DOC-KONGRESS 2016 Torische und multifokal-torische IOL: Markierungssysteme zur Bestimmung der Implantationsachse Georg Gerten Köln → Zusammenfassung: Die Implantation von torischen und multifokal-torischen Intraokularlinsen (IOL) gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der refraktiven Kataraktchirurgie. Bei der derzeitigen Studienlage und nach eigenen Erfahrungen kann ab einem Hornhautastigmatismus mit einem orthogonal-regulären Anteil von zirka 1,0 dpt eine Indikation zur torischen IOL-Implantation bestehen. Für ein perfektes refraktives Ergebnis ist die exakte Übereinstimmung der kornealen Astigmatismus-Achse mit der Torus-Achse der IOL entscheidend, da schon eine kleine Fehlrotation der IOL (ab zirka 10°) die gewünschte Zylinderkorrekturstärke und Achse stark beeinflussen. Als mechanisches Hilfsmittel für eine achsgenaue Implantation hat sich der Pendel-Markeur als am zuverlässigsten und genauesten erwiesen. Alternativ bzw. parallel können auch optische Mess-Systeme benutzt werden, die auf verschiedenen physikalischen Prinzipien beruhen. Postoperativ muss die Implantationsachse der torischen IOL an der Spaltlampe überprüft werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Nachrotation ist in den letzten Jahren deutlich unter 5 % gesunken. Sollte eine Nachrotation erforderlich sein, wird diese idealerweise in der 2. bis 6. Woche postoperativ durchgeführt. OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) → Der Einsatz von torischen Intraokularlinsen (IOL) gehört mittlerweile zum Standardrepertoire in der refraktiven Kataraktchirurgie. Seit in unserer Augenklinik die ersten torischen IOL bei hohem Astigmatismus nach Keratoplastik (KPL) implantiert wurden [2], hat sich im Laufe der Zeit das Design der Intraokularlinsen gewandelt, und die Indikationen zur Implantation torischer IOL haben sich deutlich erweitert [1, 5]. Die Ansprüche an das refraktive Ergebnis werden höher; gleichzeitig werden zunehmend optisch komplexere torische IOL wie z. B. multifokale torische IOL implantiert. Wenn bei diesen ein Gesamtastigmatismus von > 1 dpt verbleibt, ist Summary: The implantation of toric and multifocal-toric intraocular lenses (IOL) has become an essential part of a modern refractive cataract surgery. Own experience and literature revealed an indication for toric IOL implantation starting at ~1 D of corneal regular orthogonal astigmatism. In any toric IOL procedure implantation in the correct cylinder axis is crucial for a perfect refractive result. Already small IOL malrotations (10°) have deleterious effects on the amount of cylinder correction and cylinder axis. Different mechanical and optical marking systems compete to help the surgeon with matching the corneal astigmatism axis to the IOL torus. Out of the mechanical markers the pendulum-­ markeur appeared to be most precise and reliabel. Alternatively optical systems can be used to find the correct axis. A post-OP check of the toric IOL axis at the slitlamp is mandatory. The need for a secondary IOL rotation due to axis malposition has decreased below 5 % with the modern marking systems. If necessary, we recommend to perform an IOL rotation between the 2nd and 6th postoperative week. OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) der Vorteil des multifokalen Effektes für den Patienten kaum mehr vorhanden. Ähnliches gilt für phake IOL (torische Artisan®, FA Ophthec, ICL®, Fa.Staar etc.); auch in diesen Fällen geht es um die möglichst vollständige Neutralisation des Astigmatismus. Dazu ist die exakte Übereinstimmung der kornealen Astigmatismus-Achse und der Torus-Achse der Linse entscheidend. Schon bei einer Fehlrotation der IOL von nur rund 15° halbiert sich die gewünschte Zylinderkorrekturstärke. Hinzu kommt die Achsdrehung des resultierenden