da es den Schlaf fördert und keinen Schlafentzug erzeugt, wie es bei der Lang- 42 frühes Auftreten eines POCD (1 Woche postoperativ) @ hohes Alter @ Multimorbidität @ lange Anästhesiedauer @ komplexe operative Eingriffe @ postoperative Infektion @ respiratorische Komplikationen @ postoperatives Delir @ niedriges Bildungsniveau spätes Auftreten eines POCD (3 Monate postoperativ) @ hohes Lebensalter @ vorbestehender Apoplex @ präoperative Gabe von Benzodiazepinen @ niedriges Bildungsniveau [mod. nach 8 + 9] Tab. 8: Risikofaktoren für das Auftreten eines early und late onset POCD zeittherapie von Benzodiazeopine beobachtet wird. Nicht empfohlen werden Niederpotente Antipsychotika auf Grund des hohen delirogenen Potentials und der ausgeprägten anticholinergen Wirkung. Die Therapie eines POCD liegt in der Prävention. Eine Medikamentenempfehlung gibt es derzeit nicht. Die Prävention beinhaltet die oben genannten Risikofaktoren, die es zu vermeiden gilt. Bezüglich der Anästhesie sollte keine „multimodale Rezeptorblockade“ bei Narkose oder Prämedikation erfolgen, vielmehr soll sich der Einsatz auf wenige Substanzen beschränken. In der postoperativen Schmerztherapie sind lokale Verfahren hilfreich, um z.B. den Einsatz von Opiaten zu reduzieren. Für die Prävention eines POD sollte ebenfalls ein exaktes Aufrechterhalten der Homöostase (Respiration, Zirkulation, Metabolismus) erreicht werden. Kurzwirksame Substanzen sind auch in diesem Falle präventiv, vor allem sollten Benzodiazepine und anticholinerge Substanzen vermieden werden. Vermeiden von Angst und Stress, eine adäquate Schmerztherapie, Kontakt zu vertrauten Personen, Vermeiden von Schlafentzug (ICU), Korrektur einer Dehydratation, physikalische Maßnahmen, Moblilisation sowie früh- zeitige Entfernung von Kathetern wären wünschenswert und sind effektiv in der Vermeidung eines postoperativen Delirs. Zur Prävention bei geriatrischen Patienten mit Schenkelhalsfrakturen werden die präoperative Gabe von niedrig dosiertem Haloperidol sowie ein psychosoziales Interventionsprogramm aufgeführt. Bezüglich der präoperativen Gabe von Acetylcholinesterase-Inhibitoren sind die derzeitigen Literaturangaben widersprüchlich. Hier gilt es weitere Ergebnisse von Studien abzuwarten. Oft lässt sich durch eine gute Anamnese das Risiko des PODs präoperativ abschätzen. Daher sind die Prämedikationsvisite und eine frühe Planung der Operation wichtig für das Outcome des Patienten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Inzidenz beider oben genannter Syndrome sehr hoch ist, wobei das POD klar vom POCD unterschieden werden muss. Die Ätiologie ist multifaktoriell, das Alter per se sollte als eigener Risikofaktor angesehen werden. Eine Prävention ist möglich und nötig, wenngleich auch weitere Studien notwendig sind. Die Anästhesie an sich stellt nach heutigen Erkenntnissen kein Risiko hinsichtlich des Entwickelns eines Delirs dar. Ein delirantes Syndrom ist ein fächerübergreifender Notfall und sollte auch interdisziplinär behandelt werden. Literatur 1. Wiese et al., AINS 2008; 9: 616-622 2. Schmitt, Pajonk; Anaesthesist 2008 3. Newman et al.; Anesthesiology 2007; 106: 572-90 4. T.-K Schmitt, F.-G. Pajonk; Anaesthesist 2008 57: 403-431 5. Steiner LA.; Schweiz Rundsch Med Prax 2005; 94: 1811-4 6. D. Noimark; Age and Ageing 2009; 38: 368-373 7. Royal College of Physicians, London, June 2006 8. Monk TG, Anesthesiology 2008; Jan; 108 (1): 18-30 9. Moller JT et al., Lancet 1998; 351: 857-61 10. Abildstrom H et al.; Anaesthesiol Scand 2000; 44: 1246-51 11. Krämer, European Journal of Trauma, 2001 12. Ancelin, Br J Psych, 2001 Dr. med. Boris Singler, Anästhesiologische Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, Direktor Prof. Dr. med. Dr. h.c. J. Schüttler, Krankenhausstr. 