ROTONDO für neun Instrumente (1997-99) EIN MUSIKALISCHES PATCHWORK oder: DIE KUNST DES FÜGENS von Werner Bärtschi, Ulrich Gasser, Max E. Keller, Martin Sigrist und Peter Wettstein (Komponistensekretariat Zürich) Die fünf im Komponistensekretariat Zürich zusammengeschlossenen Komponisten Werner Bärtschi, Ulrich Gasser, Max E. Keller, Martin Sigrist und Peter Wettstein treffen sich seit Jahren regelmässig, um ihre unterschiedlichen ästhetischen Positionen zu diskutieren und nach neuen Wegen zu suchen. 1995/96 entwickelten sie gemeinsam ein interaktives Konzept mit dem Titel "Kreuzende Wege", bei dem jeder mit Material, das er sich von seinen Kollegen erbeten hatte, ein selbständiges Orchesterstück schrieb. Die fünf Werke wurden durch die Sinfonietta Wetzikon unter der Leitung von Howard Griffiths und Jürg Wyttenbach in verschiedenen Schweizer Städten aufgeführt und als CD in der Reihe "Musikszene Schweiz" veröffentlicht. Die spannenden Erfahrungen animierten die fünf, den interaktiven Ansatz weiterzuverfolgen. In intensiven Auseinandersetzungen einigten sie sich auf ein neues Vorgehen, das ein noch stärkeres Aufeinander-Eingehen verlangt. Jeder komponiert 50 Sekunden Musik für neun vorher fixierte Instrumente und übergibt sie einem seiner Kollegen, der weitere 50 Sekunden schreibt, indem er auf das Vorangegangene reagiert: es weiterführt, steigert, beschleunigt, kontrastiert, persifliert, ironisiert, reduziert, erweitert, ignoriert .... Wenn alle fünf einen Abschnitt beigesteuert haben, beginnt der Kreislauf ("Rotondo") von vorne, in stets neuer Reihenfolge. In zwölf Umgängen ist so ein Werk für Kammerensemble geschrieben worden, in einem einzigartigen Entstehungsprozess, der die Komponisten auf neue Wege gebracht hat. Für die Aufführungen konnte das renommierte "Ensemble Aventure" aus Freiburg i.Br. gewonnen werden, das sich durch zahlreiche Uraufführungen und ungewöhnliche Projekte nicht nur in Fachkreisen einen ausgezeichneten Ruf geschaffen hat. Nach zweijähriger Arbeit liegt nun eine 180-seitige, äusserst farbige Partitur vor, in der auch kleine szenische Aktionen und gesprochene Partien vorkommen, die dem Stück eine weitere besondere Note geben. Es ist ein "patchwork" und doch auch nicht: Die zahlreichen Zitate, Anspielungen und Verweise schaffen ein dichtes Netz von Bezügen, und die immer wieder über längere Strecken aufgebauten Entwicklungen ermöglichen ein Einschwingen und emotionales Mitgehen. Dennoch: Das gut 50 Minuten dauernde Werk ist und bleibt ein Hörabenteuer, auf das man gespannt sein darf. Die Komponisten danken den Sponsoren: Präsidialdepartement der Stadt Zürich – Kulturstiftung des Kantons Thurgau – Stiftung Erna und Curt Burgauer – Fondation Nicati-de Luze – Heinrich Mezger Stiftung – Stadt Winterthur Text für Karte o.ä.: MS komponiert 50", schickt sie an PW. PW komponiert 50", schickt dann beides an UG. UG komponiert weitere 50" und schickt alles an MEK. MEK komponiert nochmals 50", schickt alle vier Teile an WB. WB komponiert seinerseits 50" dazu und schickt das Ganze an wen er will. „Saisonklänge“ – Jecklin – Komponistensekretariat Ein Komponist meint: Fast alle Schweizer Komponisten leben mit einem „Hauptberuf“, weil wir von den Tantièmen nicht leben können und weil und uns neben dem Musikschreiben auch andere Aufgaben interessieren. Beim heutigen Quartett des Komponistensekretariats Zürich ist zum Beispiel Werner Bärtschi primär als konzertierender und lehrender Pianist bekannt. Max Eugen Keller war lange Zeit in der Wortkunst tätig. Als Germanist lehrte er bis vor zwei Jahren an der Hochschule .......... Mit einem grossen Unterrichtspensum wirkt Martin Sigrist als Violinlehrer und Orchesterleiter in den Kantonen Schaffhausen und Thurgau. Und ich selber lehre und administriere an der Musikhochschule in Zürich. Daneben engagieren wir uns