Zylinders (Abbildung 1). OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) 149 G. Gerten: Torische und multifokal-torische IOL – Markierungssysteme zur Bestimmung der Implantationsachse Mechanische Markierungsverfahren: Pendel-Markeur am zuverlässigsten Für eine achsgenaue Implantation benötigt der Operateur intraoperativ verlässliche Hilfsmittel. Zur Sicherung der Zylinder-Implantationsachse können mechanische und optische Instrumente genutzt werden. In wissenschaftlichen Studien wurden mechanische Instrumente zur kornealen Markierung gegeneinander getestet: Pendel-Markeur, Spaltlampenmarkierung, Wasserwaagen-Prinzip und Tonometer-gehaltene Markeure. Dabei hat sich der Pendel-Markeur als am zuverlässigsten und genauesten erwiesen [4] (Abbildung 2) im Vergleich zu den anderen Methoden, die deutlich höhere Abweichungen zeigten. Das Pendel sorgt automatisch für die richtige Ausrichtung des Markeurkopfes, weshalb sich der Operateur ganz auf das exakte Aufsetzen des Markeurkopfes auf das Patientenauge konzentrieren kann und nicht – wie beispielsweise bei Markeuren mit Wasserwaagenprinzip – gleichzeitig auch noch eine waagerechte Haltung des Markeurs garantieren muss. Unter den Pendel-Markeuren sind die mit einem freien Durchblick auf das Patientenauge zu bevorzugen. Die Markeure der neueste Generation verfügen über mehr als zwei Klingen zum Aufsetzen (z. B. Markeur G-33797, Geuder®). Damit ist gewährleistet, dass es beim Aufsetzen des Markeurkopfes auf das Patientenauge nicht zu Verdrehungen kommt (Abbildung 3). Abbildung 1: Optische Konsequenzen der Achsrotation einer torischen IOL → Die schwarze X-Achse zeigt die Rotation in schwarzen Gradzahlen, positive Werte entsprechen einer Rotation gegen den Uhrzeigersinn, negative im Uhrzeigersinn. → Die blaue Y-Achse zeigt die Verdrehung des resultierenden Gesamtzylinders im Patientenauge gegenüber dem Ausgangswert. → Die rote Y-Achse zeigt den Verlust an Zylinderkorrektur in % vom Ausgangszylinder. → Die gestrichelte blaue Linie stellt ein Lesebeispiel für eine Rotation der Torischen IOL um 15° gegen den Uhrzeigersinn dar: Es resultiert ein Verlust an Zylinderkorrektur von zirka 50 % (rote Y-Achse) und die Zylinderachse des Gesamtsystems Kornea/IOL verdreht sich um Quelle: Popp N, Hirnschall N, Maedel S, Findl O (2012) Evaluation of 4 corneal astigmatic marking methods. J Cataract Refract Surg 38: 2094 – 2099 zirka 40° im Uhrzeigersinn (blaue Y-Achse). Abbildung 2: Vergleich von 4 kornealen Markierungsmethoden: Der Abbildung 3: Präoperatives Markieren der Implantationsachse: Pendel-Markeur sichert die genaueste Übereinstimmung mit der Pendel-­ Markeur neuester Generation mit 4 Klingen und freiem Soll-Achse bei geringster Standardabweichung. Spaltlampenmarkie- Durchblick (Modell G-33797 – Fa. Geuder, Heidelberg): Achse bei rung, Markeure nach Wasserwageprinzip (Bubble) und tonometer­ 110° eingestellt, sicheres und zentriertes Aufsetzen gehaltene Markeure zeigen erhebliche höhere Abweichungen. 150 OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) G. Gerten: Torische und multifokal-torische IOL – Markierungssysteme zur Bestimmung der Implantationsachse Nachteil der mechanischen Systeme Allen mechanischen Systemen ist der Nachteil gemeinsam, dass die Markierung vor der Operation beim sitzenden Patienten vorgenommen werden muss, was den Arbeitsfluss im OP beeinflusst. Allerdings haben die oben genannten Neuerungen bei den Markeuren dazu geführt, dass das richtige Markieren des Auges nicht mehr so stark von der Kooperation des Patienten sowie der korrekten Handhabung und Erfahrung des Operateurs abhängt – womit sich auch der zeitliche Aufwand für das Markieren deutlich verringert hat. Intraoperative optische Messverfahren Alternativ können intraoperativ auch Mess-Systeme