12, 91054 Erlangen, eMail: Boris.Singler@ kfa.imed.uni-erlangen.de GERIATRIE JOURNAL 2/10 SCHWERPUNKT: DELIR Pflegeplanung und Pflegeintervention Frank Basedow-Klier, Nürnberg GERIATRIE JOURNAL 2/10 @ Die Umgebung des Patienten sollte klar strukturiert sein mit bestmöglicher gleichzeitiger Reizkontrolle. So wäre es optimal, wenn der Patient in einem Einzelzimmer untergebracht, dieser mit Gegenständen nicht überfüllt, aber doch mit „Vertrautem“ ausgestattet wäre. @ Die individuellen Fertigkeiten des Patienten sollten aufrechterhalten werden. Sensorische Defizite wie eine nicht benutzte Brille oder eine nicht verwendete Hörhilfe sollten stets korrigiert werden. @ Wenn möglich kognitiv stimulierende Aktivitäten wie Kreuzworträtsel, Zeitung lesen fördern. @ Der delirante Patient sollte zu jedem Zeitpunkt pflegerischer Maßnahmen aktiv mit einbezogen und beteiligt werden („Hilfe zur Selbsthilfe“). @ Die Haltung des Pflegepersonals dem Patienten gegenüber sollte stets auf einer respektvollen, unterstützenden und verstehenden Haltung gründen. Ziel sollte es sein, dem Patienten zu mehr Orientierung zu verhelfen, ihm Sicherheit zu vermitteln und seine Ängste, aber auch seine Agitiertheit zu mäßigen. @ Fixierungen und andere freiheitsentziehende Maßnahmen sollten so weit als möglich vermieden werden, da sie die Symptomatik wie Angst oder Unruhe noch verstärken können. Von pflegerischer Seite können diese Maßnahmen zu einer Minderung der Symptomatik beitragen, sie sind prinzipiell leicht umsetzbar und „nebenwirkungsfrei“. Eine weitere Stufe im Strategieschema im Umgang mit Patienten im Delir sind Maßnahmen zur Unterstützung des Patienten sowie die Vermeidung von Komplikationen. Bei der Betreuung eines Patienten mit Delir ist vom Pflegepersonal viel Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren. Komplikationen müssen frühzeitig erkannt und nach Möglichkeit verhindert werden. Foto: hans12 – Fotolia.com D as akute Delir ist eine der häufigsten akuten Funktionsstörungen älterer Patienten im akutstationären Bereich und stellt einen unabhängigen Risikofaktor für höhere Mortalität, verlängerte Krankenhausverweildauer und auf lange Sicht eine Abnahme der kognitiven und funktionellen Fähigkeiten der Patienten dar. Beispiele, welche Bedeutung delirante Syndrome für die Geriatrie haben, finden sich in nahezu allen klinischen Untersuchungen in der Altersmedizin. Der Umgang mit bzw. die Pflege von deliranten Patienten basiert auf einem mehrstufigen Strategieschema und häufig kann mit einfachen Maßnahmen und Präventionsstrategien wie Tageslicht, Angehörigenbesuche und dem restriktiven Umgang von psychoaktiven Substanzen ein guter Behandlungserfolg erzielt werden. Beim deliranten Patienten sind besondere Probleme und Bedürfnisse zu berücksichtigen und es ist darauf zu achten, dass stets versucht wird, diese positiv zu beeinflussen. Hierbei gilt es, die folgenden wichtigen pflegerischen Verhaltensund Interventionsmaßnahmen mit einzubeziehen: @ Einem Delir kann durch bestimmte Maßnahmen vorgebeugt werden. So ist z.B. an eine ausgewogene Nahrungsund Flüssigkeitszufuhr zu denken, bei Diabetikern sind regelmäßige und falls nötig häufigere Blutzuckerkontrollen durchzuführen. @ Dem deliranten Patienten sollten regelmäßig orientierende Maßnahmen an die Hand gegeben werden z.B. in Form von regelmäßigen Informationen über Ort, Zeit und Lokalität sowie eine für den Patienten gut sichtbare Uhr oder ein Kalender, die gut und jederzeit einsehbar sind und einer wiederholten Orientierung dienen können. Ziel der Pflege sollte sein, dem Patienten zu mehr Orientierung zu verhelfen. Dazu zählen auch die Unterstützung der individuellen Fertigkeiten und die Nutzung von Brille oder Hörhilfe. 