Lydia Menschen der Bibel Erfolgreiche Unternehmerinnen gab es offenbar schon vor zweitausend Jahren. Man musste nur wissen, wo sich ein günstiger Markt bot und wie man Kaufwünsche mit guten Waren befriedigen konnte. Diese Frau aus der Provinz Lydien in Kleinasien hat es geschafft. Sie ist in Thyatira zu Hause, einem Zentrum der Pupurindustrie des Altertums. Dort gewann man aus dem Saft der Purpurschnecke einen heiß begehrten Farbstoff, mit dem wertvolle Stoffe gefärbt und dann als Luxusartikel in alle Richtungen exportiert wurden. In diesem Geschäft war sie offenbar als Importgroßhandelskauffrau in einer blühenden mazedonischen Stadt namens Philippi tätig – Lydia. Wahrscheinlich hatte sie ihr Unternehmen dort selber gegründet und aufgebaut, nachdem sie mit fachkundigen Kenntnissen und Geschäftsverbindungen aus ihrer Heimatstadt hierher gekommen war. Nannte man sie deshalb Lydia, weil sie aus Lydien kam, oder war das von jeher ihr Name? In Philippi war der Gold- und Silberabbau, den der Vater Alexanders d.Gr., der mazedonische König Philippus (359–336 v.Chr.), dort gefördert hatte, zwar zum Erliegen gekommen, aber die Römer hatten diesem günstig unweit der Küste gelegenen Ort durch Ansiedlung von Veteranen ihrer erfolgreichen Legionen und von anderen römischen Bürgern erhebliche Privilegien verschafft. So gab es hier offensichtlich eine Klientel, die sich solche Luxuswaren leisten konnte und wollte. Auch wenn Purpurgewänder ursprünglich meistens kultischen Zwecken vorbehalten waren oder als Zeichen der Macht zur Schau getragen wurden, breitete sich diese rötliche oder violette Farbe auch unter der Kleidung wohlhabender Bürger immer mehr aus. In den Friedensjahren, die Augustus und seine Nachfolger dem römischen Reich bescherten, wuchs der Wohlstand gerade der römischen Bürger ständig an. Das hatte Lydia erkannt und wurde so mit ihrem Unternehmen schnell zu einer wohlhabenden Frau. Trotzdem bleibt sie in der römischen Garnisonsstadt eine Fremde. Ihr Leben erschöpft sich nicht darin, gute Geschäfte zu machen und viel Geld zu verdienen. Sie sucht nach einem inneren Wert für ihr Leben und gerät dabei in Kontakt mit dem jüdischen Glauben. Die vielen Götter der Griechen und Römer, die ihr aus ihrer Heimat vertraut sind, können sie nicht überzeugen, dafür umso mehr der eine Gott, an den die Juden glauben. In Philippi gibt es offenbar nur eine kleine jüdische Gemeinde, die sich am Sabbat in der Nähe eines nahen Flusses versammelte, um dort ohne Schwierigkeiten auch rituelle Waschungen vollziehen zu können. Dorthin hält sich Lydia regelmäßig als Sympathisantin. Eines Sabbats gesellen sich einige unbekannte Männer zu ihnen. Auch ein Jude aus einer Provinz Kleinasiens ist unter ihnen, namens Paulus, der gerade von Kleinasien über das Ägäische Meer nach Europa geführt worden ist. Man kommt ins Gespräch, verabredet sich für den nächsten Sabbat, und Lydia erfährt für sie aufregende Nachrichten. Da ist vor etwa 20 Jahren in Palästina ein jüdischer Mann mit seiner Predigt durchs Land gezogen und hat den Menschen die Nähe und Liebe Gottes bezeugt und gebracht. Viele Kranke hat er geheilt, aber von den Verantwortlichen keine Gegenliebe geerntet. Im Gegenteil, sie haben ihn wie einen gemeingefährlichen Verbrecher gekreuzigt. Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten. Paulus hat ihn selber gesehen, obwohl er damals als Schriftgelehrter zu den Feinden Jesu gehörte. Jetzt sollen alle Menschen erfahren, was Gott für sie getan hat, damit sie diesem Jesus vertrauen und in seiner Gemeinde froh und glücklich werden. Lydia erlebt, wie eine große Liebe zu diesem Jesus in ihr aufkeimt. Lukas, der mit Silas als Begleiter des Paulus dabei war, erzählt: Der Herr tat ihr das Herz auf, so dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde (Apg. 16,14). Jetzt findet sie, was sie gesucht hat, die Mitte ihres Lebens. Bald bittet sie um die Taufe, aber nicht für sich allein, sondern für ihr ganzes Haus. Wer mag dazu gehören? Ihre Familie, ihre Angestellten und Mitarbeiter, sie alle sollen mit Jesus für immer verbunden sein. Als großzügige Unternehmerin bietet sie Paulus und seinen Begleitern in ihrem Haus Gastfreundschaft an. Als diese bescheiden zögern, beginnt sie zu nötigen. Sie sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. So geschieht es dann auch. Immer mehr Menschen finden den Weg zu der kleinen Gemeinde Jesu in Philippi, die sich im Hause der Lydia zu ihren gemeinsamen Gebeten und Mahlfeiern zusammenfindet. Als Paulus und Silas wenig später wegen vermeintlichen Aufruhrs verhaftet werden, bewährt sich das Haus der Lydia als Zentrum der angefochtenen Gemeinde. Umso größer ist ihre Freude, als sie den freigelassenen Apostel wieder in ihrer Mitte begrüßen kann und durch seinen Zuspruch gestärkt wird (Apg. 16,16–40). *** Es ist ein großer Tag für Europa. Zum ersten Mal sammelt sich eine Gemeinde auf europäischen Boden, und zwar im Haus dieser Frau. Ja, eine Frau wird als erster Christ Europas getauft. Die Geschichte Gottes mit unserem Erdteil beginnt hier in Philippi, im Herzen der Lydia, und geht weiter – gottlob! – bis heute. Dr. Horst Gienke