benutzt werden, die auf verschiedenen optischen Prinzipien beruhen (Abbildung 4). So benötigt z. B. das Verion System® (Alcon) eine präoperative Infrarotaufnahme des Auges. Anhand der präoperativ erkannten Strukturen errechnet das System dann intraoperativ die korrekte Implantationsachse. Zu beachten ist hierbei, dass die präoperative Messung in jedem Fall durchgeführt werden muss und auch so genau wie möglich erfolgen sollte, da das Gerät während der Operation keine optischen Eigenschaften erkennen kann, sondern lediglich präoperative Bilder mit intra­operativen Bildern vergleicht. „Online“-Messung Bei Wellenfrontmessgeräten (z.B. IOWA®, Eyesight & Vision; Orange, Wavetec® Vision) ist dies anders – sie können prinzipiell intraoperativ optische Eigenschaften erkennen, insbesondere die Gesamtrefraktion inklusive Astigmatismus des Patientenauges. Theoretisch ist es mit ihnen sogar möglich, Fehler höherer Ordnung zu erkennen. Deswegen bedarf es bei dem Einsatz dieser Geräte keiner präoperativen Messungen. Bei der Online-Messung während der Operation muss der Operateur allerdings einige Punkte beachten: → Der Patient kann in der Regel nicht mehr exakt fixieren, → der Augeninnendruck schwankt, → die optischen Grenzflächen sind a priori nicht optimal, → Augenbewegungen können auftreten, worauf diese empfindlichen Geräte stark reagieren. Darüber hinaus sind Wellenfront-Systeme noch recht unhandlich und sehr schwer. Sie brauchen viel Platz unter dem Mikroskop und schlucken Licht → zwei Komponenten, die dem Operateur dann bei der Operation fehlen. Bei allen derzeit zur Verfügung stehenden optischen Mess­ systemen hat der Operateur derzeit kaum Kontrollmöglichkeiten, falls das System eine falsche oder gar keine Achse anzeigt. Intraoperative Messverfahren: Noch Entwicklungsbedarf Insgesamt scheinen die intraoperativen Mess-Systeme sehr vielversprechend, aber es besteht noch deutlicher Entwicklungsbedarf. Zudem sind alle Systeme in der Anschaffung sehr kostenintensiv. Jedoch sind in den nächsten 1 bis 2 Jahren einige sehr interessante Neuentwicklungen zu erwarten. Dem Vernehmen nach entwickeln Oculus (Wetzlar) und Zeiss (Oberkochen) derzeit schlanke, intraoperative optische Systeme, die sowohl den Astigmatismus als auch den IOL-Torus online messen können. In unserer Augenklinik verwenden wir bis auf weiteres optische Systeme und Pendel-Markeure parallel, um für unsere Patienten die besten Ergebnisse zu erzielen (Abbildung 5). Faustregel bei postoperativen Abweichungen Postoperativ muss die Implantationsachse der torischen IOL an der Spaltlampe überprüft werden. Dazu stellt man den Spalt schmal ein und rotiert ihn bei weiter Pupille auf die Achsmarkierungen der IOL. Meist sitzt die torische IOL nach den obigen Maßnahmen exakt auf Achse. Was aber ist zu tun, wenn dies nicht der Fall ist? Welche Abweichung ist für den Patienten tolerierbar? Dazu muss man sich nochmals vergegenwärtigen, dass die physikalisch-optischen Beziehungen zwischen astigmatischer Kornea und torischer IOL sich – siehe oben – gut beschreiben lassen, aber die Abbildung 4: Zu Beginn der Kataraktoperation: Marken des Pendel-­ Markeurs (Modell G-33797 – Fa. Geuder, Heidelberg) und des Optischen Systems (VerionTM Fa. Alcon®, Fort Worth) stimmen überein. Beide sind auf 110° ausgerichtet. OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) 151 G. Gerten: Torische und multifokal-torische IOL – Markierungssysteme zur Bestimmung der Implantationsachse zugrunde liegenden Prinzipien auf der vereinfachenden Vorstellung von idealen sphäro-zylindrischen Optiken beruhen, die in Praxi so nicht gegeben sind. Die Vorder- und Rückfläche der Kornea eines jeden Patienten weicht im Einzelfall mehr oder weniger vom idealen sphäro-zylindrischen Modell ab. Alle Hornhäute weisen individuelle, mehr