43 SCHWERPUNKT: DELIR Patienten mit delirantem Syndrom zeigen gehäuft Verhaltensweisen, die als gefährlich einzustufen sind, womit die Gefahr von Selbstverletzung und Unfällen besteht. Daraus resultiert eine engmaschige sowie kontinuierliche Überwachung des Patienten genauso wie eine intensive pflegerische Betreuung. Die Pflegeabläufe sind genau zu planen und auf die Bedürfnisse des Patienten abzustimmen, diese sollten unterstützende als auch orientierende und sinngebende Maßnahmen beinhalten. Präventive und korrigierende Interventionen Die Pflegeinterventionen beim Patienten mit Delir versuchen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf der Akutsituation zu nehmen. Ziel der Interventionen ist die Reduktion von Stress und Angst sowie die Aufrechterhaltung von Kommunikation und die Hilfestellung bei der Orientierung bzw. der Reorientierung. Dem Patienten soll das Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit, z.B. durch Schaffung einer ruhigen Raumatmosphäre gegeben werden. Ergänzend zur rein medizinischen Therapie des Delirs ist die pflegerische Intervention unerlässlich. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass es bei allen Interventionsstudien keine wirksame Einzelmaßnahme in der Behandlung oder Prophylaxe des Delirs geben kann, sondern ein interprofessionelles Zusammenspiel aller Behandler ausschlaggebend für den Erfolg ist. Kommunikationsgestaltung beim Delir Unterstützung, Information, Einfühlungsvermögen sowie die Vermittlung von Trost und Sicherheit sind allesamt durch Technik nicht erreichbar. Dies wird besonders deutlich bei schwerkranken Patienten der Intensivmedizin oder in Akutsituationen der klinischen Notaufnahmen. Hierbei sind Patienten wie Angehörige auf die angepasste Kommunikation als wichtigen therapeutischen Beitrag durch die Pflegekräfte angewiesen. Im Rahmen der Gesprächstechnik ist ak- 44 tives Zuhören und eine Spiegelung der Gefühle von großer Bedeutung. Alleine schon die beruhigende Anwesenheit des Pflegeteams – welche im Mittelpunkt stehen sollte – kann durch Berührung oder ruhige Bewegung erzielt werden und dem Patienten das Gefühl der Geborgenheit geben. In diesem Zusammenhang wird auch die basale Stimulation nach Bienenstein und Fröhlich diskutiert. Nonverbale Kommunikation hat vor allem bei bewusstseinsgetrübten Patienten durch Berührung, Körpersprache, Blickkontakt oder Mimik als einziger Zugangsweg zum Patienten auch eine sehr große Bedeutung. Expressive Berührung Bewusst eingesetzte nonverbale Kommunikation und Berührung nimmt einen großen Stellenwert bei bewusstseinsgetrübten Patienten ein. Die Berührung ist der wichtigste Bestandteil dieser nonverbalen Kommunikation. Die Berührung übermittelt Mitgefühl, den Wunsch zu helfen und gibt dem Patienten das Gefühl von Sicherheit. Durch Berührung werden Einsamkeit und Isolation des Patienten vom Gefühl her verringert und die Wahrnehmung von Trost oder Integrität eher gesteigert [Pearce 2002]. Allerdings ist hierbei enorm wichtig, dass jede Form der Berührung angekündigt werden muss. Orientierungshilfen in der orientierenden Pflege Die Desorientierung ist meistens auf eine zeitliche Problematik und weniger auf die örtliche Problematik zurückzuführen. Der Patient hat meist kein Gefühl wie spät es ist, welcher Tag überhaupt ist und in welchem Jahr er lebt [Schuurmanns 2004]. Daher sind einfache Orientierungshilfen wie Nennung von Tagesund Jahreszeit im zwanglosen Gespräch der Pflegekraft und dem kritisch kranken Menschen sehr hilfreich. Auch große Uhren oder Kalender können durchaus hilfreich sein. Genauer ausgedrückt bedeutet dies: @ Regelmäßige Mobilisation des deliranten