häufig in Kommissionen und Vorständen für das Musikleben unserer Gemeinde, des Kantons, der Schweiz oder auch in länderübergreifenden Organisationen. Wir sind also vielbeschäftigte Leute und können dem Komponieren meistens weniger Zeit einräumen, als wir eigentlich möchten. Das hat aber auch Vorteile: Vielleicht zwingt uns dies zu einer schärferen Selektion, und nicht jede musikalische Idee wird auch publiziert. Die Oeffentlichkeit kann sich heute ja nicht über ein Zuwenig an neuen Musikstücken beklagen, die aufs Papier oder in den Computer gebracht werden. Sicher ist noch nie so viel und von so vielen komponiert worden wie heute. Die Produkte-Inflation unserer Zeit hat auch im Musikbusiness Einzug gehalten. Nur, wenn man etwas genauer hinsieht, ist diese Vielfalt sehr einseitig. Zwar ist der Audiomarkt von CD’s überschwemmt. Und wenn der Konsument eine Beethoven-Sinfonie heimtragen möchte, hat er eine kaum zu überblickende Auswahl. Interessiert er sich für das gegenwärtige Musikschaffen, findet er ebenfalls ein reiches Angebot von Werken der „InKomponisten“. Die grosse Mehrzahl der heute und gestern komponierten Werke werden aber nicht auf die silbernen und goldglänzenden Scheibchen gelasert, da mit ihnen kein Geschäft zu machen ist. Diese Selektion ist natürlich das Spiegelbild des heutigen Konzert- und Musiktheaterlebens. In den Metropolen gibt es zwar mehr als früher auch Nischenangebote. Das Kulturleben ist unglaublich vielfältig geworden, und jede Institution kämpft um die zum Überleben notwendige Einschaltquote. Wie füllt man die Konzert- und Opernhäuser? Das ist die Kardinalfrage, die sich jedem Intendanten stellt. Und den besten unter ihnen gelingt es, ab und zu auch künstlerisch Aktuelles und Unbekanntes dem Publikum nahezubringen. Dieses Publikum ist es schliesslich, welches durch seine Präsenz und durch sein Kaufinteresse bestimmt, was aufgeführt und produziert wird. Dieses Publikum zu verführen das „Neue zu wagen“ muss deshalb auch das Anliegen der jungen Interpretinnen sein, wenn sie sich ihren Platz im öffentlichen Musikleben erobern wollen. Neben der nach wie vor zentralen Bedeutung der musikalischen und technischen Kompetenz sind innovative animatorische Ideen im heutigen Kulturleben gefragt. Und auch die Komponistin und ihr männlicher Kollege sind diesbezüglich gefordert, wenn sie nicht nur für die Schublade schreiben wollen. Mit einem Werk wie „ROTONDO“ ist zumindest das Kriterium der originellen Konzeption erfüllt, und wir glauben, dass darüber hinaus auch eine an- und aufregende Musik entstanden ist. Peter Wettstein Vor dem Komponieren: „..........Soll ich im nächsten Abschnitt alle neun Instrumente verwenden oder das Akkordeon doch weglassen? Diese ausgehaltenen hohen Töne in der letzten Passage haben eigentlich genug enerviert, und es wäre wichtig, dass jetzt endlich der Bratschen-Gestus des zweiten Abschnitts wieder aufgegriffen würde. Schön wäre doch, diesen mit dem Oboenmotiv von Ueli zu kombinieren und damit einen neuen Spannungsbogen aufzubauen. Anderseits sind da noch die nachwirkenden Kontrabass-Flageolett-Töne, welche vielleicht doch weiterzuführen sind und die mit der Oboe kollidieren könnten. Durch eine Zäsur mittels des Trompetensignals von Martin liesse sich eine sinnvolle Ablösung erreichen. Das muss ich mal zu Papier bringen. ........................“ Nach dem Komponieren: „.............Der Klaviereinschub ist in dieser tiefen Lage vielleicht doch zu undeutlich und erhält ein Gewicht, das ihm nicht zusteht. Sollte ich ihn nicht besser eine Oktave höher, etwas verlangsamt und dafür im Staccato erklingen lassen? – Nein, das wäre schade, weil ich dadurch die Werner’sche Idee nicht weiterführen würde; ein Bruch sollte hier vermieden werden! Nimmt mich wunder, wie Max jetzt anschliessen wird. An seiner Stelle würde ich.............“