oder weniger starke „irreguläre“ Astigmatismusanteile bzw. Fehler höherer Ordnung auf, die durch die Angabe eines Astigmatismuswertes als einzelnen Vektor in Polarkoordinaten (z.B. -3 dpt bei 5°) nicht erfasst werden können. Die Kornea-Referenzachse wird in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode (Keratometer, Scheimpflugaufnahme, Placido-basierte Topographie etc.) in der Regel leicht unterschiedlich gemessen bzw. errechnet [3]. Als Faustregel kann man Achsfehlstellungen einer torischen IOL bis zu 10° meist akzeptieren. Zeitpunkt für eine eventuelle Nachrotation Sollte doch einmal eine Nachrotation erforderlich sein, wird diese idealerweise in der 2. bis 6. Woche postoperativ durchgeführt. Erfolgt die Nachrotation zu früh, kann sich die IOL leicht wieder in ihre alte Position drehen. Wird zu spät nachrotiert, ist dies für den Patienten durch die bereits eingetretene Kapselsackschrumpfung und Fibrosierung unnötig traumatisch. Eine YAG-Laser-Eröffnung der hinteren Kapsel sollte auf keinen Fall erfolgen, bevor die IOL sicher in der korrekten Achse eingeheilt ist, da dies eine Rotation erheblich erschweren Abbildung 5: Am Ende der refraktiven Kataraktoperation sind die opti- und das Risiko eines Glaskörpervorfalles provozieren könnte. Insgesamt aber ist die Wahrscheinlichkeit einer Nachrotation in den letzten Jahren durch die Verbesserungen der Messtechnik, der OP-Technik und der IOL-Materialien deutlich unter 5 % gesunken. Vor allem bei multifokal-torischen IOL kann zusätzlich zu einem Rest-Zylinder schon eine kleine Abweichung des sphärischen Äquivalentes störend wirken. In diesem Fall kann ein kornealer Eingriff als sogenannte „Bioptics“ (LASIK, PRK) eine zusätzliche Option oder Alternative zur Rotation sein. Resümee Die Implantation von torischen sowie multifokalen torischen IOL ist ein geeignetes und bewährtes Verfahren zur Verbesserung der postoperativen unkorrigierten Sehschärfe. Bei höheren Astigmatismen ist auch eine absolute Steigerung der Sehschärfe nicht ungewöhnlich, selbst wenn diese präoperativ als amblyop diagnostiziert wurde. Bei der derzeitigen Studienlage und aus eigenen Erfahrungen sehen wir prinzipiell ab einem Hornhautastigmatismus mit einem orthogonal-regulären Anteil von > 1,0 dpt eine Indikation zur torischen IOL-Implantation für gegeben an. Literatur 1. Alfonso JF, Knorz M, Fernandez-Vega L, Rincón JL et al (2014) Clinical outcomes after bilateral implantation of an apodized +3.0 D toric diffractive multifocal intraocular lens. J Cataract Refract Surg 40: 51 – 59 2. Gerten G, Michels A, Olmes A (2001) Torische Intraokularlinsen. Klinische Ergebnisse und Rotationsstabilitat. Ophthalmologe 98: 715 – 720 3. Hoffmann PC, Wahl J, Hütz WW, Preußner P-R (2013) A ray tracing ap­ proach to calculate toric intraocular lenses. J Refract Surg 29: 402 – 408 4. Popp N, Hirnschall N, Maedel S, Findl O (2012) Evaluation of 4 corneal astigmatic marking methods. J Cataract Refract Surg 38: 2094 – 2099 5. Visser N, Bauer NJC, Nuijts RMMA (2013) Toric intraocular lenses: historical overview, patient selection, IOL calculation, surgical tech­ niques, clinical outcomes, and complications. J Cataract Refract Surg 39: 624 – 637 Korrespondenzadresse Dr. med. Georg Gerten Augenklinik am Neumarkt Schildergasse 107 – 109 50667 Köln [email protected] schen 3-Punkt-Hilfslinien der multifokal-torischen IOL (schwarze Pfeile) perfekt auf die präoperativen Kornea-Markierungen ausgerichtet. Dabei zeigen die beiden unterbrochenen Kornea-Markierungen (schwarze Pfeile) die Implantationsachse für die IOL an (Restor, Fa. Alcon, Fort Worth); zusätzlich eignen sich die beiden glatten Markierungen als Zentrierhilfe. 152 OPHTHALMO-CHIRURGIE 28: 149 – 152 (2016) Torische IOL Donnerstag, 9. Juni 2016 9.00 – 11.00 Uhr, Saal Prag