Patienten. Dabei sollten auch immobilisierende Maßnahmen wie Ka- theter oder Infusionen so wenig wie möglich verwendet werden. @ Erkennen von Selbstfürsorgedefiziten; diese müssen in die ständig evaluierte Pflegeplanung mit einbezogen werden. @ Schaffen ungestörter Schlaf- und Erholungsperioden, Wiederherstellung eines „normalen“ Schlaf- und Wachrhythmus. @ Direkte und nach Möglichkeit dauerhafte Einbeziehung der Angehörigen in den Pflegeprozess. Als Alternative zu Fixierungen versuchen Angehörige zur Überwachung bzw. zum „Sitting“ zu gewinnen. Die Patienten benötigen in der Regel eine 1:1-Betreuung. @ Es ist aber auch daran zu denken, dass Angehörige in dieser Zeit besonderer Unterstützung im Sinne von Information und Zugewandtheit bedürfen. Besonders beim Delir des älteren Patienten spielen milieutherapeutische Maßnahmen eine große Rolle. Sie können und sollen psychologischen Stressoren sowie kognitiven und sensorischen Problemen des Patienten positiv entgegen wirken. Zwar nehmen das Wissen um die Häufigkeit und die Folgeproblematik sowie die möglichen Interventionen bei der Entstehung des Delirs stetig zu, dennoch bestehen nach wie vor Defizite bei allen behandelnden Mitarbeitern. So muss das Ziel der Pflegeplanung und -intervention sein, die Delirentwicklung zu verhindern, den Patienten im Delir verlässlich zu erkennen und alle nötigen Maßnahmen ohne Zeitverzögerung einzuleiten. Der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit deliranten geriatrischen Patienten ist ein Qualitätsmerkmal moderner Pflegeintervention. Literatur: 1. Grunst, S., Schramm, A.: Pflege kompakt – Neurologie und Psychiatrie S. 412-454 2. Steinhagen-Thiessen, E., Hanke, B.: Neurogeriatrie; S. 28-30 3. Altenpflege konkret – Gesundheits- und Krankenpflege, S. 716-721 4. Gogol M: Das Delir im höheren Lebensalter. Z Gerontol Geriat 2008; 41: 431-9 Korrespondenzadresse: Frank Basedow-Klier, Humboldtstr. 101, 90459 Nürnberg, eMail: [email protected] GERIATRIE JOURNAL 2/10 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Depression: Neuer Therapie-Ansatz Zirkadiane Rhythmik als therapeutisches Target Mit der Einführung des melatonergen Antidepressivums Agomelatin (Valdoxan®) als dem ersten Vertreter einer neuen Substanzklasse wird der therapeutische Blick auf ein bekanntes, aber bislang wenig beachtetes Funktionsprinzip des menschlichen Organismus gelenkt – der bei der Depression gestörten zirkadianen Rhythmik. Ein typischer Befund bei den allermeisten depressiven Patienten sei der Zusammenbruch der physiologischen Trennung von Aktivitäts- und Ruhephasen, erklärte Prof. Göran Hajak, Regensburg, auf dem Satellitensymposium „Individualisierte Arzneimitteltherapie der Depression – the right drug for the right patient“, das im Rahmen der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im November 2009 in Berlin stattfand. Diese und zahlreiche weitere biologische Rhythmusprofile werden von einer „inneren Uhr“ im Nucleus suprachiasmaticus im vorderen Hypothalamus synchronisiert und aufeinander abgestimmt. Dort beeinflusst der Melatonin-MT1-Rezeptor die Amplitude und der Melatonin-MT2-Rezeptor die Phasenverschiebung der zirkadianen Rhythmik. Schlafstörungen mit einem Mangel an erholsamem Schlaf und morgendlichem Früherwachen, einer schwankenden affektiven Schwingungsfähigkeit mit dem charakteristischen Morgentief sowie Antriebs- und Vigilanzstörungen tagsüber sind für Hajak deutliche klinische Hinweise auf eine Störung des zirkadianen Rhythmus. Diese Patienten profitieren von einer Rebalancierung und Synchronisation zirkadianer Rhythmen. Mit Agomelatin ist jetzt erstmals ein Antidepressivum verfügbar, das in seinem Wirkprofil auch diesen Krankheitsaspekt berücksichtigt. Die klinischen Studien zeigen eine rasche Normalisierung des Schlaf-Wachrhythmus, „ohne dass eine Sedierung tagsüber zu erwarten ist“, betonte Hajak. Von den Patienten als positiv empfunden wird besonders die bessere Schlafkontinuität ohne häufiges nächtGERIATRIE JOURNAL 2/10 liches Aufwachen und die Wiedergewinnung des verlorenen Tiefschlafes. In einer randomisierten, doppelblinden Vergleichsstudie mit Venlafaxin IR 75-150 mg war die Schlafqualität unter Agomelatin 25-50 mg bereits nach der ersten Behandlungswoche signifikant besser (p = 0,021 vs. Venlafaxin). Damit einher ging im Patientenurteil eine signifikant bessere Vigilanz tagsüber und subjektives Wohlbefinden (jeweils p < 0,001 vs. Venlafaxin) [2]. Dieser klinische Eindruck blieb im CGI-I nicht nur über sieben Tage, sondern auch über sechs Wochen (p = 0,016) und 6 Monate (p = 0,025) erhalten [3]. Nach den Erfahrungen von Prof. Eckart Rüther, München, wird die Auswahl des geeigneten Antidepressivums in der Praxis insbesondere durch den Schweregrad der Depression und komorbide Angstsymptome sowie durch das Alter und das Geschlecht des Patienten beeinflusst. Die Daten der Akutstudien belegen hierzu, dass die Wirksamkeit von Agomelatin unabhängig vom Geschlecht, dem Alter oder dem Körpergewicht oder komorbiden Angstsymptomen ist. In einer Metaanalyse von Kasper et al. (Agomelatin 25-50 mg vs.Venlafaxin IR 75-150 mg, Sertralin 50-100 mg, Fluoxetin 20-40 mg) zeigte sich über einen Beobachtungszeitraum von 6-8 Wochen eine absolute Differenz im HAMD-17 Gesamtscore von 1,35 Punkten zugunsten von Agomelatin (p < 0,001). Desweiteren zeigten sich unter der Behandlung mit Agomelatin höhere Responderraten sowohl im HAMD-17 (72,6% vs. 65,1%) als auch im CGI-I (82,2% vs. 73,6% (4). In den plazebokontrollieren Studien betrug die Differenz auf der HAMD-17-Skala nach 6-8 Wochen Therapiedauer jeweils über zwei Punkte zugunsten von Agomelatin, bestätigte Prof. Gerd Laux, Wasserburg/Inn [5-7]. Dieser Unterschied wird von den Zulassungsbehörden und dem britischen NICE-Institut als Nachweis einer antidepressiven Wirkung angesehen. Unter Agomelatin sind wegen seines neuartigen Rezeptorprofils keine uner- wünschte Sedation, Gewichtszunahmen oder vermehrte sexuelle Dysfunktion zu erwarten, so Laux [8, 9]. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Zu beachten sind regelmäßige Kontrollen der Leberwerte. Laux stellte auf dem DGPPN-Kongress die ersten Ergebnisse der nicht-interventionellen Studie VIVALDI (Valdoxan improves depressive symptoms and normalizes circadian rhythms) vor. In der Studie wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Agomelatin unter Praxisbedingungen untersucht; das Studiendesign wurde durch eine Ethikkommission geprüft [1]. In einer vorläufigen Interimsanalyse wurden 606 mittelschwer bis schwer depressive Patienten (63% Frauen, ∆ 49,4 Jahre; svMADRS zu Therapiebeginn: durchschnittlich 30,2) ausgewertet. Diese Zwischenauswertung ergab nach zwölf Wochen eine Remissionsrate von 52,3% (Responserate: 61,2%). Zu Therapiebeginn wurden 55,7% als schwer depressiv eingestuft, nach 12 Wochen waren es noch 10,4%. Nebenwirkungen traten in 7,1% der Fälle auf, am häufigsten Übelkeit und Schwindel (je 1,7%) sowie Kopfschmerzen (1%). Literatur: 1. Satellitensymposium „Individualisierte Arzneimitteltherapie der Depression – the right drug for the right patient“ im Rahmen der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 26. November 2009 2. Lemoine P et al. J Clin Psychiatry 2007; 68: 1723-32 3. Kennedy S., CNS Drugs 2009; Suppl 2: 41-47 4. Kasper S., et al., 2009 Eur Neuropsychopharmacol, 19 (Suppl. 3): S.412 5. Olie J.P. et al. Int J Neuropsychopharmacol. 2007; 10: 661-73 6. Loo H et al. Int Clin Psychopharmacoil 2002; 17: 239-47 7. Kennedy SH et al., Eur Neuropsychopharmacol. 2006; 16: 93-100 8. Laux G., Psychopharmakotherapie (supplement Nr. 19): 11-14 9. Valdoxan Fachinformation, Stand Februar 2009 Quelle: Presseinformation der Servier Deutschland GmbH, München, www.servier.de 45 P H A R M A : S Y M P O S I E N & P R A X I S I N F O R M AT I O N E N Therapie des alten Tumorpatienten Geriatrische Patienten profitieren in hohem Maße von Krebstherapie Die Behandlung älterer Tumorpatienten war ein wichtiges Thema auf dem 29. Deutschen Krebskongress (DKK), der vom 24. bis zum 28. Februar in Berlin stattfand. „Viele Ärzte therapieren ältere Patienten nicht mit derselben Konsequenz wie jüngere“, beklagte PD Dr. med. Ulrich Wedding, Chefarzt der Abteilung Palliativmedizin des Universitätsklinikums Jena. Sowohl Ärzte als auch Patienten und deren Angehörige sind der Ansicht, eine Tumorbehandlung nütze betagten Patienten weniger als jüngeren – eine Sichtweise, die sich wissenschaftlich insbesondere für neue innovative Behandlungskonzepte heute nicht mehr aufrecht erhalten lässt. vacizumab (Avastin®) älteren Patienten ähnliche Vorteile wie jüngeren Patienten bringt. Untersucht wurde bei 1.914 Patienten in der First-line Therapie mit bisher unbehandeltem metastasiertem Dickdarm- bzw. Enddarmkrebs die Sicherheit und Wirksamkeit von Bevacizumab in Kombination mit verschiedenen StandardChemotherapien. Die Studienergebnisse zeigen für alle Altersgruppen ein ähnliches langes progressionsfreies Überleben: 10,8 Monate für die unter 65-Jährigen, 11,2 Monate für Patienten von 65 bis 74 Jahren sowie 10,0 Monate für die Patienten ab 75 Jahren [2]. Brustkrebs Evidenz für Paradigmenwechsel durch neue Studien- und Registerdaten Früher war in klinischen Studien ein Alter von über 65 Jahren ein Ausschlusskriterium. Aussagen über die Wirksamkeit und Verträglichkeit vieler Therapien bei dieser Patientengruppe waren deshalb nicht möglich. Eine Wissenslücke, die jedoch zunehmend geschlossen wurde, erläuterte PD Dr. Dr. Friedemann Honecker, Onkologe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Als Beispiel hierfür stellte er das IN-GHO®-Register vor, in dem bis Ende 2010 Daten von über 3.000 onkologischen Patienten (Alter 70+) gesammelt werden. Eine Zwischenauswertung von 1.580 Patienten zeigte keinen Einfluss des Patientenalters auf das Therapieergebnis. Ein weiteres Krebsregister speziell für ältere Patienten ist das Mamma-Register „Senora“, in das Daten von 1.000 Patientinnen über 70 Jahre eingeschlossen werden sollen. Für die Behandlung älterer Krebspatienten stehen neue, hocheffektive und gut verträgliche Medikamente zur Verfügung. Darmkrebs Studiendaten zeigen, dass die zusätzliche Gabe des monoklonalen Antikörpers Be- 46 Auch hier sind die Ergebnisse für ältere Patientinnen viel versprechend: Aktuelle Subgruppen-Analysen einer Phase-III-Studie zeigen, dass die First-line Kombinationstherapie des HER-2-negativen metastasierten Mammakarzinoms mit Bevacizumab bei älteren Patientinnen genauso wirksam und verträglich ist wie bei jüngeren Patientinnen. Für das HER-2-positive Mammakarzinom zeigen die Ergebnisse einer großen Beobachtungsstudie zum Einsatz von Trastuzumab (Herceptin®) bei 910 Patientinnen ebenfalls einen Benefit für ältere Patienten. Dabei war das progressionsfreie Überleben von Patientinnen über 65 Jahren im Vergleich zu jüngeren Patientinnen sogar verlängert (12,9 vs. 9,9 Monate). Lungenkrebs Die aktuellen Auswertungen der PhaselV-Studie „Safety of Avastin in Lung Cancer“(SAiL) bestätigen den sicheren Einsatz von Bevacizumab bei älteren Patienten. Dabei war das mediane Gesamtüberleben bei jüngeren Patienten (bis 65 Jahre) mit 14,6 Monaten genauso lange wie im Kollektiv der älteren Patienten. Auch Nebenwirkungen traten bei älteren Patienten nicht häufiger auf. „Damit zeigt sich ein- drucksvoll die gute Einsetzbarkeit innovativer Therapien für ältere onkologische Patienten“, fasst PD Dr. Wolfgang Schütte die Ergebnisse zusammen. CLL Bei älteren CLL-Patienten unterscheidet man heute je nach tatsächlichem Gesundheitszustand der Patienten zwischen fitten, unfitten und gebrechlichen Patienten („fit, unfit, fraiI“). Nach den Worten von Dr. Valentin Goede, Universitätsklinikum Köln, kann die neue Standardtherapie aus Rituximab plus Chemotherapie auch bei fitten älteren Patienten eingesetzt werden. Dies ergab die Auswertung der CLL8-Studie [6], in die nach einem Geriatrischen Assessment auch „fitte“ ältere Patienten bis 80 Jahre aufgenommen und entweder mit Chemotherapie alleine oder mit Rituximab (MabThera®) plus Chemotherapie behandelt wurden. Literatur: 1. Statistisches Bundesamt. Aktuelle Sterbetafeln für Deutschland. (http://www.destatis.de) 2. Van Cutsem E, Rivera F, Berry S et al. Safety and Efficacy of bevacizumab (BEV) and chemotherapy in elderly patients with metastatic colorectal cancer (mCRC): results from the BEAT observational cohort study. European Journal of Cancer Supplements 2009; 7 (2): 348 3. Pivot X, Verma S, Thomsen C: Clinical benefit of bevacizumab (BV) plus first-line docetaxel (0) in elderly patients with locally recurrent (LR) of metastatic breast cancer: AVADO study. J Clin Oncol 27: 15s; 2009 (suppl; abstr 1094) 4. Jackisch C, Hinke A, Schoenegg W et al. Trastuzumab treatment in elderly patients with advanced breast cancer (ABC) – results from a large observational study. SABCS 2008, Abstr 3144 5. Garrido P, Thatcher N, Crino L et al. Safety and efficacy of first-Iine bevacizumab (BV) plus chemotherapy in elderly patients with advanced or recurrent nonsquamous non-small cell lung cancer (NSCLC): SAiL (M019390). European journal of Cancer Supplements 2009; 7 (2): 557 6. Hallek, M et al.: First-Une Treatment with Fludarabine (F), Cyclophosphamide (C), and Rituximab (R) (FCR) Improves Overall Survival (OS) in Previously Untresated Patients (pts) with Advanced Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL): Results of a Randomized Phase 111 Trial On Behalf of An International Group of Investigators and the German CLL Study Group. Blood 2009; 114: Abstract 535 Quelle: Roche Pharma AG, GrenzachWyhlen, Pressemitteilung anlässlich des Symposiums „Therapie des alten Tumorpatienten – tägliche Herausforderung auf dünner Datenbasis?“ am 26.02.2010, Berlin, im Rahmen des 29. Deutschen Krebskongresses GERIATRIE JOURNAL 2/10 TERMINE / IMPRESSUM Termine 2010 @ 7./8. Mai 2010, Innsbruck Onkologietagung Innsbruck 2010 – Der ältere Patient in der Onkologie Informationen: Rainbow Incentive Eventmarketing GmbH, 1180 Wien, Martinstr. 78, Tel. +43/1/40 75 991, Fax +43/1/40 75 991-4, eMail: [email protected], www.rainbow-incentive.at @ 12. bis 15. Mai 2010, Orlando (Florida/USA) 2010 American Geriatrics Society – Annual Scientific Meeting Informationen: www.americangeriatrics.org @ 2. Juni 2010, Woltersdorf Tagesseminar „Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ Informationen: Geriatrische Akademie Brandenburg e. V., c/o. Ev. Krankenhaus Woltersdorf, Schleusenstr. 50, 15569 Woltersdorf, Tel. 0 33 62/779-225, Fax 0 33 62/779-229, eMail: [email protected] @ 25./26. Juni 2010 7. Heidelberger Dysphagie-Tage: Diagnostik, Therapie und Management von Schluckstörungen Informationen: Agaplesion Akademie Heidelberg (AAH), Rohrbacher Str. 149, 69126 Heidelberg, Tel. 0 62 21/319-1631, Fax 0 62 21/319-1635, eMail: [email protected], www.agaplesion-akademie.de @ 30. Juni 2010, Nürnberg Diagnostik, Therapie und Rehabilitation bei Diabetes mellitus im Alter Informationen: Klinikum Nürnberg Nord, Dr. W. Swoboda, Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1, 90419 Nürnberg, Tel. 09 11/39 82 438, eMail: [email protected] @ 8. Juli 2010, Stuttgart Objektivität, Veränderungssensitivität und Validität: Ergebnisse des Member Projekts – Wie sollen zukünftig Assessmentverfahren in der Geriatrischen Rehabilitation ausgestaltet werden? Informationen: Robert-Bosch-Krankenhaus, Klinik für Geriatrische Rehabilitation, Auerbachstr. 110, 70376 Stuttgart, eMail: [email protected] @ 16. Juli 2010, München Fraktur- und Sturzprävention in bayrischen Pflegeheimen – Ergebnisse und internationaler Austausch Informationen: Robert-Bosch-Krankenhaus, Klinik für Geriatrische Rehabilitation, Auerbachstr. 110, 70376 Stuttgart, eMail: [email protected] @ 10. bis 11. September 2010, Block 1 @ 29. bis 30. Oktober 2010, Block 2 @ 26. bis 27. November 2010, Block 3 @ 10. bis 11. Dezember 2010, Block 4 @ 18. bis 19. Februar 2011, Block 5 @ 11. bis 12. März 2011, Block 6 Basis-Kurs Geriatrie Informationen: Geriatrische Akademie Brandenburg e. V., c/o. Ev. Krankenhaus Woltersdorf, Schleusenstr. 50, 15569 Woltersdorf, Tel. 0 33 62/779-225, Fax 0 33 62/779-229, eMail: [email protected] GERIATRIE JOURNAL 2/10 Impressum Herausgeber: Prof. Dr. Dr. med. G. Kolb, Lingen; Prof. Dr. med. I. Füsgen, Wuppertal; Prof. Dr. med. C. Sieber, Nürnberg; Prof. Dr. med. B. Höltmann, Grevenbroich; Prof. Dr. R. Hardt, Trier; PD Dr. M. Haupt, Düsseldorf; Prof. Dr. D. Lüttje, Osnabrück Redaktion: Jola Horschig (Ltd. Redakteurin, presserechtlich verantwortlich), Im Kampe 9, 31832 Springe, Telefon: 0 50 41 / 98 90 58, Telefax: 0 50 41/ 98 90 59, eMail: [email protected] Herstellung: Sabine Löffler (verantwortlich) Grafik: Sabine Löffler (verantwortlich) Verlag: gerikomm Media GmbH, Winzerstr. 9, 65207 Wiesbaden Verlagsleiter: Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98, eMail: [email protected] Anzeigen: Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98, eMail: [email protected] Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.01.2004 Anzeigenschluss: 3 Wochen vor Erscheinen Rechte: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mirkoverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag behält sich das ausschließliche Recht der Verbreitung, Übersetzung und jeglicher Wiedergabe auch von Teilen dieser Zeitschrift durch Nachdruck, Fotokopie, Mikrofilm, EDV-Verwertung on- und off-line, Funk- oder Fernsehaufzeichnung vor. Jede gewerblich hergestellte oder benutzte Fotokopie verpflichtet nach Paragraph 54 (2) UrhRG zur Gebührenzahlung an die VG Wort, Abt. Wissenschaft, Goethestr. 49, 80336 München, von der die Modalitäten zu erfragen sind. Hinweise: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen vor allem von Neuzulassungen sollten in jedem Fall mit den Beipackzetteln der verwendeten Medikamente verglichen werden. Alle Informationen werden nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für die Richtigkeit gegeben. Vertrieb: gerikomm Media GmbH, Reiner Münster, Telefon: 0 61 22 / 70 52 36, Telefax: 0 61 22 / 70 76 98 Bezugspreise: Jahresbezugspreise für 6 Ausgaben inkl. Versandkosten: Inland: Euro 42,– Ausland: Euro 46,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Inland: Euro 28,– Studenten/AiP (gegen Vorlage einer Bescheinigung): Ausland: Euro 32,– Institutionen: Euro 62,– Einzelheft: Euro 12,– Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Gerichtsstand und Erfüllungsort: Wiesbaden Druck: Verlag Gödicke Druck & Consulting, Hannover © gerikomm Media 2010 Druckauflage: 5.500 Exemplare ISSN 1439-1139 II. Quartal 2010 47